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Die Mafia und Stuttgart

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 24. Januar 2018

Das Böse in der Nachbarschaft

Von Sandro Mattioli

Der jüngste Polizeieinsatz gegen die Mafia war spektakulär und hat gezeigt, wie massiv sie hierzulande vertreten ist. Gerade in Baden-Württemberg. Dennoch hält sie kaum jemand für wirklich gefährlich. Warum eigentlich? Fünf Thesen unseres Experten.

1. Das Böse ist anderswo, aber nicht in unserer Nachbarschaft.

Sicher hätten sich die Sportler des TV Häslach in Walddorfhäslach im Jahr 2015 nicht träumen lassen, dass der neue Wirt des Vereinsheims ein Mafioso ist. Genauso verhält es sich bei einem anderen Gastronomen im Raum Stuttgart, der eine Zeit lang sogar einen Link zu einer Art Hymne der ‚Ndrangheta auf seiner Seite hatte. Auch Angela Merkel, die gewiss jeder Nähe zur Mafia unverdächtig ist, hat in Mitteldeutschland ein Lieblingsrestaurant, vor dem sie der Staatsschutz bereits gewarnt hat, dort doch besser nicht zu speisen.

Auch ich persönlich befinde mich in einer schwierigen Situation: Ich mag italienisches Essen sehr gerne. Zugleich lese ich in geheimen Ermittlungsunterlagen, dass der jetzt verhaftete Mario Lavorato „146 Restaurants hat“. Jener Mario also, der sich angeblich gut mit Günther Oettinger verstand. Gerne hätte ich eine Liste mit diesen Lokalen, die gibt es aber nicht. Auf der anderen Seite bin ich Vorsitzender des Vereins „Mafia? Nein, Danke!“ in Berlin, der vor zehn Jahren entstanden ist, und zwar aus einer Gruppe von knapp 50 italienischen Gastwirten, die sich von den italienischen Mafia-Organisationen distanzieren wollten. Wir leisten Aufklärungsarbeit, recherchieren, veröffentlichen einen monatlichen Newsletter, und Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig es ist, Mittel dafür zu bekommen – weil eben alle denken, die Mafia ist ein Problem, das sie nichts angeht.

Mit dem Hintergrundwissen, was ich habe, sehe ich allerdings viele Vorgänge und erfahre viele Details, die mich sorgenvoll stimmen. Leider kann man aus rechtlichen Gründen über vieles nicht sprechen und schreiben. Das deutsche Recht stellt nämlich unter Strafe, Menschen als Mafia-Verdächtige zu bezeichnen – das wäre eine Diffamierung. Zugleich ist es nach deutschem Recht irrelevant, ob jemand der Mafia angehört oder nicht. Dies bedeutet, dass eine Verdachtsberichterstattung über die Mafia de facto nicht möglich ist. Dabei sind es in anderen Feldern oft Verdachtsberichterstattungen, die Ermittlungen auslösen.

Sie sehen, die Katze beißt sich in den Schwanz: Wenn nicht berichtet wird, ist die Mafia tatsächlich anderswo. Wenigstens weiß man jetzt, dank der Staatsanwaltschaft in Catanzaro, dass sie auch in Walddorfhäslach, im Rems-Murr-Kreis, im Ortenaukreis und im Landkreis Reutlingen ist. Zusammen mit vorhergehenden Festnahmen und Ermittlungen (Hechingen, Ludwigsburg, Metzingen, Pforzheim, Singen, Baden-Baden, Rastatt, Rielasingen-Worblingen, Tübingen, Stuttgart, Konstanz, Waiblingen, Backnang …) können wir sagen, dass sie in Baden-Württemberg quasi flächendeckend vertreten ist.

2. Das Böse ist anders als wir, im Umkehrschluss: Wir müssen es doch irgendwie erkennen können.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit liest man nach jeder Festnahmewelle Berichte in den Lokalteilen der Zeitungen über die Mafia, und immer werden darin Nachbarn (Arbeitskollegen, Parteikollegen, Vereinsfreunde etc.) zitiert, die sagen, sie hätten sich nie vorstellen können, dass XY ein Mitglied der Mafia ist. Die Clans haben gelernt, dass absolute Unauffälligkeit am besten für sie und ihre Geschäfte ist. Sprich, für den Otto Normalverbraucher ist es quasi unmöglich, eine Mafia-Zugehörigkeit zu erkennen. Ich selbst habe ehemals hochrangige Mafiosi kennengelernt, die Kronzeugen geworden sind. Es waren zuvorkommende, nette, angenehme Menschen. Zum Teil wussten nicht einmal ihre engsten Verwandten, mit wem sie es zu tun haben.

Anders verhält es sich bei Personen, die für Mafiosi wichtig sind – seien es Unternehmer, die ihnen bei ihren Geschäften behilflich sein können, Menschen aus der Politik, zu denen der Kontakt von den Clans immer gesucht wird, oder auch Abnehmer von Kokain. Diese Leute haben durchaus die Möglichkeit zu durchschauen, mit wem sie es zu tun haben. Das Problem ist: Ist es den Mafiosi erstmal gelungen, eine „Freundschaft“ aufzubauen, interessiert die Betroffenen der Hintergrund ihres „Italieners“ nicht mehr. Und manche lassen sich auch gerne zu einer Reise nach Italien einladen.

3. Wir kennen das Böse aus Filmen, und es ist ganz anders als unsere Umwelt.

Die Mafia profitiert wesentlich davon, dass wir quasi festzementierte Vorstellungen von ihr haben. Die Paten-Filmreihe ist zwar schon lange her, aber sie wirkt immer noch nach: Männer im schwarzen Anzug, die Sonnenbrille, Pistole, feste Rangordnung, strenge Riten … Diese Sicht war damals schon undifferenziert, denn sie ließ die anderen Mafia-Organisationen (Camorra, ‚Ndrangheta, Sacra Corona Unita) außen vor und rückte die sizilianische Cosa Nostra in den Mittelpunkt. Vor allem aber hat sich die heutige Mafia davon schon lange gelöst. Zum Teil setzt sie auf Projektteams, die einen Plan umsetzen und sich dann wieder auflösen. Es gibt zudem Topmafiosi, die die Rituale der Clans wie die Taufe und Versammlungen für Kokolores halten. Die Clans befinden sich in einem steten Wandel, das macht sie so stark.

Quelle      :     KONTEXT- Wochenzeitung         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen  :

Oben   —    Nachbildung des Gemäldes auf Fliesen als Wandbild in Originalgröße in der Stadt Gernika

Guernica
Pablo Picasso, 1937
Öl auf Leinwand
349 × 777 cm
Museo Reina Sofía