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Der Feind in meinem Boot

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 8. Juni 2017

Die Bundeswehr
Misshandlungen, Rassismus, Neonazis:
Wie verbreitet ist rechter Korpsgeist unter deutschen Soldaten?

Bundeswehr Panzergrenadiere.jpg

Autor aus Hannover Cedric Rehman

Ein Muslim verpflichtet sich bei der Marine, weil er sich als Patriot versteht. Als er die Fregatte „Bayern“ nach vier Jahren verlässt, fühlt er sich nicht mehr als Deutscher. Die Geschichte eines Marinesoldaten, der beinahe untergegangen wäre.

Stefan Peters* weiß nicht, wo jenseits des Schiffs die Nacht endet und das Meer beginnt. Über ihm und unter ihm ist alles schwarz. In seinem Innern sieht es nicht anders aus. Der muslimische Marinesoldat mit dem deutschen Namen lehnt in einer Nacht im Jahr 2012 irgendwo im Mittelmeer an der Reling der Bundeswehrfregatte „Bayern“ und denkt: Wenn ich jetzt springe, findet mich keiner. Dann drängt sich ihm ein Bild auf: Er sieht seine Frau Nesrin* in Hannover friedlich in ihrem gemeinsamen Bett schlummern. Der Gedanke an sie ist wie ein Rettungsring, den sie Peters über tausende Kilometer Entfernung zuwirft.

Fünf Jahre später greift Stefan Peters eine Schachtel Pall Mall und geht auf den Balkon seiner Wohnung in einem Neubaugebiet in Hannover. Er braucht eine Pause, nachdem er von der Nacht erzählt hat, in der er ins Meer springen wollte. Nach einigen Zigaretten kehrt er ins Wohnzimmer zurück. Stefan Peters will nun erklären, wie aus einem deutschen Soldaten jemand wurde, der sich fremd im eigenen Land fühlt. Er schaltet seinen Laptop ein und öffnet eine Mail, die er im Herbst 2011 an den damaligen Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus geschrieben hatte. Sie beginnt mit dem Satz: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal an Sie wenden müsste . . .“

Es war einmal ein junger Deutscher, der genau wusste, wer er ist. Sein Vater stammt aus dem Iran, die Mutter aus Deutschland. Die Eltern trennen sich früh und die Mutter erzieht den Sohn. Sie gibt ihm einen deutschen Namen. Der Vater prägt sein Leben dennoch: Peters wird als Muslim beschnitten, als junger Erwachsener beginnt er den Glauben zu leben. Dann will er 2009 zur Armee. „Wenn ich zum Bund gehe, beweise ich, dass ich so deutsch bin, wie ich mich fühle, habe ich gedacht“, sagt Peters.

Heute ärgert ihn, wie die Bundeswehr mit dem Fall des rechtsextremen Soldaten Franco A. umgeht. Als sei A., der Terrorverdächtige, der sich als Flüchtling ausgab und Anschläge plante, nur ein Einzelfall. Peters ist davon überzeugt, selbst Opfer rechter Seilschaften in der Bundeswehr gewesen zu sein.

Der erste Übergriff

Alles fing mit einem Bier an. Das war 2009, Peters ist Wehrdienstleistender, er lehnt es ab, mit seinen Kameraden Alkohol zu trinken, und verweist auf seinen Glauben. Ein Rekrut attackiert ihn: Wer nicht trinkt, vergewaltigt auch seine Schwester. Dass er anders ist, spricht sich schnell an Bord herum. An der Essensausgabe meint Peters böse Blicke zu sehen, wenn er Mahlzeiten ohne Schweinefleisch bestellt. Jemand schmiert auf sein Bett: „Scheißmoslem“.

Heute ist Peters erstaunt, was ihm damals normal vorkam. Auf den Bordservern der „Bayern“ waren sämtliche Alben der Böhsen Onkelz gespeichert. Die Lieder der wegen Nähe zum Rechtsrock umstrittenen Band hat jeder Soldat herunterladen können. Auch er selbst hörte sich die Onkelz gern an, es ist sein Soundtrack für diese Zeit. War er der Einzige, dem auffiel, dass ein Unteroffizier T-Shirts der unter Neonazis beliebten Modemarke Thor Steinar trug? Störte sich niemand daran?

Bei einem Landausflug in Norwegen kommt es zu einem Übergriff. Mehrere Männer halten Peters fest, damit ein anderer ihm Bier einflößen kann. Peters wendet sich an seine Vorgesetzten. Die Hänseleien hören danach auf. Doch Peters weiß da noch nicht, dass er gerade einen zweiten Kardinalfehler begeht: Nachdem er Extrawürste gebraten hat, trägt er jetzt Streit in der Gruppe nach außen.

Peters Frau Nesrin setzt sich zu ihm auf die Couch, als er von seiner Dienstzeit, den vier Jahren der systematischen Diskriminierung erzählt. Warum er nicht hingeschmissen hat, fragt sie ihn immer wieder. Ihre Wut ist ihr nach fünf Jahren noch anzuhören. „Du wolltest dich halt beweisen“, sagt sie.

 

2012 druckt eine Regionalzeitung das Foto eines Soldaten, der vor dem Auslaufen der Fregatte seine Frau küsst. Das Bild eines athletischen Mustersoldaten und seiner schönen Frau – es scheint wie für eine Bundeswehrbroschüre gemacht. Es sind Nesrin und Stefan Peters.

Der Muslim, ein Risiko

Quelle  :  TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle  :  Panzergrenadiere bei einer Übung mit dem Ausbildungsgerät Duellsimulator, kurz AGDUS, auf dem Truppenübungsplatz Jägerbrück bei Torgelow (Mecklenburg-Vorpommern). ©Bundeswehr/S.Wilke

 

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