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RENTENANGST

Der doppelte Albert

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 26. September 2018

Geschichte aus einer ehrenwerten Stadt

Datei:Ravensburg Blaserturm Waaghaus Rathaus.jpg

Von Stefan Weinert ©

Liebe Kinder, liebe Marktfrauen, liebe Stammtische und liebe Großkopferte. Ganz, ganz weit unten auf der Landkarte, im südlichsten Zipfel unserer Republik, lebe ich in einer kleinen, gemütlichen Stadt, mit vielen alten Türmen und einer eben solchen alten Stadtmauer. Wie in jeder anderen Stadt, gibt es auch hier ein Rathaus, ein paar Schulen, ein paar Kirchen, einen Bürgermeister, Lehrer, Pastoren, Politiker und so viele Menschen, die, würden sie alle mit einem Male zusammenkommen, die Allianzarena des FC Bayern München, fast, nicht ganz aber fast, ausfüllen würden. Von A wie Albert bis Z wie Zoe, kommen unter meinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern alle Namen vor.

Apropos und übrigens:  In meiner Stadt gibt es jedoch den „doppelten Albert“. Allerdings sind sich die beiden nicht so ähnlich wie das „doppelte Lottchen“ von Erich Kästner, den Zwillingen, aus denen er eine lustige Geschichte entwickelte. Bei dem doppelten Albert ist das ganz anderes. Sie sehen sich nicht ähnlich, sind ganz verschieden alt, sind nicht mit einander verwandt und haben jeder seinen eigenen Lebensstil. Und sie wollen auf gar keinen Fall miteinander verwechselt werden. Zudem wird es auch keine lustige Geschichte, im Gegenteil. Aber eben, sie werden  immer wieder miteinander verwechselt, weil sie auch noch denselben Familiennamen haben. Den aber brauche ich hier nicht zu nennen, denn er könnte Müller, Becker, Schneider, Metzger oder Maier, Mayer,  Meyer oder Meier sein. Ist es denn so schlimm, wenn man mit jemandem anderen verwechselt wird, werdet ihr und Sie fragen? Nun, es kommt ja immer drauf an, wer es ist, für den man gehalten wird, gell.

Bei dem doppelten Albert ist es so: Der eine lebt sein Leben, wie die meisten Menschen. Er hat seine Familie, hatte seinen Beruf und ist nun Rentner, er hat seinen Freundeskreis, seinen ehemaligen Kundenkreis und den der Bekannten. Und da er schon lange in seiner Stadt lebt, sind das nicht gerade wenige. Doch der sehr große Rest der „Bayernarena“ kennt ihn nicht und hat auch nie von ihm gehört. Wie auch. Wenn nun dieser Albert über den Marktplatz geht, wird er von jenen, die ihn kennen, höflich gegrüßt, denn er ist bei ihnen sehr beliebt. Wenn, ja wenn da nicht der zweite Albert wäre, mit dem er – so sagt er es jedenfalls – dauernd verwechselt wird. Denn dieser zweite Albert heißt zwar identisch wie der erste, ist aber von seinem Wesen her ganz anders. Natürlich hat auch er seine Familie, hatte seinen Beruf und ist nun Pensionär, hat seinen Freundes-, Kunden- und Bekanntenkreis.

Doch darüber hinaus ist Albert II. ein sehr rühriger, das heißt engagierter Mensch. Mal schreibt er unter seinem Namen in der Zeitung einen Leserbrief, wir hier im Süden sagen dazu oft „Artikel“, mal verteilt er Infoblätter in die Briefkästen, mal und öfter ruft er im Rathaus an, oder besucht die Bürgerstunde und manchmal pflanzt und pflegt er auch öffentliche Bäume und Gesträuch , weil es die, die es tun sollten, wohl vergessen haben. Zugegeben, er ist der kritische Albert, der „meckert“, aber auch Verbesserungsvorschläge im Gepäck hat und anpackt, wenn notwendig und sein hohes Alter es erlaubt.  Durch all dieses ist jener Albert in unserer Stadt ein wenig bekannter, als der andere. Aber er ist aufgrund seiner „Ruhiglosigkeit“  auch ein wenig unbeliebter, als der andere. Ein wenig? Oh, da muss ich mich korrigieren. „Albert der Meckerer“ ist in dieser alt ummauernden Stadt sehr unbeliebt. Das ist halt so bei uns im Süden. Wenn du nicht organisiert bist in einer Partei, einem Verein, einer Wählergemeinschaft oder zumindest in einem offiziellen Arbeitkreis – wir hier sagen dazu auch gerne „Agenda“ oder „Forum“, weil das klingt wichtig, dann gilt dein ernstgemeintes Engagement entweder nichts, oder höchsten als „Querulantentum“ oder „Imponiergehabe“, was „Wichtigtuerei“ bedeutet.

File:Blässhuhn-Zwillinge.jpg

Zwillinge

Ich weiß wovon ich da rede, denn ich bin auch so einer wie dieser Albert, der kritisiert, hinterfragt, aber auch versucht Alternativen, andere Möglichkeiten aufzuzeigen. Aber letzteres wird wohl von den Adressaten irgendwie ignoriert, das heißt, es geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus, und das war es dann. Was bleibt, ist das „Gemeckere“ und  das „Quertreiben“.  Ich glaube schon, dass es eine große Herausforderung ist und Nerven kostet, aber auch eine Kunst ist,  mit Leuten wie  Albert II. und mit mir umzugehen, sie zu ertragen, aber auch zu tragen und nicht fallen zu lassen. Und ehrlich gesagt: Würden die Damen und Herren in und auf den entsprechenden und verantwortlichen Positionen und Posten ein wenig mehr das tun, wozu sie eigentlich berufen sind, daher kommt ja das Wort „Beruf“,  dann könnten Albert II. und  ich uns auch höflich auf dem Marktplatz grüßen lassen, statt beschimpft oder ignoriert zu werden. Ach ja, der „doppelte  Albert“ wäre dann kein Thema mehr – in dieser, unserer  ehrenwerten Stadt, gell !

➡ Stef-Art 2018 (c)

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Grafikquellen    :

Oben    —      Ravensburg, Germany: Marienplatz square Blaserturm tower with Waaghaus (left), and Rathaus (Town Hall, right)

Urheber Photo: Andreas Praefcke    /     Quelle  – Eines Werk
Namensnennung Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

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Unten     —      Blässhuhn-Küken am Wöhrsee, LSG Salzachtal im Gebiet der Stadt Burghausen

Author Maggifix    /     Source   –      Own work

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