DER ROTE FADEN
Erstellt von Redaktion am Sonntag 24. Juni 2018
Hymnenquatsch und der Wunsch nach Eindeutigkeit
Durch die Woche mit Klaus Raab
Mesut Özil, der deutsche Fußballer, ist – wie sein ganzes Team – unter seinem Niveau geblieben beim Weltmeisterschaftsspiel gegen Mexiko. Diese Woche aber hackten Leute wie Lothar Matthäus, Mario Basler und Stefan Effenberg auf ihm herum – um nur die drei allergrößten Moralphilosophen zu nennen –, als hätte er es allein verbockt. Ihre Kritik schwappte ohne Umschweife ins Gesellschaftspolitische: „Es wäre richtig gewesen, nach dem Fehler des Erdoğan-Fotos ein Bekenntnis zu Deutschland abzugeben“, schrieb Matthäus in Bild. Wir erinnern uns: Özil hat mit dem türkischen Präsidenten in dessen Wahlkampf posiert wie mit einem elfjährigen Fan. Und Effenberg sagte: „Wenn er zu seinem Land steht, nämlich unserem Land, Deutschland, dann soll er auch in Zukunft die Nationalhymne singen.“
Der Hymnenquatsch ist ein Dauerthema bei Fußballturnieren. Aber diesmal fällt er auf schwer verseuchten Boden.
Ich finde, Özil sollte auch in Zukunft auf gar keinen Fall singen. Erstens steht, soweit ich weiß, der Deutsche Fußball-Bund, für den er aufläuft, nicht im Rang einer Verfassungsinstitution. Er ist doch kein Beamter, der sich zum Staat bekennen müsste, bevor er loslegen darf. Zweitens aber, und vor allem, finde ich diesen Wunsch nach Eindeutigkeit, der sich darin zeigt, fatal.
Von Thomas Bauer ist ein Buch zu diesem Thema erschienen, „Die Vereindeutigung der Welt“ (Reclam). „Der Versuch, Eindeutigkeit in einer uneindeutigen Welt wenigstens dadurch herzustellen, dass man die Vielfalt in der Welt möglichst präzise in Kästchen einsortiert, innerhalb derer größtmögliche Eindeutigkeit herrscht, ist eher dazu geeignet, Vielfalt zu verdrängen, als sie zu fördern“, schreibt er. Ambiguitätsintoleranz ist das Stichwort.
Effenbergs „Wenn er zu seinem Land steht, soll er singen“ bedeutet: Entweder bist du Türke oder Deutscher, entscheide dich! Als wäre das Leben eine Quizshow.
Lothar Matthäus’ Geschwätz druckte Bild im Rahmen einer regelrechten Anti-Özil-Kampagne sogar auf die Titelseite: „Özil fühlt sich nicht wohl im DFB-Trikot“ stand da. Als Fußballanalyse ist das lediglich für die Katz. Als der subtilere Bruder von „Özil raus!“ kachelte die Formulierung aber ganz anders. Özils Foto mit Erdoğan nehmen Leute, die nur darauf gewartet haben scheinen, zum Anlass, ihn „aufgrund seiner Herkunft zu diskreditieren“, wie selbst die Welt kritisierte, und publizistisch auszubürgern.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs