Das Beste an der Einheit
Erstellt von Redaktion am Sonntag 23. August 2020
„war die Spülmaschine“
Von gaukelnden und Seherinnen
Interview von Anja Maier
Sabine Bergmann-Pohl war Lungenärztin in Ostberlin, dann Präsidentin der frei gewählten Volkskammer und letztes Staatsoberhaupt der DDR. Am 23. August 1990 stimmte das DDR-Parlament für den Beitritt zur BRD. Ein Gespräch über 30 Jahre Einheit, ostdeutsche Erfahrungen in der bundesdeutschen Politik und fehlenden Respekt.
taz am wochenende: Frau Bergmann-Pohl, Sie tragen einen Doppelnamen, was in der DDR ungewöhnlich war.
Sabine Bergmann-Pohl: Stimmt, Doppelnamen trugen in der DDR eher Prominente. Ich war in erster Ehe mit einem Herrn Pohl verheiratet, meine Kinder hießen ebenfalls Pohl. Im Januar 1990 wollte ich meinen jetzigen Mann heiraten; in der DDR gab es aber schon mehrere Lungenspezialisten, die Bergmann hießen. Um nicht verwechselt zu werden und um den Kindern den Namenswechsel zu ersparen, habe ich beim Standesamt den Doppelnamen beantragt. Es hat funktioniert. Aber gar nicht lange später, als ich als Volkskammerpräsidentin ein paar hundert Abgeordnetenausweise zu unterschreiben hatte, habe ich mächtig geflucht.
Sie entstammen einer Medizinerfamilie. Waren Sie das, was man heute widerständig nennt?
Ich glaube nicht. Ich war so angepasst wie viele andere auch. Aber im Rahmen meiner Möglichkeiten, etwa als Ärztin, habe ich durchaus Widerstand geleistet. Ich nenne das immer äußere Anpassung und innere Emigration.
Worin drückte sich das aus?
Nehmen Sie meine Konfirmation 1960. Damals hat mein Direktor mir und anderen Konfirmanden gedroht, ohne Jugendweihe kämen wir nicht an die Oberschule. Das haben wir dann mit unserem Pfarrer besprochen. Und der sagte: Mädels, versaut euch nicht eure Zukunft. Macht die Jugendweihe, ich konfirmiere euch ein Jahr später.
Im Jahr 1981 sind Sie in die Ost-CDU eingetreten, über die Sie selbst einmal gesagt haben, sie sei der Steigbügelhalter der SED gewesen. Fällt das auch unter Anpassung?
Das war eine Vernunftentscheidung. Ich war 35 Jahre alt, arbeitete als Ärztin und mir machte mein Job unheimlichen Spaß. Es war klar, dass die SED mich nicht in Ruhe lassen würde, die wollten mich vorzeigen können. Also bin ich in die einzige christliche Blockpartei eingetreten, dann war Ruhe.
Mittlerweile sind Sie fast vierzig Jahre in Ihrer Partei. Ist so was wie Liebe daraus geworden?
Ich sag mal so: Die Ost-CDU war sicher keine Liebe. Und als ich per Zufall in die Politik kam, wurde sie meine politische Heimat. Aber das heißt nicht, dass ich mit allem einverstanden war und bin.
Was meinen Sie?
Zum Beispiel den Start von uns Ost-CDUlerinnen im gesamtdeutschen Bundestag 1990. Wir wurden angegriffen, weil wir berufstätige Frauen waren, weil wir unsere Kinder in Krippe und Kindergarten betreuen ließen. Die Sicht auf uns war, dass wir als Frauen und als Mütter im politischen Raum nichts zu suchen hätten. Aber das hat natürlich auch dafür gesorgt, dass ich gelernt habe, meine Meinung durchzusetzen.
An welchem Punkt sehen Sie Ihre Partei heute?
Was die Emanzipation der Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf betrifft, hat sich sehr viel getan in den letzten dreißig Jahren. Die Frauenquote, über die der Parteitag im Dezember abstimmen wird, finde ich fällig. Aber bei vielen Themen, die heute diskutiert werden, sage ich gern: Da hätten Sie uns schon vor dreißig Jahren mal fragen können.
Und insgesamt?
Auf der einen Seite hat Angela Merkel der Partei sehr, sehr gut getan. Allerdings innerparteilich wünsche ich mir manchmal, dass unsere konservativen Werte mehr Gewicht hätten. Alle wollen in die Mitte: die Grünen, die SPD, die CDU auch. Und was ist das Ende vom Lied? Wir haben die AfD.
Was müsste sich ändern?
Man muss politisch unterscheidbar bleiben. Als zum Beispiel Friedrich Merz im Jahr 2000 eine deutsche Leitkultur forderte, fielen alle über ihn her. Aber ich denke immer noch, man muss als Partei das Lebensgefühl der Menschen widerspiegeln. Im Fall der CDU sind das konservative Werte: Familie, Arbeit, Sicherheit. Ich sehe nicht, was falsch daran sein soll.
Höre ich da eine Präferenz für Friedrich Merz als neuen Parteivorsitzenden heraus?
Sagen wir mal so: Ich würde es mir wünschen, weil er stärker polarisieren könnte und fällige Diskussionen führen kann. Ich kenne ihn aus seiner Zeit als Fraktionsvorsitzender, er ist hochintelligent und ein guter Redner. Im Moment traut sich doch keiner zu sagen, was er denkt, um nicht in eine Ecke gedrängt zu werden. Die Ehrlichkeit in der politischen Diskussion lässt zu wünschen übrig.
Merz wird als die Überwindung des Prinzips Merkel verstanden. Wenn sie im Herbst 2021 das Kanzleramt räumt – was werden wir vermissen, wovon wir heute vielleicht noch nichts ahnen?
Viele Gaffer erwarten die Macher
Wenn Sie auf die Ostdeutschen anspielen, muss ich sagen, dass unsere Probleme in den letzten dreißig Jahren immer vernachlässigt wurden. Die enorme Veränderung, die die Menschen nach 1990 durchstehen mussten, ist nicht gewürdigt worden, sie werden nicht gewürdigt. Auch nicht von Angela Merkel. Sie sieht sich als Bundeskanzlerin aller Deutschen, das ist ja auch in Ordnung. Aber ich hätte mir gewünscht, dass sie sich zur Fürsprecherin von uns Ostdeutschen macht.
Sie hat immer darauf bestanden, die Kanzlerin aller Deutschen zu sein. Warum sollten die Ostdeutschen denn eigentlich noch Extraanerkennung brauchen?
Es ist ja nicht so, dass es den Leuten schlecht geht. Aber diese enormen Veränderungen, die über die Ostdeutschen binnen kürzester Zeit hereingebrochen sind, hätten mehr Aufmerksamkeit und Respekt verdient. Der Veränderungswille war enorm, viele haben es geschafft. Aber wenn es um die heutigen Probleme geht, möchten die Leute bei Ihrer Geschichte abgeholt werden. Sie haben ja dieses Interview auch mit einer Unterstellung angefangen – ich hätte mich in der DDR angepasst. Das würde bedeuten, Anpassung habe es im Westen nicht gegeben. Aber auch dort sind viele Menschen in bestimmte Parteien eingetreten, weil es ihnen genützt hat. Warum denn auch nicht?
Um den CDU-Vorsitz bewerben sich jetzt drei Männer, es fehlt sichtbar an Frauen. Möglicherweise beschließt der Parteitag eine verbindliche 50-Prozent-Quote ab 2025. Haben Sie einen Rat an die jungen Frauen in Ihrer Partei?
Wer als Frau in die Politik geht, braucht ein dickes Fell, ein Stahlkorsett geradezu. Das ist meine Erfahrung. Gerade Frauen werden gerne kritisch bewertet; bei Männern wird eher über Fehler hinweggegangen. Da spielt es dann auch gar nicht mehr so eine Rolle, ob die das können. Es gibt Politiker ohne Berufsabschluss, da frage ich mich schon, woher die ihr Selbstvertrauen genommen haben. Eine Frau ohne Abschluss würde von Anfang an unter Inkompetenzverdacht stehen und sie würde das ständig zu spüren bekommen.
Sie sind promovierte Fachärztin für Lungenkrankheiten. Bis 1990 waren Sie ärztliche Direktorin für Lungenkrankheiten und Tuberkulose für Ostberlin.
Das stimmt, im Prinzip war ich der oberste Lungenfacharzt. Das war eine Leitungsfunktion, trotzdem habe ich noch zweimal in der Woche Sprechstunden in der Poliklinik abgehalten.
Haben Sie, die Fachfrau, Corona kommen sehen?
Epidemische Entwicklungen haben wir ja einige gesehen in den zurückliegenden Jahren, auch Pandemien. Diesmal war aber das Problem, dass zu wenig Wissen über das Virus vorhanden war. Anfangs wurde die Gefahr unterschätzt, auch weil man die warnenden Stimmen in China mundtot gemacht hat. Übrigens ein typisches Merkmal einer Diktatur: In der DDR wäre das ebenfalls unter der Decke gehalten worden. Da gab es ja offiziell auch kein HIV.
Das war eine „kapitalistische“ Seuche.
Ja genau. Smog hörte nach dieser Logik ja auch an der Berliner Mauer auf – und bei mir in der Praxis standen die Asthmatiker Schlange. Aber zurück zu Corona. Als dann der Lockdown verhängt wurde, hatte ich Angst vor den sozialen und den wirtschaftlichen Folgen. Es ist ja unmenschlich, dass man seine kranken Angehörigen nicht besuchen kann. Vereinsamung ist etwas ganz Schlimmes. Aber im Nachhinein würde ich aus fachlicher Sicht sagen, dass erst mal alles richtig gemacht wurde. Es ist wie immer: Läuft’s gut, sagen alle, haben wir ja gleich gesagt, läuft’s schlecht, wird gefragt, warum keiner was unternommen hat.
Was sagt es eigentlich über den Zustand unserer Gesellschaft, dass jetzt andauernd über das Tragen von Masken diskutiert werden muss.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Am Tag der Deutschen Einheit, der schon am Vortag des 3. Oktobers 2014 in Hannover mit einem großen Fest unter dem Motto „Einheit in Vielheit“ im Maschpark hinter dem Neuen Rathaus der niedersächischen Landeshauptstadt und am Maschsee vorab gefeiert wurde, überbrachten Gil Maria Koebberling vom Freundeskreis Hannover und Fred Jaugstetter vom hannoverschen Verein Mentor – Die Leselernhelfer der Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Bundespräsidenten Joachim Gauck einen bunten „Strauß“ Luftballons mit den Aufschriften „Willkommen in der EXPO-Stadt Hannover“ und „Wir lieben Hannover“ …
Author | Fred Jaugstetter |
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2.) von Oben — Wahlplakat der CDU 1998
- CC BY-SA 3.0 de
- File:KAS-Sympathiewerbung-Bild-2893-1.jpg
- Erstellt: 1. Januar 1998
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Unten — Angela Merkel, Joachim Gauck, Norbert Lammert und Andreas Voßkuhle beim Tag der Deutschen Einheit 2016 in Dresden
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Attribution: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0 |