Die FDP in Thüringen
Erstellt von Redaktion am Samstag 8. Februar 2020
Was für ein Theater
Aus Ilmenau Viktor Morasch
Thomas Kemmerichs Wahl zum Ministerpräsident von Thüringen ist umstritten. Was sagt die FDP-Basis dazu? Zu Besuch bei der Ortsgruppe in Ilmenau.
Es ist Donnerstag, 19 Uhr, vor wenigen Stunden hat der frisch gewählte FDP-Ministerpräsident Thüringens, Thomas Kemmerich, seinen Rücktritt angekündigt. Er war vor allem dank vieler Stimmen von der AfD ins Amt gekommen, was bundesweit für Proteste sorgte. In Ilmenau, in der Bar Aqui, trifft sich der örtliche FDP-Stammtisch. Das Aqui liegt an einem ruhigen Platz im Zentrum.
Vor der Bar steht ein Polizeiwagen, die FDP muss beschützt werden, und das, obwohl sie in Ilmenau eine eher marginale Rolle spielt: Es gibt 10 Mitglieder im Ortsverband und etwa 40 im Kreisverband. Drinnen sitzen mehrere Mitglieder an einem länglichen Tisch, auf dem Biere und kleine FDP-Aufsteller aus Pappe stehen. Um den Tisch drängen sich zwei Kamerateams, eines von RTL und eines vom MDR. Sie leuchten die Szene hell aus.
In den Hauptrollen:
Regina Fischer, 74, war früher Lehrerin und ist seit Jahrzehnten in der FDP. Sie sieht elegant aus, trägt Perlohrringe und einen Dutt im Nacken.
Martin Mölders, 62, ist FDP-Kreisvorsitzender und Vorstand der Lebenshilfe in Ilmenau. Er sieht sportlich aus, trägt ein dunkelbaues Sakko und findet, dass man mit 70 Prozent der örtlichen AfD ganz normal reden kann. Unerträglich finde er manchmal die Grünen, von denen kämen „ideologische Spitzen“.
Martin Hofmann, 31, promoviert an der TU Ilmenau im Fachgebiet Softwareentwicklung und ist Schatzmeister der örtlichen Jungen Liberalen.
Eine Interessentin
In den Nebenrollen: ein RTL-Reporter, etwa zehn weitere FDPler und FDPlerinnen, ein Polizist, eine taz-Reporterin.
FDPler: Und, wurdet ihr schon angepöbelt?
Regina Fischer: Man kann ja kein Radio mehr hören. Und die ganze Zeit kriege ich Nachrichten, von Gratulationen bis Fragen wie: Bist du noch in der FDP?
Während die Fernsehteams Einzelne interviewen, zeigen sich die anderen die aktuellsten FDP-Memes auf dem Handy und lesen sich Nachrichten vor.
RTL-Reporter an einen FDPler: Wie haben Sie den Tag erlebt?
FDPler: Ich war auf der Arbeit, so habe ich den Tag erlebt. Und, ja, ich finde, es war ein Fehler von Kemmerich, den Rücktritt anzukündigen.
FDPlerin in eine andere Kamera: Es war eine falsche Entscheidung, es gab eine Wahl, wir können nicht so lange wählen, bis es passt.
RTL-Reporter: Findet hier jemand, es war eine richtige Entscheidung?
Niemand meldet sich.
Martin Hofmann: Alles ist richtig verrückt. Dass Kemmerich überhaupt Ministerpräsident wurde, dass danach die Hölle über einem einbricht und dass es alle so wahnsinnig trifft. Bei mir in der Uni wählen die meisten grün. Dass die so wirklich betroffen sind, das hätte ich nicht gedacht. Die Ängste, die ich bei denen gesehen habe, waren so immens, davor darf man nicht die Augen verschließen. Da muss man auch mal sagen: Ich bin zwar anderer Meinung, aber hey, Jungs, das können wir nicht bringen. Bei uns Jungen Liberalen war Aufbruchsstimmung, wir dachten, jetzt können wir was reißen. Es macht auch Spaß, der Trubel, aber eigentlich ist es zu ernst. Mit dem jetzigen Wissen glaube ich, Kemmerich hätte die Wahl nicht annehmen dürfen.
Die anderen sagen weiter Fernsehsätze in Kameras: „Wir gehen gestärkt hinaus“, „Das Wahlergebnis war demokratisch“, „Wir werden für unsere Werte kämpfen“. Es läuft der Song „Total Eclipse of the heart“ im Hintergrund.
Fischer: Die FDP hat ein Programm. Wir sind nicht nur die, die die Wahl gesprengt haben.
Hofmann: Wir hätten was droppen sollen, von wegen „wir wollen die Schulen modernisieren“, das wäre cool gewesen.
Martin Mölders: Als hätte der Ramelow einen Anspruch darauf, Ministerpräsident zu sein! Der ist selber vor 5 Jahren mit einer Stimme reingekommen.
Hofmann: Ich fände es super, wenn die AfD jetzt Ramelow wählen würde, und er müsste dann auch zurücktreten.
FDPler: Eigentlich wollten wir uns zu einem gemütlichen Bierchen treffen, darüber reden, wer in Zukunft welche Posten…
Eine Frau betritt den Raum, bisher war Regina Fischer die einzige. Außerdem sitzen zehn Männer am Tisch.
FDPler: Vielleicht bin ich sexistisch, aber du wertest die Runde auf.
Fischer: Die FDP ist wieder die Umfallpartei. Das ist das Schlimmste. Die FDP darf nicht umfallen.
Mölders: Mir war klar, dass es so laufen wird. So blöd sind wir auch nicht. Ich hätte aber nicht gedacht, dass die CDU so geschlossen für Kemmerich abstimmt. Dass die AfD das macht, war klar wie das Amen in der Kirche. Wir wollten Ramelow abwählen, das haben wir geschafft, aber offensichtlich mit den falschen Stimmen.
Fischer: Ich musste an das denken, was Gauland gesagt hat: Wir werden sie jagen. Es wäre nur umgekehrt gewesen: Wir hätten die AfD gejagt. Als eine Kollegin mir geschrieben hat, ob ich nicht austreten will, dachte ich mir: Nö. Wieso?
RTL-Reporter (kommt von draußen wieder reingelaufen): Was hatten Sie eigentlich vor zu besprechen bei diesem Stammtisch?
Mölders: Bildung, also die verfehlte Inklusionspolitik, Energie, also Windkraft, und wir wollten die Kreisvorstandssitzung vorbereiten.
Eine weitere Frau betritt den Raum, außer Atem, schaut etwas orientierungslos, zieht ihre Jacke aus: die Interessentin.
„Als ich in ser FDP anfing, hat mir jemand gesagt: Politik ist eine Hure“
Interessentin: Ist das hier der Stammtisch? Ich finde, man muss dem Kemmerich und der FDP den Rücken stärken. Deshalb bin ich da.
FDPler: Na hoffentlich bleiben sie länger als Kemmerich, länger als 24 Stunden.
Interessentin: Ich will mich einbringen. Ich wohne in Ilmenau, bin selbstständig. Ich bin ein bisschen aufgeregt gerade. Mein Freund hat die Liveübertragung im MDR gesehen und gesagt: Geh doch hin! Eigentlich hätte ich heute Chor, aber die haben mir diese Petition geschickt, dass Kemmerich zurücktreten soll. Ich dachte, das kann nicht wahr sein! Ich kann nicht mehr in diesen Chor.
Fischer: Ich wüsste da einen tollen Chor für Sie!
Interessentin: Schön!
Es läuft „Life is life“.
FDPler: Dann machen wir mal eine Vorstellungsrunde, oder?
FDPler: Ich bin Altenpfleger.
FDPler: Ich studiere technische Physik.
Fischer: Ich bin Rentnerin und seit Jahrzehnten in der FDP, das heute enttäuscht mich sehr.
FDPler: Ich bin Pharmaunternehmer.
Hofmann: Ich promoviere und bin Schatzmeister der Jungen Liberalen.
FDPler: Ich bin Unternehmer, ich arbeite viel, von 6 bis 17 Uhr.
FDPlerin: Ich bin angestellte Geschäftsführerin und leite die Bäder hier, ich habe ein liberales Herz, ihr wisst, was das bedeutet.
Mölders: Ich bin Vorstandsvorsitzender der Lebenshilfe.
FDPler: Ich bin Unternehmer.
Interessentin: Ich bin Tai-Chi- und Shiatsu-Lehrerin und freie Trauerrednerin.
Mölders: Da mussten Sie ja heute kommen!
Interessentin: Ich will, dass das deutsche Volk nicht mehr verblödet. Gestern liefen 16- und 17-Jährige mit Trommeln durch die Straßen, gegen Nazis, was soll das? Die wissen doch gar nicht, was das bedeutet. Ich dachte, hier ist es voll mit Interessenten.
FDPler: Lasst uns über Kreisvorstandssitzungen reden.
Hofmann: Ich möchte alle Frauen dazu aufrufen, sich aufstellen zu lassen.
FDPlerin: Wieso, wegen der Quote??
Hofmann: Nee, aber niemand soll denken, das ist ein Typenverein.
Mölders zu Fischer: Hast du das schon mal gedacht, dass wir ein Typenverein sind?
Fischer (senkt Kopf, Finger an Schläfen): So viele Jahre…
Mölders: Früher war das vielleicht so.
RTL kommt zurück. Im Hintergrund läuft jetzt: „Another one bites the dust“.
FDPler in RTL-Kamera: Christian Lindner weiß bestimmt, was er tut. Aber ich hätte gern gesehen, dass Kemmerich eine Chance bekommt.
RTL-Reporter in die Kamera: Wir halten fest: Rückendeckung für den Bundeschef und für Thomas Kemmerich.
Fischer: Die Zerrissenheit hier ist doch symptomatisch für das ganze Land. Das Land ist geteilt. Schlimm, das zu erleben.
Mölders: Die Bundespartei hat was Suizidales, hat mal jemand gesagt.
Hofmann: Der spontane Protest der Linken gestern, das war so gut organisiert. Die haben WhatsApp-Gruppen, in wenigen Stunden stehen die mit fertigen Plakaten da, das ist schon heftig. So was haben die Liberalen gar nicht.
FDPlerin: Wieso kann man die Merkel nicht absetzen? Die ist wie ein Schläfer, wahrscheinlich wurde die von der SED eingesetzt.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
——————————————————————
Grafikquellen :
Oben — Fußgängerzone Ilmenau Pedestrian zone…
————————-
2.) von Oben — shemale prostitute strassenstrich berlin…
—————————-
Unten — Blick auf das Stadtzentrum von Ilmenau, dahinter Pörlitzer Höhe (Plattenbausiedlung) und die Reinsberge vom Lindenberg aus.…