Deutschland im Indopazifik:
Erstellt von Redaktion am Dienstag 4. Mai 2021
Die Logik der Eskalation
von Uwe Hoering
Es klingt nach Routine: Mitte dieses Jahres soll die Fregatte „Bayern“ in See stechen und mehrere Monate im Indischen Ozean und im Westpazifik kreuzen. Das Bundesverteidigungsministerium will darin lediglich ein „Zeichen“ sehen: Wo Deutschlands „Werte und Interessen betroffen sind“, soll Flagge gezeigt werden. Doch dahinter steckt eine fundamentale sicherheitspolitische Neuordnung, ein Paradigmenwechsel gar. Europa will „die Sprache der Macht lernen“, wie die ehemalige Verteidigungsministerin und heutige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon im Sommer 2019 gefordert hat. Zugleich wirkt die Entsendung der Fregatte wie eine Provokation in Richtung China, die von Peking denn auch umgehend beantwortet wurde: Süffisant schreibt die regierungsnahe „Global Times“: „Wenn sie ins Südchinesische Meer kommen, können wir auch im Mittelmeer aufkreuzen.“[1]
Beim Operationsgebiet der „Bayern“ handelt es sich um eine der brisantesten Krisenregionen der Welt: Im Konflikt um die Kontrolle im sogenannten Südchinesischen Meer zwischen China, den Philippinen, Vietnam, Malaysia, Indonesien und Japan werden in letzter Zeit immer häufiger Scharmützel zwischen den Küstenwachen der Anrainerstaaten gemeldet. Aktuell gibt es Spannungen, weil mehr als 200 „Fischerboote“, vermutlich bemannt mit chinesischen Paramilizen, in philippinischen Gewässern unterwegs sind. Den Anstoß für diese Konflikte hat die chinesische Regierung 2009 geliefert, als sie eine Landkarte mit der „Nine-dash line“ vorlegte, eine recht freihändige Demarkationslinie, mit der sie territoriale Ansprüche auf 90 Prozent der Gewässer untermauert. Gleichzeitig lässt sie durch den Ausbau von Felsriffen und Sandbänken zu Militäranlagen Fakten schaffen – und verschiebt damit ihre militärischen Vorposten gegen einen möglichen Angriff der USA und ihrer Verbündeten um tausende Kilometer gen Osten. Die Entscheidung des Internationalen Schiedsgerichts in Den Haag aus dem Sommer 2016, dass ihre Position gegen UN-Seerecht verstößt, wies sie brüsk zurück.
Die „Bayern“ ist nicht allein: Auch britische, französische und niederländische Kriegsschiffe verstärken ihre Präsenz im Indopazifik im Namen der „Freiheit der Schifffahrt“. Die mächtige Pazifik-Flotte der USA ist dort schon seit längerem im Einsatz und liefert sich Revierkämpfe mit der chinesischen Marine, so wie gerade wieder Anfang April. Die Entsendung des deutschen Kriegsschiffes ist daher weit mehr als nur ein „Zeichen der Solidarität“, als das es Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer herunterzuspielen versucht: Vielmehr stellt sich die Bundesregierung damit an die Seite der konfrontativen US-Politik im Indopazifik.
Der innere und äußere Druck, sich dem Konvoi anzuschließen und beim aktuellen Great Game East wenigstens Flagge zu zeigen, ist spätestens seit der Amtszeit von der Leyens im Verteidigungsministerium spürbar, verstärkt von den meisten deutschen Medien. So hat die Bundesregierung im August vergangenen Jahres „Leitlinien zum Indopazifik“ beschlossen, mit denen sie ihre „Rolle als Gestaltungsmacht“ (AKK) bei der weltweiten Sicherstellung von „Frieden und Sicherheit“, „offenen Seewegen und Märkten“ und „freiem Handel“ beansprucht.[2] Auch andere Länder wie Frankreich und die Niederlande haben inzwischen ähnliche Strategie-Papiere veröffentlicht, während an einer gemeinsamen EU-Position noch gearbeitet wird. Ernsthafte Beobachter bezweifeln allerdings, dass die Freiheit der Schifffahrt durch China gegenwärtig tatsächlich bedroht ist – als mächtigste Handelsnation der Welt läge das nicht in ihrem Interesse.
Gerechtfertigt wird das europäische Engagement mit der wachsenden weltwirtschaftlichen Bedeutung der Region. Durch den Indischen Ozean, die südostasiatischen Gewässer und den Westpazifik verlaufen die wichtigsten Handelsrouten zwischen Asien und Europa und rund 40 Prozent des Außenhandels der EU, unter anderem mit ihrem inzwischen zweitwichtigsten Handelspartner China. Das Interesse gründet aber auch darauf, dass für die Region die stärkste Erholung nach der Corona-Pandemie vorhergesagt wird. Außerdem wird erwartet, dass durch die Diversifikation der Produktion in China – gleichermaßen eine Folge des Handelskriegs mit den USA wie der chinesischen Modernisierungsstrategie – die wirtschaftliche Rolle und Bedeutung der Nachbarländer weiter aufgewertet wird.
Dementsprechend bemühen sich europäische Länder und die EU, ihre wirtschaftliche und politische Präsenz in der Region zu stärken, zumal China mit dem regionalen Wirtschaftsabkommen RCEP einen bedeutenden wirtschaftlichen Punktsieg errungen hat. Dadurch wird ein gemeinsamer Wirtschaftsraum von 2,2 Milliarden Menschen mit einem Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung geschaffen, in den drei der vier führenden asiatischen Volkswirtschaften – China, Japan und Südkorea – erstmalig gemeinsam eingebunden sind.
Eilig schlossen die EU und China daher Ende vergangenen Jahres das europäische Comprehensive Agreement on Investment (CAI) ab, vorangetrieben vor allem von der Bundesregierung. Darin verspricht Peking, den Zugang für Investoren zu verbessern, Asymmetrien zwischen europäischen und chinesischen Unternehmen abzubauen und die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens sowie von internationalen Vereinbarungen zu Arbeitsrechten und gegen Zwangsarbeit voranzubringen. Zudem verstärkt die EU ihre Bemühungen um bilaterale Handelsverträge: Mit Japan, Singapur und Vietnam wurden Freihandelsabkommen abgeschlossen, mit Australien, Neuseeland und der Regionalorganisation ASEAN sind Verhandlungen im Gange. Auf der europäischen To-do-Liste stehen zudem die schwierigen Verhandlungen mit dem eher widerspenstigen Indien: Neu-Dheli wird auch von Großbritannien umworben, das nach dem Brexit seinen globalen Ambitionen frönt – oder, wie manche Beobachter spotten: seinen Illusionen einer Rückkehr des British Empire.
Eskalierende Systemkonkurrenz?
Jedoch steht noch mehr auf dem Spiel: Längst ist das Südchinesische Meer ein Schauplatz des von den USA und inzwischen auch von der EU ausgerufenen „Systemkonflikts“ geworden, der auch um die Corona-Pandemie, die chinesische Einverleibung von Hongkong oder die Digitalisierung ausgefochten wird. Seit der Finanzkrise 2008, aus der die USA geschwächt und China gestärkt hervorgingen, reagiert Washington auf Pekings geopolitisches Selbstbewusstsein zunehmend konfrontativ, was unter der damaligen Außenministerin Hillary Clinton euphemistisch als „Hinwendung nach Asien“ („Pivot to Asia“) bezeichnet wurde.[3] Und bislang setzt auch der neue US-Präsident Joe Biden auf einen solchen Kurs, wenn auch konzilianter im Ton als sein Vorgänger Donald Trump und eingebettet in Bündnisse.
Die Armada, an der die „Bayern“ jetzt beteiligt ist, soll unter Führung der USA die „regelbasierte Ordnung“ und die Gültigkeit „gemeinsamer Werte“ unterstreichen – und China in die Schranken weisen. Ministerin Kramp-Karrenbauer verglich Pekings Ansprüche im Mai vergangenen Jahres bereits mit dem Vorgehen Russlands in der Ukraine: „Einige Ereignisse im Indopazifik sollten wir genauso bewerten“, wird sie unter anderem vom „Handelsblatt“ zitiert[4] – was immerhin den Widerspruch des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich hervorrief.
Mit der Kreuzfahrt der „Bayern“ gen Osten sendet die Bundesregierung allerdings ein äußerst problematisches Signal – und das gleich in mehrfacher Hinsicht: Sie beteiligt sich nicht nur an der aggressiven Eindämmungsstrategie der USA, sondern unterstützt zugleich Bestrebungen von Frankreich und Großbritannien, an hegemoniale Ambitionen aus ihrer kolonialen Vergangenheit anzuknüpfen. Präsident Emmanuel Macron will Frankreich als indopazifische Macht profilieren und suchte dafür unter anderem die herzliche Umarmung mit Indiens fundamentalistisch-autoritärem Premierminister Narendra Modi. Und auch Post-Brexit-Großbritannien strebt in die Region und versucht dabei den Spagat, gleichzeitig Indien, einst das Kronjuwel des britischen Empire, und dessen Rivalen China zu hofieren. Wirtschaftliche Interessen führen dabei zu geopolitischer Expansion – ein Vorwurf, der ansonsten China gemacht wird. Die Assoziation mit kolonialer Kanonenboot-Politik liegt nahe. Schon wird vor einem neuen Kalten Krieg zwischen Ost und West gewarnt.
Quelle : Blätter >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — USS Ronald Reagan traveling through the Straits of Magellan, to San Diego, CA, in a transfer move.
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Unten — Karte der territorialen Ansprüche im Südchinesischen Meer.
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