Das Richtige im Falschen:
Erstellt von Redaktion am Freitag 13. Juli 2018
Verteidigen wir den Euro!
von Stephan Schulmeister
Neben dem Kampf gegen den Islam eint die rechten Parteien aller Euro-Länder nichts mehr als die Ablehnung der Europäischen Währungsunion: Der Euro trage die Hauptschuld an der Krise Europas, so die italienische Lega und die deutsche AfD, die österreichische FPÖ und der französische Rassemblement National in trauter Einstimmigkeit; er bedrohe die Existenz der kleinen Leute und des Mittelstandes. Die südeuropäischen Länder hätte man nicht in die Währungsunion aufnehmen dürfen, nun müssten „wir“ die Zeche zahlen, und bei Nullzinsen verzehre die Inflation auch noch das Ersparte. Das Problem dabei: Die Rechten verknüpfen durchaus zutreffende Beobachtungen wie die Deklassierung von immer mehr Menschen, die steigende Ungleichheit, den Abbau von Sozialleistungen in einer Weise mit dem Euro, dass dieser als der alleinige Schuldige erscheint. So schaffen sie es, sich als EU-feindliche und nationalistische Parteien der „kleinen Leute“ zu profilieren.
Aber auch bei der Linken steht der Euro keineswegs hoch im Kurs: Als Reaktion auf die Austeritätspolitik in Südeuropa fordern etwa Heiner Flassbeck, Wolfgang Streeck oder Oskar Lafontaine ein Ende der Währungsunion. Sie sei ein Instrument zur Durchsetzung der neoliberalen Umgestaltung Europas unter deutscher Führung. Nur die „Abwicklung“ des Euro könne den „Vormarsch des neoliberal-supranationalen Leviathan“ (Streeck) stoppen.[1] „Neoliberales Wohlverhalten“ werde durch eine doppelte Abhängigkeit der Euroländer erzwungen: einerseits von der Kreditbereitschaft der Finanzmärkte, andererseits – wenn diese erlischt – von den Vorgaben des European Stability Mechanism (ESM) oder der Europäischen Zentralbank (EZB), die nach Gutdünken diktieren könnten, welchen Bedingungen sich ein Land unterwerfen muss, um in der Währungsunion zu bleiben. Selbst wenn die Mehrheit der Bevölkerung eine weitere Sparpolitik ablehnt, werde ihr der Gürtel enger geschnallt – also frei nach Brecht: „Das Volk hat sich das Vertrauen der EU verscherzt und kann es nur durch verdoppelte Sparanstrengung zurückgewinnen.“ In ihrer Ablehnung des Euro kommen Rechtspopulisten und linke Intellektuelle also durchaus zu der gleichen Schlussfolgerung, nämlich zu einem Zurück zum Nationalstaat. Damit aber wird der Weg zu einem gemeinsamen und sozialen Europa durch den bereits erstarkten und weiter wachsenden Nationalismus blockiert.
Diese nationale Blockade hatte Friedrich August von Hayek schon 1939 beschrieben: Wenn Staaten eine Wirtschaftsunion gründen, dann führe die Freizügigkeit von Arbeit und Kapital, so seine erste Hauptthese, zu einer massiven Einschränkung des Handlungsspielraumes nationaler Politik. Denn jede Änderung der Investitionsbedingungen oder der Arbeitskosten in einem Teil der Union werde Angebot und Preise von Kapital und Arbeit in anderen Teilen der Union beeinflussen. Zudem beschränke ein gemeinsamer Markt die Steuerhoheit der einzelnen Staaten sowie den Handlungsspielraum von Gewerkschaften. Auch eine unabhängige Geldpolitik könne es nach Einführung einer Gemeinschaftswährung nicht mehr geben.[2]
Gleichzeitig, so Hayeks zweite Hauptthese, könne die Union den Handlungsspielraum nicht in dem Maße erweitern, in dem er auf nationaler Ebene verloren ginge: Maßnahmen, die in einem reichen Land selbstverständlich seien – Arbeitslosenversicherung, die Beschränkung von Arbeitszeiten –, würden einem armen Land schaden und daher dort abgelehnt. Zudem fehle einer umfassenden Wirtschafts- und Sozialpolitik auf Unionsebene die demokratische Legitimation: Die Menschen würden sich Entscheidungen widersetzen, die auf Unionsebene von Menschen anderer Nationalität getroffen werden. Daher sei der wirtschaftspolitische Spielraum für die Regierung einer Föderation wesentlich kleiner als für Nationalstaaten.
In einer Staatenunion müsse sich die (Wirtschafts-)Politik somit darauf beschränken, dauerhaft sicherzustellen, dass sich Eigeninitiative optimal entfalten kann. Ein „im Wesentlichen liberales ökonomisches Regime“ sei Voraussetzung für das Funktionieren einer Konföderation, ohne die wiederum kein dauerhafter Frieden möglich sei. „Was immer man von der Wünschbarkeit anderer Ziele der Regierung hält – die Verhinderung von Krieg oder ziviler Unruhen haben zweifellos Vorrang, und wenn sich das nur durch eine Beschränkung der Regierungsaufgaben auf diese und ein paar andere Kernaufgaben erreichen lässt, werden jene anderen Ideale weichen müssen.“[3]
Auf den Punkt gebracht: Wer Frieden wolle, brauche eine Staatenunion und müsse daher auf „andere Ziele der Regierung“ wie Marktregulierungen und Ideale wie Sozialstaatlichkeit verzichten. Hayek stellt seinen Wunsch nach Abbau des Sozialstaates somit als notwendige Folge der Gründung eines Staatenbundes dar, der wiederum zur Sicherung des Friedens unabdingbar sei. Für Wolfgang Streeck liest sich Hayeks Aufsatz heute „wie ein Konstruktionsplan für die Europäische Union von heute“.[4] Streeck zieht daraus den Schluss, dass Sozialstaatlichkeit und Demokratie nur im Rahmen des Nationalstaates verteidigt werden können, also durch „weniger Europa“. Offenbar hält er Hayeks Analyse für zutreffend. Aber ist sie das wirklich?
Ein Blick auf die Gründungsgeschichte der EU beweist das Gegenteil. Nachdem die 1950 geschaffene „Europäische Zahlungsunion“ (EZU) den Zahlungsverkehr zwischen den (west-)europäischen Ländern organisierte, entwickelten sich die innereuropäischen Beziehungen in der Prosperitätsphase stabil – bei festen Wechselkursen. Kursanpassungen waren nur selten nötig, auch die Währungen Südeuropas blieben stabil. Gleichzeitig erzielten Griechenland, Portugal, Spanien und – in geringerem Ausmaß – Italien zwanzig Jahre lang ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum. Es stimmt somit nicht, wie Streeck behauptet, dass Mittelmeerländer auf Abwertungen angewiesen waren und immer noch sind.
Der Grund dafür: In einer realkapitalistischen „Spielanordnung“ sind die Triebkräfte des ökonomischen Aufholens („catching-up“) viel stärker als die Vorteile von Abwertungen der „rückständigen“ Länder (außerdem wächst der gesamte „Kuchen“ – das BIP Europas – schneller und stabiler). Daher stellt eine Währungsunion per se keine „Zwangsvereinheitlichung der Wirtschafts- und Lebensweisen der europäischen Völker“ dar.[5] Das Beispiel Südeuropas zeigt vielmehr: Feste Wechselkurse halten die Inflation in Grenzen. Erst nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1973 samt gleichzeitigem Ölpreisschock beschleunigte sich die Inflation massiv als Folge einer Rückkoppelung von Abwertungen und Lohn-Preis-Spirale.
Der langfristige Konvergenzprozess (West-)Europas erfolgte trotz unterschiedlicher „Wirtschaftskulturen“ und trotz – vielmehr wegen – fester Wechselkurse, denn diese waren eingebettet in die gemeinsame „Spielanordnung“ samt gemeinsamen Zielen wie Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Die entsprechende „Navigationskarte“ koordinierte das Verhalten von Unternehmern und Politikern. Der anhaltende Erfolg der Kombination von Realkapitalismus mit Sozialstaatlichkeit stärkte die Zustimmung der Menschen zum „Europäischen Sozialmodell“. Daher war der europäische Zusammenhalt stärker als heute. Dabei zeigte sich: Eine gemeinsame Weltanschauung und „Navigationskarte“ sind wichtiger als gemeinsame Institutionen.
1971 bis 1992: Vom Währungschaos zum Beschluss der Währungsunion
Die lange Phase zwischen der Aufgabe fester Wechselkurse und der Gründung der Währungsunion wurde durch folgenden Widerspruch geprägt: Einerseits strebte die Politik nach einer Erweiterung und Vertiefung der europäischen Integration, andererseits schränkten „Marktreligiosität“ und Finanzkapitalismus ihren Handlungsspielraum ein. So wurde die Gemeinschaft um Großbritannien, Irland und Dänemark (1973), Griechenland (1981), Spanien und Portugal (1986) sowie Österreich, Schweden und Finnland (1995) erweitert und durch die „Einheitliche Europäische Akte“ (1987) gefestigt. Gleichzeitig ließen Dollarkursschwankungen, Ölpreisschocks, das positive Zins-Wachstums-Differential und die Attraktivität von Finanzspekulation Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung steigen.
Vor 40 Jahren, nämlich am 6. und 7. Juli 1978, wurden dann auf dem Europäischen Rat in Bremen die allgemeinen Leitlinien des europäischen Währungssystems verabschiedet und somit die Grundlagen für das „Europäische Währungssystem“ (EWS) geschaffen, das zum 1. Januar 1979 in Kraft trat.[6] Als Recheneinheit diente der ECU („European Currency Unit“), bestehend aus einem Korb der EWS-Währungen. Für jede wurde ein Leitkurs zum ECU und eine Schwankungsbreite von +/−2,25 Prozent festgelegt. Doch schon bald setzte massive Spekulation gegen Franc, Lira, Peseta und Drachme ein, ihre Leitkurse mussten wiederholt gesenkt werden. Wirtschaftlich aber konnten diese Länder von den Abwertungen nicht profitieren, ihre Inflation stieg dadurch stärker als ihr Wirtschaftswachstum. Erst ab Ende 1986 gelang es der Politik, die EWS-Kurse fast sechs Jahre lang stabil zu halten. Dies förderte die Integration Europas, gleichzeitig sank die Inflation ebenso wie ihr unterschiedliches Tempo in den (früheren) Hart- und Weichwährungsländern.
1989 schließlich entwarf der damalige Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, einen Dreistufenplan für den Weg zu einer Währungsunion, was aber nicht auf Zustimmung Deutschlands stieß. Der Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ in Osteuropa eröffnete die große Chance auf die Wiedervereinigung Deutschlands, und diese wollte Kanzler Helmut Kohl mit allem Nachdruck nutzen. Als „Gegenleistung“ forderte der französische Staatspräsident Mitterrand die Umsetzung des „Delors-Planes“, wodurch Deutschland seine Rolle als De-facto-Leitwährungsland der EU verlor.
Die Europäische Währungsunion war somit – ebenso wie die deutsche Wiedervereinigung – Ergebnis des Gestaltungswillens der Politik: Devisenspekulation und Wechselkursinstabilität sollten durch „Marktschließung“ unwiderruflich überwunden werden. Damit war und ist der Euro das bedeutendste antineoliberale Projekt der EU. Die Ausgestaltung des institutionellen Rahmens der Währungsunion überließ die Politik jedoch den Mainstream-Ökonomen: Mit der Regelbindung der Fiskalpolitik wurde eine Hauptforderung der neoliberalen „Schule von Chicago“ im Vertrag von Maastricht 1992 verankert und im Vertrag von Amsterdam 1997 „verewigt“. Gleichzeitig wurde die Geldpolitik zum Vorrang der Geldwertstabilität vor allen anderen Zielen verpflichtet.
Die Einbindung eines antineoliberalen Projekts in ein neoliberales Regelwerk schuf einen systemischen Konflikt- und Krisenherd. Wird lediglich ein Sektor, der Staat, an Defizitregeln gebunden, können die anderen Sektoren bewirken, dass dieser sein Budgetziel verfehlt und daher sparen und den Sozialstaat abbauen muss. Denn die Entwicklung der Finanzierungssalden ist das Ergebnis der Interaktion aller Sektoren. So kann eine Notenbank das Zinsniveau derart erhöhen, dass der Staat ein „regelwidriges“ Defizit erleidet, weil die Unternehmer die Investitionen einschränken und die Wirtschaft in eine Rezession schlittert. Überdies begünstigt eine einseitige Regelbindung den „Neo-Merkantilismus“, die Förderung der eigenen Wirtschaft auf Kosten anderer Länder. Unter finanzkapitalistischen Rahmenbedingungen erzielen nicht nur die Haushalte, sondern auch die Unternehmen Überschüsse, daher kann der Staat nur dann eine „schwarze Null“ erreichen, wenn das Ausland ein ausreichend hohes Defizit akzeptiert – das eigene Land also einen ebenso hohen Leistungsbilanzüberschuss erzielt.
»Markt« gegen Politik: Der Zusammenbruch des EWS 1992/93
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Grafikquelle : Serie der Euro-Banknoten
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Author | Stevy76 | |||
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