DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Der begrenzte Planet …

Erstellt von Redaktion am Samstag 20. Mai 2017

…und die Globalisierung des einen Prozent

von Birgit Mahnkopf und Elmar Altvater

„Make America Great Again“ lautet die Parole Donald Trumps. Und sie geht notwendigerweise zu Lasten des globalen Rests. Denn auch der US-Präsident wird die Erde nicht größer machen können. Trump kann die Grenzen der Globalisierung verändern, nicht aber aufheben.

Damit wird eine Ironie der angeblich grenzenlosen, die Menschheit beglückenden neoliberalen Globalisierung sichtbar. Sie öffnet nicht wie behauptet die Tore zur „großen, weiten Welt“, sondern endet als Welt von Parzellen nationaler Borniertheit. Trump macht Politik, indem er einerseits möglichst undurchlässige Grenzen zieht: zwischen Nationalstaaten und Religionen, um die „eigenen Leute“ und das eigene Kapital im „Homeland“ zu schützen. Andererseits schleift er Grenzen, um die kapitalistische Expansion zu unterstützen und Sphären zu eröffnen, wo noch ordentliche Spekulationsgewinne gemacht werden können, vor allem auf den globalisierten Finanzmärkten. Die natürlichen Grenzen des Planeten Erde ignoriert er dabei. So werden auch unter Trump die neoliberalen Tendenzen des vergangenen Jahrhunderts fortgesetzt, wie es alle US-Präsidenten seit Richard Nixons Dollar-Debakel von 1971 vorgemacht haben: Die Regeln von Weltökonomie und -politik werden zugunsten der USA und ihrer Verbündeten korrigiert. Die Folge davon ist die Globalisierung der sozioökonomischen Ungleichheit wie der politischen Unsicherheit. Wenn inzwischen die acht Superreichsten dieser Welt (sechs von ihnen stammen aus den USA) über ein Vermögen verfügen, das größer ist als das von 3,6 Milliarden Armen, der Hälfte aller Erdenbürger auf den fünf Kontinenten, so haben wir es offensichtlich mit einer „Globalisierung des einen Prozent“ zu tun. Trump sagt mit sprachlos machender Schamlosigkeit nur, was Sache ist: Globalisierung ist heute ein „oligarchisches Gut“. Die Globalisierung des einen Prozent wird gegen alles, was den „westlichen Lebensstil“ gefährden könnte, in Stellung gebracht – auch in einer „nationalistischen Internationale“, die quasi aus dem Unrat der Globalisierung des einen Prozent ihre Kraft gewinnt, gewissermaßen als ihr politisches Abfallprodukt. Die Entwicklungsbahn der Globalisierung führt also keineswegs schnurstracks in eine „flat world“, eine flache Welt, wie es sich Freihändler gedacht hatten, sondern in das zerklüftete Gelände eines wilden Kapitalismus, von dem im globalen Süden schon die Rede war, als in den alten Industrieländern noch das Hosianna der Wohlstand bringenden Globalisierung gesungen wurde. In vielerlei Hinsicht hat der „globale Süden“ die Gegenwart (und vielleicht die Zukunft) des „euroamerikanischen“ Westens bereits vorweggenommen. Denn hier wurden im Rahmen von sogenannten Strukturanpassungsprogrammen seit den frühen 1980er Jahren die Methoden des Neoliberalismus erprobt, bevor sie im postsowjetischen Osten und im entwickelten kapitalistischen Westen zur Anwendung kamen.

Outsourcing mit Hilfe des Staates: Der globale Süden als Vorreiter

Das gilt zuvorderst für die fundamentale Veränderung des Verhältnisses von Nationalstaat und globaler Ökonomie. Hier liefert der Süden die Modelle dafür, was aus dem Westen noch werden könnte bzw. zunehmend wird: Regierungsfunktionen unterliegen dem Outsourcing an private, gewinnorientierte Akteure und an alle Arten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Im Zeichen von „Sicherheit“ und vorgeblichen nationalen Interessen wird dabei auf demokratische Transparenz weitgehend verzichtet – nicht jedoch auf die Grenzen des Staates, im Gegenteil: Das Territorium des Staates wird zum massiv geschützten „Homeland“. Globalisierung bedeutet somit keineswegs den Verzicht auf Grenzen; diese sind vielmehr fließend. Zollschranken, Einreisezentren und – wie wir es zunehmend erleben – sogar Auffanglager werden auf das Territorium anderer Staaten verschoben, auf Inseln der Ägäis, in die Türkei oder nach Tunesien und Libyen. Grenzen markieren den Machtbereich nationaler Staaten. Sie sind nicht deckungsgleich mit den im Atlas abgebildeten territorialen Grenzen.

Und dennoch gibt es keine Sicherheit vor unerwünschten „Ausländern“, vor Migranten und Flüchtlingen, vor Terroristen und Kriminellen, die die Grenzen der Einen-Prozent-Globalisierung durchbrechen können – und sich dabei auf das erblühende neue Geschäftsfeld der in Europa, aber auch in den USA oder in Australien höchst profitablen border-nomics begeben. Da treiben sich nicht nur die formell geschaffenen und informell, manchmal kriminell jenseits formeller Regularien operierenden Labour migration intermediaries herum. Dazu gehören Schlepper und Menschenhändler, ihre formellen und informellen, manchmal auch kriminellen Financiers, aber auch große Unternehmen, die die Soft- und Hardware für die Grenzsicherung bereitstellen, sowie eine wachsende staatliche Bürokratie. Aber auch alteingesessene Unternehmen findet man in dieser Sparte, die mit elektronischer Grenzsicherung, Spürgeräten und anderer militärischer Ausrüstung gute Geschäfte machen.

In dieser neuen kapitalistischen Wildbahn oligarchischer Globalisierung im 21. Jahrhundert können jedoch nur wirtschaftlich starke Nationen und das reiche eine Prozent gewinnen – genau wie in Zeiten neoliberaler Globalisierung des 20. Jahrhunderts. Sie müssen sich nicht stur an die ökonomischen Gesetze halten, sondern können politisch, militärisch und mit Medienmacht das Geschick „korrigieren“, das ihnen die kapitalistische Weltökonomie einbrockt. Allerdings kann es passieren, dass der Brei der Globalisierung mit nationalistischen und fundamentalistischen Ingredienzien überwürzt ist, beigesteuert von Marine Le Pen, Nigel Farage, Frauke Petry, Donald Trump und anderen Köchen. Damit steht fest: Die angeblich schönen, verheißungsvollen Tage der Globalisierung sind wohl endgültig vorüber.

1970 ff.: Globalisierung und die Verletzlichkeit der Erde

Der Begriff der Globalisierung kam in den 1970er Jahren auf. Nach der ersten Mondlandung machten die Satellitenbilder des „blauen Planeten“ die Runde unter den damals etwas mehr als vier Milliarden Menschen auf den fünf Kontinenten. Niemals zuvor hatten Erdenbürger den Planeten von außen betrachten können, nun war es so weit. Doch kam damit auch dessen Verletzlichkeit zu staunendem Bewusstsein und dass die globalisierende Expansion auf der „begrenzten Kugelfläche des Planeten Erde“ (Immanuel Kant) nicht unendlich fortgesetzt werden kann.

Heute, bald 50 Jahre später, gibt es auf den Weltkarten keine weißen Flecken mehr und auch keine größere Weltregion, die nicht dem geoökonomischen Wettbewerb ausgesetzt wäre. Historische und geographische Unterschiede werden in der globalisierten Welt eingeebnet. Die neoliberale Globalisierung ist eine Einbahnstraße, auf ihr haben transnationale Bulldozer freie Fahrt. Dies ist auch eine Folge der Etablierung globaler Standards – weniger bei Umweltschutz oder Arbeitnehmerrechten als vielmehr im Bereich der technischen, organisatorischen oder intellektuellen Produktionsmethoden. Zweitrangig geworden sind nationalspezifische Regulierungen auch beim Schutz geistigen Eigentums, bei den Regeln der Buchführung und der Bewertung von Kreditausfallrisiken oder wenn es um die Streitschlichtung unter Geschäftspartnern geht. Dafür hat nicht nur das Regelwerk der WTO gesorgt: Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, ist die „regulatorische Vereinheitlichung“ der Welt auch dem Wirken einer Handvoll US-amerikanischer law firms zu verdanken. Die USA profitieren nicht nur davon, dass Englisch die globalisierte Lingua Franca ist und der Dollar als globale Leitwährung zum „Problem des Rests der Welt“ gemacht wurde (so Larry Summers, zeitweise Bill Clintons Finanzminister und Chefökonom der Weltbank). Auch ihre „juristische Außenpolitik“ war sehr erfolgreich: Über ihr Justizministerium, die Börsenaufsicht, die Notenbank, das Finanzministerium und dessen Exportkontrollbehörde zwingen die USA anderen Ländern, respektive den Unternehmen aus anderen Ländern, ihr angelsächsisches Rechtsmodell des common law auf – und sichern damit den Mammut-Rechtskanzleien mit Sitz in den USA fette Beute rund um den Globus (VW kann heute, nicht unverschuldet, ein Lied davon singen).

1989-2008: Das Ende der neoliberalen Siegessicherheit

Auch aufgrund dieser Umstände haftete der Globalisierung daher immer der hautgout des Kapitalismus an. In seinem imperialistischen Stadium, so hatte es Lenin einst geschrieben, befindet er sich bereits im Stadium der Fäulnis. In der Euphorie über den „Sieg im Kalten Krieg“ hatte das aber niemand gerochen und daher auch zu keinem Thema in wissenschaftlichen Debatten gemacht. Erst nach und nach kam zu Bewusstsein, dass „peak everything“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts keine Panikmache ist. Die mineralischen und energetischen Rohstofflager sind heute in hohem Maße ausgebeutet, auch wenn die meisten Länder des Südens weiterhin als Quellen der „rohen Werte“ gelten – also von mineralischen, agrarischen und energetischen Rohstoffen, aber auch von billigen Arbeitskräften. Die Aufnahmefähigkeit der Schadstoffsenken des Planeten Erde ist am Ende, auch wenn dies von Trump und anderen Leugnern des Klimawandels abgestritten wird, und es stehen keine Kolonien mehr als „Deponien“ für die wegen der technischen Entwicklung „überflüssigen Menschen“ zur Verfügung. Stattdessen entstanden im Zuge der Globalisierung seit den 1970er Jahren quasi-koloniale Verhältnisse im Zentrum euroamerikanischer Gesellschaften, nämlich ganze Einwanderer-Communities. Abschiebelager, besetzte Gebiete und brennende Vorstädte sind Teil dieses Panoramas. Umgekehrt haben Staaten im Süden und Osten viele Merkmale des Westens angenommen. Vor allem in den informellen Siedlungen und den Megastädten des globalen Südens hat die kapitalistische Zerstörung von Natur- und Sozialzusammenhängen zu einer Entwurzelung der Menschen aus ihren sozialen und kulturellen Bezugssystemen geführt. Die physischen und mentalen Infrastrukturen mussten sich anpassen, überall in der Welt. Auch im globalen Süden ist heute ein Leben radikalisierter Individualität nicht mehr außergewöhnlich; im Verhältnis von Individuum und Warenfülle entspricht dies immer weniger menschlichen Maßstäben und macht eine wachsende Zahl von „entwurzelten Menschen“ zu Verlierern.

Der Schock, den die globale Wirtschafts- und Finanzkrise des Jahres 2008 auslöste, hat dann die Grenzen der Globalisierung überall ins Rampenlicht gerückt. Unvorstellbare Summen an Kapital mussten abgeschrieben werden, Hunderttausende verloren den Arbeitsplatz und unzählige Familien ihre Häuser und Wohnungen. Darüber hinaus gingen Gewissheiten der neoliberalen Globalisierung über Bord, vor allem diejenige, dass eine globalisierte Weltwirtschaft Gratifikationen für alle Welt bereithält. Die Rede von der „Globalisierung des einen Prozent“ wird verstanden. Die Welt ist zerrissener und ungleicher als je zuvor. Akzeptanzverlust der herrschenden globalen Verhältnisse ist die Folge, neue Deutungsmuster sind gefragt. Das ist die Stunde für politische Konzepte eines Populismus und eines – wie man paradoxerweise sagen kann – globalisierten Neonationalismus. Offene Märkte zur Hebung eigener Exporte – ja, aber Flüchtlinge, Asylsuchende und unerwünschte Arbeitsuchende bleiben draußen vor der Tür, jenseits des mit Mauer und Nato-Draht bewehrten „Homeland“ EU südlich von Melilla und Ceuta, oder des Homeland USA südlich von San Diego und El Paso. Auch hier zeigt die neoliberale Globalisierung ihre brutalen Grenzen.

Migration – die älteste Strategie der Reduzierung von Armut und Risiko

Quelle :  Blätter >>>>> weiterlesen

_________________________________________________

Grafikquelle  :  Ist die menschliche Zivilisation eine Krankheit der Erde?

 

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>