Der Verein Uniter
Erstellt von Redaktion am Dienstag 25. Februar 2020
Rotwein aus dem Schädel
Von Sebastian Erb, Christina Schmidt und Daniel Schulz
Der Verein Uniter gibt sich harmlos. Dokumente aber zeigen strikte Hierarchien, bizarre Rituale und paramilitärisches Training.
Wenn sich das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Gruppierung anschaut, dann hat die Behörde einen Verdacht: Es muss darin Menschen geben, die sich statt einer Demokratie etwas anderes wünschen. Mehr noch: die bereit sind, gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorzugehen.
Wenn der Verfassungsschutz sich also den Verein Uniter e. V. anschaut, dann sieht das Amt dafür „erste tatsächliche Anhaltspunkte“. Seit Mittwoch ist bekannt: Der gemeinnützige Verein, in dem sich vor allem aktive und ehemalige Soldaten, Polizisten und Personen aus dem privaten Sicherheitsgewerbe organisieren, wird nun systematisch vom Verfassungsschutz angeschaut. Prüffall, nennt sich das. Es ist der erste Schritt für eine mögliche Überwachung. Der Verfassungsschutz darf nun beispielsweise systematisch öffentlich zugängliche Quellen durchforsten oder an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen.
Was er dort sehen wird: einen Verein, der von sich selbst behauptet, ein Berufsnetzwerk zu sein. Sich um traumatisierte Einsatzkräfte zu kümmern. Spenden für Obdachlose zu sammeln. Die Mitarbeiter des Verfassungsschutz werden auch sehen, dass der Verein gezielt ganz besondere Menschen anspricht, Menschen in Polizei, Bundeswehr und Katastrophenschutz. Personen also, die für den Schutz von vielen anderen verantwortlich sind. Es sind oft Menschen, die Zugang zu Waffen haben.
Was den Verfassungsschützern zunächst verborgen bleiben wird: Totenschädel und Fackelschein, Treueschwüre, Geheimniskrämerei und ein elitäres System, in dem der Aufstieg wie in einer Sekte davon abhängt, ob ein Mitglied in der Gunst der Führung steht – oder eben nicht. Und diese Führung wiederum arbeitet daran, bewaffnete Einheiten auszubilden, spricht von „Infanteristen“ und „Shootern“.
Keine Hakenkreuze, aber Vorbereitungen auf „Tag X“
Bis sie sich beim Verfassungsschutz zur Prüfung entschlossen haben, war es ein langer Weg. Uniter ist schwer zu fassen, weil es keine klassische rechtsextreme Organisation ist. In den bekannten Veröffentlichungen des Vereins findet sich nichts von „Bevölkerungsaustausch“ oder „Volkstod“, keine Hakenkreuze und andere NS-Symbolik.
Und doch hat die taz in einer zweijährigen Recherche Uniter als zentralen Teil eines Netzwerks von Personen ausgemacht, die sich auf einen ominösen „Tag X“ vorbereiten, an dem manche von ihnen Menschen, die anders denken und anders aussehen als sie sich das vorstellen, mutmaßlich gefangen nehmen oder sogar töten wollen. Auch der Bundeswehroffizier Franco A., der sich wegen Rechtsterror vor Gericht verantworten muss, war Teil dieses Netzwerkes.
Der taz wurden mehrere hundert Dateien aus dem Innenleben des Vereins zugespielt. Die Präsentationen, Word-Dokumente, Fotos, Videos und Soundfiles zeigen, wie Uniter organisiert ist, wie der Verein sich selbst sieht und darstellt, welche Pläne es gab. Die Dokumente stammen vor allem aus den Jahren 2017 und 2018, einer Zeit, in der der Verein rasant wuchs und auch medial bekannt wurde. Wir haben sie technisch geprüft und sie mit unseren bisherigen Recherchen abgeglichen, vor allem mit den vielen Gesprächen, die wir mit aktiven und ehemaligen Mitgliedern geführt haben. Wir können nun besser beschreiben: Uniter ist ein Verein mit sektenartigen Zügen. Kampftraining und Militärtaktik nehmen bei ihm eine zentrale Rolle ein.
So etwas wie demokratische Abstimmungen gibt es bei Uniter nur am Rande. Wer aufsteigen will, der muss den Männern an der Spitze gefallen. Und ganz oben an der Spitze steht ein Mann: der frühere Elitesoldat André S., Jahrgang 1985, der sich selbst „Hannibal“ nennt, nach einem Helden aus der Fernsehserie „A-Team“, in der vier verstoßene Elitesoldaten als Söldner für das Gute kämpfen. André S. wurde vor Kurzem zu einer Geldstrafe verurteilt, weil bei ihm Teile von Übungshandgranaten und andere Sprengkörper gefunden worden waren.
André S. administrierte viele der Chats, über die sich sowohl Uniter-Mitglieder als auch rechtsextreme Prepper miteinander vernetzt haben, also Personen, die glauben, sie müssten sich auf einen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung vorbereiten. Chats und Verein überschnitten sich. Über das genaue Weltbild von S. wissen wir nicht viel. Er hat Befürchtungen geäußert, dass es wegen des Flüchtlingszuzugs zu inneren Unruhen kommt. Er soll über diese Chats mindestens einmal Texte des islamfeindlichen Onlineportals PI News verschickt haben. In einem der taz vorliegenden WhatsApp-Chat teilt er einen Link des mit verschwörungstheoretischen und islamfeindlichen Texten gefüllten Magazins Compact.
Gefordert: „Willen, Standhaftigkeit und Ausdauer“
Es gibt, da widersprechen sich die Erzählungen und die Dokumente, zwischen fünf und sieben Rängen, die man im Verein nach oben klettern kann. Für alle Schritte dieses „Stufensystems“ des Vereins existieren formale Voraussetzungen. Wer beispielsweise in Rang drei aufsteigen möchte, der soll sich laut der internen „Checkliste für den III Grad“ mit „Taktik, Verhalten und Vorgehen in kleinen Einheiten und Kampfverbänden“ auskennen, in Nahkampf und Selbstverteidigung geübt sein, und auch im Fernkampf mit Waffen umgehen können. Aber das allein reicht nicht.
Wer aufsteigen will, muss sich engagieren, „Willen, Standhaftigkeit und Ausdauer“ zeigen. Männer, die Hannibals Wohlwollen haben, können auch schon mal Stufen in der Hierarchie überspringen.
Komplettiert werden Hierarchie und das Prinzip der Folgsamkeit durch die Beteuerung der eigenen Loyalität. Wer in den schon erwähnten dritten Rang kommen möchte, der soll beispielsweise schwören:
„Ich gelobe Uniter
und den damit einhergehenden Idealen die Treue,
Ich helfe und schütze,
Ich handele nach besten wissen und gewissen,
Ich schaue nicht weg, wenn Unrecht geschieht,
Ich bin einer von vielen,
unsichtbar verbunden und geeint
Dies will ich tun von heute bis ans Ende meiner Tage“ (Rechtschreibung wie im Orginal)
Je höher es auf der vereinsinternen Karriereleiter geht, desto komplexer werden diese Rituale. Auf anderthalb Seiten ist minutiös aufgelistet, wie man in den 5. Rang aufsteigt: Die Zeremonie beginnt damit, dass der Aspirant 30 Minuten in einem Raum wartet, in dem nur eine Kerze brennt. Es wird weiter beschrieben, was für Aufgaben er erledigen muss und dass er von maskierten Mitgliedern mit gezückten Schwertern symbolisch getötet wird, um dann bei instrumentaler Musik wiederaufzuerstehen und Rotwein aus einem menschlichen Totenschädel zu trinken.
Was sich Hannibal – er ist laut den Metadaten Autor des Dokuments – und seine Gefolgsleute unter dem Titel „Aufnahme und Erhebungsablauf 1–5“ ausgedacht hat, mag absonderlich erscheinen. Es zeigt, wie viele in der Gründungsgeneration von Uniter ticken: Sie sind fasziniert von Geheimbünden. 2012 hatte André S. Uniter das erste Mal gegründet, mehrere Vorstandsmitglieder waren wie er Freimaurer. Später ließ er sich in einen Lazarus-Orden aufnehmen, eine Wohlfahrtsorganisation, die sich auf Ritter-Traditionen beruft. Ihm folgten zahlreiche weitere Mitglieder, die ebenfalls Freimaurer wurden oder in Ritterorden eintraten, das belegen unsere Recherchen. Damit einhergeht oft auch eine Vorliebe für Verschwörungstheorien über ominöse Mächte im Hintergrund, die diese Welt eigentlich steuern würden.
Das lässt sich unter anderem in einem Schaubild erkennen, das die Struktur des Vereines in Form einer Pyramide darstellt: Unten die Mitglieder, darüber Kuratorium und Vorstand. Die Spitze bildet das sogenannte „Auge der Vorhersehung“, das verschiedene Geheimbünde als Symbol genutzt haben und heute noch nutzen. Stellenweise stellt sich beim Lesen der Papiere das Gefühl ein, hier habe jemand zu viel in Büchern von Dan Brown wie „lluminati“ oder „Sakrileg“ geblättert.
40 Hubschrauber, 15 Flugzeuge: Wilde Machtphantasien
Wie sehr sie die Macht solcher Organisationen überschätzen, illustriert eine Sprachnachricht von Hannibal alias André S., in der er darüber spricht, dass er aus Österreich eine kleine Armee besorgen könne, wenn er dort erst einmal Vizepräsident der Lazarus-Union, einer weiteren Organisation mit Ritter-Anleihen, geworden sei. Er sagt: „Da unterstehen mir nochmal 30.000 Mann und ich glaube 40 Hubschrauber und 15 Flugzeuge.“ Den militärisch geschulten Männern in seiner Umgebung müsste eigentlich aufgefallen sein, was das für ein Unsinn ist.
Ein Hang zur Übertreibung und eine Vorliebe zum Okkulten sind an sich nicht rechtsextrem bedingt. Organisationen wie die Freimaurer wurden im NS-Regime verfolgt. Die hierarchische Struktur, das Prinzip des auf eine Person oder einen engen Führungskreis ausgerichteten Gehorsams und die fundamentale Annahme, die Welt würde von höheren Mächten gesteuert, sind aber auch Grundlagen rechtsextremen Denkens.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
———————————————————————-
Grafikquellen :
Oben — Neonazi-Demonstration am 2. April 2005 in München
2.) von Oben — Autonome Nationalisten auf NPD-Demo am 7. Oktober 2006 in Nordhausen
——————————————–
Unten — Symbol der SS-Division Totenkopf