Der unbemerkte Denkfehler
Erstellt von Redaktion am Montag 18. November 2019
Der Ursprung der Klimakrise liegt in der Geschichte von Kolonialis-, Kapitalis-mus und Industrialisierung
Von Imeh Ituen und Rebecca Abena Kennedy-Asante
Sie sind Mitglieder des Klimaschutzkollektivs „BIPoC Environmental and Climate Justice Berlin“. Am Dienstag, den 19. 11., findet eine Diskussion zum Thema in der taz Kantine statt: „Wie ‚weiß‘ sind die Klimaproteste?“
as Jahr 1492 markiert den Zeitpunkt, zu dem die ersten europäischen Schiffe auf der Suche nach Gold in den Amerikas ankamen. Während in Europa diskutiert wurde, ob die Bewohner*innen der kolonisierten Regionen eine Seele hätten, wurde die Indigene Bevölkerung durch Gewaltherrschaft, Ausbeutung und mitgebrachte Krankheiten dramatisch reduziert. Darauf folgte der Ausbau der bereits 1441 begonnenen transatlantischen Verschleppung von vielen Millionen versklavten, afrikanischen Menschen, die in den Amerikas Zucker, Baumwolle und Tabak anbauten. Das System breitete sich über die Kontinente aus, mit dem immer gleichen Mechanismus: bei den kolonisierenden Regionen (fortan Globaler Norden) fiel materieller Reichtum an, und die kolonisierten Regionen (fortan Globaler Süden) zahlten dafür mit Genoziden und Ökosystemkollaps.
In dieser verwobenen Geschichte von Kolonialismus, Kapitalismus und Industrialisierung liegt auch der Ursprung der Klimakrise. Extremwetterereignisse wie Dürren und Ernteausfälle nehmen von Jahr zu Jahr zu. Szenarien, vor denen viele in Deutschland derzeit bangen, haben Menschen und Ökosysteme im Globalen Süden bereits mehrfach durchlebt.
Dass Klimawandel ein dringliches Thema ist, bei dem die Verantwortung Verursachender und Betroffener weit auseinander liegt, ist mittlerweile fast im deutschen Mainstream angekommen. Begriffe wie Klimagerechtigkeit oder Umweltrassismus werden geläufiger. Doch der Denkfehler, der dem Begriff anthropogener, also menschengemachter Klimawandel innewohnt, bleibt nahezu unbemerkt. Länder des Globalen Nordens sind für mehr als zwei Drittel der historischen Treibhausgasemissionen verantwortlich, Länder des Globalen Südens sind allerdings zwei bis drei Mal verletzlicher gegenüber Klimawandelfolgen. Bereits diese Zahlen sind Indiz dafür, dass die Klimakrise nicht von allen Menschen gleichermaßen verursacht wird. Nicht nur, dass es vor allem Länder des Globalen Nordens sind, die für die historischen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind und von ihnen profitiert haben – auch der Prozess, in dem diese Emissionen zustande kamen, ist von Gewalt gezeichnet. Die Forscherin Françoise Vergès spricht daher nicht vom Anthropozän, sondern vom rassistischen Kapitalozän.
Eine gute Gelegenheit, das System neu zu denken – doch viele der Lösungen, die präsentiert werden, um die Klimakrise aufzuhalten, reproduzieren die bestehenden Macht- und Gewaltverhältnisse. Geoengeneering etwa bedeutet großmaßstäbliche, technische Eingriffe in die Kreisläufe der Erde, mit dem Ziel das atmosphärische CO2 zu verringern, der Erdatmosphäre Treibhausgase zu entziehen oder Sonneneinstrahlung zu reflektieren. So sollen Monokulturen von Bäumen angepflanzt werden, damit sie der Erdatmosphäre CO2 entziehen, um dann das anschließend im Verbrennungsprozess freigesetzte und aufgefangene CO2 unter der Erde zu speichern. Viele dieser Maßnahmen erfordern eine große Menge an Rohstoffen und Landflächen und führen dadurch bereits jetzt zu Landraub in Ländern des Globalen Südens. Es ist erstaunlich, wie der Glaube an riskante, technische Lösungen so groß ist, dass das Potenzial intakter Wälder und anderer naturbasierter Lösungen vergessen wird.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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