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Corona – Impfstoff :

Erstellt von Redaktion am Montag 5. Oktober 2020

Speed schlägt Sicherheit

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von Ulrike Baureithel

ls im März das Rennen um einen Impfstoff gegen Covid-19 begann, waren die Erwartungen hoch: Bereits in diesem Herbst, so hieß es damals, sollte ein verlässliches Vakzin verfügbar sein. Kaum ein Tag ist seither vergangen, an dem nicht eine „Sensation“ beim „Durchbruch in der Impfstoff-Forschung“ verkündet wird, kaum eine Talkrunde, in der es nicht um diesen modernen Heiligen Gral ginge, dessen Entdeckung nationale Reputation und sehr viel Geld verheißt. Mitte September verkündeten Forschungsministerin Anja Karliczek und Gesundheitsminister Jens Spahn dann, ein Impfstoff könne Anfang kommenden Jahres vorliegen und für die breite Masse ab Mitte 2021 zur Verfügung stehen. Bisher allerdings gibt es einen solchen nicht, es sei denn, man zählte die russische Impfrakete „Sputnik“ dazu, mit der das renommierte Moskauer Gamaleja-Institut als erstes den Impfhimmel besetzt hat, noch vor den rekordverdächtigen Chinesen. Die weltweite Empörung war groß, weil Gam-Covid-Vac, so der offizielle Name des Serums, nicht ausreichend getestet ist. Diesen Vorwurf allerdings müssen sich auch andere Unternehmen machen lassen.

Weltweit wird derzeit an 180 Corona-Impfstoffen geforscht, aber nur neun gelten als Hoffnungsträger. Denn erst in der klinischen Erprobungsphase III, wenn der Impfstoff an Tausenden von Patienten getestet wird, erweist sich, ob der Schutz dauerhaft ist und ob längerfristige Nebenwirkungen auftreten. Gerade um Letzteres auszuschließen, bedarf es Zeit, und in dieser Phase trennt sich normalerweise auch die Spreu vom Weizen: Zwei Drittel aller neu entwickelten Impfstoffe scheitern. Je überhasteter aber die Versuche, desto größer die Gefahr, dass ein – wie bei „Sputnik“ vermutet – nicht ausreichend getesteter Stoff auf den Markt kommt, mit nicht absehbaren Risiken. Man müsse sich sogar darauf einstellen, dass am Ende möglicherweise gar kein Impfstoff wirksam sein werde, warnte der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach schon vor längerer Zeit.[1]

Langwieriges und teures Geschäft

Die Entwicklung von Impfstoffen ist ein langwieriges und teures Geschäft. Sie war von Anfang an eine Geschichte von Versuch und Irrtum, wie die Experimente des Landarztes Edward Jenner im 18. Jahrhundert zeigen. Er hatte beobachtet, dass Menschen, die sich mit Kuhpocken infiziert hatten, nicht an Pocken erkrankten. Darauf impfte er seine Patienten – aus heutiger Sicht ein Menschenexperiment – mit Kuhpocken: Sie blieben gesund. So verlieh die Kuh, lateinisch vacca, dieser neuen medizinischen Intervention den Namen, Vakzin. Unfälle und Schadensereignisse begleiten die Geschichte der Impfstoffe, weshalb hohe Standards bis zu ihrer Zulassung gesetzt werden. Normalerweise dauert es zehn und mehr Jahre, bis ein Impfstoff auf den Markt kommt, und seine Entwicklung ist sehr teuer. Deshalb haben sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr Pharmaunternehmen aus der Impfstoff-Forschung zurückgezogen: Die Rendite, die in Ländern des Südens zu erwarten ist, wo dringend Impfstoffe gegen Malaria und andere Krankheiten gebraucht werden, ist nicht attraktiv genug.

Der Run auf das flüssige Gold

Ganz anders ist die Lage beim Corona-Impfstoff, den Pharmafirmen nun weltweit fieberhaft entwickeln. Dabei unterscheiden sich die Impfstoffe nach ihrer Herstellungsart: Bei Lebendimpfstoffen werden abgeschwächte Viren, sogenannte Vektorviren, verwendet. Zu diesen gehört auch „Sputnik“ – ein Zweikomponentenimpfstoff auf Basis von Adenoviren.[2] Harmlose Trägerviren schmuggeln den Sars-Cov-2-Virus in den Körper, um diesen zur Produktion von Antikörpern zu animieren. Auch Forscher der Universität Oxford arbeiten zusammen mit dem internationalen Pharmaunternehmen Astra Zeneca an einem solchen Impfstoff, den die EU für besonders aussichtsreich hält.[3] Totimpfstoffe hingegen operieren mit deaktivierten oder abgetöteten Viren und Bakterien, wie im Fall von Diphterie, Keuchhusten oder Tetanus. Einem derartigen Vakzin gegen Sars-Cov-2 sind die französische Firma Sanofi in Kooperation mit der britischen GlaxoSmithKline, aber auch zwei chinesische Unternehmen auf der Spur.

Die Mainzer Firma Biontech, das Tübinger Start-up CureVac und andere Herstellerfirmen beschreiten wiederum einen anderen Weg, den der sogenannten mRNA-Impfstoffe: Sie arbeiten nicht mit dem Virus selbst, sondern mit seiner genetischen Bauanleitung, der RNA, die chinesische Wissenschaftler früh entschlüsselt und im Internet zugänglich gemacht haben. Dieser sogenannte Botenstoff wird als Teil des Impfstoffs in den Körper eingeschleust, von den Zellen aufgenommen und „ausgelesen“. Die körpereigene Eiweißfabrik setzt sich in Gang und produziert die Antigene, die das Virus unschädlich machen sollen. Der entscheidende Vorteil dieses Verfahrens ist, dass der Impfstoff nicht mehr wie bisher aufwändig herangezüchtet werden muss, sondern mittels sogenannter RNA-Drucker massenhaft und schnell produziert werden kann. Das US-Unternehmen Moderna ist auf diesem Weg bisher am weitesten vorangeschritten. Doch auch CureVac gilt als aussichtsreicher Kandidat: Nachdem es schon vor einigen Monaten hieß, Donald Trump wolle das Unternehmen kaufen, bekam es jüngst Besuch von Tesla-Chef Elon Musk. Doch SAP-Mitgründer und Investor Dietmar Hopp, der bei dem vor kurzem an die Börse aufgestiegenen Unternehmen die Mehrheit hält, dementierte etwaige Verkaufsabsichten: Er garantiere dafür, dass CureVac eine deutsche Firma bleibe. Es sei lediglich um die Kooperation mit der Tesla-Tochter Grohmann, die solche RNA-Drucker produziere, gegangen.

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Der Run auf das flüssige Gold ist also in vollem Gange. Denn die global aufgebrachten Mittel, die Forscher und Konzerne in den Sprintmodus versetzen, sind immens. Allein auf der Geberkonferenz, die auf Initiative der EU-Kommission im Mai zusammenkam, wurden 7,4 Mrd. Euro eingesammelt. Damals blieben die USA und China außen vor, denn beide Großmächte wollten sich auf diese Kooperation, die sich – zumindest rhetorisch – für eine global gerechte Verteilung von Impfstoffen einsetzt, nicht einlassen.[4] Im Rahmen der im Spätsommer ins Leben gerufenen Covax-Initiative will die EU bis Ende 2021 zwei Mrd. Impfstoffeinheiten aufkaufen und auch jenen Ländern zugänglich machen, die weniger Marktmacht haben. Das hindert die EU-Staaten allerdings nicht daran, andere Kooperationsverträge mit Herstellern zu schließen, um für die eigene Bevölkerung ein möglichst großes Reservoir an Impfstoff zu sichern. Bereits im Juni haben Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande einen Vorvertrag über die Abnahme von 300 Mio. Impfdosen mit AstraZeneca abgeschlossen. Noch aggressiver versucht Trump, das global verfügbare Impfstoffpotential für sein Land abzuschöpfen. Im September weigerte er sich, der Covax-Allianz beizutreten. Im Zweifelsfall setzt sich also nationaler Egoismus durch.[5]

Menschenexperimente im globalen Süden

Quelle       :        Blätter          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —        CDC champions a One Health approach, encouraging collaborative efforts to achieve the best health for people, animals, and the environment. Photo credit: Awadh Mohammed Ba Saleh

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