DER ROTE FADEN
Erstellt von Redaktion am Dienstag 9. Juni 2020
Über Gewalt und Sicherheit
Durch die Woche mit Robert Misik
Was die Morde von Solingen, die Proteste gegen Polizeigewalt in den USA und die Sehnsucht nach Sicherheit miteinander zu tun haben.
Vor 27 Jahren fuhr ich nach Solingen, wo bei einem rechtsradikalen Brandanschlag fünf Angehörige einer türkischstämmigen Familie getötet wurden. Es war ein großer Schock, wie jedes dieser Pogrome und der Morde, die in diesen Jahren stattfanden – Solingen reihte sich ja ein in Geschehnisse wie den gewalttätigen Mob von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, aber auch die Morde von Mölln.
Wenn ich mich nicht völlig täusche, dann war Solingen der allererste Fall, bei dem es zu gewalttätigen Krawallen der jungen Einwanderergeneration in Deutschland kam. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich damals mit jungen Migrantinnen und Migranten durch die Stadt lief, wie Scheiben klirrten, wie wir später in einem alevitischen Restaurant zusammen saßen und ich mit der Tochter des Betreibers sprach. Ich kann mich mehr an meine Emotionen als an die konkreten Vorkommnisse oder gar an die genauen Gespräche erinnern.
Aber ich weiß, dass ich diesen militanten Aufstand der jungen Migrantinnen und Migranten gut und richtig fand, und zwar gerade den der normalen, nicht politisch besonders artikulierten. Die Hauptemotion war einfach die normaler junger Leute, die Jahre von Diskriminierungserfahrungen und Morden erlebt hatten und die jetzt ausdrückten: Wir lassen uns nicht mehr alles gefallen.
Ich fühlte mich ihnen zugetan.
Ich muss daran immer wieder denken, wenn die Bilder brennender Häuserzeilen und geplünderter Geschäfte aus den USA zu sehen sind. Natürlich bin ich ein Gegner von Gewalt. Und noch mehr bin ich ein Gegner von Politaktivisten, die glauben, mit gewalttätiger Straßenmilitanz irgendein „System“ herausfordern zu können. Das ist blöde Klassenkriegs-Romantik.
Friedrich Engels
Über diesen Unsinn hat schon der alte Friedrich Engels 1895 alles gesagt, was zu sagen ist, nämlich dass wir Radikalen bei den gesetzlichen Mitteln besser gedeihen als mit den revolutionären Mitteln (ja, auf seine alten Tage machte der greise Engels selbst die „reformistische Revision“, und zwar in einer Schärfe und Klarheit, die nichts zu wünschen übrig ließ).
Aber die spontanen Wutausbrüche derer, die von Chancenlosigkeit, Diskriminierung und alltäglicher Polizeigewalt gepeinigt sind, sind etwas ganz anderes. Sie sind absolut verständlich. Lachhaft sind die Fürsprecher gewaltsamer Verhältnisse, die den Opfern Friedfertigkeit predigen.
Der Moderator und Comedian Trevor Noah („The Daily Show“) hat das so formuliert: In einer Gesellschaft gehen wir davon aus, dass wir einen wechselseitigen Vertrag über die Normen und Prinzipien unseres Zusammenlebens haben. Chronische Polizeigewalt und Diskriminierung zeigen aber den Unterprivilegierten, die sich an diese Normen halten, dass der Staat selbst täglich den Vertrag bricht. Die Wut darüber ist die Quelle der Gewalt.
Race Riots
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs