DER ROTE FADEN
Erstellt von Redaktion am Sonntag 21. April 2019
Ein ganzes Altarbild der Unsinnigkeiten
Durch die Woche mit Johanna Roth
Die optimale Projektionsfläche ist hell und glatt. Dachte man. Dann brannte Notre-Dame, raues Gestein und dunkles Holz, und neben geradezu caravaggiohaften Bildern singender und betender Menschen vor der verrauchten Kulisse der Île Saint-Louis entwickelte sich auch die politische Interpretation dieses Ereignisses mit solcher Merkwürdigkeit, dass wir über dieses Naturgesetz vielleicht noch mal reden sollten. Aus den Reaktionen auf die Katastrophe lässt sich jedenfalls ein ganzes Altarbild der Unsinnigkeiten entwerfen.
Da wäre zum Beispiel der Tagesschau-Moderator Constantin Schreiber. Während der Rest von Twitter wütete, weil die ARD weder Livestream noch Brennpunkt hinbekam (man mache ja schließlich kein „Gaffer TV“, erklärte ARD-Chefredakteur Rainald Becker dazu), zögerte Schreiber keine Minute, öffentlich-rechtlichen Informations- und Aufklärungsansprüchen gerecht zu werden. Noch am Montagabend, als die Temperaturen des Brands gerade ihren Höhepunkt erreicht haben dürften, suchte er nach arabischsprachigen Tweets zum Thema und schrieb dazu: „Arabische Reaktionen zu #notredame: ‚traurig‘ sagen die einen, ‚allahu akbar‘ die anderen“. Denn was läge gemäß journalistischer Sorgfaltspflicht näher, als direkt locker-flockig einen Zusammenhang zu konstruieren zwischen brennender Kirche und islamistischem Terrorismus, anstatt erst mal abzuwarten, was von offizieller Seite zur Brandursache gesagt wird – und ohne dass es zu jenem oder einem späteren Zeitpunkt überhaupt irgendeinen derartigen Hinweis gegeben hätte?
Mutmaßlich war’s, so hieß es dann am Donnerstag, ein Kurzschluss im Zusammenhang mit Bauarbeiten. Und Schreiber, der vor seiner Zeit bei der ARD Nachrichtensendungen auf Arabisch moderierte, musste sich von Muttersprachler*innen dann auch noch aufklären lassen, dass der Ausruf „Allahu akbar“ genauso gut Erschrecken und Bestürzung ausdrücken könne wie Triumph, womit der Tweet noch überflüssiger wurde als ohnehin schon.
Constantin Schreiber vom „Gaffer TV“
Apropos Überfluss: Friedrich Merz, gescheiterter Kandidat für den CDU-Vorsitz und seitdem frei in Partei und Öffentlichkeit umhergeisternder Angsttraum diverser christdemokratischer Amtsträger (allen voran Peter Altmaier, für den diese Woche mit der unangenehmen Lektüre von allerlei Medienberichten begann, in denen über einen baldigen Putsch Merzens in Richtung Wirtschaftsministerium spekuliert wurde, nachdem dieser bei einem Europawahlkampfauftritt mit Annegret Kramp-Karrenbauer – mal wieder – für sich als wirtschaftspolitischen Heilsbringer seiner Partei geworben hatte), hatte eine umwerfende Idee: Um die deutsch-französische Freundschaft „in ganz besonderer Weise“ zu vertiefen, sollten wir („wir“?) eine Bürgerinitiative ins Leben rufen, die im ganzen Land Spenden sammle für den Wiederaufbau von Notre-Dame.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs