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Das vergiftete Paradies

Erstellt von Redaktion am Montag 25. April 2016

Über den Feldbetten der GIs baumelten Gasmasken

File:Montage Panama City.jpg

von Guido Bilbao

Auf der panamaischen Insel San José haben die USA einst Chemiewaffen getestet. Heute stehen hier Luxusbungalows

Kreuzt man zwischen den dreißig Inseln, die im smaragdgrünen Meer des Archipels Las Perlas verstreut liegen, lässt man die Contadora-Insel hinter sich und hält trotz der Haie und der starken Gegenströmung Kurs auf die Linie, wo der Golf von Panama in den Pazifik übergeht, gelangt man zu einem kleinen Paradies: San José, 44 Quadratkilometer, mehr als 50 weiße Sandstrände, Korallenbänke, Palmen, Berge, Höhlen und Wasserfälle. Die Insel liegt 80 Kilometer vor der Einfahrt zum Panamakanal und gehört zu einem Gebiet, das als beste Adresse für den Fischfang auf dem Planeten gilt. Und San José ist die einzige Insel weit und breit, auf der es das ganze Jahr über Süßwasser gibt.

Die Reiseagenturen haben sie „Die Perle der Perlen“ getauft. San José ist heute das teuerste Eiland der Welt: Es steht für 325 Millionen Dollar zum Verkauf. Aber keine Reiseagentur wird verraten, dass San José die potenzielle Hölle birgt.

Zwischen 1944 und 1948 diente die Insel den USA, unter Beteiligung von Großbritannien und Kanada, als Testgelände für Chemiewaffen. Die freigesetzten Kampfstoffe gelangten in die Luft, versickerten im Boden. Aber viele der Bomben, die damals vom Himmel fielen, sind gar nicht erst explodiert. Ein Dutzend Blindgänger wurden bislang offiziell auf San José entdeckt. Sie sind seit siebzig Jahren dem Wind, den tropischen Regengüssen und der karibischen Sonne ausgesetzt. Die langsame Erosion macht sie von Tag zu Tag gefährlicher. Die USA weigern sich bis heute, ihre in internationalen Verträgen festgelegten Pflichten zu erfüllen und die Insel zu dekontaminieren.

Über die giftige Hinterlassenschaft der US-Streitkräfte streiten sich die USA und Panama schon lange. Trotzdem wurde auf San José gebaut. Das Luxusresort Hacienda del Mar besteht aus 17 netten Holzhäuschen mit Veranda, Meeresblick und allem Komfort, die in der Hochsaison 400 bis 700 Dollar pro Nacht kosten. Anders als die Einheimischen, die die Geschichte der Insel kennen, spazieren die Touristen unbeschwert unter Palmen und genießen die ganzjährig konstante Temperatur von 27 Grad.

„Ein von Gott gesegneter Ort“, steht über dem Eingangstor zum Resort. Flitterwochen im Pazifik, Familienurlaub auf der Hacienda del Mar: eine Reise in die Rumpelkammer der Rüstungsgeschichte, Ferien auf einer Waffenmüllhalde made in USA. Ein Schild, das vor chemischen Sprengkörpern warnt, gibt es nicht. Bis jetzt, sagen die Hotelbesitzer, sei man über nichts gestolpert.

2013 schlug das Thema in den Medien hohe Wellen, woraufhin sich das Management der Hacienda entschloss, die Vergangenheit nicht länger unter den Teppich zu kehren. Seitdem wird der Ort den Touristen als lebendiges Museum vermittelt.

„Die Insel ist groß, das Hotel ist am einen Ende, das Bombenthema am anderen“, meint eine Urlauberin. Die Buchung für ihr Domizil mit Blick auf die Bucht war schon bestätigt, als sie von der explosiven Seite der Insel erfuhr. „Wir haben es von der heiteren Seite genommen. Und das Hotel informiert sogar über die Operationen von damals.“ Das Management hat die paradiesische Umgebung auf seiner Seite und fühlt sich sicher genug, die Tests als historische Anekdote zu verkaufen. „Wir haben sogar einen organisierten Ausflug zum ehemaligen Militärgebiet mitgemacht, wo noch Überreste der Kasernen zu sehen sind“, erzählt die Urlauberin. „Man hat uns erklärt, die militärischen Operationen hätten sich ganz auf die abgelegenen Zonen der Insel beschränkt, also weder die Landepisten betroffen noch die Straßen, die wir bei dem Ausflug benutzt haben.“

Niemand in San José möchte die Besucher verschrecken. Das war nicht immer so. Als die USA die Insel in den 1940er Jahren für ihre Chemiewaffentests ausgesucht hatten, setzten sie eine alte Schauergeschichte wieder in Umlauf: 1857 lebte auf San José glücklich und zufrieden ein Engländer mit Frau und Tochter. Sie hatten ein einfaches Bauernhaus gebaut. Die Familie lebte von Früchten und vom Fischfang. Eines Tages landete ein fremder kriegerischer Stamm in San José. Der Engländer und seine Frau wurden von den Eindringlingen getötet und skalpiert. Das Mädchen konnte fliehen. Kurze Zeit später wurde sie von Bewohnern einer Nachbarinsel im Dschungel von San José gefunden, jäh gealtert, weißhaarig und dem Wahnsinn verfallen. Die Helfer wollten sie aufs Festland zurückzubringen, doch sie überlebte die Überfahrt nicht.

Panama ist ein von zwei Ozeanen umspülter schmaler Landstreifen. So schmal, dass man am selben Tag in der Karibik frühstücken, in den Bergen zu Mittag essen und den Sonnenuntergang am Pazifik bewundern kann. Zwischen den beiden Meeren liegen 80 Kilometer Urwald. Zu präkolumbianischen Zeiten tauschten die Völker über die Landenge von Panama Handelswaren aus. Nach der Landung der spanischen Invasoren wurde das in Peru und Kolumbien geraubte Gold und Silber großteils per Schiff zur panamesischen Pazifikküste gebracht und dann über Land, auf dem sogenannten Kreuzweg, zur Karibikküste getragen. Von dort fuhren die mit Schätzen beladenen Galeonen nach Europa zurück. Hier entstanden die Legenden von den Piraten der Karibik, die sich dieser Beute zu bemächtigen versuchten.

Nach dem Ende des Unabhängigkeitskriegs unter Führung von Simón Bolívar entstand 1819 Großkolumbien, zu dem auch die Provinz Panama gehörte. 1878 erwarb Frankreich die bis Ende des 19. Jahrhunderts gültige Konzession zum Bau des Kanals. Die Franzosen hatten ihren Erfolg beim Bau des Suezkanals vor Augen, doch diesmal erlebten sie eine katastrophale Niederlage. Mit dem Urwald wurden sie nicht fertig, das Unternehmen scheiterte.

Und da kamen die USA ins Spiel. Zunächst wollten sie mit Großkolumbien eine neue Konzession für den Kanalbau aushandeln, doch dann erwies es sich als unkomplizierter, einfach einen neuen Staat zu gründen. Panama wurde von Großkolumbien unabhängig ohne einen einzigen Schuss, nur mit Hilfe zweier Schiffe der US-Marine. Die neue Republik schloss sogleich einen Vertrag, der den USA eine unbefristete Konzes­sion für den Bau und die Nutzung des Panamakanals einräumte. Und dazu die Kontrolle über einen jeweils fünf Meilen breiten Landstreifen links und rechts der Wasserstraße: Ein Gebiet von 1432 Quadratkilometern, das an beide Ozeane reichte, nur die großen Küstenstädte Panama-Stadt und Colón blieben ausgespart. In dieser Kanalzone errichteten die USA Militärstützpunkte, die fortan US-Gesetzen unterlagen.

Hier war auch der Standort des Southern Command, der Kommandozentrale für die Koordination und Durchführung aller Militäroperationen der USA in Süd- und Mittelamerika, zu dem auch das berüchtigte Ausbildungszentrum Escuela de las Ámericas gehörte. Heute befindet sich in dem Gebäude das Luxushotel Meliá Panama Canal, das Abenteuerreisen in den Dschungel anbietet.

Über den Feldbetten der GIs baumelten Gasmasken

Quelle: le monde diplomatique >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle – Wikipedia:

English: Photo montage of the city of Panama  /  CC BY-SA 3.0
Urheber Mr.Jhosimar

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