Der Beruf des Kriminalpolizisten setzt viel voraus und verlangt viel, ist nicht gut bezahlt und oft eingeklemmt zwischen individuellem Stress, nervenaufreibender Bürokratie und Konfrontation mit widersprüchlichen Erwartungen von Menschen in Ausnahmesituationen. Nicht einfach! In der Wirklichkeit ist die Anzahl der Kommissare, die nebenbei Kriminologie oder Psychologie studiert haben, nicht so hoch wie im TV-„Tatort“, allerdings auch nicht die der persönlichkeitsgestörten Partnerschaftswracks mit Autoritätstrauma und Disziplinarverfahren an der Backe. Alles also eher normal, wie es halt so ist im Leben, wo die Quote früherer Waldorfschüler unter Tanztherapeuten vermutlich einfach höher ist als im Unteroffizierscorps der Bundeswehr. Auch deshalb sollte man annehmen, dass der Beruf des Kriminalpolizisten nicht bevorzugt Menschen anzieht, die sich durch emotionale Irritierbarkeit, brüchiges Selbstbild und extreme Fantasieneigung auszeichnen. Betrachtet man die Selbstdarstellung des Berufs, wird diese Erwartung auch meist bestätigt: Eher robust und dem Handfest-Praktischen zugetan, vertraut mit Tricks und Abgründen der sogenannten Kundschaft, bei fast jedem fast alles für möglich haltend, mit einer Sicherheit vermittelnden Distanz zum eigenen Ich und zum fremden Leiden.
Daher ist es erstaunlich, bei der Pressekonferenz eines Polizeipräsidenten zu hören, die Ermittlungsarbeit einer Kommission sei „das Schlimmste“ gewesen, was den Kollegen je widerfahren sei, eine grauenvolle, emotional nicht zu bewältigende Belastung. Wir hören und schaudern, wenn von Paragraf 184b StGB, der „Verbreitung kinderpornografischer Schriften“, die Rede ist:
„Es geht mir darum, das Entsetzen darüber zum Ausdruck zu bringen, was geschehen ist und was meine Mitarbeiter in nur drei Wochen ermittelt haben. Selbst die erfahrensten Kriminalbeamten sind an die Grenzen des menschlich Erträglichen gestoßen und weit darüber hinaus.“
Das sagte, Presseberichten zufolge, der Polizeipräsident von Münster bei der Pressekonferenz zum Ermittlungsverfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs und Verbreitung kinderpornografischer Schriften in Münster, und dem Leiter der mit der Ermittlung befassten Kommission, „versagte“, so lesen wir, „beinahe die Stimme“, als er der Presse davon berichtete, wie schlimm die entdeckten Bild- und Videodateien seien. Das ist menschlich verständlich und in der Sache vermutlich nicht fernliegend. Andererseits entspricht es nicht dem sonst gewohnten Selbstbild von Polizei und Staatsanwaltschaften bei der Verkündung von Fahndungserfolgen. Das gilt entsprechend auch für die Medienöffentlichkeit. Hier rücken zwar immer einmal wieder Betrachtungen über die imaginierte Innenwelt von Ermittlern ins Blickfeld; aber eine allgemeine Klage über die schreckliche Belastung, sich beruflich tagein, tagaus mit Terrordrohungen, Holocaustleugnungen, um ihre Ersparnisse geprellten Rentnern oder Mordmotiven befassen zu müssen, findet sich selten. Anders bei der Kinderpornografie. Da fragt etwa „Bild“ am 6. Juni:
„Wie kommen die Ermittlungsbeamten und -beamtinnen, die selbst Väter und Mütter sind, mit diesen Eindrücken zurecht? … Wer macht sich Gedanken über die Männer und die Frauen bei der Polizei, die Hunderte von Terabytes auswerten müssen von diesem abscheulichen Dreck?“
Die Antwort gibt die Zeitung gleich selbst: Wir tun es. Dass die Beamten auch „Väter und Mütter“ sind, ist richtig. Sie sind allerdings auch alles andere, was Menschen in der Gesellschaft außerhalb ihrer Berufsrolle sind. Trotzdem verzweifeln sie nicht schon deshalb am Einbruch, weil sie selbst in Wohnungen leben, und nicht am Totschlag, weil sie selbst Freunde und Verwandte haben. Der Topos vom Ermittler, der an den Beweisstücken des Kindesmissbrauchs leidet, ist aber weitverbreitet und dient auch im professionellen Umfeld von Polizeiführungen und Interessenvertretungen als moralisch unangreifbares Argument für ganz unterschiedliche Anliegen.
„Der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Sebastian Fiedler, erklärte …, die Polizei stoße personell oft an die Grenzen. … Fiedler spricht von einem großen Dunkelfeld und geht davon aus, dass mindestens 100 Kinder täglich Opfer von sexuellem Missbrauch werden.“ (ARD-„Morgenmagazin“, 9. Juni 2020)
Das ist auch insoweit etwas irritierend, als man es im Zusammenhang mit anderen Straftaten nicht so und jedenfalls nicht in diesem Maß gewohnt ist. Man liest selten darüber, wie schrecklich es ist, Zeugenvernehmungen von misshandelten oder vergewaltigten Menschen durchzuführen, und die Fernsehkrimis signalisieren dem Zuschauer nicht, dass es grauenvoll sei, im Morddezernat zu arbeiten, sondern zeigen im Gegenteil, dass dies eine erfüllende und oft lustige Tätigkeit sei, wo zwischen Sektionstisch und „SpuSi“ so manche Currywurst gegessen und so manches Bierchen gezischt wird. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht auch dort schrecklich sein kann. Aber es ist einfach viel seltener, obgleich doch hinter den mit Paragrafen bezeichneten Tatbeständen des Strafrechts oft ein berührendes, grausames, erschreckendes Geschehen steckt, Abgründe von bösem Willen und Niedertracht sich auftun und menschliches Leid in die Form gebracht werden muss, die eine Verarbeitung in den formellen Verfahren erlaubt, die das Gesetz mit guten Gründen vorschreibt. Hier stellen sich vielleicht, neben allen anderen, auch Fragen nach dem spezifischen Inhalt, der öffentlichen Wahrnehmung und der sozialen Verarbeitung.
Vertretungen
„Focus Online“ vom 8. Juni 2020 hat folgende Erwägung angestellt:
„Ob Lügde, Münster oder der Fall Maddie – angesichts der unvorstellbar grausamen Verbrechen an Kindern stellt sich die Frage: Welche Rechtsanwälte verteidigen Angeklagte, die in den Augen nicht weniger Menschen geradezu monströse Verbrechen begangenen und damit sämtliche Rechte verwirkt haben?“
Bemerkenswert ist, mit welch triumphaler Gewissheit Ermittlungsbehörden und Medien den Eltern des im Jahr 2007 verschwundenen Kindes „Maddie“ seit einer Woche sagen, dass ihre Tochter erstens tot und zweitens Opfer eines „monströsen“ Sexualmords geworden sei.
Abgesehen davon interessiert am Zitat zweierlei: Zum einen die Mitteilung, Täter von Verbrechen an Kindern hätten „sämtliche Rechte verwirkt“, jedenfalls „in den Augen“ der „nicht wenigen Menschen“, deren „Fragen“ das genannte Medium freundlicherweise an alle anderen weitergibt. Zum anderen die Beschreibung dessen, um was es in der Sache eigentlich geht. „Unvorstellbar grausam“ und „geradezu monströs“: Wer so einsteigt, hat keinen Raum mehr für Steigerungen. Die Erregung kann hier nur immer weiter beteuert werden; die Klimax ist schon mit der Überschrift erreicht. Was soll hinter „unvorstellbar“ noch kommen? Was unterscheidet aktuelle Monstrosität von der letzten und vorletzten, und von der nächsten und übernächsten? Man kann einmal schreiben, beim Anblick abgerissener Gliedmaßen oder verfaulter Leichen sei den Mitarbeitern der Mordkommission furchtbar übel geworden. Es bei der nächsten Leiche wieder zu schreiben, wäre aber eher kindisch.
Quelle : Spiegel >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — The Isibindi programme also creates safe spaces in the local area where children can play and get advice and counselling. The safe park sessions are held three times a week and run by trained Child and Youth Care workers that children can confide in about issues of violence they are facing in their lives. As an Isibindi Child and Youth Care worker explains, “Where drugs and alcohol are involved, violence is often involved. So on a Saturday morning children can come down to the safe park and feel safe. It’s also the time that we as Child and Youth Care Workers identify children in need. This is a place where you can see if a child has been abused. It’s a place where a child can feel free to come and talk to us.” Background In March 2013 the United Nation’s Commission on the Status of Women will meet to discuss how to prevent all forms of violence against women and girls. This International Women’s Day, help demand action by sending a message to global leadersthat it’s time to put a stop to this worldwide injustice. UK aid is working in 21 countries to address physical and sexual violence against women and girls and will be supporting 10 million women and girls with improved access to security and justice services by 2015. Find out more about how UK aid is helping to end violence against women at www.dfid.gov.uk/violence-against-women-and-girls For more information about the Isibindi programme visit UNICEF South Africa Pictures: Lindsay Mgbor/Department for International Development Terms of use This image is posted under a Creative Commons – Attribution Licence, in accordance with the Open Government Licence. You are free to embed, download or otherwise re-use it, as long as you credit the source as Lindsay Mgbor/Department for International Development‘.
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Unten — Thomas Fischer auf der re:publica 2016