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DER ROTE FADEN

Erstellt von Redaktion am Dienstag 31. März 2020

Der hustende Passant, die tödliche Gefahr

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Durch die Woche mit Robert Misik.

Epidemien als Fortschrittsmotor: Tödliche Gefahr Nachbar Epidemien können auch Fortschritt befördern und Zeitenwenden einleiten. Zum Beispiel eine Abkehr vom Neoliberalismus.

Lasst uns in dieser für alle schweren Zeit mit etwas Leichterem beginnen, mit der Mode und zeitgenössischen Schönheitsidealen. Schlankheit ist ja eines der vorherrschenden Schönheitsideale. Bei Frauen: dieser anorexische Kate-Moss-Typ mit dem verschleierten Blick. Aber auch bei Männern: dieses Dürre, Schlaksige, Verhuschte, der halbverhungerte Künstlertyp mit Blick ins Leere und verwuschelter Frisur. Es sind diese Typologien, die wir in jedem Modemagazin finden.

Skurrilerweise gehen sie auf das Wüten der Tuberkulose zurück, eine der schlimmsten, tödlichsten Epidemien, die aber anders als die Pest oder die Pocken nicht zu schnellem, sondern schleichendem Tod führte und deren Symptome auch nicht so äußerlich entstellend waren – so dass die Tuberkulose nicht nur als Terror im kulturellen Gedächtnis blieb. Sie traf viele Menschen in ihrer Blüte, machte vor wohlsituierten Menschen nicht halt und wurde als Künstlerkrankheit sogar romantisiert und ästhetisiert. Wer von ihr befallen war, verschwand allmählich, verfiel ins ­Geisterhafte. So prägte sie das kulturelle Gedächtnis.

Epidemien und Pandemien können den Lauf der Geschichte beeinflussen, im Großen und im Kleinen. Sie können zu einem Mentalitätswandel beitragen. Ratten empfinden die meisten von uns immer noch als unsympathische Tiere. Die nette, kochende Ratte im Zeichentrickfilm „Ratatouille“ bleibt da ein Sonderfall, genauso wie die einstige Mode der Punks, sich Ratten zu halten. Vielleicht haben sich die Punks ja nur Ratten gehalten, weil die Ratten so „außerhalb der Gesellschaft“ standen, wie das die Punks auch gern wollten. Und das hat natürlich mit den Ratten als Wirtstiere jener Flöhe zu tun, die die Pest übertrugen.

Übrigens, keine Sorge: Die heute bei uns heimischen Ratten sind antisoziale Tiere und daher als Krankheitsüberträger unwahrscheinlich. Die zutraulichereren und daher gefährlichen alten Pest-Ratten wurden von den heute heimischen Ratten ausgerottet.

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Frank M. Snowden, ein amerikanischer Wissenschaftler, hat ein grandioses Buch über die Bedeutung von Seuchen für die gesellschaftliche Entwicklung geschrieben: „Epidemics and Society“. Eine Erkenntnis aus diesem Buch ist, dass Epidemien ganz ambivalente Auswirkungen haben. Sie sind nicht gerade eine Schule der Solidarität. Auch wenn wir jetzt alle versuchen, unseren betagten oder immungeschwächten Nachbarn beim Einkauf zu helfen und wenn die systemrelevanten Arbeitnehmer, von den Verkäuferinnen im Supermarkt über die Pflegedienste bis zu den Lkw-Fahrern, Ärztinnen und Hilfsorganisationen jetzt die wirklichen Helden sind – ganz generell spornen Epidemien nicht dazu an, dem Nächsten beizustehen. Der ist nämlich ansteckend, ergo: potenziell tödlich. Wenn einer hustet, sucht man das Weite. Es gibt Katastrophen, bei denen solidarisches Handeln leichter fällt – bei Erdbeben kann man Leute bei sich zu Hause aufnehmen.

Quelle       :      TAZ        >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben       —             Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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