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Die Spanische Implosion

Erstellt von Redaktion am Montag 22. April 2019

Wie der Whistleblower José Luis Peñas

Plaza Mayor de Madrid 06.jpg

das korrupte politische System seines Landes zum Einsturz brachte

Von Sam Edwards

An einem kalten Dezembertag im Jahr 2017 erhielt José Luis Peñas einen Anruf von dem Mann, den er kurz zuvor verraten hatte. Der mächtige Wirtschaftsmagnat Francisco Correa rief ihn an, um zu fragen, ob sie sich am nächsten Abend treffen könnten.

Peñas, Stadtrat in einem Vorort der spanischen Hauptstadt Madrid, hatte über zwei Jahre hinweg mit Correa zusammengearbeitet: Die beiden hatten gemeinsam eine Partei gegründet, um bei den Kommunalwahlen mit einem Anti-Korruptions-Programm anzutreten. Peñas leitete den Wahlkampf, Correa finanzierte ihn. Sie waren ein ungleiches Paar – Peña, freundlich, ein Bär von einem Mann, Correa mehr als ein Jahrzehnt älter, drahtig und leicht in Rage zu bringen. Aber sie näherten sich an, sprachen bald fast jeden Tag miteinander, vertrauten sich Sachen an, aßen zusammen mit ihren Familien, Correas kleine Tochter nannte Peñas Tio Pepe, Onkel Pepe.

Doch innerhalb weniger Monate wurde Peñas klar, dass sein Freund korrupt war. Correas wahres Geschäft war es, mit Lokalpolitikern zu konspirieren, um lukrative öffentliche Aufträge an Land zu ziehen. Statt ihn mit diesem Verdacht zu konfrontieren oder anzuzeigen, begann José Luis Peñas, Beweise zu sammeln – er schnitt heimlich Gespräch mit, mehr als ein Jahr lang – erst danach ging er zur Polizei, um Correa eine ganze Reihe von Verbrechen, die seinen Partner zusammen mit einem Klüngel aus mächtigen, korrupten Politikern und Geschäftsleuten sehr lange ins Gefängnis bringen könnten, anzulasten. Das alles blieb geheim – die Polizei wollte noch mehr Beweise sammeln, bevor sie Correa, der weiter keine Ahnung hatte, dass er abgehört wurde, verhaften würde.

Als das Telefon klingelte, geriet Peñas in Panik. Hatte Correa aus Reihen der Polizei einen Tipp erhalten? Schließlich war der Geschäftsmann perfekt vernetzt. 2002 war er gar Trauzeuge bei der Hochzeit der Tochter des damaligen konservativen Ministerpräsidenten José María Aznar gewesen.

Am folgenden Tag erreichte Peñas gegen 17 Uhr Correas Büro in der Calle Serrano, Madrids exklusivster Straße. Einer von Correas Männern führte ihn in ein schwach beleuchtetes Büro und bat ihn, in einem leeren Konferenzraum zu warten. Allein gelassen, griff Peñas in seine Jackentasche, um das Diktiergerät anzuschalten, das er in den vergangenen 18 Monaten benutzt hatte, um den Geschäftsmann und seine Verbindungsmänner aufzunehmen. Während er wartete, trommelte er angespannt auf dem Tisch herum und ging zum Fenster hinüber, starrte nach draußen, wo es stark regnete. Da kam eine Nachricht auf sein Handy: Sein Gesprächspartner würde sich verspäten. Peñas fragte sich, ob Correa sich an einen öffentlichen Ort begab, damit er ein Alibi dafür haben würde, was jetzt folgte. Er stellte sich vor, wie ein großer Mann den Raum betreten würde, um dann dasFenster zu öffnen und ihn vom Balkon im vierten Stock hinauszustürzen.

Heimliche Tonaufnahmen

Nach mehr als einer Stunde erschien Correa doch noch. Und was Peñas im Laufe dieses Abends aufnehmen sollte, wurde zum zentralen Beweisstück im weitreichendsten Korruptionsskandal in Spaniens jüngerer Geschichte. Die Affäre trug maßgeblich dazu bei, das Zwei-Parteien-System des Landes zu erschüttern, ebenso die Art, wie die Spanierinnen und Spanier über die Leute denken, die ihr Land regieren. Schließlich brachte das, was José Luis Peñas aufgedeckt hat, eine Regierung zu Fall.

Ursprünglich zielten die Untersuchungen der Ermittlungsbehörden auf illegale Machenschaften zwischen kleinen Stadtverwaltungen und Correas Unternehmensnetzwerk ab. Doch dann beförderten sie hunderte von Verdächtigen zu Tage. Die Ermittler nannten den Fall „Caso Gürtel“ – nach Correa, dem spanischen Wort für Gürtel. Peñas Rechtsanwalt Ángel Galindo sagt: „Gürtel, das ist Spaniens Watergate“. Galindo, ein bekannter Anti-Korruptions-Aktivist, war einer der wenigen, die Peña früh ins Vertrauen gezogen hatte. Er erinnert sich, wie sein Mandant ihm eine Aufnahme vorspielte, auf der Francisco Correa laut überlegte, wie er Galindo von einer Kampagne gegen einen von Correras Deals abbringen könnte. „Ich spürte einen Schmerz in meiner Brust, musste raus an die frische Luft“, erzählt Galindo. Wieder und wieder hörte er sich dann die Aufnahme an. „Es war, als hätte mir jemand eine Augenbinde abgenommen, um mich mit der Realität zu konfrontieren, damit, wie die Dinge wirklich laufen.“

Seit Peñas vor zwölf Jahren mit seinen Aufnahmen begonnen hat, ist das Vertrauen der spanischen Wähler in ihre Regierung implodiert. Dazu beigetragen hat auch die Finanzkrise. Als die Boom-Jahre zu Ende waren, standen ganz normale Leute plötzlich vor der Situation, dass ihre Immobilienkredite unbezahlbar und ihre Jobs futsch waren. Zugleich wurden die Sozialleistungen gekürzt. Sie erkannten, dass sie betrogen worden waren – von Seilschaften gieriger Politiker und Opportunisten, die systematisch öffentliche Ausschreibungen manipuliert, die Preise für die notwendigen Arbeiten aufgeblasen und die daraus resultierende Differenz eingesackt hatten.

Day 9 Occupy Wall Street September 25 2011 Shankbone 15.JPG

Die Auswirkungen des „Caso Gürtel“ und einer Reihe anderer Skandale, die im vergangenen Jahrzehnt ans Licht gekommen sind, haben bis heute spürbare Folgen für die spanische Gesellschaft. Dass die linkspopuläre Partei Podemos Bürgermeisterposten im ganzen Land erringen konnte, hat auch mit dem aufgedeckten Filz zu tun. Bei den Wahlen 2017 zogen Podemos und die rechtsliberale Partei Ciudadanos ins Parlament ein und versetzten so dem Zwei-Parteien-System einen heftigen Schlag; zum ersten Mal seit der Rückkehr Spaniens zur Demokratie verteilten sich die Wählerstimmen auf vier größere Parteien. Das Schweigen über die Korruption hatte ein Ende, das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen war zerstört. Ebenso war der Weg für eine Rückkehr der Rechtsextremen geebnet. Bei den andalusischen Regionalwahlen im Dezember 2018 fuhr die relativ neue Partei Vox eine Kampagne, die im Kern auf Hardliner-Positionen gegen Immigration und Feminismus fußte. Vor allem aber präsentierte sich Vox als einzige Kraft, die dem Selbstbedienungsladen der Elite den Garaus machen werde – und gewann als erste rechtsextreme Partei seit rund 40 Jahren in Spanien Parlamentssitze.

Kultur der Käuflichkeit

Francisco Correa verkörperte für zahlreiche Spanier fortan jene Kultur der Käuflichkeit, die das Land in den 1990er und 2000ern reich gemacht hatte, um es kurz darauf an den Rande des Zusammenbruchs zu bringen. Correa war ehrgeizig, rücksichtslos und protzig. Als Peñas ihn fast zwei Jahrzehnte zuvor kennenlernte, besaßen genau diese Eigenschaften eine gewisse Anziehungskraft. Correa war beeindruckend selbstbewusst und erfolgreich. „Sein Name stand für Business“, erklärt Peñas. „Er war der Mann, der die Strippen zog.“

Die beiden lernten sich 2001 kennen. Da war Peñas ein wenig bedeutender Politiker des konservativen Partido Popular (PP), 1989 von einem der ehemaligen Minister Francos gegründet und seither Heimat der rechten Wählerinnen und Wähler, saß im Stadtrat von Majadahonda, einer Pendlerstadt außerhalb von Madrid – und plante seine Hochzeit. Wenn er etwas für seine Karriere tun wolle, solle er Correa einladen, riet ihm der örtliche Bürgermeister Guillermo Ortega, dessen wichtigster Unterstützer eben Correa war. Er wurde zur Hochzeit eingeladen schenkte dem jungen Paar eine Woche Urlaub auf Mauritius. Sie hatten sich vorher noch nie getroffen.

In den folgenden Jahren hatten Peñas und Correa kaum etwas miteinander zu tun, aber das änderte sich 2005. Im Februar trat Ortega als Bürgermeister zurück, offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Medien berichteten von einem Zerwürfnis mit der PP-Führung wegen seines Vorgehens bei einem wichtigen Grundstücksdeal. Einige Monate später behaupteten Peñas und ein weiterer lokaler PP-Politiker öffentlich, eben dieser Deal sei auf Steuerhinterziehung angelegt gewesen. Der Fall wurde von Anti-Korruptions-Ermittlern untersucht, aber wegen fehlender Beweise später wieder fallengelassen.

Peñas und sein Kollege wurden aus der PP rausgeschmissen – ihrer Darstellung nach, um sie für ihren Versuch, Korruption anzuzeigen, abzustrafen; die PP lehnte es ab, sich zu den Gründen für Peñas’ damaligen Ausschluss oder irgendeinen anderen Aspekt der „Gürtel“-Affäre zu äußern.

Peñas war politisch plötzlich heimatlos. Und Correa befürchtete, ohne wichtige Verbündete wie Ex-Bürgermeister Ortega von lukrativen Geschäften in Majadahonda abgeschnitten zu sein. Als Correa anbot, eine neue, von Peñas angeführte Partei zu unterstützen, schien das die perfekte Lösung.

Correa verfügte durchaus noch über enge Verbindungen zu anderen Leuten aus dem PP und genoss Ansehen – Peñas ließ sich blenden und ahnte zunächst nichts davon, dass sein Förderer korrupt war. Ende 2005 aber hörte er Correa so offen über eine Bestechung sprechen, dass er es nicht mehr ignorieren konnte.

Er musste eine Entscheidung treffen. In jener Nacht konnte Peñas nicht schlafen. Er lag im Bett und grübelte: Wenn er zur Polizei ginge – wer würde ihm glauben? Correa kannte alle. Was das Anzeigen von Korruption anging, war er ein gebranntes Kind. Er brauchte Beweise.

Während er weiter mit Correa am Aufbau der Partei arbeitete, begann er Anfang 2006 Freunde und Kollegen heimlich aufzunehmen, indem er ein Diktiergerät in einem Ordner auf dem Tisch oder in seiner Jackentasche versteckte. „Ich hatte große Angst. Ich fürchtete ständig, dass der Rekorder anfangen würde etwas abzuspielen. Ich bin kein Geheimagent.“

Viele Stunden Tonmaterial musste Peñas löschen, weil die Aufnahmen unverständlich waren. „Was mich wirklich antrieb, war die Tatsache, dass der Partido Popular hinter all dem steckte“, sagt Peñas. „Correa war nur ein Einzelner, aber der PP deckte Dutzende wie ihn.“

Correa besaß nicht den typischen Hintergrund eines PP-Verbündeten, aber er hatte jahrelange Übung darin, sich bei Madrids konservativer Elite einzuschmeicheln. 1955 war er in Casablanca, wohin sein republikanischer Vater José nach dem spanischen Bürgerkrieg in den 1930ern geflohen war, geboren worden. Dort führte die Familie ein Leben der oberen Mittelschicht, bis kurz nach der Unabhängigkeit Marokkos politische Unruhen sie zwangen, das Land zu verlassen. Fast mittellos zurück in Madrid musste die Familie bei Null anfangen.

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Als Teenager begann Correa als Page in einem Hotel zu arbeiten. Ehrgeizig und fleißig, wie er war, arbeitete er sich nach oben. Noch vor seinem 30. Geburtstag hatte er Karriere in einem Reisebüro gemacht, gründete seine eigene Reise- und Veranstaltungsagentur und investierte in Immobilien. Correa wollte erreichen, wobei sein Vater seiner Ansicht nach versagt hatte, erzählte Correas erste Ehefrau Maria Antonia Puerto. „Ehrgeiz und Macht waren ihm schon immer wichtiger als alles andere.“

Mitte der 90er begann Correa Urlaubsreisen für führende Mitglieder des PP zu organisieren. Er etablierte sich als erfolgreicher Unternehmer und organisierte Wahlkampfveranstaltungen für die Partei – gerne Ausgefallenes, in Stierkampfarenen etwa, mit großem Feuerwerk.

Quelle       :       Der Freitag          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —          Plaza Mayor (square) in Madrid (Spain) at dusk.

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 2.) von Oben    —        A truck, driven by artist Clark Stoeckley, that purports to be the ‚WikiLeaks Top Secret Information Collection Unit‘ parked at the protest event Occupy Wall Street in New York on Sunday September 25.

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