DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Die Facebook-Demokratur

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 24. Mai 2018

Big Four: Die digitale Allmacht?

Contemporary street art.jpg

von Ulrich Dolata

Der jüngste Facebook-Skandal führt einmal mehr vor Augen, wie fahrlässig das soziale Netzwerk mit den Daten seiner Nutzerinnen und Nutzer umgeht. Vor allem aber verdeutlicht er, vor welch gewaltige Herausforderungen Konzerne wie Facebook und Co. unsere Demokratie stellen, wie die folgenden Beiträge von Daniel Leisegang, Daniel Pelletier und Maximilian Probst sowie Ulrich Dolata aufzeigen. – D. Red.

Nahezu jeder, der im Internet unterwegs ist, nutzt mindestens ein Angebot der führenden Internetkonzerne Apple, Google, Amazon und Facebook. In den vergangenen Jahren hat deren Marktmacht in den wesentlichen Segmenten des kommerziellen Internets massiv zugenommen. Damit haben die Konzerne auch enorme gesellschaftliche Bedeutung erlangt. Denn auf deren Plattformen verbringen die Nutzer heute nicht nur einen Großteil ihrer Zeit im Internet. Ihr Verhalten im Web wird auch maßgeblich geprägt durch die Standardeinstellungen, Features und algorithmischen Sortier- und Selektionsfunktionen, denen sie dort unterworfen werden – und denen sie sich kaum noch entziehen können.

Immer drängender stellt sich daher die Frage, wie sich der wachsende Einfluss der Internetkonzerne wirksam eingrenzen ließe. Die unterschiedlichen Vorschläge, die in der aktuellen Debatte dazu vorgebracht werden, reichen von einer stärkeren politischen Kontrolle und Regulierung der Konzerne bis hin zu ihrer Aufspaltung oder Zerschlagung. Im Fokus stehen dabei zwei Ebenen politischer Einflussnahme: erstens die Möglichkeiten der Eingrenzung ihrer Marktmacht und zweitens verschiedene Ansatzpunkte einer stärkeren öffentlichen Kontrolle ihrer Plattformen, die mittlerweile eine herausragende Bedeutung für öffentliche Diskurse und Meinungsbildungsprozesse im Web erlangt haben.

Zunächst aber: Worin besteht eigentlich die Macht der Internetkonzerne? Zum einen verfügen sie mittlerweile über eine beträchtliche ökonomische Macht, die sie in der Konkurrenz einsetzen und mit der sie neue Wettbewerber auf Distanz halten können. Ein Blick in die Geschäftsberichte des Jahres 2017 zeigt, dass sie ausgesprochen umsatzstark sind: Apple erwirtschaftete 229 Mrd. US-Dollar, Amazon 178 Mrd., Google 111 Mrd. und Facebook 41 Mrd. Die drei Erstgenannten gehören zu den 50 größten Konzernen der Vereinigten Staaten, Facebook ist auf gutem Weg dahin. Darüber hinaus sind sie alle auch seit Jahren hochprofitabel. Im vergangenen Jahr hat Apple knapp 50 Mrd. Dollar Gewinn gemacht, Google 13 Mrd. und Facebook 16 Mrd. Hinzu kommen ihre exorbitant hohen Börsenwerte.

Das versetzt die Konzerne nicht nur in die Lage, massiv in ihre weitere Expansion zu investieren und dadurch den Abstand zur Konkurrenz zu vergrößern. Sie können auch jederzeit für sie interessante Technologiefirmen erwerben oder potentielle Konkurrenten durch Aufkauf früh vom Markt nehmen. Geld spielt dabei keine Rolle: Facebook beispielsweise hat 2014 den Messaging-Dienst WhatsApp für 19 Mrd. Dollar gekauft, Amazon 2017 den Lebensmitteleinzelhändler Whole Foods für knapp 14 Mrd. Dollar erworben. Alle Konzerne sind darüber hinaus sehr forschungsstark und wenden jährlich zum Teil deutlich über 10 Mrd. Dollar allein für diesen Bereich auf. Bei Google beispielsweise arbeiten fast 30 000 Mitarbeiter in der konzerneigenen Forschung und Entwicklung. Schließlich sind die Big Four mittlerweile auch große Arbeitgeber. Amazon beschäftigte Ende 2017 weltweit über eine halbe Million Mitarbeiter, Apple 123 000, Google 80 000 und Facebook gut 25 000.

Die Konzerne dominieren nicht nur wichtige Märkte wie die Internetwerbung oder den Onlinehandel. Sie betreiben in großem Stil auch konzerneigene Marktplätze nach ihren Regeln. In Amazons Handelsplattform sind schon lange zahllose eigenständige Händler eingebunden, die ihre Produkte dort selbst unter für sie sehr unvorteilhaften Bedingungen verkaufen wollen. Googles Videoplattform YouTube ist längst keine Spielwiese für Amateure mehr, sondern auch ein kommerzieller Werbemarktplatz, der nicht nur von großen Firmen, sondern auch von zahlreichen professionellen YouTubern und Influencern mit zum Teil eigenen Agenturen und Firmen bedient wird. Und die von Apple, Google und Amazon betriebenen App Stores sind zum Betätigungsfeld zahlreicher mehr oder minder erfolgreicher Entwickler geworden. Die Internetkonzerne bewegen sich damit nicht mehr nur auf Märkten, die sie dominieren, sondern organisieren und regulieren als Plattformbetreiber selbst Marktzusammenhänge in größerem Stil.

Wer die Regeln setzt, hat die Macht

Eine rein ökonomische Betrachtung ihres Einflusses greift allerdings zu kurz. Hinzu kommt die gesellschaftlich wesentlich bedeutendere infrastrukturelle und regelsetzende Macht, die sie mittlerweile erlangt haben. Alle vier Konzerne bieten heute ein breites Spektrum miteinander verknüpfter Dienste an, die weit über ihr angestammtes Betätigungsfeld hinausreichen.

Mark Zuckerberg - Caricature (31129313071).jpg

Google beispielsweise ist längst nicht mehr nur eine Suchmaschine, sondern verfügt mit YouTube auch über den mit Abstand größten Videokanal im Netz, mit Google Play über den neben Apple größten App Store mit Medieninhalten aller Art, mit Gmail über den führenden E-Mail-Dienst, mit Maps über den zentralen Kartendienst und mit Android über das bedeutendste Betriebssystem für mobile Geräte. Facebook beherrscht zusammen mit seinen Töchtern WhatsApp und Instagram unangefochten das Social Networking. Auch Apple und Amazon haben sich im vergangenen Jahrzehnt als Komplettanbieter eines breit gefächerten Angebots aus Diensten und Medieninhalten profiliert, die sie mittlerweile zum Teil auch selbst produzieren.

Mit diesen zahlreichen und aufeinander abgestimmten Angeboten sind die Konzerne in der Lage, auch die Rahmenbedingungen wesentlicher sozialer Zusammenhänge im Netz maßgeblich zu gestalten und zu prägen: Konsumwelten, Informations- und Kommunikationsmuster sowie soziale Beziehungsnetzwerke. Sie fungieren als Gatekeeper, die die entscheidenden Zugänge zum Web zur Verfügung stellen, und sind zu zentralen regelsetzenden und -kontrollierenden Instanzen geworden. Auf diese Weise strukturieren sie das Online-Erlebnis der Nutzer, geben Rahmenbedingungen für ihre Bewegung vor und prägen dadurch auch das auf ihren Angeboten basierende individuelle Verhalten und Handeln mit. Ihre sozial konstruierten Algorithmen und Content-Moderation-Teams legen fest, wer bzw. was für wen relevant ist – und was nicht. Über sie werden alle Informations- und Interaktionsprozesse strukturiert, Nutzerpräferenzen antizipiert und Empfehlungen gegeben sowie Entscheidungen darüber getroffen, was obszön, anstößig, politisch inkorrekt, erotisch oder pornographisch ist – und entsprechend indexierte Inhalte oder Äußerungen zurückgestuft oder gelöscht.

Die Konzerne sind damit nicht einfach neutrale Vermittlungseinrichtungen wie Telefongesellschaften, sondern handlungsprägende wie meinungsbildende Selektionsinstanzen und Kuratoren gesellschaftlicher Diskurse – und dies bislang weitgehend ohne öffentliche Einflussnahme und Kontrolle. Dies ist der eigentliche Kern des Problems.

Die zweite Reihe: Netflix & Co. als ernstzunehmende Konkurrenten?

Wer oder was könnte dagegenhalten? Sind neue Konkurrenten in Sicht, die den großen Vier gefährlich werden könnten? Die Konzerne haben ja durchaus Schwachstellen. Auffällig ist etwa, dass sie trotz aller Diversifizierungsbemühungen ökonomisch nach wie vor stark von ihrem angestammten Kerngeschäft abhängen, das für den Großteil ihrer Gewinne verantwortlich ist.

Apples Erfolg hängt wesentlich am Verkauf des iPhone, also einer einzigen Produktserie mit einzigartiger Gewinnmarge. Facebook generiert seine Umsätze fast vollständig, Google zu 86 Prozent über Werbeeinnahmen. Die Fehleinschätzung eines neuen Trends, veränderte Nutzerpräferenzen oder ein größerer Produktflop können durchaus ausreichen, um sie in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. AOL, Yahoo, MySpace, Nokia – die kurze Geschichte des kommerziellen Internets ist gut gefüllt mit Komplettabstürzen vermeintlich unverwundbarer Marktführer.

Ob dies heute auch noch gilt, muss allerdings bezweifelt werden. Zum einen sind die großen Internetkonzerne mittlerweile ökonomisch wesentlich gefestigter als ihre Vorgänger. Sie haben im vergangenen Jahrzehnt immer wieder neue Trends wie Streaming, virtuelle Realität, Bild- und Spracherkennung frühzeitig aufgegriffen und erfolgreich in ihre Angebote integriert. Zum anderen sind ernsthafte Konkurrenten, die ihnen das Leben schwer machen könnten, anders als früher, derzeit nicht in Sicht. Auch hochgehandelte Unternehmen aus der zweiten Reihe wie Uber, Airbnb, Spotify, Twitter, Snap oder Netflix bewegen sich – im Unterschied zu den Großen – nur in einzelnen und überschaubaren Segmenten des Internetgeschäfts, beschäftigen jeweils nur einige Tausend Mitarbeiter weltweit und haben 2017 lediglich Umsätze in einstelliger Milliardenhöhe erzielt. Ökonomisch tragfähig ist das Geschäft dieser Unternehmen oft noch nicht.

Uber, Spotify und Snap haben seit ihrer Gründung sogar kontinuierlich hohe und zum Teil rapide steigende Verluste gemacht und hängen am Tropf großer Finanzinvestoren und Risikokapitalgeber. Uber beispielsweise, das die Taximärkte durch das Unterlaufen bestehender Regulierungen in den vergangenen Jahren aufgemischt hat, konnte bei Investoren zwischen 2009 und 2016 externe Finanzmittel in Höhe von 11,5 Mrd. Dollar einwerben, ohne die es keinen Monat überlebt hätte. Der Musikstreaming-Dienst Spotify hat zwar deutlich mehr Nutzer als derjenige von Apple, kann sein anhaltend defizitäres Geschäft allerdings nicht unternehmensintern querfinanzieren – anders als sein großer Konkurrent, den das Streaminggeschäft hauptsächlich als Vehikel zum Verkauf seiner Geräte interessiert. Und der tief in der Krise steckende Bilderdienst Snap hat die Konkurrenzauseinandersetzung mit Facebooks Instagram verloren, 2017 bei einem Umsatz von lediglich 825 Mio. US-Dollar horrende Verluste von über 3,4 Mrd. Dollar gemacht und wird mittlerweile nicht einmal mehr als interessanter Übernahmekandidat gehandelt.

Quelle    :        Blätter         >>>>>       weiterlesen

—————————————————————————————–

Grafikquellen    :

Oben    —      A graffiti work found on La Brea Avenue, Los Angeles, CA. It provides a commentary on the social networking site, facebook.

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>