Das Leben gelingend leben
Erstellt von Redaktion am Dienstag 18. Juni 2013
Erkenntnisse des Alters V
Das Leben gelingend leben
Wer sein Leben gelingend leben und im Alter glücklich abrunden will, der sollte genau hinhören und darüber tiefgreifend nachdenken, was Menschen in ihren letzten Lebenstagen zu sagen haben. Denn sie werden, wenn sie sich dem Tode nahe fühlen, zu Weisen. Sie bereuen dabei nicht das, was sie im Leben getan haben, sondern sie bereuen das, was sie im Leben nicht getan haben.
Die kanadische Palliativpflegerin Bronnie Ware zeigt in ihrem soeben auf Deutsch erschienenen Buch „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ (Arkana, 2013) die folgenden Hauptunterlassungen auf:
1. Nicht mutig das eigene Leben gelebt zu haben (d.h. nicht selbständig gedacht und gehandelt zu haben oder anders: sich zu sehr von der Meinung anderer abhängig gemacht zu haben. Anm.G.H.)
2. Nicht weniger gearbeitet zu haben
3. Die eigenen Gefühle nicht ausgedrückt zu haben
4. Den Kontakt zu den Freunden nicht aufrechterhalten zu haben
5. Sich nicht erlaubt zu haben, glücklicher zu sein
Die fünf Dinge machen deutlich, was der Bund der Pflegeversicherten jeder seiner e-Mails seit Jahren als Schlussgedanken beifügt. Der Schlussgedanke beginnt mit der Frage: „Haben Sie heute schon gelebt?“ und antwortet: „Der Bund der Pflegeversicherten steht für ein selbstbestimmtes, selbstbewusstes und gelingendes Altern. Seine Mitglieder leben Lebenskunst, sie werden nicht gelebt, sie leben durch sich selbst“. Sie haben den Mut, sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung durch andere zu bedienen.
Sie machen ferner deutlich, dass die Unterlassung der fünf Punkte eine schmerzhafte innere Leere bewirkt, wie sie den Menschen der westlichen Welt eigen sind. Die innere Leere wiederum bewirkt, dass diese Menschen sich selbst zu willfährigen Sklaven der Konsumindustrie und der Märkte machen. Sie haben der Verführung keinen Widerstand entgegenzusetzen. Es fehlt ihnen die Achtung sich selbst gegenüber, Anderen gegenüber, dem Lebendigen insgesamt gegenüber. Sie wissen nicht mehr, was Leben heißt! Mit einem Ausruf, wie Albert Schweitzer ihn tat: „Leben ist leben inmitten von Leben das leben will“, können sie nichts anfangen. Insofern ist es also richtig, den Blick auf jene zu richten, die dem Tode nahe sind. Von ihnen können wir lernen, dass unser Leben endlich ist. Der Gedanke aber, dass das Leben endlich ist, schärft die Achtung und den Respekt für das Leben, er ist für das gesamte Leben grundlegend wichtig. Er macht selbst unsere eigenen Entscheidungen erträglicher.
Der Paderborner Philosoph Hans Ebeling schreibt in seinem Buch „Über das Alter und das Ende der Torheit“ (Würzburg, 1999): „Medizinische und psychologische Gerontologie ebenso wie die Soziallehren des Alters und alternder Gesellschaften dienen vielem, aber nicht dem Ende der Torheit. Die Philosophie hat als ‚Liebe zur Weisheit’ zunächst kein anderes Ziel, als diesem Ende zu dienen. Das Alter (das es, nach Jahren bestimmt, nicht gibt) ist daher nur von Interesse, soweit es für das Ende der Torheit tauglich macht. Denn uneinsichtig, erinnerungslos und ohne Einkehr verlauft und endet das Leben der meisten. Sie lassen das Alter verstreichen wie das Leben selbst. Ein Leben ohne Einsicht, Erinnerung und Einkehr ist nicht ‚lebensunwert’, aber belanglos. Die Humanität gebietet, noch das Belanglose zu schützen. Aber besondere Achtung darüber hinaus kann solchem weithin ‚bewusstlosen’ Lebensvollzug nicht zugebilligt werden. Die ohne Einsicht, Erinnerung und Einkehr bestimmen immerhin den Weltlauf. Sie missbrauchen das ‚Weltgericht’. Sie ergeben sich dem Trost oder der Trostlosigkeit des Alters. Das Ende der Torheit setzt dagegen voraus, von sich aus aus der Zeitgenossenschaft herauszufallen. Spätestens für das Alter gibt es nur eine ‚Überlebensform’ des Geistes: unzeitgemäß zu sein.“
Unzeitgemäß zu sein, wird manchem – und besonders dem Privatversicherten und dem Beamten – nicht leicht fallen, er wird über seinen Schatten springen müssen, um beispielsweise folgende Aussagen zu akzeptieren:
Während die Kassen der gesetzlichen Pflegversicherung leer sind, stapeln sich in den Tresoren der privaten Pflegeversicherung derzeit ungefähr 14 Milliarden Euro. Es ist das Ergebnis falscher Politik. Denn während der gesetzlichen Pflegeversicherung die großen sozialen Lasten der gesamten Bevölkerung mitsamt den hohen Risiken des Lebens aufgebürdet wurden (z.B. die Kosten der Frühverrentung, die Kosten der Wiedervereinigung sowie die Kosten für die versicherungsfremden Leistungen), entzogen sich die Mitglieder der privaten Pflegeversicherung der allgemeinen Verantwortung und sonderten sich bewusst und gewollt von den Mitgliedern der gesetzlichen Pflegeversicherung ab.
Wie konnte es dahin kommen?
Es konnte dahin kommen, weil längst vergessen ist, dass Politik pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken ist. Und weil die jetzige Zivilisation viele kleine Tode stirbt. Es ist keine Kühnheit des Denkens mehr im Volk, keine Solidarität!
Zum ersten Mal in der Wirtschaftsgeschichte haben wir nicht eine Krise der Wirtschaft, sondern eine Krise des politischen Managements. Recht wird mehr und mehr zur Willkür der marktgängigem Maximen. Die Marktbeherrscher haben erreicht, sich das Recht für ihre eigenen Interessen dienstbar zu machen. Normen des Rechts sind unter den Augen der Verfassungshüter außer Kraft gesetzt. Es gilt nicht mehr die Stärke des Rechts, sondern das Recht der Stärkeren. Wir haben verloren. Das Recht, haben wir einst geglaubt, muss nicht allein die Schwachen schützen, es muss die Starken vor sich selbst schützen. Wir haben geglaubt, das Recht hat die Pflicht, die Starken und Mächtigen zu zügeln. Wir hatten die Macht der Vernunft für diesen Glauben auf unserer Seite. Wir haben vergessen, dass, wenn es uns nicht gelingt, die Kraft des Rechts ganz an erster Stelle zu halten, wir abgleiten werden in Plutokratie, Oligarchie und Absolutismus. Wir haben den Hunger der Hungrigen und die Bedürfnisse der Bedürftigen verleugnet, wir – als Ungleiche unter Ungleichen – haben vergessen, dass eine im hohen Maße ungleiche Gesellschaft sich selbst am meisten schadet.
Das marktgängige Denken, das heute zu Vorschlägen wie die Einführung des Kapitaldeckungsverfahren in die Pflegeversicherung führt, wurde durch die Lehren angelsächsischer Marktradikalität an den deutschen Hochschulen der Wirtschaftswissenschaften verbreitet. Die Gehirne ganzer Generationen von BWL- und VWL-Studenten sind mithilfe solcher Irr-Lehren von ihren Professoren verseucht worden. Verlorene Generationen. Aber sie sitzen derzeit in meist beratender oder assistierender Funktion in den Zentralen der Macht. Ein fataler Zustand. Der irrige Glaube an die Überlegenheit angelsächsischen Managements hat zu Fehlentwicklungen geführt, die heute als moralische Defizite wahrgenommen werden, aber etwas anders sind. Diese Art der Unternehmensführung hat Personen an die Spitze politischer Entscheidungsgremien und großer Unternehmen gebracht, die früher keine Chance gehabt hätten und auch heute in den richtig geführten Unternehmen nicht in Spitzenpositionen sind.
Kern der Entwicklung sind die beiden größten Irrlehren der Wirtschaftsgeschichte: Shareholder-Value und Wertsteigerung als oberste Zwecke und Ziele eines Unternehmens. In einem makabren globalen Eroberungszug haben dies Irrlehren die Köpfe vieler vor allem auch jüngerer Führungskräfte erreicht. Nicht weil sie richtig wären – sondern weil sie den einzigen Managertheorien waren, die auf English verfügbar waren und noch immer sind.
Selbst im deutschsprachigen Raum, der in wichtigen Punkten Wirtschaftswissenschaften deutlich Besseres zu bieten hatte und in entscheidenden Aspekten der Unternehmensführung – der Corporate Governance – sehr viel höher entwickelt war, wurden die angelsächsischen Heilslehren bereitwillig übernommen. Die kritische Auseinandersetzung damit haben die Volks- und Betriebswirte in den neunziger Jahren mit wenigen Ausnahmen versäumt. Womöglich waren sie mit der Verbreitung der Irrtümer schon genug auslastet.
Es ist an der Zeit, das 2-Klassen-System der Absicherung der allgemeinen Risiken zu beenden. Es ist an der Zeit, die Versicherungspflicht- und die Beitragsbemessungsgrenze endgültig zu sprengen. Eine Bürgerversicherung muss die Leerstelle neu besetzen – und an dieser Versicherung sind alle Bürgerinnen und Bürger mit allen ihren Einkommensarten in angemessener Weise zu beteiligen.
Die Aufspaltung der Bevölkerung in Gruppen wird heute vollendet durch eine unerträgliche und undemokratische Spaltung in mindestens zwei gesellschaftliche Klassen. Weltweit ist die in Deutschland bestehende, mit solidarischen Grundsätzen nicht zu vereinbarende Art und Weise der Risikoabsicherung, ein einzigartiges Kuriosum. Neben einem gesetzlichen Vollversicherung existiert in Deutschland ein privates Voll-Krankenversicherungssystem, das jeder Sozialstaatlichkeit widerspricht. Es herrscht kein Wettbewerb, und für die meisten Versicherten besteht keine Wahlfreiheit. Die Grundzüge einer in sich zerklüfteten Klassengesellschaft finden auf dieser Ebene bereits die Wurzeln gewollter und zutiefst ungerechter klassenbetonter Ungleichheit. Es wird immer deutlicher, dass mit dem Sozialstaat auch die Demokratie zugrunde geht.
Eine explizite soziologische oder sozialwissenschaftliche Betrachtung der gesellschaftlichen Gruppen in den beiden unterschiedlichen Absicherungssystemen erübrigt sich an dieser Stelle, da die eklatanten Ungleichheiten und die daraus resultierenden einseitigen Belastungen auch ohne wissenschaftliche Analyse für jedermann unmittelbar einsichtig sind. Ebenso wird die ungleiche Risikobehaftetheit der gesellschaftlichen Gruppen in den beiden Systemen radikal einsichtig. Während die Beitragszahler der GKV die großen und problematischen Risiken der Gesamtgesellschaft tragen, entziehen sich die Beitragszahler der PKV ihrer solidarischen Verpflichtung – deren sie sich allerdings gerne dann erinnern, wenn ihnen in Folge ernsthafter oder chronischer Krankheiten oder beruflichen oder finanziellen Niedergangs die „Segnungen“ der PKV kalten Herzens entzogen werden.
Problematisch sind ferner jene gesellschaftlichen Gruppen, die aus ihrer geschichtlichen Entstehung, die noch aus feudalistischen „Kaiserzeiten“ und aus der Diktatur des Nationalsozialismus resultiert, dazu tendieren, sich außerhalb des „gewöhnlichen Volks“ zu stellen. Gemeint sind die mittleren und höheren Beamten, die Pensionäre, die Abgeordneten und Minister und nicht zuletzt die Richter. Sie alle werden von der steuerzahlenden Bevölkerung überhöht über Steuern alimentiert, ohne dass sich diese Gruppen im realen Risikofall an den allgemeinen Belastungen, wie sie etwa durch die Wiedervereinigung, durch Frühverrentung, durch Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pflege und Sterben entstanden sind oder entstehen, angemessen beteiligen. Ihre Mitgliedschaft in der PKV stabilisiert aus nicht nachvollziehbaren Gründen eben das private System bis zu etwa 80 Prozent – oder, anders gesagt, die Private Krankenversicherung wird mit Mitteln des Steuerzahlers am Leben erhalten (ein Widersinn in sich) – und das, ohne durch ihr gesamtgesellschaftliches Handeln dazu legitimiert zu sein.
Erst innerhalb einer umfassenden Bürgerversicherung, in die jeder Bürger und jede Bürgerin verpflichtend mit allen Einkommensarten ohne Begrenzung einbezogen ist – und erst wenn die jetzigen Formen undemokratischer Selbstverwaltungen zerschlagen sind, wird sich ein Gesundheitssystem entwickeln lassen, das verantwortungsvoll, solidarisch und transparent seiner klassenlosen Verantwortung gerecht wird. Der erste Schritt einer solchen gesellschaftsweiten und versicherungstechnischen Neuordnung muss allererst in der Abschaffung der Privaten Kranken-Vollversicherung und in der Auflösung ihres risikoträchtigen und fehlgesteuerten Kapitaldeckungsverfahrens bestehen.
Gerd Heming (Vors.) Münster, Juni 2013
Bundesgeschäftsstelle Bund der Pflegeversicherten
Von Schonebeck Ring 90
48161 Münster
Fon: 02533-3359
Fax: 02533-3362 n.Voranmeld.
E-Mail: Gerd.Heming@t-online.de
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Fotoquelle: Wikipedia
Source | It’s all about love |
Author | Candida Performa |
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