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Radschnellweg Ruhrgebiet

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 7. August 2019

Eine Fahrradautobahn mitten durchs Ruhrgebiet 

MH-Radschnellweg RS1 Bahnbrücke.jpg

Von Andreas Wyputta

Ausgebremst – „der  schöner Wunschzettel“, sagt eine Planerin. Warum sich der Bau des Radschnellwegs Ruhr verzögert.

Holger Kesting sitzt in seinem Eiscafé „Radmosphäre“ und wartet auf Gäste. Direkt vor seiner Tür liegt der „Radschnellweg Ruhr“, aber besonders viele Radler*innen sind an diesem Tag nicht unterwegs. „Ich bin mit falschen Versprechen hergelockt worden“, sagt der 49-Jährige.

Mitten im sozialen Brennpunkt Essen-Altendorf hat die Stadt investiert: Alte Zeilenbauten wurden abgerissen, der Niederfeldsee künstlich angelegt. Hier liegt Kestings Eisdiele in einem schicken Neubau. „Trotzdem fehlt mir die Kundschaft, sagt er. „Der Radweg ist doch nur ein kurzes Teilstück – eine Sackgasse.“

Seit 2010, als das ganze Ruhrgebiet Kulturhauptstadt war, träumt die Region von diesem „rs1“ genannten Radschnellweg durchs Revier – dem ersten in ganz Nordrhein-Westfalen. Die bestbesuchte Veranstaltung damals war das Projekt „Still-Leben“ gewesen. An einem Julisonntag wurde die Autobahn 40 für Autos einfach dicht gemacht.

Radschnellweg RS1.png

In Richtung Dortmund waren Hunderttausende auf Fahrrädern unterwegs – und konnten erfahren, wie viel Raum und Vorrang Blechlawinen sonst eingeräumt wird. Die A40 verbindet die Städte Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund auf kürzestem Weg. Wer wollte, konnte plötzlich in 60 Minuten von Bochum nach Mülheim radeln, Benutzung des Ruhrschnellweg-Tunnels in Essen inklusive.

101 Kilometer lang

„Wir haben gedacht: So etwas brauchen wir immer – eine Fahrradautobahn mitten durchs Revier“, erzählt Martin Tönnes, Chefplaner im Team des Regionalverbands Ruhrgebiet (RVR). Der RVR versucht seit Jahrzehnten, die 53 Städte zu einer „Metropole Ruhr“ zusammenzubringen. 2012 gab es eine erste Förderzusage für den rs1, 2014 bestätigte eine Studie die Machbarkeit. Kernaussage: Schon 2020 könne der 101 Kilometer lange rs1 fertig sein.

Doch ein Jahr vor dem anvisierten Fertigstellungstermin existiert nur eine 13 Kilometer lange Vorzeigestrecke zwischen Essen und Mülheim, an der auch die „Radmosphäre“ des Gastronomen Kesting liegt. Aber Radschnellweg-Standard – also Asphalt, vier Meter breite, getrennte und markierte Fahrbahnen, Beleuchtung, Winterdienst, kombiniert mit einem abgetrennten, zwei Meter breiten Fußweg – gibt es nur auf einem im Mai eröffneten 1,2 Kilometer kurzen Teilstückchen.

Schon die Modellstrecke zeigt allerdings, wie wichtig gut ausgebaute Radwege für die Verkehrswende sind: Wer will, kann erhaben über die Trasse der teilweise stillgelegten Rheinischen Bahn radeln. Auf dem alten, nicht mehr genutzten Bahndamm läuft der rs1 vom Essener Universitätsviertel Richtung Westen frei von lautem, stinkenden Autoverkehr mehrere Meter über der Stadt. Und in Richtung der Mülheimer Hochschule Ruhr West wird es hinter Kestings „Radmosphäre“ richtig grün.

Auf weiten Teilen der Strecke aber fehlt noch der Asphalt. Gefahren wird auf „wassergebundener Decke“ – also kleingemahlenem, gewalztem Schotter, der im Sommer staubt und im Winter matschig ist. Auch von der Beleuchtung ist noch nicht viel zu sehen. Immerhin: 2021 soll ein „Upgrade“ auf Radschnellweg-Standard folgen. „Der rs1 ist eines der wenigen Infrastrukturprojekte, gegen das nicht protestiert wird“, freut sich RVR-Planungschef Tönnes. „Stattdessen fragen die Leute: Wann geht’s endlich weiter?“

Endet abrupt im Nichts

Denn tote Gleise gibt es auch westlich in Richtung Duisburg und östlich in Richtung Bochum. Trotzdem ist in Essen in unmittelbarer Nähe der Uni, an der vierspurigen, vielbefahrenen Gladbecker Straße, Schluss. Die alte, noch zugewachsene Bahntrasse endet an einer meterhohen Mauer. Der Radweg läuft verschwenkt noch ein paar hundert Meter weiter durch das ab 2010 neu entstandene Universitätsviertel bis zum Viehofer Platz – und endet auch dort im Nichts.

„Hallo, wo geht’s denn hier weiter“, fragt Wilfried Uck. Der 68-Jährige aus Mülheim nutzt den Sommertag für eine Radtour – und ist nach 13 Kilometern in der Betonwüste am Viehofer Platz gestrandet. „Absolut enttäuscht“ ist er, als er hört, dass er hier nur unter allergrößten Schwierigkeiten in Richtung Bochum weiterkommt. Zwar hat die Stadtverwaltung eine Radstrecke zum Weltkulturerbe Zeche Zollverein ausgeschildert – von dort geht es schon heute weiter auf einem durchgehend asphaltierten Radweg bis fast in die Bochumer Innenstadt.

RS1 Radschnellweg Ruhr in Mülheim 1.jpg

Doch von dem bequemen, sicheren, autofreien und nicht zu verfehlenden Damm der Rheinischen Bahn ist bis Zollverein nichts zu sehen. Stattdessen schlägt die Stadt einen Schleichweg vor, der von Nichteingeweihten kaum zu finden ist. Zweimal müssen vier- bis sechsspurige Ausfallstraßen überquert werden, danach geht es über schmale, mit Schlaglöchern überzogene Wege durch Kleingartenanlagen Richtung Zollverein. Es ist, als wolle Essen Radler*innen um jeden Preis klarmachen: Du bist nichts – und der motorisierte Verkehr alles.

Quelle         :       TAZ           >>>>>            weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben     —     2019 – Radschnellweg RS1 an der Alten Bahnbrücke / Stadtviadukt in Mülheim an der Ruhr.

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2. ) von Oben       —   Radschnellweg RS1

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