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Die Novizin – Anja Karliczek

Erstellt von Redaktion am Samstag 2. Februar 2019

Anja Karliczek als Überraschung im Kabinett Merkel

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Gut gezeigt: Das Ei darf nie klüger als die Henne sein.

Von Anna Lehmann

Anja Karliczek war die Überraschung im Kabinett Merkel. Eine Hotelfachfrau als Bundesbildungsministerin? WissenschaftlerInnen begegnen ihr mit Dünkel und Herablassung. Karliczek muss sich im Amt beweisen. Die Zeit wird allmählich knapp.

Da hat sich die Johannes-Grundschule in Emsdetten in Westfalen nun wochenlang auf den Besuch aus Berlin vorbereitet. Im Sachunterricht haben sie immer wieder über Demokratie gesprochen, das Schülerparlament ist zusammengekommen, der Chor hat das Lied „Schule ist mehr“ einstudiert und eine Choreografie mit bunten Tüchern.

54 Mädchen und Jungen, ausgewählt per Los, dürfen in der Aula des dreistöckigen Betonbaus im Kreis sitzen, sie dürfen dem Gast aus Berlin die vorbereiteten Fragen stellen: Über was kannst du alles bestimmen? Arbeitest du mit Angela Merkel zusammen? Wann kriegen wir schnelles Internet? Und dann, nach fast einer Stunde, fragt der kleine Junge mit den kurzen dunklen Haaren, der schon seit geraumer Zeit auf seinem Stuhl hin und her gerutscht ist: „Wie heißt du?“

„Ich heiße Anja Karliczek“, sagt Anja Karliczek. Und lacht. Sie ist es gewöhnt, dass Leute fragen, wer sie eigentlich ist. Hier in ihrem eigenen Wahlkreis im Tecklenburger Land passiert ihr das zwar selten, seit sie im März 2018 neu ins Amt kam, tauchte die Frage aber häufiger auf: Wer ist die neue Bundesbildungsministerin? Gestellt wird sie mal mit herablassender, mal mit indignierter Attitüde, selten so interessiert wie von dem Grundschüler in Emsdetten.

Eine gelernte Hotelfachfrau als Wissenschaftsministerin? Ts, ts, die Eminenzen schüttelten den Kopf. Ihre Vorgängerin war ja immerhin Professorin, wenn auch an einer – ts, ts – Fachhochschule.

Bei der Personalauswahl für ihre Kabinette war Angela Merkel immer wieder für eine Überraschung gut: Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin, Kristina Schröder als Familienministerin. Im vierten Kabinett präsentierte Merkel Anja Karliczek als ihren Joker. Ob die Kanzlerin hier das richtige Gespür bewies? Kann Karliczek Bildung und Forschung? Die Zweifel sind da – nicht nur in den Hochschulen und bei der Opposition.

Auch in der eigenen Partei fallen die Urteile nach zehn Monaten im Amt eher harsch aus: keine Idee, keine Vision, keine Ahnung.

Schon vor der Bundestagswahl 2017 stand fest, dass Bundesbildungsministerin Johanna Wanka in Rente geht. Klar war also, dass jemand Neues kommt. Die Koalitionsverhandlungen zogen sich, Wankas Renteneintritt verschob sich von Monat zu Monat. Lange spekulierte man, wer sie beerben könnte. Hubertus Heil von der SPD hegte Ambitionen. Viele wünschten sich Helge Braun, der Arzt aus Gießen war schon mal Staatsminister und kennt das Haus. Monika Grütters und Annette Widmann-Mauz waren ebenfalls im Gespräch – die eine ist nun Staatsministerin für Kultur, die andere für Integration.

Ende Februar 2018 war klar: Zum dritten Mal in Folge geht das Bildungsministerium an die CDU, Anja Karliczek wird die neue Chefin.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das sind 58.000 Quadratmeter Stahlbeton und Glas, das sind 1.200 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, von denen 70 Prozent am alten Dienstsitz in Bonn arbeiten, die anderen 30 am Hauptsitz in Berlin. Das sind 18 Milliarden Euro Budget im Jahr – der viertgrößte Etat eines Ministeriums.

Geld, das laut Koalitionsvertrag ausgegeben werden soll: für Schulen, die digital und ganztags unterrichten, für Hochschulen, die Studienplätze für Erstsemester sowie Forschungslabore für Nobelpreisträger in spe anbieten, für Forschung der Spitzenklasse. Deutschland soll führend auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz werden, Vorreiter bei der Gesundheitsforschung.

„Der Koalitionsvertrag ist gut“, sagt ein CDU-Bundestagsabgeordneter, der der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der Union angehört. „Nun müssten die Vorlagen auch in Tore verwandelt werden.“ Die Performance der zuständigen Ministerin, so formuliert er vorsichtig, könnte besser sein. Müsste, könnte – Karliczeks Wirken steht bisher im Konjunktiv.

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Um Tore zu schießen, braucht eine Bildungsministerin die Länder. Egal, ob es um Studienplätze oder digitale Schulen geht. 16 Verhandlungspartner, 16 Sach- und Machtinteressen. Bildung ist eben Ländersache. Aber: Ein großer Teil des Budgets fließt in die Forschung, hier sind die Länder finanziell auf den Bund angewiesen, hier kann eine Ministerin sich austoben.

Was muss eine Bundesbildungsministerin können, um mit den Ländern zu verhandeln?

Eine, die es wissen muss, ist Johanna Wanka. Karliczeks Vorgängerin ruft aus dem schönen Havelberg in Sachsen-Anhalt an. Wanka genießt den Ruhestand, sie kann dem Kammermusikorchester nebenan beim Proben zuhören, pflegt den Garten, kümmert sich um die Enkeltöchter. „Ich mache nur noch das, was mir Freude macht.“ Wanka will sich nicht zu ihrer Nachfolgerin äußern – nicht ihr Stil. Aber über das Amt selbst spricht sie. „Was Sie können müssen? Sie müssen Forderungen stellen können“, sagt Wanka. „Als Bundesbildungsministerin steht es oft 16 zu 1. Sechzehn MinisterInnen gegen eine. Bei allem Respekt vor den Länderinteressen – Sie müssen kämpfen.“

Vor Streit mit den Ländern schreckte Wanka während ihrer Amtszeit nicht zurück. Zusammen mit der damaligen Staatsministerin Cornelia Quennet-Thielen nahm sie die Länder im Gegenzug für zwei Milliarden vom Bund beim Qualitätspakt Lehre in die Pflicht und legte den Digitalpakt auf.

Tecklenburg, Anja Karliczeks Ortsverband im katholischen Münsterland, ist eine der wohlhabendsten Gemeinden Deutschlands, jeden Sommer kommen Zehntausende Touristen für Musicals in die Festspielstadt. Im Winter ist das Stadtzentrum verlassen, ein einsamer Spaziergänger murmelt: „Hier möchte ich nicht begraben sein“..Hier begann 2004 Karliczeks politische Karriere.

Hinter der Tür eines Einfamilienhauses ein dunkles Bellen: Egbert Friedrich, ein drahtiger Mittfünfziger mit Brille, schickt den Hund ins Nebenzimmer und bittet an den Küchentisch, auf dem eine Thermoskanne Kaffee bereit steht. Auf der Eckbank sitzt auch Willi Witt, kurze graue Haare, gemütliches Lächeln. Friedrich ist Fraktionsvorsitzender, Witt Schriftführer der hiesigen CDU. Für sie ist Anja Karliczek nur „die Anja“.

Egbert Friedrich und Anja Karliczek kamen 2004 beide neu in den Stadtrat. Er damals noch für die SPD, sie für die CDU. Ihre Kinder – beide haben drei – waren damals klein. Karliczek und Friedrich saßen sich alle ein bis zwei Monate im Sitzungssaal des Rathauses gegenüber. Zusammen warben sie um einen geeigneten Betreiber für die Ganztagsbetreuung an der Schule oder für ein neues Hotel im Stadtzentrum. Parteigrenzen zählen hier nicht viel. „In der Lokalpolitik haben Sie Sachthemen. Da wird gefragt, was gut für den Ort ist“, sagt Friedrich. Die Anja im Stadtrat erlebte er als sachorientiert und pragmatisch. „Sie eierte nicht herum und argumentierte nicht ideologisch. Sie hat eben das Herz am rechten Fleck.“

Später warb sie ihn, den SPDler, für die CDU. Im Nebenzimmer, wo nun der Hund hockt, saßen sie auf der Couch. Er vertrete doch im Grunde die gleichen Themen, sagte Karliczek zu Friedrich. Friedrich wechselte die Fraktion, 2015, als Karliczek schon im Bundestag war, wurde er ihr Nachfolger als Vorsitzender der CDU-Stadtratsfraktion „Sie hat mich geschickt eingefangen. Sich ihr anzuschließen und ihren Gedanken zu folgen ist nicht schwierig.“

Egbert Friedrich und Willi Witt gehören zum kleinen Kreis von Menschen, die nicht überrascht waren, als Karliczek zur Ministerin berufen wurde. „Aus der wird mal was, das war mir von Anfang an klar“, sagt Witt. Warum? „Weil sie gut ist.“ Er nickt, als wäre das doch klar. Witt kennt Karliczek, seit sie ein kleines Mädchen war, mit den Eltern spielte er im Tennisverein, als langjähriges CDU-Mitglied im Stadtverband begleitete er Karliczek auf ihrem Weg in die Politik. „Die Anja hört viel zu und fragt viel nach. Sie ist interessiert und hat eine schnelle Auffassungsgabe.“

2012 fragt die CDU-Stadtratsfraktion Karliczek, ob sie sich nicht für ein Bundestagsmandat bewerben wolle. Die Kandidatenkür der CDU beschreiben die Westfälischen Nachrichten als „Wahl-Krimi“. Drei Kandidaten bewerben sich auf das Direktmandat, der Saal im Hotel „Mutter Bahr“ ist überfüllt. Karliczek spricht als Zweite. Die Zeitung notiert: „Schutz der Familie, Mittelstandspolitik sind ihre Schwerpunkte. Ihre Rede ist schwächer, nicht frei von Phrasen. Aber: Karliczek strahlt Ehrgeiz aus, wirkt sympathisch, offen, kämpferisch, ‚brennt‘ für ihr Ziel.“

Karliczek gewinnt mit drei Stimmen Vorsprung. Bei der Bundestagswahl 2013 holt sie für die CDU das Mandat. Ab dann geht es für sie nur nach oben: Mitglied im einflussreichen Finanzausschuss, 2017 eine von vier Parlamentarischen Geschäftsführern der Unions-Fraktion, 2018 Bundesbildungsministerin.

„Netzwerke zu bilden, das war schon immer ihre größte Stärke“, sagt Witt. Diese Fähigkeit, so schildert er es, half ihr auch beim Kampf um das Direktmandat 2012, Karliczeks Eintrittskarte in die Bundespolitik.

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Tecklenburg besteht aus vier Stadtteilen: Tecklenburg, Brochterbeck, Ledde und Leeden. Um die Mehrheit der Delegierten für sich zu gewinnen, brauchte die Brochterbecker Kandidatin Karliczek, die als Außenseiterin galt, Stimmen aus den anderen Stadtteilen. „Da müssen Sie richtig hart arbeiten, um den Wahlkreis zu überzeugen“, sagt Witt. Karliczek zu unterschätzen, hält er für einen Fehler. „Nee, nee, die ist nicht nur nett.“

Ist die Frau mit dem unbeschwerten Lachen am Ende eine Angela Merkel aus dem Tecklenburger Land? Zuverlässig unterbewertet, doch bereit, im richtigen Moment die Konkurrenz beiseite zu schubsen?

Wenn Karliczek ihren Weg in die Machtzen­tren der Berliner Republik beschreibt, dann bekommt man den Eindruck, sie habe zunächst mehr die Pläne anderer abgearbeitet als ihre eigenen. Für den Bundestag kandidierte sie, weil sie gefragt wurde, Parlamentarische Geschäftsführerin wurde sie, weil man sie fragte und als Bundesbildungsministerin – „ja, auch da wurde ich gefragt.“ Sie lacht, herzlich und unprätentiös.

Quelle     :           TAZ         >>>>>            weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —       02.05.2018, Berlin: Andreas Gebhard führt Anja Karliczek, Deutsche Bundesministerin für Bildung und Forschung, über die re:publica. Die re:publica ist eine der weltweit wichtigsten Konferenzen zu den Themen der digitalen Gesellschaft und findet in diesem Jahr vom 02. bis 04. Mai in der STATION-Berlin statt. Foto: Gregor Fischer/re:publica

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