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Der verführte Feminismus

Erstellt von Redaktion am Freitag 9. März 2018

Feminismus und Kapitalismus – eine »unglückliche Ehe«?

von Nina Power

In Theorie und Praxis marxistischen und postmarxistischen Denkens ist etwas in Bewegung geraten: Ältere Auffassungen von Arbeit und Arbeitsorganisation werden zunehmend infrage gestellt, denn ein Großteil der verrichteten Arbeit besteht heute in Dienstleistungen, nicht zuletzt in Gestalt affektiver und emotionaler Arbeit, und auf dem Arbeitsmarkt überwiegen Frauen. Angesichts dessen stellt sich die Frage, wie der Arbeitsbegriff so erweitert werden kann, dass er diese Aspekte mit einbezieht. Um zu einer angemesseneren und fundamental feministischen Analyse der Arbeit zu gelangen, lohnt ein Blick auf die feministischen Debatten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die diese Themen lange und intensiv behandelt haben. Ein erweiterter Arbeitsbegriff, der Care – Sorgearbeit – angemessen berücksichtigt, ist überfällig.

Worum es hier geht, ist die Frage der Hege und Pflege im umfassenden Sinn: die Gesamtheit der Arbeit, die – bezahlt und unbezahlt – geleistet wird, um das Leben überhaupt zu ermöglichen. Die Unterminierung, ja Leugnung der Rolle, die Frauen dabei übernehmen, gehört zu den bestimmenden Eigenschaften des Kapitalismus. Der Philosophin Silvia Federici zufolge sollte Reproduktion als die „Gesamtheit der Tätigkeiten und Beziehungen verstanden werden, durch die unser Leben und unsere Arbeitskraft tagtäglich rekonstituiert werden“, will sagen: alles, was das Leben überhaupt erst möglich macht und alles, was seiner fortwährenden Erhaltung dient. Reproduktion ist in diesem weit gefassten Verständnis die Sphäre, in der die inhärenten Widersprüche der entfremdeten Arbeit am „explosivsten“ sind.

Für die feministische Analyse der sozialen Reproduktion ist „Sorge“ eine Zentralkategorie. Der Doppelcharakter der Reproduktionsarbeit, von dem Federici spricht, bedeutet, dass soziale Reproduktion nicht schlicht und einfach Arbeit im Dienste des Kapitals leistet, sondern manchmal auch im Widerspruch zu diesem steht. Erzwungene oder als Pflicht eingeforderte Sorge ist problematisch – also emotionale Arbeit unter Zwang: Tu dies, weil Du eine Frau bist und man erwartet, dass Du dich kümmerst. Aber Sorgegemeinschaften, die selbstständig arbeiten und sich des Drucks impliziter wie expliziter Reproduktionsanforderungen bewusst sind, sind per se widerständig, eben weil sie sich nicht der Logik erzwungener Vereinzelung und individueller Eigenpromotion unterwerfen, die ihnen Arbeitsmarkt und Konsumkultur ansonsten abverlangen.

Doch wie kann man Abhilfe schaffen, wenn es einen allgemeinen Mangel an Care, an Sorge gibt? Federicis jüngste Studien zur Altenbetreuung zeigen eine instabile Verlagerung der Sorgearbeit für ältere Menschen auf die Schultern von Frauen, auf Familienmitglieder wie auch auf schlecht bezahlte und schlecht behandelte Arbeitskräfte aus anderen Ländern. Die Tatsache, dass Fragen der Altenbetreuung international nicht gerade „oben auf der Agenda der Bewegungen für soziale Gerechtigkeit und der Arbeiterbewegungen stehen“,  ist ein ernstes Problem und bleibender Ausdruck einer Art Fetischisierung von Lohnarbeit und Lohnempfängern sowie der individuellen Erwerbsbiographie. Jenseits des Arbeitslebens, im Ruhestand, ist der Mensch sowohl für Regierungen wie für die marxistische Linke quasi nicht länger existent. Die menschliche Sorge durch Maschinen – in Gestalt von Robotern oder Bildschirmen – zu ersetzen, ist eindeutig keine Lösung: Reproduktionsarbeit lässt sich, allen futuristischen Phantasien zum Trotz, nicht automatisieren.

Das emanzipatorische Potential der Lohnarbeit

Auch deswegen finden heute zwei lange umkämpfte Positionen eine eigenartige Resonanz. Da ist erstens die Vorstellung „autonomer“ Marxisten, Hausarbeit schaffe Mehrwert – entweder „direkt oder indirekt“, wie Kathi Weeks sich ausdrückt. Damit einher geht die Forderung nach ökonomischer Anerkennung des Wertes, den diese Arbeit schafft. Das geschieht nicht etwa, um Hausarbeit als solche aufzuwerten, sondern um den Blick auf die Art und Weise zu richten, wie das Lohnarbeitsverhältnis im Rahmen des Kapitalismus funktioniert und wie dieser auf enorme Mengen unbezahlter  Frauenarbeit angewiesen ist. Federici formuliert den Sachverhalt so: Wir haben es mit einem gesellschaftlichen Produktionssystem zu tun, „das Produktion und Reproduktion des Arbeiters nicht als sozioökonomische Aktivität und als Quelle der Kapitalakkumulation anerkennt, sondern stattdessen als natürliche Ressource oder individuelle Zuwendung mystifiziert und zugleich von der kategorischen Nichtentlohnung solcher Arbeit profitiert.“

Die Grundsatzkritik am Zwang zu arbeiten,der „Kampf darum, nicht arbeiten zu müssen“ steht im Zentrum der aus dieser Sichtweise erwachsenden Kampagne: „Wenn Männer eine Arbeit verweigern, halten sie sich für militant, aber wenn wir unsere Arbeit verweigern, halten die selben Männer uns bloß für nörgelnde Ehefrauen.“ Das Spannungsverhältnis zwischen der Forderung nach Anerkennung und Wertschätzung nicht entlohnter Arbeit einerseits und der Forderung, häuslicher oder außerhäuslicher Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen grundsätzlich ein Ende zu bereiten, andererseits besteht seit jeher. In „Wages against Housework“ schreibt Federici: „Die Entlohnung von Hausarbeit zu fordern bedeutet nicht, dass wir sie gegen Bezahlung weiterhin verrichten. Es bedeutet genau das Gegenteil.“

Dem entgegen steht, zweitens, die Vorstellung, dass Frauen um entlohnte Beschäftigung kämpfen sollten, und/oder der Hinweis, dass Frauen seit eh und je typische Hausarbeit gegen Bezahlung verrichten. So stellt etwa Angela Davis fest: „In den Vereinigten Staaten leisten farbige Frauen – und besonders schwarze Frauen – seit Jahrzehnten entlohnte Hausarbeit. […] Putzfrauen, Haushaltshilfen, Dienstmädchen – diese Frauen wissen besser als irgendwer sonst, was es heißt, für Hausarbeit bezahlt zu werden.“ Darüber hinaus betont Davis, dass der Kampf um gleichen Zugang zu bezahlter Beschäftigung ein revolutionäres Potential besitzt, weil es der Arbeitsplatz ist, an dem die Beschäftigten sich gemeinschaftlich organisieren können, um Ausbeutung zu bekämpfen. „Im Kapitalismus bergen Kampagnen für Jobs, in denen Frauen auf der gleichen Basis entlohnt werden wie Männer, in Verbindung mit Kampagnen für soziale Einrichtungen – wie subventionierte öffentliche Gesundheitsversorgung – ein explosives revolutionäres Potential.“

Das liberal-feministische Plädoyer für einen besseren Zugang zur Berufstätigkeit als Maßstab der Gleichberechtigung ähnelt oberflächlich der Position von Angela Davis: Beide betonen, bezahlte Arbeit sei der entscheidende Hebel zur Durchsetzung der definitiven Gleichstellung von Frauen und Männern. Allerdings tendiert die liberal-feministische Haltung zur Lohnarbeit dazu, diese als Selbstzweck und als individuelle Errungenschaft zu verstehen, ohne deren ausbeuterischen Charakter im Kapitalismus infrage zu stellen. Angela Davis hingegen sieht Lohnarbeit und die Organisierungsmöglichkeiten, die sie eröffnet, als den Schauplatz revolutionärer Selbstorganisation und Emanzipation der Arbeitenden.

Die Feminisierung der Arbeit: Das verborgene Terrain der Ausbeutung

Aber ist der Optimismus hinsichtlich des emanzipatorischen Potentials der (Lohn-)Arbeit wirklich begründet – sei es in der liberal-feministischen Variante (Befreiung durch Partizipation) oder in der marxistisch-feministischen, die den Arbeitsplatz als Dreh- und Angelpunkt für die Organisation der Arbeiterklasse sieht? Die Ausbeutung, die den Kern der kapitalistischen Lohnarbeit ausmacht, ist in den letzten Jahrzehnten ja nicht verschwunden, sondern hat im Gegenteil noch zugenommen. Gleichzeitig aber heißt es, die Arbeit als solche sei in vielen Teilen der Welt oder in bestimmten Sektoren weiblicher geworden. Doch worum handelt es sich bei dieser „Feminisierung“ der Arbeit? Oft heißt es, Arbeit habe zunehmend Eigenschaften angenommen, die traditionell mit Frauen assoziiert werden – Kommunikation, Service- und Sorgearbeit oder das, was Arlie Russell Hochschild „Emotionsarbeit“ nennt.

Die Theorien über die Feminisierung der Arbeit weisen Gemeinsamkeiten mit anderen aktuellen Arbeitstheorien auf: affektive Arbeit, kognitiver Kapitalismus etc., wie sie insbesondere Michael Hardt und Antonio Negri vertreten haben. Diese Beschreibungen versuchen, etwas vom postfordistischen Wesen zu erfassen, das Arbeit heute großenteils kennzeichnet. Die so verstandene Arbeit stellt unter anderem Anforderungen an Wissen, Sprachkenntnisse, emotionale Kompetenzen und die Bereitschaft, sich auf eine Verwischung der Grenze zwischen Leben und Arbeit einzulassen. Was einst ganz der Privatsphäre zugewiesen wurde – Liebe, Freizeitverhalten, Persönlichkeit –, zählt zunehmend als Ressource, die Arbeitgeber ausbeuten, um ihren Kunden den besten Service zu bieten. So wird nicht nur die Arbeitskraft, sondern auch die Seele gekauft. Gleichzeitig ist der Wunsch nach einer Life-Work-Balance (sofern man an der Illusion festhält, es handele sich da um voneinander getrennte Sphären) in flexible Arbeit umgemünzt worden, bei der besonders Frauen schlechter bezahlt und mit weniger Arbeitsstunden ausgestattet werden. Damit erweist sich das Verhältnis zwischen Feminismus und Lohnarbeit als „unglückliche Ehe“. Die großen Erwartungen, die letztere geweckt hatte, wurden nicht eingelöst: Statt eines erfüllteren Lebens ermöglicht die Lohnarbeit dessen verstärkte Ausbeutung.

 

Viele Debattenbeiträge behandeln Arbeit unter dem Aspekt ihrer Prekarität. Dieser Begriff soll vieles von dem erfassen, was in heutigen Beschäftigungsverhältnissen verloren geht oder zu gehen scheint – Jobsicherheit, Rente, Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und anderes mehr. Arbeit wird zunehmend als fragmentarisch betrachtet, als unsicher und auf Teilzeitarbeit reduziert.

Das zieht die Vorstellung nach sich, die Arbeiterklasse sei sozusagen umgesiedelt und geografisch erheblich mobiler geworden. Manche feministischen Stimmen stellen allerdings die Originalität der Prekaritätsthese und insbesondere deren Übernahme durch Theoretiker wie Hardt und Negri infrage. Letztere zählen zu den Vorkämpfern einer solchen Sichtweise, insbesondere durch die Einführung des Begriffs der Multitude. Dieser soll das amorphe Verhältnis zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit erfassen sowie die die konstitutive Qualität der Kompetenzen, die in heutigen Arbeitsverhältnissen ausgebeutet werden, nämlich die Netzwerkkompetenz und die Fähigkeit, mit Sprache und Information umzugehen. „Der Begriff der ‚Multitude‘“, konstatiert Federici, „suggeriert, dass alle Unterschiede, alle Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse verschwunden oder politisch nicht mehr relevant sind. Doch das ist offenkundig eine Illusion. Einige Feministinnen haben darauf hingewiesen, dass prekäre Beschäftigung kein neues Phänomen ist. Frauen hatten immer ein prekäres Verhältnis zur Lohnarbeit.“ Die zeitgenössische Theoriebildung in Sachen Arbeit scheint erst allmählich auf den Stand feministischer Erkenntnisse von vor vierzig Jahren zu kommen: Die Vorstellung von Prekarität ist etwas, das schon das Verständnis von weiblicher Arbeit in früherer Zeit bestimmte. Federici argumentiert, solange der feministische Arbeitsbegriff nicht ins Zentrum unseres allgemeinen Verständnisses davon rücke, was Arbeit sei, könne keine der eingetretenen Transformationen wirklich begriffen werden: „Die Negrische Theorie prekärer Arbeit ignoriert einen der wichtigsten Beiträge feministischer Theorie und Praxis oder weicht diesem aus, nämlich der Erkenntnis, dass die unbezahlte Reproduktionsarbeit der Frauen eine Schlüsselressource der kapitalistischen Akkumulation ist. Indem sie Hausarbeit als ARBEIT redefinierten, also nicht als Privatsache, sondern als die Arbeit, die Arbeitskraft überhaupt erst produziert und erhält, haben Feministinnen ein neues, entscheidend wichtiges Feld der Ausbeutung entdeckt, das von Marx und der marxistischen Theorie vollständig ignoriert worden ist.“

Federici hat Recht, wenn sie Frauenarbeit und insbesondere die Erwartung, dass Frauen enorme Mengen unbezahlter Arbeit verrichten, als das verborgene Terrain der Ausbeutung bezeichnet: Wer heutzutage über affektive und prekäre Arbeit schreibt, wäre gut beraten, genau hierauf zu achten. Ihre Analyse kann allenfalls um die Aussicht ergänzt werden, dass zukünftig von jedem Menschen erwartet werden wird, mehr unentgeltliche Arbeit zu verrichten – in der ganzen Bandbreite von Praktika bis zu unbezahlten Überstunden. Die Feminisierung der Arbeit geht überdies mit der Vorstellung einher, dass jegliche Arbeit schließlich an die – historisch gesehen – schlimmsten Aspekte der Frauenarbeit erinnern wird: also (wenn überhaupt) schlecht bezahlte Arbeit, schreckliche Arbeitsbedingungen, verklärt durch die Einbildung, all dies tue frau letztlich aus Herzensgüte heraus.

Quelle    :    Blätter        >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben    —   Art+Feminism 2017 im Smithsonian American Art Museum

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