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Die Arbeitslosen

Erstellt von Redaktion am Freitag 20. Mai 2011

Wie Arbeitslose von Amtes wegen getreten werden!

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Günter Wallraff and Pinar Selek (center) at a press conference in Strasbourg

Menschen vierter Klasse

Wie war es in Deutschland doch vordem mit Grundgesetzen so schön. Denn war man vorübergehend arbeitslos und ohne Geld, sprang die Arbeitslosenversicherung ein und garantierte, dass man weiterhin meist gut über die Runden kam. Diese war nur zum Auffangen und Überbrücken der Arbeitslosigkeit eingerichtet. Stieg die Arbeitslosenzahl einer Million entgegen, bekamen unsere Regierenden schon Panik. Der Arbeitsmarkt war ein Markt für die Wirtschaft, die sich ihre Arbeitskräfte aussuchten und für Bürgerinnen und Bürger, die ihre Arbeitskraft zum bestmöglichsten Preis verkaufen konnten. Jeder Mensch war vor dem Gesetz noch etwas „gleicher“, hatte die gleichen Chancen und behielt seine Würde.

Neugierig war nicht nur Schneiders Weib in August Kopisch’s „Die Heinzelmännchen zu Köln“. Nein – „in diesem unserem Lande“ waren es Kohl, Schröder und Merkel, und machten sich diesen Zeitvertreib, der Wirtschaft zu helfen, Menschen zu knechten. Bei staatlich zugegebenen über 3 Millionen Arbeitslosen wird den Bürgerinnen und Bürgern vorgegaukelt wir hätten fast Vollbeschäftigung und zu wenig Arbeitskräfte. Kohl schaffte die Voraussetzungen, dass außer den öffentlich rechtlichen Sendern auch Private zugelassen wurden. Damit begann eine große Aktion der Volksverdummung und später dann unter Schröder eine nie dagewesene Hetzkampagne gegen Arbeitslose. Merkel gibt allem mit Kürzungen und Verschärfungen noch einiges obendrauf.

Arbeitslosigkeit wurde zur staatlich und wirtschaftlich gewollten Dauereinrichtung. Arbeitslose gibt es über 6 Millionen und jede Menge in prekären Arbeitssituationen. Das bedeutet für diese Menschen, dass sie zu einer Ware geworden sind, die die Wirtschaft unter Druck setzen kann und Langzeitarbeitslose entrechtet, eine beispiellose Verhöhnung all derjenigen, die keinen regulären Job mehr finden. Arbeitslosigkeit ist zu einem offenen Vollzug geworden für diejenigen, die am wenigsten dafür können. Da hat das Wort „Arbeitsmarkt“ seine eigentliche Bedeutung gefunden. Die unantastbare Würde des Menschen ist zur Floskel verkommen.

Aus Angst vor dem Absturz in die Arbeitslosigkeit können Löhne abgebaut, Arbeitsbedingungen verschlechtert und willige Instrumente für die Wirtschaft gezüchtet werden.

Menschen, die in die Arbeitslosigkeit „abgeschoben“ wurden haben kaum noch Rechte und können vorgeführt werden, wie eine Schafherde. Die so genannten „Kunden“ müssen Schikanen durch die Jobcenter, die kaum Jobs anzubieten haben, über sich ergehen lassen. In denen werden Arbeitslose im Grunde nur verwaltet. Arbeitslose dürfen in unserer so hochgepriesenen Meinungsfreiheit keinen freien Willen mehr haben. Eine eigene Meinung ist nicht erwünscht und wird sowieso nicht berücksichtigt, Sanktionen werden oft willkürlich verhängt. Noch vor einigen Jahren hieß es: „Der Kunde ist König“.

Nicht genug, dass Arbeitslose von den jeweiligen Sachbearbeitern „getreten“ werden, müssen sie häufig um korrekte Abrechnungen streiten. Wer sich nicht wehrt – aus Angst oder Unwissenheit – hat Pech gehabt und die Jobcenter wieder mal gutes Geld an den Ärmsten gespart.

Zum Glück gibt es viele ehrenamtlich Tätige in Arbeitslosenzentren und anderen Initiativen, die „Verhartzte“ über ihre Rechte und Möglichkeiten aufklären, was eigentlich die Arbeit der Jobcenter wäre. Diese Pflicht wird aber stillschweigend unter den Tisch gekehrt.

Wehren sich die Betroffenen und lassen sich nichts gefallen, müssen sie oft Monate warten, bis die Fehler korrigiert werden. Es wird keine Rücksicht darauf genommen, dass sie schon unterhalb des verfassungswidrigen Existenzminimums leben müssen. Sollen die Arbeitslosen doch zusehen, wie sie über die Runden kommen.

Kürzungen

Da wird Diabetikern das Geld gekürzt, weil sie „trotz Krankmeldung“ nicht zum vereinbarten Termin erschienen sind. Obwohl die Betroffenen zusätzliche Kost und Medikamente benötigen, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, müssen sie mit z. B. ca. 70,- € im Monat auskommen. Das ist für einen kranken Menschen in so einer Situation unmöglich, ganz abgesehen von den psychischen Belastungen, die ein Diabetiker bekanntlich vermeiden soll. Das Wort Rücksicht kennt keiner bei den Jobcentern und man riskiert ganz bewusst den eventuellen Tod des Betroffenen.

Bei unerlaubter Ortsabwesenheit drohen ebenfalls Kürzungen. Derjenige hat ja seinen „Vormund“ – einen meist wesentlich jüngeren Mitarbeiter der Jobcenter – nicht gefragt, ob er zur Hochzeit der Schwester oder einem Besuch bei einer entfernt lebenden Tante gehen darf.

Aufstocker

Wenn dann ein Betroffener einen Job ergattert, geht es erst richtig los. Man hat das Gefühl, die nicht selten ebenfalls zur Aufstockung gezwungenen Mitarbeiter der Jobcenter sind in so  einem Fall total überfordert.

Von einem so genannten „Kunden“ z. B., der wegen einer schweren Behinderung nur halbtags arbeiten kann, wird dann verlangt, dass dieser sich weiter auf die Suche nach einem Vollzeitjob konzentrieren soll. Die Verdienste der Töchter wurden ebenfalls falsch angerechnet – Sippenhaft in reinster Form –  sodass neben seiner Halbtagstätigkeit die andere Hälfte des Tages mit Widersprüchen schreiben ausgefüllt ist, bei denen er immer am Ende Recht bekommen hat.

Jeder weiß, dass der Regelsatz und die Mietkosten im Voraus bezahlt werden. Dafür hat der in mehreren Aufsichtsräten in der Wirtschaft sitzende und im Jahre 1998 zum Eselsordenträger (!) in Wesel berufene, damalige Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, gesorgt. Dieser sitzt seit 2006 in dem fünftgrößten Zeitarbeitsunternehmen, dem Deutschen Industrie Service (DIS), nachdem er als Bundesminister noch schnell dafür gesorgt hatte, die Zeitarbeit zu liberalisieren. Ist das nicht Amtsmissbrauch um sich für die weitere Zukunft die beste Ausgangslage zu beschaffen?

Meldet ein Arbeitsloser, der einen angeblich so „massenhaft vorhandenen“ Job ergattert hat, dass er ab dem ersten des kommenden Monats zu arbeiten anfängt, wird das zur Zerreißprobe:

  • Hartz-VI-Geld wird gestrichen. Den Verdienst bekommt derjenige aber frühestens, wenn er einen Monat gearbeitet hat. Vier Wochen nur von Luft und Liebe leben, ist selbst für einen „Lebenskünstler“ zu wenig.
  • Bei Leiharbeitsfirmen kommt oft das erarbeitete Geld noch viel später.
  • Anstatt in Ruhe sich auf den neuen Job konzentrieren zu können, geht dann wieder das Gerenne zum Jobcenter los. Man muss schließlich auch in der Zeit, bis das erste Gehalt kommt, leben und Miete bezahlen können.
  • Selbst wenn derjenige nur einen 400,– €-Job beim Jobcenter anmeldet, kann es passieren, dass zum nächsten Ersten kein Geld auf das Konto kommt oder diejenigen plötzlich für Maßnahme parat stehen sollen.
  • Der von den Jobcentern überwiesene Betrag stimmt mit dem Bescheid nicht überein.

Nicht genug, dass die stolzen „Neuen Jobbesitzer“ meist so wenig verdienen und noch aufgestocken müssen, werden diese weiterhin „getreten“. Ein solches Verhalten der Jobcenter ist eher abschreckend für den Arbeitslosen als dass er sich über seinen neuen Job freuen kann.

Von den im so genannten Aufschwung geschaffenen Arbeitsplätzen sind 80 % meist prekäre Leiharbeiterjobs, bei denen die ehemals gute Ausbildung nichts mehr zählt. Mit der Möglichkeit des Aufstockens ist der von der CDU vorgeschlagene und damals verpönte Kombilohn durch die Hintertür eingeführt worden. Gleichzeitig wurde eine gewaltige Subvention für Arbeitgeber geschaffen, die zum Teil Löhne kürzen und unverhohlen ihren Arbeitnehmern sagen, sie sollen sich den Rest den sie benötigen von den Jobcentern holen.

Bei einem Regelsatz von 364,— € ist kein Polster vorhanden, dass man einen Monat oder gar länger einfach mal so überbrücken kann. Selbst der Vizepräsident der BA, Heinrich Alt, räumte in einem Interview mit dem Tagesspiegel am 29.04.2011 ein: (Link?) „Nur Lebenskünstler können von Hartz IV leben“.

Datenschutz

Oben genannter „Kunde“ erhielt eines Tages Post vom Jobcenter. Darin war eine Eingliederungsvereinbarung, nicht für ihn, nein sondern – für eine ihm unbekannte Person. Datenschutzverletzung pur, denn dem falschen Empfänger dieser Post ist jetzt der Name und die Adresse des wirklichen Empfängers bekannt. Der Jobcenter-Mitarbeiter meinte nur lapidar, was der Kunde denn eigentlich wolle und sah darin keinen Fehler, bei dem man sich wenigsten zu entschuldigen hätte.

Falsche Anschuldigungen

In einem Gespräch, das der Betroffene mit dem Mitarbeiter des Jobcenters führte, vergriff dieser sich derart am Ton, dass dieser „König Kunde“ das Gespräch abgebrochen hat. Daraufhin wurde behauptet, ein weiteres Gespräch sei durch das Jobcenter vereinbart und abermals wieder abgebrochen worden bzw. der König habe diesen nicht wahrgenommen. Ja was denn nun? Entweder war er da oder er war nicht da! Bei dem Betroffenen wurde lediglich durch die Bereichsleiterin angerufen und in harschem Ton gefragt, worum es denn eigentlich ginge.

  • Bei anderen die in einem Schreiben des Jobcenters an die Mitwirkungspflicht erinnert und aufgefordert wurden, Unterlagen dort abzugeben, sind die daraufhin eingesendeten Dokumente angeblich nie angekommen. Andere sind daraufhin  sogleich sanktioniertworden. Man kann’s ja mal probieren.
  • Auf eingereichte Heizkostenabrechnungen warteten die Arbeitslosen monatelang vergeblich auf einen Übernahmebescheid und aufs Geld. Waren hier etwa hungrige Papiermäuse in den Jobcentern unterwegs?
  • Will man mit seinem Sachbearbeiter telefonisch Kontakt aufnehmen, landet man nicht selten in einem Call-Center, das die Daten der Arbeitslosen aufrufen kann. Datenschutz?
  • Die freundliche Mitarbeiterin will dann der zuständigen Sachbearbeiterin eine Nachricht übersenden, worauf diese zurückrufen würde. Oft wartet man darauf aber vergebens, was dann unter Umständen dem „Hartzler“ wieder zum Nachteil ausgelegt und bei Bedarf wieder mit Sanktionen belegt wird.

Privatsphäre

Sicherlich ist eine solche den Mitarbeitern der Jobcenter gänzlich unbekannt. Plötzlich stehen unangemeldet zwei solcher „Spitzel“ vor der Tür, sie hätten einen Verdacht und wollten nachsehen, ob der  berechtigt ist. Falsche Verdächtigungen, Nötigungen und Hausfriedensbruch, Rechtsbeugung im Amt und Bedrohungen sind da nicht selten anzutreffen.

Die Liste kann bis ins Unendliche fortgesetzt werden. Sicher hat die Eine oder der Andere noch viele Beispiele zur Hand.

Als Begründung für solch fehlerhaftes Verhalten wird angegeben, bei den Jobcentern z. B. in WN gäbe es zu wenig Personal. Jeder Mitarbeiter habe im Schnitt 400 „Kunden“ im Monat zu bearbeiten. Es wären 6000 Arbeitssuchende zu betreuen und etwa 10.000 Menschen, die Leistungen erhalten würden, also 4000 Aufstocker, die zum Teil einen Vollzeitjob begleiten!

Dass auch die Mitarbeiter der Jobcenter nicht zu beneiden sind ist bestimmt jedem verständlich. Die müssen ständig wechselnde Gesetze umsetzen. Dienstanordnungen und Verfahrensvorschriften gibt es genug und es kommen monatlich unzählige neue dazu.

Wie sollen sich die Verwalter von Arbeitslosen da noch zurecht finden. Auch sie erhalten manchen „Tritt“ von ihren Chefs und den Arbeitslosen. Bestimmt sind sie um ihre Arbeitsplätze nicht zu beneiden, zumal diese Betreuer zusehen müssen, dass Geld eingespart wird und Anweisungen erhalten, dass – auf Anordnung von oben – noch mehr sanktioniert werden muss.

Warum werden keine Arbeitskräfte eingestellt? Die meisten Arbeitslosen wären sicherlich dankbar, wieder einen Job zu bekommen und die Jobcenter sitzen an der Quelle. Sie müssen nur ihre Liste von Arbeitssuchenden aufrufen. Dort finden sie bestimmt oft fähigere Leute, als einige der schon vorhandenen Sachbearbeiter. Ein solcher Job wäre aber sicherlich für manchen eher eine „Strafe“!

Heißt es nicht, die Würde des Menschen wäre unantastbar und diese zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt? Dieser Artikel des Grundgesetzes trifft weder auf Arbeitslose noch auf die Mitarbeiter der Jobcenter zu. Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: bei den Jobcentern soll noch mehr eingespart werden. Bestimmt hat heute schon mancher Sachbearbeiter/in Angst davor, wenn diese dann auf der anderen Seite ihres heutigen Schreibtisches sitzen müssen.

Aufgabe der Politiker wäre hier eine schleunigst durchgeführte Kehrtwende ihrer asozialen, ungerechten Politik. Arbeitslosen müsste eine Lobby verschafft und nicht nur der Wirtschaft in die Hände gespielt werden. Stattdessen werden diese unmenschlichen Machenschaften mit immer mehr Verletzungen des Amtseides weiter gefördert! Hat nicht unsere Kanzlerin Frau Merkel geschworen, für ALLE Menschen da zu sein und von ALLEN Schaden abzuwenden?

Fazit: Nur eine Politik mit von der Wirtschaft unabhängigen Politikern kann da noch etwas „in diesem unserem Lande“ (Helmut Kohl – ausgerechnet der!) ändern.

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Grafrikquelle   :  Pinar Selek (center) at a press conference in Strasbourg on January 25, 2013. The banner reads: „Freedom for research. Freedom for Pinar!!!“

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