Darf man reich sein ?
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 7. Oktober 2020
Soziale Ungleichheit
Jeder darf Reich sein – sollte sich dann aber nicht al Sozialist bekennen !
Eine Kolumne von Margarete Stokowski
Olaf Scholz verdient 16.000 Euro im Monat. Er findet sich nicht reich, laut Statistik ist er es doch. Kann man von jemandem ohne Klassenbewusstsein erwarten, dass er sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt?
Über Geld spricht man nicht, sagt man. Das gilt aber nicht, wenn man Finanzminister ist, und so musste Olaf Scholz irgendwie antworten, als er in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ die Frage eines Zuschauers gestellt bekam: „Wie reich sind Sie persönlich, Herr Finanzminister?“ Kaum jemand würde wohl erwarten, dass Scholz auf diese Frage die Summe nennt, die sich auf seinem Konto befindet. Er ist ohnehin jemand, der Interviewfragen eher als diffuse Äußerungsanreize begreift denn als tatsächliche Fragen, aber er entschied sich in diesem Fall für eine Antwort, die ihm in sozialen Netzwerken einigen Ärger einbrachte: „Ich verdien‘ ganz gut. Als reich würde ich mich nicht empfinden.“
Nun ist es mit dem Reichtum so eine Sache. Man kann ihn empfinden oder nicht, aber man kann ihn auch an Zahlen festmachen. Eine Definition, die häufig verwendet wird, ist die, dass Menschen als „einkommensreich“ gelten, wenn sie im Monat mindestens das Doppelte des Medianeinkommens zur Verfügung haben. Medianeinkommen bedeutet, dass die Hälfte der Bevölkerung weniger und die andere Hälfte mehr Einkommen hat. Für Deutschland bedeutet das laut dem Institut der deutschen Wirtschaft: Wer als Single mindestens 3892 Euro netto im Monat bekommt, gilt als einkommensreich. Oder als kinderloses Paar 5294 Euro.
Soweit die Statistik. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft finden viele Leute, reich an Einkommen sei eigentlich erst jemand, der mindestens 7000 bis 10.000 Euro im Monat bekommt. Laut dem Bundesministerium für Arbeit (Scholz‘ ehemaliger Arbeitsplatz) sehen viele Menschen die Grenze bei mindestens 5000 Euro. Welche Definition auch immer man zugrunde legt: Olaf Scholz bekommt im Monat rund 16.000 Euro brutto, seine Frau Britta Ernst verdient rund 14.000 Euro. Sie gehören damit zum einkommensreichsten Prozent in Deutschland.
Was will Scholz damit sagen, dass er sich nicht als reich empfindet? Es ist zwar so, dass in Umfragen immer wieder herauskommt, dass Leute aus der Oberschicht sich gefühlsmäßig viel weiter unten ansiedeln und immer noch in der Mittelschicht verorten (berühmtestes Beispiel: Friedrich Merz). Aber wenn man Finanzminister ist? Und: Wenn man Sozialdemokrat ist, der Kanzler werden will, wäre es nicht, sagen wir mal: taktisch klug, zumindest dazu zu stehen, dass man im Vergleich zu den Leuten, von denen man gewählt werden will, relativ viel Geld verdient?
Er kann ja – wohlwollend betrachtet – nicht mal etwas dafür, denn sein Ministergehalt ist festgesetzt, aber genau so hätte er ja auch antworten können. Er hätte sein Einkommen nennen können, es ist eh öffentlich, und sagen können: „Das ist für einige Menschen sehr viel Geld, das verstehe ich. Aber so viel verdient man als Finanzminister. Man könnte das als reich bezeichnen, aber natürlich gibt es Menschen, die wesentlich mehr verdienen.“ Alles daran wäre richtig gewesen. Er hätte auch sagen können: „Ja logo, ich hab brutto 16.000, aber ich spende immer mindestens die Hälfte an Sea-Watch und Ärzte ohne Grenzen“, aber gut, niemand erwartet das. (Von ihm.)
Höhnische Selbsteinschätzung
Kann man von jemandem ohne jegliches Klassenbewusstsein erwarten, dass er sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt, wenn er nicht ahnt, wie seine Selbsteinschätzung auf Leute wirkt, die weniger Geld verdienen – also: die allermeisten?
Anders als in den USA mit Donald Trump („I’m really rich“) wäre es in Deutschland nicht so gut denkbar, dass ein Politiker regelmäßig öffentlich erklärt, wie reich er ist. Obwohl zum Beispiel Bundestagsabgeordnete mit ihrem Einkommen alle nach obiger Definition einkommensreich sind.
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Grafikquellen :
Oben — BSPC 26 in Hamburg: 4.9.2017 Opening
Unten — Margarete Stokowski at Frankfurt Bookfair 2018