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DGB – Bertelsmann

Erstellt von Redaktion am Montag 22. März 2010

Über Konflikte und mögliche Fehlentwicklungen

Birlikte - Empfang der Stadt Köln-0335.jpg

Ein sehr aufschlussreicher „Offener Brief“ aus der Gewerkschaft. Anmerkung der Redaktion DL:
Guntram Schneider ist Mitglied der SPD. IE
Siehe auch :Sause-ohne-Sozen

Lieber Guntram Schneider,

wir sind uns bewusst, dass die nachfolgenden Zeilen nicht unbedingt der richtige Tonfall sein könnte. Allerdings nehmen wir dies auch in Kauf, um von der Sache her, auf Konflikte und mögliche Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen.

Es sollte hinreichend bekannt sein, dass gerade die Bertelsmann Stiftung auf kommunaler Ebene ihre Dienste der Politik und den Verwaltungen anbietet, und dabei nicht ohne Eigennutz, ihre wirtschaftlichen Interessen mit dem Tochterunternehmen Arvato verfolgt. „Arvato soll öffentliche Verwaltungen übernehmen und damit Geld verdienen“, so die Erkenntnis der Bundesfachbereichskonferenz-Gemeinden von ver.di, die daraufhin die Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung eingestellt hat.

Darüber hinaus ist es für einen Gewerkschafter vor Ort einfach unerträglich, durch mühsame Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit gewerkschaftliche Positionen, aber auch die politischen Ziele der Bertelsmann Stiftung, dem Einzelnen in unzähligen Diskussionen verständlich zu machen, und nun mit ansehen zu müssen, wie die Früchte des wirklich kleinen Erfolges zunichte gemacht werden könnten, nur weil Gewerkschaftsfunktionäre offensichtlich die Tiefenschärfe für tatsächliche Arbeitnehmerinteressen verloren zu haben scheinen.

Zu keiner Zeit kann es von Interesse für Arbeitnehmern sein, wenn nun gerade mit der Bertelsmann Stiftung erneut eine „Kumpanei“, wie auch immer sie beschaffen sein mag, von Gewerkschaftsseite eingegangen wird. Für viele Beschäftigte wird es ein eklatanter Widerspruch zu originären gewerkschaftlichen Anliegen wie der sozialen Sicherheit oder der Verteilungsgerechtigkeit sein, wenn mit privatrechtlichen Institutionen wie der Bertelsmann Stiftung ein öffentliches Forum stattfinden wird. Die Gefahr ist für uns vorhersehbar, dass viele kritische Arbeitnehmer, aber auch andere voll im Leben stehende Menschen, eine Verbrüderung zweier unterschiedlicher Institutionen, wie sie nicht offener sein können, das Forum als eine „Politik der Verdummung“ interpretieren werden.

Arbeitnehmer haben nicht vergessen, welche sozialpolitische und auch gesellschaftliche Brisanz allein in dem Arbeitsvertragswerk der Bertelsmann Stiftung liegen könnte, wenn dieses auch nur zur Hälfte im Bundestag und Bundesrat durch gewunken wird. Die politische Konstellation ist zur Zeit gut geeignet für einen solchen Schritt.

Zur Erinnerung das Nachfolgende:
Bereits in den neunziger Jahren hat die Stiftung aus Gütersloh die Einführung von Studiengebühren vorbereitet und damit erheblich Einfluss auf MandatsträgerInnen genommen. Hierzu Die Zeit vom 08.11.2007:“Darüber hinaus hat sie an „sozialpolitischen Reformen“ in erheblichem Maße mitgewirkt, und großen Einfluss auf die Einführung von Hartz IV Gesetzen genommen. Diese Gesetzgebung stammt wie auch der Umbau der Bundesagentur für Arbeit aus der Ideenschmiede des Gütersloher Konzerns. Entscheidend sei damals gewesen, sagt die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth,“dass die Stiftung ein Ort war, an dem Politiker frei diskutieren konnten“. Dazu lieferte man in Gütersloh die passenden Informationen, und so nahm die Stiftung immensen Einfluss. Lange war das auch unumstritten. Die Stiftung fast unantastbar.“

Diese Aussage deckt sich mit Vorwürfen vieler Kritiker an der Bertelsmann Stiftung, sie sei fernab jeder demokratischen Legitimation durch den Wähler und einer parlamentarischen Kontrolle. Sie sei Initiator vieler Reformen im Sozial-, Wirtschafts-, Gesundheits- und Bildungsbereich, die von der SPD-Regierung umgesetzt wurden. Fern von der breiten Öffentlichkeit, aber nahe an politische Mandatsträger ganz in ihrem Sinne beeinflusse. Es bleibt also auch festzuhalten, nicht die MandatsträgerInnen, die vom Deutschen Volk gewählt wurden, haben diese Gesetze entwickelt, wie es eigentlich in einer offenen demokratischen Staatsform vorgesehen ist, sondern dem Anschein nach die Bertelsmann Stiftung, die nicht
vom Deutschen Volk dazu demokratisch legitimiert wurde, hat dazu den Rahmen vorgegeben.

Es wäre also eine geradezu klassische Angelegenheit für demokratisch legitimierte Gremien aus Politik und unabhängigen Fachleuten, ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetz zu schaffen, nicht aber für die Bertelsmann Stiftung, der ein Ruf vorauseilt, neoliberale Politik zum Vorteil von Arbeitgeberinteressen zu vertreten, aber keinesfalls für Arbeitnehmer. Wie weit sich die Bertelsmann Stiftung als Leitbild in die Köpfe mancher hochrangiger Politiker, Arbeitsrechtsrechtler und unter Richtern etc. offensichtlich eingeprägt hat, lässt sich aus der „Schilderung der ehemaligen Bundestagspräsidentin“ sowie an dem Umstand einer überwiegend kritiklosen Hinnahme in Bezug auf einer so einschneidenden gesellschaftlichen Veränderung wie das Arbeitsschutzrecht durch eine privatrechtliche Institution erahnen. Das muss dann doch schon sehr nachdenklich stimmen, wenn sich Politiker so offensichtlich einseitig einvernehmen lassen. Anzuraten wäre deshalb jedem Interessierten, der politischen und medialen Begeisterung besonders eingebundener Politiker und Medien, der Bundesarbeitsgerichtspräsidentin, die zur Kodifizierung des Arbeitsrechts vorschlägt: „Der Gesetzgeber könne dabei auf die umfangreichen Vorarbeiten der Kölner Professoren Martin Henssler und Ulrich Preis zurückgreifen“; des Bundespräsidenten, der auf dem 67. Deutschen Juristentag in Erfurt davon gesprochen hat, dass ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetz à la Bertelsmann zum „Segen für die Arbeitnehmer“ werden würde, mit äußerster Skepsis zu begegnen. Inhaltlich sind diese Aussagen wenig hilfreich und vom Grundgedanken einer Kodifizierung des Arbeitsrechts nicht weiterführend, da solche einseitigen Äußerungen nur an der Oberfläche kratzen und daher substanziell wenig für Laien zu bieten haben. Eine Zusammenlegung des deutschen Arbeitsrechts mag aus Sicht vieler Fachjuristen logisch und folgerichtig sein. Gleichwohl kann die Begründung nicht allein darin liegen, dass das Arbeitsrecht in vielen Gesetzen verstreut ist und infolgedessen dem Benutzer keine Klarheit und Sicherheit gibt.

Es sollte dem DGB mit seinen „noch kampfstarken Gewerkschaften“ nicht unendlich gleichgültig sein, eine Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung einzugehen. Wohin ein solcher Weg führen kann, hat überdeutlich die Bastapolitik der Schröder / Fischer Koalition gerade den Gewerkschaften vor Augen geführt. Ein Sozialdemokrat hat dem DGB aufgezeigt, wie begrenzt seine Macht ist, wenn einflussreiche Gruppierungen, Politiker wie Marionetten in einem Spiel schlecht aussehen lassen und dabei mit medialer und ungezügelter Wucht der Springerpresse mit ihren Verbündeten eskortiert werden. Das Ergebnis sollte dem DGB ein Warnsignal sein. Die SPD hat anschließend kräftig Mitglieder verloren, wovon sie sich bis
heute nicht erholt hat. Wahrscheinlich auch nicht erholen wird. Zumindest sollte der DGB einen „möglichen erkennbaren Aderlass verhindern und den beträchtlichen Widerspruch in seinem politischen Handeln auflösen.

Wir appellieren deshalb an den Deutschen Gewerkschaftsbund mit seinen Gewerkschaften auch als moralische Instanz innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft nicht zu versagen und umgehend eine Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung einzustellen. Ein solcher Schritt kann tatsächlich nur im Interesse der Arbeiternehmer liegen.
Mit freundlichen Grüßen

Manfred Steingrube
Betriebsratsvorsitzender
Engerstr. 35 – 37
33824 Werther

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Fotoquelle :© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

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