Das Recht auf Demokratie
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 19. Dezember 2018
»Die Araber haben ein Recht auf Demokratie«
von Jamal Khashoggi
Der saudische Journalist Jamal Khashoggi wurde am 2. Oktober im Konsulat seines Landes in Istanbul ermordet. Erst auf massiven internationalen Druck räumte Riad ein, dass es sich dabei um eine vorsätzliche Tötung handelte. Der folgende Beitrag basiert auf einem Vortrag, den Khashoggi am 26. April bei einer Konferenz des Center for Middle East Studies der Universität Denver und des Center for the Study of Islam and Democracy in Washington gehalten hat. Wir publizieren ihn hier mit freundlicher Genehmigung in deutscher Erstveröffentlichung. Die Übersetzung aus dem Englischen stammt von Steffen Vogel. – D. Red.
Ich komme aus Saudi-Arabien, wo Demokratie und Islam sehr relevante Themen sind. In der Vergangenheit war es so: Wollte ein saudischer Regierungsvertreter die Debatte über die Demokratie abwürgen, stellte er stets in Frage, ob sie mit dem Islam vereinbar sei. Aber das hat sich mit dem Arabischen Frühling endgültig erledigt. Seinerzeit unterstützten die Menschen in der arabischen Welt die Proteste für einen demokratischen politischen Wandel. Das galt vor allem für die Jugend, aber sogar für die Islamisten, einschließlich einiger Salafisten, die zuvor der Demokratie immer kritisch gegenübergestanden hatten. Andere Salafisten behielten diese Haltung allerdings bei. Sie betrachten die Demokratie nach wie vor als „Kufr“ oder unislamisch, weil sie in ihr eine Zurückweisung religiöser Werte sehen.
Insgesamt jedoch zeigten die langen Schlangen, die sich 2012 vor den Wahllokalen in Tunesien und Ägypten bildeten, klar, dass die Menschen in der arabischen Welt bereit für den Wandel waren. Sie nahmen enthusiastisch an demokratischen Wahlen teil, und das schloss islamistische Parteien ein, die oft im Fokus standen, wenn es um die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie ging. Diese Bilder aus Ägypten und Tunesien – von Männern und Frauen, Jungen und Alten, die zu den Urnen strömen – sollten wir jenen Scheinwahlen entgegenhalten, die wir heute in Ägypten und anderen Teilen der arabischen Welt sehen. Denn diese Bilder liefern uns ein Argument gegen all jene, die behaupten, „die Araber sind noch nicht bereit für die Demokratie“.
Saudi-Arabien ringt heute mit verschiedenen Aspekten der Moderne: mit Kinos, Kunst und Unterhaltung, mit der Begegnung der Geschlechter, mit der Öffnung zur Welt und mit der Zurückweisung des Radikalismus. Der feste Griff des religiösen Establishments um das gesellschaftliche Leben löst sich schrittweise. Aber während sich die saudische Führung in all diesen Fragen modern zeigt,[1] hat sie immer noch kein Interesse an der Demokratie. Sie bringt allerdings auch nicht mehr die alte, lahme Entschuldigung vor, die Demokratie sei nicht mit dem Islam vereinbar. Vielmehr sagt sie – wie Kronprinz Mohammed bin Salman im Frühjahr gegenüber „The Atlantic“ –, die absolute Monarchie sei unsere bevorzugte Regierungsform.[2]
Tatsächlich leben wir im Zeitalter des Autoritarismus. Manche Menschen halten ihn für das überlegene politische System. Sie argumentieren, Gesellschaften bräuchten einen überragenden Anführer und die Demokratie würde diesen Anführer daran hindern, sein Volk in eine bessere Zukunft zu leiten. Wenn Sie heute in Riad, Kairo oder Amman mit Intellektuellen zu Abend essen, die einst als Liberale galten, die Freiheit, politischen Wandel und Demokratie unterstützten, werden sie sehr wahrscheinlich folgendes zu hören bekommen: „Die Araber sind noch nicht bereit für die Demokratie.“ Und wenn Sie dieses Argument zurückweisen, wird man Ihnen erklären: „Selbst wenn die Araber schon bereit für die Demokratie sind, so verstehen sie es doch nicht, davon Gebrauch zu machen. Sie treffen immer die falsche Wahl.“ Ein verwandtes Argument lautet: „Die Islamisten und die Muslimbruderschaft haben den Arabischen Frühling usurpiert.“ In meinem Land ist folgende Variante geläufig: „Die Saudis wissen nicht, wie man wählt. Wenn wir eine Demokratie hätten, würden sie bei Abstimmungen nicht ihrem Gewissen folgen, sondern ihren Stammesloyalitäten.“
Die Idee vom wohlwollenden Diktator
Überall in der arabischen Welt ist das Argument populär, dass wir starke Führer brauchen. Man hört es in Ägypten von einem Geschäftsmann, der das herrschende Regime unterstützt. Man hört es von dubiosen Jordaniern, vielleicht sogar von dubiosen Tunesiern, die zurück zur alten Ordnung wollen. Selbst ein saudischer Freund von mir, der im Ausland aufgewachsen ist, verteidigt offen den Begriff der „wohlwollenden Autokratie“. Er würde ihren Wert sogar in einer amerikanischen Tageszeitung verteidigen und glaubt, dies sei für Saudi-Arabien die beste Wahl. Das ist die alte Vorstellung vom „mustabidu al-adl“, dem gerechten Diktator, die eigentlich mit dem Aufstieg Abd al-Rahman al-Kawakibis[3] gestorben war. Kawakibi war im ausgehenden 19. Jahrhundert ein arabisch-muslimischer Reformer syrischen Ursprungs. Die arabischen und muslimischen Intellektuellen, die ihm folgten, unterstützten die Demokratie oder zumindest eine Form von ihr. Bedauerlicherweise erlebt jedoch die Idee eines wohlwollenden Autokraten, des gerechten Diktators, ein Revival in der arabischen Welt. Ein Chor antidemokratischer – arabischer wie nichtarabischer – Stimmen erhebt sich in Medien und Lobbyorganisationen gegen die Demokratie. Auf der internationalen Buchmesse in Riad im März, an der ich nicht teilnehmen konnte, soll ein Buch mit dem vielsagenden Titel „Gegen den Arabischen Frühling“ ausgelegen haben.
In der arabischen Welt gerät die Demokratie aber auch durch radikale Islamisten unter Beschuss. Sie erleben seit einiger Zeit ein Comeback: in Form des sogenannten Islamischen Staats oder in Form der Salafisten, die in Libyen an der Seite von Khalifa Hifter kämpfen (er diente als General in Muammar al Gaddafis Armee und wird nun von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten unterstützt).[4] Die radikalen Islamisten predigen in ihren Moscheen gegen die Demokratie – bekämpfen sie aber auch durch Gewaltakte. Wir müssen daher jenen Menschen in der arabischen Welt Mut machen, die entweder die Hoffnung in die Demokratie verloren haben, weil sie ihre Schwächen wahrnehmen, oder weil sie der konzentrierten Propaganda staatlicher TV-Netzwerke und der mit ihnen verbundenen Intellektuellen zum Opfer gefallen sind.
Macht teilen, Kriege beenden
Quell : Blätter >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Saudi journalist, Global Opinions columnist for the Washington Post, and former editor-in-chief of Al-Arab News Channel Jamal Khashoggi offers remarks during POMED’s “Mohammed bin Salman’s Saudi Arabia: A Deeper Look”. March 21, 2018, Project on Middle East Democracy (POMED), Washington, DC.…