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Die EU in der Krise

Erstellt von Redaktion am Samstag 18. April 2020

Herrschaft durch Fairness

Die momentane Miss EU würde den Platz kaum füllen – gleichwohl sieben Säuger angesetzt haben und ein Kriegshelm gezeigt wird.

Von Michael Zürn

Die Corona – Krise zeigt: Die EU braucht mehr politischen Wettbewerb und eine reale Bürger-Innen-Beteiligung.

Deutschland übernimmt im zweiten Halbjahr 2020 die EU-Ratspräsidentschaft. Aus der Sicht vieler Mitgliedsstaaten könnte der Zeitpunkt nicht besser sein. Denn damit erhöhe sich – so das Kalkül – das deutsche Interesse an einem erfolgreichen Abschluss und damit auch die Kompromissbereitschaft bei den Haushaltsverhandlungen. Die große Entschleunigung, die derzeit infolge der Bekämpfung der Corona-Pandemie um sich greift, bietet jedoch auch die Chance, grundsätzlich darüber nachzudenken, was nötig ist, damit die EU das leisten kann, wozu wir sie benötigen.

Wie kann die EU also wieder handlungsfähig werden? Die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so schwer. Die EU muss die Macht und die Kompetenzen, die seit den 1990er Jahren sprunghaft angestiegen sind, erfolgreich legitimieren. Dafür eignet sich aber weder der cäsaristische Stil des französischen Präsidenten noch die rein er­geb­nis­orien­tierte Logik der deutschen Kanzlerin. Notwendig ist eine institutionelle Reform der EU, mit der glaubhaft vermittelt werden kann, dass die Entscheidungen Resultat einer fairen und entscheidungsoffenen politischen Auseinandersetzung sind und den Menschen in Europa nützen. Genau daran hapert es.

Das Problem zeigt sich an zwei Indikatoren politischer Artikulation, die seit Anfang der 1990er Jahre in unterschiedliche Richtungen laufen. Zum einen ging die Beteiligung an den Wahlen zum Europäischen Parlament seit Anfang der 1990er Jahre zurück, obgleich seine Kompetenzen deutlich zugenommen haben. Erst bei der Europawahl im Jahre 2019 ist die Beteiligung wieder auf circa 50 Prozent angestiegen. Ausschlaggebend dafür war aber, dass nun die EuropagegnerInnen zur Urne gingen.

Zugenommen hat aber die Politisierung der EU, verstanden als eine intensivierte politische Auseinandersetzung über Europa und deren Politiken in den Medien. Europäische Themen haben in der öffentlichen Debatte an Bedeutung gewonnen.

Zunehmende Politisierung der EU

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass seit den frühen 1990er Jahren mit jedem Integrationsschub die Politisierung zugenommen hat. Diese Entwicklung begann mit der Ratifikation der Maas­tricht-Verträge 1992/1993, gefolgt vom Amsterdamer Vertrag 1997, der Osterweiterung im Jahre 2004, dem Scheitern des Verfassungsvertrags 2005 und schließlich, 2009, der Finanzkrise und der damit verbundenen Stärkung der europäischen Institutionen.

Mit der Flüchtlingsdebatte und dem Brexit hat die EU schließlich einen Spitzenplatz bei den öffentlichen Themen erlangt. Europa ist zunehmend Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Im Ergebnis zeigt sich eine offene Schere zwischen dem Wunsch nach politischer Beteiligung, wie er in der Politisierung zum Ausdruck kommt, und den realen Beteiligungsmöglichkeiten.

Politische Autorität wird in der EU durch das Zusammenspiel von drei institutionellen Säulen ausgeübt. Zum einen gibt es die supranationalen Institutionen, insbesondere die Kommission, den Europäischen Gerichtshof und die Europäische Zentralbank. Sie alle dienen häufig als Projektionsflächen für Kritik, welche die EU als eine herzlose und überbürokratisierte Angelegenheit porträtiert. Sie agieren aber zumeist gemeinwohlorientiert und rechtskonform.

Bei der zweiten in­sti­tu­tio­nel­len Säule ist das nicht immer so. Der Europäische Rat kann sich zwar auf die Legitimation (mehr oder weniger) demokratischer Regierungen berufen, er hebelt, insbesondere in Kri­sen­si­tua­tio­nen oder bei Verhandlungsblockaden aber auch gerne die bürokratische und legale Logik der supranationalen Verfahren aus. Die dritte institutionelle Säule ist das Europäische Parlament mit beachtlichen Kompetenzen, aber geringer Anbindung an die WählerInnen.

Politische Partizipation kann vor diesem Hintergrund kaum als Legitimationsgrundlage für die EU dienen. Die tatsächlichen Effekte eines gesetzten Kreuzes bei der Europawahl sind unklar. Es überwiegt stattdessen die technokratische Legitimation. Politische Entscheidungen mit starken (re)distributiven Effekten, wie etwa in der Finanzkrise oder auch im Falle der Agrar- und Strukturpolitik, und die Positionierung der EU bei wertebasierten Auseinandersetzungen überfordern aber technokratische Herrschaftsbegründungen.

Shut Down FRONTEX Warsaw 2008 (1).jpg

Auch in Polen wurde ein Übel der EU begriffen ! Wann folgen Taten ?

Sie können zwar bei der Identifikation von angemessenen Maßnahmen Legitimität stiften. Wenn die Ziele aber selbst Gegenstand der Politik werden, dann reichen sie nicht. Dann breitet sich der Verdacht aus, dass sie nur ein Deckmantel zur Durchsetzung der Interessen mächtiger Staaten und/oder kosmopolitischer Eliten in Europa sind.

Die Legitimation der EU kann nur dann dauerhaft gelingen, wenn die europäischen BürgerInnen in der europäischen Integration einen sozialen Zweck erkennen und sie in die Lage versetzt werden, sich auch europapolitisch zu artikulieren. Das weitere Setzen auf Technokratie ist der bequeme, aber falsche Weg.

Zum einen muss die EU ihre Bestandsbegründung an die sozialen Realitäten anpassen. Die Herstellung von Fairness in Europa ist eine davon. Ohne die EU kann es im Zeitalter der Globalisierung langfristig keinen europäischen Wohlfahrtsstaat geben. Wer, wenn nicht die Europäische Union, kann die globalen Unternehmen wie Apple und Google sowie die mobilen Superreichen in Zukunft noch besteuern?

Ohne Kapitalsteuern und ohne die Besteuerung derjenigen Individuen, die von der Europäischen Integration besonders profitieren, wird der Wohlfahrtsstaat langfristig leiden. Solange es also keine effektiven Steuerregime auf globaler Ebene gibt, muss und kann die EU zumindest partiell diese Leistung erbringen. Das Narrativ lautet dann, dass die EU die Voraussetzungen für den Erhalt der europäischen Wohlfahrtsstaaten schaffen kann.

Quelle        :           TAZ       >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle        :

Oben        —     Skulptur „Kampf um Europa“ von Peter Lenk in Radolfzell am Bodensee (Ausschnitt)

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Unten      —        Shut Down FRONTEX demonstration 2008 in Warsaw

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