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Die Populistenmacher

Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 20. September 2018

Über das Ende liberaler Gewissheiten

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von Serge Halimi und Pierre Rimbert

Der ehemalige Chefstratege von Donald Trump, Stephen Bannon, nimmt Europa ins Visier. Im Mai trat er in Budapest vor einem Publikum von ungarischen Intellektuellen und Prominenten auf: „Der Startschuss, der die Trump-Revo­lu­tion auslöste, fiel am 15. September um 9 Uhr morgens, als die In­vestmentbank Lehman Bro­thers in den Konkurs gezwungen ­wurde.“ Ihm ist natürlich bekannt, dass die Finanzkrise, die 2008 ihren Anfang nahm, in Ungarn besonders heftig war.

„Die Eliten haben ihre Schäfchen ins Trockene gebracht und die Risiken vollständig sozialisiert“, erklärte Bannon, früher selbst Investmentbanker bei Goldman Sachs. Es sei dieser „Sozialismus für die Reichen“ gewesen, der in vielen Teilen der Welt eine „echte populistische Revolte“ ausgelöst habe. Tatsächlich kehrte 2010 Viktor Orbán in Ungarn an die Macht zurück – für Bannon war er ein „Trump vor Trump“.

Zehn Jahre nach dem Tsunami auf den Finanzmärkten sind der weltweite Konjunktureinbruch und die Staatsschuldenkrise in Europa zwar nicht mehr auf den Bloomberg-Terminals erkennbar, aber seine Schockwellen haben zwei große Verwerfungen noch verschlimmert.

Da ist zum einen die nach dem Kalten Krieg entstandene liberale Weltwirtschaftsordnung, die sich auf die Nato, die westlichen Finanzinstitu­tio­nen und die volle Liberalisierung des Welthandels stützt. Zwar hat, anders als von Mao Tse-tung vorhergesagt, der Ostwind ­bislang nicht über den Westwind ­gesiegt, doch eine geopolitische Umstrukturierung ist durchaus schon im Gange.

Fast 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer weitet der chinesische Staatskapitalismus seinen Einfluss aus. Getragen vom Wohlstand einer aufsteigenden Mittelschicht, setzt die „sozialistische Marktwirtschaft“ Chinas ganz auf die fortschreitende Globalisierung der Märkte, worunter in den meisten westlichen Ländern die verarbeitende Industrie zu leiden hat – auch die US-amerikanische, die Präsident Donald Trump in seiner ersten offiziellen Rede vor dem „Massaker“ zu bewahren versprach.

Zum anderen haben die Erschütterungen des Jahres 2008 samt ihren Nachbeben auch die politische Ordnung durcheinander gewirbelt, in der die demokratische Marktwirtschaft als Vollendung der Geschichte gilt. Die aalglatte Technokratie, die von New York oder Brüssel aus im Namen des Expertenwissens und der Modernität unpopuläre Maßnahmen durchsetzte, hat den Weg für populistische und konservative Regierungen geebnet.

Trump, Orbán und Jarosław Ka­czyń­ski berufen sich genauso auf den Kapitalismus, wie Barack Obama, Angela Merkel oder Emmanuel Macron es tun. Aber es handelt sich um einen anderen, von einer illiberalen, nationalen und autoritären Kultur geprägten Kapitalismus, der eher das flache Land als die Metropolen repräsentiert.

Es geht also ein Riss durch die herrschenden Klassen. Und er wird von den Medien noch vertieft, was den politischen Handlungsspielraum der verfeindeten Lager weiter einschränkt.

Das Ziel der neuen Kapitalisten ist dasselbe wie bei den alten: die Reichen

noch reicher zu machen. Nur ihre Methode ist eine andere. Sie nutzen die Gefühle aus, die Liberalismus und Sozialdemokratie bei großen Teilen der Arbeiterklasse auslösen: Abscheu, vermischt mit Wut.

Die Reaktion der Politik auf die Krise von 2008 stand in dreifachem Widerspruch zu den seit dem Zerfall der Sowjetunion ständig wiederholten Moralpredigten der Mitte-rechts- und Mitte-links-Regierungen über gute Regierungsführung. Und dies ließ weder die Globalisierung, noch die Demokratie noch den Liberalismus ungeschoren.

Zunächst einmal ist die Internationalisierung der Wirtschaft nicht für alle Länder und nicht einmal für die Mehrheit der Arbeitnehmer im Westen gut. Mit Trump kam ein Mann ins ­Weiße Haus, der seit Langem fest davon überzeugt ist, dass die Globalisierung seinem Land nicht genutzt hat, sondern vielmehr seinen Niedergang und den Aufstieg seiner Konkurrenten beschleunigte. Für ihn steht „America First“ über dem „Win-win“-Argument der Freihandelsbefürworter.

Bei einem Auftritt in Ohio, einem Industriestaat, in dem er bei den Wahlen mehr als 8 Prozentpunkte vor Hillary Clinton lag, erinnerte Trump Anfang August an das riesige und weiter wachsende Handelsdefizit der USA: „817 Milliarden Dollar pro Jahr!“ Seine Erklärung dafür: „Ich mache den Chinesen keinen Vorwurf. Aber selbst sie können es kaum fassen, wie lange wir ihre Entwicklung auf unsere Kosten hingenommen haben. Tatsächlich haben wir China wiederaufgebaut. Es ist Zeit, unser Land wiederaufzubauen!“ Seit dem Beitritt Chinas zur Welthandels­organisation 2001 habe Ohio 200 000 Industriejobs verloren, klagte Trump weiter. „Die WTO ist eine totale Katastrophe! Seit Jahrzehnten erlauben unsere Politiker anderen Ländern, unsere Arbeitsplätze und unseren Reichtum zu stehlen und unsere Wirtschaft zu plündern.“

Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war der Protektionismus eine wichtige Grundlage des industriellen Aufschwungs, in den USA und in vielen anderen Nationen. Zölle dienten dem Staat lange als wichtigste Einnahmequelle, da es vor dem Ersten Weltkrieg in den USA keine Einkommensteuern gab. Dementsprechend lobte Trump William McKinley, republikanischer Präsident von 1897 bis 1901: „Er hat begriffen, wie wichtig Zölle sind, um die Stärke eines Landes zu bewahren.“ Das Weiße Haus nutzt dieses Instrument neuerdings bedenkenlos und unter Missachtung aller WTO-Regeln. Ob die Türkei, Russland, Iran, die EU, Kanada oder China – es vergeht kaum eine Woche ohne neue US-Handelssanktionen gegen befreundete genauso wie nicht befreundete Länder. Die Berufung auf die „nationale Sicherheit“ erlaubt es dem US-Präsidenten, den Kongress dabei zu umgehen, dessen Mitglieder – ebenso wie die Lobbyisten, die ihre Wahlkampagnen finanzieren – weiter auf den freien Handel setzen.

In den USA herrscht am ehesten in Bezug auf China Konsens, und zwar gegen das Land. Dabei spielen nicht nur handelspolitische Fragen eine Rolle, Peking wird auch als strategischer Haupt­rivale betrachtet. Nicht nur seine Wirtschaftskraft – achtmal so groß wie die Russlands –, sondern auch seine expansionistische Politik in Asien lösen Misstrauen aus. Zudem steht sein autoritäres politisches Modell in Konkurrenz zum US-amerikanischen.

Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama hält zwar weiter an seiner 1989 veröffentlichten Theorie über den unumkehrbaren und universellen Triumph des liberalen Kapitalismus fest. Aber auch er muss inzwischen einschränken: „China ist bei Weitem die größte Herausforderung für die Theorie vom ‚Ende der Geschichte‘, denn es hat sich wirtschaftlich modernisiert und ist dabei doch eine Diktatur geblieben … Wenn sich das Wachstum in den kommenden Jahren fortsetzt und das Land seinen Platz als größte Wirtschaftsmacht der Welt verteidigt, gebe ich zu, dass meine These endgültig widerlegt wurde.“

Matthias Laurenz Gräff, "Der europäische Altar (Wind of Change). Feuchte Träume. Perverse Schwärmerei.".jpg

Trump und seine innenpolitischen Gegner stimmen zumindest in einem Punkt überein, nämlich wenn der eine über die Kosten des freien Handels für die USA klagt und die anderen die chinesischen Erfolge als Bedrohung für die US-Wirtschaft wahrnehmen.

Von der Geo- zur Innenpolitik ist es nur ein kleiner Schritt. Die Globalisierung hat in den westlichen Ländern Arbeitsplätze vernichtet und die Löhne erodieren lassen. Deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist in den Vereinigten Staaten allein in den letzten zehn Jahren von 64 auf 58 Prozent gesunken – für jeden Arbeitnehmer im Schnitt ein jährlicher Verlust von 7500 Dollar (6600 Euro).2

Vor allem in den von der chinesischen Konkurrenz verwüsteten Industrieregionen haben sich die amerikanischen Arbeiter in den letzten Jahren nach rechts orientiert. Natürlich kann man diese Wählerwanderung auf eine Reihe von „kulturellen“ Faktoren zurückführen, wie Sexismus, Rassismus, Waffenbegeisterung, Ablehnung von Abtreibung und gleichgeschlechtlicher Ehe und dergleichen. Doch dabei verschließt man die Augen vor einer mindestens ebenso überzeugenden wirtschaftliche Erklärung: Zwischen 1992 und 2016 verringerte sich die Zahl der Wahlkreise, in denen mehr als ein Viertel der Arbeitsplätze von der verarbeitenden Industrie abhängen, von 862 auf 323.

Zugleich haben sich die politischen Mehrheiten in diesen Wahlkreisen verschoben. Vor einem Vierteljahrhundert gingen sie fast zu gleichen Teilen an die beiden großen Parteien (jeweils etwa 400). 2016 aber siegte Trump in 306 dieser Wahlkreise und Clinton nur in 17.3 Es war just ein demokratischer Präsident gewesen, nämlich Bill Clinton, der Chinas Beitritt zur WTO betrieben hatte in der Hoffnung, so die Transformation des Landes in eine liberale kapitalistische Gesellschaft zu beschleunigen. Das Ergebnis war jedoch, dass die amerikanischen Arbeiter nun endgültig die Nase voll hatten von Globalisierung, Liberalismus und der demokratischen Partei.

Noch kurz vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers erklärte der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan seelenruhig: „Glücklicherweise wurden dank der Globalisierung die politischen Entscheidungen in den USA weitgehend durch globale Marktkräfte ersetzt. Vielleicht mit Ausnahme der nationalen Sicherheit spielt es kaum noch eine Rolle, wer der nächste Präsident sein wird.“ Zehn Jahre später würde wohl niemand mehr eine solche Behauptung aufstellen.

In den mitteleuropäischen Ländern mit ihrem nach wie vor exportgetriebenen Wirtschaftswachstum dreht sich die Globalisierungskritik weniger um den Handel. Aber die neuen starken Männer aus dem rechtspopulistischen Lager kritisieren die EU für die Durchsetzung „westlicher Werte“, die sie für dekadent und schwächlich ­halten, weil durch sie Einwanderung, Homo­sexualität, Atheismus, Feminismus, Ökologie oder auch die Auflösung der Familie befördert werde.

Das Volk wählt, das Kapital entscheidet

Quelle     :        Le Monde Diplomatique           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben     —      Vladimir Putin met with Prime Minister of Hungary Viktor Orban to discuss current issues of the two countries‘ cooperation.

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