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Die Flüchtlingsfrage

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 23. Dezember 2015

Der Sozialstaat in der Pflicht

von Martin Kutscha und Tatjana Ansbach

Beim Umgang mit Flüchtlingen ist Deutschland tief gespalten: Auf der einen Seite engagieren sich zahlreiche Menschen freiwillig und leisten den Ankommenden vor Ort spontan Hilfe. Dies ist umso notwendiger, als die eigentlich zuständigen Behörden vor allem in personeller Hinsicht überfordert sind. Hier rächt sich der jahrelang betriebene Abbau sozialstaatlicher Infrastrukturen, unter dem nicht nur Flüchtlinge leiden, sondern alle Menschen, die auf öffentliche Leistungen angewiesen sind. So begrüßenswert daher der Einsatz ehrenamtlicher Helfer für die Flüchtlinge auch ist – er darf nicht zur Entlassung des Staates aus gesetzlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge missbraucht werden. Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes erlaubt keine Rückkehr zu Prinzipien mittelalterlicher Caritas. Schon Johann Heinrich Pestalozzi geißelte die Wohltätigkeit als „Ersäufung des Rechts im Mistloch der Gnade“.

Gleichzeitig wächst bei vielen Einheimischen das Unbehagen über die zahlreichen „Fremden“ mit ihrer anderen Kultur und Religion  Auch treffen die Neuankommenden nicht mehr auf einen funktionierenden Sozialstaat, sondern auf eine fragmentierte Gesellschaft: Sie ist in Reich und Arm gespalten, es gibt mittlerweile zahlreiche prekär Beschäftigte und sozial Abgehängte.  Daher, konstatiert die Soziologin Cornelia Koppetsch, konkurrieren die Menschen „nicht allein um bezahlbaren Wohnraum oder Jobs, sondern auch um staatliche Zuwendungen.“ Und da diese immer mehr gekappt werden, würden die Neuankömmlinge als unwillkommene „Nebenbuhler“ empfunden.  Schon nutzen die sogenannten Wirtschaftsweisen und die „F die Gunst der Stunde, um angesichts der Flüchtlinge die Abkehr vom Mindestlohn und die Deregulierung des Arbeitsmarktes zu fordern.

Unter diesen Bedingungen bekommen offen fremdenfeindliche Kräfte ungeahnten Zulauf. Die Terrorakte in Paris werden von rechten Politikern schamlos ausgenutzt, um rassistische Einstellungen zu schüren und vor einer angeblichen Bedrohung unserer Gesellschaft durch den Islam zu warnen. CSU-Chef Horst Seehofer, aber auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann reagieren auf diese Stimmungsmache mit der Forderung nach Obergrenzen bei der Aufnahme von Flüchtlingen oder nach Kontingenten. Vor allem im linken Spektrum stößt dies auf entschiedenen Widerspruch. Initiativen wie das „Netzwerk konkrete Solidarität“ fordern gar die Öffnung der Grenzen und die freie Wahl des Aufenthaltsortes für alle Menschen auf der Welt.

Wie aber lassen sich rationale Kriterien für den Umgang mit der manifesten Herausforderung gewinnen, jenseits des bloßen Bauchgefühls und unrealistischer Wunschvorstellungen, jenseits aber auch von gnadenloser Abschottung Deutschlands? Eine wichtige Orientierungshilfe kann in dieser Situation ein Blick auf die menschenrechtlichen Standards für die – ja keineswegs neue – Flüchtlingsfrage leisten.

Obergrenzen gegen geltendes Recht

„Jedermann steht es frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen“ – diese Gewährleistung enthält unter anderem Art. 12 Abs. 2 des sogenannten UNO-Zivilpaktes von 1966, den zahlreiche Staaten unterzeichnet haben. Diesem Menschenrecht auf Ausreise steht indessen kein allgemeines Recht der Menschen auf Einreise in ein Land ihrer Wahl gegenüber. Nur EU-Bürgern gestattet das Unionsrecht Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten.

Allerdings gewährt Art. 16a des Grundgesetzes „politisch Verfolgte(n)“ das Asylrecht. Der Tatbestand der politischen Verfolgung wird im Licht der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 weit verstanden. Danach steht das Asylrecht jedem zu, der wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgung begründet befürchtet. Diese Kriterien müssen allerdings in der Person des jeweiligen Antragstellers selbst erfüllt sein. Das bedeutet: Menschen, die vor Hunger oder Bürgerkrieg in ihren Heimatstaaten fliehen, gelten nicht schon per se als asylberechtigt. Dies betrifft aktuell insbesondere Flüchtlinge aus Syrien oder aus Afghanistan wie auch vom Westbalkan.

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Fotoquelle : Wikipedia – Urheber Joachim Seidler, photog_at from Austria — / — CC BY 2.0

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