Erstellt von Redaktion am Freitag 21. Februar 2020
Das große Merzverständnis
Friedrich Merz bedient die Hoffnung mancher nach einem Politpatriarchen, einem harten Hund, der mit harter Hand alles wieder in Ordnung bringt. Doch das ist heute nur noch konservative Männeresoterik.
In der Nacht nach dem Thüringer Höcke-Debakel von CDU und FDP schoss Friedrich Merz vier Tweets zur politischen Situation raus. Drei davon beginnen mit dem Wort „ich“. Der letzte erreichte eine gewisse Berühmtheit: „Ich werde mich in den nächsten Wochen und Monaten noch stärker für dieses Land engagieren.“ Jeder dritte Tweet von Merz beginnt derzeit mit diesem Wort. Ich, ich, ich. Man kann das für symptomatisch halten. Merz‘ gesamte Kommunikation, insbesondere im und mit dem Netz, erscheint verräterisch. Sie drückt das politische Missverständnis aus, das Friedrich Merz verkörpert: das große Merzverständnis.
Das große Merzverständnis ist, dass man im Rückwärtsgang ein Rennen gewinnt, wenn man zum Ausgleich besonders knorzig losröhrt. Als Merz sozialisiert wurde, mag das noch funktioniert haben. Inzwischen handelt es sich um konservative Männeresoterik: die Hoffnung, dass nach Merkel ein potenter Politpatriarch, ein harter Hund mit harter Hand alles wieder in Ordnung bringe. Merz‘ Herrensprüche bedienen die Männersehnsucht nach Abschätzigkeit: „Reiner Zufall, dass die Tiefs gerade Frauennamen haben“, sagte er spöttisch zum Wetter, und es ist unwichtig, ob das auf AKK und Merkel gemünzt war. So klingen die Gags eines Mannes, der das Geschlecht – und alles, was für ihn dranhängt – womöglich als relevantesten Unterschied sieht. Konservative im Selbstähnlichkeitsfuror feiern Merz, weil sie sich endlich wieder selbst feiern möchten. Merz ist altes, weißes Männerkonzentrat. Aufgetragen auf die wunden Seelen der selbsterklärten Leistungsträger.
Moped- und Black-Rocker Friedrich Merz ist der Kandidat des sich noch einmal aufbäumenden 20. Jahrhunderts. Aber er scheint in verstörender Weise vom 21. Jahrhundert überfordert – und man erkennt es an seiner Kommunikation. Auf Twitter, in klassischen Medien, aber auch auf Veranstaltungen. Merz kommt schwer mit einer Zeit zurecht, in der durch soziale Medien jedes Wort öffentlich werden kann. Auch wenn die Tagesschau gerade keine Kamera aufgebaut hat. Immer wieder hat er sich auf vermeintlich kleinen Veranstaltungen davontragen lassen und – offenbar auch nach eigener Lesart – höchst destruktives Zeug gesagt.
Vor wenigen Tagen sprach er von der AfD als „Gesindel“. Mit dem Ziel, die Hälfte der rechten Wähler für die CDU zurückzugewinnen, erscheint eine Beschimpfungsstrategie nicht als der cleverste Ansatz. Merz hat es sogar geschafft, mit seiner Erklärung die Situation zu verschlimmern, indem er behauptete, mit „Gesindel“ weder die Wähler gemeint zu haben noch die gewählten Abgeordneten. Aber wen dann? So hat Merz zuerst potenzielle Wähler beschimpft, dann durch eine absurde Erklärung seine Glaubwürdigkeit beschädigt und insgesamt durch den Eindruck des unsicheren Herumlavierens seine Autorität erschüttert. Auch dieser Fehltritt ist symptomatisch: Er entlarvt das völlig fehlende Gespür des Kandidaten Merz für die sozial-medial geprägte Öffentlichkeit des 21. Jahrhunderts. Das unterscheidet ihn von Figuren wie Donald Trump, der auch für das patriarchale 20. Jahrhundert steht (abgesehen davon, dass Merz Vollblutdemokrat ist und Trump von Kinderkäfigen bis Justizverachtung faschistoid agiert).
In der „ZEIT“ hat Christian Bangel in einem brillanten Text den ostdeutschen Aspekt des großen Merzverständnisses abgebildet. Er beschreibt, wie die Merkelzeit vielleicht einen Anlass, aber keinesfalls die Grundlage des flächigen Rechtsextremismus der dortigen Wähler darstellt. Und dass deshalb Merz kaum die Lösung für das ostdeutsche AfD-Problem sein dürfte. Weil sich ein bestürzend großer Teil der Ost-CDU einen Vorsitzenden wünscht, der ihnen – falls das mit dem Abluchsen von Stimmen nicht klappt – eine Zusammenarbeit mit den Faschisten der AfD ermöglicht. Das wird eher nicht passieren, aber angesichts von Merz klar antilinker Position wird eine andere Frage essenziell. Vielleicht nicht beim Kandidaten selbst, aber in jedem Fall bei seiner Partei.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Friedrich Merz, Rechtsanwalt, Lobbyist und Politiker der CDU am 17. Januar 2020 auf einer CSU-Veranstaltung in München. Titel des Werks: „Friedrich Merz (CDU) im Januar 2020“
Erstellt am Freitag 21. Februar 2020 um 12:44 und abgelegt unter Feuilleton, Medien, P.CDU / CSU, Positionen.
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