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DER ROTE FADEN

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 22. April 2020

Gelangweilt? Nur Geduld, besser wird’s nicht

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Ariane Lemme

Utopien und Dystopien in der Quarantäne. Die Geschäftigkeit im Homeoffice ist einer großen Langeweile gewichen. Zeit, sich ausgiebig den eigenen Unzulänglichkeiten zu widmen. Das geht am besten mit Bananenbrot und Geduld.

So, so – langsam muss jetzt aber Schluss sein mit dem Shutdown. Alle haben brav ihren Camus ausgelesen, ihre gehamsterten Vorräte weggesnackt und erschöpfend ihre Ideen zur Krise und dem, was falsch läuft und was richtigerweise bald kommen müsste, in die Welt gezoomt. Jetzt gibt’s langsam nichts mehr zu meinen, und deshalb muss das jetzt ein Ende haben. Zumindest so war der Sound der letzten Tage.

Dabei wird es doch jetzt erst richtig interessant. Jetzt wird ’s nämlich denen, die die Krise superbequem auf dem Sofa erleben (unter anderem ich), so richtig fad. Bislang hat sich keiner wirklich gelangweilt, es gab genug zu tun, genug Zeit zu nutzen. Zum Ausmisten, Umräumen, mal den Rücken zu dehnen. Mal spazieren gehen, mal was Ordentliches Kochen. Kurz: das Leben zu leben, für das man sonst zu busy ist.

Tatsächlich, scheint mir, haben viele, die nichts Richtiges zu tun haben (also nicht Pfleger, Ärztin, Verkäuferin oder Postbote sind), die übliche Geschäftigkeit aber erst mal nur ins eigene Wohnzimmer verlagert. Bloß nicht stillstehen, bloß was abarbeiten, endlich schafft man mal was! Geil. Direkt proportional dazu wurden die Essays, die geschrieben und publiziert wurden, immer länger. Soll ja keiner denken, man wäre faul im Homeoffice. Viel Text hilft viel.

Langsam aber schmeckt das selbst gebackene Bananenbrot nicht mehr, also, Mutti, wann sind wir endlich da-haaa? Ich will nicht gemein sein, für viele Menschen ist das Alleinsein grausam, vor allem in ihrem Sinne hoffe ich, dass wir wirklich bald da sind: in der Wiedereröffnung des Lebens, wie wir es kannten.

Utopien und Dystopien gedeihen in der Quarantäne

Aber wird es je wieder, wie es war? Oder wird alles anders? Die Utopien und Dystopien gedeihen bestens in der Quarantäne: Wir werden solidarischer (Hallo, Menschen aus Moria!), genügsamer (Ade, Kapitalismus!), überwachbarer (Was gibt’s, Zoom?). Wir werden nicht mehr in den Urlaub fliegen (Ging ja gut, ohne, in den Osterferien, oder?) und endlich die niederen Kasten besser bezahlen (und zwar nicht nur mit Applaus). Echt jetzt?

Zettel „Wollt ihr die totale Hygiene?“.jpg

Ich glaube eher: Ja, der Mensch ist in heiklen Situationen zu sehr viel fähig. Genauso, wie man den Grusel vor Körperflüssigkeiten sehr schnell vergisst, wenn jemand Erste Hilfe braucht, schaltet man auch leicht in jeden anderen Krisenmodus um. Wächst mal kurz über sich hinaus. Von Dauer ist es meistens nicht: Die derzeit viel gefeierte Solidarität, die gab’s angeblich auch in der DDR und die wird’s wohl auch geben, wenn der Klimawandel uns verbrennt. In den bequemen Zeiten dazwischen aber, werden wir, schätze ich, genauso schnell wieder uns selbst die Nächsten sein, wie wir’s brauchen, um den ersten Post-Corona-Flug zu buchen. Davon abgesehen: So wahnsinnig weit her ist es mit dem Mitgefühl auch jetzt nicht.

Quelle       :      TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben       —             Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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