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RENTENANGST

Der Welpe in der Krippe

Erstellt von Redaktion am Montag 22. Dezember 2014

Ein Massengrab der Reisefreiheit

Autor: U. Gellermann

Rationalgalerie

Datum: 22. Dezember 2014

Die heilige Seite Eins einer Zeitung, die Visitenkarte, das Signal an den Leser, der Ausweis journalistischer Arbeit. Jüngst auf der Seite Eins der WELT, jenem Blatt, das beim Springer-Verlag das Feigenblatt der Seriosität sein soll: Eine Schicksalsnachricht! Einem Kanadier ist die Freundin weggelaufen! Mit ihr wollte er eine Weltreise machen! Das bezahlte Ticket mochte er nicht verfallen lassen. Jetzt musste eine neue Dame her. In Terrorkriegszeiten kann man nicht einfach umbuchen, also musste die Neue genau so heißen wie die Alte. Und er hat sie gefunden, die Neue. Weltweites Aufatmen.

Dass auch die anderen Springer-Blätter in einer geschlossenen Phalanx der Informations-Freiheit diese Nachricht in die gespannt wartende Welt brüllten, versteht sich. Doch selbst die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, die FRANKFURTER RUNDSCHAU und der Sender NTV, Medien von anerkannter Bedeutung, machten sich das titanische Ringen eines Kanadiers um die Reise- und Buchungsfreiheit zu eigen. Die berühmte FAZ, Quell und Hort publizistischer Sorgfalt, setzte sich an die Spitze der Reise-Freiheits-Bahnbrecher. Neben zwei, die Herzen schmelzenden Fotos von einem Mann und einer Frau, durfte der durchreisende Kanadier den Medien sagen: „Menschen aller Nationalitäten schrieben mir, wie gern sie reisen würden, aber aus finanziellen oder gesundheitlichen Gründen nicht dazu in der Lage sind.“ Also habe er die Wohltätigkeitsorganisation „A Ticket Forward“ gegründet, die es Menschen in finanzieller Not oder mit gesundheitlichen Einschränkungen ermöglichen will, eine Reise zu unternehmen. Ein Reisemärchen im Advent.

Sie kamen aus vielen Ländern Afrikas, die mehr als 20.000 Menschen, die seit dem Jahr 2000 vor europäischen Küsten bei ihrer Reise in ein anderes, besseres Leben den Tod fanden. Nicht selten wurde ihnen von der EU-Organisation FRONTEX die Weiterfahrt auf der See unter Gewaltandrohung verweigert. Das hat für viele von ihnen das Ertrinken bedeutet. „Wir hatten nur noch drei Tage zu fahren, da hat uns ein Polizeischiff aufgehalten. Sie wollten uns kein Wasser geben. Sie haben gedroht, unser Boot zu zerstören, wenn wir nicht sofort umkehren. Wir waren fast verdurstet und hatten auch Leichen an Bord. Trotzdem mussten wir zurück nach Senegal.“ Das berichteten Flüchtlinge aus dem Senegal in die Kamera des ZDF.

FRONTEX: Das ist eine bewaffnete Polizeiformation, die von der EU finanziert, die Reise von Flüchtlingen nach Europa stoppen soll. Das jährlich steigende Budget der Behörde betrug 2011 mehr als 88 Millionen Euro. Über 20 Flugzeuge, 25 Hubschrauber und 100 Boote verfügt das Kommando gegen Reisefreiheit. Diese Armada der Menschenrechtsverletzung operiert auch gern außerhalb der 12-Meilenzone und begeht faktisch Piraterie. Tatsächlich raubt sie aber nichts. – Nur das Leben. Der deutsche Innenminister de Maizière sorgt sich: „Aber die Vorstellung, dass Frontex mit den bescheidenden Mitteln, die Frontex noch hat, die Aufgaben der italienischen Marine übernimmt, die halte ich auch für unrealistisch.“ Der hauptamtliche Apostel der Freiheit, Bundespräsident Gauck, hat den Namen FRONTEX noch nie in den Mund genommen.

Sorgfältig erzählen uns die Qualitätsmedien, dass im Fall der kanadischen Weltreise der Mann und die gefundene Ersatz-Freundin getrennte Hotelzimmer haben. Die Moral muss stimmen. Immerhin hat die Dame „eine ziemlich ernsthafte Beziehung mit meinem Freund. Wir sind eine Weile zusammen. Wir wollen ein Haus kaufen und haben einen Welpen“. So geht die moderne Weihnachtsgeschichte: Keine Engel aber ein Welpe in der Krippe. Und wie der Stern von Bethlehem leuchtet „A Ticket Forward“ an einem Himmel, der sich auch über dem Mittelmeer wölbt, jenem Massengrab der Reisefreiheit. Die Moral muss stimmen auf der Seite Eins: Auflage macht das Süßliche, die brutale Wirklichkeit ist eher abträglich.

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Fotoquelle: Wikipedia – Author Ralf Roletschek (talk) – Fahrradtechnik auf fahrradmonteur.de

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