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Der Zug an die Börse

Erstellt von Redaktion am Samstag 28. Juli 2018

Deutsche Bahn: Der Zug an die Börse

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von Tim Engartner

Sage und schreibe mehr als 40 000 Züge rollten nicht aus ihrem Abfahrtsbahnhof. Weitere 97 000 Züge verließen ihn, erreichten aber ihren Zielbahnhof nicht – und damit entfielen rund ein Prozent aller Zugverbindungen. So sah die Bilanz der Deutschen Bahn AG (DB AG) im vergangenen Jahr aus. Und obwohl diese Zugausfälle nicht in die Pünktlichkeitsstatistik einfließen, erreichen noch immer nur drei von vier Fernzügen ihr Ziel pünktlich, fährt das „Unternehmen Zukunft“ hierzulande jeden Tag rund 8 000 Stunden Verspätungen ein.

Auf geradezu ironische Weise löst der zum Global Playeraufgestiegene Konzern, der inzwischen in 130 Staaten zu Lande, zu Wasser und in der Luft tätig ist, damit sein Werbeversprechen ein: „Ganz gleich, welche Strecken Sie mit uns zurücklegen. Kurze. Mittlere. Lange. Wir verwandeln Entfernungen in Erlebnisse.“ Wer überfüllte Waggons, nicht ausgewiesene Reservierungen, geschlossene Bordbistros und defekte Toiletten als „Erlebnis“ begreift, kommt derzeit wahrlich auf seine Kosten. Kommt der Zug dann noch auf freier Strecke aufgrund einer Signalstörung, wegen eines „vorausfahrenden Zuges“ oder infolge eines Oberleitungsschadens zum Halten, wächst sich das Erlebnis endgültig zum Abenteuer aus.

Einen Grund liefern die rund 800 Baustellen, die derzeit den Bahnverkehr lähmen – so beispielsweise auf den Hauptverkehrsstrecken Köln–Düsseldorf, Stuttgart–Pforzheim und Dortmund–Hamm. So positiv es zu werten ist, dass allein im laufenden Jahr 9,3 Mrd. Euro in die Schieneninfrastruktur investiert werden, so massiv fallen die Verspätungen aus. Auf zahlreichen Strecken werden die Gleisneu-, -aus- und -umbauten in den kommenden Monaten zu Verzögerungen von bis zu 30 Minuten führen – ein insbesondere für Bahnpendler und Urlaubsreisende gravierendes Ärgernis. Dabei ist das „Jahrzehnt der Baustellen“, das allein den Zugreisenden in Nordrhein-Westfalen rund 1000 baubedingte Langsamfahrstellen, Umleitungen oder Vollsperrungen bescheren wird, das Ergebnis einer seit den 1990er Jahren vom DB-Vorstand verfolgten Sparpolitik zu Lasten des heimischen Schienenverkehrs.

Dessen ungeachtet preist der im März 2017 ins Amt gehobene Bahnchef Richard Lutz gemeinsam mit seinem Chef-Lobbyisten Ronald Pofalla (CDU) weiterhin den globalen Transportchampion, der inzwischen weltweit sowohl mit Logistikdienstleistungen als auch mit Bahnhofs-, Gleis- und Trassenbauten aufwartet. So konzentriert sich die DB AG als internationaler Mobilitäts- und Logistikdienstleister auf Frachttransporte zwischen Dallas, Delhi und Den Haag statt auf die mit mehreren Milliarden Euro pro Jahr subventionierte Beförderung von Fahrgästen zwischen Delmenhorst, Dinslaken und Düren. Nahezu zwei Drittel seines Umsatzes erzielt der einst größte Arbeitgeber der Bundesrepublik inzwischen mit bahnfremden Dienstleistungen. Statt auf den inländischen Schienenverkehr setzt der Global Player auf profitable Fluggesellschaften (BAX Global), Lkw-Speditionen (Hugo Stinnes GmbH), Fuhrparks (Bundeswehr) oder auch den Ausbau des Schienenverkehrs in Indien und Saudi-Arabien.

Dabei ist der Bedarf an schienengebundenem Verkehr gigantisch: Rund sieben Millionen Fahrgäste transportiert die DB AG nach eigenen Angaben jeden Tag.[1] Damit hat der letzte große deutsche Staatskonzern innerhalb von 20 Tagen mehr Kunden an Bord als die Deutsche Lufthansa AG mit ihren Tochtergesellschaften Eurowings, Austrian Airlines und Swiss International Air Lines binnen eines Jahres.

Im Zeichen des Spardiktats: Die Abkehr von der Bürgerbahn

Seit der Ära Hartmut Mehdorns, dessen Schreibtisch Bulle und Bär als Börsensymbole zierten, wird das Bahnsystem jedoch durch eine gezielte Sparpolitik gegenüber dem Straßenverkehr benachteiligt. Ziel ist es, die „Braut“ namens DB AG für den womöglich nur aufgeschobenen, nicht aber aufgehobenen Börsengang aufzuhübschen. Wie sonst ist zu erklären, dass der ehemalige Vorstandsvorsitzende Rüdiger Grube bereits 2015 ankündigte, entlang der Trassen massiv zu roden, damit nicht bei jedem Unwetter Bäume aufs Gleis stürzen, durch das Sturmtief „Friederike“ am 18. Januar 2018 dann jedoch der Fahrplan im gesamten Bundesgebiet für mehrere Tage aus dem Takt geriet? Nach wie vor wartet der „Aktionsplan Vegetation“ auf seine Umsetzung, werden Büsche, Sträucher und Bäume nicht ausreichend gestutzt.

Offenkundig sind die Risiken in Vergessenheit geraten, die mit der mangelhaften Wartung von Trassen und Zügen einhergehen. Dabei hätte die vom Privatisierungsdiktat geprägte Sparpolitik nach dem berüchtigten „Radsatzwellenbruch“, durch den am 9. Juli 2008 bei der Einfahrt in den Kölner Hauptbahnhof ein ICE neusten Typs entgleiste, längst ein Ende finden müssen. Allein aufgrund der niedrigen Geschwindigkeit des Zuges kam es nicht zu einem Unglück wie 1998 im niedersächsischen Eschede, als bei dem schwersten Bahnunglück in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 101 Menschen ums Leben kamen. Täglich lässt die Wartung des rollenden Materials allerdings zu wünschen übrig: Immer häufiger müssen Fahrgäste in nicht gereinigten Zügen Platz nehmen, werden die Mülleimer und Toiletten im laufenden Betrieb von Reinigungskräften nur notdürftig gesäubert, fahren die Züge in umgekehrter Reihenfolge in den Bahnhöfen ein.

Datei:Frankfurt Am Main-Hauptverwaltung Deutsche Bahn AG-Ansicht vom Messeturm-20130525.jpg

Längst trägt die von Bahn-Chef Lutz betriebene Politik die Handschrift der Haus- und Hof-Unternehmensberatung McKinsey, die für einen hohen zweistelligen Millionenbetrag das Aktionsprogramm „Zukunft Bahn“ entworfen haben soll.[2] Die Folgen der beharrlichen Kapitalmarktorientierung sind nicht zu übersehen: die Wandlung zu einem international agierenden Mobilitäts- und Logistikkonzern, in deren Folge nur noch 40 Prozent des Unternehmensgewinns mit dem heimischen Schienenverkehr erzielt werden; der bundesweit verfolgte Verkauf bahneigener Liegenschaften (insbesondere von Bahnhofsgebäuden und Güterbahnflächen); die nicht mehr sozialverträgliche Tarifpolitik; der umfassende Personalabbau sowie der mit den Ökonomisierungsbestrebungen verbundene Bedeutungsverlust der DB AG im intermodalen Wettbewerb. Hinzu kommt, dass seit 1990 rund 100 Städte mit mehr als 20 000 Einwohnern zumindest teilweise vom Fernverkehr abgekoppelt wurden, darunter nicht wenige Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern. Auch der Nacht- und Autozugverkehr wurde in den vergangenen Jahren zurückgefahren oder gar aufgegeben, obwohl viele Verbindungen trotz des veralteten und wenig komfortablen Wagenmaterials noch immer stark nachgefragt waren.

Zwar stieg die Zahl der Fahrgäste seit der 1994 eingeleiteten Bahnreform um mehr als 50 Prozent, bei genauerer Betrachtung verblassen die Erfolge der DB AG jedoch. So werden die Schulden zum Ende des Jahres 2018 auf rund 20 Mrd. Euro klettern. Aus diesem Grund will das Management nicht nur weitere Bahnhofsgebäude und Güteranschlüsse schließen, sondern auch weitere Arbeitsplätze im Infrastrukturbereich abbauen – ungeachtet des seit einem Vierteljahrhundert anhaltenden Rückzugs der Bahn aus der Fläche und der damit verbundenen Verlagerung des Verkehrs auf immer vollere Straßen.[3] Damit ignoriert das DB-Management zugleich im stillschweigenden Einverständnis mit der Bundesregierung den Ausstoß von Millionen Tonnen zusätzlicher CO2-Emissionen.

Die französische SNCF: Auf den Spuren der Deutschen Bahn

Quelle     :       Blätter >>>>> weiterlesen

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Grafikquellen  :

Oben  —   Regionalexpress der Deutschen Bahn AG verlässt den Bahnhof Maschen südwärts; angeschoben von DB 143 174.

Source Own work
Author User:Wiki-observer

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Unten    —     Frankfurt am Main: Hauptverwaltung Deutsche Bahn AG, vom Messeturm gesehen

Ich, Roland Meinecke (Roland Meinecke) bin der Autor dieses Bildwerkes, und ich veröffentliche es hiermit unter den unten beschriebenen Lizenzen.

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