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DER ROTE FADEN

Erstellt von Redaktion am Montag 28. Dezember 2020

Nicht nur an den Feinden zweifeln

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Ariane Lemme

Vor Weihnachten noch schnell einen Irrtum ausräumen: Nur weil man die Leuten in der Bubble so gut versteht, gilt das nicht für alle anderen.

Diese Woche hat mich eine – sehr schlaue – Kollegin mal wieder daran erinnert, wie wenig ich von anderen Menschen verstehe. Für gewöhnlich glaube ich, das Gegenteil ist der Fall. Ich kann mich zum Beispiel ganz schlecht streiten, weder mit Freunden, noch mit Partnern, noch mit meiner Familie.

Denn was löst gemeinhin Streit aus? Der andere macht was, sagt was, denkt was, was man selbst nun wirklich nie tun, denken, sagen würde. Man versteht nicht mal, wie man darauf kommen kann: den Müll nicht mitnehmen, wenn man runtergeht (dieser andere bin meistens ich, um ehrlich zu sein), Impfen für gefährlich zu halten, nicht zu sehen, wie man sein eigenes Unglück wie ein Perpetuum mobile reproduziert und jede Hilfe in den Wind schlägt, oder ohne Punkt und Komma zu reden, ohne zu bemerken, dass auch andere am „Gespräch“ beteiligt sind.

All das – oder auch das Gegenteil – kann einen in den Wahnsinn treiben. Dann knallt’s für gewöhnlich, nicht selten an Weihnachten, wenn man mit vielen, die man liebt, zusammensitzt und eigentlich nur in Ruhe Kekse futtern und kichernd alte Fotos anschauen will. Aber dann passiert doch das eben Beschriebene. Nur dass mir dann, noch bevor ich mich richtig aufregen kann – meistens zumindest –, sehr schnell einfällt, was den, der da gerade nervt, so antreibt. Warum das für den so wichtig ist, was er da sagt und tut; und welcher Schmerz, welches unfüllbare Loch in ihm lauert. Und dann reg ich mich doch nicht auf, zumindest nicht so lange.

Und weil das bei den Leuten in meiner Bubble so gut funktioniert, denke ich in selbstherrlicher Verblendung oft, ich müsste auch Leute außerhalb meiner Bubble immerhin so weit verstehen, dass ich mich nicht allzu sehr aufregen muss. Was übrigens nicht heißt, dass man deren Verhalten dann gleich gut finden soll. Es wird halt nur weniger scary, wenn man versteht, was sie antreibt.

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie es ist, wenn man sich umgeben von Feinden fühlt

Ist es nur ein Schrei nach Liebe oder echte Kälte? Das habe ich mich die letzten vier Jahre immer gefragt, wenn irgendwo ein Trump-Tweet aufploppte, und ich frage es mich seit einem halben Jahr – mit fast noch größerem Grausen als bei Trump, wenn ich Corona-„Skeptiker“ mit gelbem „ungeimpft“ Stern demonstrieren sehe, die glauben, quasi in einer Diktatur zu leben.

Mario Sixtus

Ja, ehrlich gesagt glaube ich oft, sie sehnen sich nach einer irgendwie gearteten Diktatur, gegen die sie mit Schaum vor dem Mund demonstrieren können. Ich glaube das aus einem einfachen Grund: Sehr wahrscheinlich haben sie dieselben Kinder- und Jugendbücher über den Aufstieg des Nationalsozialismus gelesen wie ich – und sich in kindlichem Größenwahn zurechtfantasiert, wie sie es aber, wenn sie dabei gewesen wären, verhindert hätten. Wie sie es anders gemacht hätten als ihre Großeltern.

Quelle    :      TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen       :

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