Der Friedenspreis des D. Buchhandel
Erstellt von Redaktion am Dienstag 15. Oktober 2013
Die Rede von Swetlana Alexijewitsch
Es war schon eine beeindruckend, beklemmende Dankesrede von Swetlana Alexijewitsch welche sie nach der überreichten Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandel in Frankfurt hielt.
Die Dokumentation der Rede der weißrussische Autorin Swetlana Alexijewitsch zur Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Ich möchte Sie als „liebe Nachbarn in der Zeit“ ansprechen. Wir haben nicht nur die gleichen Smartphones in der Tasche, uns eint mehr – die gleichen Ängste und Illusionen, die gleichen Verlockungen und Enttäuschungen. Es erschreckt uns alle, dass das Böse immer raffinierter und unbegreiflicher wird. Wir können nicht mehr wie die Helden Tschechows ausrufen, in hundert Jahren würde der Himmel voller Diamanten und der Mensch wunderbar sein. Wir wissen nicht, wie der Mensch sein wird. In Dostojewskis „Legende vom Großinquisitor“ wird über die Freiheit gestritten. Darüber, dass der Weg der Freiheit schwer ist, qualvoll und tragisch…
„Warum zum Teufel müssen wir überhaupt erkennen, was gut und böse ist, wenn es uns so teuer zu stehen kommt?“
Der Mensch muss sich die ganze Zeit entscheiden: Freiheit oder Wohlstand und gutes Leben, Freiheit mit Leiden oder Glück ohne Freiheit. Die meisten Menschen gehen den zweiten Weg.
Kabul 1988. Ein afghanisches Hospital. Eine junge Afghanin, ein Kind auf dem Arm. Ich gehe hin und reiche dem Kind einen Plüschteddy, und es nimmt ihn mit den Zähnen. „Warum nimmt er ihn mit den Zähnen?“, frage ich. Die Afghanin reißt die dünne Decke herunter, in die der Kleine eingewickelt ist, und ich sehe einen kleinen Rumpf ohne Arme und Beine. „Das haben deine Russen gemacht.“ „Sie versteht nicht“, erklärt mir ein sowjetischer Hauptmann, der daneben steht, „wir haben ihnen den Sozialismus gebracht.“ „Geh nach Hause und bau da den Sozialismus auf. Warum bist du hergekommen?“, sagt ein alter Afghane, ihm fehlt ein Bein. Ich erinnere mich an einen riesigen Saal – er war menschenleer… „Das haben deine Russen gemacht.“
Es gibt wenige Gewinner, aber viele Verlierer. Und zwanzig Jahre danach lesen die jungen Leute wieder Marx. Wir hatten gedacht, der Kommunismus sei tot, aber diese Krankheit ist chronisch. In den Küchen werden noch immer die gleichen Gespräche geführt: Was tun und wer ist schuld? Da wird von einer eigenen Revolution geträumt. Umfragen zufolge sind die Menschen für Stalin, für eine „starke Hand“ und für den Sozialismus. Das Ende des „roten Menschen“ ist aufgeschoben. Ein alter KGB-Mann erklärte mir gegenüber im Zug ganz offen: „Ohne Stalin geht bei uns nichts. Was ist der Mensch? Ramm ihm ein Stuhlbein in den Hintern, und er ist kein Mensch mehr. Nur noch physisch. Ha-ha.“ Das hatte ich schon mal gehört…
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Fotoquelle: Wikipedia – Author Elke Wetzig
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