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Die GroKo-Berlinale

Erstellt von Redaktion am Dienstag 21. Februar 2017

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Das Private im Weg des Gesellschaftlichen

Autor Uli Gellermann

Die Berlinale gilt landauf landab als politisches Festival. Und zuweilen lösen ihre Filme auch diesen Ruf ein. Vor allem aber klangen die Eröffnungs-Reden der Kulturstaatsministerin Monika Grütters immer so, als wäre die Politik auf dem Filmfest echt zuhause. Als vor Jahren der iranische Filmemacher Jafar Panahi vom Regime gehindert wurde an der Wettbewerbsjury teilzunehmen, organisierte das Festival eine Welle der Solidarität. Zwar gaben sich die öffentlichen Trump-Verächter auf der Bühne der Berlinale in diesem Jahr die Klinken offener Türen in die Hand, aber zur Diktatur in der Türkei kein Wort. Obwohl die bedrängte türkische Filmemacherin Damla Yıldırım in Deutschland um Asyl nachsuchen musste, ihr Team wurde verhaftet, und die Schriftstellerin Aslı Erdoğan vom gleichnamigen Diktator mit lebenslanger Haft bedroht wird. Politisch? Ja, aber nur wenn es längs der Politik der Großen Koalition möglich ist.

Doch den Finnen sei Dank, es gibt immer noch Aki Kausrismäki, und der schenkte dem Festival den Film „Die andere Seite der Hoffnung“, eine Arbeit über Solidarität und das Lachen des Lakonischen. Niemand macht knappere Scherze als Kaurismäki, kaum jemand führt die Kamera überraschender als er, keiner kann von der Zärtlichkeit des Miteinander rauer erzählen als der große Filmemacher aus Finnland. Während der Pressekonferenz wurde der Regisseur gefragt, was er denn von der Islamisierung Europas hielte und er verstand glücklich miss: „Island war ganz gut in Fußball, aber darum müssen wir doch nicht die Islandisierung Europas fürchten.“ Kausrismäkis großartigen Film über einen syrischen Flüchtling und einen finnischen Gastwirt muss man sehen: Sonst glaubt man ihn nicht.

Wie in Deutschland gesellschaftliche Analyse à la mode gefertigt wird, demonstrierte Thomas Arslan mit seinem Film „Helle Nächte“: Vater und Sohn verstehen sich nicht, hoppla, privat – versteht sich. Die Gesellschaft mit ihrer Arbeitslosigkeit, ihren Auslandseinsätzen und ihren amtlich produzierten Fake-News blieb schön außen vor. Ein ästhetischer und gesellschaftlicher Höhepunkt war offenkundig ein minutenlanger Kamerablick aus einem fahrenden Auto auf eine Landschaft im Nebel. Welch eine radikale Aussage: Deutschlands Zukunft im Nebel! Arslans Vater und Sohn haben noch nie von Iwan Turgenjew gehört, der schrieb einstens „Väter und Söhne“ als Absage an die Leibeigenschaft. Und wenn sie doch vom großen russischen Schriftsteller gehört haben sollten, dann halten sie ihn sicher für einen Putin-Versteher.

Der Österreicher als solcher ist schon lustig weil er ist wie er ist. Wenn er dann noch von Josef Hader inszeniert und gespielt wird und sein Film „Wilde Maus“ heißt, dann ist der Gipfel allen Humors erreicht. Endgültig. Zugegeben, wenn Hader nackt im Schnee sitzt und ohne Erfolg versucht sich umzubringen, dann hat das was. Aber als heitere Folie für eine Arbeitslosigkeit auf hohem Einkommens-Niveau ist das alles dann doch zu witzig.

Lachen und Weinen macht der polnische Film „Pokot (Fährte)“ von Agnieszka Holland, die einen ziemlich gnadenlosen Blick auf das aktuelle Polen wirft: Korrupt, katholisch und chaotisch. So konsequent und fröhlich wurde schon lange nicht mehr gemordet, und unerbittlicher hat sicher noch niemand die polnische Staatskirche in eine Jagdgesellschaft umgewandelt. Wenn das Happy End des Films in einer fröhlichen ménage à trois mündet, dann wird der König von Polen, Jarosław Kaczyński, das eher für ein unglückliches Ende halten. Dem gewöhnlichen Kino-Gucker ist es eher eine happy punchline.

Als wäre Repression ein Beschleuniger von Kreativität, steuert Ungarn, neben der vorzüglichen historischen Beobachtung über das Jahr 1945, einen weiteren Film über die Haltung in feindlicher Umwelt bei: „On Body and Soul“ von Ildikó Enyedi, in einem Schlachthof gedreht, ist verrätselt, manchmal mystisch und lässt doch das Eigentümliche als Teil und Bedingung für das Gewöhnliche erblicken.

Kein Film, ein Kammerspiel ist der britische Berlinale-Beitrag „The Party“ der Regisseurin Sally Potter. Aber ein böses, ein brillant-witziges Kammerspiel. Erzählt wird die Wahrheit über den Politik-Betrieb der westlichen Wertegemeinschaft. Erzählt wird auch, wie die Eliten neben der Karriere eher den Kampf für die freie In-vitro-Schwangerschaft freier Lesben betreiben, als dass sie sich sonderlich um die ungebildeten, arbeitslosen Opfer der westlichen Freiheit scheren würden. Und wer die Erholung des Bruno Ganz vom untergegangen Schnarren des Führers erleben will, der wird ihn in „The Party“ als verblödeten Esoteriker genießen dürfen bis das Zwerchfell erbebt.

Es gab am Rand des Festivals einen türkischen Film, der vom Festival-Apparat gern als Antwort auf die Erdogan-Diktatur ausgegeben wurde: „Kaygi (Inflame) von Ceylan Özgün Özçelik, schon vor fünf Jahren begonnen, soll in diesen Tage angeblich eine heimliche Anti-Erdogan-Fantasie entflammen, die der Film weder beabsichtigt noch bebildert. Zwar wird die Protagonistin, die bei einem türkischen Nachrichtensender arbeitet, gemobbt, aber alles bleibt im Rahmen des schicklich-privaten: Kein Staat, keine Diktatur nirgends.

Gegen Ende fiel dem Berlinale-Direktor dann doch ein, dass in der Türkei ein (1) Mensch inhaftiert sei: Dem WELT-Korrespondeten Deniz Yücel widmete er den müden Gruß „Wir hoffen, das Du bald wieder freigelassen wirst“. Der Name Erdogan kam nicht vor, auch nicht das Wort Diktatur. – Ein Gespenst geht um – zitierte Dieter Kosslick in seiner Vorrede zur Berlinale kokett das kommunistische Manifest. Es ist das Gespenst des puren Privaten, das dem Gesellschaftlichen den Weg versperrt. Aber das meinte Kosslik nicht. Zu konsequent bleibt die Berlinale den großen Themen fern, selbst wenn einzelne Filmemacher mutig gegensteuern. Vom politischen Rahmen der Berlinale werden sie keineswegs ermuntert.

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Fotoquelle: Autor : The Berlinale Palast during the Berlin Film Festival in 2007

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Author Maharepa

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