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Die Damen mit dem Kurzzeit–Gedächtnis

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 12. Februar 2015

Der US-Vormund wird’s schon richten

CDU Parteitag 2014 by Olaf Kosinsky-16.jpg

Autor: Jürgen Heiducoff

Rationalgalerie

Datum: 11. Februar 2015

Deutschland hat zwei Damen, die viel Macht in außen- und sicherheitspolitischen Fragen auf sich vereinen. Doch am letzten Wochenende offenbarten sich in München mit ihrem Widerstand gegen Waffenlieferungen an die Ukraine bestimmte Gedächtnislücken. Der lobenswerte Wille, nicht zuzulassen, dass noch mehr Waffen in die waffenstarrende Ostukraine kommen, passt nicht so recht zu ihrer bisherigen Politik. War etwa beiden Damen aus dem Gedächtnis entfallen, dass sie durch die Übernahme von Verantwortung immer wieder gezielt zur Schaffung und Verlängerung von Konflikten und Kriegen beigetragen haben?

Die eine Dame ist Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen. Sie hielt die Eröffnungsrede während der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz. Dort verkündete sie, dass sie gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sei, weil das wie ein Brandbeschleuniger des Konflikts wirke und Russland provozieren könnte, die Lage zu eskalieren. Also kein Kriegskurs in Osteuropa, sondern Deeskalation. Eine gute Idee, wenn sie denn ernst gemeint ist.

Nur hat die Ministerin etwa schon vergessen, dass sie gut zwei Tage früher während des Treffens der Verteidigungsminister der NATO – Staaten in Brüssel für die deutliche Verstärkung der schnellen Eingreiftruppe NRF stimmte, die im Bedarfsfall an die Grenzen der Russischen Föderation verlegen soll? Also doch eine Provokation gegenüber Russland? Die Vorbereitungen laufen unaufhaltsam, ständige Stützpunkte mit Führungs- und Logistikexperten werden in sechs osteuropäischen Staaten eingerichtet, um die Kräfte der Eingreiftruppe aufzunehmen. Gegen wen Spezialtruppen ihre bis zum Automatismus antrainierten nicht gerade hoffähigen Killerpraktiken zum Einsatz bringen sollen, ist damit offenkundig. Also doch keine Deeskalation?

Hat die Ministerin vergessen, dass die Bundeswehr als die „Speerspitze“ dieser Eingreiftruppe die Führungsrolle übernehmen soll? Die Wortwahl der NATO – Strategen ist bezeichnend. Speere waren nie in erster Linie Verteidigungswaffen, sondern dienten stets der Jagd, dem Angriff. Die Horden schlichen sich aus ihren Lagern unweit vom Opfer, um es mit Speeren und Lanzen zu liquidieren. Geht es jetzt etwa um die Jagd des russischen Bären? Insbesondere eben die Russen verbinden aus ihrer historische Erfahrung sehr viele Ängste mit feindlichen Horden und deren Speerspitzen. Sollten diesmal die Horden aus dem Westen kommen?

All das sollte Frau von der Leyen in München nicht im Hinterkopf gehabt haben, als sie sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und damit gegen den Willen nicht weniger einflussreicher Teilnehmer der Sicherheitskonferenz aussprach? Wir haben eine außergewöhnlich intelligente Ministerin der Verteidigung. Wie ist also zu erklären, dass sie in diesem Fall so schnell vergessen, was sie selbst mit in Gang gesetzt hat?

Tagungen der Allianz wie die der Verteidigungsminister sind reine „Abnick – Veranstaltungen“. Die zu verabschiedenden Projekte stehen schon im Vorfeld fest. Sie sind in langwierigen Planungsprozessen erarbeitet worden. Die Dominanz der Vorstellungen und Interessen Washingtons im Charakter vieler militärischen Projekte muss sicher in diesem Zusammenhang nicht erwähnt werden. Und wenn eben die Dame aus dem Bendlerblock nicht explizit in die Erarbeitung solcher Projekte einbezogen war, dann ist es normal, wenn sich dies nicht so stark einprägt und leicht der Erinnerung entfällt. Bleibt nur die Sorge, dass die Ministerin nicht wieder vergisst, dass sie in München konsequent gegen Waffenlieferungen aus dem Westen für die Ukraine eintrat.

Die andere Dame ist die Kanzlerin – eine scharfe Analytikerin, die stets um alternativlose Lösungen ringt. Sie hat in den letzten Tagen plötzlich ihre Ader für Krisendiplomatie und ihre Friedensliebe entdeckt. „Militärisch ist diese Krise nicht zu lösen“, bekräftigte Merkel wiederholt in Bezug auf die Ukraine. Das Problem sei, dass man sich keine Situation vorstellen könne, in der eine verbesserte Ausrüstung der ukrainischen Armee dazu führe, Präsident Putin so zu beeindrucken, dass er glaube militärisch zu verlieren, hatte sie gesagt. Die Erkenntnis, dass der Konflikt in der Ukraine nicht militärisch zu lösen ist, ist natürlich richtig. Aber das war nie anders. Demnach hätte die Bundesregierung wesentlich früher zu einer diplomatischen Offensive übergehen können. Also nun ist auch die Kanzlerin für die friedliche Lösung des Konfliktes in Osteuropa.

Nur warum gilt das, was für den Ukraine-Krieg richtig ist, nicht auch für alle anderen Konflikte und Kriege der Gegenwart? Hat die Kanzlerin schon vergessen, dass unter ihrer Regierung Deutschland den dritten Platz beim Waffenexport weltweit beibehielt und so Kriege und Krisen anheizt? Hat sie vergessen, dass Waffenlieferungen und militärische Ausbildung immer nur für eine der Konfliktparteien im Nahen Osten, in Afrika oder Afghanistan laufende Konflikte nicht beendet, sondern verlängert? Hat sie etwa auch vergessen, dass ihre Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine vom großen Bruder nicht geteilt wird?

Nun musste die Kanzlerin nach Washington zum Rapport. Öffentlich heißt das, den eigenen Standpunkt erläutern. Entschieden wurde da gar nichts. Vor den Medien haben Merkel und Obama aneinander vorbei geredet, jeder beharrte gesichtswahrend auf seinem Standpunkt. Hinter verschlossenen Türen wird der US Präsident der Kanzlerin zu besserer Gedächtnisleistung verholfen haben. Auf dass sie und ihre Regierung die Priorität der transatlantischen Verbundenheit für ewig im Langzeitgedächtnis speichern mögen.

Wann kann sich Deutschland endlich von diesem Vormund befreien?

BERLINALE: Zwei deutsche Filme im Milieu

Die Kaputten machen alles kaputt, auch sich selbst

Von Uli Gellermann

Der Berlinale-Gemischtwaren-Laden schließt bald seine Leinwand. Auf dem Weg ins Finale haben die deutschen Filmemacher noch zwei ihrer Arbeiten an die Wand geworfen. Bei „Victoria“ von Sebastian Schipper ist ein cineastisches Experiment zu bewundern: Lange 140 Minuten lang legt Sturla Brandt Grovlen die Kamera nicht aus der Had, kein Schnitt berührte das Material in der Postproduktion: In einem biergetränkten Taumel ziehen vier Berliner Verlierer durch ihre Stadt, fangen eine Spanierin ein, womit ist schwer zu sagen, ihr Charme kann es nicht gewesen sein, und geraten fast versehentlich in einen Banküberfall. Die Jungs wirken echt, die spanische Schauspielerin Laia Costa meistert ihre verquere Rolle großartig, aber ein Krimi bleibt ein Krimi. Da hat schon mancher „Tatort“ mehr soziale Ab- und Hintergründe geliefert als der Film von Schippers. Das Milieu der Absteiger, erzählt „Vicotoria“, bleibt im Unten, das im Oben kommt nicht vor.

Andreas Dresen: Wie in Zelluloid geätzt steht der Namen des Filmemachers, der seine Ausbildung noch bei der DEFA genoss, in großen Lettern im Kopf von Kritikern und dem klügeren Teil des Kinopublikums. Nun legt er mit „Als wir träumten“ einen Film vor, der die Ost-Absteiger im nachwendlichen Leipzig zeigt. Schon die Eingangsbilder der Arbeit bechreiben einen der vier Jungs als Heroin-Krüppel in einem Keller-Versteck. Das Einstiegsversprechen wird bis zum Ende eingehalten: Aus den vier Protagonisten wird auch im weiteren Verlauf des Films nix. Wer bei den Figuren in Dresens früheren Filmen deren Entwicklung schätzte, reibt sich die Augen: Das Milieu am Rande Leipzigs ist in den frühen 90ern vom Autoklau, Scheibenklirren, Disco-Musik und Drogenhandel geprägt. Ein paar kriminelle Skins sorgen für jede Menge Schlägereien, eine Oma für den Rührfaktor und Rückblenden zur Schulzeit der Helden, als sie noch Junge Pioniere waren, ziehen eine dünne Linie vom falschen alten DDR-Selbstbild zu den neuen Moment-Aufnahmen. Es hat sich ausgeträumt, erzählt Dresen. Von der Treuhand, den irren Arbeitslosenzahlen jener Zeit, dem Abstieg der DDR-Eliten ins Nichts oder die Unterwerfung, wird nichts erwähnt. Das Unten verkommt, das Oben kommt nicht vor. Auch so geht deutsche Einheit. Belegt in zwei Filmen.


Grafikquelle :   CDU Bundesparteitag Dezember 2014 in Köln

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