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RENTENANGST

Die gebrannten Kinder

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 6. Dezember 2017

Hab ich das vielleicht verdient? Ich bin ein Kind der Schande

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Aus Oslo Christina Schmidt

Sie wurden zu den Schweinen gesperrt und in Irrenhäusern gehalten: Kinder norwegischer Mütter und deutscher Soldaten. Eine Entschuldigung haben sie nie erhalten. Jetzt sterben die letzten von ihnen.

In den Unterlagen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zählt Gerd Synnøve Andersen zu Gruppe eins, so wie sechs andere. Es gibt auch noch eine Gruppe zwei und drei, sie betrifft Menschen, die nicht ganz so furchtbar drangsaliert worden sind wie die Einser. Die hat man als Kinder zu Schweinen in den Stall gesperrt. Sie wurden von Lehrern, Nachbarn und Psychologen Abschaum genannt. Sie sind geschlagen und zum Beispiel mit einem Bügeleisen verbrannt worden. Manche von ihnen wuchsen in Irrenanstalten auf, und das nicht etwa, weil sie eine Behandlung benötigt hätten.

Gerd Synnøve Andersen und die anderen in der Gerichtsakte Genannten ist gemein, dass ihre Mütter Norwegerinnen waren, die Väter aber Deutsche. Und Besatzer. Sie sind Kinder des Zweiten Weltkrieges.

Das Mädchen Gerd, über das in den Akten steht, dass sie wieder und wieder mit brühend heißem Wasser übergossen wurde, um sie reinzuwaschen, ist heute eine alte Frau. Ihre Haare hat sie zu grauen Stoppeln rasiert, ungenau, seit Jahren schon, als hätte sie sich dafür entschieden, das Frausein sein zu lassen. Glitzernde Pailletten auf dem gelben Oberteil. Graue Jogginghose. Als sich Andersen in den weißen Kastenwagen hievt, küsst Bjørn Lengfelder sie auf die Stirn. Er tritt aufs Gaspedal, entfernt sich von den grauen Blocks in Sarpsborg an der Peripherie des Osloer Vorstadtsaumes. Heute soll Gerd einen schönen Tag haben.

Andersen und Lengfelder wirken wie Freunde, sind es aber nicht. Er ist 76 Jahre alt und sie 73. Manchmal bringt er sie zum Lachen. Sie klingt dann, als hätte sie einen dreckigen Witz gehört. Andersen und Lengfelder kennen sich überhaupt nur wegen ihrer Väter und weil sie in einem Land aufgewachsen sind, dass Kinder wie sie verachtete. Sie sind Teil des nationalisozialistischen Lebensborn-Programms, einem Verein der Nazis. Heinrich Himmlers Projekt, um die arischen Rasse zu verbreiten. Zwischen 8.000 und 10.000 Lebensbornkinder sollen insgesamt in Norwegen geboren worden sein.

Einige hundert von ihnen haben sich vor langer Zeit in einem Verein zusammengeschlossen. Weil sie eine Entschuldigung erwarten, von denjenigen, die sie als Kinder eingeschlossen, geschlagen, missbraucht haben: Lehrern, Ärzten, Eltern, Nachbarn. Und vom norwegischen Staat. Doch der ließ sich Zeit, als wartete man ab, dass sich das Problem von alleine erledigt.

Wird es ja auch bald. Die Kinder der Deutschen werden alt. Und deshalb immer weniger.

In Deutschland hieß Lebensborn: Ledige Frauen, die Kinder von SS-Männern erwarteten, wurden anonyme Geburten angeboten, ihre Kinder in Adoptionsfamilien vermittelt Kinder aus eroberten Gebieten wurden verschleppt. In Norwegen gingen die Nazis weniger strategisch vor. Einer der ersten Fälle wurde im Sommer 1940 bekannt – eine Norwegerin, schwanger von einem Soldaten. Die Wehrmacht musste sich damit befassen, um eventuelle Vaterschaftsklagen abzuwenden. Da erkannten die Deutschen die Gelegenheit: „Rassereine“ nordische Frauen und ihre Kinder sollten in das deutsche Volk integriert werden. Also begannen die Deutschen in Norwegen Geburtsheime einzurichten und Unterhalt zu zahlten, wenn die Väter an der Front waren.

Die Besatzung Norwegens dauert vom Frühjahr 1940 bis zum Zusammenbruch des Nazi- Reichs fünf Jahre später an. Hunderttausende Wehrmachtsoldaten waren in diesem Zeitraum im besetzten Norwegen stationiert, um die See- und Landgrenzen gegen die Kriegsgegner abzusichern. An manchen Orten lebten die Deutschen so lange, dass sie in Privathäusern einquartiert wurden und ein ziviles Leben genossen.

Nach dem Krieg versuchten die Norweger, die Zeit der Besatzung aufzuarbeiten, diejenigen zu finden, die ihr Land verraten hatten. In offiziellen Strafgerichtsprozessen – und auf der Straße. Frauen berichteten von Übergriffen, bei denen ihnen Männer die Haare schoren, ausrissen. Sie verloren ihre Arbeit. Vor allem in den ersten Wochen nach Kriegsende wurden sie verhaftet und interniert, weil sie sich mit deutschen Männern eingelassen hatten.

Die Kinder der Deutschen galten als defekt, erblich belastet und gestört

Bundesarchiv Bild 101I-091-0175-30, Norwegen, Soldat mit Kindern.jpg

Der Staat bemühte sich zu klären, wer für die Kinder der deutschen Soldaten zuständig ist: Norwegen oder der Trümmerhaufen des Deutschen Reichs? Eine eigens eingerichtete Kommission kam zu dem Schluss: Norwegen. Trotzdem verloren manche Kinder die norwegische Staatsbürgerschaft, zeitweise wurde erwogen, sie nach Deutschland abzuschieben, dann verhandelt, sie allesamt nach Australien zu verschiffen. Die Kinder der Deutschen galten als defekt, erblich belastet und gestört, das sagten Ärzte, Psychologen, Journalisten öffentlich – und genauso.

Bjørn Lengfelder und Gerd Andersen sind in der Altstadt Fredriksstads angekommen. Es ist ein Sonnabend, Händler haben Stände mit Trödel vor den Häusern aufgebaut, die aussehen wie Kulissen eines Heimatfilms. Gerd Andersen läuft wie zusammengesackt und so langsam, als müsste sie es sich abringen, überhaupt vorwärts zu gehen. Nur einmal bleibt sie vor einer Puppe stehen. Ein altmodisches Modell in einem Rüschenkleid. Ob sie ihr gefällt? „Hm“, brummt sie fragend und antwortend zugleich und geht dann weiter. Lengfelder begrüßt Passanten, umarmt Bekannte. Den kennt er aus dem Eisenbahnmuseum, sagt er, den anderen von Konzertabenden, die sie gemeinsam veranstalten. Und dann sind da auch noch seine Buchprojekte, die Malerei, der Spielfilm und der syrische Vermieter, deren Familie er bei Behördengängen hilft. Bjørn Lengfelder hat in seinem Leben an 33 Orten gelebt.

Gerd Andersen sagt über ihr Leben: Womit habe ich das verdient? Hab ich das vielleicht verdient? Ich bin ein Kind der Schande.

Bjørn Lengfelder sagt: Ich bin ein Kind der Liebe.

Ein Foto, darauf ein junger Mann, blondes gescheiteltes Haar und kurze Uniformhosen, aufgenommen wahrscheinlich 1945 in Italien. „In Erinnerung an deinen Freddi“ steht darunter geschrieben. Bjørn Lengfelders Vater hatte es nach Norwegen geschickt, an die Familie seiner Liebe – Lengfelders Mutter. Er hat ihr einen Verlobungsring geschenkt. Sie hat ihm versprochen, nach dem Krieg nach Deutschland zu kommen.

Dann kommt Bjørn Lengfelder zur Welt. Seine Mutter heiratet einen anderen Mann, einen Norweger, der das Kind des Deutschen nicht um sich haben will. Eines Tages liest die Mutter eine Anzeige in der Zeitung: Junge gesucht, schreibt da ein Bauernpaar. Der kleine Bjørn ist da drei Jahre alt und wird aufs Land geschickt. Er hat Glück, sie sind gut zu ihm, sie wollen ihn sogar adoptieren, aber seine Mutter lehnt ab. Später muss er zu einer anderen Familie ziehen, dann in ein Heim, zurück aufs Land, manchmal lebt er bei seiner Mutter. Bjørn Lengfelder hat eine Nachricht von ihr aufbewahrt, handgeschrieben auf einem Notizzettel, aus den 1970er-Jahren: „Sage nicht, wer dein Vater ist.“

Quelle    :     TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle   :

Oben    —-    Die Leiterin in der Reichsfrauenführung Hauptabteilung Reichsmütterdienst, Frau Lienhardt, visits the first Lebensborn mother and birthcare home in Norway; Hurdal Verk in September 1941 just a few weeks after its opening. This was the first Lebensborn home established outside Germany. The National Archives of Norway, Abteilung Lebensborn, box 108, Photographs from a Lebensborn home, Hurdal Verk. Image from Flickr album „Krigsbarn (Lebensborn)“ by Riksarkivet (National Archives of Norway). Photos from Lebensborn birth houses in Nazi German occupied Norway during World War II.

 

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