Die Gier greift um sich
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 29. August 2018
Die Spielverderber des Fußballs
Autoren : Marcus Lehmann, Frank Lußem, Jörn Petersen
Spektakel. Inszenierung. Gier. Vor genau einem Jahr zeigte der kicker auf, wie der Sport immer mehr von Spiel-Verderbern dominiert wird. Hat sich seitdem etwas verändert? Oder nehmen die Auswüchse noch weiter zu?
Die Bundesliga startet am Freitag in ihre 56. Saison. Ihre Attraktivität soll die dunklen Schatten, die die WM in Russland auf den deutschen Fußball warf, absorbieren. Nicht mehr im Gespräch, dafür umso mehr im Gerede – so präsentierten sich in den letzten Monaten seine Hauptdarsteller: ein in die Ecke gedrängter und schlecht beratener Präsident; ein abgetauchter Bundestrainer; Spieler, die wochenlang schweigen, weil sie nicht in der Lage waren und sind, den Erfolg gefährdende Probleme gemeinsam zu diskutieren oder aus der Welt zu schaffen.
Es wird also Zeit für die Liga. Sollte man meinen. Doch sind die Profis besser als die Amateure, wie Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge das Verhältnis DFL/DFB grob umriss? Zu Beginn der vergangenen Saison zeichneten wir ein Stimmungsbild des Fußballs. Der Wunsch: Der Ball soll im Mittelpunkt stehen! Nicht nervige Hochglanz-Inszenierungen, plumpes Spektakel, grenzenlose Gier. Hat sich seitdem etwas getan? Das DFB-Pokal-Finale kam immerhin ohne Helene Fischer aus und wartete sportlich mit einer Sensation auf… Aber sonst?
Ein praller Worthülsen-Vorrat
Wachsende Kommunikations– und Social-Media-Abteilungen steuern den Output der Profis immer mehr ins Belanglose. Spieler, die auf dem Platz vorangehen und den Mund aufmachen sollen, verlieren sich nach dem Spiel in Allgemeinsätzen und später via Social Media in ihren Selfies. Der Vorrat an Worthülsen („Demut“, „Respekt“, „Herausforderung“) ist prall gefüllt. Viele Fans nehmen das längst nicht mehr ernst, sondern nur noch hin. Immerhin: Augsburgs Martin Hinteregger verabscheut den verbalen Slalom, legt den Sicherheitsgurt ab. „Als Fußballer kannst du nicht du selbst sein“, so der Österreicher. Er wirkt mit seinen Ecken und Kanten fast wie ein Fremdkörper in dieser so grell wie falsch ausgeleuchteten Glitzerwelt des Fußballs. „Du darfst nicht das sagen, was du denkst, sondern das, was du sagen musst.“ Explodierende Summen, wachsender Kommerz und ein medialer Hype hätten den Sport, seinen Sport, verändert.
Welche Blüten das treibt? Siehe nach beim SV Werder. Neuzugang Felix Olof Allan Nelson Beijmo verdankt seinen vierten Vornamen der Tatsache, dass seine Eltern Südafrikas Freiheitskämpfer Nelson Mandela bewundern. Und diesen Blödsinn veröffentlichen die Bremer auf ihrer Homepage dazu: Mandela habe bewiesen, dass „Mut, Ehrgeiz und der unbedingte Wille dafür sorgen, dass hohe Ziele auch erreicht werden. Das gilt für Nelson Mandela und das gilt für Felix Beijmo, im großen Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit wie im Kampf um den Stammplatz bei Werder“. Aua!
Mehr Geld! Mehr Show! Mehr Mehr!
Immer mehr, immer mehr, immer mehr: Mehr Geld! Mehr Show! Mehr Mehr! Das kann irgendwann zu weniger führen. Die starke mediale Präsenz von König Fußball suggeriert, dass er von immer größer werdenden Teilen der Bevölkerung mit wachsendem Interesse verfolgt wird. Dabei stößt er laut der Zeitung Horizont bei den Deutschen auf weniger Interesse. 42 Prozent der Bundesbürger interessieren sich gar nicht dafür, weitere 34 Prozent nur wenig. Stark interessiert sind 14, sehr stark 10 Prozent.
Als sich zuletzt die frischen Gesichter der Leichtathletik und die verbrauchten Figuren des Spitzenfußballs treffen, fällt die Abstimmung mit dem Daumen auf der Fernbedienung nur noch ungewohnt knapp aus. Räumt der Volkssport Nummer eins normalerweise gegen jede Sportart zahlenmäßig ab, ist dies am 12. August anders. Etwa 5,5 Millionen Menschen schauen im ZDF den Supercup zwischen Eintracht Frankfurt und dem FC Bayern, circa 5,2 Millionen lassen sich in der ARD von den Leichtathleten fesseln. Sie sehen eine Jubeltraube, nachdem der 18-jährige schwedische Stabhochspringer Duplantis die 6,05 Meter überquert hat. Umarmt wird er von der Konkurrenz aus Frankreich, Polen und Russland.
ICC: Schnell mal ein paar Hundert Euro los
Wer kurz auf Fußball umschaltet, bekommt eine Tätlichkeit von Abraham an Lewandowski präsentiert, eine Rudelbildung inklusive Backpfeifen und einen überforderten Schiedsrichter. Zufall, klar, aber ausgerechnet im wohl schönsten Moment der Leichtathletik zeigt der Spitzenfußball seine hässliche Fratze. PS: An den drei letzten Abenden der Leichtathletik-EM kommen insgesamt 150.000 Menschen ins Olympiastadion. Hertha BSC verschenkt diese Saison Tickets an Fans unter 14 Jahren. Nette Geste. Um das Stadion zu füllen, Stimmung zu generieren, potenzielle Kunden zu binden. Aber wie sagt der Volksmund? „Wat nix kost‘, dat is‘ auch nix.“
Aber das muss ja nicht stimmen. Denn dann wäre beispielsweise der Luxus-Intertoto-Cup „ICC“ was ganz Großes. Die weltweit reichsten Klubs (respektive jene, die am meisten Geld ausgeben) treffen sich auch in diesem Sommer im Rahmen des „International Champions Cups“ zu einer Reihe unbedeutender Testspiele in 22 Stadien von Singapur bis Klagenfurt. Dort, am wunderschönen Wörthersee, wollen viele Papa-Bayern-Fans mit ihren Junior-Bayern-Fans den Rekordmeister im Test gegen PSG sehen. Können sie auch. Zu Ticketpreisen zwischen 57 und 87 Euro. Da ist die vierköpfige Familie schnell mal ein paar Hundert Euro los. Volkssport? Vorbereitung? Test? Frust!
Quelle : Kicker >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Twitter : Marco Latzer
Brasilien ist zwar raus, aber wenigstens der #Neymar fährt als Wälzmeister nach Hause… #WM2018 #BRABEL
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Unten — Mesut Özil and Lukas Podolski celebrating after winning Argentina