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Die Polizei in Weimar

Erstellt von Redaktion am Sonntag 31. Mai 2020

Wenn Fehler keine Folgen haben

File:Mercedes Benz W 212 Polizei Hamburg.jpg

Von Sarah Ulrich

Eine fadenscheinige Hausdurchsuchung, mutmaßlich übergriffige Beamt-Innen, ein rechter Kommissar, der Fotos  seiner Genitalien verschickt. Wie kann das sein? Warum tut keiner etwas dagegen ?

Als Thekla Graf am 14. September 2017 abends nach Hause kommt, brennt Licht im Flur. Vor der Dachgeschosswohnung in der Weimarer Innenstadt, in der sie mit ihrer Mutter lebt, warten zwei Polizeibeamt:innen. Sie haben einen Durchsuchungsbeschluss, auf dem steht: Verdacht auf Diebstahl und Hehlerei.

Gesucht wird Thekla Grafs Cousine, sie soll ein Wakeboard im Wert von 500 Euro, eine Art Surfbrett, geklaut und im Internet zum Verkauf angeboten haben.

Thekla Graf ist damals 18. Sie sagt, dass die Cousine nicht bei ihr wohne, und fordert die Polizist:innen auf zu gehen. Es kommen sechs weitere Beamt:innen der Bereitschaftspolizei dazu. Graf lässt die Polizist:innen in ihre Wohnung – und erlebt anderthalb qualvolle Stunden. So schildert sie es heute.

Graf sagt, sie habe sich ausziehen müssen und sei belästigt worden. Direkt im Anschluss hat Thekla Grafs Mutter Anzeige erstattet. Ermittelt wird wegen sexueller Nötigung, Diebstahl, Strafvereitelung im Amt und Verletzung des Dienstgeheimnisses. Verfahren gegen sechs Polizeibeamt:innen laufen seitdem, gegen zwei Beamt:innen wurden sie eingestellt.

Thekla Graf und ihre Mutter halten die Durchsuchung an sich schon für rechtswidrig.

Was ist an jenem Abend in der Wohnung in Weimar passiert? Um den Vorwürfen nachzugehen, hat die taz interne Ermittlungsakten ausgewertet, mit Betroffenen gesprochen und ein Polizeivideo des Abends gesichtet. Die Recherchen zeigen: Das Problem geht weit über den Fall Thekla Graf hinaus. Der Polizist Tino M., der gemeinsam mit einer Kollegin den Einsatz leitete, hat wiederholt gegen Vorschriften verstoßen. In den Akten wird auf gravierende Missstände in der Behörde hingewiesen: Interne Ermittler kommen zu dem Schluss, dass es ein „erhebliches Führungsproblem“ innerhalb der Polizei Weimar gibt.

Es ist nicht das erste Mal, dass gegen Beamte aus Weimar ermittelt wird: Die taz konnte Prozessakten von 2012 sichten, in denen ebenfalls Misshandlungsvorwürfe gegen Weimarer Polizisten erhoben werden. Das Verfahren damals: eingestellt. Auch der Polizeivertrauensstelle des Landes Thüringen ist die Dienststelle als Problemfall bekannt.

Sollte die Weimarer Polizei tatsächlich ein Führungsproblem haben, dann trifft das auch den heutigen Bürgermeister der Stadt, Ralf Kirsten. Er leitete die Polizei bis 2018. Beide Fälle gehören in seinen Verantwortungsbereich.

Die Durchsuchung

Im Februar, mehr als zwei Jahre nach der Durchsuchung, kommen Thekla Graf und ihre Mutter in ein Café, um vom September 2017 zu erzählen. Ihre ehemalige Wohnung ist nur wenige Minuten entfernt. Die Grafs heißen in Wirklichkeit anders, sie wollen mit ihrem Namen nicht in die Öffentlichkeit. Thekla Graf fängt an zu weinen, als sie auf die Hausdurchsuchung zu sprechen kommt. Sie schluckt die Tränen runter.

Das Video, das der taz vorliegt, zeigt die Durchsuchung. Sechs Beamt:innen der Bereitschaftspolizei in Uniform sowie zwei Beamt:innen in Zivil drängen sich am Abend in die kleine Wohnung. Thekla Graf ist aufgebracht, zählt die Beamt:innen. Sie steht im Badezimmer, will in den Flur. Für ein paar Sekunden versperrt ihr die Einsatzleiterin den Weg, bis sie sie schließlich durchlässt. Graf weint und schreit, wirkt panisch.

Sie geht in ihr Zimmer, man sieht Fotos von ihr an der Wand, Arm in Arm mit Freundinnen; auf dem Schreibtisch Schulsachen. Die Kamera schwenkt. Im Flur grinst Einsatzleiter Tino M. seinen Kollegen an. Zu Graf sagt er: „Wir sind auch ganz ordentlich.“ Es klingt höhnisch.

Stadtansicht Weimar mit Schloss und Herderkirche.jpg

Während die Kamera das Schlafzimmer der Mutter filmt, hört man Thekla Graf im Hintergrund rufen: „Können Sie bitte aufhören, mich anzufassen.“ Sehen kann man sie nicht. Thekla Graf sagt, sie sei von zwei Beamtinnen an Brüsten und Po angefasst worden, „nicht einfach durchsucht, sondern richtig angefasst“. Zwei männliche Beamte hätten zugeschaut. Sie habe geschrien und gefleht: „Bitte, bitte, hören Sie auf mich anzufassen, ich wurde vergewaltigt.“

Einige Jahre zuvor sei sie in ihrem damaligen Zuhause missbraucht worden. Auch deshalb sei die neue Wohnung ein wichtiger Schutzraum für sie gewesen, sagt sie heute.

Thekla Graf sagt, die beiden Beamtinnen hätten sie ins Bad gebracht. Sie habe sich ausziehen müssen. „Schuhe, Socken, Hose, dann auch T-Shirt.“ Und schließlich den BH. Eine Beamtin habe gesagt, sie könne den BH auch anlassen – wenn sie ihr sage, wo die gesuchte Frau sei, Grafs Cousine.

Die Videoaufnahme zeigt mit Unterbrechungen, wie jeder Winkel der ordentlichen Wohnung ruhig von den Beamt:innen durchsucht wird. Finden können sie nichts. Was das Video nicht beweist, sind Theklas Vorwürfe. Was man jedoch sehen kann: Im Verlauf des Videos wird das Badezimmer zweimal gefilmt – beim zweiten Mal liegt ein Berg Kleidung auf der Waschmaschine, der zuvor nicht da war.

Sandra Graf, Theklas Mutter, hat ordnerweise Dokumente zu dem Fall gesammelt. Als der junge Hund ihrer Tochter im Café freudig an ihr hochspringt, hält sie reflexartig die Tasche mit den Unterlagen in die Höhe. Erst kürzlich hat Thekla Graf den Hund angeschafft – als schützenden Begleiter.

In den Ordnern finden sich nicht nur Briefwechsel mit der Polizei, dem Bürgerbeauftragten und der Polizeivertrauensstelle, sondern auch psychiatrische Gutachten. Thekla Graf habe nach dem Vorfall apathisch gewirkt, sagt ihre Mutter. Sie brachte ihre Tochter in die Psychiatrie. Die Diagnose: eine „posttraumatische Belastungsstörung mit ausgeprägten dissoziativen Phasen nach Reaktivierung traumatischer Vorerfahrungen“. Sandra Graf sagt, ihre Tochter habe sich nach der Vergewaltigung wieder gut gefangen, nach der Hausdurchsuchung sei sie jedoch „nur noch traurig gewesen“.

Sandra Graf erzählt auch, die von der Polizei gesuchte Frau – Theklas Cousine – wohne nicht bei ihr, lediglich ihre Post gehe an ihre Adresse. Sie habe Probleme gehabt: Drogen, finanzielle Not, Kriminalität. Irgendwann sei sie obdachlos geworden. Die Familie habe sich dazu entschieden, sie nicht mehr finanziell zu stützen. „Hilfe zur Selbsthilfe nennen das die Beratungsstellen“, sagt Sandra Graf. Eine harte Maßnahme, die ihr auf lange Sicht guttun soll.

Mehrfach meldet sie der Polizei, dass die Verwandte nicht bei ihr wohnt. Telefonisch, schriftlich, zuletzt wenige Wochen vor der Hausdurchsuchung, nachdem die Einsatzleitenden schon einmal vor ihrer Haustür standen – ohne Durchsuchungsbeschluss. Sandra Graf zeigt Verbindungsnachweise von Telefonaten mit der Polizeiinspektion, die Notizen zu den Gesprächen.

Interne Akten, die der taz vorliegen, stützen ihre Aussage. Daraus geht hervor, dass am 30. Juni 2017 ein Vermerk im polizeilichen Informationssystem gemacht wurde. Auch auf dem in der Datenbank gespeicherten Personalausweis der gesuchten Frau steht: ohne festen Wohnsitz. Die Polizei Weimar müsste gewusst haben, dass sie nicht bei den Grafs wohnte.

Beamt:innen, die in der fraglichen Nacht im Einsatz waren, sagten hinterher aus, man habe bei der Einweisung die Information bekommen, dass auf Drogen geachtet werden solle. Den Durchsuchungsbeschluss hätten die Einsatzleitenden nicht gezeigt. Dass laut Beschluss lediglich Thekla Grafs Cousine und ein geklautes Wakeboard, nicht jedoch Drogen oder gar Thekla Graf selbst gesucht wurden, wussten die Bereitschaftpolizist:innen nicht.

Eine Beamtin sagte den Akten zufolge, sie sei „geschockt über die durch die Vernehmung gewonnenen Erkenntnisse“ und überzeugt davon, dass der Einsatz und die ergriffenen Maßnahmen rechtswidrig waren.

Der Einsatzleiter

Tino M. ist ein unauffälliger Mann. Groß, schlank, brauner Bart. Auf seinem Facebook-Profil zeigt er sich im Polohemd mit seiner Frau und den beiden Kindern und als glücklicher Betreiber eines mobilen Crêpes-Wagens. Und als Rechter und Rassist.

Er ist jemand, der offenkundig an dem rechtsextremen Motiv des Attentäters aus Hanau zweifelt und Hetze gegen Geflüchtete verbreitet. Der Fake News und Verschwörungstheorien teilt, Beiträge der AfD und der rechtsextremen Seite PI-News und sich mit „Rechts-Sein“ rühmt. Der ein Video teilt mit dem Titel: „DEUTSCHE WACHT AUF! WIR LEBEN BEREITS JETZT IN EINER DIKTATUR!“ und Beiträge, die vor einer „Asylflut im Schatten von Corona“ warnen.

Die internen Ermittlungen bringen ans Licht: Polizeikommissar Tino M., eigentlich mit Eigentumsdelikten betraut, hatte vor der Durchsuchung über Monate hinweg per WhatsApp Kontakt mit einer ebenfalls drogenabhängigen Freundin der gesuchten Cousine. Chatverläufe, die der taz vorliegen, belegen das. Im Austausch für Informationen aus dem Weimarer Drogenmilieu schickte Tino M. dem jungen Mädchen nicht nur polizeiinterne Details über Ermittlungen, sondern auch Fotos aus der Polizeidatenbank. Außerdem schickte er der damals 21-Jährigen nebst anzüglichen Äußerungen auch Fotos von seinen Genitalien.

„Meine kleine süße Hanna [Name geändert, Anmerkung der Redaktion]. Du sollst doch keine Drogen nehmen!!!“, schreibt M. „Ich gucke mal wegen fs.“ [Führerschein, Anmerkung der Redaktion], heißt es in den Chats. M. gibt preis, wann seine Kollegen im Einsatz sind, gibt Hanna Tipps, wie sie sich zu begangenen Straftaten verhalten soll. Er schickt Aktenzeichen, Fotos von Datenbanken. Als Hanna fragt, ob er ihr wegen eines Blitzerfotos helfen könne, schreibt M.: „Bei Drogen hätte ich was machen können (…) aber bei Verkehr ist es ein anderer Chef und der ist bescheuert.“

Wenige Tage nach der Hausdurchsuchung bei den Grafs schreibt M. an Hanna: „Die Eltern der Thekla haben sich aber bei der Staatsanwaltschaft und meinem Chef beschwert.“ Und er bekräftigt Thekla Grafs Aussage: „Das mit dem Ausziehen hat die Bepo [Bereitschaftspolizei, Anmerkung der Redaktion] gemacht im verschlossenen Bad.“

Aus Polizeikreisen heißt es, es habe bereits mehrfach Disziplinarverfahren gegen M. gegeben. In der Ausbildung soll er eine Notärztin als „geile Uschi“ bezeichnet haben. Trotz der Verfahren blieb der heute 43-Jährige im Amt.

M. selbst war zu den Vorwürfen nicht zu sprechen. Bei einem Kontaktversuch bei ihm zu Hause öffnet seine Frau die Tür und sagt, er sei „jetzt erst einmal eine Weile nicht da“. Die taz hinterlässt eine Telefonnummer. M. meldet sich nicht.

Wieso können Beamte wie Tino M. jahrelang bei der Weimarer Polizei tätig sein, ohne dass ihr Fehlverhalten Konsequenzen hat? Was sagt es über die Behörde aus, dass Missstände erst dann auffallen, wenn Bürger:innen wie Sandra Graf Anzeige erstatten?

Quelle           :         TAZ          >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben         —           Einsatzfahrzeug der Polizei Hamburg, Mercedes-Benz W 212

Source Own work
Author OlliFoolish

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2. ) von Oben      —  Blick vom Jakobskirchturm in südöstlicher Richtung zum Stadtschloss Weimar, rechts die Herderkirche.

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Unten       —         Eine Söldner – Einheit der Regierung im Anmarsch

 Bereitschaftspolizei officers during a demonstration

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