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Archiv für die 'Kriegspolitik' Kategorie

Krise, welche Krise ?

Erstellt von Redaktion am 21. März 2023

Die Situation ähnelt der „Flüchtlingskrise“ von 2015.

Die EU erschwert es zwischen Verbrecher und Politikrt-innen zu Unterscheiden

Ein Debattenbeitrag von Daniel Bax

Doch die Debatte über ukrainische Geflüchtete verläuft völlig anders. Der Grund dafür ist Rassismus. Ein Zwei-Klassen-Asyl widerspricht den Werten, für die Europa sich sonst so gerne rühmt.

Was für einen Unterschied die Herkunft geflüchteter Menschen doch macht! Deutschland sieht sich zum zweiten Mal in kurzer Zeit mit einer großen Fluchtbewegung konfrontiert. Doch es geht damit völlig anders um als beim letzten Mal. Bis vor einem Jahr lautete das Mantra noch, „2015“ dürfe sich nicht wiederholen. Nun erleben wir mit der Massenflucht aus der Ukraine eine vergleichbare Krise wie zwischen 2014 und 2016, als Hunderttausende vor den Kriegen in Syrien, Irak und Afghanistan nach Europa flohen. Aber niemand kritisiert, Scholz habe „die Grenzen geöffnet“, oder zieht in Zweifel, dass ihre Aufnahme grundsätzlich „zu schaffen“ ist. Niemand fordert eine „Obergrenze“ für Geflüchtete aus der Ukraine. Nicht einmal von einer „Flüchtlingskrise“ ist die Rede – und das, obwohl allein aus der Ukraine schon jetzt mehr neue Flüchtlinge in Deutschland gezählt wurden als zwischen 2014 und 2016 zusammen.

Gewiss: Auch jetzt ächzen Städte und Kommunen unter dem Andrang so vieler Menschen, die Schutz und ein Dach über den Kopf brauchen. Auch jetzt lud die Regierung deshalb wieder zu einem „Flüchtlingsgipfel“, wo um Geld und die gerechte Verteilung von Geflüchteten gestritten wurde. Und auch jetzt regt sich mancherorts Unmut und rechter Protest. Aber im Vergleich zu 2015 verläuft die Debatte vernünftig, rational und gesittet – ganz anders als zwischen 2014 und 2016, als Gewalt und Untergangsstimmung herrschten. Damals hetzte die rechtsradikale Pegida-Bewegung auf den Straßen gegen „Bahnhofsklatscher“ und „Invasoren“. Mehr als Tausend Angriffe auf Flüchtlingsheime registrierten die Behörden 2015, im Jahr darauf nochmals genauso viele.

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Ich bin der Gauck – ich verspritze meine eigene Jauche

Namhafte Publizisten wie Rüdiger Safranski warfen der Regierung vor, Deutschland mit Flüchtlingen zu „fluten“. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck salbaderte, unsere Herzen seien zwar weit, doch unsere Möglichkeiten begrenzt. Und Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo entschuldigte sich quasi dafür, dass die Medien anfangs zu viel Mitgefühl gezeigt hätten.

Jetzt, wo noch mehr Flüchtlinge als damals in Deutschland Zuflucht suchen, nur diesmal aus der Ukraine, sind diese Stimmen verstummt. Selbst der spärliche Rest der Pegida-Bewegung demonstrierte zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine nur noch für „Frieden“ und hetzte nicht gegen die Menschen, die von dort flüchten.

Es ist nun nicht so, dass Menschen aus der Ukrai­ne keinen Rassismus kennen würden. Vorbehalte gegen Ost­eu­ro­päe­r*in­nen haben in Deutschland eine lange Tradition. Noch im Jahr 2004 musste sich die damalige rot-grüne Bundesregierung von der CSU vorwerfen lassen, „Schwarzarbeit, Prostitution und Menschenhandel“ begünstigt zu haben, weil sie die Visa-Vergabe für Ukrai­ne­r*in­nen erleichtert hatte. Seit 2017 dürfen ukrainische Bür­ge­r*in­nen sogar visumsfrei nach Europa reisen.

Die geopolitische Lage ist der Grund dafür, dass sich der Wind gedreht hat. Seit dem 24. Februar vergangenen Jahres gehört die Ukraine zu Europa, wenn man der offiziellen Rhetorik glauben mag. Auf Grundlage der „Massenzustrom-Richtlinie“ der EU dürfen Flüchtlinge von dort seit dem 3. März 2022 frei nach Europa reisen. Dieser humanitären Willkommenskultur möchten sich nur wenige verschließen. Und anders als 2015, als die Hilfsbereitschaft in breiten Teilen der Bevölkerung nur anfangs sehr groß war, ist die positive Stimmung gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine auch nach einem Jahr noch fast immer ungetrübt.

Natürlich spielt es eine Rolle, dass vor allem Frauen und Kinder nach Deutschland kommen und sie vor einem Krieg in der Nähe fliehen. Aber der Hauptgrund, warum sie anders aufgenommen werden als viele Flüchtlinge vor ihnen, ist schlicht: Rassismus. Nirgendwo zeigt sich das so krass wie im Nachbarland Polen. 2015 wehrte sich Polen strikt dagegen, nur ein paar Tausend Flüchtlinge aufzunehmen, und wollte höchstens Christen Asyl gewähren. Noch im Herbst 2021 verhängte die Regierung an ihrer Ost-Grenze den Ausnahmezustand, weil dort ein paar Tausend Menschen aus dem Irak und Afghanistan campierten, die aus Belarus nach Europa gelangen wollten. Nun hat Polen in kurzer Zeit über 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen, so viel wie kein anderes Land in Europa. Polen kann also, wenn es will. Plötzlich ist es auch okay, dass Flüchtlinge einfach von dort aus weiterziehen, wohin sie wollen. Ukrainische Staats­bür­ge­r*in­nen dürfen sich frei in Europa bewegen und niederlassen. Selbst Ungarn, Tschechien oder Dänemark, die Flüchtlinge bisher mit Schikanen oder gar Stacheldraht abschreckten, nehmen jetzt Ukrai­ne­r*in­nen auf.

Quelle        —          TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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« Jetzt ist die Zeit ! »

Erstellt von Redaktion am 21. März 2023

Der Deutsche Evangelische Kirchentag übt Zensur aus

Auf schwarze Seelen fällt kein Segen

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von        :        Andreas Zumach /   

Die Vertreibung und Flucht von 750’000 Palästinenserinnen und Palästinensern 1948 darf man am Kirchentag nicht thematisieren.

«Jetzt ist die Zeit!» – unter diesem biblischen Motto aus dem Markus-Evangelium findet vom 7. bis 11. Juni in Nürnberg der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) statt. Erwartet werden bis zu 100’000 TeilnehmerInnen.  «Wichtige Themen der Zeit werden diskutiert, Fragen nach Frieden und Gerechtigkeit… und der Würde des Menschen gestellt», kündigt der DEKT in seinen Einladungen und Werbematerialien für die Grossveranstaltung an.

Der Präsident des Kirchentages, Bundesminister a.D. (Verteidigung und Innen) Thomas de Maizière (CDU) betont: «Wir brauchen einen offenen, ehrlichen Austausch untereinander, um der Zeit gerecht zu werden und gemeinsame Schritte zu gehen.»

Die Ausstellung wurde schon in über 150 Städten gezeigt

Diese wohlklingenden Ankündigungen gelten allerdings nicht für das Konfliktthema Israel/Palästina. Die Wanderausstellung «Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948» thematisiert die Vertreibung und Flucht von rund 750’000 PalästinenserInnen im Jahr 1948 – zunächst durch jüdisch-zionistische Milizen und nach der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 durch die Streitkräfte des Landes – darf ausgerechnet zum 75. Jahrestag dieses Geschehens auf dem Kirchentag DEKT in Nürnberg nicht gezeigt werden.

Nur mit dieser Verbotsauflage erhielt der Verein «Flüchtlingskinder im Libanon» (FiL) e.V., der die Nakba-Ausstellung im Jahr 2008 aus Quellen israelischer Historiker konzipiert hatte, von der DEKT-Geschäftsstelle in Fulda die Zulassung für einen Stand auf dem Markt der Möglichkeiten beim Nürnberger DEKT.

Dieses von DEKT-Generalsekretärin Kristin Jahn und der für das Kirchentagsprogramm verantwortlichen Studienleiterin Stefanie Rentsch im November letzten Jahres übermittelte Verbot kam sehr überraschend. Denn auf vergangenen Kirchentagen seit 2010 wurde die Nakba-Ausstellung ohne Probleme gezeigt. Ebenfalls seit 2008 in über 150 Städten im In-und Ausland, auch in Basel, Bern, Biel, St. Gallen, Zürich und Bülach sowie bei der EU in Brüssel und der UNO in Genf.

Die Verantwortlichen drücken sich um eine Begründung

Für die Verbotsentscheidung gaben Jahn und Rentsch auch auf mehrfache Nachfragen hin keine Begründung. Die Entscheidung habe das für «das Programm des Kirchentages gesamtverantwortliche DEKT-Präsidium» getroffen «nach vorheriger Durchsicht und Prüfung» der Bewerbung des Vereins Flüchtlingskinder im Libanon «durch ein vom Präsidium eingesetztes Expertengremium».

Auch zahlreiche schriftliche Nachfragen bei dem «gesamtverantwortlichen» Präsidium nach den Gründen für das Verbot seit November letzten Jahres wurden bis Ende Februar nicht beantwortet. Selbst langjährige ehemalige Mitglieder des Präsidiums wie die frühere Kirchentagspräsidentin Elisabeth Raiser und ihr Mann, der ehemalige Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Konrad Raiser, erhielten keine Antwort.

Photo of the village or town

Der aktuelle Kirchentagspräsident Thomas de Maizière reagiert auf Briefpost an seine Dresdner Anschrift bisher nicht. Anfragen per E-Mail-Schreiben an sein Büro lässt der Kirchentagspräsident durch seine Mitarbeiterin, die Flensburger CDU-Landtagsabgeordnete Uta Wentzel mit diesen Worten abwimmeln: «Das Schreiben wurde gar nicht gelesen und daran besteht auch überhaupt kein Interesse. Wenn Sie vom DEKT keine Antwort auf Ihre Frage erhalten, müssen Sie sich halt damit abfinden.»

Von den übrigen 30 Mitgliedern des Präsidums (darunter Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, BWI-Staatssekretär und ATTAC-Mitbegründer Sven Gigold sowie BGH-Präsidentin Bettina Limperg) und den acht «ständigen Gästen» des Präsidiums aus der für den DEKT in Nürnberg gastgebenden Bayerischen Landeskirche, darunter Bischof Heinrich Bedford Strohm, antworteten nur wenige, die an die DEKT-Geschäftsstelle in Fulda verwiesen.

Auffällig viele der Angefragten erklärten zudem, sie seien gar nicht auskunftsfähig. Denn sie hätten an der Präsidiumssitzung, auf der das Verbot der Nakba-Ausstellung beschlossen wurde, gar nicht teilgenommen. Das wirft Fragen auf: Gab es überhaupt eine solche Sitzung? Und wenn ja: Existiert ein ordentliches Sitzungsprotokoll, aus dem Beschlüsse und ihre Begründungen hervorgehen? Wenn nicht: Von welchem Personenkreis wurde das Verbot tatsächlich beschlossen?

Wer die Mitglieder des «Expertengremiums» waren, das zum Verbot der Nakba-Ausstellung geraten hat, hält der DEKT bislang ebenfalls geheim. Nach informellen Informationen aus Kirchentagskreisen soll ein Experte (möglicherweise der einzige?) Christian Staffa gewesen sein, der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Staffa ist auch im Vorstand der seit 1961 bestehenden «AG Juden und Christen» beim DEKT.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist auskunftspflichtig

Das Verbot der Nakba-Ausstellung auf dem Nürnberger Kirchentag ist ein unakzeptabler Akt der Zensur und des Eingriffs in die Meinungsfreiheit. Der DEKT verhindert damit den demokratischen Dialog. Der bisherige Umgang des DEKT mit Fragen nach einer Begündung des Verbots ist willkürlich und selbstherrlich. Und das DEKT-interne Verfahren, das zu dem Verbot geführt hat, ist offensichtlich nicht einmal für Mitglieder des «gesamtverantwortlichen» Präsidiums transparent.

Der DEKT ist zwar ein Verein. Aber die Grossveranstaltung in Nürnberg ist keine Privatveranstaltung. Sie wird ausser durch Ticketverkäufe, Spenden und Sponsoring ganz wesentlich mit öffentlichen Geldern (Kirchensteuern und anderen Zuschüssen) finanziert. Aus diesem Grund ist der DEKT auskunftspflichtig.

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Zwischen Kriege und Krisen

Erstellt von Redaktion am 21. März 2023

Krisenkeynesianismus der blinden Tat

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Quelle:    Scharf  —  Links

Von       :     Tomasz Konicz

Während im Krisenalltag viele Elemente keynesianischer Wirtschaftspolitik zum Einsatz kommen, verwildert der Postkeynesianismus in der deutschen Linken zur Ideologie.

Ob stockkonservative Marktjünger1 oder bieder-sozialdemokratische Gewerkschaftler2: In Krisenzeiten sind sie alle Keynesianer. Bei jedem Krisenschub der letzten Jahre, als es mal wieder galt, den dahinsiechenden Spätkapitalismus mittels billionenschwerer Konjunkturprogramme und gigantischer Gelddruckerei vor dem Kollaps zu bewahren, erlebte der britische Ökonom, dessen nachfrageorientierte Konjunkturpolitik bis zur Ablösung durch den Neoliberalismus in den 1980er Jahren dominant war, eine flüchtige öffentliche Konjunktur. Nach dem Platzen der transatlantischen Immobilienblase 2008 oder dem pandemiebedingten Einbruch 2020 sprachen plötzlich alle über John Maynard Keynes, der als Hofökonom der alten staatsgläubigen Sozialdemokratie eine aktive Rolle des Staates bei Investitionsprogrammen und Geldpolitik propagierte. Bis es, nach den üblichen Abnutzungserscheinungen im Medienzirkus, keiner mehr tat und der Kapitalismus nach der „keynesianischen“ Stabilisierungsphase wieder zum „Business as usual“ überzugehen schien.

Übrig blieben nur die im neoliberalen Zeitalter aus dem politischen und akademischen Mainstream verdrängten, beständig jammernden Keynesianer, mit denen sich nun die Linke jenseits der Sozialdemokratie herumplagen darf. Doch die beständige Klage aus dem Spektrum der Neokeynesianer und der Modernen Monetären „Theorie“ (MMT), wonach es mehr Keynesianismus brauche, damit alles wieder besser werde und der Spätkapitalismus an die Ära des Wirtschaftswunders anknüpfe, ist angesichts der politischen Realitäten – gelinde gesagt – deplatziert. Viele Instrumente des Keynesianismus kommen bei der Krisenverwaltung weiterhin zu Einsatz, sie werden nur nicht als solche thematisiert und wahrgenommen. Keynes ist längst pragmatischer Krisenalltag, etliche der Krisenmaßnahmen und -Programme, die das System seit 2008 stabilisieren, tragen seine Handschrift.

Und dies ist nur logisch vor dem Hintergrund der historischen Genese dieser Ökonomieschule: Der Keynesianismus erfuhr seinen Durchmarsch zum kapitalistischen Mainstream nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gerade als große „Lehre“ aus der 1929 einsetzenden Krisenphase – und die kapitalistischen Funktionseliten greifen in Krisenzeiten quasi reflexartig zu dessen Instrumentarium. Konsequente Regulierung der Währungs- und Finanzmärkte, der Staat als wirtschaftlicher Ordnungs- und Leitfaktor, der eine aktive Investitionspolitik betreibt, die nachfrageorientierte Lohn- und Sozialpolitik, bei der die Lohnabhängigen der Wirtschaftswunderzeit auch als Konsument*innen begriffen wurden und eine kontrazyklische Konjunkturpolitik, die mittels schuldenfinanzierter Konjunkturprogramme Rezessionen verhindern sollte, um in Boomphasen diese Schulden dann abzutragen – dies waren die inzwischen idealisierten Grundzüge der keynesianischen Wirtschaftsordnung bis zum Durchmarsch des Neoliberalismus unter Thatcher und Reagan, zu der die Neokeynesianer zurückkehren wollen.

Billiger geht’s nicht

Der pragmatische Rückgriff auf das Instrumentarium des Keynesianismus findet seinen klarsten Ausdruck in all den Konjunkturprogrammen, die im Gefolge der an Intensität gewinnenden Krisenschübe aufgelegt wurden. Folglich gewannen auch diese staatlichen Subventions- und Investitionspakete bei jedem Krisenschub an Umfang,3 wie die berüchtigte Unternehmensberatung McKinsey anhand der Weltfinanzkrise 2008/09 und des Pandemieeinbruchs 2020 darlegte.4 Schon Mitte 2020 summierten sich die globalen staatlichen Krisenaufwendungen, mit denen die Folgen des durch die Pandemie getriggerten Krisenschubs minimiert werden sollten, auf rund zehn Billionen Dollar – das Dreifache der Krisenprogramme von 2008/09.

Und es war gerade die 2008 konjunkturpolitisch zurückhaltende Bundesregierung, die damals nur mit der berüchtigten, klimapolitisch verheerenden Abwrackprämie für PKWs Negativschlagzeilen machte, die 2020 besonders weitreichende Krisenprogramme auflegte. In Relation zum deutschen Bruttoinlandsprodukt hat Berlin sogar das größte Konjunkturpaket aller westlichen Industrieländer aufgelegt: es umfasste 33 Prozent des BIP. Zudem leitete die Regierung Merkel auch in der „deutschen“ Eurozone eine graduelle Abkehr vom schäublerischen Austeritätsregime ein, indem sie Mitte 2020 einem europäischen Konjunkturprogramm im Rahmen des europäischen Haushalts zustimmte, das bei einem Volumen von 750 Milliarden immerhin Hilfszahlungen an die Peripherie von 380 Milliarden Euro beinhaltet.5

Und auch bei der Geldpolitik galt bis vor Kurzem bei Europäischer Zentralbank (EZB) wie Federal Reserve (Fed) die Devise, dass es billiger kaum noch gehen könne. Die Leitzinsen aller westlichen Währungsräume sind im 21. Jahrhundert in der Tendenz immer weiter gefallen. Zwischen 2009 und 2021 herrschte – mit kurzem Unterbrechungen – eine Nullzinspolitik, mit der Konjunktur und Finanzsphäre gestützt wurden. Zudem gingen die Notenbanken nach dem Platzen der transatlantischen Immobilienblase zur schlichten Gelddruckerei über, indem sie zuerst Hypothekenpapiere und später zunehmend Staatsanleihen aufkauften – und so der Finanzsphäre zusätzliche Liquidität zuführten, die zur Inflation der Wertpapierpreise im Rahmen der großen, 2020 platzenden Liquiditätsblase führten. Im Laufe des 21. Jahrhunderts haben Fed und EZB ihre Bilanzsummen nahezu verzehnfacht, sie sind zu Mülldeponien des zum Dauerboom verurteilten spätkapitalistischen Finanzsystems und den größten Eigentümern von Schuldtiteln ihrer Staaten geworden.

Hyperaktiver Zentralbankkapitalismus

Die Notenbanken sind somit im Verlauf des Krisenprozesses zu zentralen ökonomischen Akteuren aufgestiegen, da ohne deren Intervention sowohl die Finanzsphäre wie die Staatsfinanzierung kollabiert wären. Es ließe sich von einem Zentralbankkapitalismus sprechen, wie es der Politökonom Joscha Wullweber in einem Buch mit diesem Titel tut, in dem die Abhängigkeit eines Teils der Finanzsphäre, des weitgehend unregulierten Marktes für Rückkaufversicherungen (Repos), von der Gelddruckerei der Notenbanken beleuchtet wird.6 Der derzeit aufgrund zweistelliger Inflationsraten unternommene Versuch von EZB und Fed (Einzig die Bank of Japan stemmt sich verzweifelt gegen den Trend),7 mit der Wende zu einer restriktiven Geldpolitik die auf mehrere Ursachen zurückzuführende Inflation (Pandemie, Krieg, geplatzte Liquiditätsblase, Klimakrise)8 einzudämmen, geht aber nicht zwangsläufig mit einem Ende der Aufkäufe von Staatsanleihen einher.

In der Eurozone wurde mit PEPP (Pandemic emergency purchase programme) eigens ein Krisenprogramm in Umfang von 1.850 Milliarden Euro geschaffen, mit dem zwecks Stabilisierung der Eurozone Staatsanleihen bei gleichzeitigen Leitzinsanhebungen aufgekauft werden (Nettozukäufe sollen im kommenden März ausgesetzt werden)9, wodurch die Inflationsbekämpfung faktisch unterminiert wird – und was wiederum die ökonomische Rolle des Staates stärkt, da dieser weiterhin im Rahmen von PEPP sein Haushaltsdefizit finanzieren kann. Zudem sind auch Schritte zu einer aktiven Wirtschaftspolitik des Staates erkennbar, vor allem hinsichtlich des Green New Deals. Neoliberale Hardliner10 klagen im Handelsblatt inzwischen laut über die staatlichen Bestrebungen zur ökologischen „Kreditlenkung“, die vor allem in der Einführung der EU-Taxonomieverordnung zur Definition nachhaltiger Investitionen zum Ausdruck kämen (Ironischerweise gelten dabei auch Investitionen in Erdgas und Atomkraft als „nachhaltig“). Überdies sprach sich Habecks Staatssekretär Sven Giegold – ein Attac-Aktivist der ersten Stunde – schon vor einem Jahr gegenüber der Financial Times (FT) für eine „aktive Industriepolitik“ Berlins aus, die „Innovationen unterstützen“ solle, um aus der BRD eine „ökologische und soziale Marktökonomie“ zu machen.11

Diese von zunehmender Staatstätigkeit geprägte Struktur des Krisenkapitalismus ist aber nicht Folge einer kohärenten Strategie, sondern Ausdruck der jeweiligen Bemühungen, während der akuten Krisenschübe einen Kollaps der Weltwirtschaft zu verhindern. Es ist ein Keynesianismus der blinden Tat, bei dem Funktionseliten quasi reflexartig agierten. Die oftmals als Provisorium eingeführten Notprogramme und Politikwechsel verstetigen sich dann im Krisenverlauf, sie gerinnen zu neuen Strukturen und Dynamiken in latenten Krisenphasen. Man „fährt auf Sicht“, so der damalige Finanzminister Schäuble über das Agieren der Bundesregierung während der Weltfinanzkrise 2009.12 Die Maßnahmepakete bauen schlicht aufeinander auf. Habecks aktive Industriepolitik etwa, für die Giegold in der FT die Werbetrommel rührte, hat ihren Vorläufer in der staatlichen Förderung „nationaler Champions“ unter seinem Vorgänger Peter Altmaier, der angesichts zunehmender Krisenkonkurrenz und informeller Staatssubventionen in China und den USA auch Deutschlands Exportindustrie gezielt fördern wollte.13

Dieses „Fahren auf Sicht“ der Funktionseliten in manifesten Krisenzeiten, bei dem in Reaktion auf Krisenschübe immer neue Elemente staatskapitalistischer Krisenverwaltung zur Anwendung gelangen, verleiht dieser Formation alle Züge eines Übergangsstadiums innerhalb der spätkapitalistischen Krisenentfaltung. Die ökonomischen und ökologischen Krisen, die die Politik zum Krisenkeynesianismus nötigen, sind ja nicht Ausdruck einer „falschen“ Wirtschaftspolitik, sondern der eskalierenden inneren und äußeren Widersprüche des Kapitalverhältnisses, die sich ganz konkret in beständig schneller steigenden Schulden (als die Weltwirtschaftsleistung) und einer unablässig ansteigenden CO2-Konzentration manifestieren.

Aufgrund eines fortwährend steigenden globalen Produktivitätsniveaus unfähig, einen neuen industriellen Leitsektor, ein neues Akkumulationsregime zu erschließen, in dem massenhaft Lohnarbeit verwertet würde, läuft das Weltsystem faktisch immer mehr auf Pump. Der Staat fungiert hierbei durch Gelddruckerei und Deficit Spending zunehmend als letzte Instanz der Krisenverschleppung, nachdem die Defizitbildung im Rahmen der neoliberalen Finanzblasenökonomie (Dot-Com-Blase, Immobilienblase, Liquiditätsblase) auf den heiß gelaufenen Finanzmärkten sich weitgehend erschöpft hat. So ist etwa der breit angelegte US-Aktienindex S&P 500 nach seinem historischen Höchststand von mehr als 4700 Punkten Ende 2021 inzwischen um rund Tausend Punkte eingebrochen.

Moderne Monetäre Ideologie

Die Spätphase des globalisierten Finanzblasenkapitalismus, in der die expansive Geldpolitik der Notenbanken zur Inflation der Wertpapierpreise in der Finanzsphäre beitrug – bis hin zum Schwarminvestmet und den flüchtigen Boom von Meme-Aktien wie GameStop14 – ließ auch eine extreme Form spät- und postkeynesianischer Wirtschaftsideologie aufkommen, die unter Ausblendung jeglicher systemischen Krisenanalyse – insbesondere des Zusammenhangs zwischen Blasenbildung und den offenen Geldschleusen der Notenbanken – behaupten konnte, dass alle wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Spätkapitalismus durch Gelddruckerei gelöst werden konnten. Die Zinsen und die Inflation blieben ja zwischen 2008 und 2020 niedrig.

Der Modern Monetary Theory (MMT) schien die Quadratur des kapitalistischen Kreises geglückt. Vollbeschäftigung, Sozialstaat, Wirtschaftswachstum und die ökologische Wende – all dies sei nur eine Frage der expansiven Geldpolitik, so die zentrale These der MMT. Dieser neokeynesianischen, in der sozialistischen Linken der Vereinigten Staaten sehr populären Geldtheorie zufolge können Regierungen, die ihre Währung kontrollieren, die Staatsausgaben frei erhöhen, ohne sich um Defizite sorgen zu müssen. Denn sie können jederzeit genug Geld drucken, um ihre Staatsschulden in ihrer Währung abzuzahlen. Inflation sei dieser Theorie zufolge so lange kein Problem, wie die Ökonomie nicht an natürliche Wachstumsgrenzen stoße oder es ungenutzte ökonomische Kapazitäten gebe, wie etwa Arbeitslosigkeit.

Gelddrucken bis zur Vollbeschäftigung – darauf zielt diese spätkeynesianische nachfrageorientierte Wirtschaftsideologie ab, die sich im Windschaden der von ihr unverstandenen, heißlaufenden Finanzialisierung des Kapitalismus ausbildete. Zumeist verweisen Befürworter der MMT auf die expansive Geldpolitik der US-Notenbank Fed, die von 2007 bis 2009 und ab 2020 mit Billionenbeträgen die strauchelnden Finanzmärkte stützte. Da die als „Quantitative Lockerungen“ bezeichnete Gelddruckerei anscheinend keine Inflationsschübe nach sich zog, will die MMT diese Krisenmaßnahmen gewissermaßen zur Leitlinie neo-sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik erheben. Durch expansive Geldpolitik soll das Angebot der Ware Geld so lange erhöht werden, bis eben die Nachfrage gedeckt sei, die Arbeitslosigkeit verschwunden und die Wirtschaft ordentlich brumme. Die historisch beispiellosen Aufkaufprogramme der Notenbanken, mit denen ein auf Pump laufender Spätkapitalismus mühsam stabilisiert wird, will die MMT letztlich zur neuen Normalität erklären – und somit in Ideologie, in die Rechtfertigung des Bestehenden übergehen.

Es ist auch kein Zufall, dass die MMT ihre politische Heimat in den USA hat, die mit dem US-Dollar die Weltleitwährung kontrolliert. Damit kann sich Washington im globalen Wertmaß aller Warendinge verschulden. Wie es aussieht, wenn Staaten der Peripherie dazu übergehen, ihre eigene Währung nach Gutdünken zu drucken, die im US-Dollar ihren globalen Wertmaßstab finden, kann aktuell etwa an der Türkei des „Zinskritikers“ Erdogen studiert werden, wo die Inflationsrate in den dreistelligen Bereich zu beschleunigen droht.15 Die MMT stellt somit nicht nur eine sehr exklusive Ideologie dar, die eventuell noch in der Eurozone Anhänger finden kann, sich aber anhand der Erfahrungen in der Peripherie und Semiperipherie schlicht blamiert.

Der Neokeynesianismus sieht also die Ursache der gegenwärtigen kapitalistischen Malaise hauptsächlich in mangelnder Geldversorgung. Deren tatsächliche Krisenursache bildet aber ein fehlender ökonomischer Leitsektor, ein fehlendes neues Akkumulationsregime, das massenhaft Lohnarbeit verwertete – und das aufgrund des hohen globalen Produktivitätsniveaus nie wieder errichtet werden wird. Irrationaler Selbstzweck des Kapital ist ja seine höchstmögliche Verwertung mittels der Ausbeutung von Lohnarbeit – der einzigen Ware, die als Substanz des Kapitals Mehrwert produzieren kann – in der Warenproduktion. Die keynesianische Nachfragepolitik tut hingegen so, als ob der Kapitalismus schon überwunden wäre, als ob die Bedürfnisbefriedigung – und nicht uferlose Kapitalverwertung – den Zweck der kapitalistischen Wirtschaft bildete. Es ist der übliche keynesianische Taschenspielertrick, der die Irrationalität kapitalistischer Vergesellschaftung einfach ausblendet.

Es ist eine einfache, seit den 1980er Jahren zu beobachtende Krisenregel: Wenn die Akkumulation des Kapitals der realen Wirtschaft stottert, dann setzt ein spekulatives Wachstum der Finanzsphäre ein. Ignoriert wird von der MMT hierbei der Zusammenhang zwischen den quantitativen Lockerungen und dem Wachstum des aufgeblähten spätkapitalistischen Finanzsektors. Die Gelddruckerei der Fed (wie die der Europäischen Zentralbank) führte sehr wohl zu einer Inflation – zur Inflation der Wertpapierpreise auf den Finanzmärkten. Ausgerechnet der von den Keynesianern verteufelte, aufgeblähte Finanzsektor – Fundament der als Konjunkturmotor fungierenden globalen Verschuldungsdynamik – bildete somit den entscheidenden Faktor, der eine Stagflationsperiode verhindere, wie sie in den 1970ern dem Keynesianismus das Rückgrat brach und den Weg für den Neoliberalismus öffnete. Der Neoliberalismus entfesselte die Finanzsphäre gerade in Reaktion auf die Krisenphase der Stagflation, was als Form der Krisenverzögerung zur Ausbildung des auf Pump laufenden, von Blase zur Blase taumelnden Zombie-Kapitalismus16 führte.

Die Rückkehr der deflationären Vergangenheit

Das Kapital geht somit in der Warenproduktion seiner eigenen Substanz, der wertbildenden Arbeit, verlustig, was die mit immer größeren Schuldenbergen konfrontierte Politik in eine Sackgasse treibt: Inflation oder Deflation? Konkret wird die aus der inneren Schranke des Kapitals resultierende Aporie der kapitalistischen Krisenpolitik anhand des öden, seit Jahren gepflegten Streits17 über die Prioritäten der Wirtschaftspolitik zwischen angebotsorientierten Neoliberalen und nachfrageorientierten Keynesianern sichtbar. Der Twitter-Keynesianer Maurice Höfgen praktiziert gerne dieses stupide Schattenboxen.18 Es ist immer dieselbe Leier, abgespult in tausend Variationen: Der neoliberalen Warnung vor Überschuldung und Inflation bei Konjunkturprogrammen wird von den Keynesianern die Mahnung vor der deflationären Abwärtsspirale, ausgelöst durch Sparprogramme, entgegengehalten. Beide Streitparteien haben dabei mit ihren Diagnosen recht, was nur durch die Finanzblasenökonomie des neoliberalen Zeitalters überdeckt wurde. Nun, in der Ära der Stagflation wird es offensichtlich, dass gerade die Geldpolitik der Notenbanken sich in einer Krisenfalle befindet.19 Die Notenbanken müssten der Inflation wegen die Zinsen anheben, und zugleich die Zinsen senken, um eine Rezession zu verhindern.

Übrigens: an eben der oben skizzierten, historischen Stagflationsperiode der 1970er Jahre – zu der das spätkapitalistische Weltsystem auf einem viel höheren Krisenniveau derzeit quasi zurückkehrt20 – ist der Keynesianismus tatsächlich fulminant gescheitert. Nach dem Auslaufen des großen Nachkriegsbooms, der von dem fordistischen Akkumulationsregime getragen wurde, versagten alle Politikrezepte der Keynesianer. Der Neoliberalismus konnte ich also in den 1980ern nur deswegen durchsetzen, weil der Keynesianismus krachend – mit zweistelligen Inflationsquoten, häufigen Rezessionen und Massenarbeitslosigkeit – gescheitert ist. Wenn ein abgehalfterter Keynesianer wie Heiner Flassbeck – stilecht im Querfrontmagazin Telepolis21 – behauptet, dass es nur die Energie- und Ölpreiskrise war, die damals wie heute den Krisen- und Inflationsschub auslöste, dann lügt er sich selbst in die Tasche. Der Keynesianismus konnte trotz aller Konjunkturprogramme kein neues Akkumulationsregime aus dem Boden stampfen – und er wird es auch jetzt nicht schaffen, neue Märkte hervorzuzaubern, bei deren Erschließung massenhaft Lohnarbeit auf dem globalen Produktivitätsniveau verwertet werden könnte.

Der Neoliberalismus „löste“ das Problem durch das spekulative Abheben der Finanzsphäre, der Finanzialisierung des Kapitalismus, also durch Krisenverschleppung im Rahmen einer regelrechten Finanzblasenökonomie, die durch drei Dekaden hindurch dem Kapital eine Art Zombieleben auf Pump ermöglichte. Dies ist auch der fundamentale Unterschied zwischen der Stagflation der 1970er und der jetzigen Stagflationsphase. Das Krisenniveau ist viel höher – und es läßt sich ganz einfach anhand der Relation zwischen Gesamtverschuldung und Wirtschaftsleistung ablesen, die von rund 110 Prozent zu Beginn des neoliberalen Zeitalters 1980, auf inzwischen 256 Prozent kletterte (ohne Finanzsektor).22

Und ein nachhaltiger Abbau dieses Schuldenbergs ist nur um den Preis einer Rezession möglich – also längerfristig eigentlich gar nicht. Ganz abgesehen davon, dass es ökologischer Wahnsinn ist, auf Rezessionen mit keynesianischen Konjunkturprogrammen zu reagieren. Die Rezessionen von 2009 und 2020, die im Gefolge der damaligen Krisenschübe ausbrachen, hatten die einzigen Jahre im 21. Jahrhundert zur Folge, in denen die CO2-Emissionen zurückgingen. Doch die oben geschilderten Konjunkturpakete führten in den Folgejahren zu den höchsten Emissionsanstiegen dieses Jahrhunderts. 2009 fiel der Ausstoß von Treibhausgasen um 1,4 Prozent,23 um 2010 dank keynesianischer Konjunkturprogramme um 5,9 Prozent24 zuzulegen! 2020 sanken die Emissionen pandemiebedingt wiederum um 4,4 Prozent, während sie 2021 aufgrund vielfacher Konjunkturmaßnahmen um 5,3 Prozent zulegten.25 Verelendung in der Rezession oder Klimatod? Hierin äußert sich die ökologische Aporie kapitalistischer Krisenpolitik.

Ideologisches Material für linken Krisenopportunismus

Verstockte Altkeynesianer wie Flassbeck, wie auch der vollkommen abgedrehte Nachwuchs rund um die MMT ignorieren diese simplen Zusammenhänge verbissen, die schlicht auf die Notwendigkeit der Systemtransformation verweisen. Immer noch wird das Märchen verbreitet, wonach eine falsche Politik zur Finanzialisierung, zum Abheben der Finanzmärkte in der neoliberalen Ära führte – und es nur darum gehen müsse, diese „einzuhegen“. Und selbstverständlich spulen sie routiniert ihr dumpfes Programm ab, um trotz zweistelliger Inflation vor einer restriktiven Geldpolitik zu warnen. Auch wenn es langsam schlicht peinlich wird, mit welcher Akrobatik die Evidenz der Krisenfalle bürgerlicher Politik geleugnet wird, um immer wieder die Inflation als eine „Anomalie“ abzutun, die mit „wahrer“ keynesianischer Politik bekämpft werden solle. Es gibt im rasch in Regression übergehenden Keynesianismus schlicht kein Schamgefühl, selbst wenn die eigenen Vorhersagen sich an der Krisenrealität dermaßen deutlich blamieren wie in der derzeitigen Stagflationsphase.

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Bei Flassbeck, dem notorischen Höfgen, wie bei vielen anderen Keyensianern, die absolut blind gegenüber der Weltkrise des Kapitals sind, gibt es einen Reflex, um alle Evidenz der ideologischen Sackgasse, in der sie sich befinden, abzustreiten. So wie die Inflation keine „echte“ Inflation sei, fordern sie bei der Krisenpolitik den „wahren“ Keynes, da alles, was bislang an Methoden zum Einsatz komme, dem Idealbild nicht entspreche. In aller deprimierenden Offenheit wird dies beim Autor des oben erwähnten Buches über den Zentralbankkapitalismus evident, der ellenlang beschreibt, wie die Notenbanken das aufgeblähte Finanzsystem stützen müssen, um dann zu behaupten, dies sei kein Keynesianismus, da Finanzmärkte nicht an die Kandarre genommen würden:26 „Das derzeitige starke Eingreifen der Zentralbanken in das Finanzsystem und selbst die Unterstützungsmaßnahmen der Regierungen während der Corona-Pandemie sind also kein Zurück zum starken Staat oder ein neuer Keynesianismus. Trotz der Schwere der Krisen ist es zu keinen weitreichenden wirtschafts- und finanzpolitischen Kursänderungen gekommen. Es ist eine Regierungsweise, die sich innerhalb der weiterhin vorherrschenden marktliberalen Wirtschaftsordnung vollzieht. Weder die Funktionsweise des Finanzsystems im Allgemeinen noch die des Schattenbankensystems im Speziellen werden infrage gestellt. Genau das müsste aber passieren, um die Krisenhaftigkeit des Systems zu überwinden.“

Tatsächlich kann der heutige Krisenkeynesianismus nicht dem alten Idealbild entsprechen, da er als Form prekärer Krisenverwaltung mit den Folgen der dekadenlangen Finanzialisierung des Kapitalismus konfrontiert ist. Es ist deprimierend: Joscha Wullweber beschreibt die Folgen dieser Finanzialisierung anhand der von ihm als „Schattenbanksystem“ bezeichnenden Repo-Geschäfte27 und beklagt die Folgen der raschen Expansion der Finanzsphäre, um dann im kapitalistischen Gedankengefängnis zu verbleiben und die strukturellen Dynamiken zur bloßen Frage einer falschen der Politik zu erklären. Und eben dieses Denken macht den Keynesianismus zu einem gern benutzten ideologischen Vehikel für linken Opportunismus.28 Keynesianer werden vor allem in der „Linkspartei“ hofiert, da sie die Systemkrise zu einer bloßen Politikfrage umlügen, was die intendierte Mitmacherei bei der Krisenverwaltung ganzer Linkspartei-Rackets von linksliberal bis rechtsnational legitimiert. Die verkürzte Kapitalismuskritik der Keyesianer ist längst zur Ideologie geronnen.

Postkeynesianische Kriegswirtschaft

Der Keynesianismus mit seinem drögen Deficit Spending und seiner Staatsgeilheit kann die sich zuspitzende innere und äußere Krise des Kapitals selbstverständlich nicht lösen, er kann aber als Übergang in eine neue Krisenqualität fungieren. Keynes kann aber – gerade bei Funktionseliten, die des Öfteren „auf Sicht“ agieren – einen brauchbaren Bootloader, ein Übergangsvehikel, zu einer qualitativ neuen Form autoritärer Krisenverwaltung abgeben. Das haben ideologisch avancierte Postkeynesianerinnen, wie die Taz-Redakteurin Ulrike Herrmann, längst begriffen:29 In ihrem jüngsten Buch über das „Ende des Kapitalismus“, das eine weitgehend von der Wertkritik abgeschriebene Darstellung der äußeren Schranke des Kapitals mit einem Bekenntnis zur Kriegswirtschaft koppelt – inklusive Ukas (Erlass, russ.) und Rationierung. Dem auf dem rechten Auge blinden, von rechten Seilschaften durchsetzten deutschen Staat will die Taz-Redakteurin mit ungeheurer Machtfülle ausstatten und zur zentralen Instanz der gesellschaftlichen Reproduktion in der Krise machen. Frau Herrmann baut auch hier natürlich auf keynesianisch verkürzter Kapitalismuskritik auf, wo der Staat als großer Gegenspieler zum Kapital erscheint – und nicht als Teil des kapitalistischen Systems, das mit diesem untergeht, wie es reihenweise in den „Failed States“ der Peripherie bereits der Fall ist.

Darauf, auf autoritäre, postdemokratische Krisenverwaltung, exekutiert von erodierenden, mitunter offen verwildernden Staatsapparaten, läuft der Krisengang hinaus. Die Keynesianer spielen nur die – dummen oder perfiden – Jubelperser dieser objektiven Krisentendenz zum anomischen Autoritarismus. Der Keynesianismus, der nur aufgrund der absurden Rechtsverschiebung des gesamten politischen Spektrums als Teil der Linken links der Sozialdemokratie gilt, verkommt somit auch hier zur Ideologie in ihrem reinsten Sinn: Zur Rechtfertigung der drohenden autoritären staatskapitalistischen Krisenverwaltung, die das genaue Gegenteil der überlebensnotwendigen Emanzipation vom kollabierenden spätkapitalistischen Sachzwangregime wäre. Die Linke sollte folglich endlich dazu übergehen, die Keynesianer als das zu betrachten, was sie objektiv sind: als Ideologen.

Zuerst erschienen in: oekumenisches-netz.de, Netz-Telegramm Februar 2023.

Ich finanziere meine journalistische Tätigkeit größtenteils durch Spenden. Falls Ihnen meine Texte zusagen, dann können Sie sich gerne daran beteiligen – entweder über Patreon, über Substack, oder durch direkte Banküberweisung nach Absprache per Mail:

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https://konicz.substack.com/

1 https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/der-volks-und-betriebswirt/volkswirtschaftslehre-sind-wir-jetzt-alle-keynesianer-1775435.html

2 https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/in-der-krise-sind-alle-keynesianer

3 https://www.konicz.info/2020/10/27/vergleich-der-krisen-2020-vs-2008/

4 https://www.mckinsey.com/featured-insights/coronavirus-leading-through-the-crisis/charting-the-path-to-the-next-normal/total-stimulus-for-the-covid-19-crisis-already-triple-that-for-the-entire-2008-09-recession

5 https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-sondergipfel-haushalt-1.4973847

6 https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/geldpolitik-2022/507732/zentralbankkapitalismus/

7 https://www.konicz.info/2022/12/30/japan-in-der-krise-mehr-alkoholismus-wagen/

8 https://www.konicz.info/2021/08/08/dreierlei-inflation/

9 https://www.ecb.europa.eu/mopo/implement/pepp/html/index.en.html

10 https://www.handelsblatt.com/meinung/homo-oeconomicus/gastkommentar-homo-oeconomicus-kreditlenkung-ist-kein-gutes-rezept-fuer-klimaschutz/27974940.html

11 https://www.ft.com/content/fa740376-da98-4067-92b4-85d315bbb6e2

12 https://wolfgang-schaeuble.de/wir-fahren-auf-sicht-dazu-muss-man-sich-offen-bekennen/

13 https://www.ifo.de/publikationen/2005/aufsatz-zeitschrift/nationale-industriepolitik-brauchen-wir-nationale-champions

14 https://www.konicz.info/2021/01/30/hedge-fonds-gamestop-und-reddit-kleinanleger-die-grosse-blackrock-bonanza/

15 https://www.konicz.info/2022/01/31/werteverfall/

16 https://www.streifzuege.org/2017/wir-sind-zombie/

17 https://www.konicz.info/2011/08/15/politik-in-der-krisenfalle/

18 https://twitter.com/MauriceHoefgen/status/1610588756754534400

19 https://www.konicz.info/2011/08/15/politik-in-der-krisenfalle/

20 https://www.xn--untergrund-blttle-2qb.ch/wirtschaft/theorie/stagflation-inflationsrate-6794.html

21 https://www.telepolis.de/features/Die-Welt-vor-der-Rezession-Diese-alten-Fehler-werden-die-Lage-verschaerfen-7286773.html?seite=all

22 https://www.imf.org/en/Blogs/Articles/2021/12/15/blog-global-debt-reaches-a-record-226-trillion

23 https://www.reuters.com/article/us-climate-emissions-idUSTRE6AK1OU20101121

24 https://www.reuters.com/article/us-iea-co2-idUSTRE74T4K220110530

25 https://joint-research-centre.ec.europa.eu/jrc-news/global-co2-emissions-rebound-2021-after-temporary-reduction-during-covid19-lockdown-2022-10-14_en#:~:text=In%202021%2C%20global%20anthropogenic%20fossil,the%20world’s%20largest%20CO2%20emitters.

26 https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/geldpolitik-2022/507732/zentralbankkapitalismus/

27 Repurchase Agreements (Repos) sind Rückkaufvereinbarungen. Hierzu Wullweber (Quelle in Fußnote Nr. 26): „Repos sind Verträge, bei denen Wertpapiere zu einem bestimmten Preis verkauft werden, um diese nach einer definierten Zeit zu einem vorher festgesetzten Preis plus Zinsen wieder zurückzukaufen. … Im Prinzip ist ein Repo nichts anderes als eine Pfandleihe: Die eine Seite benötigt Geld und hinterlegt als Sicherheit ein Pfand in Form eines Wertpapiers. Die andere Seite besitzt Geld und verleiht dieses gegen diese Sicherheit. … Ganz allgemein gibt es im Schattenbankensystem einerseits Finanzakteure wie Hedgefonds und Geschäftsbanken, die Geldmittel benötigen, um durch Geschäfte mit unterschiedlichen Risikoprofilen kurzfristig Profit erzielen zu können oder auch, um eine Unterdeckung von Kapitalreserven aufzufangen. … Auf der anderen Seite finden sich Geldmarktfonds, Vermögensverwalter, Pensionsfonds und andere institutionelle Investoren oder auch Unternehmen, die ihr überschüssiges Kapital mit verhältnismäßig geringen Risiken und vergleichsweise hohen Renditen anlegen möchten.“

28 https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/linkspartei-opportunismus-in-der-krise-7288.html

29 https://www.konicz.info/2022/12/14/rebranding-des-kapitalismus/

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Frag mal Clausewitz

Erstellt von Redaktion am 18. März 2023

Der Militärtheoretiker ist heute so aktuell wie zu seiner Zeit

File:Ostfriedhof Burg Grab von Clausewitz.jpg

Ostfriedhof Burg bei Magdebirg – Grab von Clausewitz

Von Christian Th. Müller

Beim Streit über Wege zur Beendigung des Kriegs kann ein Blick auf die Lehren des Carl von Clausewitz hilfreich sein. Ohne den Krieg politisch zu denken und die politischen Zwecke festzulegen, ist die Entwicklung einer Strategie nicht möglich.

Der preußische General Carl von Clausewitz ist neben Sunzi aus dem alten China vermutlich der weltweit bekannteste Theoretiker des Kriegs. Seit Beginn der offenen russischen Aggression gegen die Ukraine wird Clausewitz, der von 1780 bis 1831 lebte, wieder häufiger zitiert, aber leider immer noch kaum gelesen und noch weniger verstanden. Fast jeder kennt zwar seine berühmte „Formel“ vom Krieg als der „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Manche haben auch noch von der für sein Theoriegebäude grundlegenden Zweck-Mittel-Relation gehört. Seine Überlegungen zur Komplexität und Wandlungsfähigkeit des Phänomens Krieg, das er treffend als „wahres Chamäleon“ charakterisiert hatte, sind hingegen selbst im Kreis der mit Sicherheitsfragen befassten Politiker, Journalisten und Wissenschaftler kaum näher bekannt oder werden von vornherein als obsolet abgetan und ignoriert.

Unsere sicherheitspolitische Debatte leidet an einem grundlegenden Strategiedefizit, das seinen deutlichsten Ausdruck in der Tendenz zur eindimensionalen Betrachtung des nicht nur militärisch, sondern auch politisch hochkomplexen Konflikts um die Ukraine findet. Das zeigt sich seit einem Jahr in den seriellen Diskussionen zum Thema Waffenlieferungen. Egal ob es um westliche Artilleriesysteme, Schützenpanzer, Kampfpanzer oder derzeit Kampfflugzeuge geht, stets wird von den vehementen Lieferungsbefürwortern die große, wenn nicht gar entscheidende Bedeutung des jeweiligen Waffensystems betont. Immer wieder wird dann auch der Begriff des Gamechangers ins Feld geführt, der der Ukraine zum erhofften Sieg über die russischen Invasoren verhelfen könne. Hat sich die Bundesregierung dann in Abstimmung mit den Nato-Partnern zur Lieferung entschlossen, wird erstaunlicherweise sofort der nächste Gamechanger in die Diskussion gebracht.

Bei einer solchen Argumentation wird geflissentlich übersehen, dass noch kein Krieg in der Geschichte durch einen einzigen Waffentyp entschieden wurde. Das gilt umso mehr, wenn dieser nur in eher homöopathischer Dosis zur Verfügung steht und überdies nicht auch die für einen nachhaltigen Einsatz erforderlichen Munitions- und Reparaturkapazitäten bereitgestellt werden. Umso fragwürdiger sind die diskursiven Leerstellen dahingehend, welchen Effekt die westliche Militärhilfe im Hinblick auf die zeitnahe Beendigung des Kriegs und die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine realistischerweise haben kann.

Die Probleme des sicherheitspolitischen Diskurses in Deutschland ebenso wie im westlichen Bündnis insgesamt sind jedoch viel grundsätzlicherer Natur und haben inzwischen gewissermaßen jahrzehntelange Tradition. In den von den USA und ihren Verbündeten geführten Militäreinsätzen und Kriegen begegnet man von Vietnam bis Afghanistan immer wieder einem Syndrom aus drei Elementen.

Erstens sind die mit dem Einsatz verfolgten politischen Zwecke häufig unklar oder unter den Bündnispartnern umstritten, was dann wiederum mit Kompromissformeln kaschiert wird, die Interpretationsspielraum lassen. Wenn jedoch der politische Zweck des Kriegs nicht klar ist, gestaltet sich die Formulierung des strategischen Ziels im Krieg und die Entwicklung einer stringenten militärischen Strategie und ihre erfolgreiche Umsetzung als einigermaßen schwierig. Mit Blick auf die Afghanistan-Mission der Bundeswehr sprach der Historiker Klaus Naumann in diesem Zusammenhang treffend von einem „Einsatz ohne Ziel“.

Tatsächlich beschäftigen sich Politiker und Spitzenmilitärs zweitens kaum noch mit Strategie, sondern vor allem mit Ressourcenallokation. Statt darüber nachzudenken, was man auf welchem Weg und mit welchen Mitteln erreichen will, geht es dann vorzugsweise darum, wer wie viel Geld, Waffen und Truppen bereitstellt.

Hinzu kommt schließlich drittens das Ressortdenken der beteiligten militärischen und politischen Institutionen, die nicht selten geradezu eifersüchtig über ihre Kompetenzbereiche wachen. In der Folge fehlt dann zwischen der operativ-taktischen und der politischen Handlungsebene die Strategie als verbindendes Element.

Staatliche Uniformträger : Keine Zähne mehr im Maul – aber La-Paloma pfeifen !

Der französische Philosoph Raymond Aron hatte bereits in den 1970er Jahren – mit Blick auf den von den USA in Vietnam massiv geführten Luftkrieg – die verbreitete Tendenz kritisiert, Krieg vom Mittel und nicht vom verfolgten Zweck her zu denken. In den Jahren seit dem Ende des Kalten Kriegs hat sich dieser letztlich auch apolitische Blick auf das Phänomen Krieg eher noch verstärkt. Daran haben auch so einflussreiche Militärhistoriker wie John Keegan und Martin van Creveld einen großen Anteil. Beide setzten dem clausewitzschen Primat der Politik ein Primat des Kampfs entgegen. Creveld ging sogar so weit, dass er einen Großteil des Kriegsgeschehens jenseits der zwischenstaatlichen Kriege als „nichtpolitisch“ betrachtete. Dieses auf staatliche Akteure und Regierungen verengte Politikverständnis trug wesentlich dazu bei, dass die Rolle des politischen Faktors in den Kriegen gegen nichtstaatliche und irreguläre Akteure verkannt wurde und man sich stattdessen darauf konzentrierte, den Gegner auf dem Gefechtsfeld – auf der taktischen Ebene – zu besiegen. Von Vietnam über den Irak bis Afghanistan machten die USA und ihre Verbündeten dabei immer wieder die gleichen Erfahrungen. Zwar hatten ihre Truppen in allen größeren Gefechten gesiegt, doch am Ende des Kriegs war man auf der strategischen und der politischen Handlungsebene gescheitert.

Clausewitz hingegen erkennt die Komplexität, die Mehrdimensionalität ebenso wie die dem Phänomen Krieg eigene, unberechenbare Dynamik. Gleichzeitig bietet er mit klar gehaltenen Begriffen und einer, seine Theorie von der taktischen bis zur politischen Handlungsebene durchziehenden Hierarchie von Zwecken und Mitteln ein effektives Instrumentarium, um sich in diesem vordergründigen Wirrwarr widerstreitender Elemente zurechtfinden zu können. Ein wesentliches Plus seiner Theorie besteht außerdem darin, dass er die moralischen Kräfte, die Friktion und die umfassende politische Bedingtheit des Kriegs in seinen Überlegungen berücksichtigt.

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Es gibt die Wahrheit.

Erstellt von Redaktion am 16. März 2023

Es gibt Stolz. Es gibt Mut. – Kontertext:

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von      :     Nika Parkhomowskaia und Inna Rozowa /

Wo bleibt die russische Opposition gegen Krieg und Putin?

Am 10. März 2023 veröffentlichte die berühmte russische Rocksängerin Zemfira, die sich derzeit im französischen Exil befindet und ein modernes, europäisch geprägtes Russland verkörpert, ihren neuen Song «Motherland». Der Hauptgedanke dieses Liedes ist, dass niemand gezwungen werden kann, sein/ihr Heimatland zu lieben. Unmittelbar danach wurde sie von «Patrioten», die eine totale russische Invasion der Ukraine unterstützen, als Verräterin beschimpft, und Parlamentsmitglieder forderten die Beschlagnahmung ihrer Moskauer Wohnung und ihrer zwei Autos.

Nun ist die Forderung, denen, die den Krieg kritisiert und das Land verlassen haben, ihre Immobilien zu entziehen, keineswegs neu, und die schärfsten Propagandisten drohen auch damit, den Exilierten, die sich dem Regime weiterhin widersetzen, die russische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Der besonders grimmige Ex-Präsident Medwedew versucht sogar, sie mit physischer Gewalt einzuschüchtern.

Doch die russischen Journalisten, Künstler und Politiker, die sich inzwischen in der ganzen Welt niedergelassen haben, vertreten weiterhin ihre Positionen. Viele von ihnen wurden als «ausländische Agenten» bezeichnet, was bedeutet, dass sie automatisch in ihren sozialen und menschlichen Rechten eingeschränkt werden. Jegliche Zusammenarbeit mit russischen Institutionen oder etwa die Unterrichtung russischer Kinder via Zoom ist ihnen verunmöglicht. Viele von ihnen werden auch immer wieder in absentia mit Geldstrafen belegt oder wegen Diskreditierung der russischen Armee verurteilt. Das heisst: sie werden verurteilt, weil sie die Wahrheit sagen und nicht der offiziellen Linie des Kremls folgen.

Nicht erst seit gestern

Diejenigen, die in Russland bleiben, befinden sich jedoch in einer viel gefährlicheren Lage. Jede Äusserung gegen den Krieg kann zur Verhaftung und zu Prozessen führen. An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass die Verfolgung wegen der Teilnahme an Versammlungen und Mahnwachen nicht erst heute begonnen hat, sondern bereits seit mehr als zehn Jahren stattfindet. Es gab in den letzten Jahren nicht nur die riesigen Protestkundgebungen gegen die gefälschten Parlamentswahlen im Jahre 2011, sondern auch Hunderte von anderen Demonstrationen, von denen am ehesten noch die Proteste gegen die neue Amtszeit von Präsident Putin anno 2012 in Erinnerung geblieben sind.

Diese Demonstrationen führten zu Verhaftungen und langjährigen Haftstrafen. Die Situation wird dadurch verschärft, dass die Justiz in Russland bekanntlich abhängig und ungerecht ist: Man kann leicht für etwas verurteilt werden, das man gar nicht begangen hat, und kein Anwalt kann einen in diesem Fall schützen. Die meisten Menschen in Russland haben wirklich Angst davor, verhaftet zu werden, denn die Polizei verhält sich sehr aggressiv, und jeder weiss, dass in russischen Gefängnissen Folterungen vorkommen, die zwar offiziell verboten, aber in der Realität weit verbreitet sind. Verhaftet zu werden ist gefährlich für Leib und – manchmal – Leben. Es bedeutet zumeist, unter sehr schlechten Bedingungen existieren zu müssen.

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Es gibt andere Gründe Menschen umzubringen !

In letzter Zeit haben die russischen Behörden begonnen, Kinder von ihren Eltern zu trennen: So haben die Medien viel über den Fall Alexey Moskalev berichtet. Der Arbeitslose aus einer Kleinstadt unweit von Moskau schrieb in den sozialen Medien gegen den Krieg, und seine 13-jährige Tochter malte ein Bild mit der Aufschrift «Kein Krieg». Die Lehrerin zeigte sie an, und nun befindet sich das Mädchen in einem Waisenhaus, während ihr Vater in Haft ist.

Geld und Propaganda

Der Staat bestraft seine Bürger nicht nur, er provoziert sie auch. Und er erkauft sich Loyalität, indem er denjenigen, die am Krieg teilnehmen, hohe Gehälter zahlt – viele Menschen in Russland hatten nie die Möglichkeit, mit ehrlicher Arbeit so viel Geld zu verdienen wie nun mit Krieg. Die traurige Wahrheit ist, dass das Land in Arm und Reich gespalten ist, und einige Menschen ziehen aus Armut in den Krieg und nicht weil sie kriegsbegeistert sind oder etwas gegen die Ukraine haben. Um ihre Moral zu heben, setzen die Behörden massive Propaganda ein, auch in den nationalen Fernsehkanälen. Die Vorstellung, dass Russland ein altes, spirituelles Land sei, das die «wahren» Werte bewahre und gefährliche Feinde bekämpfen müsse, wird den Menschen erfolgreich eingepflanzt. Diese verrückten Ideen sind beliebt, denn leider ist Russland in seinem Kern immer noch sehr patriarchalisch. Während fast alle unabhängigen Medien geschlossen sind und Youtube als alternative Informationsquelle ständig Gefahr läuft, komplett verboten zu werden, sind die Menschen – vor allem diejenigen, die nicht in der Lage sind, selbst zu denken – bereit, jeden Unsinn zu glauben.

Die Macht des Faktischen

Alle Soziologen erklären jedoch, dass von denjenigen, die im Lande bleiben, mindestens 20 Prozent den Krieg nicht unterstützen. Wenn man bedenkt, wie gross Russland ist, bedeutet das, dass nicht weniger als 20 Millionen Menschen gegen den Krieg sind. Sie protestieren nicht unbedingt offen – sowohl aus Angst als auch aus dem Gefühl heraus, dass es absolut nutzlos ist –, schliesslich war in den Jahren der Putin-Regierung keine der Demonstrationen erfolgreich.

Wer politische Situationen, wie sie heute in Russland herrschen, aus Erfahrung kennt, kann das verstehen. Der litauische Ex-Premierminister Andrius Kubilius beispielsweise, der fest an die demokratische Zukunft Russlands glaubt, sagt, dass selbst das freiheitsliebende Litauen sich nicht gegen das Sowjetregime stellen konnte, weil das System zu stark war. Dennoch finden die Menschen Mittel und Wege, um ihre Haltung zu aktuellen Ereignissen zum Ausdruck zu bringen. So begannen die Russen nach dem Bombenanschlag auf ein Gebäude voller Menschen im ukrainischen Dnipro, Blumen niederzulegen – zunächst an den Denkmälern, die mit der Ukraine in Verbindung stehen, und dann an Gedenkstätten, die mit politischen Repressionen im ganzen Land in Verbindung gebracht werden. Die Behörden versuchten, diese unschuldigen Aktionen zu verbieten und leiteten einige Verwaltungsverfahren ein, aber es entstanden immer wieder spontane Gedenkstätten. Mit Grund singt Zemfira in ihrem neuen Lied: «Es gibt die Wahrheit. Es gibt Stolz. Es gibt Mut.»

Aus dem Englischen übersetzt von Felix Schneider 

FREIE NUTZUNGSRECHTE

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Grafikquellen        :

Oben      —     ‚Chain of Protest‘ in Moscow by Fair Elections Movement / White Ribbons

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Hungary-Serbia border barrier

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Die Grünen in Deutschland

Erstellt von Redaktion am 14. März 2023

Mehr Krieg, um den Krieg zu beenden?

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Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      :    Rositsa Kratunkova  –  berlinergazette.de

Europas grüne Parteien auf bellizistischen Irrwegen. Angesichts Russlands Ukraine-Invasion werden wir daran erinnert, dass es dem grünen Kapitalismus gelungen ist, den technologischen Solutionismus in die Matrix des Krieges zu integrieren, wie das Drängen auf die Lieferung und Entwicklung von Waffen zeigt.

Es handele sich um “pragmatische” Lösungen, wie die grünen Parteien in Frankreich, Deutschland und Bulgarien behaupten. Doch stellt diese Abkehr vom “Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit” nicht zuletzt ein Ende der Welt in Aussicht, das sogar früher einsetzen könnte als es die Gewalt der Klimakatastrophe vorsieht, wie die Klimagerechtigkeitsaktivistin und Journalistin Rositsa Kratunkova in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism” argumentiert.Einen Monat nach Kriegsbeginn hat der IPCC, eine internationale Expert*innenengruppe der UNO, die sich mit dem Klimawandel befasst, den dritten Teil seines sechsten Berichts veröffentlicht, der sich mit den möglichen Lösungen zur Vermeidung einer planetarischen Katastrophe befasst. Doch nur wenige Politiker*innen in Europa haben den Bericht zur Kenntnis genommen und sich mit der Dringlichkeit der Situation auseinandergesetzt, die nach Ansicht der Expert*innen nur drei Jahre Zeit zum Handeln lässt.

Während ihrer fast dreistündigen Debatte widmeten die beiden Anwärter*innen auf die französische Präsidentschaft, Marine Le Pen und Emmanuel Macron, der Klimafrage nur 18 Minuten. Das zeigt, dass sie eindeutig keine Priorität hat. Man könnte argumentieren, dass dies auf die Invasion in der Ukraine zurückzuführen ist und ihre weitreichenden Folgen. Andere wichtige Themen wurden in den Hintergrund gedrängt und die politische Agenda auf dem gesamten Kontinent veränderte sich.

Ein bisher eher unerwarteter Effekt ist, dass die grünen Parteien die Aufrüstung befürworten und ihr Bekenntnis zum Pazifismus aufgeben, wobei sie vergessen, dass Kriege grosse Mengen an Treibhausgasen produzieren und katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt haben. Dieser Artikel zeichnet die Entwicklung der Grünen in Frankreich, Deutschland und Bulgarien seit dem Beginn des Konflikts nach und untersucht die Veränderungen ihrer Positionen zum Krieg.

Die Grünen in Frankreich: Der müde Rahmen der “humanitären Intervention”

Seit ihrer Gründung in den 1980er Jahren stehen die französischen Grünen in der Aussenpolitik in der Tradition des Pazifismus und vertreten gewaltfreie, antinukleare und antimilitärische Positionen. Einer ihrer wichtigsten Werte ist die Überzeugung, dass Konflikte durch Diskussion und Transparenz friedlich gelöst werden können. In diesem Sinne stimmte die Partei 1990 fast einstimmig gegen den Einmarsch des Irak in Kuwait. Einige Jahre später wurde der Pazifismus der Grünen jedoch von einigen Ausnahmen unterbrochen. Im Jahr 1999 unterstützte die Partei die NATO-Militärintervention im Kosovo, 2011 stimmten zwei Abgeordnete für die Fortsetzung der Militäroperationen in Libyen und zwei Jahre später unterstützte die Parteiführung den Angriff auf Syrien. Heute rechtfertigt die Partei die Anwendung von Gewalt mit dem abgedroschenen Begriff der “humanitären Intervention”.

Auch der Parteivorsitzende und Präsidentschaftskandidat Yannick Jadot rief unmittelbar nach Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar dazu auf, Waffen zu schicken und Sanktionen gegen Russland zu verhängen, eine Entscheidung, die von den Parteimitgliedern nicht einstimmig unterstützt wurde. Die Abgeordnete Bénédicte Monville argumentierte, dass man zunächst einen Waffenstillstand fordern und die Positionen der Gewaltlosigkeit aufrechterhalten müsse, bevor man Waffen schicke, und sah in Jadots Aktion eine populistische Strategie, um die eher hawkistischen Wähler zu gewinnen. Andere forderten, zuerst den russischen Pazifist*innen zu helfen. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu der 2014 von der Partei nach den Maidan-Ereignissen verabschiedeten Resolution zum Frieden in der Ukraine, in der sie erklärte, dass der Druck der EU auf Russland nur diplomatisch, politisch und wirtschaftlich und niemals militärisch sein kann, und darauf bestand, dass die Aufnahme der Ukraine in die NATO ausdrücklich ausgeschlossen werden muss.

Zusätzlich zu den Waffenlieferungen forderte Jadot massive Sanktionen gegen die Staatsoligarchie des Putin-Regimes und bekräftigte, dass ein Friedensprojekt notwendigerweise ein Gleichgewicht der Kräfte vis-à-vis Putin voraussetzt. Dazu gehöre eindeutig ein Embargo für russisches Öl und Gas, das sich unweigerlich auf die Energiebeschaffungsmöglichkeiten Frankreichs und Europas auswirken würde. Um jeglichen Wettbewerb zwischen den Ländern zu vermeiden, schlug der Parteivorsitzende der Grünen vor, einen einzigen Staat in Europa als Abnehmer des in Russland geförderten Gases zu benennen, um so die EU-Richtlinien zur Liberalisierung der Energiepreise auszusetzen und eine Preisregulierung einzuführen. Ausserdem schlug Jadot vor, auf Supermärkten, Schulen und anderen Flachdächern Fotovoltaikanlagen zu installieren, denn Ökologie bedeute “Frieden, Klima und Kaufkraft zugleich”. Den IPCC-Bericht erwähnte er allerdings nur flüchtig in einem einzigen Tweet.

Inmitten des Kampfes mit den russischen Oligarchen ist Jadot der Meinung, dass das Öl- und Gasembargo auf die französischen Ölgesellschaften ausgedehnt werden muss, und kritisiert sie dafür, dass sie Russland nicht verlassen haben, wie Shell, Exxon Mobil und BP, was impliziert, dass sie an Kriegsverbrechen in der Ukraine beteiligt sind. Es ist ziemlich offensichtlich: not all of them left. Auf dem Höhepunkt des Präsidentschaftswahlkampfes forderte Jadot, Macron solle französische Ölfirmen zwingen, Russland zu verlassen.

In diesem Debakel bezeichnete der andere grün-linke Präsidentschaftskandidat der Union populaire Jean-Luc Melenchon den Vorschlag, Waffen in die Ukraine zu schicken, als “Dummheit” und fügte hinzu, dass die Lage in Europa derzeit unglaublich angespannt sei und man vorsichtig handeln müsse. Für diese Position wurde der Vorsitzende der Linkspartei sofort von den Grünen beschuldigt, sich auf die Seite Putins zu stellen. Im Gegensatz zu Jadot lehnt Melenchon ein Embargo für russische Kohlenwasserstoffe ab, da dies schädliche Auswirkungen auf Europa hätte und dessen Abhängigkeit vom teureren Schiefergas aus den USA verstärken würde. Stattdessen schlug er Preiskontrollen und einen einheitlichen Preis für ganz Europa vor. Während er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verteidigte, erklärte er ausserdem, dass Frankreich in seinen internationalen Beziehungen bündnisfrei sein und die Möglichkeit haben sollte, seine eigenen Verhandlungen zu führen, und erinnerte an die vergessene Idee, alter-globalistische Allianzen zu schmieden, um Konflikte zu verhindern und gemeinsam gegen den Klimawandel vorzugehen – eine Position, die Jadot als Kapitulation gegenüber Putin bezeichnete.

Am 12. März erreichte der Parteivorsitzende der Grünen in den Umfragen 6,5 Prozent, Melenchon 12 Prozent. Die Kluft vergrösserte sich bis zum ersten Wahlgang am 10. April erheblich, als der erste 4,65 Prozent und der zweite 21,95 Prozent der Stimmen erhielt.

Die Grünen in Deutschland: Praktisch ein Aufruf zum Dritten Weltkrieg

Im Wahlkampf des vergangenen Jahres propagierten die Grünen in Deutschland Abrüstung und eine “wertebasierte Aussenpolitik”. Begleitet von einem werbewirksamen Auftritt ihres Co-Vorsitzenden Robert Habeck in der Ukraine, wo er für Waffenlieferungen plädierte und in militärischer Ausrüstung für vielbeachtete Fotos nahe der russisch-ukrainischen Grenze posierte, zeigte dieses Kampagnenelement dem kritischen Auge deutlich, was “wertebasierte Aussenpolitik” für die Grünen bedeutet: Sie würden “notfalls für Werte in den Krieg ziehen”, wie sie es schon bei ihrer ersten Regierungsbeteiligung vom 27. Oktober 1998 bis zum 22. Oktober 2002 im ersten Kabinett Schröder taten.

Die Grüne Partei wurde 1980 gegründet und ging aus verschiedenen demokratischen Bewegungen wie Anti-Atomkraft-, Umweltschutz-, Frauenrechts-, Friedensbewegung und Dritte-Welt-Gruppen hervor. Die Partei strebt eine gewaltfreie Gesellschaft an und vertritt die Auffassung, dass kein humanes Ziel mit unmenschlichen Mitteln erreicht werden kann. Eine zentrale Position war die Auflösung der Militärblöcke, vor allem der NATO und des Warschauer Paktes, einschliesslich der deutschen Streitkräfte.

Diese Position wurde erstmals 1999 verraten, als der damalige grüne Aussenminister Joschka Fischer eine Kehrtwende vollzog und – während er völkerrechtswidrige Aktionen vorbereitete – erklärte, es sei die “moralische Verpflichtung” Deutschlands als eines der grössten NATO-Mitgliedsländer, sich an der US-geführten Militärintervention im Kosovo zu beteiligen. Es war der erste Krieg, an dem sich Deutschland seit 1945 aktiv beteiligte, und er verlief nicht ohne innere Unruhen. Die österreichische Schwesterpartei der Grünen verurteilte die französischen und deutschen grünen Kriegstreiber, was jedoch nicht zu einer Spaltung auf europäischer Ebene führte.

Im Rahmen ihres Wahlprogramms 2021 propagierten die Grünen in Deutschland Abrüstung und Rüstungsexportkontrolle, die sie für zu lax hielten. Obwohl sie die NATO für einen unverzichtbaren Akteur für die gemeinsame Sicherheit Europas hielten, kritisierten sie die NATO-Richtlinien, zwei Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben, als “willkürlich” und lehnten den Transport amerikanischer Atomwaffen mit Jets aus Deutschland ab. Andererseits sprachen sie sich dafür aus, mit Russland in Kontakt zu bleiben und den Handel mit der EU zu fördern, ohne jedoch Waffen aus Deutschland in Kriegsgebiete und Diktaturen zu exportieren. Paradoxerweise ergab eine kürzlich durchgeführte Untersuchung, dass Deutschland nach dem Embargo von 2014 mit Ausfuhren im Wert von 122 Millionen Euro der zweitgrösste Waffenexporteur nach Russland war.

Heute jedoch scheinen die Grünen eine Kehrtwende vollzogen und eine kriegerischere Position eingenommen zu haben. Sie glauben, dass eine massive Bewaffnung der Ukraine die einzige Option ist, während sie gleichzeitig nach Wegen suchen, um schnell von Russland energieunabhängig zu werden. Wenige Wochen vor Beginn des Krieges verkündete die derzeitige grüne Aussenministerin Annalena Baerbock, dass Deutschland aufgrund seiner “historischen Verantwortung” keine Waffen an die Ukraine liefern könne und betonte, dass Diplomatie der einzig gangbare Weg sei. Ein paar Wochen später schlug Baerbock vor, schwere Artillerie in die Ukraine zu schicken und die Position “nichts, was schiesst” durch “alles, was schiesst” zu ersetzen, während sie gleichzeitig zusätzliche 100 Milliarden Euro für die deutschen Streitkräfte befürwortete.

Sogenannter “Pragmatismus” und “Realismus” haben den traditionellen “grünen Pazifismus” abgelöst. Oder man könnte auch sagen: Die “wertebasierte Aussenpolitik” hat wieder ihr wahres Gesicht gezeigt. So betonte der grüne Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter, dass man keine andere Wahl habe, als Waffen zu schicken, und dass man, wenn man jetzt nicht handle, den Krieg in die Länge ziehe. Eine weitere Grünen-Politikerin, Marieluise Beck, die vielleicht profilierteste Kritikerin des Putin-Regimes in der Partei, ging sogar noch weiter als Hofreiter, indem sie dazu riet, dass Deutschland trotz seiner Energieabhängigkeit kurzfristig schwere Sanktionen gegen Russland verhängen sollte. Darüber hinaus schlug sie vor, dass Deutschland und Frankreich den Luftraum für russische Flugzeuge sperren sollten, womit sie praktisch einen Dritten Weltkrieg forderte.

Dieser Wandel “traditioneller grüner Positionen” zum Krieg, der sich für kritische Beobachter*innen seit Jahrzehnten abzeichnet, ist nicht ohne interne Konflikte verlaufen. Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend, nannte die Aufstockung der Mittel für die Bundeswehr “einen sehr fatalen Schritt”. Die Unabhängige Grüne Linke, eine Basisgruppe innerhalb der Grünen, wandte sich in einem offenen Brief an die Parteispitze gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und forderte, sich bei der russischen Regierung für eine sofortige Einstellung aller militärischen Aktivitäten und eine Rückkehr zu Verhandlungen einzusetzen. Die Gruppe erklärte, dass Waffenlieferungen den Menschen in der Ukraine den falschen Glauben vermitteln, dass sie eine militärische Chance gegen Russland haben, und die unverständliche, aber berechtigte Frage aufwerfen, ob sie eine weitere Eskalation und sogar einen Atomkrieg provozieren.

Inmitten des internen Konflikts navigieren die Parteivorsitzenden weiterhin durch die stürmischen Gewässer der Überschreitung anderer ehemaliger “roter Linien”. Obwohl Olaf Scholz und sein Kabinett versprachen, ein Gesetz einzuführen, das bis 2035 einen Anteil von nahezu 100 Prozent erneuerbarer Energien vorschreibt, wird zunächst mehr CO2 ausgestossen. Während der Atomausstieg wie geplant fortgesetzt wird, könnten die deutschen Kohlekraftwerke eine Verlängerung um einige Jahre über die von den Grünen ausgehandelte Frist bis 2030 hinaus erhalten. Waffenexporte an ein autoritäres Regime mögen verboten sein, aber der Handel mit Gasgeschäften mit einem anderen wird als akzeptabel angesehen.

Um sich neue Energiequellen zu sichern, reiste Robert Habeck – derzeit grüner Minister für Wirtschaft und Klimaschutz – im März nach Katar, dem Land der Fussballweltmeisterschaft 2022, das viele Grüne zu boykottieren versprachen und in dem Arbeits- und Menschenrechte kaum gelten. Ausserdem verhandelte Habeck über Flüssiggaslieferungen, die die Grünen als klimaschädlich brandmarkten und bis vor kurzem strikt ablehnten. Der Krieg zeigt, dass der Übergang zu erneuerbaren Energien von den Grünen ebenso als nationale Sicherheitspolitik wie als Klimapolitik betrachtet wird, wobei die ersteren Grundsätze “pragmatischen”, wenn auch widersprüchlichen Lösungen weichen.

Dieser Bruch mit früheren Prinzipien hat sich für die Grünen als lukrativ erwiesen und ihre beiden Minister Habeck und Baerbock zu den beliebtesten Politiker*innen in Deutschland gemacht. Dahinter steht Olaf Scholz, der sich lange weigerte, schwere Waffen in die Ukraine zu schicken, was Baerbock mit den Worten kritisiert: “Jetzt ist nicht die Zeit für Ausreden”. Der Co-Vorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, betonte, dass die derzeitigen Lieferungen ins Schlachtfeld unzureichend seien und schloss eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland ohne einen Wechsel in der Führung des Landes aus.

Gleichzeitig argumentierte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, dass Deutschland keine Panzer aus seinen eigenen Beständen an die Ukraine liefern könne, da es diese sowohl für seine eigene Verteidigung als auch für NATO-Aufgaben benötige. Diese Pattsituation wurde von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin während seines Besuchs im April “gelöst”, als die Entscheidung über die Lieferung von Panzern an die Ukraine hinter verschlossenen Türen mit Regierungsvertreter*innen in Deutschland getroffen wurde, was zeigt, dass nichts, auch nicht die mächtigste Wirtschaft Europas, den aussenpolitischen Interessen der USA im Wege stehen darf.

Die Grünen in Bulgarien: “Alle notwendigen wirksamen Massnahmen” ergreifen

Die Grüne Partei in Bulgarien wurde 2008 gegründet, nachdem sich zahlreiche ökologische Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen hatten, und hat eine eher kurze Geschichte. Mit einer liberalen, antikommunistischen politischen Plattform erzielten sie viele Jahre lang kaum nennenswerte Wahlergebnisse, aber 2021 schlossen sie sich einer Koalition aus zwei rechtsliberalen Parteien namens Demokratisches Bulgarien an. Gemeinsam schafften sie es, in die Regierung einzutreten und haben nun sogar das Ministerium für Umwelt und Wasser inne – ihr bisher wichtigster politischer Erfolg. Obwohl ihr Wahlprogramm den Frieden hochhält, ist ihre Position heute alles andere als friedlich und setzt die militärische Unterstützung der Ukraine mit dem Schutz der Demokratie gleich, ähnlich wie ihre Pendants in Frankreich und Deutschland, jedoch mit einer ausgeprägteren antirussischen ideologischen Ausrichtung.

Seit dem Ausbruch des Krieges wird darüber debattiert, ob Waffen in die Ukraine geliefert werden sollen, um das Land bei der Verteidigung gegen den Aggressor zu unterstützen oder nicht. Die regierende Koalition aus vier politischen Parteien hat Schwierigkeiten, zu einer einstimmigen Entscheidung zu gelangen, wobei die bulgarische sozialistische Partei entschieden dagegen ist und sogar die Stabilität der Regierung bedroht. Die gleiche Position – allerdings auf der anderen Seite des politischen Spektrums – vertritt das Demokratische Bulgarien, das versucht, einen Weg zu finden, die Sackgasse zu umgehen und den “moralischen” Krieg zu gewinnen. Am 19. März beschloss die Grüne Partei, der Nationalversammlung eine Anhörung des ukrainischen Präsidenten vorzuschlagen. Am 30. März gab das Demokratische Bulgarien eine Erklärung zur Aufnahme von Konsultationen im Parlament zur militärischen Unterstützung der Ukraine und zur Verteidigung der “Freiheit, Solidarität und Sicherheit in Europa” ab.

Die Grünen zeigten ihre Solidarität auch auf andere Weise, als eines ihrer Parteimitglieder und ehemaliger Kandidat für die Nationalversammlung kurz nach Ausbruch des Krieges dem Bataillon der ausländischen Kämpfer beitrat. Die Partei unterstützte auch lautstark den Friedensmarsch “Wir sind nicht neutral”, der eine Verschärfung des Krieges durch Waffenlieferungen forderte. Paradoxerweise sind die Grünen der Ansicht, dass die Ergreifung “aller notwendigen wirksamen Massnahmen”, zu denen Friedensverhandlungen offenbar nie gehören, die Zahl der Opfer begrenzen, die Zerstörung von Städten in der Ukraine verhindern, den Aggressor abwehren und letztlich den Krieg beenden wird.

In einem kürzlich geführten Interview sagte der grüne Umweltminister Borislav Sandov sogar, dass ein Verzicht auf militärische Unterstützung für die Ukraine die Selbstisolierung Bulgariens und seine Loslösung von seiner “zivilisatorischen Wahl” – der EU und der NATO – bedeuten würde. Er ging sogar so weit, anzudeuten, dass dies die Position Bulgariens gegenüber Nordmazedonien untergraben würde, gegen das Bulgarien 2019 ein Veto einlegte, als es versuchte den Status eines EU-Kandidatenlandes zu erhalten. Alles, was nicht zu mehr Aufrüstung führt, wird schnell als Abweichen vom “gerechten” Weg der EU-Entwicklung abgetan, ohne eine solche Entwicklung in Frage zu stellen. Ironischerweise erwähnte die grüne Bewegung den neuesten IPCC-Bericht in einem einzigen Facebook-Posting – inmitten all des Waffengefechts.

Es ist keine Überraschung, dass Bulgarien als grosser Waffenproduzent seit Kriegsbeginn massiv über Stellvertreter in die Ukraine exportiert hat. Als dies aufgedeckt wurde, folgten Vergeltungsmassnahmen seitens Russlands. Unter dem Vorwand, Bulgarien weigere sich, für russisches Gas in Rubel zu zahlen, kündigte Gazprom am 26. April an, die Gaslieferungen an Bulgarien mit sofortiger Wirkung einzustellen. In Vorbereitung auf eine solche Wende schlug der Co-Vorsitzende der Grünen Partei, Vladislav Panev, vor, den Markt noch stärker zu liberalisieren, um den Verbraucher*innen die Möglichkeit zu geben, ihre eigene Energie zu produzieren. Eine Position, die in krassem Widerspruch zu der ihrer Genoss*innen in Frankreich steht.

Unter dem Strich sind die weitreichenden Folgen des Krieges auch an den grünen Parteien in ganz Europa nicht vorbeigegangen, die sich für mehr Krieg einsetzen, um den Krieg zu beenden. Ihre Vision einer “pragmatischen” Lösung, die sich auf die Entsendung von Waffen und die Verhängung von Sanktionen beschränkt, hat ihren Anspruch auf Gewaltlosigkeit aufgegeben und gezeigt, dass sie sich der Doktrin der “gerechten Gewalt für humanitäre Zwecke” verschrieben haben. In wirtschaftlicher Hinsicht hat ihre Reaktion die ideologischen Unterschiede innerhalb der grünen Parteien offengelegt. Auf der anderen Seite haben sich die linken und nominell linken Parteien in Frankreich, Deutschland und Bulgarien alle gegen die Lieferung von Waffen in die Ukraine gewehrt. Die Begrenzung der öffentlichen Debatte seit Beginn des Krieges auf die Frage, ob die Ukraine militärisch unterstützt werden soll oder nicht, hat sich nachteilig darauf ausgewirkt, die Dringlichkeit des Klimawandels und die Notwendigkeit von Massnahmen zu verdeutlichen und in Erinnerung zu rufen. Stattdessen hat sie es ermöglicht, sich ein noch früheres Ende der Welt vorzustellen, als es die langsame Gewalt der Klimakatastrophe mit sich bringen würde.

Rositsa Kratunkova
berlinergazette.de

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Oben        —      Français : Forum Européen de l’eau, La Rochelle, Forum des Pertuis, le 25 janvier 2022, organisé par Benoit Biteau, député européen. la dernière plénière réunissait : Yannick Jadot, Député européen, Mathilde Panot, député et Boubakar soumahoro, syndicaliste.

Author Greenbox         /       Source    :     Own work       /          Date    :      25 January 2022, 18:49:06

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Unten       —           Bündnis 90/Die Grünen auf der Datenschutzdemonstration „Freiheit statt Angst“

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Opfer suchen Wahrheiten

Erstellt von Redaktion am 13. März 2023

Die Wahrheit ist stets das erste Kriegsopfer

File:Wallendorf (Luppe) Kriegsopfer 1939-1945.JPG

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Wir mögen es micht wahrhaben, aber wir leben in Kriegszeiten, mit einem Krieg vor der Haustüre, vorgeführt wie in einem Theater. Nur die heute Über-Achtzigjährigen haben noch eigene Kriegserfahrung und die Erinnerung, dass auch der Zweite Weltkrieg herbeigeredet worden ist, mit Lügen, falschen Versprechen, Illusionen.

Während Hitler sich der Verantwortung durch Selbstmord entzog, wollen z.B. US-Politiker ihre Hände seit dem Vietnam-Krieg in Unschuld waschen. So erklärte der seinerzeitige US-Verteidigungsminister McNamare noch 1995, dass er bis heute nicht wisse, was am 2. und 4. August 1964 im Golf von Tonkin geschah. Damals wurde von den USA wahrheitswiedrig behauptet, dass der US-amerikanische Zerstörer Maddox im Golf von Tonkin von nordvietnamesischen Torpedobooten angegriffen worden sei. Und das war genug, einen verheerenden Krieg in Vietnam auszulösen. Ein amerikanischer Freund, der deswegen eingezogen wurde, wusste nicht einmal, wo Vietnam lag und was er dort sollte. Seine Erfahrung war dann ein zerschossenes Bein und lebenslanges Humpeln. Und McNamara kann sich an den Grund für den grausamen Vietnamkrieg mit drei Millionen Toten nicht erinnern!

Seit Vietnam haben die USA mit Lügen, Unterstellungen und machtgeil Kriege im Irak bis hin in Afghanistan geführt und allesamt verloren. Und im Stellvertreterkrieg in der Ukraine geht es konsequent weiter. Die USA wissen immer ein paar Tage voraus genau, was Russland macht, halten sich zwar militärisch bedeckt im Hintergrund, stacheln aber die NATO und die Ukraine auf und heizen ihre Militärindustrie kräftig an. Russland verhält sich ebenso. So wiegeln sich die beiden Supermächte gegenseitig auf, bis irgendwann die Sicherung durchknallt und tausende unschuldiger Menschen ihr Leben lassen müssen.

Der Auslöser der heutigen Kriegssituation ist der Einfall von Russland. Der Grund dafür liegt jedoch Jahre zurück mit dem Vorrücken der NATO direkt an die russische Grenze und weltweit. Stets auf Druck und mit Machtphantasien der USA. Was, bitte, hat ein deutsches Kriegsschiff im Chinesischen Meer zu suchen? Und warum wird heute so infam gegen China als Feind Nr.1 gestänkert, obwohl China noch nie in seiner Geschichte kriegerisch gegen ein Land außerhalb seiner Grenzen vorgegangen ist?

Es sind wohl Bequemlichkeit und Bildungslücken, die uns immer wieder den kriegstreibenden Lügenmärchen insbesondere der USA Glauben schenken lassen. Bis wir uns dann verdutzt die Augen darüber reiben, dass wir unmittelbar selbst betroffen sind. Aber dann ist es zu spät! Es darf uns nicht kalt lassen, dass wir nach der anfänglichen Zusage der Bereitstellung von Kriegshelmen heute bei der Lieferung schwerster Waffen an die Ukraine angekommen sind. Dauernde Eskalation und immer kompliziertere Lügenmärchen haben uns an den Rand eines Krieges direkt bei uns manövriert.

Aber hinterher will es keiner gewesen sein. Pathetisch verkündet unser Bundespräsident, dass die Friedensdividende aufgezehrt sei. Mitnichten! Frieden ist eines der höchsten Güter und ohne wenn und aber anzustreben. Diese Wahrheit dürfen wir nicht von machtgeilen Politikern durch Kriegstreiberei oder gar Kriege massakrieren lassen. Und immer wieder fragen: Was ist Wahrheit und was ist Lüge?

Urheberrecht
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Oben       —      Wallendorf (Luppe) Kriegsopferdenkmal 1939-1945

Author Wikswat        :      Own work    /      Date    :   21 October 2018

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Unten     ––       We kill for FUN! (by Latuff).

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Daten als neue Munition

Erstellt von Redaktion am 10. März 2023

Ukraine nutzt KI von Palantir

Von Adrian Lobe

Die US-Datenfirma Palantir liefert Software an die Ukraine, um feindliche Truppenbewegungen zu verfolgen. Ist das rechtlich und moralisch vertretbar?

Zu den Eigentümlichkeiten des Ukraine-Kriegs gehört, dass er mit den militärischen Mitteln und Taktiken des 20. Jahrhunderts geführt, aber mit Instrumenten des 21. Jahrhunderts organisiert wird. Brutale Abnutzungskämpfe in Schützengräben wie im Ersten Weltkrieg stehen satellitengestütztem Internet und Kryptofinanzierung gegenüber. Vor Kurzem wurde bekannt, dass die Ukraine bei der militärischen Zielerkennung, dem sogenannten „Targeting“, eine Künstliche Intelligenz der US-Firma Palantir nutzt.

Die Software namens MetaConstellation, die Palantir der Ukraine kostenlos zur Verfügung stellt, verarbeitet massenhaft Daten von Satelliten, Flugzeugsensoren und Drohnen, um in Echtzeit feindliche Truppenbewegungen zu verfolgen. Palantir-Chef Alex Karp jubilierte, die „Macht ausgefeilter algorithmischer Waffensysteme“ sei mittlerweile vergleichbar mit dem Besitz einer taktischen Atomwaffe.

Die verbale Offensive überrascht, heißt es doch immer, man müsse in dem Konflikt „rhetorisch abrüsten“. Doch Karp kann sich solche forschen Töne erlauben. Palantir ist einer der größten Player im globalen Überwachungskapitalismus. Die vom rechts-libertären Investor Peter Thiel gegründete Firma, die in der Anfangsphase vom Wagniskapitalarm der CIA mitfinanziert wurde, liefert Analysesoftware an Behörden auf der ganzen Welt.

Durch die Hintertür zur Kriegspartei

Es ist ein lukratives, aber gleichsam verschwiegenes Geschäft. Zu den Kunden von Palantir gehören neben US-Geheimdiensten und -konzernen unter anderem auch die Polizei in Hessen, deren eingesetzte Fahndungssoftware HessenData jüngst vom Bundesverfassungsgericht für teilweise verfassungswidrig erklärt wurde. Das Überwachungsnetz, das die umstrittene Analysefirma über die Welt geworfen hat, ist so engmaschig, dass sich darin nicht nur Terroristen und Drogendealer, sondern auch Betrüger wie der mittlerweile verstorbene Börsenmakler Bernie Madoff verfangen haben. Und möglicherweise auch russische Kriegsverbrecher. Palantir-Chef Karp erklärte in kühl-technischem Militärjargon, die Software seines Unternehmens sei für den größten Teil des „Targetings“ in der Ukraine verantwortlich.

Dabei stellt sich aus völkerrechtlicher Perspektive eine wichtige Frage: Wenn Teile der Befehlskette, nämlich die datengestützte Zielverfolgung, an ein US-Unternehmen delegiert werden, werden dann die USA durch die Hintertür zur Kriegspartei? Es ist schon erstaunlich: Über die Lieferung von Panzern wird hitzig diskutiert, über die Lieferung von Software und Daten jedoch kaum. Dabei sind Daten im Krieg mindestens so wichtig wie Munition.

Das weiß auch Palantir-Chef Karp, der sich als Teil einer Guerilla-Truppe sieht, die nicht nur für den Westen, sondern auch für ihre Anteilseigner kämpft. Viele Anleger, die in das börsennotierte Unternehmen investierten, spekulierten auf eine steigende Nachfrage an Überwachungssoftware im „Global War on Terror“.

„Mehr Google als Lockheed“, so beschrieb das Tech-Magazin „Wired“ einmal die Unternehmenskultur von Palantir – mehr Suchmaschine als Rüstungskonzern. Die Webseite des Konzerns wirkt wie die eines Biolabors. In einem Imagefilm blicken Menschen in medizinischer Kleidung in Mikroskope und füllen Reagenzgläser ab, laufen Impfampullen und Einwegmasken vom Band; in einer fast schon rührenden Szene hält eine Pflegerin am Krankenbett die Hand einer Seniorin. Der Hintergrund: Palantir hat einen millionenschweren Deal mit dem britischen Gesundheitsdienst NHS geschlossen – die Bilder von fürsorgendem Pflegepersonal lassen sich besser vermarkten als die bewaffneter Soldaten. Doch vieles von dem, was die T-Shirt-tragenden Softwareentwickler in ihren hippen Start-up-Räumen zu Code verschrauben, landet am Ende bei der Polizei oder dem Militär.

Waffenfähige Daten

So konnte die US-Armee mit einer Mustererkennungssoftware von Palantir herausfinden, dass Terroristen im Irak Garagentüröffner als ferngesteuerte Detonatoren benutzen. Auch bei der Aufspürung des Verstecks von Osama bin Laden soll die dubiose Datenfirma eine Rolle gespielt haben. Wenn die Ukraine nun bei der militärischen Zielauswahl auf die Software von Palantir zurückgreift, ist das, zumindest instrumentell, eine Fortsetzung des Krieges gegen den Terror. Nur: Wo und von wem werden die Entscheidungen getroffen? Wie hoch ist die Trefferrate? Was, wenn die Künstliche Intelligenz sich irrt?

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil zu US-Drohneneinsätzen entschieden, dass die bloße Durchleitung von Datenströmen über eine Satelliten-Relaisstation an der Air Base Ramstein keine grundrechtlichen Schutzpflichten des deutschen Staates auslöst. Diese seien nur für „Handlungen oder technische Abläufe auf deutschem Staatsgebiet“ zu bejahen, „die einen relevanten Entscheidungscharakter aufweisen“. Das wäre zum Beispiel die Erstellung von Ziellisten oder Auswertung von Informationen.

Quelle         :         TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —       World Economic Forum 2022, Dev, panel discussion

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Die Diktatur des Verzichts

Erstellt von Redaktion am 9. März 2023

Die ideologische Mobilisierung der Massen zu Verzicht

Sitz in Hannover

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Iwan Nikolajew

Zur Kriegswirtschaft und Krieg, exemplarisch dargestellt an Ulrike Herrmann.

  1. Prolog

Mit dem Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes flüchtet die Bourgeoisie in Krieg, Wirtschaftskrieg und Kriegswirtschaft. Der naturwüchsig entstehende multipolare Weltmarkt, vor allem in seiner ersten Phase, ist tief geprägt von Krieg und Kriegswirtschaft und damit von schweren Angriffen auf das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse. Der zentrale Krieg des Kapitals ist immer der Klassenkrieg gegen die Arbeiterklasse, d.h. der Klassenkrieg, bzw. der Klassenkampf, ist die zentrale Achse des Kapitalismus. Und jeder Krieg ist ein Krieg gegen die Arbeiterklasse, jede Kriegswirtschaft ist ein Krieg gegen die Arbeiterklasse, jeder Wirtschaftskrieg ist ein Krieg gegen die Arbeiterklasse. Die bürgerlichen Ideologen mobilisieren für Krieg und Kriegswirtschaft, beides ist voneinander nicht zu trennen. Ulrike Herrmann steht exemplarisch für die bürgerliche Mobilisierung zu Krieg, Wirtschaftskrieg, Kriegswirtschaft.

  1. Diktatur des Verzichts

Mit dem neuen Krisenschub der Großen Krise steht der Verzicht der Arbeiterklasse wieder im Mittelpunkt der Klassenauseinandersetzung. Die Forderungen nach Opfer, die gebracht werden müssen, werden lauter und beziehen auch Menschenopfer, ob durch Unterversorgung oder auf dem Schlachtfeld, mit ein. Verzicht ist ein Opfer zugunsten höherer Ziele. Diese Opfer, dieser Verzicht, darf vom bürgerlichen Staat eingefordert, erzwungen, werden. Der bürgerliche Staat übt die Zwangsgewalt über die Arbeiterklasse aus. Wer nicht „freiwillig“ verzichtet, wird zum Verzicht gezwungen.

Das Kapital flüchtet in Krisenzeiten in die „Nation“. Die “Nation“ ist eine Zwangs- Opfergemeinschaft der Arbeiterklasse, wo die Arbeiterklasse auf dem Altar der Akkumulation ihr gesellschaftlich notwendiges Reproduktionsniveau opfern soll, während das Kapital nichts opfert als die Arbeiterklasse. In der „Nation“ wird die Arbeiterklasse zum Opfer konditioniert; Opfer für die „Nation“ sind notwendig und alternativlos. Die „Nation“ selektiert die Opfer. Widerstand gegen diese Politik ist ein „Angriff auf die nationale Sicherheit“. Der bürgerliche Staat als ideeller Gesamtkapitalist erklärt die „nationale Sicherheit“ zum zentralen Paradigma seiner Politik und unterscheidet so nur noch über „Freund“ und „Feind“, denn die „nationale Sicherheit“ kennt nur „Freund“ oder „Feind“, aber keine andere Kategorie wie „Opposition“ oder „Neutralität“. Der „Feind“ kann nicht geduldet, er muß vernichtet werden. Eine „neutrale“ Position zur „nationalen Sicherheit“ bzw. „Staatssicherheit“ kann es nicht geben. Entweder man dient zum Wohle der „nationalen Sicherheit“ oder aber man steht gegen die „nationale Sicherheit“. Ein Drittes gibt es nicht. Wer für die „nationale Sicherheit“ steht ist ein „Freund“ und darf am Leben bleiben; wer gegen die „nationale Sicherheit“ steht, ist ein „Feind“ und darf nicht am Leben bleiben. In letzter Instanz bedeutet unter einem Regime der „nationalen Sicherheit“ „Freund“ nichts Geringeres als Leben und „Feind“ ist ein synonym für Tod. Opfer ist Verzicht. –für die Arbeiterklasse: Verzicht auf Momente gesellschaftlich notwendiger Reproduktion und damit indirekt auch ein Verzicht auf Leben. Die Arbeiterklasse hat nichts Überflüssiges, auf das sie verzichten könnte. Im Durchschnitt ermöglicht ihr gesellschaftlich notwendiges Reproduktionsniveau nur die Existenz als Lohnarbeiter. Jeder Verzicht senkt das Reproduktionsniveau der Ware Arbeitskraft unter das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau und gefährdet die Reproduktion der Ware Arbeitskraft als Ware Arbeitskraft, gefährdet die soziale und physische Existenz der Arbeiterklasse, ist somit ein Angriff auf das Leben des Lohnarbeiters. Die „soziale Sicherheit“ der Arbeiterklasse steht im Widerspruch zur „nationalen Sicherheit“ des Kapitals, die immer nur „Sicherheit der Akkumulation von Kapital“ und damit nur „Sicherheit von Ausbeutung“ sein kann. Das Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse garantiert nur das gesellschaftliche Überleben als Arbeiterklasse. Dieses gesellschaftliche Überleben ist nicht mit dem physischen Überleben zu verwechseln, denn das gesellschaftliche Überleben ist gesellschaftlich-historisch und nicht physisch bestimmt. Das gesellschaftliche Überleben bzw. die Reproduktion der Arbeiterklasse ist eine historische Entwicklung und Produkt von Klassenkämpfen. Das physische Minimum reicht zum Überleben der Ware Arbeitskraft nicht aus

Die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft realisiert sich unter der politischen Form der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie, denn nur dort kann die Arbeiterklasse Eroberungen im Kapitalismus machen und verteidigen, nur dort kann sie über ihre proletarischen Massenorganisationen eine relative proletarische Gegenmacht entwickeln und im Durchschnitt sogar langsam ein wenig das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Ware Arbeitskraft erhöhen, damit die Abnutzung der Ware Arbeitskraft im Ausbeutungsprozeß tendenziell kompensiert wird. Hingegen verlangt eine „Politik der nationalen Sicherheit“ nach einer Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus), denn diese läßt keinen Raum für proletarische Eroberungen im Kapitalismus, zerstört offen oder verdeckt die reformistischen proletarischen Massenorganisationen. Eine Verzichtspolitik in Form einer Deflationspolitik kann nur realisiert werden, wenn eine Form des bürgerlichen Ausnahmestaates diese Politik absichert. Einen „demokratischen Verzicht“ gibt es nicht, nur ein autoritärer antidemokratischer Verzicht ist möglich und wird notfalls erzwungen, wenn sich die Arbeiterklasse nicht „freiwillig“ unterwirft.

Deshalb die verstärkten Notstandsdiskussionen seit 2019, tendenziell parallel mit dem neuen Krisenschub der Großen Krise seit Herbst 2019. Notstand heißt Verzicht. Mit der „Corona-Krise“ realisiert sich die erste Phase des Notstands. Die „Corona-Krise“ ist nur die erste Phase der notwendigen Entwertung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate als durchschnittliche Bewegungsform des Kapitals und fällt mit der Corona-Pandemie zusammen, welche nur ein zufälliger Auslöser der notwendigen Entwertung des Kapitals ist. Wäre es nicht die Corona-Pandemie, wäre es ein anderer Auslöser. Das Kapital reagiert mit dem Notstand, weil deutlich ist, daß hinter dem Schleier der Corona-Krise tiefergehende Krisenprozesse, Entwertungsprozesse, ablaufen, welche durch die Corona-Pandemie zufällig aktiviert wurden und versucht vermittels Notstand die Entwertungsprozesse unter Kontrolle zu halten. Die zweite Phase der Entwertungsprozesse wird durch den Ukraine-Krieg eingeleitet, der zu einem tendenziellen Energienotstand führt, da der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg, vor allem die EU, von ihrer Energieversorgung abschneidet. Die Entwertungsprozesse des Kapitals haben eine Größenordnung erreicht, daß sie eine Neuzusammensetzung des Kapitals- Neuzusammensetzung des Kapitals erzwingen und dies erfordert auch eine Neuzusammensetzung des bürgerlichen Staates in der Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus). Diese Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse realisiert sich auf internationaler Ebene, in Form einer neuen Weltmarktstruktur und einer neuen internationalen Ordnung, d.h. in einer Neuzusammensetzung der imperialistischen Kette. Hier geht es konkret um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette, denn nur ein Hegemon kann diese ordnen und konkret ausrichten, dieser imperialistischen Kette eine gewisse Stabilität geben und damit auch der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Nur ein Hegemon innerhalb der imperialistischen Kette kann die Akkumulation des Kapitals weltweit tendenziell stabilisieren und die bürgerliche Klassenherrschaft festigen. Eine stabile Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse verlangt nach einem Hegemon innerhalb der imperialistischen Kette, welcher dort als Schiedsrichter fungiert und die innerimperialistischen Konflikte regelt und vor allem entscheidet. Der bisherige US-Hegemon hat seine herausragende Position innerhalb der imperialistischen Kette durch die Große Krise seit 2007/2008 verloren. Das mehrwertheckende US-Kapital ist zu schwach, um den Überbau des fiktiven Kapitals zu tragen; der US-Imperialismus muß sich erst wieder Re-Industrialisieren. Die Schwäche der US-Mehrwertproduktion versuchte der US-Imperialismus schon präventiv vor dem Ausbruch der Großen Krise mit politischen Aktionen zu überspielen und zu kompensieren. Der US-Dollar war Weltgeld und damit hatte der US-Imperialismus das Privileg sich in seiner eigenen Währung zu verschulden. Die hohen Doppeldefizite konnte nur auf diese Weise der US-Imperialismus finanzieren und damit hängt der US-Imperialismus am US-Dollar. Jedoch konnte der US-Dollar nur solange Weltgeld bleiben, wie es gelingt, den US-Dollar bzw. das US-Kapital insgesamt, mit Wert zu unterfüttern. Eine Bedrohung des US-Dollar ist damit eine Bedrohung der „nationalen Sicherheit“ der USA. Der Ausgriff des US-Imperialismus auf die strategischen Rohstoffe, vor allem Öl und Gas, des Mittleren Ostens in der Operation Syriana zur „Neuordnung“ des Mittleren Ostens diente zur Unterfütterung des US-Dollar mit Wert. Legitimiert wurde diese Operation Syrien durch die vom US-Imperialismus inszenierten Terroranschläge des 11. September 2001. Diese US-Kolonialkriege richteten sich indirekt gegen die schärfsten Weltmarktkonkurrenten des US-Imperialismus, gegen den russischen Imperialismus und gegen China. China sollte von seiner Mineralölversorgung aus dem Mittleren Osten abgeschnitten werden und Rußland sollte sein Einflußfeld in Eurasien verlieren. Mit der Niederlage der US-Kolonialkriege im Mittleren Osten ist dann auch die indirekte imperialistische Konfrontation mit dem russischen Imperialismus zu Ende und transformiert sich tendenziell immer näher einer offenen imperialistischen Auseinandersetzung, wie jetzt in der Ukraine. Die Zeit der Kolonialkriege ist vorbei. Es beginnt die Zeit der imperialistischen Großkonflikte. Und auch der US-chinesische Konflikt wird immer unmittelbarer. Auch hier steht eine unmittelbare Auseinandersetzung kurz bevor. Mit dem Scheitern der US-Kolonialkriege im Mittleren Osten verliert der US-Imperialismus auch seine Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette. Die nun folgende notwendige Großauseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus und China ist schon eine Auseinandersetzung über die nachhegemoniale Rolle des US-Imperialismus innerhalb der imperialistischen Kette. Über die US-Kolonialkriege als indirekte US-Auseinandersetzung mit China und Rußland sollten China und Rußland weiterhin im US-garantierten neoliberalen Weltmarkt gefangen gehalten werden. Mit dem Scheitern dieser US-Politik brach der neoliberale Weltmarkt zusammen und transformierte sich naturwüchsig in den multipolaren Weltmarkt. Die Flucht nach vorn des US-Imperialismus in eine extrem expansionistische Politik als Kompensation für die sozioökonomische Schwäche führte notwendig in den Abgrund und an den Rand des Dritten Weltkrieges. Nur eine Revitalisierung der US-Mehrwertproduktion Anfang des 21. Jahrhunderts hätte die US-Hegemonie gesichert. Stattdessen expansionierte der US-Imperialismus in eine Sackgasse. Als erste Reaktion auf den Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes und der realen Existenz des multipolaren Weltmarktes griff das Kapital weltweit tendenziell auf die Kriegsökonomie zurück. Diese autoritären Tendenzen manifestieren sich seit dem Jahr 2020 in der „Corona-Krise.“ Die „Corona-Krise“ ist nur der oberflächliche Ausdruck für den letzten Krisenschub der Großen Krise, welcher im Jahr 2020 den neoliberalen Weltmarkt zusammenbrechen ließ. Seitdem ist der Weltmarkt durch tendenziellen Kriegsökonomien geprägt und damit auch durch Wirtschaftskriege. Über die Wirtschaftskriege wird zentral die multipolare Weltmarktkonkurrenz ausgetragen, sie sind keine Ausnahme, sondern die Norm. Der Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes produziert notwendig „Feinde“. Konkurrenten werden zu „Feinden“. Ein Notstandsstaat wird notwendig, um in der multipolaren Weltmarktkonkurrenz bestehen zu können, denn die Not der Akkumulation verlangt nach einem Notstandsstaat und somit nach einer Not der Arbeiterklasse, denn nur die Not der Arbeiterklasse kann die Not der Akkumulation verhindern. Der Notstand wird zur „neuen Normalität“ und reflektiert konkret-spezifisch die Herausbildung des multipolaren Weltmarktes und der multipolaren Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Die imperialistische Kette spaltet sich in imperialistische Blöcke auf. Multipolare Weltmarktkonkurrenz ist eine imperialistische Blockkonkurrenz. Es kommt zu einer internen Vereinheitlichung eines jeden imperialistischen Blocks bei gleichzeitiger Desintegration im Verhältnis zu anderen imperialistischen Blöcken, welche somit zu „Feinden“ werden. Zwischen den verschiedenen imperialistischen Blöcken gibt es nur noch eine geringe ökonomische Verflechtung und damit nur noch geringe gemeinsame Interessen. Dann steigert sich die Konkurrenz zur Feindschaft. Mit der Ukraine-Krise kappt der deutsche Imperialismus erst einmal alle seine ökonomischen Verbindungen mit dem russischen Imperialismus und läßt nur noch einen geringen ökonomischen Austausch zu. Der Wirtschaftskrieg zerstört die ökonomischen und politischen Bindungen zwischen Rußland und Deutschland und beschädigt sogar die kulturellen Beziehungen. Der Ukraine-Krieg setzt eine Feindschaft zwischen dem deutschen und russischen Imperialismus und damit potentiell den Krieg, konkret, den Dritten Weltkrieg. Mit der aufziehenden imperialistischen Kriegsgefahr zieht auch der Notstand auf, konkret in der Form des Energienotsandes, da der deutsch-transatlantische Wirtschaftskrieg die deutsche Energieversorgung stark beschädigt. Handel zwischen den imperialistischen Blöcken wird im Prinzip als „Gefahr für die nationale Sicherheit“ eingestuft.

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Pressekonferenz von „Totalverweigerern des Wehrdienstes“ aus Ost- und Westdeutschland mit Renate Künast (AL), Januar 1990

Ideologisch wird der Energienotstand auch versucht als Klimanotstand zu rechtfertigen, als die „Neue Normalität“. Damit wird dann ideologisch der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg und auch der Ukraine-Krieg gegen Rußland zum Klimakrieg bzw. Klimanotstandskrieg, zu einem „guten Wirtschaftskrieg“ bzw. „guten Krieg“. Rußland wird zum „äußeren Feind“ ideologisch aufgerüstet. Nicht nur wegen dem Ukraine-Krieg, welcher die transatlantische Hegemonie beseitigt, bzw. die „Werte des Westens“, sondern auch, weil Rußland fossile Energieträger im großen Maßstab exportiert. Diese beiden Momente fallen im antirussischen Feindbild zusammen, „Klimazerstörer“ und gleichzeitig „Aggressor“. Deshalb unterzeichnet Ulrike Herrmann auch Aufrufe, die „Waffen für die Ukraine“ fordern und gleichzeitig fordert sie den „Klimanotsand.“ Es ist das unheilige Band von „Corona-Notstand“, „Klimanotstand“, „Energienotstand“ und imperialistischen Ukraine-Krieg, welches die Arbeiterklasse fesseln und zum Verzicht zwingen soll und repräsentiert an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse den Krisenschub der Großen Krise. Es entsteht ein Notstandskapitalismus, der ideologisch nicht mehr als Kapitalismus bezeichnet werden darf, sondern als „Überlebenswirtschaft“ in die ideologische Sprachregelung der Bourgeoisie eingeführt wird. So wird der Notstandskapitalismus zur „Überlebenswirtschaft“, welche den Kapitalismus ersetzten soll. Welche die Gesetzmäßigkeiten sind, welche die „Überlebenswirtschaft“ zur eigenständigen Produktionsweise machen, bleibt offen. Da der „ökologische Fußabdruck“ des Kapitalismus zu groß ist, droht er automatisch zusammenzubrechen und kann nur durch eine „Überlebenswirtschaft“, durch eine Notstandsökonomie, ersetzt werden.

„Die nächste Epoche wird daher eine „Überlebenswirtschaft“ sein müssen, die den Kapitalismus überwindet“ (Ulrike Herrmann: Raus aus der Wachstumsfalle, in Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2022, S. 57 ff, im fortfolgend abgekürzt mit Ulrike Herrmann)

Real ist die „Überlebenswirtschaft“ nur eine kapitalistische Notstandsökonomie, eine „Rationierungsökonomie“ im Sinne einer kapitalistischen Kriegswirtschaft. Auch eine Notstandsökonomie bricht nicht mit dem Wertgesetz, daß Wertgesetz wird nur modifiziert, indem es bürokratisch überformt wird. Doch das Privateigentum an Produktionsmitteln, die unabhängig voneinander existierenden Privatarbeiten für einen anonymen Markt, wird nur modifiziert, nicht aber angetastet. Neben die Rationierung durch das Wertgesetz tritt die bürokratische Rationierung des bürgerlichen Staates als ideellen Gesamtkapitalisten. Über eine Rationierung durch den bürgerlichen Staat wird dann die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft drastisch abgesenkt, entwertet. Das Ziel soll sein, daß nur so viel produziert wird, wie recycelt werden kann.

„Auch mangelt es nicht an Visionen, wie eine ökologische Kreislaufwirtschaft aussehen könnte, in der nur noch so viel verbraucht wird, wie sich recyceln lässt, Stichworte sind unter anderem Tauschwirtschaft, Gemeinwohlökonomie, Konsumverzicht, Arbeitszeitverkürzung oder bedingungsloses Grundeinkommen“ (Ulrike Herrmann: a.a.O)

Politisch geht es um den Konsumverzicht der Arbeiterklasse und damit um die qualitative Absenkung des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse. Auffällig ist, daß hier sehr detailliert sich über den Sektor II der Volkswirtschaft, dem Sektor der privaten Konsumtion, ausgelassen wird, nicht aber über den Sektor I, dem Sektor, wo Produktionsmittel produziert werden und welcher das Akkumulationszentrum des Kapitalismus ist. Es geht also zentral um die Rationierung des Konsumwaren produzierenden Sektors, nicht aber um die Rationierung des Produktionsmittel produzierenden Sektors. Im Resultat: Es geht damit also um die Rationierung der Arbeiterklasse, nicht aber um die Rationierung des Kapitals. Natürlich kann man nicht dauerhaft die Akkumulation der beiden Sektoren voneinander entkoppeln, doch zeitweise und tendenziell ist dies über eine Kriegswirtschaft möglich und wird im Falle kapitalistischer Kriege auch so realisiert. Es geht also nicht um eine langfristige und systematische ökologisch-soziale Reformpolitik, sondern um einen Notstand gegen die Arbeiterklasse, wobei die ökologische Dimension nur die Funktion hat, den Notstand zu legitimieren.

„Um sich das „grüne Schrumpfen“ vorzustellen, hilft es, vom Ende her zu denken. Wenn Ökostrom knapp bleibt sind Flugreisen und private Autos nicht mehr möglich. Banken werden ebenfalls überflüssig, denn Kredite lassen sich nur zurückzahlen, wenn die Wirtschaft wächst. In einer klimaneutralen Wirtschaft würde niemand hungern- aber Millionen von Arbeitnehmern müssten sich umorientieren. Zum Beispiel würden sehr viel mehr Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und auch in den Wäldern benötigt, um die Folgen des Klimawandels zu lindern“ (Ulrike Herrmann: a.a. O.)

Bei Ulrike Herrmann zielt der Notstandskapitalismus auf eine Schockpolitik und verlangt damit eine Notstandsdiktatur. Ihre ideologische Position wird das Kapital nicht teilen, denn es ist äußerst wirr und konfus. Ein Zurück in den Feudalismus wird es nicht geben, keine De-Industrialisierung und keine Politik a la Pol Pot in Kambodscha, sondern unter dem Schild eines „ökologischen Notstandes“ wird ein klassisch kapitalistischer Notstand exekutiert. Es geht dem Kapital nur um die Propaganda einer Schockpolitik, zumindest als Drohung. Dies ist der reale Kern in den bizarren Ausführungen einer Ulrike Herrmann, die reale Drohung des Kapitals, welches Ulrike Herrmann benutzt, um die Notwendigkeit des „progressiven Verzichts“ in den Massen, vor allem im Kleinbürgertum, zu verankern. Eine Politik a la Ulrike Herrmann würde eine enorme Massenarbeitslosigkeit und Massenverelendung bedeuten und den Tod von Millionen Menschen. Eine feudale Landwirtschaft wird nicht achtzig Millionen Einwohner Deutschland ernähren können. Es ist ein Programm für einen Völkermord, denn unter der Bedingung, daß nur so viel produziert werden darf, wie recycelt werden kann, reicht die Produktion nicht für die ganze Bevölkerung aus. Damit wäre dann der ökologische Fußabdruck reduziert, in dem die Bevölkerung reduziert wird. Bevölkerungsreduktion= Reduktion des ökologischen Fußabdrucks. Nicht ganz so radikal, aber auch noch radikal genug, wird die herrschende Klasse in diese Richtung marschieren, indem sie mit einer Schockpolitik droht. Um das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse drastisch zu senken, reicht schon die Drohung mit einer Schockpolitik aus. Die Arbeiterbürokratie wird alles versuchen dies zu verhindern und dem Kapital Angebote unterbreiten, „freiwillig“ das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse abzusenken, um so gesellschaftliche Verwerfungen durch eine offene Klassenkonfrontation zu vermeiden und kleine Zugeständnisse auszuhandeln. Eine „Politik auf Grundlage eines „ökologischen Fußabdrucks“ ist der ideologische, verzerrte Ausdruck für eine reale Schockpolitik des Kapitals. Als Exempel dient die Zerstörung des bürokratisch entarteten Arbeiterstaates Sowjetunion, welcher über eine Schockpolitik zerstört wurde. Nur durch den Rückgriff auf die Subsistenzwirtschaft vermittels einer Datschenökonomie konnte unter großen Schwierigkeiten die nachsowjetischen Bevölkerungen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion überleben. Es gab eine hohe Sterblichkeit und ein tiefer Einbruch in die Bevölkerungsstruktur. Auch die medizinische Versorgung brach weitgehend zusammen, ebenfalls die gesamten Transferleistungen. Ohne weiteres ist die nachsowjetische Schockpolitik das objektive Muster für Ulrike Herrmann und ebenso für das deutsche Kapital.

Das Jahr 2022 ist auch in Deutschland ein Jahr der Schockpolitik. Noch nie seit dem Bestehen der BRD gab es einen derartigen hohen Reallohnverlust, einen inflationären Kaufkraftverlust, der noch höher bei den Beziehern sozialer Transfereinkommen ist, exemplarisch bei Hartz IV. Im Hartz IV-System droht nun der „Überlebenskampf“ noch härter zu werden, er wird immer mehr zum Kampf auf Leben und Tod. Das „Überleben“ in Hartz IV-Bezug wird immer unmöglicher gemacht, es droht der Tod. Das System der privaten Armenspeisungen („Tafel“-System) reicht nicht mehr aus, Hartz IV zu ergänzen. Armut, Energiearmut dehnen sich immer weiter aus. Auch ist die medizinische Versorgung nicht mehr gewährleistet, da viele Medikamente nicht mehr ohne weiteres erhältlich sind. Alles Tendenzen einer Schockpolitik. Und alle diese Tendenzen einer Schockpolitik werden von der Arbeiterbürokratie akzeptiert. Es wird kein Widerstand organisiert, im Gegenteil, wo es proletarischen Widerstand gegen eine Schockpolitik gibt, wird versucht, diesen zu zerstören. Die Gewerkschaftsbürokratie schloß bewußt Tarifverträge ab, die weit unter den inflationären Tendenzen liegen und konnte den Widerstand gegen eine solche reaktionäre Gewerkschaftspolitik verhindern. Statt das Kapital für die inflationären Tendenzen verantwortlich zu machen, macht die Gewerkschaftsbürokratie die „Politik“, also die Politik des bürgerlichen Staates, der ideeller Gesamtkapitalist ist, verantwortlich und verweigert sich einer Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat. Jedoch ist die Gewerkschaftspolitik nicht auf das Kapital beschränkt, sondern es gibt auch Tarifverhandlungen für die Lohnarbeiter des bürgerlichen Staates. Gewerkschaften haben immer ein „politisches Mandat“. Aber die Gewerkschaftsbürokratie weigert sich, dieses „politische Mandat“ wahrzunehmen, da sie die Schockpolitik des Kapitals unterstützt, denn sie fürchtet die gewaltsame Zerschlagung der Gewerkschaften und kapituliert. Die Schockpolitik kommt nicht erst, sie wird schon seit Anfang 2022 exekutiert und ist seitdem Gegenwart. Eine Gegenwart, die jedoch nicht thematisiert werden soll. Die Frage ist nur, ob das Kapital die Schockpolitik radikalisieren wird oder diese zurücknimmt. Bis jetzt ist es der Bourgeoisie gelungen, die Exekution der ersten Tendenzen der Schockpolitik zu de-thematisieren. Es gibt keine veröffentlichte Diskussion zum gegenwärtigen Stand der deutschen Entwicklung. Die Bourgeoisie gibt ihre Schockpolitik als „alternativlos“ aus. Nun ist Krieg, nun ist Wirtschaftskrieg, die „Werte“ wurden durch den „äußeren Feind“ Rußland angegriffen. „Wir“ müssen uns verteidigen und deshalb hat jeder jedes Opfer zu akzeptieren. Wer sich weigert zu opfern, wird zum Opfern gezwungen, indem er selbst zum Opfer wird. Wer diesen transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieg nicht als „alternativlos“ sieht, wird von der Bourgeoisie als „innerer Feind“ betrachtet und auch so behandelt. Nur der „innere Feind“ kennt „Alternativen“. Daran kann man den „Feind“ erkennen. Der „Freund“ hingegen erkennt die „Alternativlosigkeit“ an. Diese „Alternativlosigkeit“ zur Feindschaft gegen den „inneren und äußeren Feind“, die „Alternativlosigkeit“ zum Krieg, die „Alternativlosigkeit“ zum Wirtschaftskrieg, die „Alternativlosigkeit“ zu Verzicht und zum Opfer im Namen der „Nation“ und/oder der „Werte“. Die Bourgeoisie schwört die Arbeiterklasse auf eine „Politik der Opfer“ ein. Das Opfer soll „alternativlos“ sein.

Auch bei Ulrike Herrmann ist die Entwicklung zu Verzicht und zum Opfer „alternativlos.“

„Diese Sicht (das grüne „Schrumpfen“, I.N) auf die Zukunft mag radikal erscheinen, aber sie ist wahrsten Sinn des Wortes „alternativlos“. Wenn wir die emittierten Treibhausgase nicht auf netto null reduzieren, geraten wir in eine „Heißzeit“, die ganz von selbst dafür sorgt, dass die Wirtschaft schrumpft. In diesem Klimachaos käme es wahrscheinlich zu einem Kampf aller gegen alle, den unsere Demokratie nicht überleben würde“ (Ulrike Herrmann: a.a.O)

Aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen. Denn auch das „grüne Schrumpfen“ beseitigt die „Demokratie“, denn ein solches Programm führt zur Massenverelendung und Massentod und kann nur antidemokratisch-diktatorisch umgesetzt werden. Gerade bei dem „grünen Schrumpfen“ bricht der Kampf aller gegen alle aus und zerstört die „Demokratie“, kann nur in einer Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) unter Kontrolle gehalten werden. Wenn das „grüne Schrumpfen“ willkürlich als „alternativlos“ gesetzt wird, wird auch der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) notwendig alternativlos. Wer alternative Positionen zur Alternativlosigkeit bezieht, wird zum „Feind“ erklärt. Alternativlos ist nur der Befehl. Wer den Befehl mißachtet, ist ein „Feind“ und muß vernichtet werden. Der Notstandsstaat ist dann die „Regierung der nationalen Einheit“ bzw. die „Regierung der Solidarität“ gegen die Arbeiterklasse. Solidarität ist für das Kapital ein anderes Wort für Verzicht und Opfer der Arbeiterklasse und zeichnet den „Freund“ aus, bzw. „Solidarität“ ist für die Bourgeoisie Solidarität mit dem Kapital. Wer gegen das Kapital Front macht, ist dann „unsolidarisch“ und damit der „Feind“.

„Schrumpfen ohne Chaos zu erzeugen… Zum Glück bietet die Geschichte dafür ein Vorbild. Ausgerechnet die britische Kriegswirtschaft taugt als Anregung, wie sich eine klimaneutrale Welt geordnet anstreben ließe“ (Ulrike Herrmann: a.a.O.)

Offen propagiert Ulrike Herrmann die stumm ablaufenden Tendenzen zur Kriegsökonomie. Eine Kriegsökonomie ist eine Kriegserklärung an die Arbeiterklasse, ein Großangriff auf die notwendige gesellschaftliche Reproduktion der Arbeiterklasse, ein Großangriff auf die Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus. Konkret heißt Kriegsökonomie für die Arbeiterklasse Rationierung ihrer gesellschaftlich notwendigen Reproduktion. Die Rationen liegen unterhalb der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Ware Arbeitskraft. Damit sind die Waren nicht frei verkäuflich, Qualität und Quantität ist limitiert. Es werden nur geringe Quantitäten produziert. Rücksicht auf individuelle Fälle wird nicht genommen. Die Rationierung einer Kriegswirtschaft bezieht sich auf die gesamte gesellschaftliche Reproduktion, Nahrungsmittel, Wohnen, Mobilität, Kultur und Freizeit, Bildung, medizinische Versorgung etc. Rationierung heißt immer auch Selektion. Es wird nur eine Grundversorgung garantiert und die Grundversorgung garantiert nicht die individuelle Reproduktion der Ware Arbeitskraft. So bietet die Rationierung auch in der medizinischen Versorgung nur eine Grundversorgung, nicht mehr. Es gibt kein Recht mehr auf eine der Krankheit angemessene medizinische Behandlung, sondern nur noch den Anspruch auf eine medizinische Grundversorgung. Wer mit der medizinischen Grundversorgung nicht auskommt, hat Pech und muß sich seinem Schicksal fügen, wird in letzter Konsequenz dem Tod überantwortet. Auch das ist die Rationierung einer Kriegswirtschaft. Es wird das Leben überhaupt rationiert, bzw. „lebenswertes Leben“ vom „lebensunwerten Leben“ selektiert. Eine Ration ist ein qualitatives und quantitatives durchschnittliches Mindestniveau, ist somit eine Selektion aus einem großen bisher vorhandenen Kreis von Lebensmitteln zur gesellschaftlich notwendigen Reproduktion, selektiert zwischen zentralen und peripheren Lebensmitteln zur gesellschaftlich notwendigen Reproduktion. Eine Durchschnittsration für einen Durchschnittslohnarbeiter, je nach Branche, jedoch nur dann, wenn der Durchschnittslohnarbeiter je nach Branche eine bestimmte Durchschnittsproduktivität für das Kapital erzielt. In einem Krieg wird die Lohnarbeiterschaft an die Front oder Heimatfront mobilisiert; die Arbeitslosigkeit wird mit militärischen Mitteln gegen die Arbeiterklasse abgebaut. Wer dennoch arbeitslos ist, bzw. nirgendwo eingesetzt werden kann, ist als überflüssig selektiert und dem wird dann die Ration vorenthalten. Wer „überflüssig“ ist, ist ein „Feind“.

In einer Kriegswirtschaft werden die Arbeiter zu Arbeitssoldaten, das Arbeitsverhältnis wird real zum Arbeitsdienst, die Arbeiterklasse wird dienstverpflichtet. Lohnarbeit ist dann Dienst, Arbeitsdienst, Wehrdienst und real auch damit ein Teil der Wehrpflicht. Und nur derjenige Lohnarbeiter erhält die ihm zustehende Ration, wenn er als Arbeitssoldat fungiert, seine Pflicht als Arbeitssoldat erfüllt. Die Rationierung ist immer an die militärische oder paramilitärische Pflichterfüllung gebunden. Wer seine Pflicht nicht erfüllt, erhält keine Ration und wird auf diese Weise sanktioniert, in letzter Konsequenz bis in den Tod. Rationierung ist ein Moment der inneren Militarisierung.

Eine Kriegswirtschaft ist ein Moment des Ausnahmezustandes, des Notstandes, bzw. setzt den Notstand-Ausnahmezustand voraus und damit den Kriegszustand. Der normale zivile Zustand der Gesellschaft wird beseitigt und damit auch die Verfassung außer Kraft gesetzt. Die individuellen und kollektiven Grundrechte gelten nicht mehr. Eine Kriegswirtschaft ohne den Ausnahmezustand gibt es nicht. Wenn Ulrike Herrmann für eine Kriegswirtschaft eintritt, dann tritt sie auch für den Notstand, für den Ausnahmezustand, ein und damit für die Beseitigung aller individuellen und kollektiven Grundrechte, die von der Arbeiterklasse erkämpft worden sind, dann tritt sie für die innere Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft ein. Mit dem „Corona-Notstand“ begann sich dieses autoritäre Programm tendenziell in die Wirklichkeit zu übersetzten. Der Energienotstand führt dies fort. Ulrike Herrmann war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. In einer Kriegswirtschaft wird nicht nur unmittelbar das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse rationiert, sondern auch die Mehrwertproduktion und damit vermittelt dann ebenfalls das Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse.

Eine Kriegswirtschaft zerstört die relative Tarifautonomie der Gewerkschaften. Der bürgerliche Staat alleine entscheidet über die Höhe der Rationen und ihre Bedingungen und es gibt keine Verhandlungen zwischen Kapital und Gewerkschaften über die Lohnhöhe etc. Die Gewerkschaften sind für das Kapital kein Verhandlungspartner und auch nicht für den bürgerlichen Staat. In einer Kriegswirtschaft diktiert das Kapital vermittelt über den bürgerlichen Staat der Arbeiterklasse die Ausbeutungsbedingungen. Das Diktat ersetzt Tarifverhandlungen und Tarifverträge. Entweder die Gewerkschaften vertreten weiterhin die Interessen ihrer Mitglieder, d.h. die allgemeinen Interessen der Arbeiterklasse, dann werden sie für die Bourgeoisie und damit auch für den bürgerlichen Staat in Notstandsform zum Feind und werden vom bürgerlichen Staat offen terroristisch zerschlagen, oder aber die Gewerkschaften lassen sich in den bürgerlichen Staat als Arbeitsfront einbauen. Unabhängige Gewerkschaften gibt es in einer Kriegswirtschaft nicht. Die Gewerkschaftsbürokratie, welche die Gewerkschaften kontrolliert, wird sich in dieser Frage immer für die Unterwerfung unter die Bourgeoisie entscheiden und sich in den bürgerlichen Staat einbauen lassen. Es hängt von der Gewerkschaftsbasis ab, ob sie den Kurs der Gewerkschaftsbürokratie in Richtung Integration in den bürgerlichen Staat passiv mitträgt und wie sich die Gewerkschaft gegen den bürgerlichen Staat verteidigt. Somit hängt es vom Zustand der Zersetzung innerhalb der Gewerkschaft ab, welchen Weg die Gewerkschaft in einer Kriegswirtschaft einschlägt. Für die Arbeiterklasse ist die Kriegswirtschaft der Feind. Die Gewerkschaft, wie die Arbeiterklasse insgesamt, benötigt mindestens einen bürgerlichen Staat in parlamentarisch-demokratischer Form um sich gesellschaftlich notwendig reproduzieren zu können und verteidigt deshalb diese Form des bürgerlichen Staates gegen den bürgerlichen Ausnahmestaat.

Unter dem Deckmantel eines „Energienotstandes-Klimanotstandes“ versucht das Kapital eine Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) gegen die Arbeiterklasse zu aktivieren. Die Bourgeoisie schürt deshalb im Kleinbürgertum Ängste nach einer „Klimakatastrophe“. Der Begriff „Klimakatstrophe“ bereitet den Begriff „Klimanotstand“ vor. Mit dem „Klimanotstand“ gegen die „Klimakatastrophe“ ist die Parole der Bourgeoise. Hingegen die Arbeiterklasse: Mit „Klimademokratie“ bzw. „ökologischer Demokratie“ gegen die ökologische Krise. Dies wäre der „Weg von unten“ und dies wäre der rationale Weg politische Probleme und dazugehören auch ökologische Probleme, zu lösen. Doch genau dies versucht die Bourgeoisie präventiv zu verhindern. Ökologische Krisen dürfen nur, wie alle anderen Krisen auch, von „oben“ „gelöst“ werden, denn sonst wäre die bürgerliche Klassenherrschaft gefährdet. In dieses Muster fällt auch der „Corona-Notstand“, welcher den „Klimanotstand“ bzw. den Energienotstand und damit den Ukraine-Krieg politisch vorbereitet. Mit dem „Corona-Notstand“ begann die Kriegsökonomie, der „Lockdown“ der Volkswirtschaften führte auch zu einem massiven sinkenden Energieverbrauch und zu einer beispiellosen Verelendung der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums. Es gelang der Bourgeoisie den „Corona-Notstand“ gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen. Der „Corona-Notstand“ war das Exempel für den Krieg gegen den russischen Imperialismus, der ideologisch sich als „Krieg für das Klima“ tendenziell und konkret-spezifisch widerspiegelt, denn er ist ein Krieg gegen die „fossilen Energien“ und der Energienotstand dann der erste Schritt in eine „nicht-fossile“, angeblich ökologisch „saubere“ Energieproduktion. Der „Feind“ ist dann nicht der Kapitalismus, nicht der Imperialismus, sondern lediglich der „fossile Kapitalismus“, der „fossile Imperialismus“. Rußland würde in diesem Blickwinkel dann den „fossilen Kapitalismus“, den „fossilen Imperialismus“ repräsentieren, der das „Klima“ zerstört, also in moralischen Kategorien „böse“ ist, während der transatlantische Kapitalismus, der transatlantische Imperialismus, als „gut“ gewertet wird, da er ja angeblich auf alternative Energiegewinnung, die klimaschonend sein soll, setzt. Ideologisch kurzgefasst: Rußland zerstört das Klima und der transatlantische Imperialismus, besonders Deutschland, schützt das Klima. Dann erscheint der Ukraine-Krieg als „Klimakrieg“, statt als das was er ist, als imperialistischen Krieg zur Neuaufteilung der Welt. Dann geht der „Klimanotstand“ ohne weiteres in den „Kriegsnotstand“ über. Der „Corona-Notstand“ diente zur Akzeptanz des Notstands überhaupt, führte zur „Politik der nationalen Sicherheit“. Und „Klimafragen“ sind nun „Fragen der nationalen Sicherheit“ und der „Klima-Krieg“ in der Ukraine ist eine „Frage für die nationale Sicherheit“ auch für den deutschen Imperialismus.

Mit dem „Corona-Notstand“ zog auch eine ideologische Mobilisierung für die Interessen des deutschen Imperialismus ein. Die Meinungsfreiheit wurde drastisch eingeengt. Nun wurde die Staatsmeinung alternativlos. Wer die Staatsmeinung anzweifelte, zweifelte angeblich die „Wissenschaft“ an und wurde zum „Feind“. Die „Wissenschaft“ als Institution wurde von alternativen Positionen zur Staatsmeinung gesäubert und so konnte sich dann der bürgerliche Staat auf die vorab gesäuberte „Wissenschaft“ berufen. Es wurde nicht nur die Institution Wissenschaft als Moment der ideologischen Staatsapparate des bürgerlichen Staates von alternativen Positionen gesäubert, sondern die gesamte bürgerliche Gesellschaft. Im Ergebnis kam es zu einer deutlichen Entpolitisierung der bürgerlichen Gesellschaft. Wer Positionen bezog, welche im Gegensatz zur gerade herrschenden Staatsmeinung lagen, mußte mit Repression rechnen, mußte mit beruflichen Nachteilen rechnen. Das Ziel des „Corona-Notstandes“, die Entpolitisierung der Massen, wurde weitgehend erreicht und eröffnet dann den Weg in den Energienotstand, welcher verbunden ist mit einem Machtkampf mit dem russischen Imperialismus zur Aufteilung Eurasiens, was direkt in den Dritten Weltkrieg führen kann. Mit den gleichen Methoden des „Corona-Notstandes“ steuert die Exekutive die ideologische Mobilisierung in den Energienotstand und damit auf den „äußeren Feind“ Rußland, wie auf den „inneren Feind“ der angeblichen „Rußlandversteher“. Zum „inneren Feind“ des „Rußlandsverstehers“ zählt jeder, der sich dem Verzicht verweigert. Während sich der bürgerliche Staat seit der „Corona-Krise“ immer weiter politisiert, zwingt er dadurch der Arbeiterklasse und dem Kleinbürgertum die „Entpolitisierung“ auf. Der bürgerliche Staat in Notstandsform beansprucht ein Politikmonopol und enteignet die bürgerliche Gesellschaft in der politischen Diskussion- und Entscheidungsfindung. Ein „Feind“ ist der, welcher nicht die Staatsmeinung teilt. Die „richtige“ Meinung oder auch die Wahrheit, spricht angeblich durch den bürgerlichen Staat in Notstandsform bzw. allgemein durch die Instanzen und Institutionen der bürgerlichen Klassengesellschaft und damit auch durch das individuelle Kapitalkommando. Auf diesem Wege wird die „korrekte“ Meinung oder die Wahrheit zum Befehl. Wer sich der Staatsmeinung verschließt, schließt sich dann selbst aus der bürgerlichen Gesellschaft aus, erklärt sich selbst zum „inneren Feind“. Die „Alternativlosigkeit“ des Notstandsstaates, die „Alternativlosigkeit“ der Kriegswirtschaft wird notfalls immer repressiv hergestellt. Wer sich den Befehlen des Notstandsstaates widersetzt ist ein „Feind“ und wird auch als „Feind“ vernichtet. Politisierung der Massen ist dann ein Verbrechen, ein Meinungsverbrechen und wird repressiv bekämpft. Die Staatsmeinung ist die „nationale Sicherheit“. Eine Verweigerung der Staatsmeinung ist ein Angriff auf die „nationale Sicherheit“.

Eine Kriegswirtschaft erscheint immer in einer Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) und produziert automatisch einen „inneren Feind“, wie auch einen „äußeren Feind“, d.h. Kriegswirtschaft produziert Wirtschaftskrieg und Krieg, ist ein Moment des Wirtschaftskrieges bzw. des Krieges, setzt den Krieg und/oder Wirtschaftskrieg als Lösung politischer Probleme ein. Mit der Waffe Kriegswirtschaft wird die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Arbeiterklasse angegriffen. Bezüglich des zweiten imperialistischen Weltkrieg wird dies von Ulrike Herrmann ausdrücklich bestätigt.

„Der Konsum fiel damals um ein Drittel- und zwar in kürzester Zeit. Dieser enorme Rück- und Umbau macht die britische Kriegswirtschaft zu einem faszinierenden Modell für heute: Der deutsche Verbrauch muss nämlich ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden soll“. (Ulrike Herrmann: a.a. O)

Eine Schockpolitik im Namen der „nationalen Sicherheit“ und die Zerschlagung der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung, wenn diese sich widersetzen. Auf jeden Fall eine autoritäre Krisenlösung, statt einer demokratischen Krisenlösung. Für Ulrike Herrmann ist Krieg und Wirtschaftskrieg eine Lösung der Probleme, während die Arbeiterklasse Krieg und Wirtschaftskrieg ablehnt, denn die Probleme werden dann nicht kleiner, sondern größer. Nach dem Zusammenbruch der bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten Osteuropas 1989 fielen auch dort die Löhne um ungefähr den gleichen Wert und leiteten eine beispiellose Verelendung ein und führte zum vorzeitigen Tod. Die Lebenserwartung fiel drastisch. Nur über einen kurzen Zeitraum läßt sich so ein Einbruch aushalten, mittelfristig geht er an die Substanz. Statt einer Lebensstandardabsicherung gibt es nur eine Mindestsicherung und auch die nur, wenn Gehorsam geleistet wird. Es kommt zum „Teilen innerhalb der Klasse“, zum „Sozialismus in einer Klasse“. Die Kernbelegschaften verzichten zu Gunsten der Randbelegschaften. Dabei bleibt der Profit außen vor. Innerhalb der Arbeiterklasse wird der soziale Ausgleich zwischen den Kern- und Randbelegschaften finanziert, wobei die Lohnquote als Ganzes sinkt. Sinkende Lohnquote und Umverteilung von den Kernbelegschaften zu den Randbelegschaften gehen gleichzeitig vonstatten. Als Ganzes verschlechtert sich die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Arbeiterklasse drastisch und kann nur eine bestimmte Zeit konstant gehalten werden. Das Kapital sieht die Kriegswirtschaft natürlich als eine Wohltat an.

„Die staatlich verordnete Gleichmacherei erwies sich als ein Segen: Ausgerechnet im Krieg waren die unteren Schichten besser versorgt als je zuvor. In Friedenszeiten hatte in Drittel der Briten nicht genug Kalorien erhalten, weitere 20 Prozent waren zumindest teilweise unterernährt. Nun, mitten im Krieg, war die Bevölkerung gesund wie nie, wobei die „Fitness der Babys und Schulkinder besonders hervorstach“ (Ulrike Herrmann: a.a.O.)

Es waren vor allem die Kolonien des britischen Imperialismus, welche die Last des Krieges und der Kriegswirtschaft trugen. Und es war eine bewußte politische Entscheidung des britischen Imperialismus ca. vier Millionen Menschen in Indien verhungern zu lassen (Hungersnot von Bengalen), eine Hungersnot zu organisieren, weil man die Nahrungsmittel nach Britannien ausführte. Auf Kosten Indiens, auf Kosten von vier Millionen Inder, welche durch Hunger ermordet wurden, konnte die britische Kriegswirtschaft der britischen Arbeiterklasse Rationen zukommen lassen, welche die Heimatfront politisch stabilisierte. Die „Fitness“ der britischen Schulkinder und Babys während des zweiten imperialistischen Weltkrieges, die Ulrike Herrmann aufführt, kontrastiert mit dem Hungertod der indischen Schulkinder und Babys. Diese toten indischen Babys und Schulkinder sind der Preis für die „fitten“ britischen Schulkinder und Babys. Die britische Kriegswirtschaft organisierte einen Völkermord in Indien, um den deutschen Hitler-Imperialismus niederzuschlagen, den Angriff des deutschen Imperialismus nach einer Neuverteilung der Welt abzuwehren. Auch die britische Kriegswirtschaft ist ein Produkt eines britischen Rassismus und Sozialdarwinismus und keine „zivile Kriegswirtschaft“, keine „Kriegswirtschaft mit humanen Antlitz“, sondern eine normale Kriegswirtschaft mit all ihren mörderischen Konsequenzen für die Arbeiterklasse. Ulrike Herrmann teilt ohne weiteres die sozialdarwinistischen und rassistischen Positionen der britischen Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges und stellt sie als Modell für die heutigen Krisen dar. „Die Schrumpf-Wirtschaft“ einer Ulrike Herrmann impliziert einen Völkermord durch eine Hungerpolitik. Auch eine Kriegswirtschaft hebt das Wertgesetz nicht auf, sondern modifiziert es nur, indem das Wertgesetz sich verstärkt konkret-spezifisch im bürgerlichen Staatsapparat reproduziert. Diese kapitalistische Kriegswirtschaft ist keine Planwirtschaft, sondern bleibt eine kapitalistische Ökonomie, welche nur im Kriegsfall vom bürgerlichen Staat in Notstandsform überwölbt wird. Das Kapital fällt die zentralen Entscheidungen nach der Profitlogik und der bürgerliche Staat vermittelt abstrakt die gefällten Entscheidungen des atomisierten Kapitals. Ebenso die britische Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges. Gerade im Krieg durch die Kriegswirtschaft kann das Kapital Extraprofite realisieren, die in Friedenszeiten nicht möglich sind. Konsequent verkennt Ulrike Herrmann den Klassencharakter der britischen Kriegswirtschaft, wie den Klassencharakter des Kapitalismus überhaupt, wenn sie schreibt:

„Die britische Kriegswirtschaft könnte ein solches Modell liefern: Sie zeigt, wie eine private Planwirtschaft die zivile Produktion geordnet schrumpfen kann- und wie sich dann knappe Güter rationieren lassen, damit der soziale Frieden erhalten bleibt.“ (Ulrike Herrmann: a.a.O.)

Die britische Kriegswirtschaft hat den „sozialen“ Frieden nicht erhalten, sondern repressiv erzwungen und vor allem auf Kosten des Völkermordes in Indien. Für Indien bedeutete die britische Kriegswirtschaft keinen „sozialen Frieden“, sondern „sozialen Vernichtungskrieg“. Es ist imperialistischer Zynismus, dies zu „übersehen“. Ebenso zynisch ist es, vom „sozialen Frieden“ im zweiten imperialistischen Weltkrieg zu sprechen. Auch da ist der „soziale Friede“ nichts anderes als der Klassenkrieg der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse; die Ruhe an der Heimatfront ermöglich erst den imperialistischen Krieg. Und die Ruhe an der Heimatfront wird repressiv erzwungen. Wer sich gegen die britische Kriegswirtschaft auflehnte, wurde mit Repression überzogen, Gefängnis oder Todesstrafe waren auch da die letzten Mittel. Aber das paßt gut ins Bild für die Gegenwart. Ebenso die „geordnete Schrumpfung“ der zivilen Produktion damals wie heute. Auch heute wird wieder daran gedacht die zivile Produktion zu „schrumpfen“, aber nicht als Selbstzweck, um das „Klima“ zu retten, sondern um die Produktionskapazitäten für die Aufrüstung zu nutzen. Kanonen statt Butter. Aber das übersieht Ulrike Herrmann. Oder vielleicht doch nicht? Wenn sie Waffen für die Ukraine fordert, müssen diese auf Kosten der zivilen Produktion produziert werden. Dann machen ihre Ausführungen zu britischen Kriegswirtschaft Sinn. Ebenso auch das „geordnete Schrumpfen“ der britischen Kriegswirtschaft, welches in Indien die „Schrumpfung“ der Bevölkerung über eine Politik des geordneten Hungertodes einschloss. Auch wenn sich Ulrike Herrmann nicht bewußt ist, sie bewegt sich auf einer Grenzlinie zum Faschismus und zum imperialistischen Krieg, der schnell in einen Dritten Weltkrieg abgleiten kann. Die Kriegswirtschaft im allgemeinen und die britische Kriegswirtschaft im Besonderen ist keine Überwindung des Kapitalismus, sondern die extremste und aggressivste Form des Kapitalismus, die sich herausbilden kann. Es ist bizarr, mit dem Modell einer Kriegswirtschaft den „sozialen Frieden“ bewahren zu wollen, gar mit einer Kriegswirtschaft emanzipatorische Ziele anzustreben, die Ökologie und das Klima schützen zu wollen. Eine Kriegswirtschaft ist in ihrem Wesen nach eine Ökonomie der Zerstörung und Vernichtung, von Material, Menschen und Ökologie und kann nicht emanzipativ umgestaltet werden. Kriegswirtschaft bedeutet Krieg und kein Frieden. Nur eine zivile Friedenswirtschaft steht für den Frieden.

Mit dem Umweg über die „Klimafrage“ propagiert objektiv Ulrike Herrmann den Klassenkrieg der herrschenden Klasse gegen die Arbeiterklasse, den imperialistischen Krieg, und trägt zur ideologischen Mobilisierung in den Dritten Weltkrieg bei.

Die multipolare Weltmarktkonkurrenz, welche auch vermittels Wirtschaftskriegen und imperialistischen Kriegen ausgetragen wird, verlangt dann auch Autarkiepolitik und Aufrüstung und so dehnt sich der militärisch-industrielle Komplex weiter aus. Bisher wird der Aufrüstungspolitik ein ziviler Mantel umgehängt. Ulrike Herrmann ist ein Beispiel dafür. Aber mit der Zeit wird die Arbeiterklasse an die Kriegswirtschaft gewöhnt und dann zieht die Bourgeoisie ihren zivilen Mantel aus und die Uniform kommt zum Vorschein. Statt „Klimaschutz“ marschiert dann die „nationale Sicherheit“.

Das Diktat des Verzichts über Rationierung und Notstand kommt nicht aus dem Nichts. Es gibt eine Vorgeschichte und diese Vorgeschichte beginnt mit Hartz IV. Mit der Implantation von Hartz IV vollzog sich seit den Jahren 2003/2004 ein qualitativer Bruch in der deutschen Klassengeschichte seit dem Ende des zweiten imperialistischen Weltkrieges. Über Hartz IV wurden bestimmte Teile der industriellen Reservearmee rationiert, ihre gesellschaftliche Reproduktion wurde vom Rest der industriellen Reservearmee und erst Recht von der aktiven Arbeiterarmee abgespalten. Die Bewegung der Lohnhöhe der aktiven Arbeiterarmee bestimmt auch die Höhe der sozialen Transferleistungen und damit auch die Höhe der sozialen Transferleistungen der industriellen Reservearmee. Hier setzt der historische Bruch vermittels Hartz IV ein. Im Hartz IV-Sektor bestimmt nun nicht mehr die Bewegung der Lohnhöhe die Höhe der sozialen Transferleistung Arbeitslosengeld II, sondern Hartz IV als soziale Transferleistung wird von der Bewegung der Lohnhöhe entkoppelt und damit einer Rationierung unterzogen. Mit Hartz IV steigt langsam das deutsche Kapital in die Rationierung von sozialen Transferleistungen ein. Das Hartz IV-System ist das gesellschaftliche Laboratorium der deutschen Bourgeoisie für eine Politik der Rationierung, für eine Politik des Verzichts. Auf diese Weise gewinnt die deutsche Bourgeoisie einen ungefähren Überblick, wie die Arbeiterklasse auf eine aufgezwungene Verzichtspolitik reagiert. Erst die aus diesen Erfahrungen von Hartz IV gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen eine umfassende Rationierungspolitik und stellen auch damit die materielle Grundlage für eine Kriegswirtschaft dar. Ulrike Herrmann greift nicht so sehr auf die britische Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges zurück, sondern auf Hartz IV und fordert die Ausweitung von Hartz IV auf die gesamte Gesellschaft. Über Hartz IV wird der Konsum drastisch gesenkt und automatisch wird der Energieverbrauch radikal gesenkt. Stormsperren, Dunkelheit und Kälte sind schon immer im Hartz IV-System heimisch. Auf diese Weise ist der „ökologische Fußabdruck“ eines Hartz IV-Empfängers sehr klein, gefährlich klein, denn es findet keine gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft mehr statt, denn die durchschnittliche Lebenserwartung eines Hartz IV-Empfängers liegt unter der durchschnittlichen Lebenserwartung der Gesellschaft. Hartz IV ist die Reduktion des „ökologischen Fußabdrucks“ in Richtung Nirgendwo, in Richtung 0, durch die Absenkung der durchschnittlichen gesellschaftlichen Lebenserwartung in Richtung 0, bzw. in Richtung Nirgendwo. Über die Absenkung der durchschnittlichen gesellschaftlichen Lebenserwartung in Hartz IV-Bezug wird auch der „ökologische Fußabdruck“ abgesenkt. Dabei fällt der Tod mit dem Wert 0 zusammen, d.h. kein „ökologischer Fußabdruck“ findet statt und „Überleben“ hat den Wert 1 mit einem mindest „ökologischen Fußabdruck“. Die Frage nach dem „ökologischen Fußabdruck“ ist somit eine Frage über Leben und Tod. Der „ökologische Fußabdruck“ als Ausdruck der „Natur“ steht dann gegen „Gesellschaft“, denn „Gesellschaft“ steht für Zivilisation, Geschichte und Entfaltung des Individuums und seiner Bedürfnisse in der historischen Entwicklung der Gesellschaft. Wenn der „ökologische Fußabdruck“ bzw. die „Natur“ als zentral gesetzt wird, muß die „Gesellschaft“ verzichten, muß die „Gesellschaft“ reduziert werden, muß die Bevölkerung reduziert werden, denn eine entwickelte Gesellschaft, welche auch eine quantitative und qualitative entwickelte Bevölkerung voraussetzt hat immer einen hohen „gesellschaftlichen Fußabdruck“. Das „geordnete“ Schrumpfen, von dem Ulrike Herrmann positiv spricht, beginnt bei Hartz IV, aber endet nicht da. Es gibt noch viel Raum für eine Radikalisierung von Hartz IV, hat aber real nichts mit der britischen Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges zu tun, sondern mit dem Klassenkampf heute. Damit geht es zentral um die Absenkung der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Arbeiterklasse oder anders ausgedrückt, es geht um die Absenkung des „gesellschaftlichen Fußabdrucks“, denn der „ökologische Fußabdruck“ ist nur ein anderer Ausdruck für den „gesellschaftlichen Fußabdruck“.

Natur ist nicht außerhalb der Geschichte, sondern ein Moment der Geschichte, die Naturgeschichte wird überwölbt von der Menschheitsgeschichte. Somit trägt die Natur immer den gesellschaftlichen Stempel der jeweiligen Produktionsweise, hat einen jeweiligen Klassencharakter. Natur ist keine Negation von Geschichte bzw. Gesellschaft, sondern mit Geschichte und Gesellschaft vermittelt. Es gibt keine „natürliche“ Grenze des Kapitalismus, sondern der Kapitalismus ist selbst seine „natürliche“ Grenze. Der Kapitalismus wird nicht aus ökologischen Gründen zusammenbrechen, sondern nur durch den Klassenkampf. Nicht die „Natur“ begrenzt den Kapitalismus, sondern der Kapitalismus begrenzt nicht nur die Natur, sondern produziert sie auch konkret als Mittel der Akkumulation von Kapital. Im Kapitalismus gibt es keine „Natürlichkeit“, gibt es nur die Bewegung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und nur diese produzieren den Mangel in der Arbeiterklasse und nicht die „Grenzen der Natur“. Die „Grenzen der Natur“ bzw. der „ökologische Fußabdruck“ ist der mystifizierende Ausdruck der Selbstbewegung des Werts und verweist real auf die Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Akkumulation. Der Wert ist die Natur des Kapitalismus und damit der Klassenkampf, „Natur“ ist Wert und Wert ist „Natur“. Wenn das Kapital von den „Grenzen der Natur“, vom „ökologischen Fußabdruck“ spricht, spricht es von einer tiefen Krise des Kapitalismus und vom Klassenkampf. Nur in diesen ideologischen Formen kann das Kapital seine Krise aussprechen.

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Und Hartz IV ist ein Produkt des Klassenkampfes, den das Kapital für sich entschieden hat. Erst vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Krisenschubs der Großen Krise läßt sich die Bedeutung von Hartz IV ablesen. Hartz IV war immer ein Sonderrechtssystem im parlamentarisch-demokratischen bürgerlichen Staat. Das Hartz IV-System war immer ein tendenzielles Notstandssystem für bestimmte Segmente der industriellen Reservearmee, wo die parlamentarisch-demokratische Klassenjustiz durch ein Sonderrecht ersetzt wurde. Es gibt nur eine schwach ausgeprägte parlamentarisch-demokratisch juristische Kontrolle über das Hartz IV-System. Die Bedürftigkeitsprüfung ist das Tor zum Hartz IV-Reich. Bevor jemand Hartz IV beziehen kann, muß die „Bedürftigkeit“ nachgewiesen werden und dies bezieht sich dann auf die „Bedarfsgemeinschaft“. Ist das Vermögen und/oder Einkommen der Bedarfsgemeinschaft zu hoch für den Bezug von Hartz IV, wird diese soziale Transferleistung solange verweigert, bis das Vermögen aufgebraucht oder das restliche Einkommen der „Bedarsfsgemeinschaft“ den Hartz IV-Regelungen entspricht. Nicht das mittellose Individuum steht im Mittelpunkt des Hartz IV-Systems, sondern die „Bedarfsgemeinschaft“. Auf diesem Wege wird die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II niedrig gehalten. Erst einmal soll die Arbeiterklasse, konkret in der Bedarfsgemeinschaft, ihre Umverteilung untereinander organisieren (Sozialismus in einer Klasse), bevor der bürgerliche Staat soziale Transferleistungen zustimmt.

Über die Arbeitspflicht wurde auch gleichzeitig eine Beweislastumkehr eingeführt. Damit ist ein zentraler Pfeiler der parlamentarisch-demokratischen Klassenjustiz zerstört. Bisher mußte der bürgerliche Staat nachweisen, daß eine angebotene Arbeit zumutbar war. Nun muß der Hartz IV-Empfänger beweisen, daß die ihm angebotene Arbeit unzumutbar ist. Dies ist in der Klassenrealität jedoch nicht möglich. Nun muß der isolierte erwerblose Lohnarbeiter gegenüber dem bürgerlichen Staat nachweisen, daß die ihm vom Arbeitsamt angebotene Arbeit unzumutbar ist. Ein Scheitern ist unausweichlich. Wer eine angebotene Arbeit ablehnt, erhält Sanktionen, die das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau noch weiter absenken, als es ohnehin schon ist. Die Beweislastumkehr gilt nur im Harz IV-System, nicht jedoch im restlichen Rechtssystem. Noch. Über das Dogma der „nationalen Sicherheit“, der „Staatssicherheit,“ droht dieses Sonderrecht in alle Sektoren des bürgerlichen Staates Fuß zu fassen. Die Existenz eines Sonderrechtssystems innerhalb der parlamentarisch-demokratischen Klassenjustiz ist immer gefährlich für die Arbeiterklasse. Entweder dieses Sonderrechtssystem wird zurückgedrängt oder es dehnt sich aus, nicht sofort, aber in historischer Perspektive. So ist es mit dem Hartz IV-System. Der aktuelle Krisenschub der Großen Krise läßt das Kapital wieder auf das Hartz IV-System blicken und das Interesse des Kapitals an Hartz IV nimmt wieder zu, läßt das Hartz IV-System als Modell für eine neue Phase der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse zu. Während das Hartz IV-System der Notstand für bestimmte Sektoren der industriellen Reservearmee war, wird über den „Corona-Notstand“ und den Energienotstand das repressive Netzt über die gesamte bürgerliche Gesellschaft geworfen.

Das Hartz IV-System beinhaltet nicht nur den Arbeitszwang, d.h. den Zwang jede angebotene Arbeit ohne Qualifikationsschutz und Tarifschutz anzunehmen und Beweislastumkehr in der Frage der Zumutbarkeit der angebotenen Arbeit, sondern dieser Zwang wird vermittels der Sanktionsrepression auch realisiert. Wird eine angebotene Arbeit verweigert, wird die Regelleistung um einen bestimmten Prozentwert gekürzt, solange, bis das „Existenzminimum“ formal erreicht, bzw. real und teilweise auch formal unterschritten wird. Es gab viele Klagen gegen das System der Sanktionen, die Gerichtsinstanzen leiteten die Klagen an das Bundesverfassungsgericht weiter, dieses leitete die Klagen wieder zurück und dies gute fünfzehn Jahre lang, bis das Bundesverfassungsgericht sich herabließ, eine „Grundsatzentscheidung“ in Sachen Sanktionspraxis zu fällen. Aber diese „Grundsatzentscheidung“ ist keine, denn sie blieb offen. Auf der einen Seite wurde die Sanktionshöhe eingeschränkt, nur bis auf das „Existenzminimum“, auf der anderen Seite ist es erlaubt, daß „Existenzminimum“ auch zu unterschreiten. Das Bundesverfassungsgericht verweigerte also eine Grundsatzentscheidung, so daß das Hartz IV-System nicht angetastet wurde. Die Willkür bei der Sanktionspraxis blieb erhalten. Es wurde lediglich das Hartz IV-System modifiziert, aber nicht angetastet. So kann man bis heute weiterhin in die Obdachlosigkeit hinein sanktioniert werden, wenn man sich beharrlich weigert, die angebotene Arbeit anzunehmen. Vorher kann man der „gemeinnützigen Arbeit“ als „Arbeitserprobung“ zugeführt werden. Die Kommunen haben dafür einen eigenen Arbeitsdienst eingerichtet. Wer sich dann der „Arbeitserprobung“ im Arbeitsdienst verweigert, fällt ebenfalls den Sanktionen zum Opfer. Der kommunale Arbeitsdienst ist die „demokratische Zwangsarbeit“. Es besteht kein Arbeitsverhältnis, sondern nur ein Sozialrechtsverhältnis, d.h. es gibt nur eine „Aufwandsentschädigung“ statt Lohn und nur die wenigsten Arbeitsgesetze gelten. Außerdem darf kein Betriebsrat gewählt werden und die Gewerkschaft darf zwar organisieren, nicht aber zum Arbeitskampf aufrufen, darf dort ihre historische Funktion nicht erfüllen. Im kommunalen Arbeitsdienst ist die Entrechtung der Arbeiterklasse am höchsten ausgebildet. Das Ziel des Hartz IV-Systems ist es, durch die Repression die industrielle Reservearmee in den zweiten prekären Arbeitsmarkt (Verschränkung von Niedriglohn und Niedrigsozialleistungen) zu transformieren, in die aktive Arbeiterarmee einzureihen. Damit wird der Druck innerhalb der Kernbelegschaften der aktiven Arbeiterarmee drastisch erhöht, die Absenkung der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeiterklasse im ersten Arbeitsmarkt zu akzeptieren. Es wird so zu weiten Teilen die relative Tarifautonomie der Gewerkschaften ausgehebelt und die Reallöhne beginnen zu sinken. Erst mit der Zerstörung von Hartz IV erhalten die Gewerkschaften ihre relative Tarifautonomie wieder und damit ihre Handlungsfreiheit, welche in Erhöhung der Reallöhne umgesetzt werden würde. Hartz IV fesselt die Gewerkschaften und dies schlägt sich in einem sinkenden Reallohn wieder. Eine erfolgreiche Tarifpolitik baut auf den Trümmern des Hartz IV-Systems auf; eine erfolgreiche Tarifpolitik muß auf die Zerstörung des Hartz IV-Systems setzten.

Doch die Repression des Hartz IV-Systems bezieht sich nicht nur auf die Arbeit, sondern bezieht alle Reproduktionssphären der Hartz IV-Bezieher mit ein. Es findet eine engmaschige Kontrolle der Wohnungen der „Bedarfsgemeinschaft“ über Hausdurchsuchungen und Razzien statt, um sicherzustellen, daß nur minimale Transferleistungen gewährt werden. Dazu wurden eigenständige Ermittlungsdienste gegründet, welche auch auf Denunziation hin tätig werden. Jede „Bedarfsgemeinschaft“ ist gezwungen, den Hilfebezug so schnell wie möglich zu beenden. Es ergibt sich daraus eine „soziale Sippenhaft“. Alle Mitglieder der „Bedarfsgemeinschaft“ müssen Arbeit aufnehmen, nicht nur der Antragsteller auf Arbeitslosengeld II. Dies erhöht noch einmal mehr den Druck auf die aktive Arbeiterarmee, da das Arbeitsangebot weiter erhöht wird und dadurch der Lohn der aktiven Arbeiterarmee weiter herabsinkt. Da die gesellschaftlich notwendige Reproduktion über Hartz IV nicht ausreicht, müssen die Hartz IV-Bezieher auch auf die freiwillige Unterstützung der „Tafeln“ ausweichen, um ihr „Überleben“ sicherzustellen. Ebenso findet ein „Profiling“ statt, bzw. ein Verhör um die Person psychologisch auszuleuchten und nach dem Persönlichkeitsprofil zu selektieren.

Hartz IV ist die „friedensähnliche“ Kriegswirtschaft in Friedenszeiten für Segmente der industriellen Reservearmee. Es wundert dann auch nicht, wenn das Kapital in einem tiefen Krisenschub auf diese Waffe Hartz IV zurückgreift, um diese Waffe zu verallgemeinern und über die gesamte bürgerliche Gesellschaft ausdehnen will. Der Rückgriff von Ulrike Herrmann auf die britische Kriegswirtschaft im zweiten imperialistischen Weltkrieg ist überflüssig, ist nur ein rhetorischer Rückgriff, real greift Ulrike Herrmann auf die Rationierung des Hartz IV-Systems zu. Die zentrale Losung von Ulrike Herrmann lautet real: Hartz IV für alle als Lösung der „Klimakrise“. Dies ist dann auch ein Gebot der „nationalen Sicherheit“. Widerstand gegen Hartz IV ist dann Widerstand gegen die „nationale Sicherheit“, Anschlag auf die „nationale Sicherheit“, denn die „Klimakrise“ wird nicht nur von Ulrike Herrmann in den Rang einer „Gefahr für die nationale Sicherheit“ erhoben und Rationierung ist dann eine notwendige Maßnahme, um die „Gefahr für die nationale Sicherheit“ abzuwenden. Auf diese Weise wird auch das Hartz IV-System objektiv als „klimaschonend“ geadelt. Das Klima über Hartz IV wird „geschont“ auf Kosten der untersten Schichten der Arbeiterklasse. Die untersten Schichten der Arbeiterklasse werden nicht geschont im Gegenteil, sie werden geopfert. Das Kapital wird nicht vom Hartz IV-System lassen. Die formale Auflösung von Hartz IV in das „Bürgergeld“ ist nur eine Modifikation von Hartz IV. Das Hartz IV-System wird auf den multipolaren Weltmarkt ausgerichtet, dadurch, daß die Höhe des Schonvermögens steigt, denn der gegenwärtige Krisenschub mit dem antirussischen Wirtschaftskrieg wird auch zu Massenentlassungen der Kernbelegschaften führen. Um Widerstand präventiv zu verhindern, wird das Hartz IV-System tendenziell mehr auf die Kernbelegschaften ausgerichtet, soll den sozialen Absturz ins soziale Nichts zumindest zeitweise abfedern. Mit Zuckerbrot und Peitsche verallgemeinert sich die Rationierung der Arbeiterklasse.

Hartz IV konnte nur mit Hilfe der Gewerkschaftsbürokratie durchgesetzt werden. Die damalige rotgrüne Regierung unter Bundeskanzler Schröder stellte den Gewerkschaften ein Ultimatum: Entweder akzeptieren die Gewerkschaften Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen und dies bedeutet die weitgehende Zerstörung des Flächentarifvertrages, oder der bürgerliche Staat setzt gesetzliche Öffnungsklauseln durch. Die Frage der Öffnungsklauseln existiert nicht in einem Vakuum, sondern ist gleichzeitig mit der Implantation von Hartz IV vermittelt. Eine Kapitulation in der Frage der Öffnungsklauseln bezieht sich nicht nur auf die Öffnungsklauseln, sondern ebenfalls auf das zentrale Moment Hartz IV. Wenn schon in der Frage der Öffnungsklauseln der bürgerliche Staat einen Generalangriff auf die Gewerkschaften startet, dann erst Recht dann, wenn die Gewerkschaften sich weigern, Hartz IV zu akzeptieren. Hinter der Frage der Öffnungsklauseln verbirgt sich die Frage nach Hartz IV. Ohne Frage ist das Ultimatum des bürgerlichen Staates an die Gewerkschaften ein Angriff auf das verfassungsmäßige Recht der Koalitionsfreiheit, auf die relative Tarifautonomie der Gewerkschaften und kann nur mit Massenaktionen der Mitgliedschaft und der Arbeiterklasse beantwortet werden, bis hin zum Generalstreik. Doch die Gewerkschaftsbürokratie kapitulierte in beiden Fragen und arbeitete zusammen mit dem Kapital (hier besonders die Bertelsmann-Stiftung) und dem bürgerlichen Staat das Hartz IV-System aus und damit wurden tendenziell die Gewerkschaften zu einer Arbeitsfront. Es gab viele und auch große Massendemonstrationen gegen Hartz IV, doch es gelang nicht, eine autonome Massenmobilisierung auch gegen die repressive Politik der Gewerkschaftsbürokratie zu organisieren. Letztlich konnte die Gewerkschaftsbürokratie die Kontrolle über die Anti-Hartz IV-Proteste behaupten und diese dann ins Leere laufen lassen. Es gab keine Gegenkraft, welche die Massenproteste gegen Hartz IV organisieren konnte. Die Gewerkschaftsopposition innerhalb der Gewerkschaften war zu schwach, um die Gewerkschaftsbasis zu mobilisieren. Nur aus diesen Gründen war die Unterwerfung der Gewerkschaftsbürokratie unter das Diktat des Kapitals erfolgreich. Die repressive Integration der Gewerkschaften in festere Bahnen innerhalb des korporatistischen Blocks aus Kapital, bürgerlicher Staat und Gewerkschaftsbürokratie hatte Erfolg; die Gewerkschaften wurden deutlich diszipliniert, was sich dann auch zukünftig auswirkte. Ohne auch nur formalen Widerspruch trug die Gewerkschaftsbürokratie nach Hartz IV alle Projekte des deutschen Imperialismus mit und so ist es auch nicht verwunderlich, daß die DGB-Bürokratie auch aktiv den „Corona-Notstand“ mittrug. Hartz IV war nur der Anfang.

Die großflächige und tiefe Rationierung in Deutschland wurde erstmals nach dem Ende des zweiten imperialistischen Weltkrieges ab dem 13. und 17.März 2020 eingeleitet. Objektiv bezieht sich Ulrike Herrmann auf den „Corona-Notstand“, auch wenn sie sich subjektiv auf die britische Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges bezieht. Der „Corona-Notstand“ griff tief in den proletarischen Klassenalltag ein; die individuellen und kollektiven Grundrechte wurden auf unbestimmte Zeit aufgehoben oder eingeschränkt und gleichzeitig eine Deflationspolitik betrieben. Die Kurzarbeit bedrohte die gesellschaftliche Reproduktion der Arbeiterklasse. Der „Corona-Notstand“ führte zu einem Schub proletarischer Massenverarmung. Noch negativer vom „Corona-Notstand“ war das traditionelle Kleinbürgertum betroffen. Hier gab es kaum eine finanzielle Kompensation durch den bürgerlichen Staat, so daß die Verelendung voll durchschlug. Vor allem dem traditionellen Kleinbürgertum im Dienstleistungssektor wurde durch die Notstandsregelungen die soziale Existenz entzogen. Der soziale Zusammenbruch des traditionellen Kleinbürgertums war die materielle Basis für die Anti-Corona-Proteste. Das Kleinbürgertum begann wild um sich zu schlagen, forderte seine sozialen Rechte zurück, forderte seinen Neoliberalismus zurück. Aber nicht mehr. Es gab keine egalitäre Forderung, keine antikapitalistische Forderung. Das traditionelle Kleinbürgertum wollte seine alte Position zurück, alles andere war ihm egal. Über den „Corona-Notstand“ gelang es dem Kapital zwischen Arbeiterklasse und Kleinbürgertum vertieft zu spalten, diese gegeneinander auszuspielen. Nur mit egalitären und antikapitalistischen Forderungen wären die Anti-Corona-Proteste erfolgreich gewesen, hätten die Arbeiterklasse aktivieren können. Jedoch mit elitären Forderungen nach alten sozialen Positionen im neoliberalen Kapitalismus wird ein Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Kleinbürgertum verhindert. Die Last des „Corona-Notstandes“ trug zu großem Teilen das „traditionelle Kleinbürgertum“.

Über den „Corona-Notstand“ wurde die Arbeiterklasse auf den Krieg, auf die Kriegswirtschaft, vorbereitet. Die individuellen und kollektiven Rechte der Verfassung wurden von der Arbeiterklasse erkämpft und nicht vom der Bourgeoisie gewährt. Diese individuellen und kollektiven Rechte im Kapitalismus sind die proletarischen Eroberungen im Kapitalismus und müssen vom Proletariat verteidigt werden, wenn es seine gesellschaftlich notwendige Reproduktion verteidigen will. Es ist die Aufgabe der proletarischen Massenorganisationen, allen voran der Gewerkschaften, diese proletarischen Eroberungen im Kapitalismus zu verteidigen. Doch auch hier kapitulierte die DGB-Gewerkschaftsbürokratie und unterstützte die Bourgeoisie bei ihrem „Corona-Notstand“ gegen die Arbeiterklasse und fiel der Arbeiterklasse abermals nach Hartz IV bei einer zentralen Frage in den Rücken.

Unter dem „Corona-Notstand“ wurde die Rationierung einer „friedensähnlichen“ Kriegswirtschaft verwirklicht. Ganze Branchen wurden zwangsweise heruntergefahren, die Lohnarbeiter in Kurzarbeit abkommandiert. Der Einzelhandel wurde ganz geschlossen bzw. konnte nur minimal geöffnet werden, in dem vor allem die Kundenfrequenz rationiert wurde, wie auch das Sortiment in Quantität und Qualität. Auch die Armutsversorgung der „Tafeln“ wie die Schulspeisungen wurden eingestellt. Schulen, Universitäten und Bibliotheken wurden geschlossen und es gab nur noch „Digital- Unterricht. Damit brach der Ausbildungsbetrieb zusammen und die Leistungsdefizite an den Schulen werden noch Jahre zu spüren sein, treiben ganze Jahrgänge in eine prekäre Zukunft. Auch dies ist eine Rationierung. Kultureinrichtungen wurden einfach geschlossen. Auf den Straßen durfte man nur alleine oder zu zweit, oder im engen Familienkreis aufhalten. Mehr als drei Personen führte zu einem Polizeieinsatz. Damit war es auch gleichzeitig möglich, jede Demonstration zu verbieten, wie auch Streikposten, sollte ein Streik möglich werden. Auch das Verhalten in den Häusern und Wohnungen wurde rationiert. Es durfte nur eine bestimmte Personenanzahl, meist die Kernfamilie, sich in den Wohnungen aufhalten. Besuche, auch in der weiteren Familie, wurden verboten. Denunziationsstellen zur Überwachung dieser Notstandsmaßnahmen wurden in den Staatsapparaten eingerichtet. Ganz allgemein gab es eine Ausgangssperre, wo niemand mehr ohne Ausnahmegenehmigung auf der Straße sein durfte. Es wurden auch Verordnungen erlassen, daß niemand ohne Genehmigung seine Heimatgemeinde verlassen darf, bzw. diese nur zur Arbeit verlassen darf, aber nicht zu privaten Zwecken. Als Illustration des „Corona-Notstands“ ist es genug. Es ist evident, daß dies eine „friedensähnliche“ Kriegswirtschaft darstellt und damit das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse drastisch abgesenkt wurde. Die Kriegswirtschaft ist also keine Drohung für die Zukunft, sondern sie hat sich bereits im „Corona-Notstand“ 2020 bis 2022 realisiert und dies mit Unterstützung der DGB-Bürokratie, welche den „Corona-Notstand“ gegen die Arbeiterklasse verteidigt hat. Die weitere Verelendung der Arbeiterklasse wurde von der DGB-Bürokratie vollumfänglich akzeptiert, statt das Niveau der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeiterklasse zu verteidigen.

Über den „Corona-Notstand“ wurde die Arbeiterklasse auf den gegenwärtigen imperialistischen Konflikt mit Rußland vorbereitet. Die „friedensähnliche“ ideologische Mobilisierung auf den „Feind“ wurde mit dem „Krieg gegen Corona“ eingeleitet. Das SARS-Corona-Virus wurde zum Feind erklärt und gleichzeitig jegliche Kritik an dem „Corona-Notstand“ galt von da an als „Feindhandlung“. Es wurde ein „Freund-Feind“-Denken in die bürgerliche Gesellschaft implantiert und über den „Corona-Notstand“ fanden erste Schritte der inneren Militarisierung statt. Befehl und Gehorsam, statt Diskussion und Meinungsfreiheit. Eine Kultur der Zensur setzt sich seit dem „Corona-Notstand“ durch; es wird die Anzahl der „Tabu-Themen“ ausgeweitet, neben der Israel-Palästina-Problematik sind es jetzt auch noch der „Corona-Komplex“ und der Ukraine-Krieg und damit auch der deutsche transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland. Wenn man bei diesen Themen, die sehr weitgefaßt werden, nicht die Staatsmeinung vertritt, kann Repression drohen. Hier wird keine Abweichung von der Staatsmeinung geduldet. Wer von der Staatsmeinung abweicht, begeht ein Verbrechen, ist ein „Extremist“ und damit ein potentieller Terrorist. Eine Diskussion ist nicht erwünscht. Nicht über diese Themen. Über andere Themen darf diskutiert werden, doch nicht über die „Tabu-Themen“, denn dies wäre eine Gefahr für die „nationale Sicherheit“.

Nicht umsonst wird wieder eine Politik der Berufsverbote aktiviert. Unter dem Vorwand die „rechte Gefahr“ im bürgerlichen Staatsapparate zu bekämpfen, werden die Berufsverbote wieder aktiviert und letztlich gegen die Arbeiterklasse eingesetzt. Mit der Neuauflage der Berufsverbote sollen „Extremisten“ bekämpft werden. Was ein „Extremist“ ist, ist unbestimmt und so kann jeder als „Extremist“ erfaßt werden, wer von der Staatsmeinung abweicht und damit eine potentielle „Gefahr für die nationale Sicherheit“ darstellt. Es wird ausdrücklich darauf abgestellt, daß auch Verhalten unterhalb eines Straftatbestandes erfaßt wird. Hier geht es damit explizit um die Disziplinierung der staatlichen Lohnarbeiter im bürgerlichen Staatsapparat. Wer nicht aus dem bürgerlichen Staatsapparat gesäubert werden will, gehorcht den Befehlen und unterwirft sich. Die Zensur der Meinungsbildung zielt vor allem auf die Selbstzensur, auf die Schere im Kopf. Zensur ist nicht nur Zensur der Meinung, sondern auch immer Zensur des konkreten Verhaltens. Jedoch sind die Berufsverbote nicht auf den bürgerlichen Staatsapparat beschränkt, sondern greifen auch organisch auf die Akkumulationssphäre über. Der bürgerliche Staat ist lediglich der Eisbrecher in der Frage der Berufsverbote. Vor allem im Sektor der „kritischen Infrastruktur“ sind diese Berufsverbote leicht durchzusetzen, denn dort wird konkret die „nationale Sicherheit“ exekutiert und erst Recht im militärisch-industriellen Komplex. Wenn die Bedeutung der „nationalen Sicherheit“ weiter zunimmt und damit der Notstandsstaat sich verwirklicht, werden die Berufsverbote auch in dem Sektor des Kapitals aktiviert, welches nicht zum militärisch-industriellen Komplex oder der „kritischen Infrastruktur“ gehört, denn dann wird auch dort die demokratisch-parlamentarische bürgerliche Klassenjustiz durch das Sonderrecht ersetzt. Wenn die Loyalität, die Treue zum „Staat,“ die erste Bedingung eines Arbeitsverhältnisses und des Zugangs zu sozialen Transferleistungen wird, eine positive Gesinnung zu Staat und Gesellschaft verlangt wird, kann jeder vermeintliche Bruch der Loyalität“ als Verrat, als Verbrechen, Gesinnungsverbrechen geahndet werden. In einer Kriegswirtschaft gibt es nur Befehl und Gehorsam, wird der „äußere Feind“ und „innere Feind“ bekämpft, die Kriegswirtschaft selbst ist nur Mittel zum Zweck und damit eine Waffe, eine Waffe gegen die Arbeiterklasse, sie ist damit nicht die Lösung des Problems, sondern ein Teil des Problems. Seit dem „Corona-Notstand“ wird die Arbeiterklasse vermehrt auf Befehl und Gehorsam ausgerichtet. Der Befehl „Maske auf“ bezieht sich nur oberflächlich auf Abwehrmaßnahmen gegen die SARS-Corona-Pandemie, real jedoch geht es um „Gasmaske“ auf. Die Aufforderung die „richtige Haltung“ einzunehmen bereitet den Befehl: „Achtung“ (Stramm stehen) vor, aber auch „Rührt Euch“ (eine gelöste Haltung einnehmen). Auf diesem eindeutig zweideutigen Weg breitet sich niedrigschwellig die innere Militarisierung aus. Die bürgerliche Propaganda arbeitet spielerisch. Sie versucht das antimilitaristische Massenbewußtsein mit Ironie zu überwinden, indem an militaristische Erzählungen des zweiten Weltkrieges ironisch angeknüpft wird und mit der SARS-Corona-Pandemie ins Verhältnis gesetzt werden. Über diese Karikatur der „alten“ militaristischen Erzählungen im Verhältnis zur SARS-Corona-Pandemie werden neue Durchhalteparolen in oberflächlicher unernster Form kreiert, jedoch verdeckt unter dieser Hülle der Komik entfalten sie ihre Kraft uns greifen so ins Unbewußte oder Halbbewußte ein. Der „Corona-Notstand“ war die langsame Gewöhnung an den Notstand überhaupt, d.h. an die „Neue Normalität“ des Kapitalismus. Mit dem Ukraine-Krieg verschwindet der Unernst des „Corona-Notstandes“ und im Ernstfall des Energienotstandes und der Rezession, verbunden mit den Kriegsgefahren des Dritten Weltkrieges, wird der Notstand fordernder und auch die Propaganda. Nun wird offen der „Krieg gegen das Böse“ eingefordert, auch Verluste und Verzicht. Wer sich dem widersetzt wird mehr oder minder offen zum „Feind“ erklärt, auch wer eine Entspannungspolitik mit Rußland befürwortet, wird „zum inneren Feind“ und steht mit dem „äußeren Feind“ Rußland im Bunde. Die Atomisierung der Arbeiterklasse und des gesellschaftlichen Widerstands im „Corona-Notstand“ führt zu dem gegenwärtigen niedrigen Niveau des Widerstands gegen imperialistische Kriegsgefahr und Schockpolitik, denn durch den „Corona-Notstand“ wurden die widerständigen gesellschaftlichen Strukturen zerschlagen und verstaatlicht, d.h. die vielfältigen widerständigen politischen Strukturen, die bis 2019 bestanden, haben sich weitgehend im „Corona-Notstand“ aufgelöst. Weitgehend verstaatlicht und militarisiert wurde die „Zivilgesellschaft“ und gegen jeden proletarischen Widerstand ausgerichtet. Die zentralen NGO´s („Nichtregierungsorganisationen) sind unter staatlicher politischer und finanzieller Kontrolle, sowie unter finanzieller und politischer Kontrolle des Monopolkapitals. Widerständige „NGO`s“ werden mit Repression überzogen. Es gab also im Rahmen des „Corona-Notstandes“ eine Gleichschaltung bzw. Selbstgleichschaltung des sogenannten „NGO-Sektors“, welcher nicht mit dem „Corona-Notstand“ endet, sondern im Energienotstand fortgesetzt wird. Es ist die Aufgabe der sogenannten „NGO´s“ den Notstandsstaat über den Ruf nach einem „Klimanotstand“ zu legitimieren.

Der Energienotstand ist die Fortsetzung des „Corona-Notstands“ auf höherer Stufenleiter mit dem Ziel einer Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse (Oberflächenausdruck dieser Tendenz im Fraktionskampf des Kapitals zwischen „ fossilem“ und „nicht fossilen“ Kapital) in Form der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft und findet erst in einer hochentwickelten Kriegswirtschaft zu sich selbst. Im Notstand und damit in der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft werden die atomisierten Massen durch den Notstandsstaat von oben zusammengefaßt und konzentriert. Jede proletarische Selbstorganisierung ist vom Standpunkt der Bourgeoisie dann Feindhandeln, ebenso wie jede passive Verweigerung der Befehle. Im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) geht es nur um das Überleben, das nackte Überleben und dies nur für die, welche für das Kapital als Ausbeutungsmaterial herhalten können.

Wer nicht als Ausbeutungsmaterial dienen kann, im Ausbeutungsprozeß vorzeitig verschlissen wurde, oder niemals von Beginn des Lebens an als Ausbeutungsmaterial fungieren kann, ist für das Kapital ein „sozialer Feind“, denn diese relative Übervölkerung steht außerhalb der Wertproduktion und ist damit ein Abzug vom gesellschaftlichen Mehrwert. Die Bourgeoisie behält sich für den „sozialen Feind“ die Euthanasie vor. Nicht nur wer sich aktiv und damit subjektiv der Ausbeutung verweigert ist ein Feind“, sondern auch jemand, wer objektiv nicht in der Lage ist, ausgebeutet zu werden. Kanada geht in dieser Frage voran. Dort wurde eine „freiwillige“ Euthanasie organisiert. Zuerst galt diese für Menschen mit unheilbaren Krankheiten, wurde dann aber auch schnell ausgedehnt, auf psychische Krankheiten und dann Langzeiterkrankungen und damit auch auf Behinderte und auch auf nicht Volljährige. Wer sich für den Tod entscheidet, wird bei seinem Selbstmord assistiert. Der „freiwillige“ Selbstmord ist ein Produkt des strukturellen und stummen Zwangs der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die sich an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als sozialer Zwang übersetzten. Kanada ist unter den Metropolen das Land mit den niedrigsten Sozialleistungen und will seine Sozialleistungen noch weiter absenken. Über die Politik der „freiwilligen“ Euthanasie können die Sozialleistungen noch weiter reduziert werden. Es werden sogar gezielt Behinderte zum „assistierten Selbstmord“ aufgefordert, wenn sie Sozialleistungen beantragen. Dies trifft auch ehemalige Militärangehörige mit einer Behinderung. Eine Kriegswirtschaft führt gerade einen Krieg gegen die „Überflüssigen,“ gegen den „sozialen Feind“. Kanada marschiert in dieser Frage voran. Von da aus ist es auch nicht weit, von der „freiwilligen“ Euthanasie zur „Zwangs-Euthanasie“ überzugehen, denn die „freiwillige“ Euthanasie ist nur ein Zwischenschritt zur „Zwangs-Euthanasie“ und bereitet sie vor. Der „assistierte Selbstmord“ bereitet den Massenmord vor. Ganz im Sinne einer Kriegswirtschaft, denn diese setzt auf „Bevölkerungsreduktion“. Krieg ist Bevölkerungsreduktion, der eigenen Bevölkerung, wie der Bevölkerung des Feindes und die Kriegswirtschaft stellt die Infrastruktur für diese Art der „Bevölkerungsreduktion“ dar. Der Krieg erhöht kurzzeitig den ökologischen Fußabdruck um langfristig durch die „Bevölkerungsreduktion“ diesen abzusenken. Krieg, Kriegswirtschaft und „Bevölkerungsreduktion“ gehören zusammen. Der „Feind“ wird reduziert, wird vernichtet. Dem „sozialen“ Feind wird auch nicht das „nackte Überleben“ gesichert, ihm wird das Recht auf Leben abgesprochen. Der „soziale Feind“ kann auch kapitalistisch produziert werden, indem eine systematische Hungerpolitik, wie es der britische Imperialismus in Indien während des zweiten imperialistischen Weltkrieges exekutierte, realisiert werden kann. Eine ganze Bevölkerungsgruppe kann als Opfer bürokratisch erfaßt, vom Rest der Bevölkerung selektiert und vernichtet werden, wenn der politische Widerstand der Arbeiterklasse dies nicht verhindert.

Um den „sozialen Feind“ zu vernichten, ist es vorher notwendig den „politischen Feind“ zu vernichten, denn der „politische Feind“ verhindert die Vernichtung des „sozialen Feindes“. Die Kriegswirtschaft stellt dann die Waffen dafür bereit, um den „politischen Feind“ zu bekämpfen und zu vernichten; die Kriegswirtschaft selbst ist eine Waffe, um den „politischen Feind“ der Vernichtung zuzuführen. Eine Kriegswirtschaft verlangt nach einer „Säuberung“ der Betriebe von „potentiellen Sicherheitsrisiken“ und „potentiellen Risikopersonen“ über die Waffe Berufsverbot. Der potentielle „politische Feind“ muß auch gleichzeitig in die soziale Figur des „sozialen Feindes“ transformiert werden, dann ist er der gedoppelte Feind, zieht die konzentrierte Repression des bürgerlichen Notstandsstaates auf sich. Eine „Säuberung“ der Betriebe von „politisch unzuverlässigen Lohnarbeitern“ kann auch in einer Säuberung der sozialen Transfersysteme von diesem Personenkreis ausarten. Der Krieg, die Kriegswirtschaft, duldet keinen Widerspruch. Die ideologische, fiktive ökologische Kriegswirtschaft der Ulrike Herrmann ist in Wirklichkeit die ganz normale kapitalistisch-imperialistische Kriegswirtschaft und dient nicht der „Klimarettung“ oder der „Menschheitsrettung“, sondern im Gegenteil der „Menschheitsreduzierung“ oder „Menschheitsvernichtung“, konkret der Vorbereitung des Dritten Weltkrieges an Hand des Ukraine-Krieges. Ulrike Herrmann befürwortet den Ukraine-Krieg durch Waffenlieferungen an die NATO-Ukraine gegen Rußland und dies geht nicht ohne Kriegswirtschaft. Ideologisch wird diese aggressive imperialistische Politik mit dem „Klimaschutz“ legitimiert. Mit dem „Klimaschutz“ in den Dritten Weltkrieg. Mit dem „Klimaschutz“ in den Notstandsstaat, mit dem „Klimaschutz“ in die Schockpolitik und Aufrüstung, mit dem „Klimaschutz“ in die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft. Die „guten“ Werte und die „gute Absicht“ rechtfertigen Verarmung, Repression und Krieg, auch den Dritten Weltkrieg- zumindest in den Augen der deutschen Bourgeoisie und in den Augen von Ulrike Herrmann. Der „Klimaschutz“ ist dafür die Generalklausel. Es geht Ulrike Herrmann nicht um den „Klimaschutz“, der ist nur Vorwand, es geht ihr um den Ausbau der nationalen und internationalen Machtstellung des deutschen Imperialismus. Ulrike Herrmann ist eine gewöhnliche Propagandistin des deutschen Imperialismus, ideologische Steigbügelhalterin eines dritten Griffs zur Weltmacht durch den deutschen Imperialismus mit dem Ziel, dem deutschen Imperialismus eine politische und soziale Massenbasis zu organisieren. Der Rekurs von Ulrike Herrmann auf die britische Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges zeigt offen das reaktionäre und rassistische Gesicht des imperialistischen „Klimaschutzes“. „Klimaschutz“, „Umweltschutz“ gibt es nicht im Kapitalismus. Es bedarf schon der proletarischen Weltrevolution und der Diktatur des Proletariats. Ulrike Herrmann gehört zur Siegfrieden/Endsiegs-Fraktion der deutschen Bourgeoisie. Sie steht sogar einem Verständigungsfrieden, wie er von dem Wagenknecht/Schwarzer Aufruf gefordert wird, welcher mit fast 600.000 Unterschriften unterstützt wird und sich in einer Großdemonstration in Berlin am 25. Februar mit über 50.000 Teilnehmern materialisierte, ab. Dieser Aufruf soll die große Massenunzufriedenheit kanalisieren und die Massenlegitimation für Verhandlungen mit dem russischen Imperialismus stellen, denn umso länger der Krieg dauert, desto vorteilhafter ist es für den russischen Imperialismus. Mit der längeren Dauer des Ukraine-Krieges wird der russische Imperialismus militärisch, ökonomisch und politisch stärker als der der deutsche Imperialismus, bzw. als der transatlantische imperialistische Block. Ein Siegfrieden/Endsieg führt in den Zusammenbruch oder in den Dritten Weltkrieg. Der Verständigungsfrieden soll das schlimmste für den deutschen Imperialismus verhindern, denn die Orientierung auf den Siegfrieden/Endsieg über den russischen Imperialismus schwächt den deutschen Imperialismus, statt ihn zu stärken. Eine Verständigung mit Rußland stabilisiert den deutschen Imperialismus, eine Entscheidung für die Endsiegs/Siegfrieden Option mit Kriegswirtschaft, gefährdet das Gleichgewicht des deutschen Imperialismus.

  1. Der proletarische Weg

-Der Hauptfeind steht im eigenen Land: Generalstreik gegen Krieg und Krise

-Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, ansetzend an der alltäglichen Sabotage der Ausbeutung, ebenfalls in der „Kritischen Infrastruktur“ und international organisiert

-Gleitende Lohnskala gegen die Inflation

-Arbeiterkontrolle über die Betriebe

-Aufbau proletarischer Hundertschaften gegen die Repression des bürgerlichen Staates und seiner neofaschistischen Organisationen

Iwan Nikolajew Hamburg im März 2023 Maulwurf/RS

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Am Kipppunkt

Erstellt von Redaktion am 8. März 2023

Zuspitzung im Nahost-Konflikt

Von   :   Judith Poppe

Es brennt in den besetzten Gebieten. Ein Besuch in der jüdischen Siedlung Yitzhar und dem Dorf Huwara, in dem es gerade heftige Ausschreitungen gab.

auchwolken hängen am Nachthimmel über dem palästinensischen Dorf Huwara, Dutzende Häuser und Autos stehen in Flammen. So ist es kurz darauf auf Fotos in den sozialen Medien zu sehen. Geschäfte brennen, Steine fliegen in dieser Nacht. Ein Palästinenser wird getötet, Hunderte werden verletzt.

Am vergangenen Sonntag hatte zunächst ein Palästinenser zwei Israelis in Huwara getötet, Siedler aus einer nahe gelegenen Siedlung, die im Auto die Hauptstraße entlangfuhren. Wenige Stunden später dringt eine Gruppe israelischer Sied­le­r*in­nen in das Dorf ein, um Rache zu nehmen. Die Armee greift erst spät in der Nacht ein.

„Ich habe solche Angst um meine Familie“, schreibt per Whatsapp Shadeen Saleem, die wir zwei Wochen zuvor in Huwara getroffen haben: „Meine Brüder und meine Eltern sind in unserem Haus, Siedler greifen sie an.“ Saleem ist während des Angriffs nicht zu Hause, sie studiert im nahe gelegenen Nablus, doch die Stadt ist vom israelischen Militär abgeriegelt. Saleem hat keine Chance, zu ihrer Familie durchzukommen.

Während Huwara brennt, tanzen nicht weit entfernt auf einem Hügel ein Dutzend Siedler*innen, Schulter an Schulter. In dieser Nacht haben sie einen neuen Außenposten besetzt. Der Knessetabgeordnete Zvi Sukkot ist einer von ihnen. „Tänze der Liebe zum Land. Tränen des Schmerzes und der Hoffnung vermischen sich“, schreibt er zu dem Video auf Twitter.

Zwei Wochen zuvor liegen diese Ereignisse noch in der Zukunft – doch im Rückblick kann man sagen, sie standen schon wie Zeichen an der Wand.

„Schade, dass es bewölkt ist“, sagt Zvi Sukkot und blickt Richtung Westen zum Mittelmeer: „Normalerweise kann man bis Netanja sehen.“ Er steht vor seinem Büro auf dem höchsten Punkt der Siedlung Yitzhar, auf der Spitze des Hügels. Von dem weißen Container aus hat er eine Rundumsicht auf das, was er „unser Land“ nennt.

Er zeigt auf das Mittelmeer und Tel Aviv, dann dreht er sich im Halbkreis. Seine Hand gleitet über das Westjordanland hinweg, über arabische Dörfer, auch über Huwara. Über weitere jüdische Siedlungen, bis sein Zeigefinger auf der Grenze nach Jordanien ruht. Eine imperiale Geste, könnte man meinen, doch dafür ist sein Blick zu kritisch, seine Bewegung zu vorsichtig. Er gleicht eher einem Wächter, der sich in Abwesenheit des Besitzers um dessen Land sorgt.

Sukkot trägt Schläfenlocken und Tzitziot, weiße Fäden, die religiöse Juden an den Oberteilen befestigen und an den Seiten der Hosen entlangfallen lassen. Auf dem Kopf hat er eine gehäkelte Kippa, Markenzeichen der Siedler.

Steile Karriere in der Politik

Er ist erst 32 Jahre alt und hat eine steile Karriere hingelegt: Zwei Tage nach dem Interview wird er für die rechtsextreme Partei Religiöser Zionismus als Nachrücker in die Knesset einziehen. Ihr Programm sieht unter anderem die Annexion von Land für Siedlungen im Westjordanland, die Ausweisung von Geflüchteten und eine Entmachtung des Obersten Gerichtshofs vor.

In Sitzungszeiten wird er von nun an in der Knesset sein, den Rest der Zeit in seinem Büro in Yitzhar arbeiten – einem Büro, das sich nach internationalem Recht illegal dort auf der Hügelspitze befindet: Es liegt in den besetzten palästinensischen Gebieten.

Im Westjordanland war das vergangene Jahr das blutigste seit dem Ende der Zweiten Intifada. 2022 starben mehr als 150 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen durch israelische Sicherheitskräfte und Zivilist*innen. Siebzehn Israelis wurden bei Anschlägen von Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen getötet. Im Jahr 2023 sind allein in den ersten zwei Monaten bereits 61 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen von israelischen Sicherheitskräften getötet worden.

Der CIA und israelische Sicherheitsapparate warnen, dass eine dritte Intifada bevorstehen könnte. Noch gibt es keinen Aufruf der großen palästinensischen Fraktionen dazu. Doch viele sorgen sich, dass die neue rechtsextrem-religiöse Regierung Israels den Konflikt zwischen Sied­le­r*in­nen und Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen weiter anheizt.

Zvi Sukkot schließt die Tür zu seinem Containerbüro auf. Seine Zusage zu dem Interview kam prompt – anders als die meisten radikalen Sied­le­r*in­nen ist er bereit, mit den Medien zu sprechen. Die Welt sei gegen die Siedler*innen, sagt er, er will das Image verbessern.

Jüdische Israelis haben unterschiedliche Gründe, in eine Siedlung zu ziehen. Die meisten Sied­le­r*in­nen leben in Pendlerstädten in der Nähe zum Kernland Israel oder in Ostjerusalem. Viele ziehen wegen der günstigen Mieten und der Lebensqualität dorthin. Aber wer nach Yitzhar zieht, macht das, um das Versprechen Gottes einzulösen: Dieses Land wurde den Jü­d*in­nen von Gott versprochen, komplett, inklusive des Westjordanlandes – davon sind die Be­woh­ne­r*in­nen Yitzhars überzeugt. Etwa 2.000 radikale Sied­le­r*in­nen leben hier.

Bezalel Smotrich, Chef der Partei Religiöser Zionismus und neuer Finanzminister, war einmal in seinem Büro, erzählt Sukkot. Beide waren in der Hilltop-Jugend aktiv – hier sammeln sich junge extremistische Siedler*innen, die Gewalt für ein legitimes Mittel halten, und die sogenannte Außenposten im Westjordanland errichten, die auch nach israelischem Recht illegal sind. Die Hilltop-Jugend ist überzeugt davon, dass die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen aus den palästinensischen Gebieten vertrieben werden müssen.

Für Sukkot ist die Hilltop-Jugend eine Gruppe junger Menschen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Gottes Versprechen einzulösen: die Besiedlung von Eretz Israel, dem gelobten Land. Dazu gibt es Lagerfeuer auf den Hügeln des Westjordanlandes, Zusammengehörigkeitsgefühl und Pioniergeist.

Bis vor Kurzem waren die extremistischen Sied­le­r*in­nen die Outlaws der israelischen Gesellschaft, die Troublemaker unter den 500.000 Siedler*innen, die mittlerweile im besetzten Westjordanland leben. Nun lenken sie die Geschicke des Landes mit.

Judäa und Samaria

Benjamin Netanjahu hat die radikalen Siedlerparteien hoffähig gemacht und ihnen in den Koalitionsvereinbarungen weitreichende Zugeständnisse eingeräumt. Er, der derzeit in drei Korruptionsfällen vor Gericht steht, will vor allem eins: nicht ins Gefängnis. Immunität versprechen ihm seine Bündnispartner. Und die wissen, wie erpressbar Netanjahu ist. Zum ersten Mal in der Geschichte Israels steht das „exklusive und unbestreitbare Recht auf alle Teile des Landes“ in der Koalitionsvereinbarung, auch auf „Judäa und Samaria“ – die biblischen Namen für das besetzte Westjordanland.

Aus einem Haufen grüner T-Shirts, die in einer Ecke seines Büros liegen, zieht Sukkot eines hervor. „Mein Herz brennt für Josef“, steht darauf. Zurückkehren zu können an das Grab des jüdischen Stammvaters Josef – auch das ist eines der Ziele von Sukkot. Derzeit dürfen jüdische Israelis nur mit Spezialgenehmigung dorthin, an den Stadtrand von Nablus: Für Israelis gilt die palästinensische Stadt als Terrornest, für Palästinenser als eine Zentrale des Widerstands. „Manchmal lassen sie uns dorthin“, sagt Sukkot. Dann werden sie vom Militär eskortiert, es kommt dabei regelmäßig zu heftigen Zusammenstößen.

„Es kann doch nicht sein, dass wir uns nicht überall in unserem Land bewegen dürfen“, sagt Sukkot. Der Ort ist für ihn nicht nur in religiöser und politischer Hinsicht wichtig, auch privat. Im Oktober 2000, kurz nach dem Beginn der Zweiten Intifada, wurde der Vater seiner heutigen Frau am Josefsgrab von Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen getötet. Man fand ihn erschossen am Stadtrand von Nablus. Sukkots Frau war damals acht Jahre alt. Im Wohnzimmer über einem Bücherregal hängt ein Bild von ihrem Vater. Ein Mann mit spitzem Bart und Nickelbrille liest in der Bibel. Er war Rabbiner und 36 Jahre alt, als er starb. Mehr erzählt Sukkot dazu nicht.

Bis Juden im ganzen biblischen Israel ohne Einschrän­kungen leben können, werde er kämpfen, sagt Zvi Sukkot. Seine Partei ist nun Teil der israelischen Regierung.

Fragen nach Gefühlen scheinen ihm nicht zu behagen. Überhaupt private Fragen. „Mh?“, antwortet er, scheinbar abgelenkt, und kaut seinen Kaugummi fester. Über seine Eltern ist wenig aus ihm herauszukriegen: Er ist in einem ultraorthodoxen Elternhaus aufgewachsen. Damit ist das Thema erledigt.

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Politische Fragen beantwortet er geduldig, mehr oder weniger freundlich. „Als Knessetabgeordneter will ich dafür sorgen, dass alle Terroristen entweder im Knast oder tot sind“, sagt Sukkot. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist für ihn eine Terrororganisation. In anliegende palästinensische Städte und Dörfer fahre er nicht. „Die wollen uns umbringen.“

Zvi Sukkot sorgt sich um seine fünf Töchter. Seine Waffe liegt auf dem Nachttisch in seinem Schlafzimmer. Wenn er die Siedlung verlässt, trägt er sie am Gürtel. Doch die besetzten Gebiete zu verlassen und seine Kinder in einer weniger konfliktgeladenen Gegend aufzuziehen, kommt für ihn nicht infrage.

Für ihn wäre das Verrat, und Verrat – oder das, was er dafür hält – hat ihn nach Yitzhar gebracht. Sukkot war 15, als die israelische Armee nach dem Abkoppelungsplan des damaligen Ministerpräsidenten Ariel Scharon die Sied­le­r*in­nen aus den Siedlungen im Gazastreifen evakuierte. Sukkot konnte nicht fassen, was er im Fernsehen sah: Soldaten, die ihre Landsleute aus ihren Häusern trugen und in Tränen ausbrachen. Bulldozer, die Häuser zerstörten, Männer, die ihre Haare rauften und zum Himmel beteten, Frauen, die mit ihren Babys im Arm von Soldaten aus den Häusern eskortiert wurden – für sie viel mehr als eine Bleibe. Der Inbegriff dessen, woran sie glaubten und wofür sie kämpften: Gott zu gehorchen, sein Erbe anzunehmen.

„Sie haben unser Land einfach der Hamas überlassen“, sagt Sukkot. Noch heute spürt man die Wut darüber in ihm. Nach diesem Ereignis beschloss er, seinen Weg zu ändern: Aus dem ultraorthodoxen Studenten wurde ein nationalreligiöser Zionist. Er schloss sich der Hilltop-Jugend an und zog nach Yitzhar.

Quelle        :         TAZ-online           >>>>>>          weiterlesen        

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Oben       —    Demonstrating against Bibi’s and Yariv Levin’s plans to suppress the Supreme Court.

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KOLUMNE – GRAUZONE

Erstellt von Redaktion am 5. März 2023

Falsche Friedenstauben für den Müll

Eine politische Grauzone  der Vergangenheit ?

Von Erica Zingher

Zum Jahrestag des Angriffskriegs auf die Ukraine verbreitete Russland Desinformation. Die angebliche geplante Provokation in Transnistrien fiel aus.

Die Angst ging rum zum Jahrestag des russischen Angriffskriegs in der Ukraine: Droht eine nächste Front, drüben in Transnistrien, in Moldau? Jedenfalls hatte dies das russische Verteidigungsministerium behauptet. Kyjiw plane eine bewaffnete Provokation in Transnistrien, eine False Flag Operation, die man als russischen Angriff inszenieren wolle. Ukraines Präsident Selens­ki gab direkt Entwarnung. Die Ukraine greife keine souveränen Staaten an, sagte er. „Wir respektieren die Unabhängigkeit anderer Staaten. Transnistrien ist Moldau.“ Die moldauischen Behörden riefen dazu auf, ruhig zu bleiben. Und der transnistrische „Präsident“ Wadim Krasnoselski verkündete, man wisse von keinem geplanten Angriff – sobald sich das ändere, werde Krasnoselski höchstpersönlich die Menschen im Land informieren. Nicht mal der belarussische Machthaber Lukaschenko glaubte den Mist: Dass „die Ukrainer durchdrehen“ und eine weitere Front eröffnen, halte er für unwahrscheinlich. Schließlich sei das zu ihrem Nachteil.

Ich saß mit Corona in meiner Wohnung und beobachtete fiebrig, wie deutsche Medien auf diese Nachricht angesprungen waren. Klickt sich halt gut. Was auffiel: wenige fundierte Einordnungen oder Wissen über die tatsächlichen Verhältnisse in Transnistrien, geschweige denn die Lage in Moldau.

Russlands Strategie war also aufgegangen. Während Transnistrien die Aufmerksamkeit hat, ist in der Hauptstadt Chișinău die Destabilisierung des Landes, ein Baustein russischer hybrider Kriegsführung, in vollem Gange. In Moldau ist diese Form der Einflussnahme ein alter Bekannter. Dabei nutzt Russland die sowieso vorhandenen innenpolitischen Kämpfe und Probleme Moldaus aus, da muss es gar nicht viel mehr tun als sich zurücklehnen und zusehen.

Die Interessen pro-russischer politischer Kräfte in Moldau überschneiden sich praktischerweise mit denen Russlands. Erstere, allen voran die Șor-Partei, deren Anführer Ilan Șor zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, weil er beim größten Korruptionsskandal des Landes 2014 rund eine Milliarde US-Dollar aus den drei größten moldauischen Banken verschwinden ließ, ein Oligarch auf der Flucht, der sich in Israel versteckt, will die Macht zurückerlangen – oder einfach nur dem Gefängnis entgehen. Die Șor-Partei versucht mit aller Kraft, die Bemühungen der pro-westlichen Regierung gegen Korruption im Land zu torpedieren. Tja, und Russland will genau diese Regierung geschwächt sehen. Da haben sich also zwei gefunden.

Es gibt Faktoren, die sind viel gefährlicher als 1.500 verarmte und unmotivierte russisch-transnistrische Soldaten. Moldau hat mit zahlreichen Krisen gleichzeitig zu kämpfen: energiepolitisch (weil lange Zeit abhängig von russischem Gas), wirtschaftlich (hohe Inflation), gesellschaftlich (Proteste).

Seit Monaten ruft die Șor-Partei zu Protesten auf, lässt Demonstranten bezahlen, aus dem ganzen Land in Bussen ankarren und nutzt die Armut dieser Menschen für ihre politischen Zwecke aus. Erst diese Woche fanden die größten Proteste seit Langem statt. Die Demonstranten riefen „Nein zum Krieg“ und „Nieder mit Maia Sandu“. Sie trugen Friedenstauben aus Papier, die später im Müll landeten.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Oben     —    Leichen werden vom Sonder­kommando verbrannt, fotografiert von Alberto Errera, August 1944

Häftlinge des Sonderkommandos in Auschwitz beim Verbrennen von Leichen. Heimlich aufgenommenes Foto des Widerstandes – wahrscheinlich von „Alex“, einem jüdisch-griechischen Häftling des Sonderkommandos.

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Unten        —         Peace dove, Conversion of Dove peace.png

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Eine Kriegs-Erklärung

Erstellt von Redaktion am 27. Februar 2023

Abweichende Bemerkungen zur Weltlage

Kriegserklärung Erster Weltkrieg.jpg

So –  wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      : Renate Dillmann

Seit dem 24.2.2022 führt Russland Krieg in der Ukraine. Seitdem sind viele Menschen ums Leben gekommen – Menschen mit russischer oder mit ukrainischer Staatsangehörigkeit, Zivilisten und vor allem Soldaten. Warum gibt es diesen Krieg? Wofür sind diese Menschen gestorben?

Vermutlich wird am Jahrestag des Kriegsbeginns in den Mainstream-Medien erneut mit ausgestrecktem Zeigefinger auf „Putin“ als den alleinigen Verantwortlichen gedeutet. Einen Schuldigen zu benennen ist allerdings alles andere als eine Erklärung zu liefern.Das soll im Folgenden versucht werden. Dazu sind einige grundsätzliche Überlegungen zur modernen Staatenkonkurrenz nötig – ebenso wie eine Betrachtung des konkreten Falls.

Kapitalismus, Staatenkonkurrenz und Krieg

Moderne Staaten leben nicht davon, fremde Territorien zu erobern, sondern davon, ein möglichst grosses Wirtschaftswachstum zustande zu bringen. Ihre Aussen- und Geopolitik bezieht sich deshalb im Prinzip gleich auf die gesamte Welt. Insbesondere für die erfolgreichen und wichtigen Staaten gilt: Kein Stückchen Erde ist für sie uninteressant, keine Insel, keine Schifffahrtspassage, kein Punkt im erdnahen Weltraum wird ausser Acht gelassen – einen Standpunkt des „Geht uns nichts an“ gibt es in ihrer Aussenpolitik einfach nicht.

Seit 1990 kann man von einer weltweit gültigen Geschäftsordnung sprechen: Im Prinzip herrscht freier Austausch von Waren und Kapital auf dem gesamten Globus und in ihrer Souveränität anerkannte Nationalstaaten konkurrieren untereinander um den Nutzen aus diesem globalen Geschäft. Im Völkerrecht haben sie sich dazu verpflichtet, ihre „internationalen Streitigkeiten“ (von deren Fortexistenz also ausgegangen wird) nach Möglichkeit friedlich auszutragen bzw. die Vereinten Nationen über die erforderlichen Massnahmen entscheiden zu lassen. Diese „Ordnung“ der Welt im Geist weltweit freier kapitalistischer Konkurrenz ist einerseits das Resultat der Entkolonialisierung, die die USA noch zusammen mit der Sowjetunion gegenüber den ehemaligen Kolonialstaaten, insbesondere England und Frankreich, durchgesetzt haben. Und sie ist das Resultat des Kalten Kriegs, an dessen Ende sich der „totgerüstete“ kommunistische Ostblock selbst aufgelöst hat.

Das Ende des Kalten Kriegs – den westlichen Bevölkerungen wurde stets die Existenz des kommunistischen Störenfrieds als Grund für den Unfrieden auf der Welt genannt – hat allerdings nicht für ein Ende des weltweiten Aufrüstens gesorgt, schon gar nicht bei den Nato-Staaten, die ihr Militärbündnis nach der Auflösung des Warschauer Pakts keineswegs ad acta gelegt haben. Das ist auch kein Wunder. Die nun „endlich“ weltweit geltende Geschäftsordnung, die ihrerseits Resultat gewaltsamer Auseinandersetzungen ist, bringt aus sich heraus permanent harte Gegensätze zwischen den Staaten zustande und ist kein Verhältnis wechselseitigen Vorteils, keine win-win-Situation, wie gerne behauptet wird. Handel und Kapitalverkehr zwischen kapitalistischen Nationen dienen schliesslich dazu, dass sich aneinander bereichert wird. Auch wenn es Phasen gibt, in denen davon geschwärmt wird, dass Handels- und Investitionsverträge allen Beteiligten von Nutzen sind und es für alle aufwärts geht – letztendlich werden die Erfolge eines Landes auf Kosten eines anderen errungen; das zeigt sich spätestens auf der Ebene der Konkurrenz der Währungen.

Die Klagen westlicher Politiker und Journalisten darüber, dass China einen ungeheuren Aufstieg als Wirtschaftsnation hinlegt, bieten übrigens ein gutes Beispiel. Während ja ansonsten gerne lauthals betont wird, dass die Entwicklungsländer sich durch Teilnahme am Weltmarkt aus ihrer Lage herausarbeiten sollen, um so Hunger und Unterentwicklung hinter sich zu lassen, ist de facto kein westliches Land froh darüber, dass China – früher einmal das „grösste Entwicklungsland der Welt“ – genau das geschafft hat und zu den führenden Staaten dieser Erde aufsteigt. Die Befürchtungen über die weiteren Konsequenzen von Chinas neuen Fähigkeiten, die jede Woche lauter werden, zeigen ziemlich deutlich: Deren Erfolg nimmt „uns“ (der BRD, den USA usw.) etwas weg, geht auf „unsere“ Kosten.

Geostrategische Konkurrenz: ohne absichernde Gewalt kein erfolgreiches Geschäft

Schon an den internationalen Absprachen, die dem Handeln der Unternehmer vorausgehen, ist ersichtlich, dass das länderübergreifende und weltumspannende Geschäft nicht ohne Gewalt auskommt. Staatliche Souveräne zwingen sich wechselweise zur Anerkennung ihrer Existenz und handeln – unter Einsatz aller ihnen zur Verfügung stehenden Erpressungsmittel – die Bedingungen des globalen Geldverdienens aus: Das ist die schöne „regelbasierte Weltordnung“, die nach Ansicht der USA unbedingt gegen Angriffe geschützt werden muss, so der US-Verteidigungsminister Esper auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2020. Wenn auf dieser Basis „friedlich“ gehandelt wird, macht das das Schiessen natürlich keineswegs überflüssig. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler hat diesen Zusammenhang im Mai 2010 in einem Interview mit dem Deutschlandradio ausgesprochen:

„Meine Einschätzung ist aber, dass wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Grösse mit dieser Aussenhandelsorientierung und damit auch Aussenhandelsabhängigkeit wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg. […] Es wird wieder Todesfälle geben. […] Man muss auch um diesen Preis am Ende seine Interessen wahren. […]“

Während Horst Köhler für seine Bemerkungen im Jahr 2010 als Bundespräsident noch zurücktreten musste, sind seine Gedanken inzwischen (wenn vielleicht auch noch nicht ganz in „der Breite der Gesellschaft“, so doch) an ihrer Spitze angekommen. Die Verantwortlichen für die deutsche Sicherheitspolitik sprachen die Verknüpfung von aussenwirtschaftlichen Interessen der Nation und militärischen Sicherheitsfragen schon lange vor der „Zeitenwende“ von Olaf Scholz offen aus. „Wohlstand und Volkseinkommen sind in Deutschland in hohem Masse abhängig von funktionierenden Rahmenbedingungen – in Europa und in der Welt. Deutschland ist eng in internationale Handels- und Investitionsströme eingebunden. Unser Land ist in besonderem Masse auf gesicherte Versorgungswege, stabile Märkte sowie funktionierende Informations- und Kommunikationssysteme angewiesen. Diese Abhängigkeit wird weiter zunehmen.“ („Weissbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ 2016)

Das deutsche Staatswesen und seine wirtschaftlichen Interessen brauchen eine Armee, die überall auf der Welt die „Verantwortung“ für funktionierende Rahmenbedingungen übernehmen muss. Dass das „Weissbuch“ Deutschlands weltweite Gewinninteressen dabei als „Abhängigkeiten“ fasst, mag logisch etwas zweifelhaft sein, ist aber die durchaus übliche Selbstdarstellung auf dem Feld der internationalen Politik. Die hat gleichzeitig den überaus schönen Effekt, dass die „Abhängigkeiten“ eines Landes und damit die Notwendigkeiten, zu intervenieren und zu „verteidigen“ umso mehr wachsen, je erfolgreicher seine Wirtschaftsunternehmen auf dieser Erde tätig sind und andere Nationen von sich abhängig gemacht. Kein Wunder also, dass sich die USA, die wirtschaftsmächtigste Nation der heutigen Welt, die mit Abstand teuerste Armee leisten, überall Stützpunkte (an die 1000 weltweit) unterhalten und meist mehrere Kriege gleichzeitig führen, während andere „Fälle“ schon (bzw. noch) mit Wirtschaftskriegen, in denen man sämtliche Wirtschaftsbeziehungen nun als Waffen nutzen kann, zur „Vernunft“ gebracht werden.

Die ganze Gewalttätigkeit und Aggressivität der heutigen Weltordnung ist eben nicht – wie es in der Presse oft dargestellt wird – Ausdruck egomanischer, durchgeknallter Politiker. Sie ist vielmehr Ausdruck dessen, in welchem Umfang unversöhnliche Gegensätze die Wirtschaftsinteressen kapitalistischer Staaten bestimmen – also von Akteuren, die alle dasselbe wollen, nämlich Geld aneinander verdienen und sich dabei mit ihren Interessen unvermeidlich in die Quere kommen.

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Die „regelbasierte Weltordnung“ und ihre Störenfriede Dass eine solche Welt ständig „geordnet“ werden muss, ist also kein Wunder. Und ebenso wenig, dass die ständige (Wieder-)Herstellung dieser Ordnung das Werk der Macht ist, die erstens von der weltweiten Konkurrenz ökonomisch am meisten profitiert, weil sie mit ihrem Dollar bei fast jedem Geschäft mit-verdient und die zweitens dank ihrer überlegenen Militärmacht in der Lage ist, die Durchsetzung der Gleichung von Recht und US-amerikanischem Nutzen zu erzwingen. Für die USA, die sich diese globale Geschäftsordnung in zwei Weltkriegen und einem Kalten Krieg erkämpft hat, stellen Störungen der für sie sinnreich eingerichteten Ordnung ein absolutes Ärgernis dar.

  • Ein solcher Störfall liegt vor, wenn ein Rohstoff-reiches Land seine Bodenschätze dem Zugriff us-amerikanischer kapitalkräftiger Konzerne entreisst und unter nationale Regie stellt, um mehr beim Verkauf zu verdienen und davon nationale Entwicklungsprojekte zu fördern. Die Liste der deshalb von Wirtschaftskriegen, Putschs oder regelrechten Kriegen betroffenen Länder ist lang (Iran 1953, Guatemala 1954, Chile 1973, Irak 2003, Libyen 2011); dazu kommen einige gescheiterte oder noch nicht beendete Versuche in Venezuela, Bolivien, schon wieder der Iran …
  • Dass Staaten der Konkurrenz auf dem Weltmarkt nicht gewachsen sind und darüber ruiniert werden, kann vom Standpunkt der Weltmacht weitere Eingriffe nötig machen. Negative, zerstörerische Resultate – das Verhungern des Volks, seine massenhafte Flucht, der Zusammenbruch von Währung und Staatsgewalt – sind vor Ort hinzunehmen, ohne dass sich dagegen gewehrt werden soll. Das zu erzwingen, gehört zur „Verantwortung“, die die führenden kapitalistischen Nationen für die Geschäftsordnung übernehmen, die ihnen nutzt.
  • In Afghanistan, einem für das weltweite Geschäft eher unbedeutenden Land, haben die USA mit ihrem „war on terror“ exemplarisch gezeigt, was passiert, wenn man Feinde der USA und ihrer Weltordnung unterstützt (Feinde, die sie übrigens selbst als Mittel im Kampf gegen die Sowjetunion ausgerüstet hatten).

Die wichtigste Art von Störfällen, zumindest aus us-amerikanischer Sicht, ist allerdings anderer Natur. Es sind selbstverständlich die Staaten, denen es als Teilnehmer in dieser Weltordnung gelungen ist, zu ernsthaften Konkurrenten der amerikanischen Hegemonie zu werden.

Deutscheuropa, Russland und China

Da ist erstens das EU-Projekt. Dessen ökonomische Führungsmacht Deutschland hat ihren wirtschaftlichen (Wieder-)Aufstieg nach dem 2. Weltkrieg zwar bisher im Bündnis mit und untergeordnet unter die USA vollzogen. Für die USA waren die europäischen Nato-Partner und die BRD als Frontstaat unverzichtbar beim Niederringen der UdSSR, von dem Deutschland mit dem Zugewinn an Volk, Territorium und Macht in besonderer Weise profitiert hat. Mit ihrem Binnenmarkt, einer Gemeinschaftswährung, die dem Dollar Konkurrenz macht, und ihrer Ausdehnung ist die EU allerdings inzwischen zu einem Staatenbündnis geworden, dessen Entwicklung in Washington mit wachsendem Misstrauen betrachtet wird. Die amerikanischen Think-tanks haben praktisch in den letzten Jahren einiges initiiert, um das Euro/EU-Projekt zu stören – von den US-hörigen Osteuropäern bis zur Förderung des englischen Brexits.

Da ist zweitens Russland, dessen aus westlicher Sicht wunderbarer ökonomischer Ausverkauf und staatlicher Zerfallsprozess unter Jelzin von seinem Nachfolger Putin gestoppt wurde. Unter dessen Präsidentschaft hat sich das Land ökonomisch und politisch konsolidiert – wenn es im Aussenhandel auch vor allem vom Verkauf seiner Rohstoffe und Waffen lebt. Auch wenn Russland damit kein ernsthafter ökonomischer Konkurrent der USA ist, betreibt es heute (erneut) eine aktive Aussenpolitik, die den westlichen Interessen an einigen Stellen der Welt in die Quere kommt – in Zentralasien (den Ex-Sowjetrepubliken), in Syrien, in Libyen, in Mali. Vor allem aber stösst den USA unangenehm auf, dass das Land aus Sowjetzeiten über eine Atomstreitmacht verfügt, die ihrer eigenen gewachsen ist, und das in diesem Sinne tatsächlich souverän (= militärisch nicht ohne weiteres erpressbar) ist.

Da ist drittens und vor allem das kapitalistisch gewendete China als neu aufsteigende ökonomische wie politische Grossmacht. Dieses Land wird aufgrund von Grösse und Bevölkerungszahl die USA in absehbarer Zeit als wichtigste kapitalistische Macht auf dem Globus ablösen. Und es bezieht mit seinen aussenwirtschaftlichen Initiativen in Asien, Afrika und Südamerika, inzwischen auch in Zentralasien und Südeuropa (Stichwort: Neue Seidenstrasse), viele Staaten mit Geschäfts- und Kreditangeboten auf sich und arbeitet damit aktiv an einer „multipolaren Weltordnung“. Das setzt allerdings voraus, dass seine Entwicklung zur kapitalistischen Grossmacht ungestört weiter verläuft, was die USA deshalb mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen, ökonomisch wie politisch. Gegen diese Rivalen verteidigen die USA zurzeit ihre bisherige Sonderstellung als Welt- und Weltordnungsmacht: Eine zweite Macht auf Augenhöhe dulden sie in ihrer Weltordnung, die sie schliesslich zu ihrem Nutzen eingerichtet haben, erklärtermassen schlicht nicht. Nebenbemerkung: Man kann hier erneut sehen, ein wie anspruchsvolles (um nicht zu sagen „aggressives“) Ziel „Verteidigung“ ist… Die Mittel, die sie dafür einsetzen, reichen von ökonomischen bis zu politisch-militärischen. Sie greifen zentrale Momente an, aus denen diesen Staaten ihre Macht beziehen: den chinesischen Warenhandel, den russischen Rohstoffexport, die deutsch-russischen Energie- und sonstigen Geschäfte – und sie zögern nicht, dafür wesentliche Momente ihres „freien Welthandels“ zu instrumentalisieren oder ausser Kraft zu setzen (aggressive Schutzzollpolitik, Kampf gegen wichtige ausländische Unternehmen wie VW und Huawei). Sie bedrohen Russland und China mit ihren Allianzen (Nato, Aukus) und sie versuchen, sich das deutsche Europa dauerhaft unterzuordnen bzw. es durch die neuen Nato- und EU-Staaten Osteuropas zu spalten. Kein Wunder, dass sie dabei auf Widerstand treffen – auch ihre Konkurrenten „verteidigen“ sich dabei selbstverständlich nur: ihre besonderen ökonomischen Interessen wie ihren Willen zum Aufstieg nämlich.

Nicht nur Russland will den Ukraine-Krieg

Russland wehrt sich mit dem Krieg in der Ukraine, der übrigens ebenso völkerrechtswidrig ist wie der Nato-Krieg in Jugoslawien, der Afghanistan- und der Irak-Krieg, gegen eine weitere Ost-Ausdehnung der Nato. Putin hatte zuvor in unzähligen diplomatischen Initiativen Respekt für die russischen Sicherheitsinteressen verlangt, die ein weiteres Heranrücken westlicher Armeen und Raketenbasen und ein Infragestellung der russischen Schwarzmeer-Flotte nicht erlauben – ein Verlangen, dessen Berechtigung von einigen westlichen Militärs durchaus begriffen wird, wie die Stellungnahmen von Harald Kujat, Erich Vad und Jacques Baud belegen. Nachdem die westlichen Staaten darauf nicht eingegangen sind und eine Nato-Mitgliedschaft der seit 2014 massiv mit westlichen Waffen aufgerüsteten Ukraine kurz bevorstand, hat Putin den laufenden Krieg begonnen – als „militärische Spezialoperation“, d.h. mit angekündigt begrenzter Reichweite und Dauer. Heute besteht das unmittelbare russische Kriegsziel wohl in der Sicherung der Donbass-Republiken sowie der Krim und der dort stationierten Schwarzmeer-Flotte.

Wenn Russland sich damit durchsetzen könnte, wäre das allerdings – auf einer höheren Ebene – gleichzeitig ein Durchbrechen des Weltgewaltmonopols, wie es die USA für sich in Anspruch nehmen: Nur sie dürfen ungestraft Krieg führen auf der Welt und nur sie erlauben anderen Staaten, so etwas ungestraft zu tun. Nur sie dürfen Grenzen verschieben, Separatisten ins Recht setzen oder verbieten.

Insofern stellt dieser Krieg in der Tat einen Anschlag auf die geltende unipolare Weltordnung dar – ein Grund dafür, dass ihn viele Länder insbesondere aus dem globalen Süden keineswegs verurteilen und sich auch nicht an den geforderten Wirtschaftssanktionen beteiligen, die ihre miserable Lage in der Weltmarktkonkurrenz noch weiter verschlechtern würden.

Die USA nutzen diesen Krieg gleich mehrfach. Sie schädigen Russland durch einen Stellvertreterkrieg auf dem Territorium der Ukraine und „bis zum letzten Ukrainer“ militärisch massiv. Durch den parallel geführten (und ebenfalls völkerrechtswidrigen) Wirtschaftskrieg versuchen sie, die ökonomischen Grundlagen Russlands zu attackieren – den Handel mit Öl, Gas und Waffen.

Sie schlagen ihrem guten „Freund und Alliierten“ Deutschland seine bislang vorteilhafte Energie-Versorgung mittels russischem Öl und Gas aus der Hand, schrecken dabei auch vor staatsterroristischen Akten nicht zurück und verderben ihm – aus ihrer Sicht möglichst dauerhaft – sein Russland-Geschäft sowie seine (zeitweise) guten diplomatischen Beziehungen zu Moskau, die ihm auch eine gewisse Distanz zur verlangten Unterordnung unter die US-Politik erlaubt haben. Sie stellen ihren Hauptrivalen China vor die Gretchenfrage, ob es dem neuen „Paria“ der Weltordnung weiter die Stange halten will und dafür erneut ökonomische Boykott-Massnahmen riskiert. Das in den letzten Jahren zustande gekommene Bündnis zwischen China, dem wichtigsten ökonomischen Rivalen, und Russland, dem wichtigsten militärischen, war nämlich aus US-Sicht untragbar – ebenso übrigens, wie es ein „eurasischer Wirtschaftsraum“ gewesen wäre, in dem die EU und Russland friedlich-produktive Beziehungen entwickelt hätten.

Die einzige Einschränkung dieser Kriegspolitik, die zurzeit scheinbar ohne jede Furcht vor einer nuklearen Eskalation eine „rote Linie“ nach der anderen überschreitet, stellt bei US-Militärs und -Medien die Frage dar, ob die an und für sich nützliche Schädigung Russlands nicht zu viele Mittel bindet. Eigentlich werden die ja für Wichtigeres gebraucht und China soll nicht schon wieder Nutzniesser einer weiteren Krise sein.

Grossbritannien nimmt den Ukraine-Krieg als Chance, sich durch seine forsche militärische Unterstützung der Kiewer Regierung (die auch die Verhinderung eines „zu frühen“ Friedensschlusses mit den Russen durch Boris Johnson einschloss) als die wirkliche europäische Führungsmacht jenseits der EU in Szene zu setzen – so etwa nach dem Motto: Ein potentes Militär hat das alte Empire immer noch und kann durch diese Machtentfaltung das „deutsche Europa“, mit dem London seit dem Brexit in einer neuen Konkurrenz steht, möglicherweise im seinem Sinne neu ordnen. Kein Wunder, dass dabei erneut die alten Bündnislinien (mit Polen gegen Deutschland) zum Zug kommen.

Die aufstrebende Grossmacht EU und ihre deutsche Führungsmacht wollen nicht hinnehmen, dass Russland sich seiner weiteren Einkreisung entgegenstellt und sich herausnimmt, dafür Gewaltmittel einzusetzen. Das ist der Kern von Baerbocks Behauptung, man sei in einer „neuen Welt“ aufgewacht, in der wieder Krieg in Europa geführt werde. „Krieg in Europa“ gab es selbstverständlich auch schon vorher wieder – ob in Nordirland oder Jugoslawien, nur wurde er da von den „richtigen“ Mächten geführt. Russland dagegen soll das nicht erlaubt sein; ihm steht das Recht auf Kriegführen auf diesem Kontinent nicht zu. Deshalb „muss“ das Land in seine Schranken gewiesen werden.

Insofern will die EU, will Deutschland diesen Krieg – als erfolgreiche Verteidigung der Ukraine gegen Russland, an deren Ende ein russisches Staatswesen stehen soll, das nicht mehr in der Lage ist, Krieg zu führen und das dann idealiter in seine Einzelteile zerfällt. Zugleich ist das ein – weiterer – Versuch der EU wie Deutschlands, sich im Rahmen der Kriegsbeteiligung zu profilieren und von den USA zu emanzipieren.

Gleichzeitig wird innerhalb der EU die sowieso schon immer vorhandene Konkurrenz darum, wer in ihr das Sagen hat, an einem neuen Gegenstand ausgetragen: Wer macht Russland am entschiedensten, forschesten und rücksichtslosesten fertig? lautet der neue innereuropäische Wettbewerb. (Nebenbemerkung: Es ist doch aufschlussreich, was eine „Führungsmacht“ in der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten EU ausmacht!)

Das hat Folgen. Wie schon gesagt, schaden die Wirtschaftssanktionen Deutschland am meisten, weil es die profitabelsten Beziehungen zu Russland unterhielt (s.o.). Es musste im Zuge der westlichen Wirtschaftssanktionen den Zugriff auf die günstigen russischen Energielieferungen ebenso aufgeben wie einen Grossteil seines Russland-Geschäfts. Dass es sich die Sprengung der Nordstream-Pipeline durch seine Verbündeten bieten lassen muss, sorgt sicher nicht nur in Washington für Freude, sondern auch bei den EU-Partnern, vor allem in Warschau, das diese Pipeline immer aufs Schärfste bekämpft hatte. Militärisch liefert Deutschland massiv – und gleichzeitig steht die deutsche Regierung angesichts der stetigen Forderungen der osteuropäischen Staaten als ewiger „Zauderer“ da, der an „Führungskraft“ verliert. Aktuell versucht die deutsche Politik zwar, diesen Eindruck wieder umzudrehen angesichts dessen, dass nach dem vorherigen lauten Getöse inzwischen nur noch Deutschland Panzer zu liefern scheint. Es scheint allerdings fraglich, was damit aus der deutschen Kalkulation, sich keineswegs auf „gefährliche Alleingänge“ einzulassen, geworden ist.

Polen jedenfalls sieht sich, wie die Tagesschau bestürzt feststellt, inzwischen als das neue „Gravitationszentrum“ Europas, das gemeinsam mit den Balten die Eskalation gegen Russland vorantreibt. Und selbstverständlich ist sich auch Frankreich wieder schuldig, als stärkste Militärmacht der EU aufzutreten, an die eigene atomare Streitmacht zu erinnern und Selensky mit französischem Militärgerät zu beliefern…

Nicht zuletzt will die Ukraine selbst diesen Krieg. Zwar wird von diesem Land und seinen Bewohnern vermutlich nicht viel übrig bleiben, wenn es so weitergeht. Das hindert seine politische Führung allerdings überhaupt nicht, immer weitere „schwere Waffen“ zu fordern und Verhandlungen vor einem „Siegfrieden“ auszuschliessen, der, Stand heute, auch die Rückeroberung der Krim beinhalten soll (womit Russlands Schwarzmeerflotte und sein Zugang zum Mittelmeer attackiert wird).

Dieses Land führt hier eine Art verspäteten Staatsgründungskrieg gegen Russland – und dafür ist offenbar kein Opfer zu hoch. Das Leben der eigenen Bevölkerung ist jedenfalls nicht der Massstab, an dem Selensky seine Kriegsstrategie ausrichtet – und das russischer Soldaten und Bürger sowieso nicht, denn Russen hat „unser Held“ in Kiew längst zu einer Art von Untermenschen erklärt. Natürlich ist damit auch ein hartes Ausgrenzungs- oder Unterordnungsprogramm gegenüber den 30 Prozent ethnischer Russen in der ukrainischen Bevölkerung auf der Tagesordnung. Russische Sprache, russische Literatur und Musik wurden im letzten Jahr als kulturelle Waffen des Feindes ebenso verboten wie elf Oppositionsparteien (die Kommunistische Partei hatte es schon 2015 erwischt). Die Medien sind gleichgeschaltet; viele Kritiker der Regierung und des Maidan-Putsches von 2014 verhaftet. Dass fast die Hälfte der Bevölkerung die „ukrainische Heimat“ inzwischen verlassen hat, stört nicht, auch wenn nach der inzwischen siebten Mobilisierung (Männer bis 60 Jahre) das menschliche Material knapp wird. Denn die Mittel für diesen Krieg bezieht das ukrainische Militär aus der westlichen Waffenhilfe. Die eigene Bevölkerung und die eigene Wirtschaft sind als Basis der staatlichen Ansprüche wesentlich weniger ertragreich. Also muss sich die Ukraine mit ihrem Krieg vor allem weiterhin für die westlichen Staaten interessant machen: So viel Milliarden Dollar und so viel weltweite Aufmerksamkeit würde sie ohne den Gegner Russland jedenfalls nie bekommen.

Fazit

Der jetzt seit einem Jahr laufende Krieg in der Ukraine ist kein singulärer russischer Verstoss gegen das Völkerrecht, wie er von Seiten westlicher Regierungen und der Mainstream-Medien behauptet wird. Völkerrechtsverstösse dieser Art haben „westliche Staaten“ und ihre Verbündeten in den letzten dreissig Jahren in grosser Zahl begangen. Er ist auch kein Anschlag auf ein Prinzip namens Weltfrieden, das angeblich allen Staaten dieser Welt am Herzen liegt. Und er ist, wenn es noch zur Eskalation oder gar zum Nuklearkrieg kommt, auch kein tragischer Prozess, in den die Beteiligten wieder einmal „schlafgewandelt“ sind.

Nein, die Gründe für diesen Krieg, die beteiligten Staaten und die Strategien ihrer Regierungen liegen in der von den USA nach dem 2. Weltkrieg durchgesetzten „regelbasierten Weltordnung“ selbst.

Die Regel dieser Ordnung besteht darin, dass auf der ganzen Welt freier Handel und Kapitalverkehr zwischen souveränen Staaten stattfindet. Diese Konkurrenz um den Nutzen aus dem weltweit stattfindenden Geschäft enthält in sich notwendig die harten Gegensätze, die sämtliche Staaten dazu veranlassen, ihre ökonomische Konkurrenz bereits im Frieden (!) durch eine geostrategische zu ergänzen und dafür prophylaktisch nach Kräften aufzurüsten.

Im laufenden Krieg kämpfen Russland, die USA, Grossbritannien, das deutsche Europa mit all seinen inneren Widersprüchen und die Ukraine selbst um ihre Stellung in der internationalen Konkurrenz der Staaten – so etwas geht letzten Endes nicht anders als mit Krieg.

Dafür sterben die ukrainischen Soldaten, die russischen Soldaten und die betroffenen Zivilisten in der Ukraine. Und dafür werden die Menschen in allen beteiligten Kriegsparteien in Haftung genommen.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquellen          :

Oben        —   Erklärung des Kriegszustandes des Deutschen Kaiserreiches am 31 Juli 1914, der Beginn des Ersten Weltkrieges. Unterzeichnet von Kaiser Wilhelm II. im Neuen Palais in Potsdam. Gegengezeichnet vom Reichkanzler Bethmann-Hollweg.

Emblem of the Ministry of Defence of Ukraine.svg
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Unten        —      Авдеевка после обстрелов. Фото: ФБ Вячеслав Аброськин

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Krieg und Frieden im Land

Erstellt von Redaktion am 26. Februar 2023

„Alles ein bisschen schizo“

Von Josef-Otto Freudenreich

Es gibt Menschen, die nicht an Panzer als Friedensbringer glauben. Sie finden sich auf der Ostalb und in einem kleinen Ort bei Tübingen, in der SPD und sogar bei den Grünen.

Ein Oberstleutnant aus Hamburg spricht auf einer Friedensmatinee in Aalen, zu der Leni Breymaier, eine linke Sozialdemokratin, Markenzeichen rote Brille, in die Räume der IG Metall einlädt. Eine gewagte Kombination, weil, was soll ein Soldat sagen, über dessen Kasernentor stand: Si vis pacem para bellum. Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.

Falko Droßmann, 49, Drei-Tage-Bart, sauber gezogener Scheitel, sagt: „Schauen Sie sich doch mal die Sponsorenliste der Münchner Sicherheitskonferenz an.“ Anfänglich hieß sie „internationale Wehrkunde-Begegnung“, womit ihr Zweck klarer definiert war. Und tatsächlich, dort trifft sich die Creme der Rüstungsindustrie: Lockheed Martin, Airbus, Rheinmetall aus dem Wahlkreis von Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Krauss-Maffei, Hensoldt, dazu noch Datensammler wie Google und Palantir, aber auch Goldman Sachs und die EnBW. Alles Profiteure eines langen Krieges, betont der Offizier. Die Spannung im Saal steigt.

Kurzer Ortswechsel. Am selben Tag verkündet in München Ursula von der Leyen, CDU, die Präsidentin der EU-Kommission, sie dächten daran, der Rüstungsindustrie subventionsmäßig unter die Arme zu greifen. Ähnlich wie der Pharmaindustrie zu Coronazeiten, als die Impfstoffe knapp waren. Dem Militär mangelt es derzeit an Munition, weniger an Geld. Laut Friedensforschungsinstitut Sipri sind die Rüstungsausgaben 2022 auf einem Rekordhoch angekommen: Spitzenreiter sind die USA mit 801 Milliarden Dollar, gefolgt von China mit 293 Milliarden, auf Platz fünf rangiert Russland mit 66 Milliarden Dollar, Rang sieben belegt Deutschland mit 52 Milliarden Euro.

Ein Offizier warnt vor der „Banalisierung“ des Kriegs

In Aalen überrascht der Gast aus Hamburg das Publikum mit der Bemerkung, es werde nicht glauben, „wie viele Unternehmer schon bei mir angeklopft haben“. Wegen künftiger Bauaufträge in der Ukraine.

Um das zu verstehen, muss man wissen, dass der Oberstleutnant seinen Beruf gewechselt hat. Er ist heute Politiker und sitzt seit 2021 für die SPD im Bundestag, dort im Verteidigungsausschuss. Und dennoch: Hier rührt keiner die Kriegstrommel, wie so viele in Medien und Politik, hier warnt einer vor der „Banalisierung“ des Krieges, vor einem leichtfertigen Umgang mit dessen Rhetorik, die Panzern Tiernamen gibt, den Tatbestand verschleiernd, dass sie Tötungsmaschinen sind. Der Oberstleutnant hat viele Auslandseinsätze hinter sich und wünschte sich, dass alle, die nach mehr Waffen riefen, einmal schauten, was sie anrichten. Außenministerin Annalena Baerbock, Grüne, gilt dabei sein besonderes Augenmerk.

Diese Überbietungsspirale, befeuert durch eine publizistische Begleitung, die Bellizisten für klug und Pazifisten für dumm hält, sei „schwer auszuhalten“, sagt Droßmann und verweist auf einen, der sich dieser Dichotomie zu entziehen versuche: Olaf Scholz. Der Kanzler sei noch der einzige, der mit Putin telefoniere, vielleicht noch Frankreichs Präsident Macron, betont er, auch im Hinblick auf die Zukunft. Deutschland müsse der „Motor einer Zusammenarbeit“ mit Russland sein – nach dem Krieg. Das hat die SPD einst Entspannungspolitik genannt.

Im Krieg geboren, im Krieg sterben? Nein!

Droßmann trifft den Nerv seines Publikums. Es will verhandeln, einen Waffenstillstand, den Krieg stoppen. Helmut Schmidt wird zitiert: „Lieber 100 Stunden verhandeln, als eine Sekunde schießen.“ Wie das heute geht, wer mit wem, zu welchem Preis, das weiß auch auf der Ostalb niemand genau, zumindest nicht hier unterm Dach der IG Metall, die den Frieden in ihrer Satzung hat, aber auch genau auf die Arbeitsplätze in den Waffenschmieden schaut. Die einstige Losung „Schwerter zu Pflugscharen“ hat es nicht zur Produktionsreife gebracht.

Der Älteste im Saal drückt aus, worum es letztlich geht. „Ich bin im Krieg geboren und will im Krieg nicht sterben“, sagt Alfred Geisel, und je länger er redet, um so eindringlicher wird seine Stimme. Er habe die Bombennächte im Zweiten Weltkrieg durchlitten, erzählt der 91-Jährige, erlebe heute, was er nicht für möglich gehalten habe, diesen „irrsinnigen Krieg“ in der Ukraine, der ihm wieder schlaflose Nächte bereite, und man rede nicht mehr über Diplomatie, nur noch über Panzer. Dieser „Wahnsinn“ müsse beendet werden, und zwar sofort. Was ist überzeugender? Sein persönliches Erleben oder die Analysen der Sofa-Strategen, die Putin zu Verhandlungen bomben wollen?

Brandt with Richard Nixon, 1971

Geisel war viele Jahre eine wichtige Figur in der Landespolitik. (Seine Tochter Sofie übrigens OB-Kandidatin in Tübingen anno 2022 gegen Boris Palmer.) Von 1972 bis 1996 saß er als SPD-Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag, 16 Jahre davon als Vizepräsident. Es war auch die Zeit der sozialliberalen Koalition und der Neuen Ostpolitik, die sich einen Wandel durch Annäherung auf die Fahnen geschrieben hatte, erkennend, dass Alles oder Nichts keine Option mehr war.

In Ellwangen war Willy Brandt ein Verräter

Auf der stockkonservativen Ostalb hat der Erkenntnisprozess länger gedauert. Im Juni 1973 stand Geisel vor dem Ellwanger Bahnhof, zusammen mit Willy Brandt, der das Kinderdorf „Marienpflege“ besuchen wollte. Statt einer Abordnung örtlicher Honoratioren und des Blasmusikvereins empfing sie ein Trupp junger Unionisten („Brandt an die Wand“), die den Kanzler als vaterlandslosen Gesellen und Verräter beschimpfte. Seitdem weiß Geisel, wie schwierig die Sache mit der Vernunft ist. (Ein weiteres Beispiel ist Stuttgart 21. Wegen des brutalen Wasserwerfereinsatzes am Schwarzen Donnerstag hat er 2010 seine Verdienstmedaille an der Pforte des Staatsministeriums von Stefan Mappus abgegeben.)

Quelle          :    KONTEXT: Wochenzeitung-online        >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —     Ein Portrait von Leni Breymaier. Sie sitzt mit rotem Oberteil und roter Brille auf einer Bank.

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2.) von Oben     —       

Brandt with Richard Nixon, 1971

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Vom Trio der Kriegslügen

Erstellt von Redaktion am 26. Februar 2023

Verordnete Amnesie in Sachen neue Weltkriegslage

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Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Johannes Schillo

Die Kriegsmoral beherrscht das Feld – auch wenn es beim Patriotismus der deutschen Führungsnation kleinere Irritationen gibt.

Mit dem 24. Februar 2022, dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, soll sich die Welt komplett verändert haben. Ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg soll eine ganz neue außenpolitische Lage geschaffen, ein brutaler Akt – eine Ausgeburt Putin’scher Bösartigkeit – aus heiterem Himmel die europäische Friedensordnung zerstört haben. Die deutsche Außenministerin teilte mit, dass sie an diesem Tag „in einer anderen Welt aufgewacht“ sei (tagesschau.de, 24.2.22). Auch aus der Opposition, von CSU-Weber, hieß es: „Es ist eine neue Welt, in der wir leben“ (bild.de, 24.2.22).

Der außenpolitische CDU-Experte Röttgen legte ein paar Wochen nach Kriegsbeginn unter dem Titel „Nie wieder hilflos!“ gleich sein „außen- und sicherheitspolitisches Manifest“ vor, das eingangs feststellte: „Das vor Kurzem Unvorstellbare ist geschehen: Der Krieg ist zurückgekehrt nach Europa.“ Natürlich ist dem Mann bewusst, dass es vorher schon „kriegerische Akte“ gegeben hat, auch in Europa. Aber das ändert für ihn nichts daran, dass jetzt der Grund für die „Zeitenwende“ gelegt wurde, die Kanzler Scholz wenige Tage nach Kriegsbeginn ausrief – einem Sachzwang folgend, der dem angeblich „völlig überraschten“ und „hilflosen“ Deutschland keine andere Wahl ließ.

Das Trio der Kriegslügen

Dass Kriege kein Novum für Europa sind, dass völkerrechtswidrige Kriege auch unter Führung der USA und Beteiligung von NATO-Staaten, inklusive Deutschland, stattfanden, wird dabei definitiv ausgeblendet. Und die ganze Vorgeschichte des Ukrainekriegs, zu der nicht nur die massive Aufrüstung des Westens, sondern auch ein rund achtjähriger Krieg der Kiewer Zentrale gegen abtrünnige Volksteile im Osten des Landes gehörte, darf nicht zur Sprache kommen.

Die drei zentrale Lügen – die Rückkehr des Krieges, der absolute Unrechtscharakter des Völkerrechtsverstoßes und die unmotivierte bzw. unprovozierte russische Invasion – haben dabei den Charakter einer offen angesagten Amnesie, die regelrecht gegen kritische Nachfragen und Bedenken in Stellung gebracht wird. Und die von den Medien in erstaunlicher Einmütigkeit geteilt, ja zu einem Auftrag gemacht wird, auf die so banalen wie naheliegenden skeptischen Nachfragen Acht zu geben und dabei staatstreu gegen abweichende Meinungen vorzugehen (vgl. „Was heutzutage wissenschaftlich untragbar ist“ https://overton-magazin.de/top-story/was-heutzutage-wissenschaftlich-untragbar-ist/). Die Medien können also nicht nur lügen, wie Renate Dillmann in ihrer Analyse der „Leo-Kampagne“ (https://overton-magazin.de/top-story/medien-kampagne-fuer-leos/) jüngst festhielt, sondern regelrecht als Aktivisten einer Kriegspropaganda auftreten, die den Druck einer Vierten Gewalt ins Spiel bringt und in gewisser Weise Politik macht. Merke: „Medien sind mächtiger als Bomben“ (https://www.telepolis.de/features/Wie-Krieg-in-der-Ukraine-alles-vergiftet-insbesondere-die-Wahrheit-7314062.html).

Aber die Unwahrheit zu verbreiten, bleibt in Kriegszeiten – wo bekanntlich die Wahrheit das erste Opfer der militärischen Handlungen darstellt – ihre vornehmste Aufgabe. Daher hier im Folgenden eine kurze Überprüfung der gängigen Kriegspropaganda des Westens, d.h. keine Analyse der Kriegsgründe, sondern ein Aufweis der Leichtigkeit, mit der die Volksverdummung Anno Domini 2022 neue Maßstäbe gesetzt hat.

1. Die Rückkehr des Krieges

Die Klage, dass der Krieg nach Europa zurückgekehrt sei, ist von einer derart dreisten Verlogenheit, dass selbst eifernde Aufrüstungspropagandisten wie Röttgen, sozusagen im Kleingedruckten, zugeben müssen, dass man sich, wenn man wollte, natürlich an einschlägige Militäraktionen in „unserer“ Welt erinnern könnte. Im Blick auf einen Aktivisten der ukrainische Kriegsbereitschaft wäre hier etwa die Rolle Großbritanniens im Nordirland-Konflikt zu erwähnen. Seit 100 Jahren und und in der Folge auch seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat die britische Armee in ihrer ehemaligen Kolonie Irland Unabängigkeitsbestrebungen brutal bekämpft, zahlreiche „Kollateralschäden“ an der Bevölkerung verursacht und Kriegsverbrechen begangen, die teilweise bis in die Gegenwart hinein einer Aufarbeitung harren. „Der Umgang mit mutmaßlichen Verbrechen durch britische Militärangehörige ist eines der heikelsten Themen des nordirischen Friedensprozesses“, schrieb vor gar nicht langer Zeit der Spiegel (spiegel.de, 11.5.21), als weitere Details zu Massakern an der Bevölkerung vor 50 Jahren – neben dem berüchtigten „Bloody Sunday“ in Derry – bekannt wurden. (Man stelle sich nur einmal vor, Putins Kriegsverbrechen würden auch erst ein halbes Jahrhundert später vor Gericht gebracht…)

Sachlich näher liegend ist natürlich der Kosovokrieg von 1999, an dem sich Deutschland beteiligte, nachdem es den Separatismus im jugoslawischen Gesamtstaat – gerade auch durch ein Vorpreschen gegenüber den (zeitweise verstimmten) europäischen Verbündeten – jahrelang befeuert und durch einen ersten Militäreinsatz in Bosnien seine Rolle als Aufsichtsmacht zur Neuordnung des Kontinents bekräftigt hatte (vgl. „Krieg in Europa“ – Ein Déjà-vu! https://www.telepolis.de/features/Krieg-in-Europa-und-ein-Deja-vu-7449344.html). Durch den Wegfall des Ostblocks hatten sich sich hier ja neue Eingriffsmöglichkeiten eröffnet, die mit diplomatischen, im Notfall aber auch militärischen Mitteln zum Erfolg geführt werden sollten. Diese von Deutscheuropa aus vorgenommene Neuordnung von Grenzen, Einflusszonen und Statuszuweisungen bildete ja auch den Ausgangspunkt für den Konflikt, den die Welt derzeit in der Ukraine erlebt. Adressiert (und mit massiver Aufrüstung wie NATO-Erweiterung fundamentiert) war dies an den postsowjetischen Staat, dem seine Zurückstufung zur „Regionalmacht“ (Obama) vorbuchstabiert werden sollte.

2. Der unverzeihliche Verstoß gegen das Völkerrecht

Wer den „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ Russlands als das absolut geltende Kriterium zur Verurteilung dieser Kriegspartei nimmt, hat wohl auch „den NATO-Krieg gegen Jugoslawien vergessen“, schreibt Georg Auernheimer. In seiner kürzlich erschienenen instruktiven Übersicht zur Genese des Ukrainekonflikts („Wie Russlands Nachbar zum Kriegsschauplatz wurde“, Verlag Hintergrund, 2023) fährt er im Blick auf Jugoslawien fort: „Damals haben 1000 Flugzeuge, darunter deutsche, zweieinhalb Monate lang Städte und Industrieanlagen bombardiert und nicht nur Infrastruktureinrichtungen, sondern auch Kulturinstitutionen und Wohneinheiten zerstört oder beschädigt“ – ein Angriff, der „völkerrechtswidrig“ war, „ebenso wie 2003 der zweite Krieg gegen den Irak, den die USA gemeinsam mit Großbritannien durchführten“.

Zu erwähnen ist in dem Zusammenhang auch, dass bei der Zerlegung Jugoslawiens, wie der Journalist Norbert Mappes-Niediek in seiner neuen, groß angelegten Studie „Krieg in Europa“ (Rowohlt Berlin, 2022) vermerkt, der damalige demokratische Senator Joe Biden Kriegstreiber an vorderster Front war. Biden forderte rasches, rücksichtsloses Zuschlagen: „Wenn ich Präsident wäre, würde ich Miloševi? einfach bombardieren… Die NATO-Verbündeten würde ich mitmachen lassen“. Von US-Seite hieß es übrigens, für eine Intervention sei ein Beschluss des UN-Sicherheitsrates „wünschenswert, aber nicht nötig“. Für Außenministerin Albright war die Zustimmung der UN aber noch nicht einmal wünschenswert, sie schrieb später in ihren Memoiren: „Wäre eine Resolution im Sicherheitsrat durchgegangen, so hätten wir einen Präzedenzfall geschaffen: nämlich dass die Nato für ihr Einschreiten die Zustimmung des Sicherheitsrates bräuchte“.

Im Fall des Irak sei hier nur noch – exemplarisch für die zahlreichen Völkerrechtsbrüche der USA – daran erinnert, dass er mit einer dreisten Lüge angekündigt wurde. Der damalige US-Außenminister Powell lieferte 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat eine Rede ab, die voller Falschinformationen über Iraks Massenvernichtungswaffen war und die man unschwer – siehe den damaligen Außenminister Fischer der BRD, die sich an dem Krieg nicht beteiligte – als schlichte Rechtfertigung eines Angriffskriegs durchschauen konnte. Später äußerte Powell, dass dies „der Schandfleck seiner Karriere“ war – „mit 300.000 toten Zivilisten in Irak“ (https://www.migazin.de/2023/02/05/der-us-schandfleck-wie-usa/?utm_source=mailpoet&utm_medium=email&utm_campaign=migletter-free_2042). So billig ist für eine Supermacht ein Bruch des Völkerrechts zu haben: bestenfalls ein paar warme Worte Jahre später…

3. Der unprovozierte „Zivilisationsbruch“

Dass der Krieg völlig überraschend über einen hilflosen Westen hereinbrach, ist genau so grotesk. Der Ukrainekrieg und seine Vorgeschichte (https://overton-magazin.de/krass-konkret/der-ukrainekrieg-und-seine-vorgeschichte/) sind ausführlich dokumentiert worden, man sehe sich etwa auf den Internetmagazinen Telepolis und Overton die Beiträge seit Anfang 2020 an, die vor dem herannahenden Krieg warnten und die die einzelnen Schritte der westlichen Kriegsvorbereitung – auch in mentaler und kultureller Hinsicht (so z.B. bei der „Massenunterhaltung für Vorkriegszeiten“ https://www.telepolis.de/features/Massenunterhaltung-fuer-Vorkriegszeiten-6303303.html) – zum Thema machten. Und das wurde seit Anfang 2022 fortgesetzt, sieh zuletzt etwa die Informationen darüber, „wie Washington die Kriegsgefahr im Zuge der Osterweiterung in Kauf nahm“ (https://www.telepolis.de/features/USA-wussten-dass-man-Russlands-rote-Linien-bei-Nato-Expansion-ueberschritt-7518151.html).

Der Außenpolitik-Experte Jörg Kronauer, Redakteur von german foreign policy, hat dazu im Frühjahr 2022 sein Buch „Der Aufmarsch – Vorgeschichte zum Krieg“ (Papyrossa Köln, 2022) vorgelegt, das redaktionell bereits vor Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine abgeschlossen wurde und das sich in den militärstrategischen Details als zuverlässig erwies (auch wenn der Autor noch seine Hoffnung auf eine Deeskalation setzte) .

Auernheimer hat das jetzt mit seiner Veröffentlichung darüber, wie Russlands Nachbar zum Kriegsschauplatz wurde, fortgesetzt. Der Autor bietet eine ausgezeichnete Übersicht über die Fakten, die in der politischen Öffentlichkeit regelrecht unterschlagen werden. Die Empörung über den russischen Angriffskrieg – die es in dieser Form bei den NATO-Völkerrechtsverstößen oder Angriffskriegen nie gegeben hat – sei leicht zu erzeugen gewesen, so der Autor, da die meisten Menschen im Westen „nichts von den Angriffen der Ukraine auf Städte und Dörfer seit 2014 wussten, nichts wissen konnten, weil die Medien darüber nie berichtet hatten. Der Anschluss der Krim an die Russische Föderation war zur Annexion erklärt worden, ohne dass jemals in Reportagen und Berichten die Interessenlage der dortigen Bevölkerung geprüft worden wäre“.

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Das Minsler Abkommen am 11. 02. 2015

Den geopolitischen und geschichtlichen Kontext des Konflikts, Details zu den gigantischen Aufrüstungsmaßnahmen des Westens trägt Auernheimer nach; er informiert über den Putsch des Euro-Maidan und die nachfolgenden „antiterroristischen“ Operationen, mit denen das Kiewer Regime im Grunde eine ethnische Säuberung des Landes, nämlich seine Befreiung vom russischen bzw. russischsprachigen Einfluss und ein völkisch strikt abgegrenztes Nation Building durchsetzen wollte. Dazu gibt es auch Rückblicke auf die verhängnisvolle nationalistische Tradition der ukrainischen Staatsgründungsaktivisten. Eine Tradition, die im Westen meistens verharmlost wird, da sich die einstmals starken neofaschistischen Kräfte in der Ukraine nicht mehr als eigene politische Kraft formieren, sondern in den Staats- und Militärapparat integriert wurden.

Die Leistung der patriotischen Moral

Dass bei den hiesigen Produzenten und Konsumenten der öffentlichen Meinung das Ignorieren solcher Sachverhalte – deren Aufdeckung wahrlich keiner großen analytischen Anstrengung bedarf – flächendeckend gegriffen hat, ist ein bemerkenswerter Akt der Volksverdummung. Analoge Vorgänge, das sei hier nur am Rande vermerkt, kann man natürlich auch in der Öffentlichkeit der Russischen Föderation beobachten, wo zudem staatliche Zensurmaßnahmen notwendig waren, um einen (anscheinend nicht ganz linientreuen) Medienbetrieb gleichzuschalten. In Deutschland haben die Redaktionen das freiwillig erledigt…

Diese erstaunliche Geistesleistung, banale Fakten auszuklammern und damit Rätsel über die bösartigen oder irrsinnigen Absichten des gegnerischen Kriegsherren zu verfertigen, sollte man aber nicht auf fehlende intellektuelle Kapazitäten zurückführen. Hier wird vielmehr eine Gesinnungswende praktiziert, die auf einem festen geistigen Fundament gründet und die eigentlich gar nicht viel an Wende und Umstellung mit sich bringt. Dazu abschließend nur einige Hinweise.

Wenn die deutsche Außenministerin Russland jetzt einen „Bruch der Zivilisation“ vorwirft und damit „unmittelbar an den Begriff ‚Zivilisationsbruch‘ (erinnert), der oft im Zusammenhang mit dem Holocaust verwendet wird“ (taz.de, 29.11.22), dann kassiert die grüne Politikerin den Ertrag einer moralischen Veranstaltung ein, die in der BRD gerade von grüner Seite besondere Unterstützung fand: die Vergangenheitsbewältigung in Sachen NS. Man bewältigte die Nazi-Herrschaft nämlich so, dass man gegen das absolute Böse der damaligen Staatsmacher die eigene Güte herausstellte. Indem man sich zur Singularität eines Menschheitsverbrechens bekannte, hatte man den singulären Charakter seiner nationalen Läuterung unter Beweis gestellt.

Dank diesem Moralismus, der die landläufige patriotische Moral bediente und veredelte (teils auch provozierte), kann Deutschland mittlerweile mit imperialer Selbstgerechtigkeit auftrumpfen. Die Nation, die einst mit der Zivilisation brach, hat – weil sie den Fehler ihres damaligen imperialistischen Alleingangs eingesehen hat – alles Recht der Welt, andere Nationen an den Pranger zu stellen. Kurz gesagt, wie es im Overton-Magazin knapp zwei Wochen vor Kriegsbeginn hieß, Deutschland bleibt sich treu und der neue Feind der alte: Russland! (https://overton-magazin.de/krass-konkret/deutschland-bleibt-sich-treu-und-der-neue-feind-der-alte-russland/)

Alternative Optionen des Patriotismus

Es erscheint dabei wie eine Absurdität, dass gerade die grünen Friedensfreunde, die in ihrer Aufstiegsphase noch Hunderttausende zum Protest gegen die NATO-Nachrüstung mobilisierten – damit der Frontstaat BRD nicht zum atomaren Schlachtfeld mutiere –, heute wieder Panzer Richtung Russland losschicken und munter, wie in einem „Kriegsrausch“ (so der neueste Vorwurf von CSU-Söder), eskalieren, während die AfD (https://www.facebook.com/TinoAfD/posts/2967297553578498) der in Stalingrad gefallenen Soldaten gedenkt und Chrupalla dem russischen Botschafter die Hand reicht. Ja, der AfD-Chef unterschreibt sogar den Friedensappell von Schwarzer und Wagenknecht. So hat der Nationalismus der ehemaligen Friedensbewegung, der das Vaterland vor Krieg schützen wollte, heute seine Heimat bei den Rechten, die nach dem nationalen Ertrag der ganzen Eskalation fragen. Deutsche Interessen müssen für sie eben ganz „unbefangen und tabulos auch für die Außenpolitik“ an erster Stelle stehen (https://www.telepolis.de/features/Zweierlei-Nato-Kritik-Dieser-Unterschied-ist-fundamental-7519258.html).

Dass das ein „linker Protest von rechts“ (https://www.telepolis.de/features/Linker-Protest-von-rechts-7318135.html) sein soll, ist natürlich lachhaft. Die AfD ist stramm national, sie hat ja ihren Aufstieg mit einer politischen Dummheit betrieben, nämlich mit der Anklage, die von den demokratischen Gutmenschen betriebene NS-Vergangenheitsbewältigung sei ein „Schuldkult“ (Höcke u.a.), der Deutschland klein mache. Das kann jetzt jedermann als Unsinn erkennen. Mit solchen – geschichtspolitisch genau austarierten – Bekenntnissen trumpft eine Nation diplomatisch auf, weil sie Großes vorhat. Das ist der Anspruch, aus politischer Klugheit muss sie dann aber das imperialistische Kräfteverhältnis in Rechnung stellen. Die offizielle deutsche Linie beugt sich der Einsicht: Die BRD ist unter US-Ägide zur Wirtschafts- und politischen Macht aufgestiegen und wird diesen Erfolgsweg fortsetzen, um zur „Führungsmacht“ (Scholz), zur Zentralmacht“ (Klingbeil), aufzusteigen.

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Das alles geschieht also nicht zum Zweck der Unterordnung, sondern dazu, groß zu werden, es z.B. so weit zu bringen, dass niemals mehr ein Ausländer es wagt, „einen Deutschen scheel anzusehen“, wie es beim damaligen imperialistischen Aufbruch unter Kaiser Wilhelm hieß. Und auf die preußische Tradition und das nationale Selbstbewusstsein der wilhelminischen Ära ist ja die AfD, die Bismarck verehrt und sich als deutsche Soldatenpartei versteht sowie für konsequente Aufrüstung votiert, besonders stolz. Sie sieht die globalen Herausforderungen genau so wie etwa ein SPD-Außenminister Gabriel, der vor sechs Jahren auf der Münchner Sicherheitskonferenz (https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9168) gegen den Trump-Kurs festhielt, „Amerika“ könne „nicht die Führungsmacht bleiben“; die EU habe Anspruch auf „eine Partnerschaft auf Augenhöhe“. („Auf Augenhöhe“ heißt übrigens: Man blickt sich gerade in die Augen, nicht von oben herab, also „scheel“, was der Kaiser damals gar nicht leiden konnte – so bleibt sich sogar die imperialistische Rhetorik in Deutschland seit hundert Jahren treu.)

Die Dummheit der AfD hat natürlich nichts mit intellektuellen Defiziten zu tun. Der Partei fallen ja – gegen die verordnete Amnesie – seit dem 24.2.2022 durchaus Verlogenheiten der offiziellen Regierungslinie auf und Parteichefin Weidel hat sogar den Mut, gegen die „Zeitenwende“-Hysterie lautstark an die „Mitverantwortung des Westens für den Angriff Russlands“ zu erinnern. Daraus folgt dann aber wieder die leicht größenwahnsinnige Vorstellung von einer deutschen Aufsichtsrolle, wie sie mit Bismarcks Phrase vom „ehrlichen Makler“ berühmt wurde. Die AfD-Politikerin warnte in der Bundestagsrede am 27.2.2022, man dürfe sich „nicht unreflektiert in einen Krieg hineinziehen lassen… Deutschland kann und sollte hier eine wichtige Rolle als ehrlicher Makler spielen“.

Die AfD ist schlicht und ergreifend eine national bornierte Mannschaft – und dabei im grundsätzlichen Standpunkt mit dem demokratischen Spektrum in Übereinstimmung. Die alternative Rechtspartei teilt auch den Moralismus, wie er derzeit von der Ampelregierung in Anspruch genommen wird. Sie wendet sich nur gegen die spezielle militärische Variante, die den nationalen Erfolg in der Einreihung ins imperialistische Kollektiv unter US-Führung sucht und dabei der Überzeugung folgt, man habe im ukrainischen Staat einen willfährigen Stellvertreter gefunden, der Land und Leute opfert, damit „wir“ zu neuer Größe aufsteigen.

Die Ampel-Männer und Frauen stehen dagegen auf dem Standpunkt eines klug gewordenen Deutschlands, das zweimal, 1914 und 1939, mit seinem „Griff nach der Weltmacht“ scheiterte, weil es gegen den Rest der Welt antrat. Die AfD sieht das nicht so eng. Sie ist aber auch nicht einfach für einen Alleingang. Sie könnte sich den neuen Aufstieg zur Weltmachtrolle eher als Zähmung des russischen Bären vorstellen, mit neuen bündnispolitischen Optionen auf dem Kontinent etc. – und hat in dem Fall sogar eine gewisse militärstrategische Expertise auf ihrer Seite. Es gibt ja pensionierte Generäle, die davor warnen, den Iwan zu unterschätzen und die weltweite Geschlossenheit der eigenen Front zu überschätzen. Der Sache nach geht es hier also um einen Streit zwischen demokratischer Mitte und rechtem Rand darüber, wie man Weltkriege besser führt. Wer da der Dümmere oder Klügere ist – das möchte man gar nicht wissen…

Zuerst bei Overton bzw. Telepolis erschienen.

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Oben       —        Charleroi (Belgique) – Station Janson du métro légerLes Psy.

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Unten        —    „God Bless the USA“ („Gott segne die USA“) – patriotisches Bekenntnis in den Vereinigten Staaten von Amerika

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Magnets on automobiles became a popular way to display patriotism in the USA around the time of the 2004 presidential election.

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KOLUMNE-Fernsicht-China

Erstellt von Redaktion am 25. Februar 2023

Nicht nur 99 Luftballons am Horizont

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Kolumne Fernsicht von  :  Shi Ming

Wer heute das alte Lied „99 Luftballons“ noch einmal spielt oder hört, dürfte einen leisen Anachronismus spüren: Wurden da nicht „General“ und „Kriegsminister“ verhöhnt, weil es ja nur „99 Luftballons“ sind, die da schweben am Horizont?

So viele sind es heute nicht. Bisher entdeckt und abgeschossen waren es vier, von denen sich kanadische und amerikanische Militärs in einem Fall nicht mal sicher waren, ob es sich um einen Luftballon handelt. Dennoch: Heute lacht kaum noch jemand. Ernst nehmen will man die schwebenden Objekte hoch in der Luft allemal. Sie seien bloß für Wetterdienste, behauptete Peking? Von wegen!

Der Nena-Anachronismus lässt sich so leicht nicht mehr herunterspielen auf so etwas wie seichte Ironie: Über unseren Horizont fliegen längst unzählige Objekte. Niemand weiß, wie viele Daten, verschlüsselt in was für einem KI-Deutungsmuster, sie an wen zu welchem Zwecke senden. Erst recht nicht, mit welchen Konsequenzen. Von diesen ominösen Objekten sind die paar Luftballons, von denen man zwei als „von China kommend“ identifiziert hat, „Opas“ aus Zeiten des Ersten Weltkriegs, wenn man sich ihrer als Spionageballons vergewissern kann. Kann man?

Wohl noch nicht ganz. Noch gehen Beschuldigungen und Dementi zwischen Washington und Peking hin und her. Chinas Außenamtssprecher bezichtigt die USA 10-mal der Verletzung des chinesischen Luftraums mit US-Luftballons allein im letzten Jahr – freilich ohne jeden Beweis. Noch hüllen die Europäer sich in vornehmes Schweigen. Und doch wird auch hierzulande, noch hinter vorgehaltener Hand, gemunkelt: Was nun, wenn die Chinesen Spionageluftballons 20 Kilometer auch über unsere Köpfe hinweg schweben lassen, um, wie die US-Militärs argwöhnen, unsere Militärbasen, sagen wir nahe dem an einen russischen Oligarchen verkauften Flughafen Hahn, auszuspionieren? Was nun, wenn diese Chinesen allen Dementi zum Trotz doch Wladimir Putin beim Aggressionskrieg gegen die Ukraine unterstützen würden – mit Daten gestohlen von jenen mysteriösen Ballons zum Beispiel?

Die Augen rechts und links da hinten stinkt es !

Lasst uns einen „Worst Case“ an die Wand malen: Haben nicht auch Chinesen bereits Supersonic-Raketen, gegen die westliche Militärs noch kein probates Mittel haben, um uns davor zu schützen? Noch weit entfernt von der beunruhigenden Tatsache, dass von den der Ukraine versprochenen Leopard-I-Panzern der deutschen Bundeswehr gleich Dutzende untauglich sind? Sind wir gegen irgendwelche „Generäle“ und „Kriegsminister“, verhöhnt in jenem Lied, gewappnet, wenn sie doch nicht nur Späßchen mit uns im Sinne haben, sondern es bitterernst meinen, siehe Putin?

Über paranoide „Kriegsminister“ lacht heute keiner mehr

Quelle       :         TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Guantanamo-Entlassungen

Erstellt von Redaktion am 23. Februar 2023

Guantanamo-Entlassungen: Die USA in der Verantwortung

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Quelle      :        INFOsperber CH.

Daniela Gschweng / 

Das Leben eines ehemaligen Guantanamo-Häftlings ist eine fortgesetzte Gefangenschaft ohne Rechte und ohne Perspektive.

Viele ehemalige Guantanamo-Häftlinge führen ein elendes Leben. Den Terror-Stempel werden sie nicht mehr los, obwohl einige wohl nie ein Verbrechen begangen haben. Die USA kümmern sich kaum um ihren Verbleib.

Sabri al-Qurashi sei ein begabter Maler, schreibt die Journalistin Elise Swain, die sich über Monate per Internet mit dem ehemaligen Guantanamo-Häftling unterhalten hat. Für den «Intercept» berichtet sie über sein Leben in Kasachstan, wo er bis heute keinen Aufenthaltsstatus und damit auch keine Rechte hat. Der Jemenit malt ruhige Landschaftsbilder, aber auch Szenen aus der Gefangenschaft. Die Malerei helfe ihm, die Hoffnung nicht zu verlieren, sagt er.

Von Saudi-Arabien über Kandahar nach Guantanamo

2014 wurde al-Qurashi nach 13 Jahren aus Guantanamo entlassen. Ein freier Mann ist er bis heute nicht. Eigentlich, sagt er, sei es «jetzt genauso schlimm wie in Guantanamo, in vielerlei Hinsicht sogar noch schlimmer». Im US-Gefangenenlager in Kuba habe er gewusst, dass die Gefangenschaft enden würde. Ob sein jetziges Leben, das man nur als elend beschreiben kann, sich jemals zum Besseren wendet, weiss er nicht.

Festgenommen wurde der heute 52-Jährige auf einer Geschäftsreise nach Pakistan, die ihn nach Aufzeichnungen des Journalisten Andy Worthington auch nach Afghanistan führte. Er sei unterwegs gewesen, um Parfümöle bei den Herstellern zu kaufen, sagt al-Qurashi. Die Reise endete im US-Gefängnis von Kandahar. Von dort wurde er nach Guantanamo geflogen. «Der schlimmste Tag in meinem Leben», sagt er.

Der «Intercept» nimmt an, dass ein Warlord oder die afghanischen Polizei al-Qurashi verkauft hat. Die US-Armee bezahlte kurz nach 9/11 hohe Summen für mutmassliche Taliban- oder Al Kaida-Mitglieder. Ob er jemals ein Verbrechen begangen hat, ist unklar.

Ohne Anklage oder Prozess

Ende Dezember 2014 wurde er mit zwei anderen Jemeniten im Zuge einer geheimen Abmachung nach Kasachstan gebracht. Zuvor gab es ein Treffen mit Vertretern Kasachstans. Ein Transfer in den Jemen sei aufgrund der politischen Situation nicht möglich gewesen, schreibt der «Intercept». Eine Anklage oder einen Prozess gab es nie.

Laut der «New York Times» erklärte «ein hochrangiger Beamter der Obama-Regierung», dass insgesamt fünf nach Kasachstan umgesiedelte Ex-Gefangene «nach der Überstellung in jeder Hinsicht freie Männer seien».

In al-Qurashis Bericht für den «Intercept» klingt es anders. Nach einer Beobachtungszeit von zwei Jahren sei er ein freier Mann mit allen Rechten, hätten die US-Behörden versprochen. Und Kasachstan sei immerhin ein muslimisches Land. Die kasachischen Behörden seien gut ausgestattet, um die Überwachungsaufgaben zu übernehmen, die seine Entlassung erfordere. Ein Leben als normales Mitglied der Gesellschaft liege vor ihm. Al-Qurashi hoffte, seine Frau wiederzusehen oder zu sich holen zu können.

Als Sans-Papiers gestrandet

Nichts davon wurde wahr. Al-Qurashi hat keinerlei legalen Aufenthaltsstatus in Kasachstan und kann sich nicht frei bewegen. Als Sans-Papiers kann er keine Post bekommen oder absenden, kein Geld empfangen, nicht arbeiten, nicht reisen. Nicht einmal die unmittelbare Umgebung kann er allein verlassen. Wenn er das möchte, muss er den Roten Halbmond kontaktieren, der ihm eine Begleitung zur Verfügung stellt. Manchmal wartet er tagelang.

Der Rote Halbmond finanziert Lebensmittel und Wohnung und begleitet ihn. Soziale Kontakte zu knüpfen, hat der Ex-Häftling aufgegeben. «Die Regierung schikaniert jeden, mit dem ich in Kontakt komme», erzählt er. Sie warne Kontaktpersonen vor dem gefährlichen Terroristen. Er wolle niemanden in Schwierigkeiten bringen und habe deshalb aufgehört, sich mit anderen zu treffen.

«Sie haben keine Rechte»

Über die Jahre habe er mehrmals versucht, einen Besuch seiner Frau oder anderer Familienangehöriger zu arrangieren. Vergeblich. Als «Illegaler» dürfe er keinen Besuch bekommen. «Sie haben keine Rechte», hätten die kasachischen Behörden ihm gesagt. Der Rote Halbmond verhandelt seit Monaten über einen kurzen Besuch seiner Frau. «Ich versuche, nicht aufzugeben, aber alles ist gegen mich», sagt al-Qurashi.

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Es sei schwer, die Verzweiflung nach zwei Jahrzehnten in Gefangenschaft nicht zuzulassen. «Jetzt lebe ich, als wäre ich tot, und man sagt mir, ich sei frei, obwohl ich es nicht bin», schrieb er in einem Chat. Die Reporterin erlebte ihn in unzähligen WhatsApp-Videoanrufen dennoch als positiv und herzlich und humorvoll, schreibt sie.

«Jetzt lebe ich, als wäre ich tot, und man sagt mir, ich sei frei, obwohl ich es nicht bin.»

Sabri al-Qurashi, ehemaliger Guantanamo-Häftling

Vor vier Jahren wurde al-Qurashi auf der Strasse überfallen und im Gesicht verletzt. Eine Anzeige sei nicht möglich, schliesslich sei er illegal da, sagten die Behörden. Von dem Vorfall hat er eine Gesichtslähmung zurückbehalten, die chirurgisch behandelt werden müsste. Bisher hat er Akupunktur bekommen und ein Glas mit Blutegeln.

Von den insgesamt fünf Guantanamo-Häftlingen, die von den USA nach Kasachstan geschickt wurden, leben nur noch zwei dort. Muhammad Ali Husayn Khanayna wollte sich dem «Intercept» gegenüber nicht äussern. Asim Thabit Al Khalaqi, der dritte Jemenit, starb vier Monate nach der Ankunft in Kasachstan überraschend an einer schweren Krankheit. Angehörige werfen den Ärzten ärztliche Kunstfehler vor.

Lotfi bin Ali, ein Bürger Tunesiens, gab mehrere Interviews über sein desolates Leben in Kasachstan und wurde nach Mauretanien umgesiedelt. 2021 starb er dort an einer Herzkrankheit, von der man wusste; laut dem «Intercept», weil er keine adäquate Behandlung bekam. Die US-Behörden habe es nicht gekümmert, sagte sein ehemaliger Anwalt, Mark Denbeaux. Über den Verbleib von Adel Al-Hakeemy, ebenfalls Tunesier, ist nichts bekannt.

Wie wichtig ein ordentliches Gerichtsverfahren ist

Diese Lebensgeschichten zeigen einmal mehr, wie unmenschlich es ist, Menschen ohne ordentliches Gerichtsverfahren jahrelang festzuhalten, und wie gross der Wert eines ordentlichen Gerichtsverfahrens ist. Weder Schuld noch Unschuld der fünf nach Kasachstan Geschickten wurde jemals festgehalten. Die USA stuften sie wohl als geringes Risiko ein. Die Männer tragen dennoch das Stigma des gefährlichen Terroristen.

Auch bei den Gefangenen, die verurteilt wurden, bestehen erhebliche Zweifel an deren Schuld. Der Anfang Februar freigelassene Majid Khan beispielsweise berichtete mehrmals von Folter durch die CIA. Der Pakistaner wird in Zukunft in Belize in Mittelamerika leben.

Die US-Behörden bemühen sich mit Unterbrechungen seit Jahren, das Guantanamo-Gefängnis zu leeren und die heute noch eingesperrten 34 Gefangenen loszuwerden. Aber es ist eben das: ein Loswerden.

Eine Verantwortung, die keiner tragen will

Wer nach der Entlassung die Verantwortung für ehemalige Guantanamo-Häftlinge trägt, ist unklar. Das US-Aussenministerium, zunächst interessiert an einer sicheren Unterbringung ehemaliger Gefangener ausserhalb der USA, sieht seine Pflicht nach der zweijährigen Überwachungsfrist als getan an.

Die Verantwortung gehe an die Aufnahmeländer über, erklärte ein Sprecher des US-Aussenministeriums. Man ermutige alle Gastregierungen, ihre Verantwortung auf humane Weise und unter Berücksichtigung angemessener Sicherheitsmassnahmen wahrzunehmen. Die kasachische Botschaft in den USA reagierte auf eine Anfrage des «Intercept» nicht.

Inhumane Behandlung auch in anderen Ländern

Mit dem Ende der Regierung Obama stellten die USA auch die diplomatischen Bemühungen des Aussenministeriums zu ehemaligen Guantanamo-Häftlingen ein. Die Trump-Administration löste die für Umsiedlungen zuständige Stelle auf, die Ex-Häftlingen grundlegende Menschenrechte hätte garantieren können.

Länder wie Kasachstan, die Vereinigten Arabischen Emirate und Senegal nutzten diese Lücke aus. Die Emirate schickten Ex-Häftlinge ins Gefängnis, Senegal schob einen Ex-Gefangenen nach Libyen ab.

Seit August 2021 gibt es wieder eine US-Stelle für «Guantanamo Affairs», die mit der Diplomatin Tina Kaidanow besetzt ist. Al-Qurashis Anwalt Greg McConnell hat eine Anfrage an Kaidanow gerichtet. Das Personal sei sehr freundlich, sagt er zum «Intercept». Antworten habe er schon lange nicht mehr erhalten.

Die USA müssen Verantwortung übernehmen

Das bisher einzige Angebot der kasachischen Regierung ist laut al-Qurashi eine Reise zurück in den Jemen. Das könnte gegen das internationale Recht der Nichtzurückweisung verstossen, ordnet die Menschenrechtsspezialistin Martina Burtscher gegenüber dem «Intercept» ein. Im Jemen sei al-Qurashi wegen des Terror-Stigmas ein leichtes Ziel der dort agierenden Gruppierungen. Bisher weigert er sich, in den Jemen zu reisen. Für die USA hat die Unterbringung der verbliebenen Gefangenen Priorität.

Al-Qurashis Probleme sind nicht einzigartig. Rund 30 Prozent der ehemaligen Guantanamo-Häftlinge, die in Drittländer gebracht wurden, hätten keinen legalen Status, sagte die US-Organisation Reprieve vor einem Jahr.

Ohne sinnvolle Massnahmen der USA werde sich in dieser Angelegenheit auch nichts bewegen, sagt Mansoor Adayfi, ein anderer Jemenit, der 14 Jahre in Guantanamo eingesperrt war. 2018 wurde er nach Serbien entlassen. Obwohl er eine Aufenthaltsgenehmigung hat, fühlt er sich in Belgrad nicht sicher und wird noch immer überwacht. Er hat einige Folgeerkrankungen der Haft, die ihn einschränken, dokumentierte der «Intercept». Die serbische Regierung drohe regelmässig damit, die Unterstützung einzustellen. 2021 schrieb Adayfi an einem Buch mit dem Titel «Life After Guantánamo». «Welches Leben?», fragt man sich.

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In Putins Hände

Erstellt von Redaktion am 22. Februar 2023

Wer Verhandlungen fordert, sollte auch erklären, ob er Russland noch mehr zugestehen möchte

Ein Schlagloch von Jagoda Marinic

Die Aufrufe, sofortige Friedensverhandlungen einzuleiten, verkennen den russischen Präsidenten. Putin ist nicht zu trauen.

Tagelang blickte die Welt nach München: Viele erhofften sich von der Sicherheitskonferenz klare Botschaften, wie es nach einem Jahr Krieg in der Ukraine weitergehen wird. Wirklich überrascht hat schließlich US-Präsident Joe Biden mit seiner Reise nach Kiew. Bilder, die ihn zusammen mit Wolodimir Selenski zeigen, gingen um die Welt. Selbst als Alarm ertönte, blieben die beiden Staatschefs wie unberührt unter freiem Himmel. Bidens Besuch in dem freiheitsliebenden Land, wie er sagte, stellte die Sicherheitskonferenz weitgehend in den Schatten.

Als ich anfing, diese Kolumne zu schreiben, hielt Russlands Präsident Wladimir Putin eine Rede zur Lage der Nation. Wenige Stunden später sollte Biden seine Rede an die Nation halten, und natürlich erinnert das an Zeiten des Kalten Krieges, natürlich liegt es nahe, dass Putin versuchen wird, Bidens Besuch als Zeichen zu deuten, der Westen führe einen Krieg gegen Russland – die Frage ist nur, wie sehr man sich von Putin beeindrucken lassen möchte. Er hat in seiner Rede gelogen und behauptet, der Westen habe „den Krieg losgetreten“, und Russland führe „keinen Krieg gegen das ukrainische Volk“.

Die Münchner Sicherheitskonferenz vor einem Jahr hat diese Militäroperation nicht zum zentralen Thema gemacht. Das Ende der Konferenz war am 20. Februar 2022. Vier Tage später überfiel Russland die Ukraine. Man kann davon ausgehen, dass bis zu vier Tage vor Beginn des militärischen Überfalls weite Teile des Westens Putins Zerstörungsgewalt unterschätzt haben. Sie haben selbst angesichts des historischen Militäraufgebots die Gefahr verdrängt und den Aggressor verharmlost. Hätte man die Ukraine bereits während des wochenlangen Aufmarschs der russischen Armee unterstützt, wäre die Botschaft an Russland vielleicht eine andere gewesen, abschreckend.

Ähnlich äußerte sich auch die finnische Staatschefin Sanna Marin. Das Wegsehen und die Untätigkeit des Westens hat Putin weder sanft gestimmt noch dazu gebracht, von seinen strategischen Zielen abzulassen. Es brauchte keine Drohgebärden. Russland begann seinen Angriffskrieg ganz ohne – das sollte man in Erinnerung rufen, wenn Putin nun wieder behauptet, der Westen habe den Krieg begonnen. Putin mag auf diplomatische Entwicklungen mit Krieg reagiert haben, doch in welcher Welt leben wir, wenn es als legitim erachtet wird, die Selbstbestimmung des ukrainischen Volkes einzuschränken.

Letzte Woche wurden in Deutschland wieder prominentere Stimmen laut, die forderten, man müsse jetzt über Frieden verhandeln. Die meisten Namen sind hinlänglich bekannt, ein neuer Einwurf kam von Jürgen Habermas. Viele, die jetzt für einen Verhandlungsfrieden argumentieren, klammern aus, wie vieles von dem, was sie heute als Verhandlungsoption präsentieren, Russland bereits 2014 zugesichert und der Ukraine abgesprochen wurde. Welches Interesse sollte Russland haben, sich nach einem Jahr Kriegsführung mit dem Status quo von vor Kriegsbeginn zufriedenzugeben? Wer also fordert, man müsse jetzt mit Russland verhandeln, sollte auch erklären, ob er Russland noch mehr zugestehen möchte. Und wäre damit ein dauerhafter Frieden gewährleistet? Wohl kaum. Was, wenn gerade das Verhandeln und Nachgeben die Gewaltspirale nach oben treibt?

Proud of what 10

Nehmen Menschen, die für Verhandlungen – meist zu Ungunsten der Ukraine – argumentieren, so etwas wie die neusten Meldungen wahr. Wie ein Investigativkollektiv anhand von Dokumenten nachwies, die aus der Moskauer Präsidialversammlung geleakt wurden, plant Russland auch die Übernahme von Belarus bis zum Jahr 2030. Worauf stützen sich die, die jetzt Verhandlungen fordern, wenn sie in Putin einen verlässlichen Verhandlungspartner sehen?

Wenn man die Diskurse des letzten Jahres betrachtet, so entspricht der Vorwurf, man könne in der deutschen Öffentlichkeit nicht gegen die Unterstützung für die Ukraine sprechen, ohne geächtet zu werden, nicht den Tatsachen. Sicher, es wird manchmal brachial, doch die Verrohung des Diskurses lässt sich bei allen Themen feststelle. Selbst wer über stillgelegte Straßen in Berlin-Mitte schreibt, wird heute angeprangert. Merkwürdigerweise reagieren ausgerechnet jene, die von den Ukrainern fordern, diesen Krieg zu beenden, besonders empfindlich auf Widerspruch. Ihre Opferrolle setzt leider oft genau dann ein, wenn es um die konkrete Entwicklung eines Szenarios geht, wie der Verhandlungsfrieden herbeigeführt werden könnte. Vielen fehlt die Auseinandersetzung mit der Realität, die Russland seit einem Jahr gewaltvoll zu verändern versucht. Soll man um des Friedens Willen wirklich auf jede Forderung Russlands eingehen? Was ist mit dem Größenwahn Putins? Hier die Unterschätzung des russischen Staatschefs – es reicht ein Friedensangebot für den Frieden –, dort die paralysierende Überhöhung der Gefahr durch ihn: Am Ende führt er uns in den dritten Weltkrieg oder drückt den Atomknopf.

Quelle        :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben       —     Anti-war poster Stop Putin against his megalomania, with a cartoon from 2014 when Crimea was annexed by Russia.

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Das Leiden der Familien

Erstellt von Redaktion am 22. Februar 2023

Eine Kindheit im Luftschutzbunker

Von Anna Jikhareva

Lisa Dmitrijewa hatte ihr ganzes Leben noch vor sich, doch sie wurde nur vier Jahre alt. Das Mädchen mit Down-Syndrom kam gerade von der Sprachtherapie, die sie regelmäßig besuchte.

Zusammen mit ihrer Mutter überquerte sie einen belebten Platz im Zentrum von Winnyzja, einen Puppenwagen vor sich herschiebend, als mehrere russische Raketen einschlugen. Das Mädchen wurde bei der Explosion getötet, die Mutter kam schwer verletzt ins Krankenhaus.[1] An jenem Tag Mitte Juli 2022 starben in der zentralukrainischen Stadt, weit weg von der militärischen Front, 23 Menschen, darunter neben Lisa Dmitrijewa zwei weitere Kinder, 140 Personen wurden verletzt.

Ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine fordert dieser noch immer täglich Tote und Verletzte; weiterhin zerstören Raketen und Artilleriegeschosse Häuser und Kraftwerke, Träume und Hoffnungen. Neben den Kämpfen in der Süd- und Ostukraine beschießt die russische Armee seit Monaten auch gezielt die kritische Infrastruktur des Landes – mit der Absicht, die Menschen zu zermürben, wenn sie in dunklen Wohnungen ausharren müssen, ohne duschen oder sich aufwärmen zu können.[2] Zu den größten Leidtragenden dieses ständigen Ausnahmezustands gehören die ukrainischen Kinder. Auf diesen Opfern der russischen Invasion liegt in der internationalen Berichterstattung allerdings nur selten der Fokus.

Laut der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft sind zwischen vergangenem Februar und Ende Januar insgesamt 459 Kinder gestorben, 914 wurden verwundet, 353 bleiben gemäß der Polizei verschwunden.[3] Zwar decken sich die Zahlen der Vereinten Nationen weitestgehend mit diesen Angaben – doch weil etwa verlässliche Zahlen aus den von Russland besetzten Gebieten und den frontnahen Landstrichen fehlen, dürfte die Dunkelziffer wesentlich höher liegen, davon gehen auch die ukrainischen Behörden aus. Tausende Kinder haben Angriffe zwar selbst überlebt, aber ihre Eltern, Geschwister, Freund:innen oder das Zuhause verloren. Sie alle sind durch den Krieg gezwungen, viel zu schnell erwachsen zu werden.

Laut Unicef hat praktisch keines der sieben Millionen zurzeit im Land lebenden Minderjährigen gesicherten Zugang zu Elektrizität, Heizung und Wasser. „Diese Kinder sehen einem trostlosen Winter entgegen, zusammengekauert in Kälte und Dunkelheit, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie oder wann sie sich erholen können“, sagt Catherine Russell, die Direktorin des UN-Kinderhilfswerks, in einer Stellungnahme. „Abgesehen von den unmittelbaren Gefahren, die der Frost mit sich bringt, wird den Kindern auch die Möglichkeit genommen, zu lernen oder mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben, wodurch sowohl ihre körperliche als auch ihre geistige Gesundheit stark gefährdet ist.“[4] Gerade die Auswirkungen auf die Psyche sind in diesem Alter oftmals verheerend; Unicef spricht von einer „drohenden mentalen Gesundheitskrise“: Anderthalb Millionen Kinder seien bereits von Depressionen, Angstzuständen, posttraumatischem Stress und anderen mentalen Erkrankungen betroffen. Die Kyjiwer Psychologin Kateryna Goltsberg schildert dem „Spiegel“ verschiedene Symptome von Traumata: „Neben Verschwiegenheit und Apathie sind da Aggressionen und Ticks wie Augenzucken oder häufiges Räuspern. Manche entwickeln sogar Krankheiten wie Asthma oder Schuppenflechte. Damit Kinder schreckliche Erlebnisse verarbeiten können, müssen sie unterstützt werden.“[5]

»Kein Kind hat Zugang zu geregelter Bildung«

Neben den direkten Folgen des Krieges für die Gesundheit der Kinder schränkt er deren Recht auf Bildung ein. Wie alles andere sind auch die Bedingungen dafür in den letzten Monaten immer schwieriger geworden: Zehntausende Kinder können nicht mehr regelmäßig zur Schule oder in den Kindergarten gehen. Dies nicht zuletzt, weil über 3000 Bildungseinrichtungen im Land beschädigt und fast 500 komplett zerstört sind, wie das ukrainische Bildungsministerium auflistet.[6] „Kein ukrainisches Kind hat mehr Zugang zu geregelter Bildung“, schreibt Unicef. Auch dadurch wird einer ganzen Generation die Zukunft genommen.

Als der russische Angriffskrieg vor einem Jahr begann, war das Schuljahr in vollem Gang. Zuerst wurden Schüler:innen und Lehrer:innen für zwei Wochen in die Zwangsferien geschickt, alle Einrichtungen schlossen ihre Türen – doch als absehbar wurde, dass der Krieg so schnell nicht vorbei sein würde, nahmen viele den Unterricht wieder auf – online. Eine Praxis, die bereits während der Coronapandemie weit verbreitet war und deshalb mehr oder weniger funktionierte.[7] Dies war auch ein Grund dafür, dass Lehrkräfte und Kinder, die nach Beginn der Invasion aus dem Land flohen, weiter unterrichten und lernen konnten. Das Bildungsministerium fällte zudem Entscheide, damit keine Lücken bei den Leistungsnachweisen der Schüler:innen entstehen: Es wies die Schulen etwa an, alle Kinder automatisch in die nächsthöhere Klasse zu versetzen und die Jahresendprüfungen ausfallen zu lassen. Die Abiturprüfung fand zwar trotzdem statt, konnte aber nicht nur im Land selbst, sondern auch in dutzenden Städten in ganz Europa absolviert werden, wie die „Ukrajinska Prawda“ berichtet.[8] So sorgte die Behörde zumindest in dieser Hinsicht für Chancengleichheit. Zum neuen Schuljahr im September 2022 öffnete dann rund die Hälfte der Schulen und Kindergärten wieder die Türen – jene, die den vorgeschriebenen Luftschutzbunker im Gebäude bereits hatten oder über die Sommerferien neu einrichten konnten. Die restlichen Kinder müssen weiterhin mit Fernunterricht vorliebnehmen – doch aufgrund der Stromausfälle infolge der Angriffe auf die kritische Infrastruktur ist der Zugang dazu oft nicht mehr gewährleistet.

Verändert haben sich nicht nur die Rahmenbedingungen des Lernens, sondern auch der Inhalt: So gilt seit diesem Schuljahr in der Ukraine ein neuer Lehrplan. In der Grundschule wird etwa unterrichtet, wie man verschiedene Arten eines Luftalarms auseinanderhält, was man im Falle eines Angriffs tun soll, wie man einen Schutzraum einrichtet, Erste Hilfe leistet oder mit Angst umgeht. Immer wieder üben die Kinder im Unterricht, wie sie rasch in den Keller kommen, wo der Unterricht bei Luftalarm weitergeht. Und ab der fünften Klasse gilt in Fächern wie Literatur und Geschichte ein neues Programm, wie etwa die „taz“ berichtet.[9] So werde den jungen Menschen nun etwa beigebracht, dass die Sowjetunion ein imperialistischer Staat gewesen sei, und wie sich die Ukrainer:innen der Repression dieses Staates widersetzt hätten. Aus dem Programm gestrichen worden seien Werke von vielen russischen Autoren, etwa Anton Tschechow, Lew Tolstoi oder Fjodor Dostojewski. Eingang in den Schulstoff hätten dafür Goethe oder Adam Mickiewicz gefunden. Der Unterricht droht damit zu einem ideologischen Kampffeld zu werden – in den von Russland besetzten Gebieten ist er das bereits. Russland nutzt die dortigen Schulen schon längst für Propagandazwecke: Der Lehrplan wurde geändert, vor allem im Geschichtsunterricht lernen die Kinder nun nur noch das, was dem Kreml genehm ist. „Nach Moskaus Plänen sollen die Schulen vor allem eine zentrale Rolle in der ideologischen Indoktrination der Kinder übernehmen und sie zu ‚russischen Patrioten‘ und Putin-Unterstützern machen“, schreibt etwa die Bildungsexpertin Tatiana Zhurzhenko.[10]

Dass dies meistens nicht freiwillig geschieht, legen diverse Berichte nahe. Demnach üben die Besatzungsbehörden Druck auf Lehrer:innen aus, damit diese ihren Schüler:innen die russische Sicht auf die ukrainische Geschichte vermitteln. So berichtete der „Guardian“ über den Fall einer Lehrerin, die sich weigerte, für die Besatzer:innen zu arbeiten, und deshalb entlassen wurde.[11] „Stellen Sie sich vor: Ich habe mehr als 25 Jahre an dieser Schule gearbeitet. Am Tag meiner Entlassung bin ich allein hinausgelaufen, trug eine Topfpflanze und einen Beutel mit Gedichten, Tränen flossen mein Gesicht hinunter.“ Kurze Zeit später sei sie bei einem Elternabend als „Verräterin“ denunziert worden, weil sie die Schule verlassen hatte. Daraufhin floh die Lehrerin in von der Ukraine kontrolliertes Territorium. Etwa ein Drittel der Lehrkräfte hätten sich dagegen zur Kollaboration bereiterklärt, einige aus Enthusiasmus, andere aus Pragmatismus.

Ähnliche Berichte darüber, wie Druck auf Lehrkräfte ausgeübt wird, sind aus den besetzten Gebieten immer wieder zu hören; der ukrainische Ombudsmann für Bildung spricht von „hunderten“ solcher Einflussnahmen. „Sie zwingen Lehrer, nach russischem Lehrplan zu unterrichten, sie bringen russische Lehrbücher mit, in denen steht, Ukrainer und Russen seien ein Volk, russischer Imperialismus, das volle Paket.“[12] Wer sich in der Ukraine umhört, stößt aber auch auf immer mehr Erzählungen von Lehrer:innen, die nach der Rückeroberung besetzter Städte durch die ukrainische Armee als Kollaborateure verfolgt würden. Ukrainische Politiker:innen fordern harte Gefängnisstrafen für jene, die mit dem russischen Bildungssystem kooperieren oder kooperiert haben. Russische Medienberichte legen derweil nahe, dass Lehrer:innen für die besetzten Gebiete auf der von Russland 2014 annektierten Krim-Halbinsel oder in Russland selbst angeworben werden; die Rekrutierung soll allerdings eher schleppend verlaufen.[13]

Quelle        :        Blätter-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle :

Oben       —     Station der Metro Kiew, die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine (2022) in einen Luftschutzbunker umgewandelt wurde

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Unten         —     Refugee children and babies in a basement in Kropyvnytskyi

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 22. Februar 2023

„Krieg und Frieden“
Russisch im Lokal: Wenn Sprache in Scham mündet

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Aus Warschau von Sandro Gvindadze

Kürzlich war ich in Warschau, um eine Freundin aus Belarus zu besuchen. Zusammen mit ihren Freunden gingen wir in ein ukrainisches Fischrestaurant, das gerade neu eröffnet worden war. Wir waren zu viert, wir hatten uns lange nicht gesehen. Jedenfalls sprachen wir ziemlich viel miteinander. Laut und auf Russisch. Wie immer.

Die Speisekarte war auf Ukrainisch. Mit der Kellnerin, die unsere Bestellung aufnahm, sprachen meine Freunde Polnisch. Sie antwortete auch auf Polnisch, aber man konnte hören, dass sie Ukrainerin war. Ich schwieg. Als die Kellnerin weg war, stockte unser Gespräch. Ich schaute mich um. Überall hingen Plakate zur Unterstützung der Ukraine, überall hörte man ukrainische Gespräche. Es schien, als sei unser Tisch, von dem gerade noch Gelächter und die russische Sprache zu hören gewesen waren, zufällig hierher geraten.

Zum ersten Mal im Leben fühlte ich mich schuldig, weil ich Russisch sprach. Ich hatte den Wunsch, mich vor allen zu entschuldigen. Vor jeden einzelnen Tisch zu treten und zu sagen, dass ich ein schlechter Mensch bin. Denn ich war aus Georgien hierher gekommen, in ihren Raum, und sprach in der Sprache, die ihnen und ihren Vorfahren jahrzehntelang aufgezwungen worden war. Und heute wird in dieser Sprache dazu aufgerufen, sie zu töten.

Wenn ich mit ukrainischen Geflüchteten in Georgien Russisch sprach, fühlte ich mich anders. Vermutlich, weil ich als Journalist einfach meine Arbeit machte.

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Während ich schweigend meine Muscheln aß, stelle ich mir weitere Fragen: Hätte ich dieses Schamgefühl auch, wenn Russisch meine Muttersprache wäre? Wie würde ich mich verhalten, wenn Georgien ein Nachbarland überfallen hätte?

Ich glaube, dass die meisten Russen diese negativen Gefühle nicht verstehen. Es geht ihnen nicht in den Kopf, warum ihre Rede die Georgier verärgern könnte. Dabei gibt es Ansätze von Problembewusstsein. Einige Russen etwa fragen Georgier zuerst auf Georgisch, ob sie lieber auf Russisch oder Englisch sprechen wollen. Auch ich tat was gegen meine sozialen Ängste: Auf Ukrainisch bestellte ich ein Bier. „Djakuju“, sagte ich extra laut, damit alle hörten, dass ich etwas Ukrainisch sprechen kann.

Als wir das Lokal verließen, hatte ich den Eindruck, dass meine Freunde ähnliche Gedanken hatten. Das ist ziemlich traurig. Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur Hunderttausende Menschen getötet und verletzt sowie Millionen Menschen ihr Zuhause genommen. Er hat auch die russische Sprache auf Jahrzehnte vergiftet.

Quelle      :          TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten        —         

Castle Square in Warsaw

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Ein Vorschlag zum Frieden

Erstellt von Redaktion am 21. Februar 2023

Ukraine: Versöhnung nach dem Beispiel der griechischen Tragödie

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Das Dionysostheater

Quelle      :        INFOsperber CH.

Nicolai Petro /   

Das Mitgefühl muss die Wut ersetzen. Eine Versöhnungskommission könnte wie anderswo die verfeindeten Gruppen befrieden.

upg. Kaum ein Nicht-Ukrainer kennt die Ukraine so gut wie Nicolai Petro, Professor an der US-University Rhode Island. Er kennt Russland und die Ukraine auch aus eigener Anschauung. Sein neustes Buch heisst «The Tragedy of Ukraine»*. Im Folgenden ein Essay, das er auf Englisch für De Gruyter verfasste.

Im klassischen Athen hatte die «Tragödie» eine therapeutische und heilende Funktion. Sie ermöglichte es den Athenern, sich mit ihren tiefsten Ängsten und ihrem Hass auseinanderzusetzen und durch einen Prozess der Katharsis, der Sinnesänderung, zu überwinden. Eine Versöhnungskommission könnte die Funktion der antiken Tragödie übernehmen und die Entwicklung in der Ukraine beeinflussen.

Die Aufführung von Tragödien wurde im fünften Jahrhundert v. Chr. zu einem wesentlichen Bestandteil des athenischen öffentlichen Diskurses. Dank dieser Institution konnten sich die Bürgern mit den politischen und sozialen Krisen der Zeit auseinandersetzen. Tragödien bildeten das schlagende Herz der athenischen Demokratie, wo das öffentlich zur Schau gestellt wurde. Die Rückbesinnung auf die staatsbürgerliche Funktion der Tragödie könnte auch heute ein wertvolles Instrument sein, um soziale und politische Spaltungen zu überwinden.

Der britische Kulturtheoretiker Raymond Williams definierte die Tragödie ähnlich wie die antiken Athener. Die Tragödie soll sich sich auf die politischen und sozialen Folgen von tragischen Handlungen konzentrieren. Nach Williams «liegt die Tragödie nicht im individuellen Schicksal…, sondern im allgemeinen Zustand eines Volkes, das sich selbst reduziert oder zerstört, weil es sich seines wahren Zustands nicht bewusst ist».

Beim «Zustand» geht es um unser gemeinsames Versagen als Menschen. Der Politikwissenschaftler Hans J. Morgenthau bezeichnete das Versagen als «Schwäche der menschlichen Vernunft, getragen von den Wellen der Leidenschaft. Diese Schwäche betrifft alle Menschen, Griechen und Perser, Amerikaner und Russen.» Wir sind allzu oft besessen von Gerechtigkeit, die oft mit Rache verwechselt wird. Der verständliche Wunsch nach Vergeltung macht uns blind für das Mitgefühl, das notwendig ist, um die Gesellschaft zu verbinden und ihre Wunden zu heilen.

Im Fall der Ukraine hat eine jahrzehntelange nationalistische Politik die Ost- und Westukrainer in Fragen der Sprache, der Religion und der kulturellen Zugehörigkeit gespalten und dabei die Bande der bürgerlichen Identität zerstört. Die destruktiven Erzählungen der beiden Seiten über die jeweils Andere heizte eine tragische Spirale an. Das förderte Konflikte im Namen der Gerechtigkeit.

Indem beide Seiten darauf beharrten, dass vor jedem Gespräch die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit korrigiert werden müssten, trugen beide Seiten unwissentlich dazu bei, dass ihre gegenseitige Tragödie fortbesteht.

Für die alten Griechen kommt es zu einer Tragödie, wenn der Einzelne nicht erkennen kann, wie sehr sein eigenes Handeln zur gegenwärtigen Lage beitrug. Sie sahen die Lösung darin, den Zusammenhang zwischen Handeln und Katastrophe ins Zentrum zu stellen und die Hybris zu entlarven, die Menschen (und Nationen) daran hindert, die wahre Bedeutung von Gerechtigkeit – nämlich Barmherzigkeit – zu begreifen.

Sie versuchten, dies erlebbar zu machen, indem sie auf der Bühne die Schrecken nachstellten, die aus dem unnachgiebigen Streben nach Rache resultieren. Die griechischen Dramatiker hofften so, das Publikum zur Katharsis zu führen, einer Reinigung von Emotionen, die so stark ist, dass sie Raum für Gefühle wie Mitleid und Mitgefühl schafft und anstelle der Wut treten.

Aristoteles glaubte, dass die Katharsis die Gesellschaft von der endlosen Wiederholung eines tragischen Drehbuchs befreien kann, indem sie den Zuschauern vor Augen führt, wie ihr fehlendes Mitgefühl sie ins Verderben führte.

Bei den öffentlichen Aufführungen an den jährlichen Bürgerfesten, den Dionysien, sollten die Tragödien den Bürgern die verheerenden Folgen von Entscheidungen der Politik vor Augen führen.

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Historische Rekonstruktion des Dionysostheaters in römischer Zeit

Man kann sich die klassische griechische Tragödie als eine Reihe von Dialogen vorstellen, welche die Bürger mit ihren eigenen tragischen Fehlern konfrontierten. Erst wenn die Bürger zu begreifen beginnen, wie ihre eigenen Handlungen den Hass der anderen schüren, können sie einen anderen Weg einschlagen.

Versöhnungskommissionen als moderne Form von Tragödien

Die athenische Polis war klein genug war, um fast jedes erwachsene Mitglied der Gesellschaft in diese bürgerlichen Rituale einzubeziehen. In der modernen Gesellschaft scheint es keinen Mechanismus zu geben, der dieselbe Funktion erfüllen kann. Doch ein vergleichbares Verfahren gibt es seit mehr als vierzig Jahren und wurde in über 50 Ländern eingeführt: Wahrheits- und Versöhnungskommissionen.

Wie die Dionysien der Antike versuchen solche Kommissionen, tiefe soziale Traumata zu heilen und soziale Versöhnung herbeizuführen. In meinem Buch* untersuche ich, wie solche Kommissionen Südafrika, Guatemala und Spanien veränderten. Jedes dieser Beispiele hat der ukrainischen Gesellschaft etwas zu bieten.

  • In Südafrika spielten die anglikanische Kirche und insbesondere Erzbischof Desmond Tutu eine Schlüsselrolle, damit es statt zu gewaltsamer Vergeltung zu Vergebung und Heilung kam.
  • In Guatemala trug die Kommission (vor Ort als Historische Aufklärungskommission bekannt) dazu bei, trotz des Widerwillens der Militärregierung eine nationale Diskussion über die umstrittene Völkermordgeschichte des Landes zu fördern.
  • In Spanien vereinbarte ein Pakt zwischen den politischen Parteien des Landes, die Vergangenheit buchstäblich zu vergessen (Pacto de Olvido). Das gab neuen demokratischen Institutionen Zeit, sich zu entwickeln. Diese brachten schliesslich eine Zivilgesellschaft hervor, die in der Lage ist, die Vergangenheit in einem neuen und konstruktiven sozialen Kontext aufzuarbeiten.

In vielen Ländern waren Wahrheits- und Versöhnungskommissionen in der Lage, als Therapie ergreifende emotionale Zeugnisse aller Seiten zusammenzutragen, öffentlich zu präsentieren und die Öffentlichkeit so zu einer Katharsis zu führen – einer Läuterung des gegenseitigen Hasses, die eine Heilung der Gesellschaft ermöglicht. Dem einst feindlichen Anderen wurde seine Menschlichkeit zurückgegeben.

Die Ukraine ist durch jahrzehntelange interne Zwietracht zerrissen. Durch Interventionen von aussen wurde diese Zwietracht noch verschlimmert. Eine Wahrheits- und Versöhnungskommission, die den Ängsten und dem Leid aller Seiten eine Stimme gibt, und die darauf abzielt, ein von allen geteiltesbürgerliches Konzept der ukrainischen Identität zu schmieden, das niemanden ausschliesst, könnte einen wertvollen Beitrag zu einem dauerhaften Frieden leisten.

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Übersetzung: Infosperber

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Oben      —    Das Dionysostheater

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Doppelmoral des Bündnisses

Erstellt von Redaktion am 20. Februar 2023

Zur Vorbereitung der Nachbereitung der Sicherheitskonferenz 2023

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Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von     :      Klaus Hecker

Im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz hat das Bundesministerium der Verteidigung eine Seite eingerichtet, auf der der neue Leiter der Konferenz, Christoph Heusgen, den Kern und die Bedeutung der Konferenz erläutert.

„Wir sind konfrontiert mit einem Zivilisationsbruch durch Putin“, sagte Heusgen angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine. Ausgehend davon stehe die Frage im Mittelpunkt, wie die Grundlagen der regelbasierten internationalen Ordnung erhalten und gefestigt werden könnten. „Gilt die Stärke des Rechts – oder das Recht des Stärkeren?“ – diese Frage stellte Heusgen bewusst in den Raum. Er verband sie mit dem klaren Votum, dass sich die regelbasierte Ordnung, also die Stärke des Rechts, auch weiterhin durchsetzen müsse. Es dürften sich nicht jene politischen Führer durchsetzen, die das Recht nicht achteten. Straflosigkeit dürfe es in der internationalen Ordnung nicht geben.“[1]Kritische Zeitgenossen merken zu einer solchen Argumentation häufig an:

  • der Jugoslawien Krieg 1999, der von den USA und Deutschland und anderen geführt worden ist, sei doch der erste Krieg und Bruch der europäischen Friedensordnung gewesen, explizit gegen einen russischen Verbündeten, nämlich Serbien, geführt worden. Kriegsfürst und damaliger Kanzler Schröder wies und weist immer wieder daraufhin, dass dieser Krieg ausdrücklich ohne Autorisierung durch die UNO, also somit auch gegen die UNO geführt wurde.
  • Weiterhin werden die beiden Irak-Kriege der USA angeführt und deren dreisten Kriegsbegründungslügenden von angeblichen Massenvernichtungswaffen Husseins eine Absage erteilt.
  • Das Ganze mündet dann bei meinen kritischen Genossen in dem Vorwurf der Doppelmoral an den Westen.
  • Und dieses in der Sache nicht zutreffende Narrativ ist anscheinend von solcher Hartnäckigkeit, dass es mir in Jahren mühsamer Gegenargumentation nicht gelungen ist, auch nur ein wenig Boden gut zu machen. Zu allem Überfluss bin ich auch noch davon überzeugt, dass das nicht an meiner Argumentation liegt.
  • Dieses aber zu prüfen, lieber Leser, sei dir überlassen.

Der Vorwurf der Doppelmoral unterstellt zunächst eine höhere Instanz, einen ausserhalb der Welt hockenden Richter, der wohl und gerecht abwägend beide Positionen vergleicht, prüft und beurteilt.

Diesen Richter gibt es aber nicht und es wird ihn auch nie geben. Es ist nachzuzeichnen und zu verstehen, dass die immanente Logik einer moralischen Argumentation immer den zum Gottvater kreiert, der die moralische Argumentation auf die Tagesordnung setzt. Anders formuliert: Derjenige, der sich zum Moralfürst aufschwingt, hat stets seine Massstäbe inthronisiert und will diese auch in seinem Sinne anwenden. Nun wird alles und jeder andere abgemeiert, immer streng an den eigenen Massstäben gemessen, Krieg verwandelt sich dann schon mal rasch in eine Friedensmission. Eines macht jener Moralfürst aber nie, nämlich als humanistischer, parteiübergreifender Weltgeist antreten und ggf. im Büssergewand die reichlich vorhandenen eigenen Missetaten abarbeiten.

Am Beispiel: Mit der Brandmarkung der Schändlichkeiten gegen den russischen Dissidenten Nawalny ist doch niemals gemeint, dass die hiesigen Opfer, wie etwa Assange oder Muhammad Abu Jamale jemals freigesprochen werden. Im Gegenteil: Sie beschmutzen unser System und gehören bestraft. Irgendwie logisch, oder? Mit der Aussage, dass Putin die eurpäisch Friedensordnung gebrochen habe, ist doch nicht angedacht, jetzt zu überlegen, ob der Westen nicht auch schon, vielleicht sogar öfters oder permanent die so friedliche Friedensordnung gebrochen hat bzw. bricht.

Hier hat keiner was vergessen oder nicht bedacht, wie oft interpretiert. Vielmehr und positiv gewendet: Mit der schlichten Ignorierung der eigenen Taten in der Vergangenheit definiert die neue Konferenzleitung programmatisch,

  • dass sie selbst die Hausherren sind,
  • es demzufolge unsere Ordnung ist,
  • die wir schlechterdings nicht übertreten können, die anderen aber schon und dauernd,
  • d.h., jetzt geht es erst richtig los. Das ist genau genommen die Ankündigung einer gnadenlosen Offensive,
  • Moral dient also – immer dazu – in Freund und Feind zu sortieren und nicht – wie im Bild der Justitia eingemeisselt -, Gleiches gegen Gleiches auszuwiegen

Und wenn dann noch der Ewald-von Kleist-Preis vergeben wird:

„Der Ewald-von-Kleist-Gründerpreis, der traditionell bei der Münchner Sicherheitskonferenz verliehen wird, soll laut Heusgen in diesem Jahr an Schweden und Finnland gehen. Damit werde die Bewerbung der beiden Staaten um die NATO-Mitgliedschaft gewürdigt.“[2]

Den NATO -Gürtel noch weiter um Russland schnallen, also weitere Kriegsgründe schaffen, erhält hier den Rang eines Kulturgutes. Ist das jetzt Doppelmoral, Stichwort Kubakrise? Oder wäre es vorstellbar, dass Mexiko und Venezuela einem russischem Pakt beitreten – plus weiteren 16 USA Anrainerstaaten – könnten, ohne dass die USA aufs Schärfste intervenieren würden.

Nein, natürlich nicht! Dennoch keine Doppelmoral. Vielmehr einsinnig und stringent schwingt sich hier der Westen auf, seine Werte praktisch werden zu lassen. Besser umgekehrt formuliert: Die weltweite Ausbeutung lässt sich ja keiner freiwillig gefallen. Sie muss also militärisch abgesichert werden. Es geht offenbar um gegensätzliche Interessen, denen ein kriegsträchtiges Potential inhärent ist. Und das heisst nichts Gutes.

Die Realität überholt gelegentlich die Satire, bei der ihrerseits angesichts der gegenwärtigen Weltlage nicht wirklich Freude aufkommt. Sonst hätte ich gesagt: Finstere Zeiten, in denen ein Krieg aus Versehen erklärt wird und aus Sicht der Kritiker ein 3.Weltkrieg sich in seinem inneren Kern als auf einer Doppelmoral fussend begründet, was wie gezeigt, nicht einmal den Rang einer Erklärung, sondern eher den einer Entschuldigung für sich beanspruchen kann.

Das ist nicht gut und schon gar nicht hilfreich: Wie eifrig und konsequent dagegen Deutschland seit Jahren auf eine globale militärische Präsenz hinarbeitet, zeige ich in dem angehängten Artikel „Ein kleiner Zwerg will nach oben“[3] verfasst zur Münchner Sicherheitskonferenz 2020.:Vor allem auch – „warum“.

Fussnoten:

[1] https://www.bmvg.de/de/aktuelles/sicherheitskonferenz-im-zeichen-russischen-angriffs-auf-ukraine-5583370

[2] https://www.bmvg.de/de/aktuelles/sicherheitskonferenz-im-zeichen-russischen-angriffs-auf-ukraine-5583370

[3] https://www.unsere-zeitung.at/2020/02/26/ein-fleissiger-zwerg-will-nach-oben/

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquellen          :

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Description Secretary of State Antony J. Blinken meets foreign ministers of the G7 nations in Munich, Germany, on February 18, 2023. [State Department photo by Ron Przysucha/ Public Domain]
Date
Source Secretary Blinken Meets Foreign Ministers of the G7 Nations
Author U.S. Department of State from United States
Public domain This image is a work of a United States Department of State employee, taken or made as part of that person’s official duties. As a work of the U.S. federal government, the image is in the public domain per 17 U.S.C. § 101 and § 105 and the Department Copyright Information.
U.S. Department of State official seal.svg

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Unten      —       Munich, Germany (February 17, 2023) Homeland Security Secretary Alejandro Mayorkas gave remarks during a lunch with other senior intelligence officials in Munich, Germany, at the HypoVereinsbank. (DHS photo by Sydney Phoenix)

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Sterben für kein Land?

Erstellt von Redaktion am 19. Februar 2023

Wer ist bereit, für den Donbas selber zu sterben, wer?

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Quelle      :        INFOsperber CH.

Marc Chesney /   

Das Recht auf Verteidigung versus das Recht auf Leben. Der Krieg ist eine Wette mit dem Einsatz von Millionen Menschenleben.

upg. Grosse Medien informieren viel über Argumente, die dafür sprechen, der Ukraine zu ermöglichen, sämtliche von Russland besetzten Gebiete zurückzuerobern. Deshalb lässt Infosperber zur Meinungsbildung ergänzend Stimmen zu Wort kommen, von denen man in grossen Medien wenig liest und hört. Heute den Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney,

Keine der vorgeblich demokratischen Regierungen fragt ihre Bürger, ob sie bereit wären, sich für den Donbas oder die Krim eventuell zu opfern. Deshalb sollten sich alle ganz persönlich diese Frage stellen. Wer im Namen des Rechts auf Selbstverteidigung, das jedem Land zusteht, auf Krieg drängt, sollte sich überlegen, welche Folgen dieser Krieg für sie selber, ihre Familien und ihr privates Umfeld haben könnte.

Wer sein Recht auf Leben und Achtung als unabdingbar einstuft, sollte seine Stimme erheben. Ohne dass es weder bei uns noch in der Ukraine eine demokratische Aussprache darüber gegeben hätte, befinden wir uns jetzt auf einem gefährlichen, ja apokalyptischen Kurs.

Ein paar Dutzend Einzelpersonen, kriegerische Minister, Generäle, Waffenproduzenten und Financiers stecken ihre Köpfe hinter verschlossenen Türen in Ramstein, Davos oder anderswo zusammen und beschliessen, eine Wette darüber einzugehen, wie Vladimir Putin auf die kürzlich beschlossenen Lieferungen von Kampfpanzern – und womöglich auf künftige Lieferungen von Kampfflugzeugen – an die Ukraine reagieren wird. Der Einsatz der Wette ist das Leben von Millionen, ja Milliarden Menschen.

Einige «akkreditierte Kommentatoren» wetten, dass er rational agieren werde, andere (manchmal die gleichen, bloss zu einem späteren Zeitpunkt) räumen ein, dass seine Reaktion nur schwer vorhersehbar sei. Politische «Verantwortungsträger» wie Emmanuel Macron betonen, die Lieferung von schweren Waffen mache ihr Land nicht zur Kriegspartei, andere, dass sie sich de facto bereits im Krieg gegen Russland befänden. So sagte Annalena Baerbock, Grünenpolitikerin und deutsche Aussenministerin kürzlich: «Wir führen einen Krieg gegen Russland».

Bundeskanzler Scholz wiederum hat zur Lieferung von Leopard-2-Panzern und generell von schweren Waffensystemen an die Ukraine erklärt, dass «niemand genau sagen kann, was eine gute oder schlechte Entscheidung ist».

Kurzum, es herrscht heilloses Durcheinander.Offensichtlich haben diejenigen, die mit dem Leben ihrer Bevölkerung Poker spielen, keinen Durchblick. Dann sollten sie besser davon absehen, solche schwerwiegenden Entscheidungen zu treffen. Sie heizen damit das Kriegsgeschehen an, erst recht angesichts der Tatsache, dass die genannten Panzer mit panzerbrechenden Langstrecken-Sprengköpfen aus abgereichertem Uran bestückt werden können. Sollten diese abgefeuert werden, käme das für Russland dem Einsatz von schmutzigen Atombomben gleich.

Falls die NATO keine solche Geschosse liefert, ist es wahrscheinlich, dass die ukrainische Regierung versucht, sie sich auf dem Schwarzmarkt zu beschaffen und auf Kommandozentralen oder Ortschaften auf russischem Staatsgebiet abzufeuern.

Solche Entscheide der Führenden der westlichen Welt sind verantwortungslos und verstossen gegen den gesunden Menschenverstand. Oft sind es radikale Ideologen, die die Erinnerung an das vom Zweiten Weltkrieg bewirkte Leid nicht weiter berührt. Sie haben Zugang zu geräumigen Atomschutzbunkern. Die Gefahren und das Leiden, das der aktuelle Konflikt insbesondere für die vor Ort verbliebenen Ukrainer bedeutet, lässt sie gleichgültig.

Sie sehen strategische und finanzielle Chancen – Frieden steht nicht auf ihrer Tagesordnung.

Für eine Handvoll Panzer mehr

Eine Regierung sucht die andere zu überbieten. In einem ersten Schritt sagen Dänemark, die baltischen Staaten und Spanien zu, einige Exemplare des Leopard 2 zu liefern, Deutschland und Polen je 14. Wer bietet mehr bei dieser internationalen, von der NATO orchestrierten Versteigerung? Bald schon wird es um die Lieferung von Kampfjets gehen!

Wie ist es denn um die Legitimität von Regierungen bestellt, die solche folgenschweren Entschlüsse ohne jegliche demokratische Konsultation fassen und dabei ihrer Bevölkerung nicht einmal einen minimalen Schutz garantieren können?

In der Schweiz machen kantonale und Bundesbehörden – anders als während den Jahrzehnten des Kalten Kriegs ­– keine öffentlichen Angaben zum Bevölkerungsschutz und Bereitschaft von angemessen ausgestatteten Schutzbunkern. Dieser Mangel an Vorbereitung ist inakzeptabel.

Das Scheitern eines ausbeuterischen Systems

Die fehlende demokratische Legitimation für die Eskalation in der Ukraine und der fehlende minimale Schutz der Bevölkerung sind ein Bruch des Gesellschaftsvertrags, der im Übrigen schon vor langem vollzogen wurde. Alle wichtige Warnsignale stehen auf Rot: Konflikt in Europa mit Gefahr einer nuklearen Eskalation, Erderwärmung, Verlust der Artenvielfalt, extreme soziale Ungerechtigkeiten usw. Es ist das grundlegende Scheitern eines ausbeuterischen Systems, das die Menschen nur als Produktionsfaktoren ansieht, welche in Kriegszeiten ungefragt zu Zerstörungsfaktoren werden und deren eigene Vernichtung dabei in Kauf genommen wird. In diesem System verkommen die Beziehungen der Menschen untereinander und auch ihr Verhältnis zur Natur zur Ware. Es ist an der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen, bevor dieses System uns in seinen Zusammenbruch mitreisst. Um es mit den Worten von Jean Jaurès kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs zu sagen: «Der Kapitalismus birgt in sich den Krieg wie die Wolke das Gewitter.»

Diese kriegstreiberischen Tendenzen stossen selten auf offene Ablehnung. Prekarität und Dauerberieselung durch die Medien machen Menschen gefügig und teilnahmslos. Eine ständige Flut völlig unerheblicher Schlagzeilen und Nachrichten – der Rücktritt von Roger Federer, die Fussball-Weltmeisterschaft, die Enthüllungen von Messi und Mbappé, der Tod der englischen Königin, die frühen Memoiren von Prinz Harry – lenken die Aufmerksamkeit ab und tragen zur allgemeinen Gehirnwäsche bei.

In fast allen Medienkanälen dominiert martialische Propaganda. Wie kann man nur einen Augenblick lang rechtfertigen, für einen ukrainischen oder eben russischen Donbas die Existenz ganzer Bevölkerungen aufs Spiel zu setzen?

Der sogenannte gerechte Krieg ist nur ein Krieg und nichts anderes als das, ein unerträglicher Konflikt, der enorme Gefahren für die Menschheit birgt. Wer auf beiden Seiten des Kugelhagels dagegen aufstehen und für das Leben eintreten will, dem sei an das Diktum erinnert: «Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.»

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Dieser Artikel erschien am 31.01.2023 in «Le Temps». Bearbeitung der deutschen Fassung durch Infosperber.

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Oben      —     Protests in Donetsk   (Donbas )

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Der politische Heimatverlust

Erstellt von Redaktion am 18. Februar 2023

Russland-Romantik und theoretische Belehrungen statt Solidarität: 

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Von Anastasia Tikhomitova

Die deutsche Linke versagt im Umgang mit der russischen Aggression in der Ukraine. Die Solidarität mit den Unterdrückten gilt nicht für massakrierte Ukrai­ne­r:in­nen oder entrechtete Minderheiten in Russland.

Etwa 150 Menschen stehen an einem kalten Januarabend vor dem russischen Haus der Kultur in Berlin. Unter dem Motto „Erinnern heißt Kämpfen“ protestieren vornehmlich ukrainische und russische Linke gegen die russische imperialistische Aggression gegen die Ukraine, gegen Faschismus weltweit sowie politischen Terror in Russland.

Auf der Demo hört man neben Ukrainisch und Russisch hin und wieder Englisch, Deutsch hingegen ist nur vereinzelt vernehmbar. „Die Ukraine muss gewinnen“, sagt Michael Efler von der Partei Die Linke, der als einziger deutscher Linker eine solidarische Rede auf der Demo hält, in der er einige seiner Parteifreund:innen, insbesondere Sahra Wagenknecht, für ihre Haltung gegen Waffenlieferungen an die Ukraine rügt. Diese Position ist in der deutschen Linken eine Seltenheit. Keine der zahlreichen antifaschistischen Gruppierungen hat auf diese Demo hingewiesen oder ist dort erschienen.

Wieso scheint Russlands Krieg in der Ukraine deutsche Linke trotz eines proklamierten Internationalismus nur marginal zu interessieren? Erwähnung findet der Krieg in linken Kontexten insbesondere, wenn es um die berechtigte Kritik an den steigenden Lebenskosten in Deutschland geht. Die Verantwortung dafür suchen Teile der Linken jedoch nicht bei Russland, sondern beim Westen, der Sanktionen gegen Russland verhängte, oder der Ukraine, die sich nicht ergeben will.

Hört man sich in linken Bündnissen um, fällt auch die Antwort auf die Frage, wer die Schuld an diesem Krieg trägt, alles andere als eindeutig aus. Ein beachtlicher Teil der deutschen Linken scheint fest daran zu glauben, dass der Angriff Russlands eine provozierte Reaktion auf die sogenannte Osterweiterung der Nato darstellt. Wie oft wurde im vergangenen Jahr auf linken Antikriegsdemos „Frieden mit Russland“ und „Nein zur Nato“ skandiert, statt sich den Forderungen von Ukrainer:innen, russischer indigener Minderheiten und demokratischer, linker Rus­s:in­nen anzuschließen?

Hierbei erinnert man sich immer gern an das vermeintliche mündliche Versprechen Deutschlands und der USA an Gorbatschow 1990, und verkennt dabei, dass mittelosteuropäische Staaten der Nato aus eigenem Willen und aufgrund ihrer eigenen Erfahrung mit dem russischen Imperialismus beitraten. Vergessen wird auch das jahrelange Ignorieren ukrainischer Sicherheitsbedürfnisse und das Budapester Memorandum von 1994, in welchem Russland der Ukraine für die Abtretung ihrer Atomwaffen volle Souveränität und die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen zusicherte. Diese unterzeichnete Vereinbarung wurde bekanntlich 2014 verletzt.

Angesichts westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine sehen sich pazifistische Linke nur bestärkt in ihrer Sicht, denn mehr Waffen könnten ja keinen Frieden schaffen – obwohl zahlreiche Kriege durch Waffenlieferungen beendet wurden. Zudem sprechen sie von einer historischen Verantwortung aufgrund des Zweiten Weltkriegs gegenüber Russland. Diese besteht aber genauso gegenüber der Ukraine, da sie neben Belarus am meisten unter der deutschen Invasion gelitten hatte. Doch stattdessen machen linke Pazifisten den Vorschlag, die Ukraine solle kapitulieren oder sich auf Verhandlungen mit Russland einlassen, das genozidale Absichten durch eine Delegitimierung der ukrainischen Identität und Kultur mehr als deutlich gemacht hat. Das ist „Westsplaining“ in Form eines realitätsfernen, moralisierenden Pazifismus, angesichts dessen, dass etwa 90 Prozent der Ukrai­ne­r:in­nen für die Rückeroberung der besetzten Gebiete sind, weil sie genau wissen, was ihnen unter russischer Besatzung droht.

Beachtlich ist außerdem, dass nur westliche Waffenlieferungen und die Militarisierung der Ukraine angeprangert werden, nicht aber Waffen aus dem Iran und Nordkorea für Russland. Und auch nicht die Durchmilitarisierung Russlands in den letzten Jahrzehnten. Befeuert wird dies durch prorussische Propaganda, die über Instagram und Telegram verbreitet wird, über linke Kanäle wie „redfishstream“, den linken Arm von Russia Today, oder antiimperialistische Zeitungen wie die junge Welt. Unter dem Twitterhashtag „Das ist nicht unser Krieg“ findet sich zudem eine reaktionäre Querfront zusammen, die am liebsten so weitermachen würde, als sei Russland nie in die Ukraine einmarschiert. In diesen Kreisen werden jegliche Maßnahmen gegen russische Propaganda verurteilt, der ukrainische Präsident Selenski in antisemitischer Manier als Nato-Schoßhund bezeichnet, die Bedeutung der extremen Rechten in der Ukraine maßlos überzeichnet und Verbrechen gegen ukrainische Zi­vi­lis­t:in­nen heruntergespielt oder geleugnet.

Auch nach Kritik an Russland und seiner Führung sucht man hier vergeblich, vielmehr findet hier eine Apologetik statt. Siehe allein das neueste Beispiel in Form einer Petition und eines Manifests, verfasst von der Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht und der Feministin Alice Schwarzer, worin diese fordern, „uns“, also der Hälfte der Deutschen und ihrer verklärten Sicht auf den Krieg in der Ukraine zuzuhören. Man solle alle Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen, um Schaden vom deutschen Volk zu wenden.

So verkennen deutsche und andere westliche Pa­zi­fis­t:in­nen und An­ti­im­pe­ria­lis­t:in­nen den Imperialismus in Russlands Handeln. Ihre Analyse basiert oft auf veralteten, vulgär-marxistischen Imperialismustheorien. Russland ist heute jedoch eine fossilkapitalistische Diktatur, ohne freies Bürgertum und klassische Arbeiterklasse und wird von einem unproduktiven Oligarchentum und Geheimdiensten regiert. Gewiss trifft Karl Liebknechts Losung „der Hauptfeind steht im eigenen Land“ auf die russische Gesellschaft zu. Doch ertönt diese in linken Kontexten vor allem in Bezug auf die Ukraine und verhindert so das Benennen der Kriegsverantwortlichen. Ganz sicher ist nicht Wolodimir Selenski der Hauptfeind des ukrainischen Volkes, sondern das imperiale Russland und Wladimir Putin. Die Symmetrien zwischen imperialistischen Mächten aus der Zeit während und nach dem Ersten Weltkrieg, aus der die Losung stammt, existiert heute so nicht mehr. Sinnvoll wäre gewiss auch, diesen „Rat“ im eigenen Land anzuwenden, wo für die Handlungen des deutschen Kapitals, das gegen alle Warnungen Appeasement mit Russland trieb, bislang keine Verantwortung übernommen wird.

Getrieben von einem regressiven Antiamerikanismus und der Romantisierung Russlands als Nachfolger der Sowjetunion, findet in Teilen der Linken eine Überidentifikation mit dem „Anti-Westen“ statt, ganz der plumpen „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“-Logik folgend, obwohl für Marx eine bürgerlich-demokratische Gesellschaft – welche die Ukraine im Begriff war zu erschaffen – eine notwendige Voraussetzung für den Sozialismus darstellt. In Äquidistanz zu Despotie und Demokratie versagt man denjenigen Hilfe, die vielleicht nicht unter der roten Fahne, aber ohne Zweifel für Menschenrechte und Freiheit kämpfen, und stellt eigene Theorien über gelebte Realität in Ländern auf, über die man bisher kaum etwas wusste. Aus einer solchen Perspektive ist die Ukraine noch immer eine Pufferzone für russische und westliche Interessen, sind ihre Bür­ge­r:in­nen US-Marionetten und nicht autonome Subjekte. Ähnlich duckten sich Linke auch bei der Unterdrückung der Revolution in Belarus 2020 weg, den blutig niedergeschlagenen Protesten in Kasachstan 2022, beim russischen Krieg gegen Georgien 2008 oder bei den beiden Tschetschenienkriegen, die etwa 200.000 zivile Opfer forderten, während die Maidanrevolution 2013/14 in Kyjiw als vom Westen inszenierter, nationalistischer Aufstand verächtlich gemacht wurde.

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Wider den Fatalismus

Erstellt von Redaktion am 15. Februar 2023

Der Planet wird uns – wenn nötig – abschütteln

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Ein Schlagloch von Ilja Trojanow

Wenn ohnehin alles schon zu spät wäre, könnten wir uns die Mühe gleich sparen. Ist es aber nicht und Panikmache allenfalls kontraproduktiv. Der Planet wird uns – wenn nötig – abschütteln wie eine lästige Erkältung und ohne uns weiter existieren.

Zu spät“, sagte die Frau im Radio. „Es ist zu spät.“ Die Politikerin wiederholte ihre Klage ein Dutzend Mal. Um das Zögern des Bundeskanzlers bei Panzerlieferungen anzugreifen. Auf Kosten der deutschen Sprache, denn wenn etwas zu spät ist, kann man es auch gleich bleiben lassen. Wer zu spät zum Bahnhof kommt, verpasst den vorgesehenen Zug. Endgültig. Aber es gibt – bei der Bundesbahn wie auch im richtigen Leben – meist einen anderen Zug, einen nächsten. Laut Fahrplan und Lebenserfahrung. Einen Zug, in den man trotz vorangegangenen Gejammers einsteigen wird.

Wir sind derartige Hysterisierung inzwischen gewohnt. Seit einigen Jahren mit endzeitlichem Horizont. Ob beim Krieg gegen die Ukraine oder im Kampf gegen die Klimazerstörung, stets handelt es sich um unsere letzte Chance. Um einen finalen Showdown mit dem Schicksal. Als spielten wir beim Poker all-in. Ob es um unsere Freiheit oder das Überleben der Menschheit geht: It’s now or never!

Das Endgültige zeichnet sich dadurch aus, dass es selten vorkommt – die Apokalypse hat ein solides Alleinstellungsmerkmal. Das Hierundjetzt hingegen wiederholt sich unzählige Male, täglich, stündlich, augenblicklich. Es eignet sich schlecht zur Überdramatisierung, zur existenziellen Reizüberflutung. Und die Gelassenheit, die sich aus dem Wissen um eine weitere Chance ergibt, ermöglicht einen aufgeklärteren Diskurs als das Drohen mit dem Weltuntergang, das uns in die Arme der Alternativlosigkeit treiben soll.

Strukturell ist das Kröchsen der Krähen von allen Kriegstürmen herab dem Sirenengeheul an Bord des untergehenden Planeten Erde ähnlich. Natürlich bin auch ich angesichts der Faktenlage überzeugt, dass wir nur durch radikale Transformation schwerste ökologische Schäden vermeiden können. Weder technologische Lösungen noch grüner Habitus werden uns dabei wesentlich helfen. Aber ich bezweifle, angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre, dass krypto-religiöser Alarmismus einen wertvollen Beitrag leistet.

Zumal die apokalyptische Erwartung wenig mit der Realität zu tun hat. Unsere Freiheit wird natürlich nicht nur in der Ukraine verteidigt. Zum einen, weil sie sich vieler anderer Angriffe erwehren muss (das Erstarken autoritärer und repressiver Kräfte, Vermögenskonzentration, Überwachungskapitalismus, die globale Ungerechtigkeit usw.). Zum anderen, weil es gute Gründe gibt zu bezweifeln, dass eine geschwächte Armee, die nicht einmal einige Provinzen des Nachbarlandes okkupieren kann, in absehbarer Zeit Länder der Nato angreifen oder gar besetzen wird.

Ähnlich verhält es sich bei den ökologischen Herausforderungen. Die Erde wird nicht untergehen, sondern wenn überhaupt die Menschheit. Das Gleichnis von der Arche Noah, das uns hierzulande stark geprägt hat, entstand in einer Wüste, wo es wenige Tiere gab. Die Indigenen im Amazonas, umgeben von allem, was fleucht und kreucht, wären nie auf so eine Geschichte gekommen, weil sie wussten, dass es auch Tiere im Wasser gibt. Jede Dystopie trägt ihre eigenen Scheuklappen. Der Planet wird uns – wenn nötig – abschütteln wie eine lästige Erkältung und ohne uns weiter existieren. Und wer die Natur liebt oder verehrt, wird diese Aussicht vielleicht als beglückend empfinden – schließlich ist schwer erträglich, dass wir das Wunder des Urwaldes zerstören, um veganen Käse zu produzieren. Was untergehen könnte, ist unsere dekadent-destruktive Lebensweise.

Panische Zuspitzungen verhindern, dass wichtige Entwicklungen Beachtung finden. Ein Beispiel hierfür war die Berichterstattung über Lützerath. Die Medien servierten uns ein „High Noon in Niederrhein“: Bagger gegen Baumhäuser. Und übersahen dabei, dass sich dort lebendige und belebende Formen eines alternativen Miteinanders bildeten, wie mir drei Teilnehmerinnen erzählten. Das selbstorganisierte Wirken von Tausenden von Menschen (ein beeindruckendes Panorama der Klimabewegung von gemäßigt bis radikal), die auf basisdemokratische Weise ein funktionierendes Kollektiv formten.

Quelle        :          TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

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Oben     —     Full disk view of the Earth taken on December 7, 1972, by the crew of the Apollo 17 spacecraft en route to the Moon at a distance of about 29,000 kilometres (18,000 mi). It shows AfricaAntarctica, and the Arabian Peninsula.

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Ein Jahr Russischer Krieg

Erstellt von Redaktion am 15. Februar 2023

Ein Jahr russischer Angriffskrieg: – Das Elend der linken Legenden

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Oben     —     Montage of the 2022 Russian invasion of Ukraine

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„Nationale Sicherheit“ BDI

Erstellt von Redaktion am 15. Februar 2023

Im Kampf um die Ausgestaltung des multipolaren Weltmarktes

Quelle:    Scharf  —  Links

Von  Iwan Nikolajew

  1. Prolog

„Zeitenwende“ im deutschen Kapital. „Zeitenwende“ im deutschen Imperialismus. Für die deutsche Bourgeoisie ist die Nachkriegszeit vorbei und eine neue Vorkriegszeit bricht an. Die „nationale Sicherheit“ des deutschen Kapitals bestimmt von nun an die Politik und nicht mehr die „Globalisierung“. Es endet die „Globalisierung“ in der „nationalen Sicherheit“, welche die „De-Globalisierung“ exekutiert. Das deutsche Monopolkapital, konzentriert im BDI, rüstet sich für einen dritten Griff zur Weltmacht.

  1. Das erste Gebot- Schutz der „nationalen Sicherheit“

Mit dem offenen Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes ab der „Corona-Krise“ 2020 endet die Weltgesellschaft, endet das Weltdorf bzw. das „globale Dorf“. Die nationalen Grenzen treten wieder in den Vordergrund, die kapitalistische „Nation“ wird wieder sichtbar, Geopolitik schlägt Geoökonomie. War in der Zeit der sogenannten Globalisierung der Begriff „Geopolitik“ ein Begriff aus alter Zeit und meist von faschistischen oder nationalliberalen Ideologen der Bourgeoisie besetzt, ist er heute in der ganzen Bourgeoisie weit verbreitet und beliebt. Das politische Koordinatensystem hat sich verschoben, verschoben hin zur der Fraktion der nationalliberalen Fraktion des Kapitals, denn die transatlantische Fraktion des Kapitals beginnt beim Nationalliberalismus Anleihen aufzunehmen. Nicht mehr Freihandel steht im Vordergrund, sondern „Handel unter Freunden“, was eben zu einer Negation des Freihandels führt, und damit konkret zum Nicht-Handel mit „Nicht-Freunden“, also „Nicht-Handel“ mit „Feinden“.

Am Anfang der Geopolitik steht die Unterscheidung zwischen „Freund“ und „Feind“. Mit dem offenen Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes ab dem Jahr 2020 in der „Corona-Krise“ steht für das Kapital die „Freund-Feind“-Bestimmung im Zentrum seiner Politik. In der „Freund-Feind“-Bestimmung gibt es keine Neutralität. Wer nicht für die konkrete Anti-Feind-Politik“ des Kapitals ist, ist ein „Feind“. Die Aufforderung des bürgerlichen Staates nach „Haltung“, ist eine Aufforderung sich der „Freund-Feind“-Unterscheidung zu unterwerfen, sich aktiv als „Freund“ oder „Feind“ auszuweisen. In letzter Konsequenz heißt „Freund“ übersetzt in die Sprache des Ausnahmezustandes „Leben“ im Sinne von „Überleben“, während „Feind“ für den Tod steht. In diesem Sinne steht „Haltung“ für Feindschaft gegenüber dem „Feind“ und „Freundschaft“ gegenüber dem nationalen Kapital. Die „nationale Sicherheit“ ist die Unterscheidung zwischen „Feind“ und „Freund“. Das Kapital organisiert sich nach dem Prinzip der „nationalen Sicherheit“ und damit wird dann auch die Arbeiterklasse nach dem Prinzip der „nationalen Sicherheit“ organisiert. „Neutralität“ ist unter diesen Bedingungen versteckte Feindschaft und diese versteckte Feindschaft fürchtet die Bourgeoisie derzeit am meisten. Es werden derzeit von der Arbeiterklasse Loyalitätserklärungen an ihre eigene Bourgeoisie erwartet. Wer diese Loyalitätsbezeugung verweigert ist für die Bourgeoisie der „Feind“. Eine formale Loyalitätsbezeugung reicht nicht aus, sie muß in der Praxis des proletarischen Alltagslebens geliefert werden. Nur dann sieht die Bourgeoisie die „nationale Sicherheit“ gewährleistet. Für die Bourgeoisie ist die „nationale Sicherheit“ ihre Souveränität und ihre Resilienz. Die Souveränität ist dann die „offene strategische Autonomie“ des deutschen Kapitals

„Das Ziel der Bundesregierung und der Europäischen Kommission, die Souveränität und Resilienz in Europa zu stärken, ist angesichts wachsender geopolitischer und ökonomischer Risiken vordringlicher denn je…Unternehmen und Wirtschaftspolitik müssen sich auf die massiv veränderte Lage einstellen. Die EU und ihre Unternehmen können sich nicht auf den Goodwill autokratischer Staatenlenker verlassen. Nicht erst mit dem Krieg Russlands in der Ukraine treten strategische Abhängigkeiten zum Vorschein.“ Neben den geplanten Maßnahmen in den Feldern Energiewirtschaft und Verteidigung müssen Unternehmen und Politik Vorsorge in weiteren kritischen Bereichen treffen. Hierzu bedarf es zuvorderst einer Verzahnung verschiedener Fachbereiche in der Politik. (BDI-Grundsatzpapier: Europäische Souveränität stärken, Zur offenen strategischen Autonomie, 29. Oktober 2022, im folgendem abgekürzt mit BDI)

Resilienz stärken heißt ein dichtes Sicherheitsnetz über die Arbeiterklasse werfen. Das Kapital unterzieht sich einer Neuzusammensetzung und damit auch die Arbeiterklasse unter dem materiellen Primat der Staatssicherheit bzw. der „nationalen Sicherheit“. Darum steht auch die Souveränität gleichzeitig für eine autarkische Tendenz in der Politik des deutschen Imperialismus. Zuvor versuchte der deutsche Imperialismus eine gegenseitige Abhängigkeit mit Rußland oder China zu konstituieren und ging gleichzeitig politisch gegen den russischen Imperialismus oder China vor. Diese Politik scheiterte in der Ukraine. Die gegenseitigen ökonomischen Verflechtungen des deutschen und russischen Kapitals, vor allem im Energiesektor, hielt den russischen Imperialismus nicht davon ab, seine Interessen gegenüber dem deutschen Imperialismus und dem NATO-Pakt in der Ukraine zu verteidigen, dabei war die ökonomische Verflechtung des deutschen Kapitals mit dem russischen Kapital, vor allem in Energiefrage, das Zuckerbrot, und die NATO und EU-Erweiterung die Peitsche. Diese Politik des deutschen Imperialismus scheiterte in der Ukraine und nun ruft das deutsche Kapital nach Entflechtung mit dem russischen Imperialismus, aber auch gegen China, denn Rußland und China sind in einem Bündnis gegen den transatlantischen Imperialismus vereint. Der Ruf der deutschen Bourgeoisie nach Souveränität, einer tendenziellen Autarkie, ist das Resultat der Niederlage des deutschen Imperialismus in der Ukraine gegen den russischen Imperialismus. Zweifellos ist der Ukraine-Krieg ein Schock für den deutschen Imperialismus, welcher immer dem russischen Imperialismus den Respekt verweigerte und nicht auf gleicher Augenhöhe behandelte. Einen Ausgleich mit dem russischen Imperialismus verweigerte bisher der deutsche Imperialismus. Die Niederlage in der Ukraine führt zu Revancheforderungen im deutschen Kapital. Da der deutsche Imperialismus militärisch zu schwach ist, wird die militärische Schwäche über den antirussischen Wirtschaftskrieg kompensiert. Und auch im Wirtschaftskrieg scheitert der deutsche Imperialismus am russischen Imperialismus. Deshalb der Bruch in der Politik des deutschen Imperialismus, denn es ist offensichtlich, daß sich der deutsche Imperialismus neuformieren muß, um im multipolaren Weltmarkt nicht unterzugehen. Die Politik der gegenseitigen Abhängigkeit wird verworfen und nun wird eine Politik der Souveränität und damit der tendenziellen Autarkie angestrebt, wobei die konkrete Ausgestaltung dieser Politik offen ist. Diese konkrete Ausgestaltung einer Politik der Souveränität muss erst innerhalb des Kapitals selbst in Fraktionskämpfen ausgekämpft werden und dabei muß primär der Klassenkampf zwischen Kapital und Proletariat berücksichtigt werden, denn jede Kapitalfraktion muß sich vermittels einer sozialen und politischen Massenbasis legitimieren und kann dies politische Gewicht in den Fraktionskampf der herrschenden Klasse hinein mobilisieren. Das deutsche Kapital weiß nur, was es nicht will, aber nicht, was es stattdessen will. Über eine längere Phase wird die Hegemonie innerhalb der herrschenden Klasse labil sein, tendenziell ist damit die bürgerliche Klassenherrschaft in Frage gestellt und der Notstand ist es, der in dieser Phase die bürgerliche Klassenherrschaft sichert. Hinter dem Notstand formiert sich die Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse und gegen die Weltmarktkonkurrenten neu. Explizit stellt der BDI auf die „nationale Sicherheit“ ab, welche die materielle Grundlage für eine Politik der Souveränität bildet.

„Ordnungspolitisch sollten dabei vier Ziele im Vordergrund stehen: Lieferketten sollten stabilisiert, Technologiefähigkeiten erlangt und ausgebaut, industrielle Fertigkeiten zur Wahrung der eigenen Handlungsfähigkeit inklusive der nationalen Sicherheit verstärkt und die Internationale Wettbewerbsfähigkeit behauptet werden, etwa mit fairen und effektiven Handelsregeln“ (BDI a.a.O.)

Die „nationale Sicherheit“ hat viele Formen. Eine Form ist der Notstand und dieser ist derzeit aktuell. Erst eine Politik der „nationalen Sicherheit“ schafft die materielle Basis für faire und effektive Handelsregeln, so der BDI. Der BDI erkennt deutlich, daß die große ökonomische Macht des deutschen Imperialismus nicht ausreicht, sich in der multipolaren Weltmarktkonkurrenz durchzusetzen, es bedarf auch einer großen militärischen Schlagkraft und diese fehlt deutschen Imperialismus. Im neoliberalen Weltmarkt sicherte der US-Imperialismus als Hegemonialmacht in der imperialistischen Kette bisher die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus. Doch dies ist vorbei. Nachdem der US-Imperialismus seine Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette verlor, formal im Ukraine-Krieg, jedoch real schon weit vorher, ändert sich das US-deutsche Verhältnis in ein deutliches Konkurrenzverhältnis, welches aber der deutsche Imperialismus nicht wahrhaben will und verzweifelt versucht die „deutsch-amerikanische Feindschaft“ zu verhindern und die „deutsch-amerikanische Freundschaft“ zu sichern. Doch die große Unterwürfigkeit des deutschen Imperialismus unter die Interessen des US-Imperialismus vermindert nicht den großen Druck des US-Imperialismus auf den deutschen Imperialismus. Der deutsche Imperialismus führt seinen transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieg aus eigenen Interessen und die deutschen Interessen sind nicht deckungsgleich mit den Interessen des US-Imperialismus. So war der deutsche Imperialismus sofort an vorderster Stelle im antirussischen Wirtschaftskrieg dabei und einer der Haupttreiber dieses Wirtschaftskrieges, kann jedoch nicht aus eigenen Interessen und eigenen Willen einen Sonderfrieden mit dem russischen Imperialismus schließen, obwohl vor allem der deutsche Imperialismus schwere Schäden einstecken muß, denn der US-Imperialismus hat eine höhere Machtentfaltung als der deutsche Imperialismus und kann ihn zwingen, den Wirtschaftskrieg weiterzuführen. Die Sprengung der Nord Stream-Pipelines demonstriert die Macht des US-Imperialismus.

Der deutsche Imperialismus konnte zwar einen antirussischen Wirtschaftskrieg beginnen, kann ihn aber ohne die Zustimmung des US-Imperialismus nicht ohne weiteres beenden. Nur dann kann der deutsche Imperialismus den antirussischen Wirtschaftskrieg beenden, wenn er sich noch zusätzlich mit dem US-Imperialismus konfrontiert. Während der deutsche Imperialismus nur den Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus führt, führt der US-Imperialismus gleichzeitig zwei Wirtschaftskriege, einmal gegen den russischen Imperialismus und einmal gegen den deutschen Imperialismus und damit auch indirekt gegen die EU. Zusätzlich bereitet sich der US-Imperialismus auf einen Wirtschaftskrieg mit China vor, der jederzeit ausbrechen kann. So willig der deutsche Imperialismus ist, den antirussischen Wirtschaftskrieg zu führen und letztlich auch gegen China, so unwillig ist er, den Wirtschaftskrieg gegen den US-Imperialismus zu organisieren. Erst die Verluste und die zerbrechende sozioökonomische Stabilität des Modell Deutschland werden den deutschen Imperialismus, bei Strafe des Untergangs, von seinen Illusionen in die „Deutsch-amerikanische-Freundschaft“ befreien und ihn dann objektiv wieder auf den deutschen Sonderweg zurückführen. In der Ferne klingt dies auch in dem oben aufgeführten Grundsatzpapier des BDI an und wird mit dem Begriff „offene strategische Autonomie“ beschrieben oder als Souveränität und meint immer eine relative Autarkie im Sinne multipolarer imperialistischer Blöcke. Jedoch in der Nahperspektive verbleibt der deutsche Imperialismus im transatlantischen Fahrwasser des US-Imperialismus, auch dies zeigt sich im Grundsatzpaper des BDI. Doch der Protektionismus des multipolaren Weltmarktes wird auch in letzter Instanz den transatlantischen Metropolenblock sprengen und die transatlantischen Metropolen dazu bringen, sich gegeneinander auszurichten. Vor allem in der Frage der Halbleiterproduktion in der EU bestehen noch Illusionen in die transatlantische Zusammenarbeit.

„Das Halbleiter-Ökosystem ist global aufgestellt. Initiativen, wie das Transatlantic Trade and Technology Council (TTC), sollten daher verstärkt genutzt werden, um die Kernkompetenzen von Europa und Nordamerika zu stärken und gleichzeitig enger zusammenzuarbeiten. Eine engere transatlantische Kooperation ist eine entscheidende Voraussetzung, um die Wettbewerbsfähigkeit der Halbleiterindustrie in beiden Regionen zu stärken“. (BDI, a.a.O. S. 11)

Die strategische Autonomie des BDI bzw. des deutschen Imperialismus insgesamt bezieht sich derzeit konkret lediglich auf eine strategische Autonomie innerhalb der transatlantischen Bündnisse und damit unter der Dominanz des US-Imperialismus. Jedoch ist die transatlantische strategische Autonomie des deutschen Imperialismus vom US-Imperialismus eine Illusion, denn gerade der Verlust der Hegemonie durch den US-Imperialismus verstärkt auch die intra-transatlantische Weltmarktkonkurrenz; die relative Schwäche des US-Imperialismus reduziert die Spielräume des deutschen Imperialismus innerhalb der transatlantischen Bündnissysteme in Richtung Null. Spielräume des deutschen Imperialismus innerhalb und außerhalb der transatlantischen Strukturen ergeben sich nur bei einem hegemonialen US-Imperialismus und damit im neoliberalen Weltmarkt, nicht jedoch im multipolaren Weltmarkt, der ein Produkt der Nicht –Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette ist und damit auch ein Produkt des Hegemonialverlustes des US-Imperialismus Im multipolaren Weltmarkt kann der deutsche Imperialismus seine strategische Autonomie nicht mit, sondern nur gegen den US-Imperialismus realisieren. Doch diese Position wird mehrheitlich im deutschen Gesamtkapital verworfen und das deutsche Gesamtkapital wird seine Erfahrungen machen müssen. Noch kann der deutsche Imperialismus, hier vor allem der BDI, nur eine strategische Autonomie gegen den russischen Imperialismus und gegen China in Betracht ziehen. Die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus ist immer noch in letzter Instanz die „nationale Sicherheit“ des US-Imperialismus gegen die internationale Arbeiterklasse. Bis jetzt findet die „nationale Sicherheit“ des deutschen Kapitals ihre Grenze an der „nationalen Sicherheit“ des US-Kapitals, was man konkret im Fall Assange und im Fall Snowden sehen kann. Die US-Geheimdienste kontrollieren im transatlantischen System die elektronischen Kommunikationssysteme und führen Lauschangriffe auch auf die Bundeskanzlerin oder dem Bundeskanzler durch, ohne daß der deutsche Imperialismus einen realen Widerstand leistet. Während der deutsche Imperialismus sich vom russischen Imperialismus abkoppelt, China mit der Abkopplung droht, bleibt es im US-deutschen Verhältnis ruhig. Statt Abkopplung vom US-Imperialismus eher Aufgabe der strategischen Autonomie des deutschen Imperialismus gegenüber dem US-Imperialismus. Dann dient der Begriff „strategische Autonomie“ lediglich der Abkopplung von Rußland und China zugunsten einer engeren Verflechtung mit dem US-Kapital. Der Feind ist nicht der US-Imperialismus, sondern auf der staatlichen Ebene der russische Imperialismus und China, hingegen der eigentliche Feind die Arbeiterklasse ist. Der Ukraine-Krieg ist lediglich der Anlaß für die Neuausrichtung des deutschen Imperialismus. Erst langsam wird sich der deutsche Imperialismus vom US-Imperialismus emanzipieren. Noch hält die deutsche Bourgeoisie in Nibelungentreue zum US-Imperialismus. Schon seit längerem versucht die EU-Kommission eine Strategie zu erarbeiten, um die strategischen Abhängigkeiten zu reduzieren. Dies trifft auf die Zustimmung des BDI.

„Man will die „strategische Souveränität“ Europas erhöhen“. Explizit geht es „dabei auch um den Systemwettbewerb mit autoritär regierten Staaten“. (BDI: a.a.O. S. 3)

Der Feind sind selbstverständlich vor allem Rußland und China, denn die transatlantischen Bundesgenossen des deutschen Imperialismus sind natürlich demokratische Staaten, denn sonst wären sie keine Bundesgenossen des „demokratischen“ Deutschland.

Der Begriff „strategische Autonomie“ bzw. Souveränität zeigt an, daß das deutsche Kapital den Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes akzeptiert hat. Im neoliberalen Weltmarkt, wo die Hegemonie durch den US-Imperialismus ausgeübt wird, benötigte keine Metropole eine „strategische Autonomie, diese wäre gar ein Angriff auf den neoliberalen Weltmarkt. Vor allem Rußland und China haben seit Beginn der Großen Krise im Jahr 2007 eine Politik der „strategischen Autonomie und „Souveränität“ exekutiert und damit auch eine Politik der „strategischen Autonomie und Souveränität“ gegenüber dem US-Imperialismus und seinem transatlantischen System, denn der US-garantierte neoliberale Weltmarkt blockierte die Akkumulation des russischen und chinesischen Kapitals. Der US-Imperialismus war der einzige Souverän und besaß als Einziger eine „strategische Autonomie,“ denn er garantierte den neoliberalen Weltmarkt, zu seinem Vorteil, aber auch zu dem Vorteil aller anderen Metropolen und der Peripherie. Die Absetzbewegung Rußlands und Chinas aus dem neoliberalen Weltmarkt versuchte der US-Imperialismus und sein transatlantisches System zu verhindern. Über die Kolonialkriege in Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen, Libyen etc. versuchte der US-Imperialismus Rußland und China im neoliberalen Weltmarkt zu halten, bzw. dort weiter gefangen zu halten. Diese Kolonialkriege waren immer Stellvertreterkriege zwischen den transatlantischen Metropolen auf der einen Seite und dem russischen Imperialismus und China auf der anderen Seite. Auf den Schlachtfeldern von Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen, Libyen etc. wurde dieser Konflikt ausgetragen, auf diesen Schlachtfeldern wurde der US-Imperialismus und sein NATO-Pakt geschlagen. Der Ukraine-Krieg geht über die neoliberalen Kolonialkriege hinaus; er ist der Grenzpunkt zwischen den neoliberalen Kolonialkriegen und den ersten Kriegen im Rahmen der multipolaren Weltordnung und mehr als ein Kolonialkrieg oder Stellvertreterkrieg, sondern ein verdeckter Krieg zwischen den NATO-Metropolen und dem russischen Imperialismus, der von China in diesem Krieg unterstützt wird. Jederzeit kann diese verdeckte Auseinandersetzung zwischen dem NATO-Pakt und Rußland in eine offene Auseinandersetzung übergehen und damit in den Dritten Weltkrieg. Der Weg in den Ukraine-Krieg führte über Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen, Libyen etc. d.h. dieser Krieg fiel nicht vom Himmel und hat eine lange internationale Vorgeschichte und er ist ein Umschlag von Quantität in eine neue Qualität, der eine Krieg zu viel, welcher der formale Anlaß ist für die letzte Phase des offenen Zusammenbruchs des neoliberalen Weltmarktes und den naturwüchsigen und blutigen Aufgang des multipolaren Weltmarktes. Im Ukraine-Krieg reproduziert sich konkret-spezifisch die neue Qualität der Weltmarktkonkurrenz, spiegelt sich der Verlust der US-Hegemonie, denn sonst wäre dieser Krieg nicht möglich. Das Ende der US-Hegemonie über die imperialistische Kette ist ein blutiges Ende; Rußland und China erhalten ihre strategische Autonomie im multipolaren Weltmarkt, ebenso die anderen Metropolen, aber nicht die Peripherie, dort ändert sich nur die Form der Abhängigkeit, im Verhältnis Metropole-Peripherie kann nur die Metropole wechseln, mehr jedoch nicht. Der Griff jeder Metropole nach der „strategischen Autonomie bzw. Souveränität“ macht deutlich, daß der US-Imperialismus nicht mehr Hegemon ist und nun der Kampf innerhalb der imperialistischen Kette um die Hegemonie ausbricht, alle gegen alle, jeder gegen jeden. Der deutsche Imperialismus steht noch relativ unentschieden zwischen den beiden imperialistischen Epochen, visiert abstrakt die „strategische Autonomie“ an, konkret jedoch bleibt das deutsche Kapital erst einmal im Fahrwasser des US-Imperialismus und des transatlantischen Blocks der Metropolen. Anspruch und Wirklichkeit treten derzeit in der deutschen Bourgeoisie weit auseinander. Der deutsche Anspruch auf „Führung“ ist eine Farce, wenn man dies in Verhältnis setzt mit der Angst davor, daß sich der US-Imperialismus aus Deutschland oder Westeuropa zurückzieht und man alleine dem russischen Imperialismus und auch China gegenübersteht. In der Tendenz tritt die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus in Widerspruch mit der „nationalen Sicherheit“ des US-Imperialismus, doch kurzfristig bestimmt noch die „nationale Sicherheit“ des US-Imperialismus die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus, auch durch das Bitten und Flehen der deutschen Bourgeoisie nach Hilfe gegen den Osten. Mit dem Verschwinden des neoliberalen Weltmarktes verschwindet langsam auch das Dogma, daß die „nationale Sicherheit“ der USA die „nationale Sicherheit“ der transatlantischen Metropolen ist. Im multipolaren Weltmarkt ist jede Metropole auf sich allein gestellt, bzw. von da ausgehend können sich neue Bündnissystems entwickeln und neue imperialistische Blöcke formieren sich.

Die „nationale Sicherheit“ jeder Metropole bezieht sich real auf die Verwertungsinteressen des jeweiligen nationalen Gesamtkapitals und produziert so die „nationalen Interessen“, die weltweit ausgelegt werden. Im neoliberalen Weltmarkt waren die „nationalen Interessen“ im transatlantischen Block unter Führung des US-Imperialismus im Wesentlichen deckungsgleich, so daß der US-Imperialismus nicht nur seine bornierten „nationalen Interessen“ exekutierte, sondern alle „nationalen Interessen“ aller transatlantisch ausgerichteten Metropolen und peripher die Interessen des russischen Imperialismus und Chinas. Die „nationale Sicherheit“ der USA war die „Sicherheit der Welt“ und der US-Imperialismus der Weltpolizist. Die neoliberalen Kolonialkriege des US-Imperialismus hatten zum Zweck den US-Dollar als Weltgeld zu sichern, denn dieser garantierte die Hegemonie des US-Imperialismus. Da der US-Imperialismus als Resultat des Niedergangs der US-Mehrwertproduktion auf mehreren Ebenen hoch verschuldet ist und als Importeuer der letzten Instanz fungiert, besteht die Notwendigkeit, die Verschuldung mit Wert zu unterfüttern, auf diese Weise den US-Dollar als Weltgeld zu verteidigen. Die USA hatten in der Vergangenheit bisher das Privileg sich in eigener Währung zu verschulden. Als Importeuer der letzten Instanz stabilisierten sie den transatlantischen Block bzw. den Weltmarkt, der Aufstieg Chinas und der Wiederaufstieg Rußlands waren auch ein Produkt dieser Politik und damit schufen sich die USA die Feinde, welche heute offen die US-Hegemonie in Frage stellen, bzw. zerstören. Über die Operation Syriana versuchte der US-Imperialismus die strategischen Rohstoffe, vor allem Öl und Gas, zu monopolisieren, damit der US-Dollar noch fester an das Öl und Gas gebunden werden kann, denn der US-Dollar ist an das Öl gebunden und dies ermöglicht die Dollar-Bindung aller anderen Rohstoffe. Diese US-Kolonialkriege sind nur eine Flucht nach vorn und ein Wettlauf gegen die Zeit, ein Wettlauf mit der untergrundig drohenden Entwertung des Kapitals, ein Wettlauf zwischen „Politik“ und „Ökonomie“, den die „Politik“ verliert und objektiv befördert die Politik der „Flucht nach vorn“ gar die Entwertung des Kapitals, statt sie aufzuhalten oder zu verzögern. Mit dem Scheitern der US-Kolonialkriege scheitert auch die Unterfütterung des US-Dollar mit Wert und naturwüchsig bricht sich dann die Große Krise als materieller Ausdruck der Durchschnittsbewegung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate Bahn. Die imperialistischen Kräfteverhältnisse beginnen sich in der Zeit von 2007-2022 zu Ungunsten des US-Imperialismus zu verschieben. Dem US-Imperialismus ist es nicht gelungen, die Schwäche der US-Mehrwertproduktion mit einer politischen Intervention zu kompensieren, damit konnte auch der US-Dollar als Weltgeld nicht stabilisiert werden und am US-Dollar als Weltgeld hängt der US-Imperialismus. Je mehr sich das internationale Kräfteverhältnis sich zu Ungunsten des US-Imperialismus verschob, also je mehr sich die Widersprüche in der neoliberalen Akkumulationsepoche sich konzentrierten, desto mehr radikalisierte sich der US-Imperialismus und mit ihm der transatlantische Block, konkret NATO-Pakt und EU, der Ukraine-Krieg ist der materielle Ausdruck der Explosion der immanenten kapitalistischen Widersprüche in Form des neoliberalen Akkumulationsmodells.

Die US-Politik der Flucht nach vorn endet in der Ukraine, denn sie ist die rote Linie des russischen Imperialismus und somit ist der Ukraine-Krieg ein indirekter direkter Krieg zwischen den transatlantischen Metropolen und dem russischen Imperialismus und für den russischen Imperialismus gleichzeitig ein Bürgerkrieg innerhalb der „russischen Welt“ und so führt der russische Imperialismus in der Ukraine einen nationalistischen imperialistsichen Bürgerkrieg gegen den transatlantischen imperialistischen Block. Eindeutig ist die russische Kriegsführung im Ukraine-Krieg nicht so sehr auf einen zwischenstaatlichen Krieg ausgerichtet, sondern auf einen Bürgerkrieg der „russischen Welt“, der sich gleichzeitig gegen den transatlantischen imperialistischen Block wendet. Das Ziel der russischen Kriegsführung ist kein „Blitzkrieg“ gegen einen anderen Staat, sondern das Heranziehen des anderen Staates oder dessen Auflösung in die „russische Welt“, dazu wird die ukrainische Gesellschaft umgepflügt, das Unterste nach oben gekehrt und das Oberste nach unten gekehrt; es geht um die Auflösung der ukrainischen Gesellschaft in die „russische Welt“ und dies kann nur langsam vor sich gehen; die Bevölkerung soll sich und muß sich zwischen der „russischen Welt“ und der transatlantisch ausgerichteten Rest-Ukraine entscheiden, es entstehen damit national-homogene Räume, d.h. die russische Kriegsführung dient gleichzeitig dem „nation buildung“. Ein „russischer Blitzkrieg“ würde jedoch die ukrainische Gesellschaft konservieren, statt sie zu zerstören. Zuerst muß die ukrainische Gesellschaft zerstört werden, bevor sie in die „russische Welt“ überführt werden kann. Daran richtet sich die russische Kriegsführung aus. Was auch heißt, daß der russische Imperialismus außerhalb der „russischen Welt“ anders handeln kann und wird, dies wären dann für ihn zwischenstaatliche Kriege. Während die NATO und die NATO-Ukraine einen zwischenstaatlichen Krieg gegen Rußland führt, führt Rußland gegen die NATO-Ukraine einen Bürgerkrieg und sichert sich nur gegen den NATO-Krieg, geht bisher nicht in einen offenen oder verdeckten zwischenstaatlichen Krieg über. Die Neuzusammensetzung des russischen Kapitals-die Neuzusammensetzung der russischen Arbeiterklasse vermittelt sich über den Ukraine-Krieg.

Es hängt vom weiteren Verhalten des NATO-Paktes ab, wie sich der imperialistische Konflikt zwischen den transatlantischen NATO-Metropolen und dem russischen Imperialismus entwickelt. Dieser Konflikt kann jederzeit in den Dritten Weltkrieg umschlagen, denn er hat sich verselbständigt und damit eine Eigendynamik gewonnen, die von den Akteuren nicht mehr kontrolliert werden kann; die Akteure selbst sind im Moment zu den Gefangenen dieses imperialistischen Konfliktes geworden und müssen sich erst aus dem Gefängnis des imperialistischen Konflikts befreien, wollen sie den konkreten imperialistischen Konflikt beherrschen. Dieser Ukraine-Krieg ist ein Weltordnungskrieg, ein Moment, ein Krieg, der die alte neoliberale Weltordnung endgültig zum Einsturz bringt und die multipolare Weltordnung zum Durchbruch verhilft. Im Ukraine-Krieg wird eine neue imperialistische Weltordnung ausgekämpft. Der antirussische Wirtschaftskrieg entwickelt sich immer mehr zu einem Weltwirtschaftskrieg. Zuerst eröffnet der deutsche Imperialismus eine Front im Wirtschaftskrieg gegen Rußland, droht China mit Wirtschaftskrieg und letztlich auch dem US-Imperialismus, denn dieser führt nicht nur gegen Rußland und China einen Wirtschaftskrieg, sondern gleichzeitig auch gegen den deutschen Imperialismus und die EU, welche unter einem erheblichen deutschen Einfluß steht. Alle gegen alle, jeder gegen jeden. Und ein Weltwirtschaftskrieg bietet eine materielle Grundlage für den Dritten Weltkrieg. Immer mehr entpuppt sich der Hauptverbündete des deutschen Imperialismus, der US-Imperialismus, als Feind im Rücken und drängt den deutschen Imperialismus mit seiner Politik objektiv auf seinen Sonderweg. Der deutsche Schlag gegen Rußland kann potentiell die Grundlage für eine deutsch-russische Verständigung herstellen, folgend kann dann der nächste Schlag gegen Westen, gegen den US-Imperialismus ausgeteilt werden. Die Welt von Jalta und Potsdam ist zerbrochen. So kann der Schlag nach Osten den Schlag nach Westen vorbereiten und der Schlag nach Westen wieder den Schlag nach Osten- die traditionelle Pendelpolitik des deutschen Imperialismus.

Im Ukraine-Krieg faßt sich die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse materiell und damit weltweit, zusammen. Ein neues Akkumulationsmodell ist naturwüchsig am Entstehen. Diese Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse bezieht sich konkret auf die Herausbildung imperialistischer Blöcke in der multipolaren Weltmarktkonkurrenz. Die multipolare Weltmarktkonkurrenz schreibt sich materiell in die das Capital fix ein, konkret in Form von KI-Systemen, welche den Anforderungen der Kapitalakkumulation im multipolarem Weltmarkt entspricht, denn in den KI-Systemen materialisiert sich die „nationale Sicherheit“ der Akkumulation im Form des multipolaren Weltmarktes. Erst die KI-Systeme ermöglichen die Herstellung einer „nationalen Sicherheit“ gegen den „inneren Feind“, wie den „äußeren Feind,“ auf einem neuen historischen Niveau und sind die materielle Basis für die bürokratischen Waffen, mit denen die multipolare Weltmarktkonkurrenz ausgetragen wird und damit der Klassenkampf von Seiten des Kapitals, denn das materielle Primat der multipolaren Weltmarktkonkurrenz ist der Klassenkampf, wie dann die multipolare Weltmarktkonkurrenz gleichzeitig auch den Klassenkampf des Kapitals gegen die Arbeiterklasse präsentiert, indem die Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum neu im Sinne der multipolaren Weltmarktkonkurrenz, im Sinne der „nationalen Sicherheit,“ zusammengesetzt wird. Über die KI-Systeme wird die Fabrik, wie die bürgerliche Gesellschaft, die materiell primär eine Fabrikgesellschaft ist, einer neuen Form der Ausbeutung unterworfen, denn die KI-Systeme beziehen sich auf die Ausforschung des unmittelbaren, bewußtlosen Verhaltens innerhalb der Arbeit und außerhalb der Arbeit, um schon präventiv Verhalten zu erfassen, die in „staatsfeindliches Verhalten“ münden könnte, welches dann präventiv unterbunden werden könnte. Schon weit im Vorfeld der Tat, soll der Täter eliminiert werden können. Unter diesem Diktat der KI-Systeme hofft das Kapital die Ausbeutungsrate steigern zu können und den alltäglichen Klassenkampf über die Sabotage der Ausbeutung zu zerstören, d.h. die Poren des Arbeitstages sollen über die Forcierung der Methoden der relativen Mehrwertproduktion verdichtet werden.

Vermittelt die KI-Systeme werden die Poren des Arbeitstages nur dann verdichtet, wenn der passive und erst Recht der aktive alltägliche Widerstand der Arbeiterklasse, welcher das neue Ausbeutungsniveau vermittels kollektiver Sabotage der Ausbeutung unterläuft, gebrochen wird. Es bedarf damit auch einer neuen sozialen Zusammensetzung der Arbeiterklasse, denn sonst bleibt die Waffe KI eine stumpfe Waffe im Klassenkampf. Das Kapital setzt der Arbeiterklasse neue Leistungsziele, welche die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft angreifen. Nur über den Notstand, in welcher Form auch immer, kann der Verzicht der Arbeiterklasse, kann die neue KI-gestützte Form der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse realisiert werden. Konkret. Nur über den Notstand können die Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus, kann sich damit das historisch fixierte Klassengleichgewicht im antagonistischen Klassenungleichgewicht zur Seite des Kapitals positiv öffnen, kann die stumme relative proletarische Gegenmacht in der Fabrik zugunsten einer Betriebsgemeinschaft, die zentral eine Leistungsgemeinschaft ist, verändert werden, nur dann, wenn über den Notstand eine Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft konstruiert wird. Die KI-Systeme im Capital fix können sich nicht ohne den Notstand durchsetzen und unterfüttern den Notstand. Ein neues Fabrikregime erfordert ein neues gesellschaftliches Akkumulationsregime. Das neue multipolare Akkumulationsregime ist ein militarisiertes Akkumulationsregime und die KI-Systeme treiben die innere Militarisierung der bürgerlichen Klassengesellschaft an. Der militärisch-industrielle Komplex wird in der multipolaren Weltmarktkonkurrenz aufgewertet, in seiner Aufwertung reflektiert sich die „Politik der nationalen Sicherheit“, wie eben auch konkret-materiell in der Implantation der KI-Systeme. Die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse ist eine Frage des Klassenkampfes und damit des weltweiten Klassenkampfes und kein einseitiger „Blitzkrieg“ des Kapitals gegen die Arbeiterklasse. Über die technische Anwendung von KI wird das Verhalten der Arbeiterklasse roboterisiert, normiert und standardisiert, für eine neue Rationalisierungsoffensive des Kapitals geöffnet, denn Neuzusammensetzung des Kapitals ist immer eine kapitalistische Rationalisierungsoffensive.

Die Restrukturierung der Verwertungsbedingungen des Kapitals materialisiert sich als abstrakte Negation des neoliberalen Weltmarktes. Der Begriff „Globalisierung“ ist spätestens seit Februar 2022 mit dem Ukraine-Krieg weitgehend verschwunden. An die Stelle des Begriffs „Globalisierung“ tritt der Begriff „strategische Autonomie“ oder „strategische Souveränität“, wie die „Politik der nationalen Sicherheit“ ideologisch umschrieben wird. Diese abstrakte Negation des neoliberalen Weltmarktes findet sich in der Tendenz zur Autarkie. Das jeweilige nationale Gesamtkapital versucht sich tendenziell aus den Abhängigkeiten des Weltmarktes zu befreien. Es findet eine Entflechtung des Kapitals statt, während der neoliberale Weltmarkt für die Verflechtung des Kapitals stand. Der BDI als der führende Ausschuß des deutschen Monopolkapitals wechselt von der neoliberalen Front zur nationalliberalen Front.

„Auch in den europäischen Unternehmen ist eine breite Debatte über die verschiedenen Aspekte der Reduzierung von politisch sensiblen wirtschaftlichen Abhängigkeiten erforderlich. Die sicherheitspolitische Lage lässt eine rein betriebswirtschaftliche Betrachtung zentraler Größen in der unternehmerischen Beschaffung nicht mehr zu. Gestiegene politische Risiken und Lieferkettensicherheit müssen stärkeren Raum in der strategischen Planung der Unternehmen einnehmen. Zudem ist zu diskutieren, wie mit weltweiten Knappheiten oder Engpässen bei kritischen Rohstoffen und Zwischengütern mittelfristig umzugehen ist“ (BDI: a.a.O. S. 5)

Im multipolaren Weltmarkt legt das Monopolkapital Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit dem bürgerlichen Staat als ideellen Gesamtkapitalisten. Die gegenseitige weltweite Kapitalverflechtung ist nun ein Fehler und dieser muß rückgängig gemacht werden. Die „Unternehmenssicherheit“ fällt jetzt in der multipolaren Weltmarktkonkurrenz tendenziell mit der „Staatssicherheit“ zusammen. „Unternehmenssicherheit“ und „Staatssicherheit“ sind die zentralen Pfeiler der „nationalen Sicherheit“. Die „nationale Sicherheit“ vermag der deutsche Imperialismus nur innerhalb der EU zu verteidigen, wo er einen bedeutenden Einfluß geltend machen kann. Die EU-Metropolen sieht der deutsche Imperialismus als sein Glacis an. Darauf greift auch der BDI zurück.

„Bei der informellen Tagung der Europäischen Staats- und Regierungschefs vom 10. und 11. März 2022 wurden die „Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten, Verringerung unserer Energieabhängigkeiten und (der) Aufbau einer robusteren wirtschaftlichen Basis ins Zentrum gestellt.“ (BDI: .a.a.O S. 3)

Die EU-Staaten und damit auch Deutschland, wie auch der BDI als zentrale Organisation des deutschen Monopolkapitals zielen auf eine „friedensähnliche“ Kriegswirtschaft ab, welche dem militärisch-industriellen Komplex eine herausgehobene Funktion zuweist („Verteidigungsfähigkeit“, Verringerung der Energieabhängigkeit und robuste wirtschaftliche Basis). Gib es keine wesentlichen gegenseitigen ökonomischen und gesellschaftlichen Verflechtungen mehr, hat der deutsche Imperialismus freie Hand, auch zum Krieg, gegen seine Weltmarktkonkurrenten, allen voran im Moment dem russischen Imperialismus. Das deutsche Kapital kehrt vom Freihandel ab.

„Das Prinzip der offenen Märkte endet dort, wo politische Einflussnahme insbesondere autoritärer Regierungen auf das Schaffen politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeiten Europas abzielt. Besonders bei Staatsunternehmungen in Nicht-Marktwirtschaften bedarf es einer verstärkten Aufmerksamkeit. Sobald Marktakteure ihre Entscheidungen abseits von wirtschaftlichen Kriterien fällen, muss das Abweichen vom Level Playing Field vermutet werden“ (BDI: a.a.O. S.4)

Bis zum Februar 2022 fühlte sich das deutsche Kapital auch den „autoritären Regierungen“ und den „autoritären“ Staaten überlegen und sprach sich für „offene Märkte“ aus. Gerade mit dieser Politik der „offenen Märkte“ sollten die „autoritären Staaten und autoritären Regierungen“ destabilisiert werden, die „Politik der offenen Märkte“ war eine Waffe für das deutsche Kapital, wie für das transatlantische Kapital im allgemeinen. Nun beginnt das deutsche Kapital diese Waffe der „Politik der offenen Märkte“ selbst zu fürchten, denn das Kräfteverhältnis hat sich derart geändert, daß der transatlantische Kapitalismus mit dem Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes in die Defensive geraten ist und eine „Politik der offenen Märkte“ richtet sich dann gegen die transatlantischen Metropolen. Die multipolare Weltmarktkonkurrenz führt dahin, daß sich die transatlantischen Metropolen an die „autoritären Staaten“ anpassen, und ebenso eine autoritäre Politik gegen die Arbeiterklasse einschlagen. Das Einschwenken der transatlantischen Metropolen auf den autoritären Pfad wird vom deutschen Monopolkapital als „Verteidigung“ gegen die „autoritären Staaten“ legitimiert, dahinter verbirgt sich jedoch real die Position, daß das Kapital glaubt, sich gegen die Arbeiterklasse „verteidigen“ zu müssen, was dann den Griff zur Repression und Aggression rechtfertigen würde. Jede Opposition wird sofort verdächtigt, eine fünfte Kolonne des „äußeren Feindes“, d.h. der „autoritären Staaten“ zu sein. Dann ist die eingeschlagene „Politik der nationalen Sicherheit“ in der Tat „alternativlos,“, wenn jede Opposition zum „inneren Feind“ mutiert. Man wirft anderen Staaten eine autoritäre Politik vor, aber selbst betreibt man ebenfalls eine autoritäre Politik. Jedoch spiegeln sich die transatlantischen Metropolen in ihren Herrschaftsmethoden in dem eurasischen Kapitalismus des russischen Imperialismus und Chinas, wie auch umgekehrt, sich die Herrschaftsmethoden des russischen Imperialismus und Chinas sich in den transatlantischen Metropolen reflektieren und richten sich zentral gegen die Arbeiterklasse. Die Setzung des „äußeren Feindes“ ist die materielle Grundlage zur Setzung des eigentlichen „inneren Feindes“. Ohne „äußeren Feind“ kein „innerer Feind“. Deshalb spricht der BDI auch von „Systemwettbewerb“, wie oben angeführt, zwischen der EU und den „autoritären Staaten“ (vgl. BDI. a.a.O. S. 3).

Wenn der BDI von der Reduktion der Abhängigkeiten spricht meint er nicht so sehr die „äußeren Abhängigkeiten“ von der multipolaren Weltmarktkonkurrenz, sondern vor allem die Abhängigkeit der Akkumulation von der Arbeiterklasse, auch wenn dies nur implizit ausgesprochen wird.

„Die Beantwortung dieser Fragen (nach Reduktion der Energieabhängigkeit und der Aufbau einer robusten ökonomischen Basis, I.N) muss auch eine industriepolitische Dimension erhalten. Wo sind die Abhängigkeiten besonders kritisch? Wer hält welche Kontrolle über die industriellen Fertigungsprozesse? Und wo muss die Industrie selbst vor schädlicher Einflussnahme geschützt werden?“ (BDI: a.a.O. S. 3)

In erster Linie ist das Kapital von der Arbeiterklasse abhängig. Die Arbeiterklasse produziert in letzter Instanz das Kapitalverhältnis und damit die Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse naturwüchsig, unbewußt selbst. Ohne die Ausbeutung der Arbeiterklasse kein Mehrwert, welcher an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als Profit erscheint. Ohne Arbeiterklasse kein Profit, kein Kapital. Das Kapital kann sich nicht ohne die Arbeiterklasse verwerten, jedoch kann die Arbeiterklasse die Macht in der Form der Diktatur des Proletariats ergreifen, die Ausbeutung und damit das Kapital negieren und bleibt immer noch Arbeiterklasse. Konkret. Das Kapital brauch die Arbeiterklasse um existieren zu können, aber die Arbeiterklasse benötigt nicht das Kapital um zu existieren, somit ist das Kapitalverhältnis, das kapitalistische Produktionsverhältnis, abhängig von der Ausbeutung der Arbeiterklasse und damit von der Arbeiterklasse. Das Kapital versucht sich permanent von der Abhängigkeit der Arbeiterklasse zu lösen, nichts anderes sind die Methoden der Produktion relativen Mehrwerts, welche sich in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, aber vor allem in der organischen Zusammensetzung des Kapitals materialisieren und damit in der durchschnittlichen Bewegung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. So ersetzt das Kapital permanent die lebendige Arbeit durch die tote Arbeit (Rationalisierung), ohne jemals auf die lebendige Arbeit verzichten zu können, bzw. sie ganz zu ersetzen. Die lebendige Arbeit hat ihren Eigensinn, ist rebellisch und ihre Wertbestimmung ist auch vor allem ein Ergebnis des Klassenkampfes, d.h. die lebendige Arbeit kann sich gegenüber den Übergriffen des Kapitals wehren, kann ihre materiellen Interessen verteidigen und auch Eroberungen darin machen. Ohne lebendige Arbeit kein Mehrwert, kein Profit, aber mit der lebendigen Arbeit permanenter Kampf gegen diese. Eine Neuzusammensetzung des Kapitals ist immer zentral eine Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, quantitativ und qualitativ. Das Ziel ist es, die konkret-historische passive und aktive Organisierung der Arbeiterklasse zu brechen, um die Ausbeutung neu zu organisieren. Es reicht nicht aus, den kapitalistischen Produktionsprozeß technisch neu zu organisieren; das Kapitalkommando muß die direkte und indirekte proletarische Organisierung zerstören, damit der kapitalistische Produktionsprozeß als Ausbeutungsprozeß restrukturiert werden kann, konkret muß das Kapitalkommando die neoliberale Organisierung des Proletariats zerstören und in eine multipolare Organisierung der Ausbeutung überleiten. Das Kapital ist abhängig von der konkreten Organisierung und damit auch sozialen Zusammensetzung der Arbeiterklasse, welche auf einer bestimmten Kapitalstruktur ihre passive und indirekte Organisierung aufbaut, um diese bestimmte historische Kapitalstruktur zu negieren. Es ist vor allem diese proletarische Abhängigkeit, die das Kapital stört und behindert und nicht so sehr die multipolare Weltmarktkonkurrenz. Das deutsche Kapital muß sich der multipolaren internationalen Weltmarktkonkurrenz anpassen, will es nicht untergehen, muß sich dann zuerst gegen die Arbeiterklasse wenden und die proletarische Organisierung zerschlagen. Dem Kapital geht es um die Transformation einer neoliberalen Arbeiterklasse in eine nationalliberale Arbeiterklasse. Für das gesellschaftliche Kapitalkommando ist die Abhängigkeit von der neoliberal organisierten Arbeiterklasse eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“, bzw. ist die passiv neoliberal organisierte Arbeiterklasse der „innere Feind“, weil dieser sich weigert, sich nationalliberal organisieren zu lassen und der proletarische Eigensinn tendiert dazu, Strukturen einer relativen proletarischen Gegenmacht zu schaffen. Hier materialisiert sich konkret der Klassenkampf, der immer Klassenkampf um die Kontrolle über den Produktionsapparat ist. Die deutsche Bourgeoisie sieht sich derzeit vom „äußeren Feind“, der multipolaren Weltmarktkonkurrenz und dem „inneren Feind“, die Arbeiterklasse, bedroht und fürchtet, daß sie die Kontrolle über den Produktionsapparat verliert, daß sich die multipolare Weltmarktkonkurrenz, hier vor allem Rußland und China, mit dem multinationalen deutschen Proletariat gegen das deutsche Kapital verbündet, d.h. die deutsche Bourgeoisie konstruiert in dieser Angst eine Verschwörungstheorie und zwar eine Verschwörungstheorie einer „Querfront“, einer „Querfront“ zwischen Rußland, China und der multinationalen deutschen Arbeiterklasse zu Lasten des deutschen Imperialismus. Der deutsche Imperialismus wähnt sich in einer Falle, fühlt sich angegriffen, in die Ecke gedrängt und beginnt in seiner Isolation und Verzweiflung um sich zu schlagen, nach innen und außen. Die „Politik der nationalen Sicherheit“ in Notstandsform ist die Antwort des deutschen Kapitals auf die historischen Veränderungen, konkret in der Form der „kritischen Infrastruktur“. Dort in der „Kritischen Infrastruktur“ konzentriert sich materiell die „nationale Sicherheit.“ Hier wird die Arbeiterklasse signifikant durchleuchtet und nach der Staatstreue (Verfassungstreue) befragt, selektiert und bestraft, einer eingehenden Rasterfahndung unterzogen. Auf diese Weise will das Kapital ermitteln, welche Kontrolle welche Teile der Arbeiterklasse über den kapitalistischen Produktionsprozeß halten. Wo könnte das Kapitalkommando, ob individuelles Kapitalkommando oder gesellschaftliches Kapitalkommando die Kontrolle über den kapitalistischen Produktionsprozeß an den „inneren“ und/oder „äußeren Feind“ verlieren?

Das Kapital versucht für seine Akkumulation strategische Entscheidungen zu treffen und konzentriert seine Verwertung auf die Mehrwertproduktion komplex zusammengesetzter Arbeit, denn dort hofft das Kapital sich in Form von Extraprofiten zu verwerten, von dort aus soll die gesellschaftliche kapitalistische Arbeit umgewälzt, d.h. Kapital und Arbeiterklasse einer neuen sozialen Zusammensetzung zugeführt werden. Es geht um den Aufbau einer KI-gestützten kapitalistischen Produktion; der kapitalistische Ausbeutungsprozeß soll auf „künstliche Intelligenz“ materiell gegründet sein. Dies verlangt mehr als die Produktion von Software für die Rechner der künstlichen Intelligenz, es verlangt nach der Produktion von Hochleistungsrechnern und dazu werden Rohstoffe und Energie benötigt, die in Deutschland und Westeuropa nicht vorhanden oder nicht ohne weiteres vorhanden sind. Immer noch bestimmt die materielle Produktion die Akkumulation des Kapitals und nicht die „New Economy“. Mit dem Ende des neoliberalen Weltmarktes, des tendenziellen Freihandels, wo der deutsche Imperialismus problemlos an die benötigten Rohstoffe für die Akkumulation des deutschen Kapitals kam und dem Aufgang des multipolaren Weltmarktes, der tendenziell ein protektionistischer Weltmarkt ist, wird der Bezug von Rohstoffe für den deutschen Imperialismus zum Problem. Damit ist dann nicht nur die Frage der KI-gestützten Mehrwertproduktion eine Frage der „nationalen Sicherheit“, sondern auch die wohlfeile Beschaffung von Rohstoffen für die Produktion der KI-gestützten Mehrwertproduktion und somit auch für die Politik der „ökologischen“ bzw. der tendenziell autarken Akkumulationsweise. Ohne wohlfeile Rohstoffe scheitert notwendig die Transformation in einen KI-gestützten Kapitalismus, den das Kapital mit seinem Projekt „Industrie 4.0“ anstrebt, wobei die Digitalisierung der kapitalistischen Produktion und Distribution die materielle Grundlage für die KI-gestützte Aufrüstung der Mehrwertproduktion ist. Dann ist das Konzept der „Industrie 4.0“ eine Frage der „nationalen Sicherheit“ und letztlich auch eine Frage der „Kritischen Infrastruktur“. Eine KI-gestützte soziale Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse durch die Neuzusammensetzung des Kapitals ist unter den Bedingungen des multipolaren Weltmarktes nur über eine „Politik der nationalen Sicherheit“ und damit tendenziell immer über den offenen oder verdeckten Notstand, realisierbar. Das deutsche Monopolkapital im BDI ist sich dieser Problematik wohl bewußt.

„Rohstoffe sind Schlüssel zur Erreichung des Green Deal. Rohstoffe stehen am Anfang der Wertschöpfungskette aller innovativen Technologien und Anwendungen. Ohne Rohstoffe keine Digitalisierung und Industrie 4.0, keine Energiewende und E-Mobilität, kein Green Deal, keine Erreichung der Pariser Klimaziele. Die europäische Industrie ist daher auf eine sichere und nachhaltige Rohstoffversorgung angewiesen. Die wachsende Bedeutung von Zukunftstechnologien für eine dekarbonisierte, digitale Wirtschaft und Informationsgesellschaft führt weltweit zu einem steigenden Rohstoffbedarf, vor allem an metallischen und mineralischen Rohstoffen…. Auch strategische Schlüsselbranchen wie Sicherheit und Verteidigung sind auf kritische Rohstoffe angewiesen. Dieser Bedarf wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Jedoch wird der freie und faire Zugang zu Rohstoffen oftmals durch handelsverzerrende staatliche Maßnahmen behindert. Zusätzlich erschweren hohe Länderkonzentrationen bei kritischen Rohstoffen einen sicheren Rohstoffzugang. Erschwerend hinzu kommt eine verstärkte geopolitische Zuspitzung“ (BDI: a.a.O. S. 13)

Eine Diversifizierung des steigenden Rohstoffbedarfs des deutschen Kapitals ist nicht ohne weiteres möglich, ebenso sind die Einsparmöglichkeiten begrenzt. Die gegenwärtige politische und militärische Schwäche des deutschen Imperialismus verhindert zentrale unilaterale Handlungen des deutschen Imperialismus, nur innerhalb des Rahmens der EU kann der deutsche Imperialismus noch seine Alleingänge realisieren, doch über die Grenzen der EU hinaus, ist die Macht des deutschen Imperialismus gebrochen. Es ist nicht sicher, wie lange auch die EU die deutschen Alleingänge innerhalb der EU aushält. Die Widersprüche innerhalb der EU, vor allem zwischen Deutschland und Frankreich, nehmen immer weiter zu, ebenso die Widersprüche zwischen dem deutschen Imperialismus und dem außerhalb der EU stehenden britischen Imperialismus. Damit richtet sich die deutsche Aufrüstung nicht nur gegen Rußland, sondern auch gegen Britannien und Frankreich, wie gegen alle anderen EU-Staaten und auch gegen die USA, denn es gilt langfristig unabhängig von seinen „Verbündeten“ zu werden, die real immer mehr zu Konkurrenten mutieren. Ohne eine große Militärmacht ist der deutsche Imperialismus außerstande seine Energie-und Rohstoffzufuhr, wie seine Absatzmärkte zu garantieren. Nur auf Basis einer starken Militärmacht kann der deutsche Imperialismus sich seine Verbündeten aussuchen. Gelingt es dem deutschen Imperialismus nicht, eine starke Militärmacht auszubauen, gelingt auch nicht die Rohstoffversorgung und damit muß dann die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse scheitern. Die Sicherung der Rohstoffversorgung des deutschen Kapitals ist die Existenzfrage für den deutschen Imperialismus. Green Deal, Digitalisierung, Industrie 4.0 sind nur mit einer gesicherten Rohstoffversorgung zu realisieren und mit einer starken Militärmacht zu garantieren, denn der multipolare Weltmarkt verhindert einen freien Zugang zu den Rohstofflagerstätten. Mit dem Aufbau einer starken Militärmacht versucht der deutsche Imperialismus seinen Einfluß in der EU auszubauen, den Widerstand seiner Konkurrenten Grenzen zu setzen und die EU als sein Reservelager zu nutzen.

„Um die strategischen Abhängigkeiten zu verringern, ist es entscheidend, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten alle drei Säulen einer nachhaltigen Rohstoffversorgung verfolgen, d.h. erstens die Stärkung der heimischen Rohstoffgewinnung, zweitens die Sicherung eines fairen Zugangs zu Rohstoffen aus dem Ausland und drittens den Ausbau der Kreislaufwirtschaft“ (BDI: a.a.O. S. 16)

Da die heimische Rohstoffgewinnung aufgrund fehlender geologischer Lagerstätten begrenzt sind, die Rohstoffe nicht ohne weiteres durch nachwachsende Rohstoffe substituiert werden können, die Kreislaufwirtschaft ebenfalls die Rohstoffe nur im beschränken Maß einer Wiederverwendung zu führen kann, verbleibt vor allem, die Rohstoffzufuhr aus dem EU-Ausland zu sichern. Der BDI unterstützt deshalb auch die „Strategischen Rohstoffpartnerschaften“ der EU. Bislang wurden nur zwei Abkommen in diesem Sinn geschlossen, einmal mit der Ukraine und einmal mit Kanada. EU-Kapital soll das nicht EU-Kapital im Zielland fördern und sich verflechten und gleichzeitig für das Zielland, die allgemeinen Einfuhrbedingungen in die EU verbessern. (vgl. BDI: a.a.O. S. 18). Aber ohne eine starke Militärmacht hängt die „strategische Rohstoffpartnerschaft“ in der Luft. Der Ukraine-Krieg zeigt schlagend, wie zentral eine starke Militärmacht ist, denn die EU ist nicht in der Lage, ihre „strategische Rohstoffpartnerschaft“ gegen den russischen Imperialismus zu verteidigen und daran scheitert auch der deutsche Imperialismus, d.h. der Ukraine-Krieg bedroht die vitalen Interessen des deutschen Imperialismus und der anderen transatlantischen EU-Metropolen. Aus diesem Grunde deshalb auch der antirussische Wirtschaftskrieg als Reaktion der verlorenen „strategischen Rohstoffpartnerschaft“ mit der Ukraine. Verliert der deutsche Imperialismus und die EU die „strategische Rohstoffpartnerschaft“ mit der Ukraine, stehen alle jetzigen und zukünftigen „strategischen Rohstoffpartnerschaften“ und vor allem das Konzept der „strategischen Rohstoffpartnerschaft“ selbst in Frage. Der BDI stellt grundsätzlich nirgends den antirussischen Wirtschaftskrieg in Frage und heißt ihn damit implizit gut. Auch benutzt der BDI den Begriff des Bundeskanzlers für den Ukraine-Krieg als „Zeitenwende“ für eine „neue Realpolitik“, d.h. für Aufrüstung und imperialistische Aggression nach außen und Repression nach innen. Dies wird vor allem an der Energieversorgung festgemacht.

„Zeitenwende für Europas Energieversorgungssicherheit. Energiewirtschaftliche Fragen sind auf europäischer Ebene zur geopolitischen Strategie- und Sicherheitsfrage geworden. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine steht die Energieversorgungssicherheit unter harter Prüfung und zeigt vergangene Fehleinschätzungen über die geopolitischen und ideologischen Motivationen Russlands auf. In den letzten Jahren wurde nicht weniger, sondern mehr Energie aus Russland importiert und zu wenige Alternativen geschaffen. Dies führte zu beträchtlichen Abhängigkeiten gegenüber Russland, insbesondere bei den Gaslieferungen. Lange wurden marktwirtschaftliche Interdependenzen und die sogenannte „Friedensdividende“ als ausreichende Absicherungsmechanismen für die europäische Versorgungssicherheit angesehen („Wandel durch Handel“). Obwohl die EU historisch ihre Handelsbeziehungen und Diplomatie erfolgreich als außenpolitisches Instrument benutzen konnte und es auch immer noch tut, ist eine geopolitische Verschiebung hin zu mehr Realpolitik unvermeidlich und benötigt nun auch in der Energiepolitik eine neue ausgerichtete politische Haltung.“ (BDI: a.a. O. S. 18)

Der BDI beklagt, daß die Politik der gegenseitigen Verflechtung zwischen dem EU-Kapital und dem russischen Kapital vor allem im Bereich der Energiepolitik gescheitert ist. Mit der Politik der gegenseitigen Verflechtung im Energiebereich versuchte das EU-Kapital Rußland auf dem Status eines Energiezulieferers zu fesseln, Rußland liefert wohlfeil Energie und Rohstoffe und erhält zum Vorteil des transatlantischen EU-Kapitals Waren aus den Sektoren I und II. Ein ungleicher Tausch wurde versucht. Gleichzeitig rückte der transatlantische NATO-Pakt in die Ukraine vor, um den Druck noch weiter zu erhöhen. Doch der russische Imperialismus ging in der Ukraine in die Offensive und zerstörte die tödliche Umarmung durch den transatlantischen Imperialismus. Der dann folgende transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland zerstört nicht so sehr die russische Ökonomie, sondern die EU-Ökonomie und damit die Akkumulation des deutschen Kapitals. Wesentlich ist der Ukraine-Krieg eine imperialistische Auseinandersetzung in Form eines Wirtschaftskrieges; die zentrale Front ist der Wirtschaftskrieg, nicht der militärische Krieg. Nun will das deutsche transatlantische Kapital so schnell wie möglich „diversifizieren“ und bricht mit dem russischen Imperialismus, sieht in dem russischen Imperialismus keinen „Partner“ mehr, sondern einen Konkurrenten, gar einen Feind. Dies wird mit dem Begriff „Realpolitik“ umschrieben, wie mit dem Begriff „Zeitenwende“. Keine Kooperation, sondern Feindschaft mit dem russischen Imperialismus. Ein Kampf um Leben und Tod. Es wird ein neues imperialistisches Kräfteverhältnis zwischen der EU und der NATO unter Führung des US-Imperialismus gegen den russischen Imperialismus und China ausgekämpft, bis an den Rand des Dritten Weltkrieges und darüber hinaus. „Realpolitik“ heißt Kriegspolitik und Bürgerkriegspolitik, heißt Schockpolitik vermittels einer Deflationspolitik in deflationärer oder inflationärer Form. „Realpolitik“ ist ein anderer Begriff für Machtpolitik und Machtpolitik geht über transatlantische Politik hinaus, verweist auf den „deutschen Sonderweg“ des deutschen Imperialismus nach innen und nach außen. Eine „Realpolitik“ ist zwar in der ersten Phase transatlantisch, kann jedoch jederzeit in nationalliberal umschlagen. Nicht nur fordert der BDI eine „Realpolitik“ ein, eine Realpolitik die derzeit unter dem Schleier einer hypermoralischen Ideologie exekutiert wird, sondern fordert auch, auf „Haltung“ anzunehmen. Der BDI fordert nicht auf einen politischen Standpunkt zu beziehen, sondern „Haltung“ anzunehmen. „Haltung“ ist zentral ein militärischer Befehlt und meint „Stramm stehen“ und wird mit dem Befehlt „Achtung“ eingeleitet. Der Befehl „Rührt Euch“ bezieht sich dann auf das Gegenteil von „Stramm stehen“, zielt auch eine zwangslose Haltung. „Haltung“ ist zentral ein militärischer Begriff und kein ziviler Begriff. Das Militär entscheidet nur zwischen Freund und Feind und die „Haltung“ ist darauf ausgerichtet, auch das Exerzieren, wo die „Haltung,“ die militärische Disziplin, Befehl und Gehorsam, eingeübt wird. „Haltung“ einnehmen ist ein Befehl des Kapitals an die Arbeiterklasse, ist ein Begriff der „inneren Militarisierung“ der bürgerlichen Gesellschaft zur Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft hin und auf jeden Fall antidemokratisch. Eine „politische Haltung“ nimmt man in der Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft ein und damit unter einer Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus), nicht aber in der parlamentarisch-demokratischen Herrschaftsform der Bourgeoisie, dort geht es um politische Standpunkte. Die „politische Haltung“ des BDI ist auf die „Realpolitik“ bezogen, d.h. es geht auch notfalls um die militärische Machtentfaltung nach innen und/oder außen, um die imperialistische Machtpolitik gegen Widerstände durchzusetzen. Eine „politische Haltung“ ist das Gegenteil eines „politischen Standpunktes“, während sich die „politische Haltung“ auf das Militär mit seiner ihm eigenen Freund-Feind“ Unterscheidung bezieht, bezieht sich der „politische Standpunkt“ auf die demokratische bürgerliche Gesellschaft bzw. auf die „Zivilgesellschaft“, bezieht sich auf Regierung und Opposition und nicht auf einen „inneren“ oder „äußeren Feind“. Nicht umsonst bezieht der BDI die „politische Haltung“ auf die „Realpolitik“, denn die „Realpolitik“ bezieht den Krieg, Bürgerkrieg, Terror gegen den „Feind“ mit ein, auch den Wirtschaftskrieg, wie auch eine Politik der tendenziellen Autarkie und damit die „Geopolitik“. Ohne eine korrekte „Haltung“ keine „Machtpolitik“. Der BDI beginnt zaghaft eine deutsche „Geopolitik“ anzudenken. Eine gegenseitige ökonomische Verflechtung mit potentiellen „Feindstaaten“ erteilt der BDI eine Absage, ebenso eine Politik des Wandels durch Handel. Der BDI zielt durch einen „Wandel“ durch Waffen, bzw. „Wandel“ durch Krieg. Einer Politik der „friedlichen Koexistenz“ wird eine Absage erteilt; eine Entspannungspolitik ist für den BDI ein Zeichen von Schwäche. Dem BDI geht es um eine „Freund-Feind“-Politik, nicht nur in der Frage der „Energiesicherheit“.

Der Zugriff auf „kritische Rohstoffe“ muß notfalls mit Gewalt, mit Krieg und Raub, sichergestellt werden. Der antirussische Wirtschaftskrieg führt potentiell somit auch zu einem Krieg mit Rußland, d.h. in den Dritten Weltkrieg, wenn es dem deutschen Imperialismus im Gewand der EU nicht gelingt, anderweitig die „kritischen Rohstoffe“ zu beziehen. Dann steht auch der deutsche Imperialismus vor der Frage Kapitulation oder Eskalation in den Dritten Weltkrieg und die deutsche Bourgeoisie wird eher die Eskalation in den Dritten Weltkrieg wählen, statt Kapitulation, zumindest, wenn sie noch Waffen hat. Es kommt der Arbeiterklasse zu, die deutsche Bourgeoisie rechtzeitig zu entwaffnen, bevor sie aktiv aus Verzweiflung ihrer strategischen Niederlage und ihres Größenwahns den Dritten Weltkrieg auslöst.

„Der Zugang zu kritischen Rohstoffen ist mitentscheidend für einen erfolgreichen Ausbau einer nachhaltigen Energieversorgung. Diesem Aspekt muss u.a. die europäische Handelspolitik und Rohstoffstrategie Rechnung tragen.“ (BDI: a.a.O. S. 20)

Scheitert der „Zugang“ zu den „kritischen Rohstoffen“, scheitert die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, scheitert „Industrie 4.0“ mit ihrer Digitalisierung und Dekarbonisierung. Mit allen Mitteln wird sich das deutsche Kapital dagegen wehren. Es ist nicht nur für den deutschen Imperialismus eine Frage von Leben und Tod. So schwingt bei der Frage des Zugangs zu den „kritischen Rohstoffen“ gleichzeitig eine Kriegsdrohung implizit mit. Zumindest ist die Geschichte offen. Jedoch nur unter dem passiven und/oder aktiven Massendruck, nur durch den Klassenkampf, kann die deutsche Bourgeoisie zum Nachgeben gebracht werden, aus sich selbst heraus ist die Bourgeoisie dazu unfähig.

Die „kritischen Rohstoffe“ des BDI sind die materielle Basis für die angestrebte „strategische Autonomie“ der EU und damit für den dritten Griff des deutschen Imperialismus zur Weltmacht. Der deutsche Imperialismus im Gewand der EU greift nach den Sternen. Mit „NewSpace“, der kommerzialisierten Raumfahrt, soll die Digitalisierung, soll die Entwicklung von KI-Netzen, gefördert werden. Ohne eine Weltraumpräsenz vermittels Satelliten gibt es auch keine Übermittlung von satellitenbasierter Daten, denen die KI-Rechner benötigen. Dies gilt für den zivilen, wie für den militärischen Bereich. Auch die Weltraumsysteme zählen deshalb für das Kapital zur „kritischen Infrastruktur“.

„ NewSpace ist von strategischer Bedeutung für die außen-und sicherheitspolitischen Urteil- und Handlungsfähigkeit. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Bedeutung satellitenbasierter Daten noch verdeutlicht. Weltraumsysteme sind längst eine kritische Infrastruktur. Ein Ausfall hätte weitreichende gesamtindustrielle Auswirkungen.“ (BDI: a.a.O. S. 23)

Bisher hat der deutsche Imperialismus über die EU mit den USA und Rußland in der Frage der Weltraummissionen zusammengearbeitet. Die Zusammenarbeit mit Rußland wurde mit dem Ukraine-Krieg von Seiten der EU sofort beendet. Mit den USA kommt man nicht zu guten Bedingungen ins Geschäft. Nun muß die EU selbst mit den Weltraumsystemen aktiv werden. Ohne Weltraumsysteme ist eine KI-gestützte kapitalistische Produktion nicht möglich, ist es nicht möglich in der multipolaren Weltmarktkonkurrenz eine führende Position zu erringen, ist eine „strategische Autonomie“ gescheitert. Für das Kapital bedeutet das Scheitern der „strategischen Autonomie“ eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“ und somit wird auch der Weltraum zu einem Sektor der „nationalen Sicherheit“. Wenn schon der Weltraum zu einem Gebiet der „nationalen Sicherheit“ wird, dann erst Recht jede Bewegung auf der Erde, denn dazu sind die Weltraumsysteme da, zur Überwachung und Kontrolle der Bewegung der Ware Arbeitskraft und damit zur Überwachung und Kontrolle der Arbeiterklasse, was den imperialistischen Krieg und Bürgerkrieg impliziert. Im Ukraine-Krieg wird satellitengestützte Kommunikation eingesetzt, wie gestört, werden satellitengestützte Waffen eingesetzt und gestört. Notfalls können auch die Satelliten selbst gestört oder von der Erde abgeschossen werden. Der Ukraine-Krieg ist auch ein hochentwickelter Drohnenkrieg und der Drohnenkrieg ist ein allseitig vernetzter Krieg; er ist der erste hochentwickelte Drohnenkrieg der Geschichte und somit ein Modell für die zukünftige Kriegsführung, für die zukünftige Kriegsführung im multipolaren Weltmarkt/multipolare Weltordnung. Die Neuzusammensetzung des Kapitals- Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse vollzieht sich zentral über die Weltraumsysteme im Weltraum.

In der gegenwärtigen Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse verschmelzen die Akkumulation des privaten Kapitals und die abgeleitete „Akkumulation“ des militärisch-industriellen Komplexes tendenziell enger als in dem neoliberalen Weltmarkt. Wesentlich ist, daß der militärisch-industrielle Komplex sich nicht nur gegen den „äußeren Feind“ richtet, sondern auch gegen den „inneren Feind“. Die satellitengestützte Produktion produziert unter anderem auch satellitengestützte Waffen bzw. satellitengestützte Anti-Satelliten Waffen. Es findet also eine innere und äußere Militarisierung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse im multipolaren Weltmarkt statt, eine Militarisierung, die der deutsche Imperialismus zentral gegen den russischen Imperialismus richtet. Der BDI als Agentur des deutschen Monopolkapitals marschiert im Gleichschritt mit dem ideellen Gesamtkapitalisten, dem bürgerlichen Staat, trägt den antirussischen Wirtschaftskrieg mit und wird auch den imperialistischen Krieg, auch in einem Dritten Weltkrieg, mittragen bzw. der ideelle Gesamtkapitalist formuliert die Interessen des deutschen Monopolkapitals. Die „kritische Infrastruktur“ ist die Erweiterung der militärischen Infrastruktur bzw. der „Verteidigungsinfrastruktur“. Mit der Ausweitung der militärischen Momente auf die Zivilwirtschaft schreitet die Überwachung und Disziplinierung, wie Säuberung der Arbeiterklasse weiter voran. Immer mehr Bereiche fallen dann in den Bereich der staatlichen „Sicherheitsüberprüfung“. Der bürgerliche Staat überprüft über die Geheimdienste nicht nur bei Einstellung, sondern permanent das individuelle persönliche und politische Verhalten der Lohnarbeiter in den Bereichen der „Kritischen Infrastruktur“. Parallel existiert schon heute als Normalfall eine private „Sicherheitsüberprüfung“ über das Internet. Wer sich den Befehlen des individuellen oder gesellschaftlichen Kapitalkommandos in den Sektoren der „Kritischen Infrastruktur“ widersetzt, ein unbotmäßiges Verhalten an den Tag legt, kann ohne weiteres aus den Betrieben gesäubert werden. Es ist durchaus möglich, daß der Begriff der „Kritischen Infrastruktur“ aufgrund der Lieferverflechtungen auf die gesamte Volkswirtschaft ausgedehnt wird, vor allem im offenen Notstandsfall. Auch der verdeckte Notstand ist kein Hindernis für eine solche Regelungsausweitung auf die gesamte Lohnarbeiterklasse. Es kommt so zu einem Berufsverbot, welches immer implizit in der Struktur der „Kritischen Infrastruktur“ enthalten ist. Ohne ein Berufsverbot kann eine „Kritische Infrastruktur“ nicht existieren.

Das deutsche Monopolkapital, repräsentiert im BDI, steht nicht in grundsätzlicher Opposition zur Politik des deutschen bürgerlichen Staates, sondern ist die Speerspitze in dieser imperialistischen Aggression, welche der bürgerliche Staat konkret ausarbeiten und exekutieren muß. Der bürgerliche Staat ist nur das ausführende Organ des Kapitals und damit der imperialistischen Aggressionspolitik des Kapitals, nicht aber die materielle Basis dieser Politik. Die Aggressivität der deutschen Politik ist der Aggressivität des deutschen Kapitals, unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Monopolkapitals, zusammengeschlossen im BDI, geschuldet.

„Russland hat mit der Annexion der Krim 2014 und dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine die grundlegenden Pfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur zerstört, die nach 1990 gemeinsam aufgebaut wurden: das zwischenstaatliche Gewaltverbot, die Achtung der Souveränität anderer Staaten, die freie Bündniswahl sowie das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Gleiches gilt für die Prämisse, dass eine enge ökonomische Verflechtung militärische Auseinandersetzung verhindere. Die regel- und rechtsbasierte Ordnung, auf der das moderne Europa fußt, sieht sich nun einem Staat gegenüber, der das Recht des Stärkeren praktiziert“ (BDI: a.a.O. S. 25).

Hier wird deutlich, daß die aggressive Politik des deutschen Imperialismus nicht das Produkt der Unterwerfung des deutschen Imperialismus unter dem Willen des US-Imperialismus ist; die Politik des deutschen Imperialismus kann nicht auf die Politik des US-Imperialismus reduziert werden. Aus eigenen imperialistischen Interessen wird der antirussische Wirtschaftskrieg vom deutschen Kapital geführt und diese eigenen deutschen imperialistischen Interessen führen zu dem ungleichen Bündnis mit dem US-Imperialismus gegen den russischen Imperialismus. Der Ausbruch des russischen Imperialismus, wie auch Chinas, aus dem neoliberalen Weltmarkt gefährdet die „nationale Sicherheit“ des deutschen Kapitals, des deutschen Imperialismus, ganz unabhängig Position des US-Imperialismus. Mit dem Ukraine-Krieg als formaler Ausbruch aus dem Gefängnis des neoliberalen Weltmarktes stellt der russische Imperialismus das EU-Bündnis und den NATO-Pakt unter US-Führung in Frage und damit auch den deutschen Imperialismus. Über den Ukraine-Krieg gelang es dem russischen Imperialismus sich auf eine gleiche Augenhöhe mit den transatlantischen Metropolen zu begeben. Dies werten alle transatlantischen Metropolen und somit auch der deutsche Imperialismus als einen Angriff des russischen Imperialismus auf die „nationale Sicherheit“ und reagieren dementsprechend. Dem Zerstörer transatlantischer Hegemonie und das heißt letztlich der US-Hegemonie, tritt der deutsche Imperialismus, wie auch alle anderen transatlantischen Metropolen, notfalls mit Waffen, aber auf jeden Fall mit einem Wirtschaftskrieg, entgegen. Der Ausbruch des russischen Imperialismus aus seiner untergeordneten Position im neoliberalen Weltmarkt wird als Völkerrechtsbruch und Regelbruch, wie als das Recht des Stärkeren gewertet, hingegen die Aktionen der USA und der transatlantischen Metropolen nicht, denn die beziehen sich positiv auf den transatlantischen neoliberalen Weltmarkt.

Das deutsche Monopolkapital und sein BDI schwören dem US-Imperialismus Nibelungentreue, doch es ist sich nicht sicher, ob der US-Imperialismus ebenfalls dem deutschen Imperialismus die Nibelungentreue schwört, geht eher davon aus, daß der US-Imperialismus sich vom deutschen Imperialismus distanziert und ihm seinem Schicksal überläßt. Aus diesem Grunde zielt das deutsche Monopolkapital auf eine eigene Machtentfaltung des deutschen Imperialismus über die EU ab, um so den Ausfall des US-Imperialismus als Hegemonialmacht zu kompensieren. Eine Politik, die unter der Bundeskanzlerschaft von Olaf Scholz seit März 2022 realisiert wird. Die rot-grün-liberale Bundesregierung setzt ihre Politik nicht gegen das Kapital um, sondern exekutiert den Gesamtwillen des deutschen Kapitals, repräsentiert im BDI als Organ des deutschen Monopolkapitals. Transatlantische Treue nur solange, wie die USA die Interessen des deutschen Imperialismus vertreten. Verweigert sich der US-Imperialismus diesem Ansinnen oder ist er nicht mehr in der Lage dazu, präferiert der deutsche Imperialismus alleine und unter Umständen durch die EU seine Interessen durchzusetzen. Indirekt distanziert sich der deutsche Imperialismus auch vom NATO-Pakt.

„Der russische Angriff auf die Ukraine macht nicht nur den Wert von Sicherheit und militärischer Abschreckung deutlich. Er zeigt auch, dass es ohne die USA keine Sicherheit und kein Frieden in Europa gibt. Ihre politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung sind entscheidend für den anhaltend ungebrochenen Widerstand der Ukraine. Der starke Beistand der USA kann jedoch, beispielsweise durch innenpolitische Entwicklungen oder strategische Schwerpunktsetzungen jederzeit reduziert werden. Europäische Diskussionen um eine strategische Autonomie bedürfen daher mehr denn je einer konkreten Umsetzung. Im Zentrum steht dabei, wie die EU Sicherheit gewährleisten und bei künftigen Konflikten glaubhafte Abschreckung bieten kann- im Notfall auch ohne Rückgriff auf die transatlantischen Partner.“ (BDI: a.a.O. S. 25)

Der BDI fordert eine „strategische Autonomie“ innerhalb des NATO-Paktes für den deutschen Imperialismus ein. Doch eben dies ist nicht möglich. Der US-Imperialismus ist die Garantiemacht des NATO-Paktes und kann den NATO-Pakt nur dann garantieren, wenn keine „strategische Autonomie“ irgendeines Mitglieds oder der EU zugelassen wird. Darauf baut die Abschreckungswirkung des NATO-Paktes auf. Eine „strategische Autonomie“ innerhalb des NATO-Paktes bedeutet das Ende des NATO-Paktes. Es ist die Quadratur des Kreises. Eine „strategische Autonomie“ des deutschen Imperialismus gibt es nur auf den Trümmern des NATO-Paktes; das deutsche Kapital muß sich entscheiden: Mit den USA und dem NATO-Pakt oder mit der EU in die „strategische Autonomie“ und damit gegen den US-Imperialismus und seinem NATO-Pakt. Der Preis für die „strategische Autonomie“ des deutschen Kapitals ist das Ende des NATO-Paktes. Beides kann der deutsche Imperialismus nicht haben: NATO-Unterstützung und gleichzeitig eine strategische Autonomie vermittelt über die EU; der deutsche Imperialismus muß sich für den NATO-Pakt entscheiden und damit gegen die „strategische Autonomie“ oder aber für die „strategische Autonomie“ und damit gegen den NATO-Pakt. Entweder Abhängigkeit vom US-Imperialismus und seiner NATO oder Machtentfaltung auf dem deutschen Sonderweg. Doch bisher ist das deutsche Kapital nicht in der Lage und willens zu entscheiden und will beides. Dieser Wunsch wird an der Realität des multinationalen Weltmarktes scheitern bzw. der multipolare Weltmarkt und damit der Klassenkampf, werden das deutsche Kapital zur Entscheidung zwingen. Doch bis dahin lebt die deutsche Bourgeoisie in ihren hehren Illusionen.

„Das Ziel strategischer Autonomie ist weder die Abkopplung von transatlantischer Sicherheit noch eine übermäßige Aufrüstung zum Zwecke der Abschreckung und Verteidigung. Ziel ist vielmehr die politische Überlebens- und Gestaltungsfähigkeit Europas in der Zukunft, die Fähigkeit Sicherheit sowohl im inneren der Union zu gewährleisten als auch „eigene außen- und sicherheitspolitische Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen… um diese in Kooperation mit Dritten oder, falls nötig, eigenständig umzusetzen.“ Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt, dass hier erheblicher Nachholungsbedarf besteht. Deutschland und die EU haben sich zu lang in Sicherheit gewogen und in Abhängigkeit begeben, die ihre Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit nun erheblich einschränken und einer strategischen Autonomie diametral entgegenstehen.“ (BDI: a.a.O. S. 25)

Zentral geht es dem deutschen Imperialismus darum, die EU zu militarisieren und die EU zumindest tendenziell zu einer Ersatz-NATO bzw. real zu einer EU-NATO und damit Gegen-NATO umzufunktionieren. Verteidigung der NATO durch die EU statt Verteidigung der EU durch die NATO. Wenn sich die EU alleine „verteidigt“, bedarf es keinem NATO-Pakt mehr.

„Landes-Bündnisverteidigung. Das Ziel strategischer Autonomie verlangt, dass Schlüsseltechnologien und Produktionsfähigkeiten für die Landes- und Bündnisverteidigung von Europa weitgehend selbst bereitgestellt werden. Dafür ist es unabdingbar, dass Wirtschafts- und Industriepolitik, insbesondere für den rüstungstechnologischen Sektor, künftig eng mit europäischen Sicherheitsinteressen verzahnt wird. Dabei gilt es, die Bandbreite an Technologien in den fünf Dimensionen Land, Luft-und Weltraum, See und Cyber-und Informationsraum abzudecken.“ (BDI: a.a. O. S. 25)

Der BDI setzt auf den Ausbau des militärisch-industriellen Komplexes. Unter deutscher Führung soll ein westeuropäischer militärisch-industrieller Komplex entstehen, welcher materiell die „nationale Sicherheit“, wie die „Sicherheit der EU“ gegen die „äußeren Feinde“, wie die „inneren Feinde“ verteidigen soll, wobei für den deutschen Imperialismus die „nationale Sicherheit“ mit der „innere und äußeren Sicherheit“ der EU zusammenfällt, d.h. der deutsche Imperialismus behält sich vor, politische Tendenzen in anderen EU-Staaten als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ zu werten, wenn sie den Interessen des deutschen Imperialismus zuwiderlaufen und ebenso gleichzeitig diese als „Gefahr für die EU“ einzustufen. Der deutsche Imperialismus setzt sich mit der EU gleich. Jede andere imperialistische Politik, die nicht den Interessen des deutschen Imperialismus entspricht, sich nicht dem deutschen Imperialismus unterordnet, wird als „Gefahr für die EU“ gewertet, denn der deutsche Imperialismus sieht sich als Garantiemacht der EU und steht damit vor allem mit dem französischen Imperialismus in Widerspruch, der ebenfalls die Position als Garantiemacht der EU beansprucht. An den inneren Widersprüchen, konzentriert in einem potentiellen Führungskampf zwischen dem deutschen und französischen Imperialismus kann die EU zerbrechen und damit auch die Eurozone. Es ist also damit entscheidend, wer den westeuropäischen militärisch-industriellen Komplex kontrolliert. Der BDI stellt auf eine deutsche Führungsrolle ab, denn nur dann kann der deutsche Imperialismus die Hegemonie innerhalb der EU erringen. Allgemein fordert der BDI den Ausbau und die Erhöhung der Bedeutung des militärisch-industriellen Komplexes in Deutschland, darin ist auch der Führungsanspruch in der EU impliziert.

„Um eine nationale-global wettbewerbsfähige- deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie im Rahmen der Europäischen Zusammenarbeit zu erhalten, gilt es, erstens, im deutschen politischen und öffentlichen Bewusstsein zu verankern, dass die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie einen unverzichtbaren, grundlegenden Beitrag zur nationalen Resilienz, öffentlichen Sicherheit und Landes- und Bündnisverteidigung leistet. Ohne sie ist der Erhalt unserer Lebensgrundlagen für ein freiheitliches und nachhaltiges Leben in unserem Land schlicht nicht möglich. Ein dementsprechend umfassendes Sicherheitsverständnis bedeutet zweitens auch, konsequente Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit (security of supply) und der Finanzierungssicherheit (access to finance) der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu ergreifen. Hier ist ein enges Zusammenspiel von staatlichen Stellen und Unternehmen entscheidend.“ (BDI. a.a.O. S. 26)

Aktiv bekennt sich der BDI zu seinem militärisch-industriellen Komplex, wie zur Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft. Die bürgerliche Gesellschaft soll sich an dem „äußeren“ und „inneren Feind“ ausrichten und damit als Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft. Der Begriff „nationale Resilienz“ ist ein anderer Begriff für die innere und äußere Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft, der Kampf gegen den „inneren Feind“, welcher dem „äußeren Feind“ die Tore öffnet, meint permanente Propaganda, permanente Aufrüstung gegen den „inneren und äußeren Feind“. „Nationale Resilienz“ ist ein anderer Begriff für die „nationale Sicherheit“. Der „nationale Sicherheitsstaat“ schützt nicht die „Demokratie“, sondern zerstört diese, eben im Namen der „nationalen Sicherheit“. Eine Politik der „nationalen Sicherheit“ wird nicht gegen den Willen des BDI hergestellt, sondern seinem Willen gemäß. Über den bürgerlichen Staat bestimmt der BDI den konkreten „inneren Feind“ und „äußeren Feind“ maßgeblich mit. Die „Freund-Feind“- Kennung des BDI führt zur „Zeitenwende“ auch in der Außenpolitik im Sinne der Expansion des deutschen Imperialismus.

„Ein vierter entscheidender Faktor auf dem Weg zur Autonomie wird sein, wie mit der globalen wirtschaftlichen Verflechtung im Kontext geostrategischer Interessenlagen umzugehen ist: Strategische Autonomie kann nur im Zusammenspiel mit Partnern erreicht werden-Partnern, mit denen man Werte, Ziele und Interessen teilt, aber auch Partner, bei denen die Schnittmenge der Gemeinsamkeiten kleiner ist. Es braucht daher eine Neubewertung von Partnerschaften mit Staaten, die weder der EU noch der NATO angehören“ (BDI: a.a.O. S. 26)

So sind die „Partner“ dann die „Freunde“ aus der Sicht des deutschen Imperialismus, denn sie fügen sich zumindest zeitweise in die imperialistischen Pläne des deutschen Imperialismus ein, was nicht heißt, daß sie später zu „Feinden“ werden. Es zählt bei den „großen Partnern“ und erst Recht bei den „kleinen Partnern“ nur das kurzfristige Nutzenkalkül im Sinne des deutschen Imperialismus. So werden „Freunde“ zu „Feinde“ und „Feinde“ zu „Freunden“, je nach den Interessen des deutschen Kapitals. Die Bestimmung der jeweiligen „Freunde“ führt zur Bestimmung des „Feindes“ und umgekehrt. Es geht um Geopolitik und damit um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette bzw. und die internationale Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Nicht nur der russische Imperialismus wird als „Feind“ vom BDI eingestuft, sondern auch China.

„Auch im globalen Wettbewerb schafft China Abhängigkeiten. Mit großer Sorge wird die gezielte internationale Verbreitung von staatlich getriebenen nationalen Technologiestandards aus China im Rahmen der „Belt and Road Initiative“ verfolgt. Die deutsche Industrie sieht die Gefahr einer Zersplitterung technischer Marktzugangsbedingungen und eine Zunahme globaler Entkopplungstendenzen“ (BDI: a.a.O. S. 29)

Auch für das deutsche Kapital mutiert das chinesische Kapital vom Konkurrenten zum „Feind“. Hier ergeben sich Schnittmengen mit dem US-Kapital, welches China schon seit 2017 als „Feind“ einstuft. Die chinesische Initiative der „Neuen Seidenstraße“ wird auch vom deutschen Imperialismus als „nationale Bedrohung“ angesehen. Der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg ist nur der Prolog zum antichinesischen Wirtschaftskrieg. So wieder das deutsche Monopolkapital, organisiert im BDI, den antirussischen Wirtschaftskrieg gutheißt, so gutheißt es auch einen antichinesischen Wirtschaftskrieg. Es geht nur um die Wahl des Zeitpunktes. Der BDI will nur eine transatlantische technische Normung anerkennen. Wer sich den Wünschen der transatlantischen Metropolen nicht beugt, muß damit rechnen, einen Wirtschaftskrieg aufgezwungen zu bekommen. Dieser antirussische Wirtschaftskrieg wurde vom transatlantischen Kapital als Exempel gedacht, doch er ist eher ein Exempel für das Gegenteil, daß der Wirtschaftskrieg den transatlantischen Metropolen schadet, statt nützt. Am transatlantischen und damit auch deutschen Wesen soll die Welt genesen. Es marschiert der BDI voran:

„Um einer Fragmentierung der technischen Marktzugangsbedingungen international entgegenzuwirken und grünes und digitales Wirtschaften nach europäischen Maßstäben global zu etablieren, müssen Wirtschaft und Politik gemeinsame Zielsetzungen abstimmen und grundlegende Erfolgsprinzipien der Normung in ihrer Arbeitsweise etablieren.“ (BDI: a.a.O. S. 30)

Die internationale Normung soll als Waffe gegen China benutzt werden. Die EU und auch die USA, wie auch ihre Verbündeten, könnten ihren Markt gegen chinesische Waren notfalls abschotten, ist die implizite Drohung, wenn man sich international nicht auf die transatlantische Normung einigt. Die chinesischen Normen sind damit eine „Gefahr für die „nationale Sicherheit“.

„Um die befürchtete Fragmentierung der internationalen Normung durch eine zunehmende Implementierung von chinesischen Normen für signifikante Anteile des Welthandels zu verhindern, braucht es eine Präferenz für die aktive Mitwirkung bei der Erarbeitung internationaler Normen und deren anschließende Übernahme“. (BDI: a.a.O. S. 30)

Die „nationale Sicherheit“ des deutschen Kapitals wird wesentlich durch die internationale Normung bestimmt. Aus diesem Grund fordert der BDI vom bürgerlichen Staat, d.h. vom ideellen Gesamtkapitalisten, mehr Engagement in dieser Frage. Die Frage der „nationalen Sicherheit“ ist die Frage nach der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse.

„Die Welt wird vernetzter, digitaler und nachhaltiger. Das Streben nach einer grünen, digitalen und zirkulären Wirtschaft bestimmt die normungsrelevanten Technologiefelder der Zukunft. Dabei werden Technologien in den Bereichen Verkehr, Energiewirtschaft, Künstliche Intelligenz, Cybersecurity, Batterien und Circular Economy eine wesentliche Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund muss der zunehmenden Bedeutung der Normung und der gestiegenen Wahrnehmung auf politischer Ebene Rechnung getragen werden.“ (BDI: a.a.O S. 30)

Die transatlantischen Metropolen wollen dem russischen Imperialismus und China nur in oberflächlichen Bereichen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse entgegenkommen, aber ihre Hegemonie wollen sie nicht aufgeben, sondern nur verdeckter ausüben. Über die Etablierung technischer Normen, die in Freihandelsverträgen und Assoziierungsabkommen festgeschrieben werden, soll die transatlantische Hegemonie im multipolaren Weltmarkt gesichert werden. Natürlich werden der russische Imperialismus und China dieses Ansinnen ablehnen.

„Internationale Normen und Standards müssen künftig fester Bestandteil europäischer Handelsstrategien- und abkommen werden. Das ist die Voraussetzung, um die Vorreiterrolle in der Normung und Standardisierung auszubauen. Internationale Normen und Standards stärken den regelbasierten Handel und erhöhen die Resilienz westlich orientierter Staaten gegenüber systemischen Wettbewerbern. Dies ist insbesondere bei der Erarbeitung und Ratifizierung von Freihandels- und Assoziierungsabkommen zu berücksichtigen.“ (BDI: a.a.O. S. 30)

Die vom BDI geforderten internationalen Normen zielen nicht auf einen offenen Weltmarkt, sondern auf einen in der Tendenz autarken Weltmarkt. Die technische Normung ist zugleich eine politische und soziale Normung, zielt auf ein bestimmtes Akkumulationsmodell und damit auf einen bestimmten imperialistischen Block im multipolaren Weltmarkt. Auf diese Weise wird dann auch die Arbeiterklasse einer Neuzusammensetzung unterzogen. Zentral geht es immer um eine bestimmte Normung, Normierung und Uniformierung der Arbeiterklasse unter das gesellschaftliche Kapitalkommando und damit um deren Neuzusammensetzung. Der Bezug des deutschen Monopolkapitals auf „sein“ Westeuropa als Binnenmarkt des deutschen Kapitals und damit als Kerngeographie eines imperialistischen Blocks im multipolaren Weltmarkt ist für den BDI zentral. Hier bricht die autarkische Tendenz offen durch.

„Die deutsche Industrie hat schon lang einen besseren Schutz europäischer Unternehmen vor Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt durch teilweise massiv subventionierte Unternehmen aus Drittstaaten gefordert und begrüßt daher das neue Foreign Subsidies Instrument. Gerade bei Übernahmen und öffentlichen Auftragsvergaben brauchen europäische Unternehmen faire Chancen und ein Level Playing Field im Binnenmarkt, das weder durch europäische noch durch drittstaatliche Unternehmen verzerrt werden darf.“ (BDI: a.a.O. S. 37f)

Der BDI möchte den Festungscharakter des EU-Binnenmarktes und damit der EU selbst, deutlicher herausstellen; das EU-Bündnis als Kerngebiet für einen vom deutschen Imperialismus hegemonierten imperialistischen Block. Kapitalinvestitionen in der EU stehen unter ständiger Beobachtung und Sanktionierung. Gegen Rußland, aber auch deutlich gegen China werden schon jetzt Instrumente angewandt, welche aufgrund der „potentiellen Gefährdung der nationalen Sicherheit“ Kapitalinvestitionen in Form von Firmenübernahmen verbieten. Dies betrifft China. Im Fall Rußland werden Kapitalien in Deutschland enteignet und die Unternehmen unter staatlicher Zwangsverwaltung gestellt und unter Umständen ganz aufgelöst.

Die „nationale Sicherheit“ ist immer auch das zentrale Paradigma des BDI und stellt die „neue Normalität“ des Kapitalismus dar. Jede kleinste Störung der Akkumulation kann jederzeit als „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ betrachtet werden. Auch das bisherige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse stellt derzeit für das Kapital eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ dar und muß konsequent vernichtet werden und damit auch alle die Organisationen, welche das bisherige gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse verteidigen. Unterwerfen sich diese Organisationen dem bürgerlichen Staat, lassen sie sich unter dieser Drohung der „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ bzw. des „Staatswohls“ von diesem gleichschalten oder schalten sie sich selbst präventiv gleich, wie die DGB-Gewerkschaften, welche der Arbeiterklasse enorme Reallohnverluste zumuten, dann werden sie objektiv in den bürgerlichen Staat eingebaut uns agieren als Arbeitsfront, nicht aber als Gewerkschaft. Die DGB-Gewerkschaftsbürokratie orientiert sich an der „nationalen Sicherheit“ des Kapitals, nicht aber an den Klasseninteressen der Arbeiterklasse. Es wundert dann nicht, daß die Gewerkschaftsbasis mit den Füßen abstimmt und die DGB-Gewerkschaften verläßt, was die Finanzkrise der Gewerkschaften eskalieren läßt und diese sich noch enger in den bürgerlichen Staat einbaut und dann mehr und mehr direkt oder indirekt vom diesem finanziert wird. Der bürgerliche Staat ist der letzte Garant der Gewerkschaftsbürokratie, indem er diese in eine Staatsbürokratie umwandeln kann. Auch die DGB-Bürokratie ist ein Moment in der „Politik der nationalen Sicherheit“ und kann erst unter dem Duck verschärfter Klassenkämpfe gezwungen werden, die Interessen der Arbeiterklasse partiell zu vertreten. Bleibt der proletarische Widerstand auf einem geringen Niveau fixiert, geht die DGB-Bürokratie den Weg der Selbstgleichschaltung im Rahmen einer Politik der „nationalen Sicherheit“, welche im Energienotstand sich auch formal realisiert. Der DGB ist derzeit ein Hindernis für die Aktionen der Arbeiterklasse und begibt sich ins Schlepptau des BDI, d.h. der BDI gibt vor und der DGB folgt im blinden Gehorsam. Derzeit steht die Partei „Die Grünen“ dem BDI am nächsten und nicht CDU/CSU und FDP. Damit sind die aggressiv-transatlantischen GRÜNEN die Speerspitze des BDI in der Bewegung der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Das Schweigen des DGB und nicht nur das Schweigen der DGB-Bürokratie, macht die „nationale Sicherheit“ des BDI erst möglich. Gleichschaltung oder Selbstgleichschaltung der Gewerkschaften führt zur Abschaltung der Gewerkschaften. Erst dann, wenn die Arbeiterklasse zu Sprechen beginnt, zur direkten Aktion greift, wird es um den BDI ruhiger, läßt er von seiner „nationalen Sicherheit“ ab. Nur die direkten Aktionen der Arbeiterklasse können der „nationalen Sicherheit“ des BDI, welche tendenziell die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus ist, Grenzen setzten, nur sie befreien die DGB-Bürokratie aus dem Griff des bürgerlichen Staates. Die „Politik der nationalen Sicherheit“ des deutschen Kapitals sichert eine radikale Deflationspolitik ab, die sich vermittelt über den transatlantischen Wirtschaftskrieg auch zu einer Schockpolitik entwickeln kann. Der Notstand sichert nur eine radikale Deflationspolitik/Schockpolitik gegen die Arbeiterklasse ab. Eine „Politik der nationalen Sicherheit“ trägt immer eine radikale Deflationspolitik oder gar eine Schockpolitik in sich und umgekehrt. Dieser Begriff „nationale Sicherheit“ bezeichnet die radikale Absenkung des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, also eine Deflationspolitik/Schockpolitik über eine zumindest „friedensähnliche Kriegswirtschaft“. Während sich der BDI vornehm über eine notwendige Deflationspolitik zurückhält, wird der BDA (Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände) über seinen Vorsitzenden Dulger deutlicher:

„Mehr Dynamik und Tempo, mehr unternehmerische Freiheit und Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Deutschland muß entfesselt und nicht durch die Politik gefesselt werden. Sonst bewegt sich Deutschland ungebremst auf einen gefährlichen Wendepunkt zu.“ (BDA-Präsident Dulger wird mit diesen Worten in der Tageszeitung „Die Welt“ vom 28.11.2022 in dem Artikel: „Die Regierung nimmt die Deindustrialisierung mutwillig in Kauf“ zitiert).

Eine gute Arbeitsteilung zwischen dem BDI und dem BDA. Der „gute Polizist“ und der „böse Polizist“. Freiheit für das Kapital und Flexibilität für das Kapital auf dem Arbeitsmarkt bedeutet Verzicht und Unfreiheit für die Arbeiterklasse. Wenn das Deutschland des Kapitals entfesselt wird, wird die Arbeiterklasse gefesselt und das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse historisch abgesenkt. Der BDA droht offen mit einer Deflationspolitik/Schockpolitik, während sich der BDI zurückhält und über die „nationale Sicherheit“ verdeckt das selbige fordert. Wer offen mit einer Deflationspolitik/Schockpolitik droht, droht mit dem Notstand, droht mit der „nationalen Sicherheit“ gegen den „inneren und äußeren Feind“, welcher mit einer „Strategie der Spannung“ eingeleitet werden kann. In der Razzia gegen „Reichsbürger“ wird das faschistisch-wirre Reichsbürger-Milieu bewußt mit den „Anti-Corona-Protesten“ vermischt (der „innere Feind“) und dies in Verbindung mit Rußland gebracht (Besuch eines russischen Konsulats als Besuch und Kontakt mit dem „äußeren Feind“). Damit wird eine gesellschaftliche Spannung gegen die Massenproteste, vor allen in Ostdeutschland, gegen den antirussischen Wirtschaftskrieg aufgebaut, denn diese werden generell seit September 2022 als rechtsradikal, „anti-Corona“ und russlandfreundlich in den bürgerlichen Medien dargestellt. Ohne Zweifel sind auf diesen Demonstrationen diese Tendenzen vorhanden, aber auch andere Tendenzen, welche ausgeblendet werden, damit diese nicht daran teilnehmen. „Linke“ Proteste gibt es wenig und werden nicht organisiert bzw. desorganisiert, denn eine Kritik am antirussischen Wirtschaftskrieg muß verhindert werden. Ein proletarischer Protest wendet sich gegen den antirussischen Wirtschaftskrieg und setzt auf egalitäre Forderungen, stellt das Privateigentum an Produktionsmitteln über die Forderung nach Arbeiterkontrolle in Frage. Diese Razzia dient dem gesellschaftlichen Spannungsaufbau gegen den „inneren und äußeren Feind“ und legitimiert die „Politik der nationalen Sicherheit“, die Politik der Repression und des Notstandes. Die Razzia diente zur Inszenierung einer „inneren Bedrohung durch einen „inneren Feind“, wie einst die RAF. Zwanzig oder mehr Personen sollen sich verschworen haben, um die BRD zu stürzen, welche 80 Millionen Einwohner zählt und einer der mächtigsten Imperialismen innerhalb der imperialistischen Kette ist. Irrationale Annahmen des bürgerlichen Staates. Ein richtiger Staatsstreich sieht anders aus, siehe exemplarisch der Militärputsch in Chile oder der Massenputsch in der Ukraine von 2013 bis 2014. Der bizarre „Dezemberputsch“ des Jahres 2022 ist eine Farce, eine Karikatur eines wirklichen Staatsstreichs, vollkommen unprofessionelle Putschisten spielen in ihren Zusammenkünften ihren Operettenputsch durch. Eine wirkliche Verschwörungstheorie zur Absicherung des Paradigmas der „nationalen Sicherheit“, zur Absicherung eines möglichen wirklichen Staatsstreichs, pseudolegal über einen möglichen Notstand/Ausnahmezustand. Den Staatsstreich gab es im März 2020 über den „Corona-Notstand“ und er ist nur formal, aber nicht real beendet, sondern nur tendenziell zurückreguliert. Darauf aufbauend kann jederzeit exzessiv die Repression des bürgerlichen Staates, bis in den Notstand, exekutiert werden. Die „Strategie der Spannung“ in Aktion. Ob dieser „Fall“ ausgebaut wird oder der Vergessenheit anheimfällt, hängt von der Entwicklung des Klassenkampfes ab. Es können noch mehrere solcher Fälle aufgedeckt werden und der Ruf nach dem „starken Staat“, nach der „wehrhaften Demokratie“ wird laut. Wenn es um Rechtsterroristen geht, dann sollte man doch wohl eher diese in den Reihen der NSU-Nationalsozialistischer Untergrund- suchen, und der bestand aus ca. 300 Personen statt die bekannten drei Personen. Bis heute wird vom bürgerlichen Staat der NSU gedeckt, auch über diverse Zeugenmorde, welche als Selbstmord oder Unfall getarnt werden. Alles im Namen der „nationalen Sicherheit“ bzw. „Staatssicherheit“, bzw. des „Staatswohls“. Man stelle nur den NSU der „Putschgruppe des Dezember“ gegenüber und die Unterschiede springen ins Auge. Auf jeden Fall bereitet sich damit der bürgerliche Staat auf einen Energienotstand vor, ob er eintritt oder nicht ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang. Schon die ideologische Vorbereitung eines Notstands ist eine Bedrohung für die Klasseninteressen der Arbeiterklasse; die „Politik der nationalen Sicherheit“ bedroht das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse, bedroht die soziale und politische Sicherheit der Arbeiterklasse, d.h. es geht um die soziale und physische Existenz der Arbeiterklasse. Nur über die Einheitsfront kann die soziale und physische Bedrohung der Arbeiterklasse durch das Kapital beendet, kann dem Energienotstand begegnet werden, denn der Energienotstand bedroht die physische Existenz der Arbeiterklasse, es ist eine Frage von Leben und Tod für die Arbeiterklasse. Der BDI und sein bürgerlicher Staat marschieren gegen die Arbeiterklasse.

  1. Die proletarische Antwort

-Generalstreik gegen Krieg und Krise. Der Feind steht im eigenen Land.

-Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, ansetzend an der alltäglichen Sabotage der Ausbeutung, auch in der „Kritischen Infrastruktur“ und international organisiert.

-Arbeiterkontrolle über die Produktion als ersten Schritt zur Errichtung der proletarischen Doppelmacht

-Aufbau proletarischer Hundertschaften gegen die Repression des bürgerlichen Staates und seiner neofaschistischen Organisationen.

Iwan Nikolajew Hamburg im Februar 2023 Maulwurf/RS

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Stadtgespräch aus der USA

Erstellt von Redaktion am 15. Februar 2023

Grüne Männchen nur innerstädtisch: – Sie sind nicht unter uns

Von der Erde  – Caspar Shaller

Über Nordamerika schweben unbekannte Objekte, angeblich ohne Außerirdische. Warum kommen Aliens eigentlich nie nach Europa?

Beruhigende Nachrichten aus den USA: „Es gibt keinen Hinweis auf Aliens oder außerirdische Aktivitäten bei diesen jüngsten Abschussaktionen“, ließ die Sprecherin des Weißen Hauses die Presse am Montag wissen. Denn im Himmel über Nordamerika spielt sich gerade Aufregendes ab: Nachdem bereits ein potenzieller Spionageballon chinesischer Bauart über der Küste des südöstlichen Bundesstaates South Carolina abgeschossen wurde, sind nun über Alaska, Kanada und dem Mittleren Westen weitere fliegende Objekte gesichtet worden.

Das US-Militär schoss seit Freitag drei von ihnen ab. Was mit ihren Trümmern geschehen ist und worum es sich bei den Flugkörpern genau handelt, ist noch unklar. Nachdem es erst hieß, die Flugkörper seien achteckige Objekte, sollen es nun metallische Ballone in Größe eines Klein­wagens sein.

Wilde Spekulationen brandeten durch soziale Medien: Handelt es sich dabei etwa um fliegende Untertassen? Haben wir gerade außerirdischen Besuch aus dem Himmel geschossen? So weit gingen die Gerüchte, dass sich das Weiße Haus schließlich genötigt sah, klarzustellen, dass es sich bestimmt nicht um Aliens handelt. Nothing to see here!

Spätestens seit „Akte X“ haben wir jedoch gelernt, daran zu zweifeln, wie vertrauenswürdig Vertreter der US-Regierung in gut sitzenden Anzügen und mit akurat gescheiteltem Haar sind, wenn es um Extraterrestrisches geht. Und da gibt es einiges: Das Geoinformationsunternehmen Esri veröffentlichte 2019 ein Video, in dem alle UFO-Sichtungen seit 1906 als gelbe Punkte auf einer Weltkarte aufgezeichnet sind.

US-Pass zeigt Final frontier

So viele Menschen können nicht unrecht haben, hinter einem dieser leuchtenden Punkte muss sich doch eine fliegende Untertasse verbergen! Auffällig an der Karte ist, dass darauf die USA als strahlendes Zentrum der Alien-Entdecker erscheinen. Auch jetzt schweben die Flugobjekte über Amerika – nicht über Europa. Warum bekommen wir eigentlich nie Besuch? Sind unsere Städte es etwa nicht wert, von Laserstrahlen zerschossen zu werden?

Das Desinteresse beruht vielleicht auf Gegenseitigkeit. Das Interesse am All ist tief in der amerikanischen Kultur verankert. Die letzte Seite des US-Passes zeigt die final frontier: die Raumsonde Voyager, die am Mond vorbeifliegt. Hollywood schmeißt seit Jahrzehnten einen Alien-Film nach dem andern auf den Markt. Aber auf dieser Seite des Atlantiks scheint sich niemand dafür zu interessieren, was da draußen noch zu finden ist.

Selbst im sonst so technik- und weltraumaffinen sozialistischen Osten sah man keinen Alien weit und breit. In den Science-Fiction-Filmen aus dem Osten wie „Solaris“, „Ikarie XB1“ oder „Signale“ ging es meistens – wie langweilig – um philosophische Fragen des Menschseins.

Ist die Innenstadt ein linksliberales UFO?

Quelle        :         TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Oben     —   Sorry for the shakiness. Myrtle Beach, SC rn #ChineseSpyBalloon

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Eine Agenda der Radikalen

Erstellt von Redaktion am 11. Februar 2023

ISRAEL – DIE AGENDA DER RADIKALEN

Isaac Herzog in Beit HaNassi, December 2022 (ABG 0348).jpg

Von Charles Underlin

Während Zehntausende in Tel Aviv und Jerusalem gegen die geplante Abschaffung des Rechtsstaats auf die Straße gehen, eskaliert der Konflikt mit den Palästinensern. Ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht, solange in der Regierung Vertreter der radikalen Siedlerbewegung das Sagen haben.

Benjamin Netanjahu hat es geschafft. Seit dem 29. Dezember ist er wieder an der Macht. Der neue alte Pre­mier­minister, der das Amt bereits von März 2009 bis Juni 2021 innehatte, kann sich mit 64 von 120 Sitzen auf eine nationalistisch-ultraorthodoxe Mehrheit in der Knesset stützen. Endlich kann er sein großes Projekt verwirklichen: die Durchsetzung eines neuen Regimes, das auf einem autoritär-religiösen jüdischen Nationalismus beruht. Netanjahu bricht damit endgültig mit der Vision einer Demokratie, wie sie die zionistischen Gründerväter Theodor Herzl, Wladimir Zeev Jabotinsky und David Ben-Gurion vertraten.

Den ersten Schritt in diese Richtung vollzog Netanjahu bereits im Juli 2018 mit dem umstrittenen Nationalstaatsgesetz, das die arabischen und dru­sischen Minderheiten diskriminiert.1 Die neue Regierung will diesen Weg zu Ende gehen. Und das heißt: dem Rechtsstaat Fesseln anlegen; die „nationale Erziehung“ radikalisieren, die Führungskader im Sicherheitsapparat auf Linie bringen, die linke Opposition zerschlagen, die Annexion des Westjordanlands vorantreiben und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) kaltstellen.

Mit dem Umbau des Justizsystems hat Netanjahu den Knesset-Abgeordneten Jariv Levin betraut, der seit seiner Wahl auf der Likud-Liste im Jahr 2009 gegen zu unabhängige Richter hetzt. Kaum ernannt, präsentierte Levin am 4. Januar seinen Plan für eine „radikale Umgestaltung“ nach einem ganz neuen Prinzip: Das „Volk“ allein verleiht der gewählten Mehrheit die Legitimität, unbeschränkt zu regieren – ohne die Einmischung von Richtern, denen die Legitimation durch den Souverän abgeht. Konkret heißt das: Eine „Überwindungsklausel“ soll es einer Knesset-Mehrheit von 61 Abgeordneten ermöglichen, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs aufzuheben, wenn der zum Beispiel ein Gesetz für verfassungswidrig befindet. Und diese Knesset-Entscheidung kann, so Levin, „von einem Richter nicht mehr aufgehoben werden“.

Justizminister gegen den Rechtsstaat

Damit nicht genug: Auch das neunköpfige Gremium, das die Richter des Obersten Gerichtshofs ernennt, soll der Kontrolle der Regierung unterworfen werden. Zu diesem Zweck sieht Levins Reform vor, die beiden von der Anwaltskammer bestellten Vertreter durch direkt vom Justizminister ernannte Mitglieder zu ersetzen.

Als weitere Maßnahmen plant der Justizminister die Neufassung einiger Artikel des Strafgesetzbuches, was dafür sorgen soll, dass dem Korruptionsverdacht gegen Politiker und Politikerinnen künftig seltener nachgegangen wird. Theoretisch könnte es dazu kommen, dass Netanjahu selbst die Richter ernennt, die über seinen Revisionsantrag befinden, falls er in dem laufenden Prozess wegen Betrugs, Veruntreuung und Korruption verurteilt werden sollte.

Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Esther Chajut, hat die Pläne des neuen Justizministers scharf verurteilt: „Dies ist eine Attacke auf das Rechtssystem, als wäre es ein Feind, den man angreifen und bezwingen muss. Diese Reform ist ein tödlicher Schlag für die Demokratie.“

Levins Reaktion erfolgte prompt. Der Justizminister hielt Chajut vor, dass sie einer Partei angehöre, die nicht zu den Wahlen angetreten sei, sich aber dennoch über die Knesset und die Entscheidungen des Volks erheben würde. Mit ihren Äußerungen wolle die Gerichtspräsidentin überdies dazu aufrufen, „die Straßen in Israel in Brand zu setzen“.

Auch der 86-jährige Aharon Barak, der von 1995 bis 2006 Präsident des Obersten Gerichtshofs war, warnte vor dem geplanten Justizumbau: „Diese Reform führt die Tyrannei durch die Mehrheit ein und ist eine Gefahr für die Demokratie. Wenn sie umgesetzt wird, wird es im ganzen Land nur noch eine einzige Autorität geben, nämlich die des Premierministers!“2

In einem Interview auf Channel 12 warnte Barak eindringlich vor politischer Gleichgültigkeit. Dabei zitierte er ausgerechnet den deutschen protes­tantischen Theologen Martin Niemöller, der sich von einem Anhänger der

Nazis zum Widerstandskämpfer gewandelt hatte und im KZ gelandet war: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist … Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Auf die Frage der Moderatorin Dana Weiss, wie die Bevölkerung reagieren solle, antwortete Barak: „Wenn es zu keiner Einigung kommt, müssen wir den Kampf aufnehmen, natürlich im Rahmen des Gesetzes.“ Es könne durchaus dazu kommen, dass man in der Balfour Street demonstrieren müsse, denn „wir haben nun einmal kein anderes Land“. Mit der Balfour Street meinte Barak den Amtssitz des Pre­mier­ministers in Jerusalem.

Der Oberste Gerichtshof ist zugleich die einzige Institution in Israel, an die sich die Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen wenden können, um ihre Rechte einzufordern. Seine Schwächung würde bedeuten, auch noch die letzte juristische Instanz zu beseitigen, die den Ausbau der Siedlungen im Westjordanland bremsen könnte.

24 Stunden vor seiner Amtseinführung twitterte Netanjahu die ersten Zeilen des Koalitionsvertrags: „Das jüdische Volk hat ein exklusives und unanfechtbares Recht auf alle Gebiete des Landes Israel. Meine Regierung wird überall die Siedlungen ausbauen, auch in Judäa und Samaria.“3

Als im April 2020 die Regierungs­koa­lition Netanjahu/Gantz ihr Programm präsentierte, war noch nicht von „exklusivem Recht“ die Rede. Die neue Formulierung ist auch eine Botschaft an alle internationalen Partner, die Israel nach wie vor an die gemeinsamen „Werte“ erinnern und auf der Notwendigkeit einer Zweistaatenlösung bestehen.4 Zu denen etwa US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gehören, aber auch die Europäische Union.

Demonstrativ hat Netanjahu bei der Regierungsbildung die Kontrolle über das Westjordanland und die innere Sicherheit den Vertretern der Liste „Religiöser Zionismus“ (HaTzionut HaDatit) überlassen, die sich aus den drei radikalsten Siedlerparteien zusammensetzt. So bekam Bezalel Smotrich, der in der Siedlung Kedumim bei Nablus lebt, das Finanzressort und den Posten eines Vizeverteidigungsministers. Als solcher kann er die Kommandeure von zwei wichtigen militärischen Instanzen in den besetzten Gebieten ernennen: der „Koordinierungsstelle der Regierungsaktivitäten in den Gebieten“ (Cogat) und der „ Zivilverwaltung im Westjordanland“, die der Cogat untersteht.

Berlin and Israel walls

Diese beiden Instanzen sind für die Verbindungen zur Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verantwortlich. Vor allem aber nehmen sie in den besetzten Gebieten zivile Verwaltungsaufgaben wahr, einschließlich der Kontrolle über alles, was in die Gebiete kommt und sie wieder verlässt. Die Ernennung von Smotrich löste heftige Proteste hoher israelischer Militärs aus, weil sie bedeutet, dass Rechtsextreme in die Befehlsketten der Armee integriert werden.

Für die palästinensische Bevölkerung bedeutet dies die Ablösung der militärischen Okkupation durch ein neues Regime, das von der radikalen Siedlerbewegung kontrolliert wird, stellt der Rechtsprofessor Mordechai Kremnitzer fest, was zwingend zu einer Verurteilung Israels durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag führen werde.

Smotrichs hat auch den Auftrag, das De-facto-Verbot neuer palästinensischer Bauten in der C-Zone – jenen 60 Prozent des Westjordanlandes, die vollständig unter israelischer Kontrolle stehen – konsequent durchzusetzen und dafür zu sorgen, dass Hunderte jüdische Siedlungen, die ohne staatliche Genehmigung errichtet wurden, legalisiert und an die Strom-, Wasser- und Telefonnetze angeschlossen werden. Was die Palästinensische Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas betrifft, so betrachtet sie der neue Minister als ein „terroristisches Gebilde“, dem keinerlei Hilfe zukommen soll.

Die umstrittenste Ernennung Netanjahus ist die von Itamar Ben-Gvir zum Minister für nationale Sicherheit. Der Knesset-Abgeordnete wohnt in der Siedlung Kirjat Arba am Stadtrand von Hebron. Er ist Vorsitzender der rassistischen Partei „Jüdische Stärke“ (Otzma Jehudit), die auch die extremistischen Thesen des Rabbiners Meir Kahane vertritt.5

Ben-Gvir steht in seiner neuen Funktion der israelischen Polizei vor, die ihn noch vor einem Jahr als gefährlichen rassistischen Agitator eingestuft hat. Auch bei der Armeeführung galt er als gefährlicher Extremist, weshalb er vom Militärdienst ausgeschlossen wurde. Im 2022 Oktober wurde der heutige „Sicherheitsminister“ im Ostjerusalemer Stadtteil Scheich Dscharrah gefilmt, wie er bei Auseinandersetzungen zwischen arabischen und jüdischen Jugendlichen seine Pistole zückte und die israelischen Polizisten aufforderte, auf palästinensische Steinewerfer zu schießen.

Ministerium für nationale Missionen

Quelle       :        Le Monde diplomatique         >>>>>       weiterlesen

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נשיא המדינה יצחק הרצוג, וראש הממשלה בנימין נתניהו, במרכז התמונה המסורתית במשכן הנשיא בירושלים לרגל השבעת ממשלת ישראל ה-37. יום חמישי, ה‘ טבת תשפ“ג, 29 בדצמבר 2022. קרדיט צילום: אבי אוחיון.

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Ein Leben nach Corona

Erstellt von Redaktion am 11. Februar 2023

Politikprofessor denunziert Kriegsangst als «Krankheit»

Die Institutionen der Politik werden alle nur von  kleinen Sekretären besetzt.

Quelle      :        INFO Sperber CH.

German Foreign Policy /   

Wer vor der Gefahr einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs warnt, hat in Deutschland einen schweren Stand.

Der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, Joachim Krause, rechnet damit, dass NATO-Staaten in absehbarer Zeit Kampfjets an die Ukraine liefern. Mit Blick darauf sei «Eskalationsbereitschaft» angesagt, nicht «Eskalationsphobie», erklärt Krause, der auch dem Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik angehört, des militärpolitischen Strategiezentrums der Bundesregierung.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine haben deutsche Politiker und Medien immer wieder Kriegsangst zu stigmatisieren versucht. In einem aktuellen Medienbeitrag heisst es über Furcht vor dem Übergreifen des Krieges auf die Bundesrepublik: «Panikmache müsste … strafbar sein.»

«90 Sekunden vor Mitternacht»

Unterdessen hat UN-Generalsekretär António Guterres vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs zu einem «grösseren Krieg» gewarnt.  Vor der UN-Generalversammlung konstatierte er, die «Doomsday Clock» («Weltuntergangsuhr»), mit der Wissenschaftler die Nähe zu einer von Menschen herbeigeführten apokalyptischen Katastrophe darzustellen suchen, stehe seit kurzem auf 90 Sekunden vor Mitternacht – ein Punkt, den sie nicht einmal in den härtesten Phasen des Kalten Kriegs erreicht habe.

Ursache seien neben der drohenden Klimakatastrophe nukleare Gefahren und vor allem der Ukraine-Krieg.[1] «Die Aussichten auf Frieden verschlechtern sich weiter», warnte Guterres, «die Wahrscheinlichkeit weiterer Eskalation und Blutvergiessens steigt weiter.» Er fuhr ausdrücklich fort: «Ich fürchte, die Welt schlafwandelt nicht in einen grösseren Krieg, sie bewegt sich mit weit geöffneten Augen in ihn hinein.» Der UN-Generalsekretär forderte eindringlich zum Gegensteuern auf: «Wir müssen härter für den Frieden arbeiten – überall.»

«Der Dritte Weltkrieg»

Schon vor rund einem Monat hatte Papst Franziskus ebenfalls eindringlich vor einem grossen Krieg gewarnt. Franziskus äusserte sich in seiner traditionellen Neujahrsansprache, die er wie jedes Jahr vor den beim Vatikan akkreditierten Diplomaten aus aller Welt hielt und die als aussenpolitische Grundsatzrede des Papstes gilt, zu den zahlreichen aktuellen Konflikten – von Syrien über den israelisch-palästinensischen Konflikt, den Bürgerkrieg in Myanmar und die Spannungen und Unruhen etwa in Peru und Haiti bis zu den Kriegen in der Sahelzone sowie in weiteren Ländern Afrikas.

Für kleine Gäste – lange Tische ?

Zwar beträfen die zahlreichen Kriege und Konflikte jeweils «nur bestimmte Gebiete des Planeten unmittelbar»; doch bezögen sie, sei man ehrlich, «im Grunde genommen alle mit ein». «Das beste und jüngste Beispiel dafür» sei «der Krieg in der Ukraine mit seiner Spur von Tod und Zerstörung, mit den Angriffen auf die zivile Infrastruktur, bei denen Menschen nicht nur durch Bomben und Gewalt, sondern auch durch Hunger und Kälte ihr Leben verlieren.» Der Papst urteilte über die gegenwärtige Lage: «Heute ist der Dritte Weltkrieg in einer globalisierten Welt im Gang».[2]

«Panikmache müsste strafbar sein»

Während der UN-Generalsekretär und der Papst vor der Ausweitung des Ukraine-Kriegs bis hin zu einem Dritten Weltkrieg warnen, werden in Deutschland nun erneut Forderungen lauter, sich von der Kriegsgefahr nicht abschrecken zu lassen. Das ist nicht neu. Nur wenige Wochen nach Kriegsbeginn behauptete die damalige stellvertretende Leiterin des European Union Institute for Security Studies, Florence Gaub, die Furcht vor dem Weltkrieg sei «genau, was Putin erreichen will»: «Nicht die Bombe, sondern die Angst vor der Bombe ist die Waffe.» Daher dürfe man sie nicht zulassen.[3] Anfang Mai sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, befragt, ob er nicht einen Atomkrieg fürchte: «Ich habe keine Angst.»[4] Ende vergangenen Jahres erklärte Carlo Masala, Professor an der Münchner Universität der Bundeswehr, in einer Talkshow, «Angst vor einer Eskalation» durch Russland zu haben sei «ein bisschen paradox»: «Da stehen wir mit unserer Angst auf der falschen Seite.»[5] Am Wochenende brüstete sich ein Autor im Springer-Blatt «Die Welt»: «Corona, Weltkriegsgefahr und Klimawandel machen mir keine Angst». «Vertreter aus SPD und Grünen» wollten der Bevölkerung jedoch Furcht einjagen: «Deren Panikmache müsste … strafbar sein.»[6]

Kriegsangst als «Krankheit»

In einem aktuellen Zeitungsbeitrag bezeichnet nun ein deutscher Politikprofessor die Angst vor einer unkontrollierten Eskalation des Ukraine-Kriegs als eine «deutsche Krankheit». Wie der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, Joachim Krause, in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» erklärt, sei damit zu rechnen, dass es in absehbarer Zeit zur Gründung eines «westlichen Konsortium[s] zur Lieferung von Kampfjets» an die Ukraine komme – «denn ohne Luftunterstützung werden die Ukrainer nicht zu jener beweglichen Kriegführung in der Lage sein, die notwendig ist, um die russischen Truppen zu vertreiben».[7] Zur Lieferung von Kampfjets hat der Militärhistoriker Sönke Neitzel, eher als Hardliner bekannt, unlängst geurteilt, liefere der Westen sie, dann erreiche der Krieg «eine ganz neue Eskalationsstufe». Neitzel warnt offen, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gehe es bei der Forderung nach Kampfflugzeugen darum, «die Nato in diesen Krieg hineinzuziehen».[8]

«Eskalationsphobie»

Mit Blick auf Warnungen wie diese erklärt Krause, der dem Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik angehört, des militärpolitischen Strategiezentrums der Bundesregierung: «Die Deutschen leiden unter einer Krankheit, die man als Eskalationsphobie bezeichnen muss.»[9] «Eskalationsbereitschaft» habe sich immer wieder als «erfolgreich» erwiesen, so beispielsweise im Kalten Krieg. Deshalb müsse man auch heute «den Ukrainern neue Mittel der Kriegführung zur Verfügung» stellen. Weil Bundeskanzler Olaf Scholz sich kürzlich nicht für die rasche Lieferung von Kampfjets ausgesprochen hat, wirft Krause ihm vor, sich «in stiller Pflege der Eskalationsphobie» zu üben.

Furcht vor dem Weltkrieg

Die Furcht vor einer Eskalation des Ukraine-Kriegs, die Krause als «Eskalationsphobie» denunziert, ist in der deutschen Bevölkerung verbreitet. Im Oktober zeigte eine Umfrage, dass 59 Prozent der Bevölkerung Angst vor einem Dritten Weltkrieg haben. Am geringsten ausgeprägt ist die Weltkriegsangst mit jeweils 51 Prozent bei Menschen mit monatlichem Durchschnittseinkommen von 4000 Euro oder mehr und bei Wählern von Bündnis 90/Die Grünen.[10]

FUSSNOTEN:
[1] Secretary-General’s briefing to the General Assembly on Priorities for 2023. un.org, 06.02.2023.
[2] «Papst spricht vor Diplomaten vom dritten Weltkrieg». tagesspiegel.de, 09.01.2023.
[3] S. dazu Ukrainisch Roulette.
[4] «Merz: Habe keine Angst vor Atomkrieg». n-tv.de, 02.05.2022.
[5] Thomas Fritz: «Militärexperte Carlo Masala wundert sich bei «Maybrit Illner» über merkwürdige Angst im Westen». web.de, 09.12.2022.
[6] Harald Martenstein: «Wer wenig Angst hat, gilt in dieser Gesellschaft schnell als politischer Aussenseiter». welt.de, 05.02.2023.
[7] Joachim Krause: «Eskalationsphobie – eine deutsche Krankheit». «Frankfurter Allgemeine Zeitung», 07.02.2023.
[8] Dimitri Blinski: Sönke Neitzel: «Es geht Selenskyj darum, die Nato in diesen Krieg hineinzuziehen». stern.de, 27.01.2023.
[9] Joachim Krause: «Eskalationsphobie – eine deutsche Krankheit». «Frankfurter Allgemeine Zeitung», 07.02.2023.
[10] Oliver Stock: «Mehrheit der Deutschen hat Angst vor Drittem Weltkrieg». focus.de, 21.10.2022.

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Oben      —    (Nova York – EUA, 20/09/2022) Palavras do Secretário-Geral da Organização das Nações Unidas, Excelentíssimo Senhor Antônio Guterres. Foto: Isac Nóbrega/PR

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Kolumne-Fernsicht-Polen

Erstellt von Redaktion am 11. Februar 2023

Russlands Nachbarn spielen eine neue Rolle in Europa

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Von Karolina Wigura und Jaroslaw Kuisz

Gibt es ein „polnisches Moment“ in Europa? Bei der Debatte diese Woche in der Berliner Zentrale der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ging es um diese Frage. Anlass war das neue Buch des langjährigen deutschen Botschafters in Warschau, Rolf Nikel. Dieses interessante Buch kommt genau zum richtigen Zeitpunkt.

Polen, als größtes Land unter den östlichen EU-Mitgliedern, als Land, das Hunderte von Waffen in die Ukraine schickt, könnte in der Tat eine neue Führungsrolle in Europa übernehmen. Wären da nicht die Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit und der erbitterte Streit mit Brüssel.

Vielleicht wäre richtiger, nicht von der polnischen, sondern von der mitteleuropäischen Stunde zu sprechen. In wenigen Wochen jährt sich der Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zum ersten Mal. 12 Monate schaffen eine gewisse Distanz – wenn man sie angesichts Tausender sterbender Soldaten und unschuldiger Zivilisten überhaupt haben kann.

Die letzten 12 Monate markieren auch eine Zeit, in der Mittel- und Osteuropa einen tiefgreifenden Wandel erlebt hat. Die Region, die früher als ein Monolith angesehen wurde, scheint jetzt geteilt zu sein, wobei andere Länder als in der Vergangenheit den Großteil der Aufmerksamkeit auf sich ziehen. So denkt beispielsweise heute kaum noch jemand an die ehemals modische Visegrád-Gruppe, sondern man guckt auf die unmittelbaren Nachbarn Russlands – Polen und die baltischen Staaten. Auf sie rückt die Hauptaufmerksamkeit der westlichen Welt.

Warum sind die unmittelbaren Nachbarn Russlands so wichtig? Die Antwort ist einfach: Wegen ihrer besonderen Herangehensweise an die Frage der Eskalation in der Ukraine. Die Nachbarn Russlands, die Ukraine inklusive, teilen die Haltung Moskau gegenüber. Dieser Ansatz ist von grundlegender Bedeutung für die Definition der Ziele der aktuellen Auseinandersetzung mit Präsident Wladimir Putin. Es ist auch ein Ansatz, der in der westlichen Welt nicht ausreichend anerkannt wird.

Bundeskanzler Olaf Scholz ist in den letzten Monaten wegen seiner Zurückhaltung bei Waffenlieferungen an die Ukraine kritisiert worden. Glaubt man jedoch den Umfragen, so ist seine Zurückhaltung nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in weiten Teilen der westlichen Welt weit verbreitet. Der Grund dafür ist, dass der Westen die Sorge hat, ein falscher Schritt werde zu einer Eskalation des gegenwärtigen Konflikts und möglicherweise in einen Atomkrieg führen.

Die Eskalation des aktuellen Konflikts kann allein von Putin entschieden werden

Die Kölner Innenstadt nach einem Luftangriff 1942

Die Kölner Innenstadt nach einem Luftangriff 1942

Russlands unmittelbare Nachbarn vertreten hingegen eine völlig andere Auffassung. Nach Ansicht von Warschau, Riga und Kiew kann die Eskalation des aktuellen Konflikts allein von Wladimir Putin entschieden werden. Dieser Konflikt eskaliert von selbst, ohne dass die Länder westlich von Moskau dafür verantwortlich wären. Das Einzige, was wir entscheiden können, ist das Ausmaß der Entschlossenheit als Reaktion auf das Verhalten des Kremls. Die Nachbarn Russlands sind überzeugt, dass man entschlossener reagieren muss, weil man nur so gewinnen kann. Ziel ist es, Russland bis ins Jahr 1991 oder sogar bis zur völligen Niederlage und Zerstörung zurückzubefördern – ins Jahr Null, wie 1945 Deutschland.

Quelle         :     TAZ-online           >>>>>      weiterlesen

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Blues und Bäume

Erstellt von Redaktion am 8. Februar 2023

In der Krisenwelt an Schönes denken

Ein Schlagloch von Georg Seeßlen

Die ökologische, die politisch-soziale und die kulturelle Katastrophe verstärken einander. Kann man da noch an etwas denken, was einfach schön ist?

Worüber könnte man nicht alles sinnieren und sprechen in dieser Welt! Zum Beispiel von einer neuen Generation von afroamerikanischen Bluesmusikern, die eine traumhafte Balance zwischen Tradition und Aktualität finden: King Solomon Hicks, Christone Kingfish Ingram, Buffalo Nichols oder auch – white female soul – Veronica Lewis. Oder, ganz was anderes, über kulturelle Vagina-Repräsentationen jenseits von pfui und geil, im „Einfach schön“-Modus vielleicht.

Da könnte man sich einen Abstecher in die Legende eines Gemäldes leisten, welches das Arbeitszimmer von Sigmund Freud geschmückt haben soll, aber beständig verhangen werden musste, zumal, wenn weibliche Besucher zu empfangen waren: Gustave Courbets „Der Ursprung der Welt“ aus dem Jahr 1866, mit 46 mal 55 cm nicht eben eine Miniatur zum Verstecken – und auch der Titel ist ein späterer Euphemismus, während man das Gemälde so beschnitten hat, dass das Gesicht der Frau verloren ging … Welch ein mytho-poetischer Horrorslapstick!

Die Trennung des Geschlechts vom Menschen, die mehr oder weniger gewaltsame Allegorisierung und dann dieses panisch-komische Spiel von Ver- und Enthüllungen im Geburtshaus der Psychoanalyse – als Symptom, vielleicht, der phallomanischen Moderne des mitteleuropäischen Bürgertums. Schließlich könnte man über Gegenwärtigkeit als Kunst-Ziel nachdenken. In unserer Kunst, in Literatur und Film wird die Gegenwart scharf angesehen, doch sie schaut als etwas Fremdes und Fernes zurück. Als wäre der Preis für genauere Darstellung der Gegenwart der Verzicht auf Gegenwärtigkeit.

So führte vielleicht ein Schlenker über Virginia Woolf oder James Joyce – womöglich auf weniger ausgetrampelte Pfade zu Erkenntnis und Glück. Aber ach, die Verhältnisse, sie sind nicht so. Wir leben, wieder einmal, in finsteren Zeiten. Und in denen müssen sich Themen wie diese den Vergleich mit den Bäumen aus Bert Brechts Gedicht gefallen lassen, von denen zu sprechen fast einem Verbrechen gleichkommt, weil es ein Schweigen über so viel anderes bedeutet. Wir leben in einer dreifachen Katastrophen-Erzählung, und kaum einem Gedanken kann und darf es noch gelingen, sich von der Bindung an dieses unheilige narrative Dreieck zu trennen:

Dreiklang der Katastrophe

Die ökologische Katastrophe. Unabwendbar. Offenbar nicht trotz, sondern noch beschleunigt durch eine Teilnahme der Grünen und ihrer Klientel an Regierung und Diskurs. Ist es noch fünf nach zwölf oder doch schon zehn nach? Die politisch-soziale Katastrophe. Offensichtlich ebenfalls unabwendbar. Der Aufstieg der populistischen Autokratien einschließlich ihrer Gewalt- und Kriegslüsternheit und die furchtbare Allianz von Neoliberalismus, Populismus und „Post“-Faschismus … Wenn man sich in Italien umsieht, weiß man nicht, was erschreckender ist, der Aufstieg der Rechtsextremen zur Regentschaft, der desolate, wenn nicht suizidale Zustand der Linken oder die narzisstische Ignoranz der Mainstream-Gesellschaft.

Diesseits der Alpen haben wir statt Meloni, Berlusconi und Salvini ein Trio infernale von Lindner, Söder und Merz, und die Linke … reden wir von was anderem, nämlich von der kulturellen Katastrophe. Das ist eine Bildungskatastrophe, eine semantische Katastrophe und eine Katastrophe der kulturellen Infrastruktur. Die Ver-Bild-ung und Verdschungelcampung hat längst auf die einstigen „bürgerlichen“ Leitmedien übergegriffen, auf die demokratische Utopie vom Zugang zu Bildung, Kultur und Kritik für alle ist das populistische Marketing von Verblödung für alle gefolgt.

Wechselwirkungen

Der Trick der Dreifach-Katastrophe liegt in ihren Wechselwirkungen. Auf der einen Seite verstärkt jede der Krisen die beiden anderen. Verblödete Menschen sind nicht in der Lage, die ökologische oder politische Krise zu bearbeiten; angstzerfressene Menschen sind nicht in der Lage, Kultur als Medium der sozialen Verbesserung zu begreifen; Prekarisierung macht allenthalben erpressbar. Und zum anderen führt jeder Fortschritt an einer der Katastrophen-Fronten, wie es scheint, automatisch zur Verschlechterung der Lage an den anderen. Mit jedem ökologischen oder kulturellen Fortschritt, und sei er noch so bescheiden, lockt man weitere Kräfte von der „konservativen“ auf die faschisierte Seite; für jeden noch so bescheidenen Schritt der sozialen Gerechtigkeit verlangt die politisch-ökonomische Agentur des Kapitals ein ökologisches Opfer.

Quelle        :        TAZ.online        >>>>>        weiterlesen

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Lebenswissenschaften –

Erstellt von Redaktion am 7. Februar 2023

200+ deutsche Großwaffen für die Ukraine

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Achtung ! Deutsche Politiker-innen aufsitzen und schon geht es los !

Von Johannes Kreis

Lebenswissenschaften – 200+ deutsche Großwaffen für die Ukraine (mit Servicezentrum in der Slowakei) und der Geist von Minsk.

Ich möchte darauf hinweisen, dass es wenig Sinn macht, auf der molekularen Ebene den Ursprung des Lebens zu erforschen oder sich über das Signifikanzniveau von medizinischen Studien zu streiten, wenn gleichzeitig in der Ukraine einige Millionen Artilleriegranaten verschossen werden.

In einem Krieg gibt es keine Gewinner und den Bewohnern in der Region ist es egal, von wem die Granate verschossen wurde, die in das Haus eingeschlagen ist. Nach fast einem Jahr Krieg in der Ukraine kommen in den deutschen Mainstream-Medien, insbesondere dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, weiterhin nur diejenigen zu Wort, deren Glaubensbekenntnis mehr Waffen und noch mehr Waffen ist. Jedoch, schon jetzt geht es um deutlich mehr Waffen, Munition und Ausrüstung als die Diskussion zu den 14 Leopard-2 Panzern vermuten läßt. Wo ist die Diskussion zu der Perspektive?

Gemäß der für das Militär so kennzeichnenden, eiskalten Logik des Kriegs ist die Nachrichtenlage unübersichtlich und geprägt von taktischen Überlegungen und operativen Zielen der Kombattanten. Aber es gibt einige Punkte, zu denen einigermaßen gesicherte Aussagen möglich sind.

Was man mit Sicherheit sagen kann ist, dass dies kein Feldgeplänkel ist, sondern das ist ein echter Krieg. Die derzeitigen Schlachten in der Ukraine, geprägt von taktischen Offensiven von beiden Seiten, stehen den Schlachten des 2. Weltkrieges an Härte und Brutalität in nichts nach. Vgl. dazu der Chef des Generalstabes der USA, General Mark Milley, im November 2022,

“The most senior US general estimates that around 100,000 Russian and 100,000 Ukrainian soldiers have been killed or injured in the war in Ukraine.

Gen Mark Milley, chairman of the US Joint Chiefs of Staff, also suggested that around 40,000 civilians had died after being caught up in the conflict.”

Neuere Zahlen zu Gefallenen, Verletzten und zivilen Opfern von Ende Januar 2023 sind noch einmal deutlich höher, aber nicht zu verifizieren.

In Deutschland beschränken wir uns derweil auf die Feststellung, dass Russland angefangen hat. Nach 3 Jahren des medialen COVID-Lockdown-Maßnahmen-Impf-Debakels ist klar, dass von den deutschen Eliten, einschließlich der Kirchen und des Deutschen Ethikrates, nicht mehr zu erwarten ist.

Fest steht, dass Deutschland unter anderem die folgenden Waffen und Waffensysteme an die ukrainische Armee geliefert hat oder liefern wird,

88 Leopard-1 Panzer

37 Flakpanzer GEPARD

40 Schützenpanzer MARDER mit Munition

5 Mehrfachraketenwerfer MARS II mit Munition

14 Panzerhaubitzen 2000

14 Leopard-2A6 Panzer mit Munition

18 Radhaubitzen RCH 155

16 Panzerhaubitzen Zuzana 2

20 Raketenwerfer 70mm auf Pick-up Trucks mit Raketen

60.000 Schuss Munition 40mm Granatwerfer

18.500 Schuss 155 mm Artilleriemunition

30 MG3 für Bergepanzer

54 M113 gepanzerte Truppentransporter mit Bewaffnung

53.000 Schuss Flakpanzermunition

3.000 Patronen „Panzerfaust 3“ zuzüglich 900 Griffstücke

500 Fliegerabwehrraketen STINGER

2.700 Fliegerfäuste STRELA

22 Millionen Schuss Handwaffenmunition

50 Bunkerfäuste

7.944 Panzerabwehrhandwaffen RGW 90 Matador

100 Maschinengewehre MG3 mit 500 Ersatzrohren und Verschlüssen

100.000 Handgranaten

5.300 Sprengladungen

100.000 Meter Sprengschnur und 100.000 Sprengkapseln

350.000 Zünder

1.020 Schuss Artilleriemunition 155 mm

156.000 Schuss Munition 40mm Granatwerfer

5.032 Panzerabwehrhandwaffen

Dazu kommen weitere Systeme und Geräte, z.B. Luftverteidigungssysteme Iris-T SLM und PATRIOT, Artillerieortungsradar COBRA, Bergepanzer, Brückenlegepanzer, Aufklärungsdrohnen, Minenräumgeräte, Funkausrüstung, Zugmaschinen, Störsender, mobile Bodenradare und Wärmebildgeräte und weitere Ausrüstung)

Leopard 2A5

Vgl.

Es scheint, dass die Bunderegierung Waffenlieferungen, die nicht aus Bundeswehrbeständen kommen, sondern aus Unternehmensbeständen, nicht auf der Webseite erfasst.

Dazu kommt der wenig bekannte Betrieb eines Instandhaltungszentrums für Großwaffengerät durch die Bundeswehr in Michalovce in der Slowakei, 35 km von Uschgorod in der Ukraine entfernt,

“Im slowakischen Michalovce betreibt die Bundeswehr für das an die Ukraine gelieferte Großgerät ein Instandhaltungszentrum mit einer Leichtbauhalle, in der sechs bis acht Großgeräte gleichzeitig gewartet werden können. Brigadegeneral Christian Freuding, der Leiter des Sonderstabes Ukraine im Verteidigungsministerium, schwärmte auf Youtube: „Da entsteht eine richtige kleine Stadt.““

„Da entsteht eine richtige kleine Stadt.“ Man freut sich ja mit den Generälen. Nur mit parlamentarischer Kontrolle sollte man hier nicht rechnen. Zum Glück sind wir keine Kriegspartei.

Dazu kommen weiteren Leistungen, wie z.B. Ausbildung,

Inwieweit Deutschland an der elektronischen und optischen Feindaufklärung und der täglichen Lagebeobachtung beteiligt ist, und ob Deutschland die ukrainische Armee mit Lagebildern versorgt, ist nicht bekannt.

Man kann juristisch darüber streiten, ob Deutschland Kriegspartei ist,

Aber, über 200 Großwaffen mit Munition, 100.000 Handgranaten oder 22 Millionen Schuss Handwaffenmunition sind Realität. Das ging in der Diskussion zu den 14 Leopard-2 Panzern etwas unter, zusammen mit der Frage, was denn aus den bisherigen Waffenlieferungen an die Ukraine geworden ist, z.B. den 250 Panzern, die Polen geliefert hatte,

“Poland has already sent about 250 Soviet era T-72 tanks to Ukraine.”

Diese Panzer gibt es vermutlich nicht mehr. Die Frage der Perspektive hat sich in der der Diskussion zu den 14 Leopard-2 Panzern wohl nicht gestellt.

Zu den deutschen Waffenlieferungen kommen die Lieferungen anderer NATO Länder, vor allem der USA. Hier Russland täglich davon zu überzeugen, dass es sich nicht in einem Krieg mit der NATO befindet, dürfte einige Arbeit erfordern.

Die Liste der Staaten, die Waffen an die Ukraine liefern, ist lang. Es ist nicht ganz einfach eine genaue Liste zusammenzustellen, wer, welche Waffen und Munition, in welcher Stückzahl bislang an die Ukraine geliefert hat.

Zu den Panzer-Lieferungen an die Ukraine,

“Here is a list of the countries which have so far pledged tanks to Ukraine, or are reportedly considering to do so, GermanyFinland (not in NATO), PolandPortugalSpainNetherlandsDenmarkNorwayUnited StatesCzech RepublicBulgariaUnited KingdomFrance

Zu der Lieferungen  von Panzern und weiteren Waffen an die Ukraine,

“Germany:                         Leopard2 tanks

UK:                                     Challenger2 tanks

Poland:                               200+ T-72 tanks

Czech Republic:                T-72 tanks,

USA:                                   90 Stryker armoured fighting vehicle, 59 Bradley infantry fighting vehicles, Patriot missile system, Nasams (National Advanced Surface-to-Air Missile System), M142 Himars (High Mobility Artillery Rocket System), Advanced M777 howitzers

Slovakia:                            S-300 air defence system

UK:                                      Starstreak air defence systems, Nlaw anti-tank weapon,

Australia:                          Advanced M777 howitzers

Canada:                             Advanced M777 howitzers

Turkey:                               Bayraktar TB2 armed drones”

Die USA haben bislang (unter anderem) folgende Waffen an die Ukraine geliefert, ohne Kriegspartei zu sein,

“Over 1,600 Stinger anti-aircraft systems

Over 8,500 Javelin anti-armor systems

Over 46,000 other anti-armor systems and munitions

142 155mm Howitzers and up to 1,004,000 155mm artillery rounds

4,200 precision-guided 155mm artillery rounds

9,000 155mm rounds of Remote Anti-Armor Mine (RAAM) Systems

36 105mm Howitzers and 180,000 105mm artillery rounds

276 Tactical Vehicles to tow weapons

22 Tactical Vehicles to recover equipment

38 High Mobility Artillery Rocket Systems and ammunition

20 120mm mortar systems and 135,000 120mm mortar rounds

1,500 Tube-Launched, Optically-Tracked, Wire-Guided (TOW) missiles

Eight National Advanced Surface-to-Air Missile Systems (NASAMS) and munitions

Missiles for HAWK air defense systems

20 Mi-17 helicopters

45 T-72B tanks

Over 1,000 High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicles (HMMWVs)

Over 11,000 grenade launchers and small arms

Over 104,000,000 rounds of small arms ammunition

Laser-guided rocket systems

Two harpoon coastal defense systems

58 coastal and riverine patrol boats

M18A1 Claymore anti-personnel munitions

C-4 explosives, demolition munitions, and demolition equipment for obstacle clearing”

Dazu kommt weitere Ausrüstung und Geräte. Siehe auch,

Dazu kommen demnächst, wann ist nicht ganz klar, 31 M1A2 Abrams Kampfpanzer,

Man kann festhalten, dass von den USA bis zu 1 Mio. Artilleriegranaten („up to 1,004,000 155mm artillery rounds“) bereitgestellt werden, ohne dass es in Deutschland eine öffentliche Aufforderung der Bundesregierung zu Verhandlungen gibt.

Ebenfalls steht fest, dass die deutschen Waffen und die Munition geliefert wurden, ohne sich die Frage zu stellen, wie man denn aus dieser menschlichen Katastrophe wieder herauskommt. Das überläßt man allein den Kriegsparteien.

„Zur Frage nach der Dauer deutscher Waffenhilfe verwies Kühnert auf den Bundeskanzler. Er betone immer wieder, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie es notwendig sei. „Ihre Kriegsziele definiert die Ukraine selbst und damit auch die Frage, wann ein Moment sein kann, an dem man sich zu Verhandlungen zusammensetzt.““

Vereinzelt gibt es kritische Stimmen auf Landesebene, z.B. Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen. Aber Herr Kretschmer hat schon viel gesagt, z.B. zur Impfpflicht.

Die obigen Zahlen sind objektiv überprüfbar. Alles was darüber hinausgeht, ist schwierig. Vieles unterliegt der Geheimhaltung.

So ist z.B. die Aussage des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr General a.D. Harald Kujat nicht überprüfbar, dass der damalige britische Premierminister Boris Johnson im April 2022 aktiv die Unterzeichnung eines Friedensvertrages verhindert hat, vgl.

„Nach zuverlässigen Informationen hat der damalige britische Premierminister Boris Johnson am 9. April [2022] in Kiew interveniert und eine Unterzeichnung verhindert. Seine Begründung war, der Westen sei für ein Kriegsende nicht bereit.“

Man wird sicherlich nicht oberster Soldat in Deutschland, wenn man leichtfertig mit Verdächtigungen um sich schmeißt. Aber wenn es nicht in der FAZ oder der SZ steht, wird es in Deutschland nicht wahrgenommen.

Zu den Istanbuler Verhandlungen auf die sich Herr Kujat bezieht vgl.,

Und zu der Haltung von Boris Johnson,

Objektiv steht fest, dass es derzeit keine Friedensverhandlungen gibt. Man wundert sich, dass kein hochrangiger Vertreter der deutschen Bundesregierung solche fordert.

Man wundert sich auch, dass es keine Diskussion zu den Abkommen von Minsk aus 2014 gibt, für die Angela Merkel Anfang 2015 noch gelobt worden war. Das damals erklärte Ziel war es, den Ukraine-Konflikt friedlich zu lösen.

„Dank Angela Merkels Einsatz und ihrer angsteinflößenden Kondition gibt es Bewegung in der Ukraine-Krise. Erwächst daraus ein dauerhafter Frieden, wäre die Kanzlerin künftig bei der Lösung schwieriger Konflikte gefragt.“

Kürzlich hat Frau Merkel in einem Interview mit DIE ZEIT und DER SPIEGEL darauf hingewiesen, dass der eigentliche Zweck der Abkommen gewesen sei, Zeit für eine Bewaffnung der Ukraine zu gewinnen,

„Angela Merkel:

[…] Und das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben.

[Anm. d. Red.: Unter dem Minsker Abkommen versteht man eine Reihe von Vereinbarungen für die selbst ernannten Republiken Donezk und Luhansk, die sich unter russischem Einfluss von der Ukraine losgesagt hatten. Ziel war, über einen Waffenstillstand Zeit zu gewinnen, um später zu einem Frieden zwischen Russland und der Ukraine zu kommen.]

Sie hat diese Zeit hat auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht. Die Ukraine von 2014/15 ist nicht die Ukraine von heute. Wie man am Kampf um Debalzewe (Eisenbahnerstadt im Donbass, Oblast Donezk, d. Red.) Anfang 2015 gesehen hat, hätte Putin sie damals leicht überrennen können. Und ich bezweifle sehr, dass die Nato-Staaten damals so viel hätten tun können wie heute, um der Ukraine zu helfen.“

Vgl. dazu auch folgende Ausführungen,

  • Ulrich Heyden, „Mythos Merkel zerplatzt: „Friedenskanzlerin“ bekennt, dass Minsker Abkommen nur ein Trick war“, Nachdenkseite, 12. Dezember 2022https://www.nachdenkseiten.de/?p=91458

Der ehemalige französische Präsident François Hollande bestätigt die Aussagen von Frau Merkel in einem Interview mit The Kyiv Independent,

The Kyiv Independent: In an interview with the German newspaper Die Zeit, Angela Merkel said about the Minsk protocols that ‚It was obvious that the conflict was going to be frozen, that the problem was not solved, but it just gave Ukraine precious time.‘

Do you also believe that the negotiations in Minsk were intended to delay Russian advances in Ukraine?

François Hollande: Yes, Angela Merkel is right on this point.

The Minsk agreements stopped the Russian offensive for a while. What was very important was to know how the West would use this respite to prevent any further Russian attempts.”

Wär es nicht opportun gewesen, sich die Frage zu stellen, ob man mit der Aufrüstung der Ukraine nicht genau das getan hat, was Russland am meisten gefürchtet hat? Wenn Russland die Ukraine in 2014 hätte überrennen können, warum hat Russland das nicht einfach getan? Ist die Ukraine ein Beispiel dafür, dass Aufrüstung keinen Frieden schafft? Eine öffentliche Diskussion dazu, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, fehlt derzeit.

Hat es dem Geist des Minsker Abkommens entsprochen, die Ukraine in 2016 an einem Großmanöver der NATO, Anakonda 16, in Polen teilnehmen zu lassen? Die Teilnahme ist von NATO Offiziellen seinerzeit kritisiert worden, vgl.

„Zuvor hätten einige Alliierte massive Bedenken angemeldet, sagten Nato-Offizielle der „Tagesschau“. Nicht wegen der Teilnahme von Nicht-Nato-Staaten, sondern auch deshalb, weil Länder wie Georgien und die Ukraine dabei sind.“

„Und auch Verteidigungsexperten warnen vor russischen Reaktionen: „Jedes noch so kleine Missgeschick, das die Russen missverstehen oder sich entscheiden falsch zu deuten, könnte eine Offensive auslösen“, sagte ein Verteidigungsexperte in der europäischen Botschaft in Warschau der britischen Zeitung „The Guardian“. Dies könne zu einem „Alptraum-Szenario“ führen.“

Das „Alptraum-Szenario“ hat man jetzt. Was lernen wir daraus?

Was mit Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass die Einlassungen von Frau Merkel und Herrn Hollande im Dezember 2022 wenig geeignet sind, das notwendige Vertrauen zu schaffen, um am Verhandlungstisch zu einer friedlichen Lösung des Ukraine-Konfliktes zu kommen.

Bislang sind alle modernen Kriege, bis auf die Katastrophen des 1. und 2. Weltkrieges, am Verhandlungstisch gelöst worden. Nach einem 3. Weltkrieg wird es nicht mehr viel geben, über das es sich lohnte zu verhandeln.

Fast hofft man, dass sich am Ende die monetären Interessen durchsetzen und wir zu den gewohnten Heucheleien der deutschen Politik zurückkehren,

“Companies including BASF SE, Dow Inc. and Lanxess AG are poised to cut thousands of jobs and shift investment out of Germany because they don’t expect Berlin to reliably provide the energy they need at prices close to those they once paid for Russian pipeline gas.”

Frieden schaffen mit schweren Waffen. Mit Fassungslosigkeit schaut man auf die Ruinen der Grünen und der SPD und den neuen Militarismus à la Strack-Zimmermann in Deutschland. Wie erleichtert waren alle gewesen, als mit Michail Gorbatschow in den 1980er Jahren Perestroika und Glasnost einsetzten. Die derzeitigen Abgeordneten im Deutschen Bundestag scheinen sich daran gar nicht mehr zu erinnern.

Wir waren alle zu sorglos und haben uns zu sehr darauf verlassen, dass, wenn die Tagesschau nichts berichtet, es eben nichts zu berichten gibt. 33 Jahre nach dem Mauerfall stehen wir vor den Trümmern der Entspannungspolitik von Willy Brandt und Hans-Dietrich Genscher und der Albtraum geht von vorne los. Alle die sich für Frieden aussprechen sind „Putin-Versteher“ und jeder Depp kann sich jetzt als Sicherheitspolitiker aufspielen, wenn er oder sie nur mehr Waffen fordert. Es gibt in Deutschland nicht einmal ansatzweise eine Diskussion zu der Perspektive in der Ukraine, außer mehr Waffen zu liefern.

Deutschland verharrt in Sprachlosigkeit und einer medial vorgegebenen Einheitsmeinung, nach dem Motto „nur keine Schwäche gegenüber Putin zeigen“. Von einer kritischen Begleitung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in den deutschen Medien kann keine Rede sein. Das kennen wir von der Gesundheitspolitik der letzten 3 Jahre.  Die berechtigte Aufmerksamkeit, die der Ukraine-Konflikt in den Medien erhält, wenn auch in sehr einseitiger Darstellung, ist der kurzfristigen Aufarbeitung des COVID-Maßnahmen-Debakels nicht förderlich, wird sie aber längerfristig nicht verhindern können. Nach 3 Jahren verfehlter Gesundheitspolitik stand das kleinlaute Eingeständnis, dass man früher hätte nachdenken müssen. Leider sitzen jetzt wieder dieselben Typen mit den Patentrezepten in den Talkshows und die deutschen Journalisten sind weiterhin des kritischen Nachfragens nicht fähig. Die Fehler, die man in der COVID Berichterstattung gemacht hat, wiederholen sich gerade in der Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt.

Da muß man inzwischen auch mal nach den Ursachen fragen.

Statt einer kritischen Begleitung der Regierung gibt es fliegende Wechsel zwischen der Tätigkeit als öffentlich-rechtlicher Journalist und der Tätigkeit als Sprecher von Mitgliedern der Bundesregierung. Beispiele sind Steffen Seibert (Regierungssprecher unter der ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und seit August 2022 Botschafter in Israel) und Michael Stempfle (Pressesprecher des amtierenden Verteidigungsministers Boris Pistorius). Der Vorgänger von Steffen Seibert als Regierungssprecher, Ulrich Wilhelm, wurde dann Intendant des Bayerischen Rundfunks.

Das ist einer Demokratie unwürdig. Eine mediale Einheitsmeinung rechtfertigt sich auch nicht dadurch, dass ausländische Oligarchien gegeneinander Krieg führen und man eine geschlossene Front zeigen möchte. Kriege gibt es leider permanent auf der Welt, wie auch die zahlreichen Auslandseinsätze der Bundeswehr in den letzten 20 Jahren zeigen.

In großem Umfang, deutlich mehr als 14 Panzer, Waffen in ein Kriegsgebiet zu schicken (einschließlich Servicezentrum) und nicht einmal die Frage nach der Perspektive zu stellen, sogar es explizit den Kriegsparteien zu überlassen, wann sie beginnen zu verhandeln, das ist viel zu wenig. Bislang findet sich niemand, der das im deutschen Fernsehen einmal ausspricht.

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Oben     —    Anti-aircraft gun tank Gepard 1A2 combining radarfire-control system and two 35mm guns in a new turret mounted on a Leopard chassis.

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Fahren auf Sicht

Erstellt von Redaktion am 4. Februar 2023

Eine Postkeynesianische Kriegswirtschaft

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Krisenbewältigung und der Übergang zum autoritären Staatskapitalismus: Derzeit kommen viele Elemente keynesianischer Wirtschaftspolitik zum Einsatz. Dies könnte den Übergang zu einer autoritären staatskapitalistischen Krisenverwaltung anzeigen.

Ob stockkonservative Marktjünger oder bieder-sozialdemokratische Gewerkschafter: In Krisenzeiten sind sie alle Keynesianer. Bei jedem Krisenschub der vergangenen Jahre, wenn es mal wieder galt, den dahinsiechenden Spätkapitalismus mittels billionenschwerer Konjunkturprogramme und Gelddruckerei vor dem Kollaps zu ­bewahren, erlebte die Lehre des britischen Ökonomen John Maynard Keynes, dessen nachfrageorientierte Konjunkturpolitik in der Nachkriegszeit bis zur Ablösung durch den Neoliberalismus in den achtziger Jahren ­dominant war, eine flüchtige öffentliche Konjunktur.

Auch nach dem Platzen der transatlantischen Immobilienblase 2008 und dem pandemiebedingten Einbruch 2020 sprach man wieder über Keynes, der als Hofökonom der Sozialdemo­kratie eine aktive Rolle des Staats bei Investitionsprogrammen und eine expansive Geldpolitik propagiert hatte. Nach den üblichen Abnutzungserscheinungen im Medienzirkus verschwindet die Referenz auf Keynes wieder, wenn der Kapitalismus nach der »keynesianischen« Stabilisierungsphase wieder zum business as usual überzugehen scheint.

Übrig bleiben jedes Mal die im neo­liberalen Zeitalter aus dem politischen und akademischen Mainstream verdrängten, beständig jammernden Keynesianer, mit denen sich nun die nichtsozialdemokratische Linke herumplagen darf. Doch die andauernde Klage der Neokeynesianer und der Vertreter der Modern Monetary Theory (MMT, zu Deutsch: moderne Geldtheorie), wonach es mehr Keynesianismus brauche, damit alles wieder besser werde und der Spätkapitalismus an die Ära des »Wirtschaftswunders« wieder anknüpfen könne, ist angesichts der politischen Realitäten – gelinde gesagt – deplatziert. Viele Instrumente des Keynesianismus kommen bei der Krisenverwaltung, die das System seit 2008 stabilisiert, weiterhin zum Einsatz, sie werden nur nicht als solche ­bezeichnet und wahrgenommen.

Das ist nur logisch vor dem Hintergrund der historischen Genese dieser ökonomischen Schule: Der Keynesianismus wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum kapitalistischen Mainstream als die große »Lehre«, die aus der 1929 einsetzenden Krisen­phase zu ziehen sei – und die kapitalistischen Funktionseliten greifen in ­Krisenzeiten quasi reflexartig zu dessen Instrumentarium. Konsequente ­Regulierung der Währungs- und Finanzmärkte, der Staat als wirtschaftlicher Ordnungs- und Leitfaktor, der eine aktive Investitionspolitik betreibt, eine nachfrageorientierte Lohn- und Sozialpolitik, bei der die Lohnabhängigen auch als Konsumenten begriffen werden, und eine kontrazyklische Konjunkturpolitik, die mittels schuldenfinanzierter Konjunkturprogramme ­Rezessionen verhindern soll, um in Boomphasen diese Schulden dann abzutragen – dies waren die idealisierten Grundzüge der keynesianischen Wirtschaftsordnung, bis der Neoliberalismus unter Margaret Thatcher und ­Ronald Reagan dominant wurde; zu dieser Ordnung wollen die Neokeynesianer zurückkehren.

Billiger geht’s nicht

Der pragmatische Rückgriff auf das Instrumentarium des Keynesianismus findet seinen klarsten Ausdruck in all den Konjunkturprogrammen, die im Gefolge der wiederkehrenden Krisenschübe aufgelegt wurden. Da diese immer intensiver wurden, gewannen auch die staatlichen Subventions- und Investitionspakete bei jedem Krisenschub an Umfang, wie die Unternehmensberatungsfirma McKinsey im Vergleich der Weltfinanzkrise 2008/2009 und des ­Pandemieeinbruchs 2020 darlegte. Schon Mitte 2020 summierten sich die globalen staatlichen Krisenaufwendungen auf rund zehn Billionen US-Dollar – das Drei­fache der Krisenprogramme von 2008/2009.

War die Bundesregierung 2008 haushaltspolitisch restriktiv gesinnt und machte nur mit der berüchtigten, klimapolitisch verheerenden »Abwrack­prämie« für Gebrauchtwagen Negativschlagzeilen, legte sie 2020 besonders weitreichende Krisenprogramme auf. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) war das deutsche Konjunkturpaket sogar das größte aller westlichen Industrieländer; es belief sich auf 33 Prozent des BIP. Zudem leitete die Regierung unter Angela Merkel auch in der Euro-Zone eine graduelle Abkehr vom Austeritätsregime ein, das die Vorgängerregierung unter derselben Kanzlerin ein Jahrzehnt zuvor durchgesetzt hatte: Mitte 2020 stimmte sie einem EU-Konjunkturprogramm mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro zu. Es beinhaltete Hilfszahlungen an die EU-Peripherie von immerhin 390 Milliarden Euro.

Auch bei der Geldpolitik galt bis vor kurzem bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und ihrem US-amerikanischen Pendant, der Federal Reserve, die Devise, dass Kredite möglichst billig sein müssten. Die Leitzinsen in der EU und den USA sind im 21. Jahrhundert in der Tendenz immer weiter gefallen. Zwischen 2009 und 2021 herrschte – mit kurzem Unterbrechungen – Nullzinspolitik, um die Konjunktur und ­Finanzmärkte zu stützten. Zudem gingen die Notenbanken nach dem Platzen der transatlantischen Immobilienblase zur bloßen Gelddruckerei über, indem sie zuerst Hypothekenpapiere und später immer mehr Staatsanleihen aufkauften – und so der Finanzsphäre zusätzliche Liquidität zuführten, die zur Inflation der Wertpapierpreise im Rahmen der großen Liquiditätsblase führten, die dann 2020 platzte. Im Laufe des 21. Jahrhunderts haben Federal Reserve und EZB ihre Bilanzsummen nahezu verzehnfacht, sie sind zu Mülldeponien des zum Dauerboom verurteilten spätkapitalistischen Finanzsystems und zu den größten Eigentümern von Schuldtiteln ihrer Staaten geworden.

Hyperaktiver Zentralbankkapitalismus

Die Notenbanken sind somit im Verlauf des Krisenprozesses zu den entscheidenden ökonomischen Instanzen aufgestiegen, ohne deren Intervention sowohl die Finanzsphäre als auch die Staatsfinanzierung kollabiert wären. Es ließe sich von einem Zentralbankkapitalismus sprechen, wie es der Politökonom Joscha Wullweber in seinem Buch dieses Titels tut, in dem er die Abhängigkeit eines Teils der Finanz­sphäre, des weitgehend unregulierten Markts für Rückkaufvereinbarungen (Repos), von der Aufblähung der Geldmengen durch die Notenbanken darstellt. Der derzeit aufgrund hoher Inflationsraten unternommene Versuch von EZB und Federal Reserve, mit der Wende zu einer restriktiven Geldpo­litik die auf mehrere Ursachen (Pandemie, Krieg, geplatzte Liquiditätsblase, stockende Lieferketten, steigende Energiepreise) zurückzuführende Inflation einzudämmen, geht aber nicht zwangsläufig mit einem Ende der Aufkäufe von Staatsanleihen einher.

In der Euro-Zone schuf die Euro­päische Zentralbank mit PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme, zu Deutsch: Pandemie-Notfallkaufprogramm) eigens ein Krisenprogramm in Umfang von 1,85 Billionen Euro, mit dem weiterhin Staatsanleihen aufgekauft werden, was die Inflationsdämpfung durch die gleichzeitigen Leitzinsanhebungen unterminiert und die ökonomischen Spielräume des Staats vergrößert.

Zudem sind inzwischen staatlicherseits konkret Schritte zu einer aktiven Politik wirtschaftlicher Lenkung erkennbar, vor allem im Rahmen des sogenannten European Green Deal. Neoliberale Hardliner klagen inzwischen über die staatlichen Bestrebungen zur ökologischen »Kreditlenkung«, die vor allem in der EU-Taxonomieverordnung zur Definition nachhaltiger ­Investitionen zum Ausdruck kämen – ironischerweise gelten dabei auch ­Investitionen in Erdgas und Atomkraft als nachhaltig. Überdies sprach sich Sven Giegold (Grüne), Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, schon vor ­einem Jahr in der Financial Times für eine »aktive Industriepolitik« der Bundesregierung aus, die »Innovationen unterstützen« solle, um aus der BRD eine »ökologische und soziale Marktökonomie« zu machen.

Diese von zunehmender Staatstätigkeit oder zumindest immer stärkerer staatlicher Einflussnahme geprägte Struktur des Krisenkapitalismus folgt aber keiner kohärenten Strategie, sondern bemüht sich lediglich, einen wirtschaftlichen Kollaps während der Krisenschübe verhindern. Es ist ein quasi reflexartiger Keynesianismus der Funktionseliten. Die oftmals als Provisorien eingeführten Notprogramme verstetigen sich dann im Krisenverlauf, sie gerinnen zu neuen Strukturen. Man »fährt auf Sicht«, so der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble über das Agieren der Bundesregierung während der Weltfinanzkrise 2009.

Die aktive Industriepolitik von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), für die Giegold in der Financial Times die Werbetrommel rührte, hat ihren Vorläufer in der staatlichen Förderung von »Champions« (für besonders wichtig erachteten Großunternehmen) ­unter seinem Vorgänger Peter Altmaier (CDU), der 2019 aufgrund zunehmender Krisenkonkurrenz und informeller Staatssubventionen in China und den USA auch Deutschlands Exportindus­trie gezielt fördern wollte.

Dieses »Fahren auf Sicht« der Funk­tionseliten in Krisenzeiten, bei dem in Reaktion auf Krisenschübe immer neue Elemente staatskapitalistischer Krisenverwaltung zur Anwendung gelangen, verleiht dieser Formation alle Züge eines Übergangsstadiums zu einer autoritären Krisenverwaltung. Die ökonomischen wie zunehmend auch ökologischen Krisen, die die Politik zum Krisenkeynesianismus nötigen, sind ja nicht Ausdruck einer »falschen« Wirtschaftspolitik, sondern der eskalierenden inneren und äußeren Widersprüche des Kapitalverhältnisses, die sich ganz konkret in dauerhaft schneller als die Weltwirtschaftsleistung steigenden Schulden und einer un­ablässig ansteigenden CO2-Konzentration in der Erd­atmosphäre manifestieren.

Aufgrund eines beständig steigenden globalen Produktivitätsniveaus unfähig, ein neuen industriellen Leit­sektor, ein neues Akkumulationsregime zu erschließen, in dem massenhaft Lohnarbeit verwertet würde, läuft das Weltsystem faktisch immer mehr auf Pump. Der Staat fungiert hierbei durch Gelddruckerei und deficit spending (Kreditaufnahme zur Finanzierung höherer Staatsausgaben) praktisch als letzte Instanz der Krisenverschleppung, nachdem sich spekulative Blasenökonomien (Dotcom-Blase, Immobilienblase, Liquiditätsblase) auf den heißgelaufenen Finanzmärkten weitgehend ­erschöpft haben.

Postkeynesianische Kriegswirtschaft

Das Kapital geht somit in der Warenproduktion seiner eigenen Substanz, der wertbildenden Arbeit, verlustig. Sichtbar wird die aus dieser inneren Schranke des Kapitals resultierende Aporie der kapitalistischen anhand des öden, seit Jahren gepflegten Streits über die Prioritäten der Wirtschaftspolitik zwischen angebotsorientierten Neoliberalen und nachfrageorientierten Keynesianern. Es ist ­immer dieselbe Leier, abgespult in unzähligen Variationen: Der neolibe­ralen Warnung vor Überschuldung und Inflation aufgrund von Konjunktur­programmen halten die Keynesianer die Gefahr einer deflationären Abwärtsspirale, ausgelöst durch Sparprogramme, entgegen.

Amerikanisches Plakat ruft im Zweiten Weltkrieg zur Leihgabe privater Ferngläser an die US-Marine auf.

Beide Parteien haben dabei mit ihren Diagnosen recht, ein Dilemma, das nur durch die Finanzblasenökonomie des neoliberalen Zeitalters überdeckt worden war. Nun, da eine Stagflation, also hohe Inflation ohne wirtschaftliches Wachstum, droht, wird es offensichtlich, dass gerade die Geldpolitik der Notenbanken sich in einer Krisenfalle befindet. Sie müssten der Inflation wegen die Zinsen anheben und zugleich die Zinsen senken, um eine Rezession zu verhindern.

An der Stagflation der siebziger Jahre – zu der das spätkapitalistische Weltsystem auf einem viel höheren Niveau globaler Produktivität und Verschuldung quasi zurückkehrt – ist der Keynesianismus gescheitert. Nach dem Auslaufen des großen Nachkriegsbooms, der von dem fordistischen ­Akkumulationsregime getragen wurde, versagte das keynesianische deficit spending, das nur die Inflation befeuerte. Der Neoliberalismus konnte sich in den achtziger Jahren nur deswegen durchsetzen, weil der Keynesianismus krachend – mit zweistelligen Inflationsraten, häufigen Rezessionen und Massenarbeitslosigkeit – gescheitert war. Wenn abgetakelte Keynesianer wie Heiner Flassbeck, ehemals Staatssekretär im Bundesfinanzministerium unter Oskar Lafontaine (damals SPD), behaupten, dass es nur die Energie- und Ölpreiskrise war, die damals wie ­heute den Krisen- und Inflationsschub auslöste, dann lügen sie sich selbst in die Tasche. Der Keynesianismus konnte trotz aller Konjunkturprogramme kein neues Akkumulationsregime aus dem Boden stampfen – und er wird es auch jetzt nicht schaffen, neue Märkte hervorzuzaubern, bei deren Erschließung massenhaft Lohnarbeit auf dem glo­balen Produktivitätsniveau verwertet werden könnte.

Der Neoliberalismus »löste« seinerzeit das Problem durch das spekulative Abheben der Finanzsphäre und die Finanzialisierung des Kapitalismus, durch Krisenverschleppung in Rahmen einer regelrechten Finanzblasenökonomie, die durch drei Dekaden hindurch dem Kapital eine Art Zombiedasein auf Pump ermöglichte. Das ist auch der fundamentale Unterschied zwischen der Stagflation der siebziger Jahre und der jetzigen Stagflationsphase. Das Ausmaß der Krise ist viel größer – und das lässt sich ganz einfach an der Höhe der Gesamtverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ablesen, die nach Angaben des Internationalen Währungsfonds von rund 110 Prozent zu Beginn des neoliberalen Zeitalters 1980 auf 256 Prozent im Jahr 2020 kletterte.

Dieses Verschuldungsniveau zu ­senken, ist nur um den Preis einer Rezession möglich – also längerfristig ­eigentlich gar nicht. Auf Rezessionen wiederum mit keynesianischen Konjunkturprogrammen zu reagieren, wäre auch ökologisch schlicht Wahnsinn. Die Rezessionsjahre 2009 und 2020 waren die einzigen im 21. Jahrhundert, in denen die CO2-Emissionen im Vergleich zum Vorjahr zurückgingen, doch die oben geschilderten Konjunkturpakete führten in den Folgejahren zu den höchsten relativen Emissionsanstiegen dieses Jahrhundert. Verelendung in der Rezession oder Klimatod? In ­dieser Alternative äußert sich die ökologische Aporie kapitalistischer Krisenpolitik.

Der Keynesianismus mit seinem drögen deficit spending und seiner Staatsgläubigkeit kann die sich zuspitzende innere und äußere Krise des ­Kapitals selbstverständlich nicht lösen, er kann aber den Übergang zu einem neuen Krisenmanagement einleiten. Der Rückbezug auf Keynes kann – gerade bei Funktionseliten, die des Öfteren »auf Sicht« agieren – ein brauchbares Startprogramm zu einer qualitativ neuen Form autoritärer Krisenverwaltung abgeben. Das haben ideologisch avancierte Postkeynesianerinnen, wie die Taz-Redakteurin Ulrike Herrmann, längst begriffen. In ihrem jüngsten Buch über »Das Ende des Kapitalismus« koppelt sie eine weitgehend von der Wertkritik abgeschriebene Darstellung der äußeren Schranke des Kapitals mit einem Bekenntnis zur Kriegswirtschaft, inklusive Zwangsmaßnahmen und Rationierung. Darauf, auf autoritäre, postdemokratische Krisenverwaltung, exekutiert von erodierenden, mitunter offen verwildernden Staatsapparaten, läuft der Krisengang hinaus. Die Keynesianer sind die Claqueure dieser Dynamik.

Der Keynesianismus, der nur aufgrund der absurden Rechtsverschiebung der gesamten politischen Vorstellungswelt mittlerweile links der Sozialdemokratie zu verorten ist und überhaupt als links gilt, verkommt somit faktisch zur Ideologie im Wortsinn: zur Rechtfertigung der drohenden autori­tären staatskapitalistischen Krisenverwaltung, die das genaue Gegenteil der überlebensnotwendigen Emanzipation vom kollabierenden spätkapitalistischem Sachzwangregime wäre.

Erstveröffentlich in Jungle World, 19.01.2023

Link: https://jungle.world/artikel/2023/03/fahren-auf-sicht

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Medien-Kampagne für Leos

Erstellt von Redaktion am 3. Februar 2023

Momentaufnahmen aus der deutschen Öffentlichkeit im Januar 23

So zeigen sie Kreuze ganz putzig und munter wie unter Adolf – nur bunter

Quelle:    Scharf  —  Links

Von    : DR. Renate Dillmann

Die deutsche Regierung hat sich für die Lieferung von Leopard-Panzern in die Ukraine und damit für ein Fortschreiten der Eskalation entschieden, die der Westen – rücksichtslos gegenüber weiteren Opfern oder atomaren Risiken – in seinem „Krieg gegen Russland“ (Annalena Baerbock) betreibt. Vorausgegangen war eine außerordentliche Kampagne in den deutschen Mainstream-Medien mit klarer Stoßrichtung. Unter dem Deckmantel „Information“ wurde Stimmung gemacht für die Lieferung von Kampfpanzern, vierzehn Tage lang, 24/7.

Deutsche Medien befeuern den Kriegswillen

Ich zitiere wirklich nicht gerne einen deutschen General, auch wenn er inzwischen außer Dienst ist. Aber wo Harald Kujat Recht hat, hat er Recht: „In diesem Informationskrieg kann man zu einem Kriegsteilnehmer werden, wenn man sich Informationen und Argumente zu eigen macht, die man weder verifizieren noch aufgrund eigener Kompetenz beurteilen kann.“

Tatsächlich kann von sachhaltigen Informationen und verifizierbaren Nachrichten zu den Interessen der Kriegsparteien und zum Stand der militärischen Auseinandersetzung in diesem Land, das sich seines öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner freien Presse rühmt, nur sehr ausnahmsweise die Rede sein. Das aber wäre die Basis, um überhaupt ein fundiertes Urteil zu fällen. Wer so etwas haben will, muss schon in der Jungen Welt oder den alternativen Online-Medien (German Foreign PolicyOvertonTelepolisNachdenkseiten99:1 u.ä.) suchen oder politische Analysen in der Konkret oder dem Gegenstandpunkt nachlesen.

Die Mainstream-Medien haben offenbar andere Ziele. Von Kriegsbeginn an haben sie – neben den grünen Fundamentalisten (gerade die ehemaligen „Realos“ sind nämlich welche!) – dafür gesorgt, einen moralischen Kreuzzug gegen Russland zu initiieren.

In dem steht Gut gegen Böse, die Freiheit gegen die Repression, unsere – neuerdings „queere“ – Lebensart gegen die slawische Homophobie, gediegene Regeln und Werte des Westens gegen einen (zwar gewählten, aber egal:) „Autokraten“ Putin, den „Irren aus dem Kreml“ bzw. den „Massenmörder“.

Kriegsverbrechen begehen in dieser Darstellung nur Russen. Nur die russischen Rekruten desertieren in Scharen, während die Ukrainer angeblich aus freien Stücken ihre Heimat verteidigen (seltsam nur, dass die Ukraine ein Gesetz zur Zwangsrekrutierung aller Männer zwischen 18 und 60 erlassen hat, und seltsam auch, dass man in Deutschland nicht wenige ukrainische Männer im waffenfähigen Alter sieht, die offensichtlich vor der Zwangsrekrutierung geflohen sind).

Nazis spielen unseren Medien zufolge in der Ukraine keine wesentliche Rolle und die Demokratie in diesem Land ist anders als die im schlimmen Russland lupenrein. Dass im letzten Jahr elf weitere Parteien (die Kommunistischen Partei hatte es schon 2014 erwischt) verboten wurden, die Medien des Landes völlig gleichgeschaltet sind und geringste Zweifel an den offiziellen Aussagen reichen, um strafrechtlich verurteilt zu werden, ist wohl angesichts des ganzen Kriegstrubels irgendwie durchgerutscht.

Dafür wurde als Täter bei der Sprengung von Nord Stream 2 von den deutschen Medien mit bemerkenswerter Logik Russland, der Eigentümer der Pipeline, ermittelt – Motto: Die Russen sind ja sowieso für jeden Mist verantwortlich, auch wenn es Null Sinn macht. Ebenso bemerkenswert, dass in Deutschland die Anweisung der Bundesregierung, „im Sinne des Staatswohls“ könnten hier keine weiteren Auskünfte erfolgen, von unseren unbeugsam der Wahrheit verpflichteten Journalist:innen einfach geschluckt wurde. Zum Glück gibt es in diesem Land nämlich keine staatliche Zensur! Daher herrscht zu diesem Thema seit bald fünf Monaten in der deutschen Presse ganz freiwillig dröhnendes Schweigen, während fünf ukrainische Demonstranten vor einem russischen Konsulat gleich eine Meldung im Lokalblatt wert sind.

Unser Friedensengel Annalena stellt sich derweil furchtlos und kameraversiert vor die ukrainischen Frauen und Kinder und verkündet lauthals, dass sie keine Angst vor Putins Atombombe hat. Das ist für die Qualitätspresse kein Anlass, zum Geisteszustand der Außenministerin kritisch nachzufragen, sondern man unterstützt diese vielmehr bei den bereits üblichen Umdefinitionen, die sich Bert Brecht zur Verhöhnung der bürgerlichen Presse nicht besser hätte ausdenken können: Unsere Waffen schützen Leben. Und in George Orwells „1984“ steht es ja auch schon: Krieg ist Frieden.

Da „wir“ ja bei den Waffengattungen inzwischen ordentlich vorangekommen sind, gilt nach Adam Riese: je mehr Panzer und je tollere Panzer, desto mehr Leben schützen sie. Jegliches Zögern empfindet man in den deutschen Redaktionen deshalb prinzipiell als völlig unverständlich.

Tatbestand Desinformation

Wie man sieht, ist schon das ganze Jahr 2022 ein munterer demokratischer Diskurs mit sehr verschiedenen Meinungen unterwegs gewesen. Andererseits, und das ist jetzt wirklich erschreckend: Es gab mitten in diesem „brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins“ Stimmen von Leuten, die so weiter gemacht haben wie immer. Sie haben nach Ursachen gefragt – als seien die mit dieser Verurteilung nicht hinreichend geklärt; sie dokumentieren die Vorgeschichte, ziehen Vergleiche mit dem Verhalten westlicher Staaten in ähnlichen Fällen, untersuchen die vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen mitgeteilten Informationen, denken über die laufenden Waffenlieferungen und die Konsequenzen einer weiteren Eskalation nach, fahren in die Donbass-Gebiete und machen dort ungefragt Reportagen usw. usf. – was nicht als investigativer Journalismus gelobt wird, sondern sofort die Frage aufwirft: Geht’s noch?

Nein, das geht nicht – und die betreffenden „Desinformanten“ werden entsprechend belehrt. Natürlich nicht in einer Debatte, in denen sie ihre Informationen vortragen und ihre Position begründen könnten und ihre Kritiker dann dagegen argumentieren würden. Soviel Freiheit für die Feinde der Freiheit – und nichts anderes sind ja die „Putinversteher“, zu denen man sie im ersten Schritt erklärt hat, – darf nicht sein, denn dann könnte ja der gesamte Freiheitsstall zusammenbrechen. Also werden sie, wenn man sie ausgemacht hat, dort fertig gemacht, wo man sie treffen kann: Entzug der Vortragsräume, der Publikationsmöglichkeiten, der Jobs, zur Not auch per Anzeige und Geldstrafe.

Ein paar Beispiele:

• Ulrike Guérot wurde wegen eines Buchs, das vom Standpunkt des europäischen Friedensprojekts aus für diplomatische Lösungen mit Russland argumentiert und bis gestern völlig d’accord mit den deutschen Idealen war, öffentlich gebrandmarkt; der Professorin werden Konsequenzen in der Hochschule angedroht. Gabriele Krone-Schmalz, langjährige ARD-Korrespondentin in Moskau, wollte über die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs informieren („Russland und die Ukraine“) und bekam neben Schmähungen in der Mainstream-Berichterstattung wie im Internet Probleme mit Vortragsräumen.

• Patrik Baab, ein Journalist, der im Donbass Reportagen gemacht und dabei auch über die Referenden berichtet hat, wurde mit Entzug seiner Lehraufträge in Berlin und Kiel bestraft. Der Vorsitzende des DJV (Deutscher Journalistenverband) Frank Überall sah übrigens keinen Anlass, dagegen tätig zu werden – im Gegenteil: „Propaganda für einen Kriegsverbrecher ist per Definition keine journalistische Tätigkeit.“ Wer aus einem Feindesland berichtet, ist demnach Helfershelfer des Feindes und wird zurecht sanktioniert (und zwar nicht, wie sonst üblich, mit Ignoranz und Nichtabdrucken seiner Beiträge, sondern mit Entzug seiner Lehraufträge, ganz gleich, mit welchen Themen die sich beschäftigen).

• Der Friedensaktivist Heinz Bücker wurde zu einer Geldstrafe von 2.000 €, ersatzweise 40 Tage Haft plus Verfahrenskosten, verurteilt. „Sein Vergehen? Er hatte bei einer Rede anlässlich des 81. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 2022 erklärt, man müsse ,offen und ehrlich versuchen, die russischen Gründe für die militärische Sonderoperation in der Ukraine zu verstehen‘. Diese Aussage, so die Begründung im Strafbefehl vom 3. Januar 2023 …, billige ,den völkerrechtswidrigen Überfalls Russland (sic!) auf die Ukraine‘ und hätte ,das Potential, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und das psychische Klima in der Bevölkerung aufzuhetzen.‘“ (NachDenkSeiten) Die Logik ist also: 1. Wer begreifen will, billigt damit bereits. Und 2. Wer billigt, hetzt auf. Das sind doch mal klar vorgezeichnete Grenzen der Meinungsfreiheit.

• Gegen die für Ende März geplante Veranstaltung von Daniele Ganser zur „Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs“ in den Dortmunder Westfalenhallen wird öffentlich Sturm gelaufen – alle Parteien, vor allem die Grünen, bis hin zur Antifa und der „Partei“; als Vorwurf werden frühere antisemitische Äußerungen ins Feld geführt (gemeint ist der vor Jahren geäußerte Verdacht Gansers, dass es sich bei Nine-Eleven um einen „Inside Job“ unter der Bush-Administration gehandelt haben könnte, bei dem auch der Mossad-Geheimdienst mit im Spiel war).

Das alles auszugrenzen, totzuschweigen oder zu verbieten, ist selbstverständlich nicht die Putinsche Repressionslogik, sondern das ist die nötige Selbstverteidigung unserer demokratischen Werte gegen Menschen, die diese Werte so wenig zu schätzen wissen, dass sie keinen Atomkrieg dafür riskieren wollen, und die nicht an die lebensschützende Rolle von Panzern glauben.

Kampagne für Panzer

Soweit war die vorzügliche Stimmung in der Republik bereits gediehen, als die Kampagne für den nächste Eskalationsschritt, die Lieferung von „Leopard-Panzern“ in die Ukraine, los ging. Die blieb ab dann für fast vierzehn Tage lang erstmal die Nachricht Nr. 1 in Fernsehen und Zeitungen, bis die so genannte „Hängepartie“ „endlich“ beendet war.

Die Kampagne operierte mit allem, was aufzubieten war. Zunächst wurden Meldungen vom anstehenden Problem „fehlender“ Lieferungen im nüchternen Ton der Nachrichtensprecher:innen aufgefahren. Dann folgten Interviews mit den üblichen Verdächtigen, Strack-Zimmermann natürlich an vorderster Front und gleich mehrfach, aber auch Oppositionsführer Merz sowie Koalitionspolitiker, die bereit waren, ihr unfassbares „Unverständnis“ über den zaudernden Kanzler in Worte zu fassen.

Ein Leopard 2A6 beim Schuss

Weiter allabendlich Meldungen, wer in aller Welt sich bereits dafür ausgesprochen hatte, dass Deutschland endlich liefert – am 23.1. waren es demnach eine Reihe britischer Parlamentsabgeordneter und der lettische Ministerpräsident, Stimmen also, die man sonst eher nicht zu hören bekommt. Dazu die Ankündigungen verbündeter Staaten, wie Polen, die deutschen Panzer auch ohne die deutsche „Endverbleibsgenehmigung“ zu liefern – eine Ankündigung, die von den deutschen Medien nicht als dreister Vertragsbruch gewürdigt, sondern als Zeichen der Dringlichkeit interpretiert wurde.

Im Wirtschaftsforum Davos wurde – folgt man der Berichterstattung hierzulande – dieses Jahr auch nicht viel anderes diskutiert als die Frage nach den … Sie wissen schon. Und wenn Isabel Schayani mitten aus dem ukrainischen Kampfgetümmel sendete, gaben die von ihr interviewten Ukrainer in ihren Wohnungen wie Schützengräben zum Besten, dass nur „Leopards“ ihnen aus ihrer miesen Lage helfen können.

Alles in allem wuchs also „der Druck auf Olaf Scholz“ (ZDF-Heutejournal 23.1.). „Der Druck wuchs“ (wieder mal ein schönes „Geistersubjekt“!), weil die deutschen Mainstream-Medien ihn Tag für Tag erhöht haben. Hier wurde nicht über Politik berichtet, sondern Politik gemacht – ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie in diesen Redaktionen die Formel von der „4. Gewalt“ aufgefasst wird. Offenbar waren sich die Entscheider in Berlin in der Frage der Lieferungen eine Zeitlang nicht so ganz einig und die hiesige Presse sah sich aufgerufen, mit ihrem entschieden-vorwärtsweisenden Kriegsmoralismus nachzuhelfen.

Gleichzeitig zielte die Kampagne auf die deutsche Öffentlichkeit. Die war nämlich bis zur letzten Woche tatsächlich noch mehrheitlich der Meinung, dass Deutschland keine weiteren „schweren Waffen“ liefern solle, in Ostdeutschland dachten sogar zwei Drittel so. Nun steht es pari pari, 46 % sind dafür, 46% dagegen. Die Medien können sich also gratulieren – auch wenn die Meinung der deutschen Bevölkerung in diesen Fragen natürlich letztlich sowieso nicht von Belang ist (bestens zu sehen am Afghanistan-Krieg, gegen den sich zwanzig Jahre lang (!) eine deutliche Mehrheit ausgesprochen hat und der trotzdem problemlos Jahr für Jahr im Bundestag verlängert wurde).

Kanzler Scholz hatte vierzehn Tage lang wieder einmal keine gute Presse. Von „Zaudern“ und „Zögern“ war die Rede; er galt als Ursache für die „Hängepartie“, die deutsche Regierung wurde als „peinlicher Partner“ tituliert und Scholz sah wie üblich neben seiner von keinem Zweifel angekränkelten Außenministerin matt aus, wenn man die Regierung – wie in Demokratien üblich – am Kriterium von Führungsstärke misst. Andererseits heißt die Botschaft am Ende: Die Regierung hat es sich mit einer so schwerwiegenden Entscheidung keineswegs leicht gemacht, verdient also unser unbedingtes Vertrauen.

Und deshalb haben jetzt alle Bedenkenträger die Klappe zu halten, jedenfalls, wenn sie NATO-kritisch sind. Denn ansonsten ist die Lage ja noch gar nicht klar. Man fragt sich jetzt sogar, ob die Ukraine nicht schon zu sehr ruiniert ist, um Russland zu ruinieren; ob sie auch wirklich alles auftragsgemäß erledigt; ob nicht zu viel Korruption im Kiewer Regime herrscht, von der man neuerdings aus der deutschen, nicht aus der russischen Presse erfährt! Und – Überraschung – selbst die FAZ (28.1.2023) kennt Bedenken: „Man kann die westliche Strategie nicht nur an den Interessen der Ukraine ausrichten, das war schon immer ein Defizit von Teilen der deutschen Debatte. Kein Wunder also, dass nun als erste Strack-Zimmermann in Argumentationsnöte gerät.“

Umgekehrtes Spiel

Denn kaum war die Entscheidung für die Lieferung der „Leos“ gefallen, ging es andersrum los mit den besorgten Nachfragen der Presse. Hat die Bundeswehr eigentlich noch genug Panzer? Und könnten die Konsequenzen für Deutschland nicht doch einigermaßen dumm ausfallen, nukleare Gegenreaktion und so? Muss am Ende gar verhandelt werden?

Das Lustige (oder vielleicht auch gar nicht Lustige): Diese Argumente gab es selbstverständlich auch alle vor „der Entscheidung“. Da allerdings wurden sie von unseren liberalen und staatsfernen Journalist:innen aus dem nationalen „Diskurs“ – es gibt wirklich schöne Begriffe für eine Kampagne mit dem Inhalt „Mehr Panzer für die Ukraine und zwar schnell!“ – sauber ausgegrenzt.

Harald Kujat, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, aber auch Erich Vad, langjähriger Berater von Angela Merkel, beides natürlich hartgesottene Patrioten, die die Welt und ihre „Lage“ gewohnheitsmäßig daraufhin betrachten, wie die deutschen Interessen in ihr vor- bzw. vorankommen, hatten mit ihren Kommentaren zum aktuellen Kurs der deutschen Regierung in den Mainstream-Medien keine Chance. Kujat hat seine Bedenken dann in der Schweizer Online-Zeitschrift „Zeitgeschehen im Fokus“ zum Besten gegeben (das Overton-Magazin hat das Interview dann ebenfalls gebracht), Erich Vad in der Alice-Schwarzer-Zeitschrift „Emma“ (die bereits den „Offenen Brief an Scholz“ mit-initiiert hatte).

Halten wir für den Moment die Erkenntnis fest: Die Presse kann wirklich erheblich mehr als lügen!

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Mehr Panzer für Stalingrad

Erstellt von Redaktion am 2. Februar 2023

Statt ’Partnerschaft für Frieden’ lieber: „Deutsche, wollt ihr den totalen Verteidigungskrieg?“

Von Dr. Nikolaus Götz

„Alle Kriege werden mit Resten gegen Reste gewonnen.“ Raymond Cartier, Der Zweite Weltkrieg, München, Zürich 1967, S.339

Als Napoleon I. 1812 mit den 600 000 Soldaten seiner unglaublichen ’Grande armée’ gegen den russischen Zar Alexander I. in den Krieg zog, verhungerten und erfroren über 350 000 Teilnehmer dieser stolzen ’alliierten’ Westarmee jämmerlich in den Weiten des russischen Reiches (1). Als der deutsche ’Gröfaz’ (2) Adolf Hitler im ’Unternehmen Barbarossa’ gegen Stalins UdSSR mit der deutschen Wehrmacht vorging, wusste er nicht, dass der Zweite Weltkrieg nach rund 6 Jahren unter Beteiligung von 61 Nationen die totale Kapitulation ’seines’ Deutschen Reiches zur Folge haben würde. Allein von den 1,13 Millionen in den Jahren 1942/43 eingesetzten deutschen Wehrmachtsoldaten fielen in der russischen Stadt Stalingrad während der dortigen Kämpfe über 500 000 (3) und nur rund 6000 (sic!!!;4) der alsbald deutschen Kriegsgefangenen kehrten nach Jahren der Gefangenschaft in Sibirien wieder heim. Deutschland jedoch war ein einziges Trümmerfeld. Am Ende dieses Zweiten Weltkrieges sollten sich die durch direkten Kriegseinfluss getötete Zivilisten und Soldaten auf 60-65 Millionen Personen summieren (5). Mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki beendeten die USAmerikaner im Jahr 1945 urplötzlich den Krieg mit dem Kaiserreich Japan und ersparten sich ebenso wie den Japanern, die wohl für beide Kriegsparteien äußerst verlustreiche Invasion der japanischen Hauptinsel.

Seit 1945, dem Beginn des atomaren Zeitalters, lebt nun die Menschheit eher „apokalypseblind“ (6) unter dem stets drohenden ’Damoklesschwert’ der totalen atomaren Vernichtung. Mit der schizophrenen Situation der planetaren Extinktion existierend, wissen die politisch Verantwortlichen, dass „wer als erster seine Atomwaffen abschießt, als zweiter spätestens in der ’Nuklearen Nacht’ sterben wird.“ Deshalb sang die niederländische Rockband Die Bots stellvertretend für alle 1,5 Millionen Mitdemonstranten im Bonner Hofgarten: „Europa hatte zweimal Krieg. Der dritte wird der letzte sein!“ (7)

Als Konsequenz der erlebten schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges wollen die Menschen in Europa ebenso wie die Deutschen auch keinen Krieg mehr! „Nie wieder!“, lautete die zeitgenössische Parole im Jahr 1945. Auch sollte „von Deutschland“ kein Krieg mehr ausgehen. Deswegen schrieben die Verfassungsväter des ’Parlamentarischen Rates’ mit dem Artikel 26 im neuem Grundgesetz für die BRD das Verbot eines Angriffskrieges ausdrücklich fest (8). So „greift“ heute das deutsche Militär nicht „an“, sondern, so die verlogene Sprache der ’Experten’, „verteidigt sich ’Deutschland’ vorne“ oder „bohrt Brunnen“. Es wird gar die deutsche Demokratie am Hindukusch verteidigt und es werden im „streitbaren Pazifismus“ (9) „Menschenrechte geschützt“ und auch das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ in Worthülsen garantiert. Im „Theater des Krieges“ wird so wortreich für die deutsche Öffentlichkeit der GG Artikel 26 außer Kraft gesetzt.

Während noch der Alt-Bundeskanzler Willi Brandt (SPD) im Kniefall von Warschau eine deutsche Versöhnungspolitik und Friedenspolitik betrieb, wofür er den Friedensnobelpreis erhielt und ’Die Deutschen’ ihre Wiedervereinigung, die Partei DIE GRÜNEN 1979 das Grundprinzip der „Gewaltlosigkeit“ als Parteimotto wählte, scheint die aktuelle Politikergeneration die leidvolle Erfahrung des Zweiten Weltkrieges und die den Deutschen erteilte ’Lektion der Geschichte’ vergessen zu haben oder zu ignorieren. Auch die Menschen der übrigen europäischen Völker, in der aus der Kriegsasche geborenen Europäischen Union, wollen heute mehr denn je Frieden, Freiheit und Wohlstand durch Kooperation. Jedoch soll die durch friedliche Integration entstandene Union und die als Handels- Forschungs- und Friedensmacht gedachte Völkerkooperative der EU nach den Vorstellungen gewisser politisch rückwärts gewendeter ’Konservativer’ heute wieder eine ’Militärmacht’ werden. Um sich für einen kommenden Krieg sogar die atomare Option offen zu halten, sind selbst die aktuelle Regierungsverantwortlichen der Bundesrepublik von SPD/FDP und Bündnis90/Die Grünen nicht willig, den längst vorliegenden „Atomwaffenverbotsvertrag“(Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons, TPNW) der UN“ zu ratifizieren, obgleich dem Verbot 93% der deutschen Bevölkerung zustimmen!(10).

Die neue ’Rivalität der großen Nationen’ in der Welt, gepackt in die Werbeparole „My country first!“/Mein Land zuerst!“ eines tumben Präsidenten aus Übersee prägt die politische Debatte, eine Denkweise, die zudem über die Leitmedien so verkündet wird. Elitäre, undemokratische Denkclubs wie die ’Münchner Sicherheitskonferenz’ oder das ’Weltwirtschaftsforum von Davos’ manipulieren die politische Diskussion offen! „Die neue Seidenstraße bedroht Europa!“, warnen beispielsweise gewisse Wirtschaftseliten. Genauso verhindern diese dort geladenen Eliten im Gerede um ihre eigene wirtschaftliche Expansion jedoch die Lösung der drängendsten Weltprobleme. Sogar eher futuristische Kriegsszenarien gegen China, Indien oder die Arktis werden präsentiert. Der Planet Erde wird heute von Großkonzernen in Ausbeutungszonen eingeteilt, mit schlimmeren Konsequenzen für die dortigen Menschen als früher im Zeitalter des ’Imperialismus’. ’Volksinteressen’ werden weltweit von der Polizei niedergeknüppelt und diese ’Knüppelpolitik’ ist keine Spezialität nur diktatorischer Staaten, wie gerade die Räumung von Lützerath erneut für die BRD gezeigt hat! Das Argument ’Krieg in der Ukraine’ wird 2022/2023 von den Erdölkonzernen, den Versicherungen, den Energielieferanten usw. für schamlose Preiserhöhungen genutzt, denen sich der Konsument Mensch in der modernen Industriegesellschaft ungefragt zu unterwerfen hat. Diese autoritären Preisdiktate spiegeln die realen Machtverhältnisse in der deutschen ’Volksherrschaft’ wider.

Während noch im Dritten Reich angeblich die Presse zum Kriegsgeheule gepresst werden musste, stürmen die aktuellen Medien der Empörungs- wie Meinungsmanipulatoren wie im Gleichschritt der alten Wehrmacht in Richtung Kriegseskalation und Atomkrieg! Wen erstaunt es, dass im März 2022 das Deutsche Fernsehen die eigentlich seit 2014 laufenden russischen Kriegshandlungen erst dann in den Fokus der Berichterstattung rückten, nachdem die Corona-Pandemie als Gleichschaltungs- und Horrorthema bei den deutschen Bundesbürgern offensichtlich ausgelutscht war! Wie bei der Corona-Pandemie betreiben jetzt die Staatssender ARD und ZDF eine eher unsachliche, denn ihrer Rolle zugehörige „verantwortliche“ Berichterstattung zur ’Konfrontation im Ukrainekonflikt’: „Der Druck auf Lieferung von Panzern und schweren Waffen wächst“, wird da frei fabuliert oder „Nur die Deutschen blockieren!“ (11)

Vergessen wird die nach dem ’Fall der Mauer von 1989’ eingeleitete Entspannungspolitik mit der 1994 ins Leben gerufenen „Partnerschaft für Frieden“. Wie hoffnungsvoll für alle Menschen der Welt war die folgende am 27. Mai 1997 in Paris unterzeichnete ’NATO-Russland-Grundakte’. Die Kooperationsangebote des Präsidenten der Russischen Förderation Wladimir Putin wurden 2001 im Deutschen Bundestag zwar von allen Parteien beklatscht (12), doch alsdann vom ’Westen’ nicht ausgelotet, zumal gewisse Militärs und Repräsentanten der NATO-Mitgliedsstaaten zum damaligen Zeitpunkt nicht auf ’ihr’ Abschreckungspotenzial verzichten wollten. So wurde von fast allen politisch Verantwortlichen der westlichen Welt eine wichtige Friedensmöglichkeit vertan!

Und jetzt läuft der Ukraine-Krieg, in dem ’klassisch’ die Zivilbevölkerung und die Soldaten ihr Leben verlieren. Schon liegen große Landesteile in Schutt und Asche! Die ukrainische Infrastruktur wird durch die Kriegshandlungen der agierenden Parteien ebenso zerstört, wie das gesamte ökologische System des Landes auf Jahrzehnte hin kontaminiert wird. Auch die Anzahl der toten, der vermissten Personen wird wieder in der kommenden ’Stunde Null’ nur geschätzt werden können. Das Ausmaß an Not, Leid und Krankheit für die Zivilbevölkerung ist nicht abzusehen, ebenso wie die Anzahl an weiteren Flüchtlingen aus der Ukraine, je länger dieser Krieg andauert. Die aktuelle Politik „der deutschen Falken“ mit dem klassischen Weg in die Ausweitung des Krieges“ bringt in der Ukraine jedoch nur weiteren Tod und Zerstörung für die betroffenen Menschen, die schon in den Fernsehnachrichten vermarktet ihr individuelles Schicksal beklagen, anstatt ihre für ihr Leid verantwortliche Regierung zu feuern! Wie sieht heute das demokratisch-freiheitliche Leben der verbliebenen Zivilisten im „Testfeld der Vernichtungswaffen“ in der Ukraine aus?, darf gefragt werden.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz, getrieben von der Presse und den ziemlich besten Freunden im Westen, liefert jetzt auch noch den Leopard II, bevor es andere ’Heldennationen’ tun. Bei der Politik eines ’America first’, ist klar, dass ’Die Deutschen’/the Germans die erste ’Verteidigungs’-Linie bilden. Deshalb beten die christlichen Bayern, Baden-Württemberger, Elsässer, Lothringer, Saarländer wie auch die Rheinland-Pfälzer zitternd und glaubensstark mit viel Glockengeläute in den Kirchen, dass die erste Atomrakete nicht auf die alliierte amerikanische Air-base Ramstein in der Pfalz fällt. Russlands Ex-Präsident Medwedew hat „den Deutschen“ nämlich gerade erneut mit „Atomkrieg“ gedroht (13). Die erteilte Exportgenehmigung der Lieferung der deutschen Leopard-Panzer ist so nur ein weiterer Eskalationsschritt hin zum totalen ’Verteidigungskrieg’, wobei russische Experten die Neulieferung schon kommentierten: „Diese Panzer brennen auch!“ Der aktuellen Überlassung von Panzern wird alsbald „erneut zwingend“ die Genehmigung für deutsche ’Verteidigungsflieger’ folgen, die sodann „den Himmel“ über der Ukraine befrieden. „So we wish you a peaceful sky!”, meinen spitzfindig gewisse Youtuber.

Auch ’die Deutschen’ führten 1945 beim überlegenen Angriff der Alliierten die Diskussion um ’Kapitulation’, wobei ’die Nazis’ solche Denkweisen als „Feigheit vor dem Feind“ mit sofortiger Erschießung sanktionierten. Auch heute wird in der Ukraine Widerstand geleistet, die ’Freiheit’ verteidigt und wird um den „Endsieg“ gerungen. Und so ’fallen’ in der Ukraine die Unbelehrbaren für ihr „Vaterland“ erneut auf dem ’Feld der Ehre’ (14).

Frieden ist möglich und es wäre furchtbar, wenn dieser aktuelle Krieg in einer endlosen Trümmerlandschaft mit erneut Millionen toten Zivilisten enden würde (15). Auch dieser wünschenswerte Friede würde wohl dann wie der Zweite Weltkrieg von Restwaffen gegen Restwaffen mit solchen ’Helden’ erkämpft, so wie wir nach 1945 geborenen Deutsche sie aus Schmökern wie ’Der Landser’ und Filmdramas wie ’Steiner-Das Eiserne Kreuz’ noch kennen.

Anmerkungen:

1 Siehe die Daten nach: KÖLLER, Heinz/TÖPFER,Bernhard: Frankreich Ein historischer Abriss, Köln 1978, S. 408f. Laut Guillaume-André de Bertier de Sauvigny zog Napoléon sogar mit 700 000 Soldaten los, in: ders.: Die Geschichte der Franzosen, München, Paris 1986, S.282; WIKIPEDIE kommentiert: „Der Feldzug endete nach anfänglichen französischen Erfolgen in einer der größten militärischen Katastrophen der Geschichte.“ Siehe: de.wikipedia.org/wiki/Russlandfeldzug_1812

2 „Gröfaz“: Spöttische deutsche Volksabkürzung für:„Größter Feldherr aller Zeiten“; vgl.: CARTIER, Raymond: Der Zweite Weltkrieg, München, Zürich 1967, S. 338

3 www.google.com/search?q=Rückkehr+Deutscher+Soldaten+aus+Stalingrad&ie=utf-8&oe= utf-8 &client=firefox-b

4: Siehe auch: www.google.com/search?client=firefox-b&q=Anzahl+der+Rückkehrer+von+ Stalingrad&oq=Anzahl+der+Rückkehrer+von+Stalingrad&aqs=heirloom-srp

5 Vgl.: CARTIER, Raymond: Der Zweite Weltkrieg, München 1967, S. 1059

6 Vgl.: ANDERS, Günther: Die atomare Drohung. Radikale Überlegungen zum atomaren Zeitalter; München 1993

7 Siehe: wikipedia.org/wiki/Bots

8 Siehe: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1988, GG Artikel 26

9 Eine Wortreflexion; siehe: „Was heißt das, ’streitbarer Pazifismus’?“, in: NARR, Wolf-Dieter/VACK, Klaus: Streitbarer Pazifismus. Friedenspolitik und Friedensbewegung nach dem Golfkrieg, Sensbachtal 1991; S. 50 ff. (Komitee für Grundrechte und Demokratie)

10 „Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass ein Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) nicht mit den sich aus der Mitgliedschaft im Nato-Bündnis ergebenden Verpflichtungen vereinbar wäre.“ (www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-900644) Siehe: wikipedia.org/wiki/Atomwaffenverbotsvertrag; mit der Meinungsumfrage unter der deutschen Bevölkerung

11 Zitate aus der Berichterstattung des ZDF (Frau Marietta Slomka); siehe auch die dezidierte Kritik an der manipulierenden Berichterstattung des deutschen Fernsehens themenorientiert beispielhaft erarbeitet durch das Autorenteam Friedhelm Klinkhammer/ Volker Bräutigam. Lese die Artikel auf: www. ständige publikumskonferenz der öffentlichen medien.de; siehe auch KLINKHAMMER, Friedhelm/GELLERMANN, Uli/BRÄUTIGAM, Volker: Die Macht um acht: der Faktor Tagesschau, Bonn 2017

12 Siehe: google.com/search?q=Putins+Rede+im+Bundestag&ie=utf-8&oe=utf-8&client=fire fox-b

13 Siehe: gmx.net/magazine/politik/russland-krieg-ukraine/russlands-ex-praesident-medwe-dew-droht-atomkrieg-37738514#.homepage.hero

14 Die USA, Großbritannien und die östlichen Anrainer Russlands – vor allem Polen – wollen den Krieg weiter fortsetzen, während Deutschland und Frankreich bereit wären, einen Deal mit Moskau zu machen. Siehe auch www.welt.de/politik/ausland/plus243059565/ Ukraine-Krieg-Der-Riss-in-der-Nato-zeigt-sich-an-Deutschland-und-Polen.html

Die unausgewogene Positionierung des ’Westens’ wird auch auf ’Internet’ beim Abfragen der Kriegsverlustzahlen ersichtlich. Überwiegend sind Angaben zu russischen Verlusten zu finden. Die Frankfurter Rundschau meldet am 31.Januar 2023: „Insgesamt 127 500 Soldaten soll Russland seit dem Beginn des Ukraine-Krieges verloren haben.“ Vgl. weiter: wikipedia.org/wiki/Opfer_des_Russisch-Ukrainischen_Krieges; Auf die Frage, „Hat die Ukraine keine Verluste?“, ist als Antwort zu finden: „Die Verluste sind bereits beträchtlich, sowohl an Personal (mindestens 10.000 Tote und Verwundete) als auch an militärischem Gerät.“ (Siehe: www.google.com/search?q=Kriegsverlustzahlen+der+Ukraine+im+aktuellen+Krieg&ie=utf-8&oe=utf-8&client=firefox-b)

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Krieg ohne Grenzen II

Erstellt von Redaktion am 29. Januar 2023

Kiews verpasste Chance?

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Von Tomasz Konicz

Im Krieg um die Ukraine droht ein abermaliger Wendepunkt – und eine weitere Eskalation mit unkalkulierbaren Folgen.

Rückblickend dürfte die Rückeroberung der südukrainischen Stadt Cherson durch die ukrainische Armee im November 2022 als der unwiederbringlich verlorene Zeitpunkt identifiziert werden, an dem optimale Bedingungen für ernsthafte Friedensgespräche herrschten.1 Die Moral der Invasionstruppen lag nach der demütigenden Niederlage am Boden, während die entsprechenden Signale des Kremls in einem offiziellen Verhandlungsangebot Putins im Dezember gipfelten.2 Kiew schlug damals einen potenziellen Deal mit dem Kreml aus. Inzwischen verbietet ein Gesetz es dem ukrainischen Präsidenten, an Verhandlungen mit Moskau teilzunehmen, solange Putin im Amt ist.

Dem Triumph von Cherson ging die erfolgreiche Blitzoffensive im Oblast Charkow3 voran, wo die russischen Truppen regelrecht kollabierten und riesige Gebiete binnen weniger Tage von den ukrainischen Truppen zurückerobert werden konnten. Der ukrainische Sieg im Oblast Charkow markierte einen Wendepunkt des Kriegsgeschehens, an dem die strategische Initiative an die Ukraine überging, Kiew also das Kriegsgeschehen bestimmte, während Russland sich militärisch in der Defensive befand, nur reagieren konnte. Doch schon die Rückeroberung Chersons war mühsam, langwierig und mit sehr hohen Verlusten an Mensch und Material für die ukrainische Armee erkauft – und sie war nur möglich angesichts der Kappung der russischen Versorgungslinien, indem die Brücken über den Dnjepr mit Artillerie zerstört wurden.4

Nun, gut zwei Monate nach dem russischen Rückzug aus Cherson, ist es die ukrainische Armee, die sich unter hohen Verlusten aus der Bergbausiedlung Soledar, nördlich der seit Monaten umkämpften Stadt Bachmut, zurückziehen musste.5 Die Söldner-Truppen des Kreml-Oligarchen Jewgeni Prigoschin konnten bei der Einnahme der Kleinstadt ukrainische Truppenteile einkesseln, die nach der verweigerten Kapitulation vollständig aufgerieben worden sind. Russische Telegram-Kanäle sind voll von Videos Hunderter in Soledar gefallener ukrainischer Soldaten. Beide Seiten haben Tausende von Soldaten und große Mengen Material bei der Schlacht verloren. Der Krieg ist längst zu einem Abnutzungskrieg geworden, wobei der Kreml davon ausgeht, dass „der Ukraine die Ressourcen zuerst ausgehen werden“, wie ein Insider gegenüber der Financial Times erklärte.6

Es ist die Verdun-Logik des „Weißblutens“ des Gegners, die hier greift. Generalstabschef Erich von Falkenhayn wollte 1916 die französische Armee bei der Abnutzungsschlacht um den symbolträchtigen Ort buchstäblich ihres „Menschenmaterials“ berauben, das in einem industriellen Vernichtungsprozess duchstäblich zerschossen werden sollte. Ähnlich verhält es sich vor Bachmut, dass längst zu einem Symbol des Krieges in der Ostukraine geworden ist. Die Ukraine hat mitunter jahrelang – schon seit dem Bürgerkrieg 2014 – eine feste, statische Verteidigungslinie im Donbass aufgebaut, die nun bei Soledar durchbrochen wurde. Sobald aber ein punktueller Durchbruch bei solch einer statischen Front von Befestigungen erreicht wurde, muss diese mittelfristig als Ganzes aufgegeben und eine neue Verteidigungslinie aufgebaut werden, da ansonsten die gesamte Front durch Flankenangriffe „aufgerollt“ werden kann. Es wird bereits eine neue Verteidigungslinie bei Kramatorsk/Slowjansk aufgebaut.

Deswegen bemühte sich die ukrainische Armee so verzweifelt, den russischen Durchbruch bei Soledar, der einen Rückzug aus Bachmut zu einer bloßen Zeitfrage macht, mit allen Mitteln zu verhindern. Und dies tun beide Seiten mit Menschenmaterial. Es müssen immer neue Einheiten in die Schlacht geworfen werden, um die Lücke in der Front zu schließen oder den Durchbruch auszuweiten, während die Gegenseite diese mittels drohnengestützter Ortung und Artillerieschlägen in Stücke schießt. Die meisten Toten dieses Krieges sind Opfer von Artilleriegranaten, die nie einen Gegner im Nahkampf sahen. Ohne Übertreibung kann schon jetzt konstatiert werden, dass dieser Krieg Hunderttausende von Menschenleben fordern wird. Die rasch expandierenden Friedhöfe der Ukraine gleichen derzeit einem Fahnenmeer, wo permanent neue Gräber für Gefallene ausgehoben werden müssen.7

Beide Seiten haben bereits Tausende von Soldaten allein beim Kampf um Soledar verloren, doch hat es der Kreml offensichtlich vermocht, nach den Desastern und Katastrophen der vergangenen Monate seine Militärmaschine zu stabilisieren. Auch wenn der träge und korrupte Militärapparat immer noch punktuell schwere Fehler begeht, die Hunderten einberufener Reservisten das Leben kosten,8 so hat sich Versorgungslage der russischen Armeeinheiten zumindest entspannt. Der katastrophale Mangel, der die ersten Kriegsmonate prägte, ist durch eine Verbesserung der russischen Logistik klar gemildert worden.

Die Idee, die russischen Terrorangriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine würden durch einen Raketenmangel ein Ende finden, hat sich an der jüngsten Angriffswelle Mitte Januar blamiert, bei der dutzende Ziele getroffen wurden.9 Mittels der winterlichen Angriffe auf die Energieversorgung werden der ukrainischen Infrastruktur schwerste Schäden zugefügt, da bei längerem Stromausfall in Frostperioden die Wasser- und Abwassersysteme aufgrund platzender Rohre zerstört werden. Es sind Milliardenschäden, die hierbei entstehen können.

Mehr noch: Der Kreml richtet die russische Wirtschaft inzwischen auf einen langen Krieg aus, während Reorganisierungsbemühungen der Militärverwaltung und Infrastruktur zu einer dauerhaft höheren Mobilisierungsrate führen sollen. Der Kreml denkt im Hinblick auf den krieg bereits in Jahren: Die Zahl der russischen Militärangehörigen soll bis 1926 von einer Million auf 1,5 Millionen erhöht werden.10 Das Institute for the Study of War (ISW) spricht in diesem Zusammenhang von organisatorischen Schritten, die Russland befähigen sollen, einen „großen konventionellen Krieg“ zu führen.11 Laut ISW sei in den kommenden sechs Monaten eine „entscheidende strategische Aktion“ der russischen Armee zu erwarten, um das Blatt im Krieg zu wenden.

Die russische Teilmobilmachung von 300 000 Reservisten ist inzwischen trotz aller Friktionen und unzulänglichkeiten nahezu abgeschlossen, sodass längst verschiedene Optionen für eine russische Offensive diskutiert werden. Die russische Truppenkonzentration in Belarus nötigt inzwischen die Ukraine, dringend im Osten benötigte Armeeverbände zum Schutz der Grenze im Nordwesten zu stationieren. Russland erklärte kürzlich, dass ein „Angriff der Ukraine“ auf Russland oder Belarus zu einer kollektiven militärischen Antwort beider Länder führen könnte – es ist ein bewusst vage Formulierter Freifahrtschein für einen Kriegseintritt Weißrusslands.12 Weitere Szenarien halten einen russischen Angriff vom Süden für wahrscheinlich, der östlich des Dnjepr Richtung Saporischschja und Pawlograd erfolgen würde, oder von Norden, aus der russischen Region Belogrod, um der ukrainischen Front im Oblast Charkow und Lugansk in den Rücken zu fallen.

Russland verfügt über ein viel größeres militärisches und ökonomisches Potenzial als die Ukraine, und es waren der Größenwahn, die Vetternwirtschaft und die allgegenwärtige Korruption der putinischen Staatsoligarchie, die zu den russischen Katastrophen des ersten Kriegsjahres führten. Doch inzwischen scheinen die Bemühungen des Kremls, diese überlegenen Ressourcen zu mobilisieren, zumindest teilweise erfolgreich zu sein. Im Klartext: der Kreml wird den Krieg mittelfristig gewinnen, sollte der Westen nicht zu einem weiteren Eskalationsschritt – zur massenhaften Lieferung von schwerem Kriegsgerät wie Panzern, Kampfhubschraubern, Kampfflugzeugen – bereit sein. Deswegen nimmt die Diskussion darüber in der westlichen Öffentlichkeit an Fahrt auf.13 Sie ist ein implizites Eingeständnis dessen, dass die Balance des Krieges zugunsten Russlands zu kippen droht.

Die ukrainische Armee hat – ebenso wie Russland – große Verluste an Menschen und Material zu verzeichnen, wobei sie kaum Optionen hat, das Material zu ersetzen. Es hat für Kiew einen militärischen Sinn, deutsche Panzer und gepanzerte US-Fahrzeuge vom Westen zu fordern, um wieder in den Bewegungskrieg übergehen zu können. Wenn das Kriegsgeschehen nicht kippen soll, dann muss der Westen tatsächlich die Waffenlieferungen stark ausweiten. Die Lieferung der britischen Panzer an Kiew ist dabei nur ein Testballon,14 um Berlin zur Zustimmung für die Leopard-Lieferungen zu bewegen. Vom britischen Challenger 2 wurden nur wenige Exemplare exportiert, es existiert keine militärische Infrastruktur für diesen Panzer, während der Leopard 2 ein Exportschlager war, den viele Länder an die Ukraine – samt Ersatzteilen, Munition und Wartungsmaterial – liefern könnten.15

Wohin dieser Eskalationsschritt führt, machten Reaktionen russischer Duma-Abgeordneter auf die potenzielle Lieferung deutscher Panzer deutlich, die in einem solchen Fall die allgemeine Mobilmachung forderten.16 Die brutale Wahrheit ist, dass es keinen „guten“ Ausgang aus diesem imperialistischen Krieg gibt.17 Entweder wird es zu einem schmutzigen geopolitischen Deal zwischen dem Westen und dem Kreml kommen, bei dem Teile der Ostukraine faktisch dem russischen Imperium eingegliedert werden, während das restliche Land der westlichen Einflusssphäre zugeschlagen wird, oder die Eskalationsspirale wird sich weiterdrehen, der Konflikt eskalieren, bis der Krieg vollends außer Kontrolle gerät. Spätestens mit dem drohenden Verlust der Krim wird die nukleare Option akut werden.

Der Kontrollverlust kann somit selbstverständlich die Form eines nuklearen Schlagabtauschs annehmen, da Russland bei dieser konventionellen Eskalationsspirale gegenüber der Nato letztendlich am kürzeren Hebel sitzt. Doch kann das nukleare Armageddon auch in Wechselwirkung mit staatlichen Erosionsprozessen erfolgen. Die Risse im staatlichen Machtgefüge werden gerade im autoritären Russland deutlich sichtbar, da der Krieg gerade die innere Zerrüttung und die Erosion des russischen Staates offenlegte, die schon seinen militärischen Kern erfasst. Generell sind autoritäre Staatsstrukturen kein Zeichen der Stärke, sondern ein Zeichen der sozioökonomischen Schwäche, die nur durch bloßen Zwang eine Zeit lang überdeckt werden kann.

Das Scheitern der von Korruption zerfressenen russischen Armee kontrastiert mit dem Erfolg der poststaatlichen militärischen Akteure: der Wagner-Söldnertruppe um den Kreml-Günstling Prigoschin, der inzwischen in offene Konkurrenz zur Armeeführung tritt, oder den Truppen des tschetschenischen Herrschers Kadyrow, der faktisch ein postmodernes Fürstentum im Kaukasus errichtet hat, das nur noch formell der Kontrolle Moskaus untersteht, solange Kadyrow seinen militärischen Vasallendienst für den Kreml verrichtet. Die Ausbildung von parallelen Machtstrukturen, die selbst den Anschein staatlichen Gewaltmonopols fallen lassen, dürfte im weiteren Kriegsverlauf in Russland voranschreiten. Es ist auch grundverkehrt, Putin für einen allmächtigen Alleinherrscher zu halten, da er eher eine Vermittlerrolle zwischen den diversen Rackets und Clans der russischen Staatsoligarchie spielt.18

Doch ähnliche Zentrifugalkräfte dürften auch im ukrainischen Staatsapparat wirken, der schon vor dem Kriegsausbruch ein bloßer Spielball oligarchischer Interessen war.19 Einen kurzen Einblick in die Machtkämpfe in Kiew gewährte die Entlassung des ukrainischen Präsidentenberaters Oleksij Arestowytsch, der offiziell wegen seiner Bemerkungen zu dem tödlichen russischen Raketenangriff in Dnipro zurücktreten musste.20 Arestowytsch erklärte anfänglich, die russische Rakete, die ein Hochhaus in Dnipro zerstört und dutzende Zivilisten getötet hat, sei von der ukrainischen Luftabwehr abgeschossen worden. Zuvor hatte Arestowytsch sich in einem Interview kritisch zur Identitätspolitik der Ukraine im Krieg geäußert. Demnach betreibt die ukrainische Rechte eine nationalistische Kampagne zur Verdrängung des Russischen und „postsowjetischer“ Identitäten in der Ostukraine, die viele russischsprachige Ukrainer der Regierung in Kiew entfremde (Das Interview wird vor allem von pro-russischen Accounts geteilt).21 Die an Einfluss gewinnenden rechtsextremen Gruppierungen, die mitunter offiziell Teil der Streitkräfte werden,22 dürften künftig den größten ukrainischen Instabilitätsfaktor im Kriegsverlauf bilden.

Die ukrainischen Chancen, noch entscheidende Geländegewinne gegen Russland zu erzielen, sind – unterhalb der Schwelle eines Großkriegs zwischen Ost und West – verschwindend gering, während die Opferzahlen dieses imperialistischen Kriegs mit jedem Eskalationsschritt immer höher steigen werden. Sowohl, was Menschenleben betrifft, wie auch hinsichtlich der Verwüstungen der Infrastruktur und insbesondere der ostukrainischen Städte, die von der in urbaner Kriegsführung erfahrenen ukrainischen Armee als zentrale Verteidigungspunkte ausgebaut werden. Und: Der Krieg führt zudem nicht nur zur Verwüstung ganzer Regionen im Osten, er beschleunigt auch staatliche und soziale Erosionsprozesse, die ohnehin krisenbedingt in ihrer Wechselwirkung aus anomischen Zentrifugalkräften und autoritärer Formierung wirksam sind.23

Und dennoch bleibt es fraglich, ob selbst ein schmutziger imperialistischer Deal, bei dem die Ukraine faktisch zwischen West und Ost aufgeteilt würde, überhaupt noch eine realistische Option darstellt. Putin hat sich selber ein offizielles Mindestziel für seinen imperialistischen Landraub gesetzt, als er die Scheinreferenden über den Beitritt von vier ukrainischen Verwaltungsregionen in die Russische Föderation abstimmen ließ. Der Donbass, Cherson und Saporischschja befinden sich aber nur zum Teil unter russischer Kontrolle. Ohne den Donbass und Cherson kann der Kreml den desaströsen Kriegsverlauf, der Unmengen an Ressourcen, Material und Geld verschlingt und mit sehr hohen Verlusten verbunden ist, kaum als einen Sieg verkaufen. In Kiew dürfte hingegen jeder Versuch, ernsthafte Verhandlungen mit dem Kreml zu führen, auf den Widerstand der bis an die Zähne bewaffneten extremen Rechten stoßen.24 Und selbst der Westen ist in dieser Frage gespalten: Die USA, Großbritannien und die östlichen Anrainer Russlands – vor allem Polen – wollen den Krieg weiter fortsetzen, während Deutschland und Frankreich bereit wären, einen Deal mit Moskau zu machen.25

Die sozioökologische Krise des Kapitals, das ineinandergreifen der inneren und äußeren Schranke des Kapitals, der durch Schuldenmacherei prolongierten Überproduktionskrise wie der Klima- und Ressourcenkrise, facht diese geopolitische, imperialistische Konfrontationsbereitschaft der Staatsmonster immer weiter an. Die Ressourcen, die fruchtbaren Schwarzerdeböden der Ukraine werden mit zunehmender Intensität der ökologischen Krise immer wichtiger werden. Der Kreml kämpft zudem buchstäblich um die Existenz seines erodierenden, von sozialen Spannungen zerrütteten Imperiums,26 während die überschuldeten USA den Dollar als Weltleitwährung und ihre Stellung als Hegemon gegen behaupten müssen. Dieser am Fahrt gewinnende Krieg zwischen Ozeanien (Dem atlantischen und pazifischen Bündnissystem Washingtons) und Eurasien (China samt Russland) tobt derzeit nur in Osteuropa, doch künftig kann auch in Südostasien, in Taiwan, eine zweite Front entstehen.

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1 https://www.tagesspiegel.de/politik/ukraine-offensive-tag-261-kiews-strategische-glanzleistung-in-cherson-8866336.html

2 https://www.voanews.com/a/putin-says-russia-ready-to-negotiate-over-ukraine-/6890944.html

3 https://www.konicz.info/2022/09/09/wendepunkt-in-der-ukraine/

4 https://www.nytimes.com/2022/09/24/world/europe/ukraine-south-kherson-russia.html

5 https://www.zdf.de/nachrichten/politik/bachmut-soledar-ukraine-krieg-russland-100.html

6 https://www.ft.com/content/d759e24b-dd48-4adc-a0ae-7e53b89e5231

7 https://www.youtube.com/watch?v=1c9dtEeb6EY

8 https://www.bbc.com/news/world-europe-64142650

9 https://www.aljazeera.com/news/liveblog/2023/1/14/russia-ukraine-live-russian-missiles-hits-infrastructure-in-kyiv

10 https://kyivindependent.com/news-feed/russian-defense-ministry-confirms-plan-to-expand-army-to-1-5-million-troops

11 https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-january-15-2023

12 https://www.thedailybeast.com/russia-sets-ultimatum-for-top-ally-belarus-to-formally-join-vladimir-putins-war-in-ukraine?ref=scroll

13 https://www.thedailybeast.com/why-russia-is-terrified-of-americas-patriot-missiles-delivery-to-ukraine

14 https://www.zdf.de/nachrichten/politik/challenger-grossbritannien-ukraine-krieg-russland-100.html

15 https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/ukraine-krieg-deutschland-bereitet-sich-auf-leopard-lieferung-fuer-ukraine-vor/28924168.html

16 https://twitter.com/WarMonitors/status/1614999689304363009

17 https://www.konicz.info/2022/06/23/was-ist-krisenimperialismus/

18 https://www.konicz.info/2022/05/25/rackets-und-rockets/

19 https://www.konicz.info/2022/06/20/zerrissen-zwischen-ost-und-west/

20 https://www.bbc.com/news/world-europe-64304310

21 https://twitter.com/e_l_g_c_a/status/1615138445051195392

22 https://twitter.com/militarylandnet/status/1526132364702887936

23 https://www.konicz.info/2022/05/24/eine-neue-krisenqualitaet/

24 https://twitter.com/militarylandnet/status/1526132364702887936

25 https://www.welt.de/politik/ausland/plus243059565/Ukraine-Krieg-Der-Riss-in-der-Nato-zeigt-sich-an-Deutschland-und-Polen.html

26 https://www.konicz.info/2022/01/18/neoimperialistisches-great-game-in-der-krise/

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Die Zweifel sind angemessen

Erstellt von Redaktion am 26. Januar 2023

Deutschland will Kampfpanzer liefern

File:Kampfpanzer Leopard 2A4, KPz 4.JPG

Ein Debattenbeitrag von Pascal Beucker

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich entschieden, Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern. Das ist eine schwierige, aber richtige Entscheidung. Zu keinem Zeitpunkt wären Linke auf die Idee gekommen, vom Vietkong zu fordern, sich den USA zu unterwerfen.

Deutsche Panzer rollen für den Sieg? Wenn das nur so einfach wäre. Nein, die Lieferung von ein paar Leopard-2-Panzern wird der Ukraine nicht den Sieg gegen Russland bescheren. Das zu behaupten, beruht entweder auf Unkenntnis über die schlechte militärische Lage oder Scharlatanerie. Tatsächlich ist die Ukraine in einer Situation, in der sie neues militärisches Material dringend braucht, um den Krieg gegen Russland nicht zu verlieren. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Dass es sich Bundeskanzler Olaf Scholz – anders als die gelb-grün-schwarze Salonfeldherr:innen-Fraktion um Agnes Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter und Friedrich Merz – nicht so leicht mit seiner Entscheidung gemacht hat, war angemessen. Sehr genau abzuwägen, was dem jeweiligen Kriegsverlauf entsprechend an Unterstützung der Ukraine notwendig, sinnvoll und verantwortbar ist, ist genau das, was die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Regierungschef verlangen können.

Waffenlieferungen sind nichts, über das öffentlich auf einem Basar gefeilscht werden sollte, sondern sie bedürfen sehr sorgsamer politischer und militärischer Abwägung. Jetzt hat Scholz seine Entscheidung in Abstimmung mit den USA getroffen. Und die ist – auch wenn dieses Zugeständnis jemandem, der in der Friedensbewegung sozialisiert wurde, äußerst schwerfällt – unter den gegebenen Verhältnissen wohl richtig. Denn die Lieferung bedeutet keine Eskalation des Krieges, sondern sie steigert die Chance, dass die Ukraine nicht von Russland okkupiert wird. Der Kampf bleibt auch so noch schwer genug, der Ausgang des Krieges ist völlig offen.

Gleichwohl werden die Panzerlieferungen des Westens die bittere Folge haben, dass Russland den Krieg weiter eskalieren wird. Denn das entspricht der russischen Militärstrategie. Das muss jedem und jeder bewusst sein. Die Konsequenz daraus kann allerdings nur sein, zum Schutz der Menschen in der Ukraine so viele Flugabwehrsysteme wie möglich zu liefern. Auch wenn es sekundär in der öffentlichen Diskussion erscheint, ist das für die Menschen in der Ukraine noch wesentlich wichtiger als die Lieferung von irgendwelchen Panzern.

Putins „rote Linie“

Wenn die USA und die Staaten der Europäischen Union ihre militärische Unterstützung nicht ausweiten, ist die Ukraine verloren. So einfach ist das. Leider. Zu behaupten, mit der Lieferung von Kampfpanzern westlicher Bauart würde eine „rote Linie“ überschritten, ist dabei eine lächerlich formalistische Argumentation, die einerseits die bisherigen umfangreichen deutschen Lieferungen an die Ukraine ausblendet, zum anderen unangemessen überheblich ist, weil es die Kampfkraft der zahlreichen Kampfpanzer sowjetischer Provenienz im ukrainischen Einsatz unterschätzt. Das Problem ist nur, dass in dem gegenwärtigen Abnutzungskrieg deren Einsatzfähigkeit zur Neige geht.

Wie auch immer: Putin definiert seine „rote Linie“ rein nach Gutdünken. Die Entscheidung, Kampfpanzer aus deutscher Produktion in eine Kriegsregion zu liefern, darf nie eine einfache sein, schon gar nicht, wenn es um ein Gebiet geht, in dem einst die deutsche Wehrmacht gewütet hat. Vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit ist es auch völlig legitim, wenn die Linkspartei lautstark Waffenlieferungen gänzlich ablehnt.

Wobei jeder und jede, der oder die für immer mehr und immer schwerere Waffenlieferungen eintritt, sich ohnehin bewusst sein sollte, dass er oder sie auf Kosten vieler ukrainischer Menschenleben falsch liegen kann. Fehlender Zweifel ist in Kriegszeiten höchst gefährlich. Und immerhin entspricht die Ablehnung immer weitergehender Waffenlieferungen der Auffassung eines großen Teils der deutschen Bevölkerung, die ernst zu nehmen ist. Das beruht vor allem auf der Angst, Deutschland könnte in den Krieg gezogen zu werden.

Zur Wahrheit gehört: Niemand im Westen weiß, was und wo Putins „rote Linie“ ist. Russland hat die Kapazitäten, mit seinen Atomwaffen die Welt zu zerstören. Dass der Kampf um die Ukraine Putin zur Vernichtung der Menschheit treiben könnte, ist allerdings mehr als unwahrscheinlich – aber gleichwohl leider nicht undenkbar. Gerade diejenigen, die ihn zu einem „Irren“ erklären, mit dem nicht mehr verhandelt werden könnte, sollten ein solch irrationales Handeln nicht von vorneherein ausschließen. So unbefriedigend es ist, es bleibt nichts anderes, als Wahrscheinlichkeiten abzuwägen.

Auch Atommächte können verlieren

Dazu zählt, dass die Argumentation der Linkssfraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali im Gleichklang mit Sahra Wagenknecht mehr als fragwürdig ist, eine Atommacht könne generell keinen Krieg verlieren. Das erscheint schon arg putinpropagandistisch. Denn, und das müssten beide wissen, es ist historisch schlicht falsch: Die Niederlagen der USA in Vietnam und der Sowjetunion sowie der USA in Afghanistan sind schlagende Gegenbeispiele.

Gut und richtig ist das Insistieren der Linkspartei auf ein stärkeres deutsches Engagement für eine Verhandlungslösung. Aber dabei darf nicht ignoriert werden, dass es zuvorderst Russland ist, das keinerlei ernsthafte Verhandlungsbereitschaft erkennen lässt. Stattdessen propagiert das Putin-Regime unverdrossen, an seinen imperialistischen Kriegszielen ohne Abstriche festzuhalten, also an der Unterwerfung der Ukraine.

War 2

Einer größeren Glaubwürdigkeit der Linkspartei würde es zudem dienen, wenn sie sich unabhängig von der Frage der Waffenlieferungen unzweideutig auf die Seite der Überfallenen stellen würde und stets zuvorderst den vollständigen Rückzug Russlands aus der Ukraine fordern würde. Unabhängig davon, ob man es für realistisch hält. Es geht schlicht um eine klare Haltung. Und daran mangelt es Wagenknecht & Co.

Wer meint, wie unlängst die Linkspartei-Abgeordnete und Wagenknecht-Getreue Sevim Dagdelen, die Befürwortung deutscher Waffenlieferungen sei vergleichbar mit der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten 1914, steht jedenfalls zumindest ideologisch im Sold des faschistoiden Putin-Regimes.

Ja, es stimmt, dass an jedem Tag, an dem dieser Krieg noch andauert, zahlreiche Menschen ihr Leben verlieren. Aber was ist die Konsequenz daraus? Dass die Ukraine schnellstmöglich kapitulieren soll? Zu keinem Zeitpunkt wären Linke auf die Idee gekommen, vom Vietkong zu fordern, sich den USA zu unterwerfen. Obwohl bis zu vier Millionen Menschen letztlich im Vietnamkrieg ihr Leben verloren haben. Davon sind wir im Ukraine-Krieg noch weit entfernt.

Bittere Ambivalenz

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben        —    Im Zuge einer Road-Show zeigte das Österreichische Bundesheer im Dornbirner / Hohenemser Steinbruch den Kampfpanzer Leopard 2A4. Er ist das Hautwaffensystem der österreichischen Panzertruppe. Als Hauptwaffe verfügt der Panzer über eine 120 Millimeter Kanone. Die starke Motorisierung sorgt trotz der starken Panzerung für die enorme Beweglichkeit des Fahrzeuges.

Author böhringer friedrich          /      Source    :       Own work      /     Date       :    1 October 2011

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Terroristen in Uniform

Erstellt von Redaktion am 23. Januar 2023

Irans Revolutionsgarden

Tauschen nicht alle Uniformträger der Staaten ihr Hirn für die Lizenz zum Morden ein ? Auch Deutsche Friedhöfe sind voll mit den Helden ihrer Kriege !

Ein Debattenbeitrag von Teseo Ka Marca

Die iranische Elitetruppe ist entscheidend an der Unterdrückung der Proteste beteiligt. Sie gehört auf die EU-Liste der Terrororganisationen.

Die Revolutionsgarden fördern Terrorismus im Iran und im Ausland, auch in Europa. Sie nicht auf die EU-Terrorliste zu setzen, käme einer Realitätsverweigerung gleich und wäre gefährlich kurzsichtig. Das Signal, das Europa damit an die Iranerinnen und Iraner sendet, die genau schauen, wie Europa sich verhält, wäre fatal.

Letzte Woche leuchtete der Nachthimmel über Saqqez. Die Menschen aus der Heimatstadt von Mahsa Dschina Amini feierten mit Feuerwerk die Abstimmung des EU-Parlaments. Mit überwältigender Mehrheit forderten die Parlamentarier die EU dazu auf, die iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation zu listen. Für die Menschen im Iran bedeutet das einen persönlichen Sieg. Ein kleiner Etappensieg, zugegeben.

Denn ob die Revolutionsgarden tatsächlich auf die EU-Terrorliste kommen, bleibt nach wie vor ungewiss. Diese Woche hätten die Außenminister der EU-Staaten theoretisch die Gelegenheit dazu, wenn sie am Montag zusammenkommen. Doch die EU versteckt sich – wider jegliche politische Vernunft – weiter hinter fadenscheinigen Ausreden.

Bei der Unterdrückung der Proteste spielen die Revolutionsgarden eine entscheidende Rolle. Gegründet wurden sie 1979 vom Revolutionsführer Ruhollah Chomeini mit dem erklärten Ziel, das neue System gegen Feinde im Aus- und Inland zu verteidigen. Seitdem gehören die Revolutionsgarden – wie die reguläre Armee und die Polizei – zu den iranischen Streitkräften.

Lizenz zum Töten

Ihren Auftrag, das islamistische Herrschaftssystem zu schützen, erfüllen die Revolutionsgarden, indem sie Aufstände blutig niederschlagen und Oppositionelle mit ihrem mächtigen Geheimdienst verfolgen. Dabei haben die Regimeagenten praktisch die Lizenz zum Töten. Für die über 500 Toten seit Beginn der Proteste, darunter über 70 Kinder, wurde niemand je zur Rechenschaft gezogen.

Ihre blutige Spur setzt sich fort im Ausland, vor allem in den Nachbarstaaten Irak, Syrien und Libanon. Dort verüben sie mit ihrer Eliteeinheit, den Quds-Brigaden, nicht nur selbst Anschläge, sondern trainieren irantreue Milizen wie die libanesisch-schiitische Hisbollah, deren militärischer Flügel längst auf der EU-Terrorliste steht. Auch vor Europa macht der iranische Staatsterrorismus nicht halt.

Im Januar 2018 unternahm die deutsche Polizei Razzien gegen zehn mutmaßliche Agenten der Revolutionsgarden, die israelische und jüdische Einrichtungen, einschließlich eines jüdischen Kindergartens, für mögliche Attentate ausgespäht haben sollen. Im Februar 2021 wurde ein in Österreich akkreditierter iranischer Diplomat dafür verurteilt, einen Bombenanschlag auf Exil-Oppositionelle in Frankreich geplant zu haben.

Und nun stehen die Revolutionsgarden bei deutschen Ermittlern im Verdacht, im vergangenen November Anschläge auf deutsche Synagogen verübt zu haben. Das sind nur einige der jüngsten Beispiele. Was müssen die Revolutionsgarden noch tun, um als Terroristen zu gelten?

Gegner einer Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation argumentieren einerseits mit der Befürchtung, dass damit ein neues Atomabkommen endgültig verhindert werden würde, andererseits mit der wachsenden Macht der Revolutionsgarden innerhalb der Islamischen Republik. Nach einem möglichen Putsch könnten die Revolutionsgarden identisch mit dem Regime sein, sodass Beziehungen zwischen Iran und Europa nicht mehr möglich wären. Beide Argumente sind indes irreführend.

Die wahre Macht im Iran

Das Atomabkommen ist längst tot und wäre aufgrund der Menschenrechtsverletzungen im Iran politisch ohnehin nicht mehr zu rechtfertigen. Ob das Abkommen seinen eigentlichen Zweck, Iran von Atomwaffen fernzuhalten, erfüllen kann, ist ebenfalls fraglich. Richtig ist hingegen die Feststellung, dass die Revolutionsgarden mit ihrem allgegenwärtigen Geheimdienst, ihren steuerbefreiten Unternehmen und den Basidschi, ihrer millionenstarken, massiv indoktrinierten Freiwilligenmiliz, längst die wahre Macht im Iran sind.

Wer die Revolutionsgarden also als Terrororganisation listet, könnte auch das Regime selbst als Terrororganisation listen. Tatsächlich ist die Islamische Republik ein Terrorregime. Zuständig für die Listung der Revolutionsgarden wäre der EU-Ministerrat. Dort legen die Außenminister der Mitgliedstaaten die Außenpolitik der EU fest. Dass dies noch nicht geschehen ist, liege an „rechtlichen Hürden“.

Solange kein europäisches Gerichtsurteil über terroristische Aktivitäten der Revolutionsgarden aus den letzten fünf Jahren vorliegt, sei eine Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation nicht möglich. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich die Hürden jedoch als nicht existent.

Quelle        :          TAZ-online          >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —      38th Anniversary of Iranian 1979 Revolution in Azadi square, Tehran

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Politik und Arbeit ??? Nie

Erstellt von Redaktion am 23. Januar 2023

Die Politik hat den Ernst der Lage nicht begriffen

Räumung Lützeraths, 11. Januar 2023

Quelle:    Scharf  —  Links

Gemeinsame Erklärung von Wissenschaftlern, Autoren, Politikern, Klimaaktivisten und Bürgerrechtlern zur gewaltsamen Räumung von Lützerath.

Schon die ersten Tage des Jahres erinnerten uns daran, dass 2023 viel auf dem Spiel steht. Bei sommerlichen Temperaturen zu Silvester und einem bisher etwa 10 Grad zu warmen Januar hat jeder empfindende und denkende Mensch mittlerweile das mulmige Gefühl, dass wir ganz bestimmt keine 20 Jahre Zeit mehr haben um die Klimakatastrophe noch zu verhindern. Doch die Stimmen des fossilen „Weiter so!“ sind noch viel zu laut in der Gesellschaft und die Macht der Fossillobby scheint ungebrochen.

Es macht uns fassungslos, dass sich die Politik entgegen der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimakatastrophe für die Zerstörung des Dorfes Lützerath und weitere Braunkohleverstromung entschieden hat. Lützerath ist ein Beleg dafür, wie wenig ernst die Politik den Klimaschutz und ihre eigenen Gesetze nimmt.

Am 24. Juni 2021 wurde ein neues Bundesklimaschutzgesetz verabschiedet. Zweck dieses Gesetzes ist „die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zu gewährleisten. Grundlage bildet die Verpflichtung nach dem Übereinkommen von Paris aufgrund der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen. Danach soll der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden, um die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels so gering wie möglich zu halten.“ (Bundes-Klimaschutzgesetz, Gesetze und Verordnungen, BMUV, 2021).

Der „Expertenrat für Klimafragen“ dessen Mitglieder von der Bundesregierung ernannt werden stellt fest, dass eine „sehr große Lücke“ zu den Zielen des Klimaschutzgesetzes besteht, dessen erlaubte Restemissionen sogar auf mindestens 2 Grad Erderwärmung hinauslaufen würden. Doch auch diese ungenügenden Verpflichtungen werden nicht eingehalten.

https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2022/11/ERK2022_Zweijahresgutachten.pdf
Wir sind weiter völlig ungebremst in Richtung Klimakatastrophe unterwegs. Laut einer aktuellen Studie der Weltmeteorologieorganisation WMO, https://library.wmo.int/index.php?lvl=notice_display&id=22083#.Y5HsjMuZMY0
könnte eine Erderwärmung von 1,5 Grad bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre erreicht sein und damit eine eskalierende Klimakettenreaktion drohen.

Eine brandaktuelle Studie namhafter Klimawissenschaftler mit dem Titel „Klima-Endspiel“ (2022) verweist auf die bisherige Vernachlässigung und Unterschätzung von Kipppunkten im Klima- und Erdsystem und auf eine bisher viel zu optimistische Einschätzung von Risiken.

Eine schnelle Erderwärmung von 3 Grad gefährdet möglicherweise bereits das Überleben der Menschheit
(siehe: Klimakrise: Was passiert bei drei Grad Erderwärmung, Spektrum der Wissenschaften).
https://www.spektrum.de/news/klimakrise-was-passiert-bei-drei-grad-erderwaermung/2044870
Wird die Kohle unter den Garzweiler-Dörfern verbrannt, sind die Pariser Klimaziele für Deutschland nicht einzuhalten. Der 2030-„Kompromiss“ mit RWE bedeutet nur, dass die gleiche Menge Kohle früher verheizt ist.

Die 1,5-Grad-Grenze verläuft vor Lützerath

Wir zeigen uns solidarisch mit den Aktivist:innen vor Ort und unterstützen ihre Forderungen. Unser noch verfügbares CO2-Budget erlaubt keine weitere Verschwendung. Es ist nur noch schnelle konsequente Emissionseinsparung möglich, wenn wir der Verantwortung die wir in Paris 2015 übernommen haben ernsthaft nachkommen wollen.

Die Zerstörung von Lützerath und die Verbrennung der Kohle wäre ein weiterer Schritt Richtung Verschärfung der Klimakatastrophe und bedroht direkt die Gesundheit und das Leben der Menschen. Jede Tonne CO? die ausgestoßen wird führt dazu, dass noch mehr Menschen unter Hitzewellen, Extremwetter, Dürren, Hunger und sich ausbreitenden Krankheiten leiden werden. Jede weitere Tonne CO? destabilisiert die Lebensbedingungen der Zukunft weiter, – deshalb muss die Kohle unter Lützerath im Boden bleiben, das sind wir unseren Kindern und Enkeln schuldig.

Wir haben inzwischen das Vertrauen in die Regierungspolitik auf Länder- und Bundesebene verloren. Angesichts der Klimakatastrophe, die mit brennenden Wäldern, ausgetrockneten Flüssen, Extremhitze vor unseren Haustüren angekommen ist, rufen wir alle Menschen auf sich am gewaltfreien zivilen Widerstand in Lützerath und anderswo zu beteiligen und die Politik und die Konzerne unter Druck zu setzen. Insbesondere die Wissenschaftler*innen dürfen sich nicht hinter komplizierten Modellen und Forschungsprojekten verschanzen, sondern müssen viel offensiver die Gesellschaft und die Politik über die drohenden Gefahren aufklären und sich dafür Verbündete in Medien und in der Zivilgesellschaft suchen. Eine Pressemitteilung reicht nicht zur Verbreitung der Wahrheit!

Es gibt keine Energiekrise, sondern eine lebensgefährliche Energie- und Ressourcenverschwendung

Wir fordern die Überwindung der Zwangswachstumsgesellschaft und ihrer unverantwortlichen Klima- und Verkehrspolitik durch  geeignete,  konsequente ordnungspolitische Maßnahmen, d.h. auch durch Verbote (z.B. von Kurzstreckenflügen und von Autowerbung), durch die Streichung und Umlenkung von fossilen Subventionen, den konsequenten Ausbau und die Subventionierung von ÖPNV und Zugverkehr, ein Tempolimit auf Autobahnen und warum nicht, durch ein wechselndes Fahrverbot in Abhängigkeit von der Endziffer des Nummernschildes, wie es die Internationale Energieagentur (IEA) vorschlägt? E-Autos sind keine Lösung der Klimakrise und nicht klimafreundlich,- schon wegen dem CO2- Rucksack ihrer Batterien. Der motorisierte Individualverkehr müsste insgesamt bald ein weitestgehendes Ende finden und wieder Raum geben für die Menschen und die Natur. Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien müssen vor allem Energie, Rohstoffe und Transporte eingespart werden,- es muss also endlich der Übergang zu einer regional orientierten, naturverträglichen, klimaneutralen und lebensdienlichen Wirtschaftsweise in Angriff genommen werden. Machen wir Lützerath zum Fanal eines Aufbruchs in diese Richtung und zum Symbol des Widerstands gegen die weitere Zerstörung der Lebensgrundlagen,- setzen wir der fossilen Wirtschaft und Politik endlich Grenzen. Seien wir ungehorsam, – aus wissenschaftlicher Einsicht und aus Liebe zu allem Lebendigen bleibt uns nichts anderes übrig.

Wer diese Gemeinsame Erklärung unterzeichnen und unterstützen möchte, bitte auf folgende Seite gehen: https://earthattack-talligsklimablog.jimdofree.com/

Dort bitte eine kurze Nachricht über Kontakt senden. Vielen Dank!

 Erstunterzeichner:

Jürgen Tallig, Autor, Klimaaktivist und Bürgerrechtler

Prof. Dr. Helge Peukert, Wirtschaftswissenschaftler, Scientist Rebellion (SR)

Dr. Maiken Winter, Klimaaktivistin

Dr. Harald Bender, Akademie Solidarische Ökonomie

Dr. Hans-Jürgen Fischbeck, Bürgerrechtler, Physiker

Dipl.-Ing Dr. Wolfgang Neef, ehem. TU Berlin

Dr. Winfried Wolf, Zeitschrift „Lunapark21“

Dr. Bruno Kern, Theologe, Initiative Ökosozialismus

Hartmut Plötz, Diplom-Volkswirt, Diplom-Sozialökonom

Marcus Otto, Sprecher Ökologische Plattform

Prof. Dr. Franz Segbers, Konstanz

Dr. Peter Häp, ATTAC-Krefeld

Prof. D.-Ing. Jochen Hanisch (1. Vorsitzender) Verein zur Förderung der angewandten Nachhaltigkeit (VaN e.V.)

Ergänzung zur Gemeinsamen Erklärung

Zahlenmagie und Kipppunkte. Wie viel Zeit haben wir wirklich noch?

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat im Juni 2022 eine Stellungnahme veröffentlicht:

„Wie viel CO? darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO?-Budget“ https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.pdf

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen ist das höchstrangige wissenschaftliche Beratungsgremium der Bundesregierung und er sagt in seiner Stellungnahme:
“Das noch verfügbare faire CO2-Budget Deutschlands für einen 1,5°C-Pfad läuft 2031 ab, das für 1,75°C 2040. Das geltende Klimaschutzgesetz entspricht nach der Berechnung des SRU einer Begrenzung der Erhitzung der Erde auf weniger als 2, aber deutlich über 1,5°C.”
Das heißt Null Emissionen bis 2031 um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wozu die Regelungen des Klimagesetzes nicht ausreichen. Schauen wir mal etwas genauer hin, denn bekanntlich ist oft das Kleingedruckte das Entscheidende:
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) schreibt in seiner 30-seitigen Stellungnahme weiter , unter Punkt 6. auf Seite 7:
“6. Wie groß ist das aktualisierte CO?-Budget für Deutschland und die EU-27 ab 2022?

Aktualisiert beträgt das maximale Budget ab 2022 für Deutschland 6,1 Gt CO? (1,75 °C, 67 %), 3,1 Gt CO? (1,5 °C, 50 %) bzw. 2,0 Gt CO? (1,5 °C, 67 %). Bei linearer Emissionsreduktion ab 2022 wären diese Budgets 2040, 2031 bzw. 2027 aufgebraucht. ”
Die Prozentangaben in den Klammern drücken die Wahrscheinlichkeit aus, mit der eine solche Begrenzung möglich ist. Also, um die Erderhitzung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% auf 1,5 Grad zu begrenzen haben wir noch 8 Jahre Zeit, bei 67% Wahrscheinlichkeit sind es nur noch vier Jahre und bei 100% sind es in etwa nur noch zwei Jahre.

Doch von 100 % wird prinzipiell nie gesprochen. Aber wer würde denn in ein Flugzeug steigen, dass mit 50%iger Wahrscheinlichkeit abstürzt…? Niemand!

Aber die Klimakatastrophe wird schöngerechnet und die CO2- Budgets werden als gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis gehandelt, dabei sind sie eigentlich nur schwarze Zahlenmagie.

Auseinandersetzungen an den Polizeiketten vor Lützerath

Nun hat man sich auf den Emissionspfad einer Begrenzung auf eine 1,75 Grad- Erhitzung mit 67 %iger Wahrscheinlichkeit festgelegt und sich damit vermeintlich klimapolitisch Luft bis 2040 verschafft. Aber bei 100% wäre auch hier die Klimaneutralität schon 2035 fällig und hatte man sich denn nicht in Paris auf 1,5 Grad festgelegt, weil jenseits dieser Marke Kippelemente und eine Selbstverstärkung der Erderhitzung zu erwarten sind…!?

Ist es also nicht völlig unverantwortlich, seine Klimapolitik auf ein ungewisses 1,75 -eher sogar ein 2 Grad-Ziel auszurichten, wenn wahrscheinlich schon bei 1,5 Grad alles völlig aus dem Ruder läuft?

Wir werden jetzt die Klimakatastrophe begrenzen oder wir werden sie überhaupt nicht mehr begrenzen können, weil sie sich dann verselbständigt hat und selbst verstärkt. Das meint ganz konkret den auftauenden Permafrost, das schwindende Meereis, die brennenden Wälder, -alles Verstärkungen der Erderhitzung, die bereits in vollem Gange sind, aber in diesen Budgetzahlenspielereien gar nicht berücksichtigt werden. Laut einer neuen Studie haben wir die ersten Kipppunkte bereits erreicht und werden absehbar weitere überschreiten:

“Aus der Analyse der Forscher geht hervor, dass selbst eine globale Erwärmung von ein Grad Celsius – die wir bereits überschritten haben – kritische Kipppunkte auslösen kann. Die aktuelle Erderwärmung von 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau liege bereits am unteren Ende der Schwellenwerte von fünf Kipppunkten. Bei einem Anstieg auf 1,5 bis 1,9 Grad seien sechs Auslösungen wahrscheinlich. ”
https://t3n.de/news/klimastudie-warnt-5-kippunkte-15-grad-erreicht-klimawandel-1497539/

Und zu guter Letzt sei noch darauf hingewiesen, dass der Weltklimarat IPPC seine Budgetberechnungen an die Annahme geknüpft hat, dass ab 2050 jährlich 10 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) CO2 aus der Atmosphäre zurückgeholt werden, was heute schon unmöglich ist.

Man kann eine sich aufschaukelnde Klimakatastrophe nicht später wieder rückgängig machen, genauso wenig wie man den Tod rückgängig machen kann.

Deshalb müssen wir uns heute für das Leben entscheiden.
Jürgen Tallig 20.01.2023

Als Kommentar unter dem Offenen Brief von Scientists for Future in der Leipziger Internetzeitung veröffentlicht:

https://www.l-iz.de/melder/wortmelder/2023/01/offener-brief-ein-moratorium-fuer-die-raeumung-von-luetzerath-506623

weitere Informationen unter: https://earthattack-talligsklimablog.jimdofree.com

Urheberrecht
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Grafikquellen      :

Oben      —   Räumung Lützeraths, 11. Januar 2023

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Unten     ––       Auseinandersetzungen an den Polizeiketten vor Lützerath

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Kriege ohne Grenzen

Erstellt von Redaktion am 22. Januar 2023

Heftige Kämpfe in Oblast Saporischschja

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Hat die drohende russische Offensive in der Südukraine bereits begonnen?

Aus dem Südosten der Ukraine, aus der Region Saporischschja, werden derzeit heftige Kämpfe gemeldet. Laut ukrainischen Medien wurden in dieser zwischen den Donbass und dem Dnjepr gelegenen Region in den vergangenen Stunden besonders starke Artillerieangriffe Russlands verzeichnet, während russische Stellen Geländegewinne und die Eroberung von Ortschaften melden. Sprecher der ukrainischen Armee bezeichneten die Lage im Donbass und Saporischschja als „schwierig“, so die Kiew Post.1

Russische Medien sprechen von etlichen eingenommenen Dörfern und einen Vorstoß auf die Stadt Orichiw, die eine strategische Rolle spielt.2 Orichiw sei demnach ein zentraler regionaler Verkehrsknotenpunkt, der russische Angriffe in Richtung der Großstadt Saporischschja erleichtern könnte. Eine erfolgreiche russische Offensive entlang des Ostufers des Dnjepr würde die ukrainischen Armee im Donbass von ihren Versorgungslinien abschneiden. Die ukrainischen Verteidigungslinien in Saporischschja sollen an etlichen Stellen durchbrochen worden sein, was mit den blutigen Kämpfen um die ostukrainische Stadt Bachmut in Zusammenhang stehen dürfte.

Um Bachmut zu halten, hat die ukrainische Armeeführung Truppen aus etlichen Frontabschnitten abgezogen – und so die ukrainischen Verteidigungspositionen vielerorts zwangsläufig geschwächt. Vor Kurzem sind Einschätzungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur militärischen Lage im Osten durchgesickert, laut denen sich die ukrainische Armee inzwischen in einer schwierigen Lage befindet.3 Demnach verliert die Ukraine allein in Bachmut, das längst symbolisch aufgeladen ist, täglich eine „dreistellige Zahl an Soldaten“. Überdies drohten bei einem Verlust der Stadt „weitere Vorstöße ins Landesinnere“ der russischen Truppen, da die gesamte ukrainische Verteidigungslinie aufgegeben werden müsste (siehe hierzu auch „Kiews verpasste Chance?“)4.

Mörderischer Wettlauf

Die Angriffe der russischen Söldner-Truppen um Bachmut gehen derweil mit unverminderter Intensität weiter. Die ukrainische Armee muss nun entscheiden, wie sie ihre verbliebenen Reserven einsetzen wird: im Donbass, um weiterhin Bachmut zu halten und einen Rückzug auf eine neue Verteidigungslinie bei Slowjansk/Kramatorsk weiter zu verzögern, oder in Saporischschja, um den russischen Vormarsch in Richtung Norden aufzuhalten. Zudem verfügt Moskau weiterhin über hohe Reserven, die noch in die Schlacht geworfen werden können. Mehrere hunderttausend Mann, die bislang noch nicht in die Kämpfe eingegriffen hätten, stünden demnach dem Kreml für weitere Angriffe zur Verfügung. Ukrainische Stellen sprachen gegenüber US-Medien von rund 200 000 Mann.5 Andere Schätzungen, die den derzeit einberufenen Jahrgang von Wehrpflichtigen im Fall einer allgemeinen Mobilmachung durch den Kreml berücksichtigen, kommen auf mehr als 500 000 Mann.

Die plötzlichen Angriffe des russischen Militärs in der strategisch entscheidenden Region Saporischschja – wo Russland zu Beginn der Invasion eine Landbrücke zwischen Donbass und der Krim erobern konnte, scheinen im Zusammenhang mit den jüngst beschlossenen westlichen Waffenlieferungen zu stehen, die mitunter sehr wirkungsvolle Systeme beinhalten.6 Zwar blockierte Berlin die Lieferung deutscher Panzer, doch wird Kiews bald weitreichende Artilleriesysteme (GLSDB) erhalten,7 die den russischen Nachschub und die Kommandosysteme effektiv stören können. Der Kreml will offensichtlich nun seinen imperialistischen Eroberungszug intensivieren, solange die neuen Waffensysteme noch nicht auf dem Schlachtfeld zum Einsatz kommen, was aufgrund der schwierigen Lieferung und notwendigen Ausbildungszeit mitunter Wochen, wenn nicht Monate dauern kann.

Es ist faktisch ein mörderischer Wettlauf zwischen westlichen Waffenlieferungen und russischen Vormarschbemühungen, bei dem der Kreml die ohnehin geplante Offensive gerade in der Region zu entfachen scheint, in der Russland am verwundbarsten ist. Die Region Saporischschja wäre auch ein wichtiges Ziel für eine ukrainische Gegenoffensive, bei der die Landbrücke zwischen Donbass und der Krim zurückerobert würde, was eine Vorbedingung jeglicher Offensivbemühungen gegen die Krim wäre.

Russland hat die Krim schon 2014 okkupiert und später auch formell annektiert. Mitte Januar ließen US-Medien aber durchblicken, dass die Vereinigten Staaten künftig der Ukraine auch dabei helfen wollen, die Krim direkt anzugreifen – die Moskau längst als russisches Territorium betrachtet.8 Bislang weigerte sich Washington, Kiew entsprechende Waffensysteme zu liefern. Moskau schient gerade durch diese Überlegungen getriggert worden zu sein, um in einer – eventuell verfrühten? – Offensive in Saporischschja diese ukrainische Offensivoption zunichtezumachen.

https://www.patreon.com/user?u=57464083

https://konicz.substack.com/

1 https://www.kyivpost.com/post/11362

2 https://twitter.com/rybar_en/status/1616486643090718743

3 https://www.deutschlandfunk.de/bnd-besorgt-ueber-lage-im-osten-100.html

4 https://www.konicz.info/2023/01/19/kiews-verpasste-chance/

5 https://thehill.com/policy/defense/3818361-russia-is-planning-a-major-offensive-heres-what-that-might-look-like/

6 https://www.nytimes.com/2023/01/19/podcasts/the-daily/ukraine-russia-war-weapons.html

7 https://mil.in.ua/en/news/stryker-and-glsdb-to-enter-new-aid-package-from-us-to-ukraine-politico/

8 https://www.nytimes.com/2023/01/18/us/politics/ukraine-crimea-military.html

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Grafikquellen      :

Oben      —       Map of Zaporizhzhia Oblast showing the rough zones of occupation during the southern offensive of the 2022 Russian invasion of Ukraine, as of August 2022. Ukraine (    ) has maintained control over the north of the oblast, including the areas around the cities of ZaporizhzhiaHuliaipole and Orikhiv. The Russian occupation (    ) extends throughout the entire southern part of the oblast, including the major cities of MelitopolBerdiansk and Enerhodar.

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Proteste in Iran

Erstellt von Redaktion am 14. Januar 2023

Die unstillbare Wut auf die scheinheiligen Greise

Ein Gastbeitrag von Bahman Nirumand

Mit brutaler Gewalt und Hinrichtungen geht das Regime in Iran gegen die Demonstrationen für Frauenrechte und Freiheit vor. Es wird ihm nichts helfen: Die Tage des Gottesstaates sind gezählt.

Revolutionen haben gewöhnlich die Umwälzung der sozialen, ökonomischen oder politischen Verhältnisse zum Ziel. Nicht so bei dem Aufstand in Iran. Hier geht es um das Leben schlechthin, um ein neues, selbstbestimmtes, gleichberechtigtes und freies Leben. Es ist eher eine Kulturrevolution, ein Aufprall der Moderne gegen die Tradition, eine Suche nach einer neuen Identität.

Viel Wut hatte sich besonders in den vergangenen Jahren aufgestaut. Zuletzt über die Monopolisierung der Macht durch die Ultras und die Übernahme der Regierung durch Ebrahim Raisi, der ankündigte, die bislang nicht gelungene Islamisierung der Gesellschaft mit allen Mitteln durchzusetzen. Dazu gehörte auch die Verstärkung der Kontrollen der Sittenpolizei.

Der Tod von Mahsa Amini brachte das Fass zum Überlaufen. Die schlichte, unschuldige 22-jährige Frau, die nie politisch aktiv war, musste sterben, weil einige Haarsträhnen aus ihrem Kopftuch herausschauten. Seitdem gehen landesweit Tag für Tag vorwiegend junge Frauen und Männer auf die Straße, stellen sich mit leeren Händen den bewaffneten Schergen des islamischen Gottesstaates entgegen, die mit äußerster Brutalität gegen sie vorgehen, und fordern den Sturz des Gottesstaates.

Sie scheinen keine Angst zu haben. Während bei früheren Demonstrationen die Teilnehmer sich zuriefen: »Fürchtet euch nicht, ihr seid nicht allein«, rufen sie jetzt, gerichtet an den »»Islamischer Staat««: »Fürchtet euch, wir sind nicht allein.« Sie haben dem Gottesstaat endgültig den Rücken gekehrt. »Islamische Republik wollen wir nicht, wollen wir nicht«, rufen sie.

Die Proteste richten sich gegen das scheinheilige Regime

Was treibt die Menschen, dass sie dafür ihr Leben zu riskieren bereit sind? Es geht längst nicht mehr um den Kopftuchzwang, auch nicht allein um die Diskriminierung der Frauen. Das Ziel des Aufstands ist weit umfassender. Es geht um die Würde des Menschen, um die verbrieften Rechte der Individuen. Die Proteste richteten sich gegen ein Regime, das seit 43 Jahren scheinheilig im Namen Gottes das Volk gängelt. Das erzwungene Kopftuch, das Frauen demonstrativ ins Feuer warfen, ist ein Symbol für Unterdrückung jeglicher Art, für Diskriminierung und Demütigung, nicht nur der Frauen, sondern auch von Jugendlichen, ethnischen und religiösen Minderheiten, von Andersdenkenden.

Die Wurzeln dieser tiefreichenden Entwürdigung liegen in der Revolution von 1979, die zunächst gegen die Schah-Diktatur gerichtet war und Freiheit und Unabhängigkeit forderte, in ihrem Verlauf jedoch von den Islamisten okkupiert wurde, deren Ziel nichts Geringeres war, als dem Volk eine neue Identität zu geben, eine islamische Identität. Im Grunde war die islamische Revolution eher eine kulturelle als eine politische oder soziale Revolution.

Die erste programmatische Rede, die Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei in der Pilgerstadt Ghom hielt, ließ ahnen, was von der neuen Macht zu erwarten war. »Wir werden die gesamte Presse, den Rundfunk, das Fernsehen von der Unmoral reinigen. Alles muss sich am Islam orientieren. Unsere Werbung muss islamisch werden, unsere Ministerien müssen sich in islamische Stützpunkte verwandeln, unsere Gesetze müssen islamische Gesetze sein. Wir werden uns nicht darum kümmern, ob dies dem Westen passt oder nicht. Der Westen hat uns erniedrigt, er hat unsere Seele zerstört. Seid wachsam! Wir müssen wachsam sein, dass sie uns nicht allmählich wieder zurücklocken. Alles muss sich dem Islam anpassen. Ich warne euch, lasst euch nicht durch das Wort Demokratie in die Irre führen. Demokratie ist westlich und wir lehnen westliche Systeme ab.«

Seitdem werden diese Anweisungen Khameneis befolgt. Die Furcht von einer westlichen Unterwanderung ist groß. Man spricht von einer »samtenen Revolution«, die weitaus gefährlicher sei als ein militärischer Angriff. Die Feindschaft gegen den Westen gehört zu den wichtigsten Säulen der Islamischen Republik.

Die neuen islamistischen Machthaber räumten mit allem auf, was zur Grundlage der alten iranischen Kultur und einer zivilen Gesellschaft gehört. Ihr Ziel war eine vollständige Umwertung der bis dahin geltenden Werte. Die ersten Maßnahmen richteten sich gegen Frauen. Sie sollten sich den islamischen Moralvorstellungen fügen und sich entsprechend kleiden. Von da an wurde das Kopftuch zum Symbol der Unterdrückung.

Die neue Macht ordnete Geschlechtertrennung an den Universitäten, Schulen und Badestränden an. Schulbücher wurden umgeschrieben, die vorislamische Zeit zum größten Teil ausgeblendet. Für die Islamisten begann die iranische Geschichte mit dem Einzug des Islam. Jede Form von Erotik oder Sexualität wurde verboten.

Parallelwelten mit wachsender Distanz

Doch die Mühe war bei einem Großteil der Bevölkerung vergeblich. Zu stark ist die Verbundenheit der Iraner mit der eigenen Geschichte, der eigenen Kultur. Sie sind stolz, gerade auf die vorislamische Zeit, auf die Könige Darius und vor allem Kyros, der die erste Charta der Menschenrechte schrieb, sie identifizieren sich mit den großen Dichtern wie Hafis und Ferdowsi, mit der reichen persischen Sprache.

Zudem waren größere Schichten der Bevölkerung bereits mit einer modernen Lebensweise vertraut, die sie auch nach der Revolution hinter verschlossenen Türen pflegten und fortsetzten. So entstanden zwei Parallelwelten, die sich Jahr für Jahr voneinander entfernten. Mehr als sechs Millionen Menschen verließen das Land.

Wer heute jünger als 43 Jahre alt ist, hat nichts anderes erlebt als die Islamische Republik. Das gilt für mehr als die Hälfte der 83 Millionen Bewohner des Landes. Ein Teil dieser Generationen wurde von den Revolutionsgarden, den Basidsch-Milizen und anderen paramilitärischen Organisationen rekrutiert und damit existenziell vom Bestand des Regimes abhängig gemacht. Ein anderer Teil führte ein schwer erträgliches Doppelleben zwischen dem meist laizistischen Elternhaus und den indoktrinierten Schulen und Universitäten.

Bahman Nirumand, geboren 1936 in Teheran, ist ein iranisch-deutscher Germanist, Iranist und Autor. Sein Buch »Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der freien Welt« (1967) hatte starken Einfluss auf die westdeutsche Studentenbewegung der späten Sechziger. Im Dezember 2022 erschien sein jüngstes Buch »Der mühsame Weg in die Freiheit. Iran zwischen Gottesstaat und Republik« (zu Klampen Verlag, 214 Seiten).

Es war und ist ein schizophrenes, kaum zu ertragendes Leben ohne Zukunftsperspektive, ohne die Möglichkeit, eigene Begabungen zu entfalten und zu pflegen. Viele haben ihre Jugend nicht erleben und genießen können. Sie sind immer wieder hoffend auf Änderungen und grundlegenden Reformen zur Wahl gegangen, haben für den Reformer Mohammad Chatami und sogar dem gemäßigten Konservativen Hassan Rohani gestimmt. Wie oft haben sie an Kundgebungen und Protestmärschen teilgenommen, an den Universitäten, in den Fabriken für ihre Forderungen gestreikt. Doch ihre Rufe und Schreie stießen stets auf taube Ohren. Das Regime reagierte auf jede Kritik, jeden Protest mit purer Gewalt.

Sie fordern ein neues Leben, eine neue Identität

Der einzige Fluchtort, in den sich vor allem Jugendliche begeben können, um der unerträglichen Wirklichkeit zu entrinnen, sind das Internet und die sozialen Netzwerke. In dieser virtuellen Welt lernen sie die Außenwelt kennen, begegnen Gleichaltrigen, die frei und unbeschwert von staatlich verordneten Verboten und Geboten ihren Alltag verbringen, sehen Liebespaare, die sich auf den Straßen umarmen und küssen.

Der Vergleich dieser Welt mit ihrem realen Dasein und dem, was die Eltern von der Vergangenheit erzählen, weckt unerfüllbare Sehnsüchte in ihnen, aber auch unstillbare Wut gegen die machtbesessenen, scheinheiligen Greise, die ihnen ihre Jugend geraubt und all die absurden Entbehrungen beschert haben.

Quelle        :         Spiegel-online        >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Students of Amir Kabir university protest against Hijab and the Islamic Republic

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 12. Januar 2023

„Krieg und Frieden“
Wer hilft noch, wenn alle Anwälte geflohen sind ?

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Aus Moskau von Xenia Babich

Viele Menschen in Russland sind von der Mobilmachung betroffen. Erstmals informieren sie sich über ihre Rechte, doch oft kann niemand helfen.

Den Russen wird oft vorgeworfen, viel zu langsam das Ausmaß der Katastrophe erkannt zu haben, in die sie ohne besonderen Widerstand zu leisten und ohne zu verstehen, dass sie Opfer der staatlichen Politik wurden, hineingeraten sind. Die Mobilmachung, die zwischen September 2022 und Januar 2023 alle wie ein Schlag traf, ist für Zehntausende Familien zu einem Todesurteil geworden.

In Moskau kann man an der Bushaltestelle hören, wie junge Männer die Tauglichkeitsgrade diskutieren, nach denen einberufen wird. In den sozialen Medien kann man nachlesen, wer wie in die Musterungsstellen geholt wurde. Außerhalb Moskaus teilten Polizisten Vorladungen in den Fabriken aus. Dann wurden die Arbeiter festgenommen und zur Musterung gebracht. Einige wurden einfach auf der Straße verhaftet.

Zum ersten Mal seit vielen Jahren versuchen Russen dringend herauszufinden: Welche Rechte haben sie, wie verhält man sich bei der Musterung? Was tut man, wenn man das Land nicht verlassen kann? Und: Kann ich töten und möchte ich sterben? Warum passiert das alles? Warum ist es so schrecklich?

Eine Freundin ruft mich an. Weinend erzählt sie, dass ihr Vater einen Einberufungsbescheid bekommen hat. Dass er Rentner ist, dass er in der UdSSR zwei Jahre in Armenien gedient hat, aber nichts mehr davon erinnert. Dass er verstört ist wie noch nie. Dass sie einen Anwalt braucht und dass er Angst hat, in Moskau das Haus zu verlassen, weil sie ihn in die Musterungsstelle verschleppen könnten.

Die Basilius-Kathedrale und der Rote Platz.jpg

Eine andere Freundin erzählt, dass sie ihren Mann – einen Reanimatologen – bislang noch in keine Brigade aufgenommen haben, aber in seinem Krankenhaus schon Listen zusammenstellen. Die Menschen werden an die „Frontlinie“ geschickt. Ihr Mann will das Land nicht verlassen. Er ist Arzt und Vater eines kleinen Sohnes. Er spricht nicht über seine Ängste, aber seine Frau sucht auch einen Anwalt.

Die Verlobte eines Mannes aus St. Petersburg, der bereits eingezogen und ins „Trainingslager“ gebracht wurde, schluchzt und erzählt von starkem Druck: Der Mann wird aufgefordert, den Kontrakt zu unterschreiben, für Fahnenflucht drohen sie ihm Strafen an. Es gehe ihm schlecht, er bitte um Freistellung. Seine Eltern wissen nicht, was sie noch tun können. Auch sie suchen nach einem guten Anwalt.

Quelle       :         TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —    Ein Bild der Ansicht auf dem Roten Platz in Moskau, aufgenommen vom US-Außenministerium // Tatsächlich ist nur ein kleiner Teil des Platzes zu sehen (das Blau steht in der Mitte). Der größte Teil des Platzes wird durch die Kremlmauer auf der linken Seite versperrt

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Politik auf vier Pfoten

Erstellt von Redaktion am 11. Januar 2023

Der Puma lahmt – und zwar auf allen 4 Pfoten

Datei:Schützenpanzer Puma der Bundeswehr (49919110048).jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von     :      Klaus Hecker

Wie geht Kriegsvorbereitung nach innen. Seit geraumer Zeit wird kontinuierlich über den Schützenpanzer Puma berichtet, der sich als einziges Mängelwesen herausgestellt hat.

Die Tagesschau um 20.00 Uhr vom 19.12.2022 etwa hat diesem Thema fast fünf Minuten gewidmet. Politiker und Journalisten jedweder Couleur beklagen diese Missstände und warnen vor einem Imageverlust für Deutschland und für die Bundeswehr. Tja, aber wobei eigentlich: wer verliert hier was, wofür?Der Standpunkt, eine verhunzte Panzergeneration sei ein Glücksfall für die Menschheit, ein unfreiwilliger Schritt zur Abrüstung herrscht offensichlich nicht vor. Schade!

Vielmehr wird mit der staatsbürgerlichen Lieblingsbetrachtung, es klappt nicht, sie haben es verbockt, ein Antimaterialismus gefeiert, der nicht die eigenen Interessen in den Mittelpunkt stellt, sondern Ziele und Zwecke des Staats. In der Form des Beklagens eines Scheiterns wird nicht der Zweck, sondern der im Moment nicht erreichte Zweck aufs Korn genommen und damit affirmiert.

Diese staatsbürgerliche Bildung und Übung ist es, die die Nachrichten mit dieser Berichterstattung inszenieren. Aber dabei bleibt es nicht. Jetzt wird das Volk zum Panzerexperten herangezüchtet und das Schauermärchen Waffen sind zum Frieden da wird bei dieser Gelegenheit auch gecancelt. Verteidigungsministern Lambrecht erklärt, dass die Zeiten, in denen die Bundeswehr als so eine Art technisches Hilfswerk und/oder Rotes Kreuz ins Ausland aufgebrochen sei, vorbei seien. Stahlhelm Agnes Zimmermann (FDP) verlängert, die Friedensdividende sei aufgebraucht.

Wir lernen:

  • mit 1100 PS erreicht der Puma bis zu 70 Km/h
  • mit 30mm Kanone kann er bis zu 2 km Entfernung treffen
  • Lenkraketen können feindliche Panzer noch in 4 km Entfernung ausschalten
  • 360 Grad Kameras – mit Wärmebilderkennung auch in der Nacht
  • der Clou, eine digitale Lagekarte im Puma vernetzt alle Einheiten außerhalb des Panzers — daher der Name „Infanterist der Zukunft“. (Warum der Puma bisher ein Papiertiger ist, Tagesschau online, 19.12.2022)

Ja, Krieg ist nicht nur auf der Tagesordnung, sondern will und muss demzufolge mit Material und Gerät auf den neuesten und eben auch auf den passendsten Stand für den entsprechenden Einsatz gebracht werden. In dem trockenen Bergen Afghanistans ist anderes gefordert als in den Weiten der Ukraine – oder vielleicht sogar Russlands?

Dieses mal ist der Puma „zu klein“- jedenfalls für den geplanten Kriegsschauplatz. Zudem: Ein „rollender, schiessender Computer“ ist zwar Weltspitze, aber eben noch nicht in der Praxis. Also plant die Bundeswehr noch einmal den alten Marder zu rekrutieren und die Bevölkerung darf mit zittern, ob dieser noch genügt (und tut es leider auch).

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Bundeswehr in Schulen Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Aufrüstung wird also ideologisch nicht als Hurra gefeiert, sondern als Klageoper über Mängel und Versäumnisse von Wirtschaft und Politik.
Der erste deutsche Panzer A7V glänzte zum Ensetzen der Gegnersaaten mit gewaltiger Größe – erwies sich dann aber als zu unbeweglich. 30 tausend Tonnen Stahl, 20 Mann Besatzung, aber nur 200 PS, was so ungefähr heute jeder Golf GTI hat. Das konnte nicht gutgehen.

Aber, und das kann man von diesem Schlachtschiff lernen, eine relative Unabhängigkeit von der Technik. Während der Puma mit gewaltigen Computerproblemen glänzt, ist der 20. Mann in diesem 1. Weltkriegsmonsrer der Brieftaubenwart. „Nicht schneller als ein Spaziergänger – aber scheinbar unaufhaltsam“ [1].

Tja, auch hier wird das „es klappt nix“ besser, es hat nix geklappt, zum leitenden Gesichtspunkt – posthum.

SCHLUSSFOLGERUNG: Mit der Berichterstattung, was alles nicht funktioniert, funktioniert offenbar eines, die Kriegsvorbereitung in den Köpfen der Bürger. Lieber ein bisschen frieren für die Aufrüstung, und sich über mangelnde Einsatzbereitschaft der Waffengattungen mokieren. Geld scheint nicht das Problem zu sein. Die Bevölkerung stiftet in Gestalt höherer Energiepreise und mit Schnattern am heimischen auf 18 Grad runter reduzierten Ofen auch noch einen Beitrag.

Protest ist nicht zu vernehmen. Leider.

[1] Enge, Gestank und ohrenbetäubender Lärm, Peter Körner, Welt online, 02.02.2017

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquellen          :

Oben        —    Wehrtechnische Dienststelle für Waffen und Munition 91 (WTD 91) in Meppen

Verfasser Dirk Vorderstraße aus Hamm, Deutschland     /      Quelle    :

    Schützenpanzer Puma der Bundeswehr      /       Datum     :   09.06.2018.

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic Lizenz.

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Unten      —      Autor Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

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Ein Rat von Henry Kissinger

Erstellt von Redaktion am 10. Januar 2023

«So lässt sich ein weiterer Weltkrieg vermeiden»

Könnte dort wohl jemand Bohnen in den Ohren gehabt haben?

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Red. /   

Der frühere US-Aussenminister schlägt Rückkehr zu den Grenzen vom 24. Februar 2022 vor. Er warnt vor modernsten Waffen.

upg. Vor acht Jahren las Henry Kissinger Russland die Leviten, warnte aber auch vor einer verhängnisvollen Politik des Westens. Er sah den Krieg kommen. Jetzt plädiert Kissinger für einen Waffenstillstand und warnt davor, Fehler des Ersten Weltkrieges zu wiederholen. Infosperber dokumentiert seinen Artikel, den er am 17. Dezember 2022 in «The Spectator» veröffentlichte.

Niemand wollte den Eindruck der Schwäche erwecken

Der Erste Weltkrieg war eine Art kultureller Selbstmord, der die Vorherrschaft Europas zerstörte. Die europäischen Staats- und Regierungschefs schlafwandelten – um es mit den Worten des Historikers Christopher Clark zu sagen – in einen Konflikt hinein, den keiner von ihnen angezettelt hätte, wenn sie die Welt am Kriegsende 1918 vorausgesehen hätten. In den vorangegangenen Jahrzehnten hatten sie ihre Rivalität durch die Schaffung zweier Bündnisse zum Ausdruck gebracht, deren Strategien durch ihre jeweiligen Mobilisierungspläne miteinander verbunden waren. So konnte 1914 die Ermordung des österreichischen Kronprinzen in Sarajewo (Bosnien) durch einen serbischen Nationalisten zu einem allgemeinen Krieg eskalieren. Er begann, als Deutschland seinen Allzweckplan, Frankreich zu besiegen, durch einen Angriff auf das neutrale Belgien am anderen Ende Europas umsetzte.

Die europäischen Nationen, die nur unzureichend damit vertraut waren, wie die Technologie ihre jeweiligen Streitkräfte verbessert hatte, fügten sich gegenseitig beispiellose Verwüstungen zu. Im August 1916, nach zwei Jahren Krieg und Millionen von Opfern, begannen die Hauptkriegsparteien im Westen (Grossbritannien, Frankreich und Deutschland) zu überlegen, wie das Gemetzel beendet werden könnte. Im Osten hatten die Rivalen Österreich und Russland vergleichbare Fühler ausgestreckt. Da kein denkbarer Kompromiss die bereits erbrachten Opfer rechtfertigen konnte und niemand den Eindruck von Schwäche erwecken wollte, zögerten die verschiedenen Führer, einen formellen Friedensprozess einzuleiten.

Daher ersuchten sie die Amerikaner um Vermittlung. Die Sondierungen von Colonel Edward House, dem persönlichen Gesandten von Präsident Woodrow Wilson, ergaben, dass ein Frieden auf der Grundlage eines modifizierten Status quo ante in Reichweite war. Wilson wollte zwar vermitteln, zögerte aber bis nach den Präsidentschaftswahlen im November. Doch bis dann hatten die britische Somme-Offensive und die deutsche Verdun-Offensive weitere zwei Millionen Tote gefordert.

Der Erste Weltkrieg dauerte noch zwei Jahre und forderte Millionen von Opfern, wodurch das Gleichgewicht in Europa unwiederbringlich gestört wurde. Deutschland und Russland wurden von Revolutionen zerrissen, Österreich-Ungarn verschwand von der Landkarte. Frankreich war ausgeblutet. Grossbritannien hatte einen grossen Teil seiner jungen Generation und seiner wirtschaftlichen Kapazitäten einem Sieg geopfert.

Der Strafvertrag von Versailles, der den Krieg beendete, erwies sich als weitaus brüchiger als die Struktur, die er ersetzte.

Vergleichbarer Wendepunkt in der Ukraine?

Befindet sich die Welt heute in der Ukraine an einem vergleichbaren Wendepunkt, da der Winter gross angelegte Militäroperationen in der Ukraine erschwert oder verunmöglicht? Ich habe wiederholt meine Unterstützung für die militärischen Bemühungen der Alliierten zum Ausdruck gebracht, um die russische Aggression in der Ukraine zu vereiteln. Aber es ist an der Zeit, die bereits erfolgten strategischen Veränderungen als Grundlage zu nehmen, um Frieden durch Verhandlungen zu erreichen.

Die Ukraine ist zum ersten Mal in der modernen Geschichte zu einem wichtigen Staat in Mitteleuropa geworden. Unterstützt von ihren Verbündeten und inspiriert von ihrem Präsidenten Wolodymyr Zelenskij hat die Ukraine die russischen konventionellen Streitkräfte, die Europa seit dem Zweiten Weltkrieg bedrohen, in die Schranken gewiesen. Und das internationale System – einschliesslich China – wehrt sich gegen die Androhung oder den Einsatz von Russlands Atomwaffen.

Dieser Prozess hat die ursprüngliche Frage nach der Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato in den Hintergrund treten lassen. Die Ukraine verfügt über eine der grössten und schlagkräftigsten Landstreitkräfte in Europa, die von den USA und ihrer Verbündeten ausgerüstet wurde. Ein Friedensprozess sollte die Ukraine in irgendeiner Form in die Nato einbinden. Die Alternative der Neutralität ist bedeutungslos geworden, insbesondere nachdem Finnland und Schweden der Nato beigetreten sind.

Waffenstillstands-Linie entlang der Grenzen vom 24. Februar

Aus diesem Grund habe ich bereits im Mai letzten Jahres empfohlen, eine Waffenstillstandslinie entlang der Grenzen einzurichten, an denen der Krieg am 24. Februar begann. Russland würde dann seine Eroberungen aufgeben, nicht aber das Gebiet, das es vor fast einem Jahrzehnt besetzt hatte, einschliesslich der Krim. Dieses Gebiet könnte nach einem Waffenstillstand Gegenstand von Verhandlungen sein.

Wenn die Vorkriegsgrenze zwischen der Ukraine und Russland weder durch Kampfhandlungen noch durch Verhandlungen erreicht werden kann, könnte der Rückgriff auf den Grundsatz der Selbstbestimmung erwogen werden. International überwachte Volksabstimmungen über die Selbstbestimmung könnten auf besonders geteilte Gebiete angewandt werden, die im Laufe der Jahrhunderte wiederholt den Besitzer gewechselt haben.

Das Ziel eines Friedensprozesses wäre ein zweifaches: die Bestätigung der Freiheit der Ukraine und die Festlegung einer neuen internationalen Struktur, insbesondere für Mittel- und Osteuropa. Letztendlich sollte Russland einen Platz in einer solchen Ordnung finden.

Gegen ein Vakuum in einem Russland voller Atomwaffen

Manche bevorzugen ein Russland, das durch einen fortgesetzten Krieg machtlos geworden ist. Dem stimme ich nicht zu. Trotz seiner Neigung zur Gewalt hat Russland über ein halbes Jahrtausend lang entscheidende Beiträge zum globalen Gleichgewicht und zur Machtbalance geleistet. Seine historische Rolle sollte nicht herabgewürdigt werden.

Russlands militärische Rückschläge haben seine globale nukleare Reichweite nicht beseitigt, die es ihm ermöglicht, mit einer Eskalation in der Ukraine zu drohen. Selbst wenn diese Fähigkeit abnimmt, könnte die Auflösung Russlands oder die Zerstörung seiner Fähigkeit zu strategischer Politik sein 11 Zeitzonen umfassendes Territorium in ein umkämpftes Vakuum verwandeln:

  • Seine konkurrierenden Gesellschaftsteile könnten ihre Streitigkeiten mit Gewalt beilegen wollen.
  • Andere Länder könnten versuchen, ihre Ansprüche mit Gewalt auszuweiten.

Diese Gefahren sind umso grösser, als Tausende von Atomwaffen Russland zu einer der beiden grössten Atommächte der Welt machen.

Risiken von hochtechnischen, mit KI ausgestatteten Waffen

Während sich die Staats- und Regierungschefs der Welt bemühen, den Krieg zu beenden, in dem zwei Atommächte gegen ein konventionell bewaffnetes Land antreten, sollten sie auch darüber nachdenken, welche Auswirkungen die aufkommende Hochtechnologie und künstliche Intelligenz auf diesen Konflikt und auf die langfristige Strategie haben. Es gibt bereits autonome Waffen, die in der Lage sind, ihre eigenen wahrgenommenen Bedrohungen zu definieren, zu bewerten und ins Visier zu nehmen, und die somit in der Lage sind, ihren eigenen Krieg zu beginnen.

Sobald die Grenze zu diesem Bereich überschritten ist und Hightech zur Standardwaffe wird – und Computer die Hauptausführenden der Strategie werden -, wird sich die Welt in einem Zustand befinden, für den sie noch kein etabliertes Konzept hat. Wie kann die Führung Kontrolle ausüben, wenn Computer strategische Anweisungen in einem Ausmass und in einer Art und Weise vorgeben, die den menschlichen Beitrag von Natur aus begrenzt und bedroht? Wie kann die Zivilisation inmitten eines solchen Strudels widersprüchlicher Informationen, Wahrnehmungen und zerstörerischer Fähigkeiten erhalten werden?

Es gibt noch keine Theorie für diese sich ausbreitende Realität, und es haben sich noch keine Beratungsbemühungen zu diesem Thema entwickelt – vielleicht, weil sinnvolle Verhandlungen neue Entdeckungen ans Licht bringen könnten, und diese Offenlegung selbst ein Risiko für die Zukunft darstellt. Die Überwindung der Diskrepanz zwischen fortschrittlicher Technologie und dem Konzept von Strategien zu ihrer Beherrschung oder gar dem Verständnis ihrer vollen Tragweite ist heute ein ebenso wichtiges Thema wie der Klimawandel, und es erfordert Führungspersönlichkeiten, die sowohl die Technologie als auch die Geschichte beherrschen.

Das Streben nach Frieden und Ordnung hat zwei Komponenten, die manchmal als widersprüchlich angesehen werden: das Streben nach Sicherheitselementen und die Forderung nach Versöhnungsakten. Wenn wir nicht beides erreichen können, werden wir auch keines von beidem erreichen. Der Weg der Diplomatie mag kompliziert und frustrierend erscheinen. Aber der Weg dorthin erfordert sowohl die Vision als auch den Mut, ihn zu beschreiten.

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Zwischentitel von der Redakaktion

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Grafikquellen        :

Oben      —    Henry Kissinger und Bundeskanzlerin Merkel im Deutschen Historischen Museum

Unten       —        ART zur Veröffentlichung Kapitän William Youl Arcuri, Fotos zur Verfügung gestellt von William Y. Arcuri, U.S. Air Force Kunst von 1SG Timothy Lawn Einheit: 205th Press Camp Headquarters DVIDS Stichworte: Lila Herz; KRIEGSGEFANGENER; Distinguished Flying Cross; Joint Chiefs of Staff; Vietnamkrieg; West Point; Hanoi; Kriegsgefangene; Hoa Lo Gefängnis; Kriegsgefangenenmedaille; Elefantenspaziergang; Präsident Richard Nixon; FAN; Hanoi Hilton; Nordvietnamesisch; Quilt 3; SAM-2 Boden-Luft-Raketen; Linebacker II; Anderson Air Force Base in Guam; B-52G Stratofortress; Mikojan-I-Gurewitsch Design Bureau (MIG) Kämpfer; US-Sicherheitsberater Henry Kissinger; 1972 Pariser Friedensgespräche; fliegende Telefonmasten; der 11-Tage-Krieg; Der Weihnachtsbombenanschlag; Sieg der Propaganda; US-Außenpolitik; Unterstützung bei der Aufstandsbekämpfung; 361. Luftverteidigungsdivision; Rolling Thunder Kapitel 6

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Krieg und Frieden

Erstellt von Redaktion am 9. Januar 2023

„SiegFrieden“ oder schnellstens Waffenstillstand?
Zur Eskalationslogik des Ukrainekrieges

Auch die heute lebenden Politiker-innen scheinen Unbelehrbar zu sein

Quelle        :     Berliner Gazette

Von Jürgen Link

Der aktuell alles beherrschende Krieg, der nicht nur ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist, sondern als inter-imperialer Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen auch zu einem small world war ausgewachsen ist, der nicht zuletzt als Wirtschaftskrieg geführt wird – dieser Krieg wird nicht zuletzt von einem Durchhaltediskurs getragen, wie Jürgen Link in seiner Analyse zeigt.

Der Grad der Eskalation ist zur Jahreswende 2022/23, nach knapp einem Jahr, durch einen angsteinflößenden „Winterkrieg“ auf dem Schlachtfeld in der Ukraine und im westlichen ‚Hinterland‘ durch wirtschaftliche Sorgen von epochalem Ausmaß gekennzeichnet. Schlimmer als die mediogenen Blackouts sind die anhaltenden täglichen Massaker am „Menschenmaterial“, aber auch am Klima. Wie Wolfgang Ischinger, heute strammer Bellizist, vor gar nicht langer Zeit zutreffend feststellte: „Ein großer Krieg, und die gesamten Klimaziele, die wir haben, können Sie alle einstampfen“ (zitiert nach WAZ 3.12.2019).

Ischinger hat damit nicht nur über sich selbst, sondern insbesondere über alle grünen Bellizistinnen das Urteil gesprochen. Denn jeder Tag dieses Krieges bringt auch die Klimakatastrophe rasch näher – so dass die schiere Länge des Krieges ein fundamentales Problem darstellt, das nicht mit Verweis darauf vom Tisch gewischt werden kann, dass Putin ihn zweifellos völkerrechtswidrig angefangen hat. Was die humanen Verluste angeht, so fehlen natürlich verlässliche Zahlen. Sicher ist nur, dass sie auf beiden Seiten entsetzlich sind (am 11.11. bezifferte der Generalstabschef der USA Mark Milley die Gesamtverluste an Toten und Verwundeten beider Seiten auf etwa je 100.000).

Ereignisgeschichte und Strukturgeschichte zusammendenken

Auch die im weiten Sinne juristischen Aspekte des Krieges, die im westlichen mediopolitischen Diskurs dominieren, sind demnach aktual historisch eingebettet in eine militärische, wirtschaftliche und diskursive Eskalationslogik, die es daher vor allem zu analysieren gilt. Das wirft das schwierige Problem auf, wie Ereignisgeschichte und Strukturgeschichte integriert zusammenzudenken wären – und das auch noch mitten im aktuellen Prozess. Zum einen wird der Krieg (zunächst vom mediopolitischen Diskurs, dann auch bereits von einem aktual geschichtlichen Essayismus) als eine Folge von Ereignissen vor und nach dem 24. Februar 2022 erzählt.

Ich beschränke mich auf die wichtigsten mit struktureller Eskalationsrelevanz:

Die Verkündigung der „Zeitenwende“ durch Kanzler Scholz am 27.2. wertet unter dem Stichwort „Sicherheit“ das militärische Teilsystem der Gesellschaft enorm auf und flankiert dominante Teilsysteme wie vor allem Wirtschaft (Sanktionen), Politik (Notstandsmaßnahmen) und Diskurs (Medien) mit militärischen Anforderungen.

Pentagonchef Lloyd Austin bildet am 26.4. in Ramstein offiziell die weitgehend geheim operierende (und von Geheimdiensten gemanagte) Ramstein-Koalition der Willigen aus zunächst 40 und dann mehr (teils unbekannten) Ländern unter Führung der USA und in Koordination mit der NATO. Gleichzeitig schwenkt die Führung der Ukraine von einer Strategie der von Volksresistenz unterstützten Defensive mit dem Ziel von baldigen Verhandlungen um auf eine Strategie der offensiven hoch professionellen Gegen-Eskalation mit dem Ziel eines „SiegFrieden“ nach Rückeroberung des gesamten Donbass und der Krim (erste Schritte dazu sind die Sommer-Gegenoffensive der Ukraine bei Cherson und Charkow, die Teilsprengung der Krimbrücke am 8.10. und die Ausweitung des Kriegs auf russisches Territorium durch Drohnenschläge).

Am 26.9. werden in der Nähe von Bornholm, also einem von der NATO kontrollierten Seegebiet, die Pipelines Nordstream 1 und 2 gesprengt. Nachdem zuerst Russland beschuldigt wurde, wurde das „Thema“ nach kurzer Zeit vollständig „aus den Schlagzeilen genommen“, was eher für eine von den USA patronierte ‚westliche‘ Aktion spricht. Völkerrechtlich handelt es sich in jedem Fall um einen überfallartigen, angriffskriegerischen Akt gegen Deutschland. Auf der Gegenseite greift Russland seit dem 17.10. massiv und kontinuierlich die energetische Infrastruktur der Ukraine an.

Dreieck struktureller Tendenzen

Diese Ereignisse – so war und ist die im folgenden zu explizierende These – entwickeln sich im Rahmen eines ‚Dreiecks‘ aus mittel- und langdauernden strukturellen Tendenzen, die bereits vor Putins Überfall auf die Ukraine virulent waren.

Erstens das sogenannte Great Decoupling, auch Deglobalisierung genannt, d.h. die wirtschaftliche Abkopplung der US-amerikanischen Hegemonialzone, also des Westens oder Westblocks, von einem neuen Ost-Block mit Hegemonie Chinas. Die militärisch begründeten Sanktionen gegen Russland eskalieren also strukturell das Decoupling. Wie schnell und wie radikal auch China sanktioniert werden soll, ist sowohl in den USA wie in Europa umstritten.

Zweitens eine maximalistische Tendenz, das Supermachtmonopol der USA nach dem Kollaps des alten Ostblocks durch NATO und eine Art NATO + (wie z.B. die Ramstein-Koalition) militärisch und politisch zu festigen und auszuweiten. Das impliziert eine sehr viel stärkere Führungsrolle der USA als seit Ende des alten Kalten Krieges. Diese maximalistische Tendenz, die in den Entscheidungseliten der USA nicht unumstritten ist, ist am deutlichsten durch das „Project for a New American Century (PNAC)“ und seine Nachfolgeinstanzen ausformuliert, sodass sich von einer Tendenz PNAC-NATO sprechen lässt.

Das strukturelle Ziel des PNAC ist explizit, das Supermachtmonopol der USA seit dem Kollaps der Sowjetunion zu bewahren und zu stärken, also die Emergenz einer erneuten zweiten Supermacht zu verhindern. Auf der Ebene der Ereignisse und der personalen Entscheider im Rahmen der Eskalation ist die jetzige US-Vizeaußenministerin Victoria Nuland, die die Verhandlungen zwischen den USA und der Regierung Selenski als graue Eminenz leitet, die Ehefrau des Gründers und Master Minds des PNAC, Robert Kagan. Die PNAC-Strategie im Ukrainekrieg erweist sich am deutlichsten im Kriegsziel „Die Ukraine muss siegen“ sowie „Russland muss offensivunfähig werden“. Dieses seit Ramstein durchgesetzte Ziel kann also als „SiegFrieden“ bezeichnet werden. Im ‚Hinterland‘, z. B. in Deutschland, entspricht ihm die Parole „schwere Waffen“.

Wer mit Händen redet zeigt an – wo es fehlt

Drittens schließlich das durch den Ukrainekrieg sehr gestärkte Projekt, die Anstrengungen zur Verhinderung einer Klimakatastrophe (symbolisch um das 1,5 Grad-Ziel der Pariser Klimakonferenz von 2015 herumkonstelliert) mit den ersten beiden Tendenzen möglichst eng zu integrieren. Dass dieses Ziel jedoch bis auf weiteres durch die Folgen des Sanktionsregimes ins groteske Gegenteil verkehrt ist, muss nicht ausgeführt werden. „Die Wirtschaft“, also die auf Profitabilität angewiesene kapitalistische Wachstumswirtschaft, fordert nicht bloß Subventionen aus Steuergeldern zum (sehr viel teureren) Ersatz der alten Lieferketten, sondern auch zur Kompensation ihrer verlorenen Rentabilitäten, also „Wumms“ und „Doppelwumms“, denen in den USA konkurrierende (!) „Trippelwummse“ entsprechen. All das aber ist ja „Protektionismus“ und „Staatseingriff in die Märkte“, ja geradezu „Autarkie“ und „Planwirtschaft“! Wir haben es, sollte diese Tendenz wirklich mittel- und langdauernd dominant werden, tatsächlich mit einer Art präventiver Kriegswirtschaft zu tun, die stets mit staatsmonopolistischen Dispositiven einhergeht.

Stand des Eskalationsprozesses

Der Stand des Eskalationsprozesses im „Winterkrieg“ lässt sich also etwa so resümieren:

Das militärische Teilsystem testet die Stufen knapp unterhalb der Atomschwelle aus. Test ist wörtlich zu verstehen: Beide Seiten erproben nicht zuletzt die digitalen Drohnenwaffen der Zukunft. Die USA streben dabei nach Möglichkeit ein Monopol der modernsten Waffen an. Die westliche „SiegFrieden“-Strategie testet dabei die „Optionen“ Russlands unterhalb der nuklearen.

Das wirtschaftliche Teilsystem testet den „Wirtschaftskrieg“ (Jasper von Altenbockum, FAZ 5.12.2022). Damit wird aber auch das politische System getestet: Jeder Kriegszustand ist gleichzeitig der höchste Grad von Notstand. Äußerer Krieg und inneres Ermächtigungsregime sind reziprok gekoppelt. Alle bisherigen Kriege, auch die in parlamentarisch-repräsentativen Demokratien, wurden notständisch und ermächtigungspolitisch geführt, was die weitgehende Suspension demokratischer Verfahren und Rechte zur Folge hatte (zu beobachten derzeit in der Ukraine, falls man sie nicht wie Russland als „autokratisch“, sondern als „demokratisch“ einordnen will).

Man sollte sich in diesem Kontext an die mit Scholzens »Zeitenwende« parallele ominöse Proklamation Stoltenbergs eines kriegerischen »New Normal« erinnern (nach Spiegel 26.2., S. 15). Die Corona-Dispositive könnten bereits als Blaupause für notständische Ermächtigungen bei weiterer Eskalation dienen.

Schließlich sind Waffen- und Wirtschaftskrieg seit jeher auf einen Diskurskrieg angewiesen, der die „Stimmung“ der Massen betrifft, bei der es sich im Falle eines längeren Kriegs vor allem um eine Stimmung des „Durchhaltens“ handelt. Die wichtigsten Instrumente des Diskurskriegs sind bekanntlich die hegemonialen Massenmedien. Deren wichtigste Diskurswaffe ist der binäre Reduktionismus, also die ‚Einordnung‘ aller Ereignisse, Ansichten, Personen, Äußerungen in ein binär reduziertes Sagbarkeits- und Sichtbarkeitsfeld, das durch radikale Polarisierung zwischen „Wir“ und „Die“ gekennzeichnet ist. Der diskursive ‚Zwischenraum‘ zwischen den Polen wird zu einer Zone des Tabus. Entsprechend wir eine Ansicht, die ‚weder-noch‘ impliziert, „letztendlich“ dem Gegenpol zuzuordnen.

Gegen den „Durchhalte“-Diskurs

Ein Beispiel für die Diskurswaffe des binären Reduktionismus: Die historische Analogie Putin = Hitler, mit Ukraine 2022 = Polen 1939 , (angebliches) ‚deutsches Zaudern‘ = Appeasement 1930er Jahre, Chamberlain/Daladier = Schröder/Steinmeier/Merkel. Es geht dabei diskursanalytisch sowohl um Kollektivsymbolik (Hitler und Putin als Allegorien des historisch Extrem-Bösen) wie äußerst schiefe Strukturanalogien (was hätte ein Hitler mit Atomwaffen strukturell bedeutet?). Jedenfalls funktioniert die Analogie heute binär reduktionistisch: Verhandlungen? Waffenstillstand? Alles = Appeasement, also = Hitler, also = Putinversteherei. Zu diesem binären Reduktionisms gehört auch die Nötigung zu einem polaren Freundbild: Wolodymyr Selenskyj als makellos humane Heldenfigur.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass alle diskurstaktischen Mittel zu nutzen sind, um den vom binären Reduktionismus tabuierten Raum der Sag- und Sichtbarkeit ‚zwischen‘ den beiden Polen zu befreien. Das betrifft vor allem die Sagbarkeit der Forderung nach sofortigen Verhandlungen für einen Waffenstillstand. Angeblich kann man mit einem Kriegsverbrecher wie Putin nicht verhandeln. Das ist ein leicht durchschaubarer Vorwand zwecks Verlängerung des Kriegs im Sinne des PNAC-Konzepts. Aber je schlimmere Kriegsverbrechen sich ereignen, umso schneller muss doch ein Waffenstillstand kommen, der sie beendet. Juristische Verfolgung, Grenzfragen und Reparationen wären dabei auf spätere Friedensverhandlungen zu verschieben.

Was kann die Diskurstheorie zur Befreiung der tabuierten ‚Zwischenzone‘ beitragen? Besonders empfehlenswert sind die Mittel der Satire, wofür Karl Kraus im Ersten Weltkrieg das große Vorbild bleibt. Aber auch viele sogenannt spontane Witze zeigen, dass, wie Berthold Brecht formulierte, auch das Volk keineswegs „tümlich“ ist: momentan vor allem durch das Verfahren der satirischen Hyperbel, etwa der satirischen Überbereitschaft, mittels allerhand grotesker Ideen Energie zu sparen. Der binäre Reduktionismus versucht, deeskalierende Sagbarkeit dadurch zu zerstören, dass sich Putin angeblich über entsprechende Diskurse „ins Fäustchen lacht“: Verhandlungen? Appeasement! – da lacht sich Putin ins Fäustchen! Das lässt sich umdrehen, wie ich es in einer Baerbock-Satire versucht habe (in Heft 83 der kultuRRevolution).

Auf diese Weise können die ernsthaften Argumente für Verhandlungen durch Sabotage an der Durchhaltestimmung gestärkt werden. Das unterstützt durchaus auch den zivilgesellschaftlichen Widerstand in der Ukraine, soweit er auf das Entgegenkommen eines zivilgesellschaftlichen Widerstands in Russland mit dem Ziel des Sturzes der dortigen Kriegsregierung zielt (Information über die Massaker, Stimulation von Desertion usw.). Die „SiegFrieden“-Strategie steht all dem diametral entgegen und stärkt den nationalistischen Bellizismus und damit auch den „Durchhalte“-Diskurs aller Seiten genau wie 1914.

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Grafikquellen     :

Oben       —     In Leo Tolstois Roman Krieg und Frieden beschreibt er die Artilleriebatterie des fiktiven Hauptmanns Tuschin in der Schlacht bei Schöngrabern, es ist unklar, wie eng Tolstois Version der Schlacht mit dem historischen Geschehen zusammenhängt.

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Fordern ohne zu Liefern ?

Erstellt von Redaktion am 8. Januar 2023

Deutschland zum Jahreswechsel – von Böllern bedroht?

 

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      : Renate Dillmann

Forderung nach härteren Strafen und besserer Ausrüstung der Polizei. Das fängt ja gut an. Während die Berichterstatter der Nation im Rest der Welt Silvesterfeiern mit „berauschendem Feuerwerk“, ausgelassener Stimmung am Big Ben, der Copa Cabana und New York sehen, macht der Blick ins eigene Land ihnen schon wieder Sorgen.

So berichtet die Tagesschau am Neujahrstag gleich in ihrer ersten Meldung, dass Ordnungskräfte, Rettungsdienste, Feuerwehren und Straßenreinigung es zur Jahreswende „mal wieder“ und zugleich „so schwer wie noch nie“ hatten!

Als ob die Staatsmacht nicht schon 364 Tage und Nächte genug zu tun hätte im endlosen Kampf gegen das Böse, gegen Extremisten, Terroristen, Spione, Islamisten, Faschisten, Kommunisten, Anarchisten, Chaoten, Clans, Kriminelle, Illegale, Irre im Inland und beim Export ganz anderer Böller und Raketen in alle Welt (zur Bewahrung von Frieden und Freiheit natürlich) nun auch noch das.

Das Volk böllert am 365. Tag – ohne heißen Herbst wohlgemerkt und bei 15 Grad plus zu Silvester – trotz lokaler Feuerwerks-Verbote und Klimawandel wild drauf los! Schlimmer noch: Die „Ordnungskräfte“, medial verkörpert durch die Feuerwehr, nicht durch die Polizei, berichten von zahlreichen Angriffen auf die „Helfer“.

Zwar fehlt es an jeglichen Beweisen für die unsagbare Brutalität, die ansonsten stets zumindest durch Amateuraufnahmen belegt werden kann (die „Tagesschau“ suggeriert durch den Schnitt ihrer Bilder tatsächlich, dass Feuerwehr beim Löschen eines Hausbrands behindert wurde, während die „junge Welt“ von „brennenden Mülltonnen“ berichtet), aber das Urteil steht fest: Grundlos und wider aller Vernunft greifen in deutschen Großstädten unbestimmte Subjekte jene Kräfte an, die ihnen doch nur helfen wollen!

Eine Erfindung der Presse? Oder Propaganda der zunehmend von AfD und Nazis unterwanderten Berufsvereinigungen von Polizei und insbesondere der Feuerwehr? Mag sein. Und wenn nicht?…

Dann hätte eine um Aufklärung bemühte Presse zumindest die Aufgabe zu ermitteln, wie es zu dieser vermeintlich irrationalen Wut auf die Ordnungskräfte kommt. Anhaltspunkte gäbe es ja:

1. Eine zunehmend grosse Zahl angestammter, sowie zugezogener und geflüchteter, in jedem Fall aber verachteter armer Teufel, die sich sinn- und zwecklos an einer Ordnung (ab)arbeiten, die ihnen kein materielles Zurechtkommen, keine Familie, keine gesellschaftliche Anerkennung und kaum eine gesellige Zusammenkunft gewährt.

2. Die erzwungene Ergebenheit braver Knechte gegenüber den „Sachzwängen“ einer Nation der steigenden Preise, Renditen und Ansprüche gegen jene, die das Privileg eines Arbeitsplatzes im Menschenrechts Paradies Deutschland genießen.

3. Die kleine kompensatorische Hoffnung, wenigstens nach vollbrachter Dienstbarkeit am Ende des Jahres (ziemlich grund- und sinnlos übrigens!) einmal ein Recht auf Krach, ein Recht auf Ausgelassenheit und ein Recht auf die Straße zu haben, in der man sonst als Paketzusteller, Bettler, Putzfrau, Müllmann und Taugenichts existiert und wahrgenommen wird. Und in der einen die Polizei auch am Silvesterabend als Problem einstuft und vorsorglich in Mannschaftsstärke aufmarschiert.

4. Vielleicht auch die „Testosteron gesteuerten Party People“, die die Gelegenheit nutzen, einmal im Beisein des weiblichen Publikums den eigenen Mut und die Kampfbereitschaft jenseits allen Klassenbewusstseins unter Beweis zu stellen…

All das böte reichlich Stoff, nachzufragen und über Ursachen nachzudenken, wenn man der vermeintlich grundlosen Aggressivität (so sie denn überhaupt so wie behauptet stattgefunden hat) auf die Spur kommen wollte.

Die Presse lässt sich allerdings nicht beirren: Es braucht keine Aufklärung über die Fakten und schon gleich keine (soziologische) Ursachenanalyse für die einseitige und ungeprüfte Beschuldigung. Was die Nation stattdessen braucht, ist klar: Der Rechtsstaat kann „solche Formen der Verrohung von Gewalt nicht hinnehmen“ (Nancy Faeser, Tagesschau vom 2.1.): Die Konsequenzen heißen härtere Strafen, bessere Ausrüstung der Polizei (nicht der Rettungsdienste – oder kriegen die Sanitäter jetzt mehr Geld, kürzere Einsatzzeiten und bessere Ausrüstung?!) und überhaupt mehr innere Sicherheit.

Das BILD von der „notorisch bedrohten Nation“ gehört bekanntlich zu den alltäglichen Kontinuitäten der öffentlichen Berichterstattung vor und nach 1945 im Reich der Dichter und Henker, also mit und ohne Gleichschaltung ihrer Presseorgane. Das gilt für den letzten Tag des alten Jahres wie den Start ins neue…

Na dann, Prosit Neujahr!

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquellen          :

Oben        —   Feuerwerksverkauf in Berlin-Marzahn

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Der Maidan in Kiew 2014

Erstellt von Redaktion am 7. Januar 2023

«Ohne Hilfe der USA hätte es keinen Staatsstreich gegeben»

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Red. /   Kein westliches Land hätte einen solchen Gewalt-Aufstand wie auf dem Maidan toleriert, sagte der damalige Ministerpräsident Asarow.

upg. Als Grund für die wochenlangen Unruhen im Jahr 2013/14 auf dem Maidan in Kiew wird immer wieder folgendes Narrativ erzählt: Der damalige Präsident Janukowitsch habe sich unerwartet geweigert, das mit der EU ausgehandelte Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Das habe eine spontane Protestbewegung ausgelöst. Als sich die Lage zuspitzte, hätte sich dann das westliche Ausland eingemischt, um die demokratischen Kräfte zu unterstützen.
Premierminister war damals Nikolai Asarow. Er war vier Jahre lang bis zu seinem Rücktritt Ende Januar 2014
 Regierungschef – und damit der am längsten regierende Premierminister der unabhängigen Ukraine. Asarow widerspricht dem westlichen Narrativ. Er lebt heute in Moskau und erarbeitet in einem «Komitee zur Rettung der Ukraine», das in Opposition zur derzeitigen Regierung in Kiew steht, politische Vorschläge für die Zukunft der Ukraine. Wir dokumentieren im Folgenden ein Interview, das der Journalist Stefan Korinth im November 2016 mit Asarow über den genauen Hergang aus dessen Sicht führte.

Herr Asarow, wir sprechen heute [2016], zum dritten Jahrestag des Maidanbeginns. Auslöser der Proteste damals war ja die Ablehnung des Assoziierungsabkommens durch Sie und Präsident Viktor Janukowitsch. In deutschen Medien hiess es damals immer, Sie hätten das Abkommen überraschend abgelehnt. In den Medien wurden auch selten Gründe genannt. Könnten Sie für das deutsche Publikum die Ablehnungsgründe nochmal genau erläutern?

Nikolai Asarow: In den westlichen Medien ist diese Frage sehr wenig objektiv betrachtet worden. Bitte beachten Sie, dass das Assoziierungsabkommen bereits 2012 paraphiert worden war. Das heisst, die Vereinbarung war im Prinzip fertig, zwei Jahre, bevor der Maidan passierte. Daraus folgt die einfache Frage: Warum wurde das Abkommen 2012 oder 2013 nicht unterschrieben, wenn es denn fertig war? Der Grund dafür ist, dass die Europäische Kommission die Unterzeichnung des Abkommens von der Freilassung Julia Timoschenkos abhängig gemacht hat. Und die ukrainische Seite war unzufrieden mit den im Abkommen festgehaltenen Ergebnissen zum Freihandel.

Das Freihandelsabkommen zwischen der Ukraine und der EU sollte im Prinzip zeitgleich mit einem Freihandelsabkommens zwischen der Ukraine und Russland in Kraft treten. Das hätte bedeutet, dass die ukrainischen Grenzen auf beiden Seiten offen gewesen wären für Waren, Dienstleistungen und Kapital. Das führte zu einem Konflikt zwischen Russland, der Ukraine und der EU, mit dessen Lösung wir uns beschäftigen mussten.

Diese Verhandlungen haben sich sehr, sehr schwierig gestaltet. Sie müssen sich das so vorstellen, dass wir die Fragen am Anfang jeweils bilateral besprochen haben. Das heisst, wir sind nach Brüssel gefahren, haben dort gesprochen. Danach sind wir nach Moskau gefahren und haben dort gesprochen. Und nachdem diese Gespräche nichts gebracht haben, weil auf beiden Seiten keine Einigung erzielbar war, habe ich den Vorschlag gemacht: «Egal wo, aber lasst uns zu dritt zusammensitzen und das klären.»

«Die EU hat dreiseitige Gespräche komplett abgelehnt»

Und erst im September 2013 hat Russland solchen trilateralen Gesprächen überhaupt zugestimmt. Obwohl es schon nicht einfach war, Russland zu einem dreiseitigen Treffen zu bewegen, hat es die EU aber komplett abgelehnt, und gesagt: «Das ist kein Thema, was einem dreiseitigen Gespräch zusteht. Das ist eine Sache nur zwischen der Ukraine und Europa!»

In dieser Zeit hat sich ein Handelsbilanzdefizit von elf Milliarden im Handel zwischen der Ukraine und Europa ergeben. Das heisst die ukrainischen Importe waren um elf Milliarden höher als die Exporte nach Europa. Uns war klar, dass wir in dem Moment, wo wir die Grenzen für Waren und Dienstleistungen öffnen, sofort mit der hohen wirtschaftlichen Entwicklung der westlichen Unternehmen konkurrieren müssen.

Deswegen haben wir uns an die EU gewendet und darum gebeten, Unterstützung für die Modernisierung unserer Wirtschaft zu bekommen. Damit wir auf mittlere Sicht zumindest konkurrenzfähig im Freihandel mit Europa werden können. Und wir hatten Hoffnung, dass diese Frage positiv beschieden wird. Aber an dieser Stelle gab es eben keine Einsicht und auch keine Unterstützung.

Ich würde gern noch zwei, drei Gedanken zum Inhalt dieses Assoziierungsabkommens anbringen.

Bitte

Das, was wir in Wahrheit nach Europa exportieren können, sind zum grossen Teil Agrarprodukte. Aber ausgerechnet diese Produktkategorien wollte die EU sehr limitieren durch Einfuhrquoten. Ein Beispiel: Als wir die Gespräche mit Europa begonnen haben, war die Quote für die Einfuhr von Getreide in die EU 20’000 Tonnen. Im Verlauf der Gespräche habe ich es geschafft, dass wir die Quote zumindest auf 200’000 Tonnen erhöhen konnten. Aber die Ukraine produziert mehr als 60’000’000 Tonnen. Und das potenzielle Volumen, das die Ukraine exportieren könnte, sind 30 ’000’000 Tonnen. Die Frage, die sich für mich natürlich gestellt hat, ist: «Was ist das für ein Freihandelsabkommen, wenn gerade das, was wir exportieren können, sich nicht exportieren lässt, weil man es durch Quoten sehr stark begrenzt?»

Oder wir hätten mehr als 1’000’000 Tonnen Fleisch in die EU liefern können. Und man hat uns eine Quote von 20’000 Tonnen zugestanden. Wir wären auch in der Lage gewesen, ein grosses Volumen an Stahl zu exportieren. Die Produkte des Maschinenbaus, die wir unter Umständen auch hätten exportieren können, die waren natürlich limitiert und reglementiert durch die technischen Normen der EU, die nicht identisch waren mit denen der Ukraine.

Prime Minister of the Russian Federation Dmitry Medvedev and Prime Minister of the Ukraine Nikolay Azarov

Aus diesen ganzen Punkten heraus hat sich Ende 2013 die Meinung manifestiert, dass der ökonomische Teil des Assoziierungsabkommens in der derzeitigen Form für die Ukraine nicht vorteilhaft gewesen ist. Aber ich unterstreiche nochmal: Alle Gespräche sowohl mit der EU als auch mit Russland wurden vertraulich geführt. Nichts davon ist an die Medien durchgesickert. Wir haben darauf gehofft, irgendwie einen Kompromiss zu finden.

Aber im November 2013: Was hatten wir damals vom Gipfeltreffen mit der EU? Die finanzielle Hilfe für die Modernisierung der ukrainischen Wirtschaft wurde abgelehnt. Die Erhöhung der Quoten wurde abgelehnt. Ein Überbrückungskredit wurde ebenfalls abgelehnt. Daher hat sich für uns die Frage gestellt, die Unterschrift zu verschieben, bis wir die eben benannten Probleme mit einem Kompromiss gelöst haben.

Diesen Moment hat man zur Vorbereitung eines Staatsstreichs genutzt. Auf der diplomatischen Ebene hat Barroso [damals EU-Kommissionspräsident] sehr klar gesagt: «Wenn ihr das nicht unterschreibt, wird es ein anderer Präsident und ein anderer Premierminister unterschreiben.» Ich glaube, dass diese Aussage sehr deutlich unterstreicht, welches Machtverhältnis zwischen der EU und der Ukraine damals existierte.

Aufarbeiten der Geschichte

upg. Ein Krieg darf nicht davon abhalten, die Vorgeschichte zu analysieren. Die Nato unter Führung der USA war für den 20-jährigen Angriffskrieg gegen Afghanistan verantwortlich, der eine Viertel Million Tote forderte. Präsident George W. Bush und seine Koalition der Willigen waren für den Angriffskrieg gegen den Irak, der über eine halbe Million Todesopfer forderte, verantwortlich. Wenn Historiker die Vorgeschichten analysieren und sich fragen, ob diese Kriege vielleicht hätten verhindert werden können, stellen sie damit die Verantwortung der Kriegsführenden nicht in Frage. Auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat eine lange Vorgeschichte. Über sie gilt es – aufgrund der heutigen Quellenlage – ebenfalls zu informieren, ohne die Verantwortung Russlands für den Krieg in Frage zu stellen.

Bevor wir zum Maidan kommen, wollte ich noch kurz beim Abkommen bleiben und einmal genauer zu den Interessen nachfragen. Sie haben gerade geschildert, dass die wirtschaftlichen Aspekte des Vertrages nicht so vorteilhaft für die Ukraine waren. Aber was waren denn dann die Vorteile, die sie sich die ukrainische Staatsführung von diesem Vertrag erhofft hat? Denn auch eine Beitrittsperspektive enthielt das Abkommen ja explizit nicht.

Das stimmt. Wir haben eigentlich über die gesamten vier Jahre lang immer wieder die Frage über eine langfristige EU-Mitgliedschaft der Ukraine auf die Tagesordnung gesetzt. Das wurde aber kategorisch abgelehnt. Und es ist richtig, im Abkommen selbst gibt es keinerlei Hinweis auf eine langfristige Beitrittsperspektive.

Aber was haben wir trotzdem als Vorteile gesehen? Erstens habe ich sehr viele Chancen gesehen, die Assoziierung mit der EU zur Modernisierung der ukrainischen Wirtschaft zu verwenden. Wir wollten im Prinzip über das Abkommen europäische Investitionen ins Land holen und mit Hochtechnologie unsere Wirtschaft modernisieren. Wir sind davon ausgegangen, dass der Wettbewerb zwischen ukrainischen und europäischen Unternehmen mittel- und langfristig zu positiven Strukturveränderungen in der ukrainischen Wirtschaft führt.

Aber der wesentliche Teil des Assoziierungsabkommens war auf Rechtssicherheit und die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Wirtschaft ausgerichtet. Insbesondere in der Frage der Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit haben wir grosse Hoffnungen auf dieses Abkommen gesetzt, besonders die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit von der Exekutive um- und durchzusetzen. Die Umsetzung aller europäischen Normen angefangen von der Meinungsfreiheit über Menschenrechte mit dem Ziel einer demokratischen Gesellschaft.

Also wir haben in der Assoziierung mit der EU sowohl die Möglichkeit gesehen, uns gesellschaftspolitisch weiterzubilden und an europäische Normen anzunähern als auch das Potenzial zur wirtschaftlichen Modernisierung. Leider haben wir uns da tiefgreifend geirrt.

«Ich habe immer gesagt: Die Ukraine ist ein neutraler Staat»

Welche Interessen hat die EU denn Ihrer Meinung nach mit dem Vertrag verfolgt?

Heute ist das vollkommen klar. Das Hauptziel der europäischen Politiker war die Umsetzung amerikanischer Vorgaben, um alles zu unternehmen, dass die Ukraine geopolitisch nicht in die euro-asiatische Zollunion Russland-Kasachstan-Weissrussland eintritt. Und insbesondere die Verbindung zwischen der Ukraine und Russland zu schwächen. Und damit auch indirekt einen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland zu begründen.

Ich habe auf meinen Treffen mit den europäischen Führungsspitzen oft die Frage gestellt: «Warum braucht ihr das?» Ich habe nie eine Antwort bekommen. Ich habe immer gesagt: Die Ukraine ist ein neutraler Staat. Ein Staat, und das habe ich immer zum Ausdruck gebracht, der sehr gute Beziehungen haben sollte zu Europa genauso wie zu Russland. Und wir hatten weder das Ziel in die Nato einzutreten noch in einen Militärpakt mit anderen Staaten gegen Russland.

Vor uns stand die riesengrosse Aufgabe, die Modernisierung der ukrainischen Wirtschaft voranzutreiben und deshalb sollte die politische Seite auch eigentlich eher im Hintergrund sein. Ich bin heute nach den vergangenen drei Jahren, in denen wir real die Entwicklungen haben mitverfolgen können, aber umso mehr überzeugt, dass besonders die Aussenpolitik der EU alles andere als unabhängig gewesen ist.

Sie haben ja gerade schon angedeutet, dass es militärische Regelungen in dem Abkommen gab …

… nein, es gab keine Paragrafen für militärische Zusammenarbeit.

Es ist aber in mehreren Artikeln des Vertrages [Artikel 7, 10 und 13] die Rede von «gemeinsamer Sicherheits- und Verteidigungspolitik», von gemeinsamer Terrorabwehr und militärischer Zusammenarbeit mit der EU.

Das sind allgemeine Themen. Terrorismusbekämpfung – ja. Aber militärische Zusammenarbeit im klassischen Sinne – nein.

Also es hat definitiv keine militär-politischen Absichten in dem Abkommen gegeben?

Nein.

«Diese Leute haben die Wirtschaft komplett zugrunde gerichtet»

In Ihrem Buch «Die Wahrheit über den Staatsstreich* schreiben Sie, dass Sie «die Ukraine nach Europa führen» wollten. Nun hiess es im Westen immer, Sie seien «pro-russisch». Wie passt das denn zusammen?

Ich war nie ein pro-russischer Politiker, wenn man «pro-russisch» so definiert, dass ich irgendwelche Vorgaben aus Russland umgesetzt habe. Heute sagt man, dass die, die jetzt an der Macht sind, «pro-westlich»-orientierte Politiker sind. Und die, die weggeräumt worden sind, hat man als «pro-russisch» dargestellt. Das ist grundfalsch.

Diejenigen, die jetzt an der Macht sind, führen die Ukraine sicherlich nicht nach Europa, sondern werfen sie viele Jahre in ihrer Entwicklung zurück. Wenn nach Europa, dann in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Diese Leute haben die Wirtschaft komplett zugrunde gerichtet. Während meiner Zeit als Premierminister lag das durchschnittliche Einkommen bei 500 Dollar, die durchschnittliche Rente bei 200 Dollar und die Preise für Grundnahrungsmittel und Dienstleistungen waren fünf- bis sechsmal niedriger als in Europa. Das heisst die Kaufkraft der 500-Dollar-Einkommen muss man, um sie mit Europa zu vergleichen, mit fünf multiplizieren.

Und heute ist das Durchschnittseinkommen auf 120 Dollar und die Renten auf 30 bis 40 Dollar gesunken. Die Preise aber sind drei- bis viermal höher als früher. Zeigen Sie mir nur ein europäisches Land, in dem vergleichbar niedrige Einkommensverhältnisse herrschen. In welchen Ländern sind rechtsradikale Parteien an der Macht und wo herrscht eine derartige Medienzensur vor wie in der heutigen Ukraine? In welchen europäischen Ländern sind Bücher und Filme verboten? Die, die heute an der Macht sind, führen definitiv keine pro-westliche Politik. Es sind, einfach ausgedrückt, Diebe und Gauner.

Ich war immer beeindruckt vom Lebensniveau in westlichen europäischen Ländern. Deshalb habe ich alles unternommen, um die Ukraine näher an westliche Standards und an das westliche Lebensniveau heranzuführen. Ich habe zum Beispiel während meiner Amtszeit erstmals in der Ukraine eingeführt, dass alle Pharmazieprodukte der GMP entsprechen müssen – der Good Manufacturing Practice, dem europäischen Standard für pharmazeutische Produkte. Ich hatte auch vor, das in allen anderen Zweigen der Wirtschaft einzuführen.

Aber man muss im Hintergrund verstehen, dass Russland trotzdem unser grösster Wirtschafts- und Handelspartner war. Deswegen war es für uns existenziell, gute nachbarschaftliche Beziehungen zu Russland zu pflegen. Russland hat uns grosse Mengen an Öl, Gas und andere Energieträger zur Verfügung gestellt. Und historisch gesehen, haben wir mit Russland eine sehr stark gemeinschaftlich-integrierte Wirtschaft. Über die gemeinsamen Energieleitungen hat uns Russland in den kalten Wintern grosse Mengen an Energie zur Verfügung gestellt. Deswegen war es strategische Aufgabe jeder unserer Regierungen, gute nachbarschaftliche Beziehungen zu Russland zu pflegen. Und darin besteht auch die zum Ausdruck gebrachte «pro-russische» Haltung unserer Regierung.

Was war denn aus Ihrer Sicht Russlands Interesse in diesen Dreier-Verhandlungen gewesen, wenn es dazu gekommen wäre?

Die Interessen Russlands sind in dieser Hinsicht einfach und transparent. Durch die Ukraine gehen die Erdöl- und Erdgasleitungen nach Europa. Über diese deckte Westeuropa damals mehr als 30 Prozent seines Gasbedarfs. Durch die Ukraine gehen auch die Hauptinfrastrukturträger Russlands nach Europa: Schiene, Strasse, Telekommunikation. Die wichtigsten eisfreien Häfen liegen am Schwarzen Meer.

Die Ukraine war für Russland das Haupttransitland. Die Ukraine war auch der Hauptabsatzmarkt russischer Produkte. Wir haben in Russland Waren im Wert von mehr als 30 Milliarden Dollar eingekauft. Deswegen war für Russland wichtig, dass die Ukraine ein freundschaftlich gesinntes und stabiles Land bleibt. Und das ist auch wichtig für die gemeinsamen Beziehungen zwischen der Ukraine Europa und Russland.

«Ab dieser Nacht hat der Staatsstreich begonnen»

… Dann kommen wir zum Maidan. Sie haben ja damals im Regierungsviertel das alles aus nächster Nähe mitbekommen. Wie haben Sie denn persönlich die ersten Tage und Wochen des Maidan erlebt? War da schon abzusehen, dass das was Grösseres wird?

Die Demonstrationen haben am 21. November 2013 angefangen. Das waren im Prinzip friedliche und relativ kleine Demonstrationen. An manchen Tagen haben sich da bis zu tausend Leute zusammengefunden und hauptsächlich waren das Studenten. Diese Situation war ungefähr bis zum 28. November so, also bis zu dem Moment, als Präsident Janukowitsch am 28. November in Vilnius abgelehnt hat, das Assoziierungsabkommen zu unterschreiben. An diesem Tag hat das Aktionskomitee der Studenten offiziell die Entscheidung getroffen, die Proteste zu beenden.

In der Nacht vom 29. auf den 30. November sind nicht mehr als 50 bis 100 Demonstranten auf dem Platz der Unabhängigkeit gewesen. Wobei der grössere Teil derjenigen schon keine Studenten mehr waren, sondern ältere Zugereiste aus der Westukraine. Und genau ab dieser Nacht hat der Plan zum Staatsstreich begonnen.

Stellen Sie sich einfache Fragen: Wie konnten auf dem Platz der Unabhängigkeit um 4 Uhr nachts mehr als zehn Kamerateams nationaler und internationaler Medien, insbesondere polnischer Medien, sein? Das heisst, sie haben gewusst, da wird etwas passieren. Wenn sie um 4 Uhr morgens Kameras bereithalten und aufbauen, macht man das normalerweise nur, wenn man einen guten Hinweis darauf hat, dass irgendwas passiert.

Ungefähr um halb 5 Uhr morgens kamen aus Richtung Hotel Ukraina rund 100 Leute zum Maidan hinunter – Vertreter des radikalen Rechten Sektors, bewaffnet mit Eisenstangen und Schlagstöcken. Und die haben angefangen, auf die wenigen Polizisten auf dem Platz einzuschlagen. Auf dem Platz lief ständig eine Kamera der Polizei, deshalb ist das aufgenommen worden. Ich habe diese Aufzeichnungen auch selbst gesehen. Diese Kämpfer des Rechten Sektors gingen mit glühenden Stöcken, die sie zuvor in den brennenden Mülltonnen angesengt hatten, auf die Polizisten los und versuchten, ihnen diese in die Gesichter zu stechen. Die Polizisten haben Verstärkung angefordert. Und es ist ein Spezialkommando der Berkut gekommen. Und die haben angefangen, diese 100 Kämpfer auseinanderzutreiben. In dem Zusammenhang sind auch die vertrieben worden, die ursprünglich im Zeltlager waren. In diesem Moment haben alle ukrainischen und europäischen TV-Sender angefangen zu filmen und zeigten diese Sequenz dann alle halbe Stunde im Fernsehen.

Und dann sind natürlich Bilder um die Welt gegangen, von Leuten mit eingeschlagener Nase und Blut im Gesicht, um in diesem Moment eine Stimmung zu erzeugen. Es ist alles so dargestellt worden, wie ein abscheulicher und zu verurteilender Gewaltexzess der Polizisten gegen Demonstranten. Und niemand hat die Bilder von den Provokateuren gezeigt, die diesen Konflikt begonnen haben.

In den Medien wurden Aufrufe verbreitet, zum Maidan zu kommen und die Gebäude des Präsidenten und weitere Regierungsgebäude zu besetzen. In diesem Moment hat der Prozess der bewaffneten Machtergreifung angefangen. Die Polizisten waren nicht mit Schusswaffen ausgerüstet, deshalb ist es den radikalen Demonstranten gelungen, alle wesentlichen Gebäude zu blockieren, wie das Rathaus und die Präsidentenadministration. Besetzt war auch das Gewerkschaftsgebäude. Trotz dieser klaren Verletzung aller Verfassungsnormen und Gesetze hat Präsident Janukowitsch keine Massnahmen ergriffen, diese Demonstranten gewaltsam auseinanderzutreiben.

In diesen Tagen haben die radikalen Kräfte am Maidan Barrikaden aufgebaut. Diese Kämpfer haben auch die friedlichen Demonstranten benutzt, um aus deren Schutz heraus mit Molotow-Cocktails und Steinen auf Polizisten zu werfen. Im Rathaus war ein Verhörzentrum, wohin gefangengenommene Sicherheitskräfte gebracht wurden oder auch Leute, die sie als Spione betrachtet haben. Es war völlig offensichtlich, dass ein Szenario der Machtübernahme in Gang gesetzt worden war.

Ich hatte die Botschafter der EU-Länder und den amerikanischen Botschafter eingeladen. Ich konnte sie nicht ins Regierungsgebäude einladen, denn es war blockiert von den Maidankämpfern. Deswegen hat dieses Treffen im Aussenministerium stattgefunden.

Ich habe ihnen Bilder gezeigt, insbesondere von diesen Provokateuren. Ich habe Beispiele gezeigt und gesagt: «Meine Herren Botschafter, Ihr habt einen grossen Einfluss auf Eure Länder und auf die militanten Demonstranten. Ruft sie zur Ordnung auf! Wenn sie sich nicht friedlich verhalten, wird der Staat gezwungen sein, sie mit Polizeigewalt zur Ordnung zu rufen. Die gesamte Ukraine arbeitet ruhig und im Zentrum Kiews gibt es eine Gruppe radikaler Putschisten, die versuchen, die Macht zu übernehmen.» Als Antwort der Botschafter: Schweigen.

Ich habe mich damals auch an den deutschen Botschafter gewandt. «Herr Botschafter, können Sie sich vorstellen, wenn in Deutschland eine Gruppe von militanten Demonstranten das Kanzleramt blockieren und besetzen würde? Welche Massnahmen würde in Deutschland die Polizei unternehmen?» Darauf hat er gelächelt, und gesagt: «Das ist in Deutschland unmöglich, weil Deutschland ein demokratisches Land ist.»

Ich habe das als Verhöhnung empfunden und als Zynismus. Und das habe ich ihm auch so gesagt. «Ihr denkt, in der Ukraine darf man sowas machen, aber zu Hause nicht. Man kann in der Ukraine das Regierungsgebäude besetzen. Man kann in der Ukraine Polizisten umbringen, Molotow-Cocktails werfen und zusehen, wie Leute wie Fackeln abbrennen. Und ihr glaubt, dass das alles demokratisch richtig ist.» Ich habe damals verstanden, dass Hilfe vonseiten der europäischen Botschafter und des amerikanischen Botschafters sicher nicht zu erwarten ist.

Ausserdem hat unser Geheimdienst mir jeden Tag berichtet, dass die Führer des Maidan ständig zu Konsultationen in der amerikanischen Botschaft waren. Das ist im Prinzip auch offen zugegeben worden und hat auch Obama bestätigt. Nach Kiew kamen auch Frau Nuland [Assistant Secretary of State im US-Aussenministerium] und der Chef des State Departements. Ich habe mich mit Victoria Nuland getroffen und ihr die Situation geschildert. Sie hat sie besser gekannt als ich. Und sie hat versucht, mich zu überzeugen, dass die Ukraine eine Regierung der nationalen Einheit braucht.

Ich habe ihr geantwortet, dass es in der Ukraine eine Regierung gibt, die nach der Verfassung und den Gesetzen demokratisch gewählt ist. Eine Woche vor diesem Treffen hatten ich und mein Kabinett noch das Vertrauen des Parlaments ausgesprochen bekommen, nachdem ich ein Misstrauensvotum gestellt hatte. Was geht es Frau Nuland überhaupt an, welche Regierung es in der Ukraine gibt? Wir erzählen ihnen auch nicht, was es für einen Regierung in den USA geben soll. Welche Veranlassung haben sie, uns zu erklären, welche Regierung wir brauchen?

Den gesamten Dezember über sind verschiedenste Vertreter westlicher Länder nach Kiew gereist. Da waren Kaczyński, McCainWesterwelle und viele andere. Alle diese Vertreter haben auf dem Maidan gesagt, dass sie die Demonstranten unterstützen. Nuland hat gesagt, dass der Erfolg der Demokratie, so wie sie diesen Staatsstreich genannt hat, die USA fünf Milliarden Dollar gekostet hat. Aber was hat es die Ukraine gekostet? Hunderte Milliarden, 50’000 Tote und viele bittere Schicksale.

«Vonseiten der westlichen Diplomaten gab es das permanente Mantra, unter keinen Umständen Gewalt anzuwenden gegen die Demonstranten»

Ich wollte noch kurz beim Maidan bleiben. Präsident Janukowitsch hätte also selbst entscheiden können, den Maidan mit Gewalt zu räumen? Oder hätte das der Entscheidung eines Polizeiführers bedurft?

Nach der Verfassung der Ukraine unterstehen alle Polizei- und Militärstrukturen dem Präsidenten. Die Regierung befasst sich mit sozialen und ökonomischen Fragen. Aber kein Vertreter der Regierung, des Parlaments oder der Präsident selbst hat den Auftrag zur gewaltsamen Räumung des Maidan gegeben. Die Polizisten hatten keine Schusswaffen, sie hatten Schlagstöcke, Schilder und manche hatten Reizgas.

Jetzt haben Sie ja schon erklärt, was Sie den westlichen Vertretern während des Maidan gesagt haben. Was haben die denn Ihnen gegenüber für Druck gemacht?

Vonseiten der westlichen Diplomaten gab es das permanente Mantra, unter keinen Umständen Gewalt anzuwenden gegen die Demonstranten. Ich weiss, dass Herr Biden [damals US-Vize-Präsident] Janukowitsch offen bedroht hat: Wenn er eine gewaltsame Auflösung der Demonstration durchführt, wird er eine persona non grata in Europa und in der Welt. Und gegen ihn würden Sanktionen beschlossen.

Das hat bei Janukowitsch zu einer Situation der Unentschlossenheit geführt. Und die Putschisten merkten, dass sie nicht bestraft wurden. Janukowitsch hat drei Monate lang mit ihnen Gespräche geführt. Jeden Tag haben sie mehrere Stunden gesessen, um Bedingungen für einen Kompromiss auszuhandeln. Und jedes Mal haben die Demonstranten die Versprechungen, die sie abgegeben haben, nicht eingehalten.

Ein Beispiel: Janukowitsch hatte mit den Demonstranten ausgehandelt, dass das Ministerium für Landwirtschaft geräumt werden soll. Das haben sie zugesagt, aber nicht gemacht. Er hat mit ihnen besprochen, dass sie die Blockade des Regierungsgebäudes aufheben sollen. Das haben sie versprochen, aber auch nicht eingehalten. Dasselbe gilt für das Rathaus. Und so weiter.

«Es war keine Revolution, sondern ein Staatsstreich»

In der Ukraine heisst es heute, der Maidan war eine «Revolution der Würde». Was halten Sie davon? Was war der Maidan?

Es ist völlig offensichtlich, dass es ein Staatsstreich gewesen ist. Es ist aber auch augenscheinlich, dass man einem Staatsstreich einen gewissen demokratischen Anschein geben muss. Und genau deshalb hat man den Maidan als Revolution dargestellt.

Aber wie kann das eine Revolution sein, wenn im ganzen Land eine normale Situation herrschte und nur im Zentrum Kiews sowas passierte? Wenn Sie hundert Meter weggegangen sind von diesen Maidanbarrikaden, lief das Leben in Kiew zu dieser Zeit ganz normal. Das zeigt, dass in dem ganzen Maidanprozess ein minimaler Anteil der ukrainischen Bevölkerung involviert war. Im Wesentlichen einige tausend bewaffnete Kämpfer und Aktivisten.

Es wäre überhaupt kein Problem gewesen, mit denen fertig zu werden, wenn Janukowitsch die Vollmachten genutzt hätte, die ihm als Präsidenten nach der Verfassung zustehen. Der Versuch der bewaffneten Machtübernahme ist ein Verbrechen. Die Tötung von Polizisten ist auch ein Verbrechen, das bewaffnete Besetzen von Gebäuden ist genauso ein Delikt. Da entsteht eine einfache Frage: Warum hat der gesamte Sicherheitsapparat des Landes drei Monate lang nicht auf diese Verbrechen reagiert?

Heute gibt es schon eine grosse Anzahl an Beweisen. Es gibt heute sogar schon ein Geständnis von einem radikalen Aktivisten, dass er mit zwei Schüssen zwei Polizisten getötet hat («Maidan: Ich schoss ihnen ins Genick»). Es gibt auch Dokumentationen von westlichen Sendern. Es ist heute schon dokumentiert, woher die Sniper gekommen sind, wer sie gewesen sind und wer die friedlichen Demonstranten erschossen hat. Und alle diese Verbrechen sind nur begangen worden, um ein Ziel durchzusetzen: die Machtübernahme. Deswegen ist es völlig offensichtlich, dass es keine Revolution war, sondern ein Staatsstreich.

Welche Informationen haben Sie denn über die Sniper?

Zum Beispiel Herr Pashinsky, das ist einer der radikalen Putschisten, ist damals festgehalten worden beim Wegbringen von Scharfschützengewehren vom Maidan. Einer der Berater des derzeitigen Innenministers Awakow hat geholfen, einen der Scharfschützen zu befreien, der auf dem Maidan festgenommen wurde. Sie haben von diesen Festnahmen gewusst. Sie haben diese Sniper befreit. Die Sniper sind verschwunden mit unbekanntem Aufenthalt.

Die Vertreter von Staatsanwaltschaft und Polizei haben es innerhalb von drei Jahren nicht geschafft, nur einen einzigen Zeugen zu finden oder sonst irgendwie zu beweisen, dass die Scharfschützen aus den Strukturen Janukowitschs oder Berkuts gewesen wären. Oder in irgendeiner Weise zu belegen, dass der damalige Innenminister Sachartschenko oder Janukowitsch den Auftrag für die Sniper gegeben hätten. Ich unterstreiche: Innerhalb von drei Jahren keinerlei Beweise.

Dafür gibt es bei uns eine grosse Anzahl von Beweisen, dass insbesondere Jazenjuk, Poroschenko, Pashinsky und Turtschinow in die Organisation dieser bewaffneten Auseinandersetzungen involviert gewesen sind. Die Maidan-Morde haben ihnen geholfen, die Bevölkerung aufzuwühlen und auf dieser Basis die Verfolgung von Janukowitsch anzugehen. Sie wollten Janukowitsch damals umbringen und sie wollten das öffentlich tun. Eine grosse Anzahl von bewaffneten Radikalen hat sich auf den Weg gemacht zur Residenz des Präsidenten. Janukowitsch ist gezwungen gewesen, mit seinem Hubschrauber nach Charkow zu fliegen. Während dieser Zeit ist schon die Machtübernahme in den Städten fortgeschritten.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass es auf Sie selbst bzw. auf Ihren Dienstwagen, in dem Ihre Frau sass, einen Anschlag gab. Können Sie diese Situation nochmal schildern?

Nachdem Janukowitsch von Kiew nach Charkow geflogen ist, war mein Aufenthalt in Kiew lebensbedrohlich. Meine Personenschützer haben mich darüber informiert, dass für meine Sicherheit nicht garantiert werden kann. Ich habe die Entscheidung getroffen, in den Osten des Landes zu fahren, in dem es damals ruhig war und die gesamte Situation anders war. Ich wollte mit dem Flugzeug fliegen. Meine Frau kann aus Gesundheitsgründen nicht mit kleinen Flugzeugen fliegen. Deswegen habe ich sie mit dem Auto nach Donezk geschickt. Als sie von zu Hause weggefahren ist, ist gleich ein Jeep hinter ihnen hergefahren. Er ist dem Auto ungefähr 100 Kilometer gefolgt. Dann hat er sie überholt. Alle haben gedacht, er ist jetzt weggefahren.

Allerdings haben sie diesen Jeep einige Minuten später wieder gesehen, als er ihnen auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite entgegen kam. Und auf den Trittbrettern des Jeeps stand ein Mann mit einer Maschinenpistole. Als dieser Jeep sich dem Auto meiner Frau näherte, hat der Mann einen Feuerstoss auf das Auto meiner Frau abgegeben. Zum Glück war die Strasse nicht eben und alle Kugeln sind im Motor eingeschlagen, nur eine Kugel hat das Glas zerfetzt. Der Motor hat gebrannt und der Jeep ist mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Kiew weggefahren. In dem Auto, auf das geschossen wurde, waren vier Personen, die zum Glück nicht verletzt wurden. Sie haben sich dann umgesetzt in ein zweites Auto, das im Konvoi mit ihnen gefahren war und sind weiter nach Donezk gefahren. Natürlich hatten die Attentäter erwartet, dass ich im Auto sass und schossen deshalb.

Plan für eine friedliche Regelung in der Ukraine

Zur Zukunft der Ukraine: Was ist nun aus Ihrer Sicht nötig, wer muss sich bewegen, um den Krieg in der Ukraine zu beenden?

Ein Staatsstreich, eine Wirtschaftskrise und ein militärischer Konflikt im Osten des Landes – das sind Folgen des Konfrontationskurses zwischen den USA und Russland. Es hätte keinerlei Staatsstreich gegeben, wenn das nicht aus den USA gutgeheissen und gefördert worden wäre.

Donald Trump hat vor kurzem sehr einfach und klar gesagt: «Der Konflikt in der Ukraine ist ein Konflikt zwischen den USA und Russland.» Deswegen gibt es auch nur einen Ausweg aus der Situation: Eine Vereinbarung zu finden zwischen den USA und Russland, in der ein Massnahmenkatalog zur Stabilisierung des Landes verabschiedet wird. Natürlich kann auch Deutschland einen grossen Beitrag dazu leisten, wenn es eine prinzipielle und objektive Position dort übernehmen würde. Ich habe das bisher leider nicht so sehen können.

Ich habe einen eigenen Plan für eine friedliche Regelung in der Ukraine. Er besteht aus zehn Punkten. Der Hauptpunkt ist, die Akzeptanz, dass in der Ukraine ein Staatsstreich stattgefunden hat, und dass die derzeitige ukrainische Regierung eine nicht-legitime Regierung ist. Wenn man diesen Fakt anerkennt, dann kann man die Situation in der Ukraine schnell lösen. So lange aber die Leute in der Ukraine an der Macht sind, deren Arme bis zu den Ellenbogen im Blut waren, und die diesen Staatsstreich durchgeführt und den bewaffneten Konflikt in der Ostukraine ausgelöst haben, kann man den Konflikt nicht lösen. Das bedeutet, die amerikanische Position muss anerkennen, dass es sich um einen Staatsstreich gehandelt hat.

Eines der Hauptprobleme überhaupt in der Ukraine ist die gigantische Anzahl unkontrollierter Waffen, die aus diesem Konflikt jetzt hervorgegangen sind und die nicht-formalen Bataillone und Regimente, die kaum als rechtsstaatlich zu bezeichnen sind. Wie kann man die Situation in einem Land stabilisieren, wenn im Prinzip die gesamte Opposition entweder im Gefängnis oder im Exil sitzt oder unter extremem Druck steht? Mit wem kann man denn einen Kompromiss finden?

Einen Kompromiss kann man nur zwischen verschiedenen politischen Kräften finden, in welchen den unterschiedlichen Meinungen, Sichtweisen und Mentalitäten in der Ukraine auch Rechnung getragen wird. Aber so lange, wie es eben keinen Dialog mit den Leuten gibt, die sich im Osten des Landes gegen dieses Regime erhoben haben, so lange wird es auch keinen Kompromiss dort geben.

Ist in Ihren Augen Deutschland, ist Angela Merkel, viel zu passiv?

Nicht nur passiv. Was immer verdrängt und eigentlich nie erwähnt wird, ist, dass Deutschland eigentlich als Garantiemacht am 21. Februar eine Erklärung mit unterzeichnet hat, in der der Übergang festgelegt worden war, also wie es zum Jahresende zu vorgezogenen Präsidentschaftswahlen kommen sollte. Und diese Erklärung wurde damals vom deutschen Aussenminister Steinmeier unterzeichnet. Drei Aussenminister haben unterschrieben: Polen, Deutschland und Frankreich. Und an diesem gleichen Tag hat man Janukowitsch weggejagt. Da fragt man sich natürlich über den Wert eines solchen Papiers und einer solchen Unterschrift. Diejenigen, die den Staatsstreich realisiert haben, haben sich offen und zynisch gegen Deutschland gestellt.

Welche Perspektive sehen Sie für sich persönlich, nochmal als Politiker in der Ukraine einzugreifen?

Ich bin bereit, meine Erfahrungen und Kenntnisse einzubringen, um einen friedlichen Weg zur Regulierung des Konfliktes in der Ukraine zu finden. Ich bin überzeugt, dass sich früher oder später die Ukraine mit der Wiederbelebung der Wirtschaft beschäftigen muss, sowie mit der Wiederherstellung normaler Beziehungen zu Russland und zu Europa. Ich glaube, dass hier meine Erfahrungen und mein Wissen für das ukrainische Volk sehr wertvoll sein können.

Ich war nie ein Radikaler. Ich habe immer nach Kompromisslösungen gesucht. Ich war immer darauf ausgerichtet, das Land zu vereinen und nicht zu teilen. Ich bin bereit, an der Wiederherstellung der Wirtschaft mitzuwirken.

Ihnen und Ihrem Sohn wird von westlicher Seite vorgeworfen, selbst Teil dieses oligarchischen Systems in der Ukraine gewesen zu sein. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Was kann man einem erfolgreichen Premierminister vorwerfen, unter dessen Führung sich das Land entwickelt hat? Eine Zeit, in der das Einkommen gestiegen ist, in der im Land Strassen, Stadien, Flughäfen gebaut wurden. Schauen wir in die Realität: Seit drei Jahren versucht eine grosse Gruppe von Ermittlern und Staatsanwälten krampfhaft, gegen mich irgendwelche Anschuldigungen zusammenzubauen. Alle Vorwürfe, die bis jetzt gegen mich erhoben wurden, sind falsch.

Zeigen Sie mir bitte einen Menschen in der Ukraine, der mir wirklich Korruption vorwerfen kann. Jemand, der sagt, er ist damals zu mir, dem Premierminister, gegangen und hat ihm Geld gegeben und hat so irgendeine Frage geklärt. Zeigen Sie mir, wo diese Gelder sein sollen? Was soll ich damit gemacht haben?

Ich habe kein Vermögen, kein Geld ausserhalb der Ukraine. Die EU hat Sanktionen gegen mich beschlossen und Konten beschlagnahmt auf Basis eines Anschuldigungsbriefes der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine ohne jegliche Beweise. Ich stelle die einfache Frage: Welche Konten in welchen Banken haben sie denn beschlagnahmt? Es gibt keine.

Das Kiewer Regime lügt ohne jegliche Scham. Kürzlich hat der Vorsitzende der Oschad-Bank bekanntgegeben, dass auf den Konten von Asarow und Janukowitsch Milliarden liegen würden, er aber auf Basis des Bankengesetzes keine Details nennen könne. Aber welche Einzelheiten kann er denn eröffnen? Ich habe in 20 Jahren ein einziges Konto gehabt – in dieser Bank. Dorthin sind mein Gehalt, meine Pension und alle meine Verdienste etwa durch meine Tätigkeiten in der Akademie der Wissenschaften geflossen. Und die Summe beträgt ungefähr eine Million Griwna. Nicht eine Milliarde, sondern eine Million. Griwna. Was beim derzeitigen Wechselkurs ungefähr einer Summe von 40’000 Dollar entspricht. Jeder dieser Dollars kann mit konkreten Dokumenten seiner Herkunft belegt werden. In den vergangenen drei Jahren konnte keine konkrete Anklage zu falschen Tätigkeiten gestellt werden.

Ich habe in meiner gesamten Politikerlaufzeit einen Grundsatz gehabt, und dem bin ich immer treu geblieben: Nie Business-Interessen mit nationalen Interessen zu vermischen. Deswegen habe ich meinem Sohn nicht ein einziges Mal an irgendeiner Stelle einen Staatsauftrag zukommen lassen. Er lebt seit 25 Jahren selbstständig und komplett unabhängig von mir.

Sie haben ja die Sanktionen schon angesprochen. Anfang des Jahres gab es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg, der entschied, dass die Sanktionen gegen Sie nicht rechtmässig sind. Trotzdem werden diese aufrechterhalten. Was sagt Ihnen das über die «Realpolitik» der EU?

Ich bin sehr enttäuscht. Insbesondere über das politische System, aber auch über das Rechtssystem. Der Europäische Rat trifft Entscheidungen über Sanktionen gegen mich. Seit drei Jahren bitte ich den Europäischen Rat: «Fordern Sie bitte Beweise und Dokumente über mich aus der Ukraine an und geben diese einem kompetenten Juristen. So dass sich jemand objektiv mit diesen Materialien auseinandersetzt. Und danach treffen Sie bitte Ihre Schlussfolgerungen.»

Ich möchte mich nicht rechtfertigen, ich bitte nicht um irgendeine besondere Behandlung, ich will nicht bevorzugt werden. Das Einzige, was ich fordere, ist eine objektive Analyse und Auseinandersetzung mit den Vorwürfen. Ich bin zutiefst überzeugt, dass jeder unvoreingenommene Jurist, der die absurden Vorwürfe liest, die gegen mich in der Ukraine erhoben werden, zum Schluss kommen wird, dass die Sanktionen nicht begründet sind.

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Dieses Interview erschien am 21. November 2016 auf Teleopolis.

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Weiterführende Informationen

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Oben      —     Brennende Barrikaden auf dem Majdan am 19. Februar 2014 dienten als Sichtschutz.[170]

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Gewalt von Jugendlichen

Erstellt von Redaktion am 6. Januar 2023

Früher war mehr Silvester

Ein Debattenbeitrag von Eberhard Seidel

Halbstarke, Hausbesetzer, Hooligans: Deutschland hat viel Erfahrung mit jugendlicher Gewalt. Die Lehre: Repression allein hilft nicht weiter.

Hunderte junger Männer greifen in der Silvesternacht Polizisten und Feuerwehrleute mit Böllern und mit Schreckschusspistolen an. Dutzende werden verletzt. Die Republik ist empört. Was führt zu dieser Enthemmung? Warum sind von den Tätern so viele aus Familien mit Einwanderungsgeschichte aus der Türkei und dem Nahen Osten? Liegt es am Islam? Oder doch an den patriarchalen Familienstrukturen?

Für viele scheint ausgemacht, dass dieser Ausbruch von Gewalt gegen Ver­tre­te­r*in­nen der Staatsmacht eine bislang unbekannte Qualität und Brutalität hat. Dieser Eindruck täuscht. Trotz der verstörenden Bilder und Berichte aus der Silvesternacht gilt: Die Jugend in Deutschland war nach 1949 noch nie so friedlich, ruhig und duldsam wie in den letzten zehn Jahren. Das ist keine steile These, das sind die harten Fakten. Sie werden von jenen bestätigt, die es am besten wissen – den Versicherern im Land. Sie haben den besten Überblick über die finanziellen Folgen körperlicher Angriffe und Sachbeschädigungen über die Jahrzehnte.

Auf dieser objektivierten Grundlage von Versicherungsdaten könnte man auch folgende Nachricht generieren: Migration macht die Gesellschaft friedlicher! Je höher der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland wurde, desto weniger Gewalt gab es. Diese Schlussfolgerung wäre allerdings ein ebensolcher Unfug wie die Islam- oder Patriarchatsthese!

Vielmehr hat die Entwicklung mit der Vergreisung Deutschlands zu tun. Je weniger Jugendliche es in einer Gesellschaft gibt, desto ruhiger und friedlicher, man könnte es auch abgeschlaffter nennen, wird sie. Ruhe ist das neue gesellschaftliche Normal. An diesen Zustand haben die Menschen sich gewöhnt. Das ist nicht gut.

Wenig Hemmungen

Jungproletarisches Aufbegehren gegen die Zumutungen des Lebens, jugendliche Ungeduld, radikaler Protest und Grenzverletzung, politischer Protest, konfrontatives Verhalten, Gesetzes- und Regelverstöße gehören zu einer dynamischen Gesellschaft. Auf die Gegenseite gehören Erwachsene und Institutionen, die Grenzen ziehen, Bestehendes bewahren, Bewährtes verteidigen und auf der Durchsetzung gesellschaftlicher Normen und Konventionen beharren. Diese dialektische Entwicklung, die Checks and Balance sind ein Garant gesellschaftlicher Entwicklung. Wenn sie fehlen, wird es modrig.

So ist das seit Generationen in modernen Gesellschaften – außer in totalitären und den vergreisten. Werfen wir einen Blick zurück auf die Jahrzehnte, als in diesem Land die Heranwachsenden noch zu nahezu 100 Prozent einen Karoffelhintergrund hatten – also in die 1950er, 60er, 70er und 80er Jahre. In all diesen Jahrzehnten war jugendliches Aufbegehren immer auch mit Gewalt gegen Polizisten, Sanitäter und die Feuerwehr verbunden. Nachzulesen ist das in unzähligen Berichten über Halbstarken Krawalle (Leipzig, München), Zerstörung von Veranstaltungsstätten (Berliner Waldbühne), gewalttätigen Studentenkrawallen (Berlin, Tegeler Weg) und einer Alternativ-, Autonomen- und Hausbesetzerszene (Hamburg, Frankfurt, Berlin).

Die Letztgenannten hatten wenig Hemmungen, was Gewaltanwendung angeht: Polizisten wurden immer wieder mit Zwillen (Stahlkugeln) beschossen, mit Pflastersteinen und Molotow-Cocktails attackiert, von Dächern herab mit Steinplatten beworfen (Berlin) und sogar erschossen (Frankfurt, Startbahn West). Autos wurden verbrannt, Geschäfte geplündert. So handhabten das die Boomer aus urdeutschen Mittelschichtsfamilien.

Komplex, aber nicht so kompliziert

Vergessen scheinen auch die regelmäßigen Schlachten von Hooligans aus mehrheitlich bildungsfernen Familien der Mehrheitsgesellschaft in den Fußgängerzonen und Innenstädten in den 1980er Jahren. In den 1990er und den Nuller Jahren rollte, ausgehend von den damals neuen Bundesländern, eine völkische Jugendrevolte durch Deutschland. Jugendlicher Protest und Aggressionen richteten sich erstmals nach 1945 nicht mehr gegen „die da Oben“, also staatliche Autoritäten, sondern wendeten sich primär gegen Angehörige von Minderheiten und kosteten Hunderte das Leben.

Deutschland verfügt über hinreichend Erfahrungen im Umgang mit jugendlicher Gewalt. Es gibt bewährte Konzepte der Prävention, Intervention und Repression. Der Staat und die Gesellschaft haben entsprechendes Know-how in Polizei, Justiz, Pädagogik, Kultur und Sozialarbeit angehäuft. Es existieren übrigens auch ermutigende Beispiele von erfolgreicher Reintegration von jugendlichen Gewalttätern und Protestmilieus in die Gesellschaft.

Quelle          :          TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben      —     Studentenrevolte in West-Berlin

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SPD Irrungen – Wirrungen

Erstellt von Redaktion am 5. Januar 2023

Der Weg ins Zeitalter der Weltkriege

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von        :        Johannes Schillo

Von August Bebel zu Olaf Scholz. Wo allenthalben Rückblicke aufs abgelaufene Jahr, auf die Folgen der „Zeitenwende“, veranstaltet wurden, hier ein weiterer Blick – mehr als 100 Jahre – zurück auf die Wende von 1914, als sich die Arbeiterbewegung auf den Weg ins Zeitalter der Weltkriege begab.

Im Untergrund-Blättle wurde jüngst (https://www.untergrund-blättle.ch/buchrezensionen/sachliteratur/anton-pannekoek-klassenkampf-und-nation-7401.html) an Anton Pannekoeks wieder aufgelegtes Pamphlet „Klassenkampf und Nation“ von 1912 erinnert: Die Neuausgabe der Streitschrift rufe eine historische Zeitenwende in Erinnerung, nämlich die Zäsur, als die Arbeiterbewegung ihre Kapitalismuskritik beendete und aus ihrer internationalistischen Programmatik heraus den Weg zur Bejahung der Nation fand, somit das „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawm) möglich machte. Das sei, schrieb Frank Bernhardt, ein Denkanstoß für die heutige Zeit, wo sich ebenfalls der Weg in eine Weltkriegslage – unter tatkräftiger sozialdemokratischer Mitwirkung und ohne Gegenwehr der Gewerkschaften – als finale Perspektive abzeichne, atomare Apokalypse inbegriffen.

SPD ermöglicht „Urkatastrophe“

Der Rückblick auf den Rätekommunisten Pannekoek erinnerte auch daran, dass man im Grunde den sozialistischen Parteien Europas, allen voran der SPD, die Hauptschuld für das gegenseitige Abschlachten der Nationen geben müsse. Denn ohne die Entscheidung der Partei- und der mit ihr verbundenen Gewerkschaftsführung – Bewilligung der Kriegsanleihen und Ausrufung eines inneren „Burgfriedens“ – und ohne die nachfolgende Bereitschaft der Arbeitermassen, in den imperialistischen Krieg ihrer Herren zu ziehen, wäre es nicht gelungen, die Völker für vier lange Jahre gegeneinander in Stellung zu bringen.

Statt irgendetwas zu verhindern oder auch nur zu erschweren, bahnte die Arbeiterbewegung den Weg hin zur „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan), zu den „letzten Tagen der Menschheit“ (Karl Kraus), zum „totalen Krieg“, der seitdem Völker und Ländereien im Zuge der neuen Großmachtkonkurrenz systematisch der Vernichtung preisgibt. Wenn man das Pathos der bundesdeutschen Erinnerungskultur bemühen möchte, könnte man hier vom eigentlichen „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) der modernen Staatenwelt sprechen. Man müsste dann nur vergessen, dass die kapitalistische Zivilisation überhaupt mit Blut getränkt ist – dass diese weltweit wirtschaftende und expandierende Profitmaschine auf der „Ausrottung“ und „Versklavung“ fremder, vor allem indigener Völker basiert, auf der „Eroberung und Ausplünderung“ der Überseegebiete, auf Gewalt pur als dem „Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht“. So hat es Karl Marx im berühmten Kapitel über die „sogenannte ursprüngliche Akkumulation“ im ersten Band des „Kapital“ (MEW 23, 79) formuliert.

Und es gibt ja auch in einigen kapitalistischen Nationen mittlerweile – Jahrhunderte später – das zaghafte Bemühen, die eigenen Imperial- und Kolonialmassaker aufzuarbeiten; gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten hat sich der niederländische Ministerpräsident „für das unermessliche Leid“ (https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/niederlande-mark-rutte-entschuldigt-sich-fuer-sklaverei-18546063.html) entschuldigt, das sein Land durch die Beteiligung an der Sklaverei herbeiführte; „Jahrhunderte der Unterdrückung“ (FAZ, 20.12.22) seien zu beklagen. Die BRD hat es sogar in der Rekordzeit von 100 Jahren geschafft, ihres Völkermords in Namibia offiziell und formgerecht zu gedenken, ohne sich freilich im Einzelnen auf Pflichten einer Wiedergutmachung festzulegen (https://www.migazin.de/2020/02/10/broeckelnde-amnesie-hilfe-die-weissen-kommen/).

Wegen der Gewaltträchtigkeit des kapitalistischen Systems warnte Friedrich Engels bereits 1887 vor einem „Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit“ (MEW 21, 350) und 1893 in seiner berühmten Artikelserie „Kann Europa abrüsten?“ vor einem „allgemeinen Vernichtungskrieg“ (MEW 22, 371). Führende Leute der Sozialdemokratie wie der Austromarxist Otto Bauer schafften es bis in die letzten Tage vor Kriegsbeginn 1914, verbal an solchen Positionen festzuhalten und gleichzeitig die Weichen zur Kriegsbeteiligung zu stellen. Mit Pannekoeks Intervention (und ähnlich mit Rosa Luxemburgs Einspruch gegen den imperialistischen Kurs, wie sie ihn in ihrer Schrift über die notwendig expansive „Akkumulation des Kapitals“ formulierte) wurde dagegen eine Alternative formuliert – die aber welthistorisch bedeutungslos blieb. Hätte sie in der Arbeiterbewegung an Einfluss gewonnen, wäre der Krieg möglicher Weise durch den Widerstand der Massen verhindert worden.

Dass es nicht so kam, wurde der Sozialdemokratie von den kommunistischen Parteien als ihr großer „Verrat“ angekreidet. Dies geht jedoch an der Sache vorbei, wie man ebenfalls in Pannekoeks Schrift nachlesen kann: Hier zeigt sich, wie die Nation bereits lange vor der militärischen Zuspitzung bei der Sozialdemokratie in höchstem Ansehen stand. Sie wurde als eine allgemeine Lebensbedingung genommen, an der man politisch nicht vorbeikommt, die man vielmehr selber gestalten will. Mit Kriegsbeginn wurde das konsequent fortgeführt, jetzt zeigte sich der Stolz der Arbeiter-, speziell der Gewerkschaftsbewegung darauf, dass man endlich als konstruktive Kraft anerkannt wurde.

Mit dem Ersten Weltkrieg wurde zum Abschluss gebracht, was unter Bismarck begonnen hatte: die Etablierung eines Sozialstaates, der die (Über-)Lebensnotwendigkeiten der Arbeiterklasse in den Blick nimmt und sie den Sachzwängen des herrschenden Systems unterordnet. Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie haben die Entwicklung in ihrem Buch „Der soziale Staat“ analysiert: Der Erste Weltkrieg habe in Deutschland das, was heute als „Sozialpartnerschaft“ selbstverständlich ist – „die Zusammenarbeit der antagonistischen Interessen von Kapital und Arbeit unter staatlicher Aufsicht“ –, durchgesetzt. Das Kaiserreich brauchte sein gesamtes Volk, auch die bis dahin bekämpften Sozialdemokraten und nicht zuletzt die Gewerkschaften, für den Krieg, der jetzt „total“ geführt wurde.

Auch heute: Proletarische Einverständniserklärung

Die deutsche Sozialdemokratie ist dann im 20. Jahrhundert zu einer führenden proimperialistischen Kraft aufgestiegen, die in Kriegsfragen (siehe Schröders Krieg gegen Serbien 1999) nichts anbrennen lässt und nicht zuletzt das Nationalbewusstsein des gewerkschaftliche Vertretungswesens betreut. Zur Stabilität der Heimatfront leisten auch gegenwärtig die Gewerkschaften einen entscheidenden Beitrag. „Der DGB verkündet das proletarische Einverständnis mit der Zeitenwende“ hieß es zur aktuellen Entwicklung seit dem 24. Februar im Gegenstandpunkt (https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/leistung-deutschen-gewerkschaft-kriegszeiten). Das durchzusetzen, bedarf aber heute keiner großartigen Wende mehr. „So weit, so normal für die BRD 2022“, lautete denn auch das Fazit des Gegenstandpunkts. Die Arbeitervertretung liefere eben „noch eine Ermunterung an die Regierung, den Krieg zu beenden und den Frieden einkehren zu lassen, indem sie genau den militärischen und diplomatischen Kurs fährt, auf den sie die Nation längst eingeschworen hat“.

Die kritische Analyse brachte aber auch eine Erinnerung an den Ursprung der Arbeiterbewegung und deren Internationalismus. Bemerkenswert sei die „Loyalitätserklärung des DGB insofern, als sich hier immerhin Gewerkschaften zu Wort melden, die sich als Teil einer internationalen Gewerkschaftsbewegung‘ verstehen, zu deren Ethos der Einspruch gegen Krieg gehört, und die – zwar in denkbar höflicher Zurückhaltung, aber immerhin explizit – daran erinnern, was ihre Klientel im Krieg überhaupt ist: Hauptleidtragende eben“. Zivilbevölkerung und „viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ seien nämlich die „Hauptleidtragenden“, wie der DGB seinen Appell an die Oberen begründete (zu weiteren gewerkschaftlichen Stellungnahmen, etwa von Verdi und GEW, siehe: An der Heimatfront – die Reihen fest geschlossen! https://overton-magazin.de/krass-konkret/an-der-heimatfront-die-reihen-fest-geschlossen/). Dieser Friedensidealismus, den der Gegenstandpunkt natürlich nicht für bare Münze nimmt, ist das Erbe einer Arbeiterbewegung, die ihren Internationalismus in ein wechselseitiges Bekenntnis zur jeweiligen Nation überführt hat.

Vorwärts und nicht vergessen…

Der Aufstieg der Sozialdemokratie zur staatstragenden Partei ist seit 100 Jahren Fakt. Dass die „Wende“ 1914 innerhalb kürzester Frist über die Bühne ging – so wie sich die BRD auch 2022 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine innerhalb weniger Tage zur Rolle einer militärischen Führungsmacht bekannte –, hatte seine imperialistische Vorgeschichte. Es handelte sich damals nicht um einen „Verrat“ der sozialdemokratischen Führung, sondern um das Resultat einer über Jahrzehnte zielstrebig praktizierten Politik. Peter Decker und Konrad Hecker schreiben in ihrem Rückblick auf die heute ans Ende gekommene „große Karriere“ des Proletariats: „Die sozialistischen Parteien des Proletariats, die sich als Vorkämpfer eines revolutionären Umbruchs verstanden, bedienten sich gegen die bürgerliche Herrschaft, wie sie ihnen zunächst entgegentrat, der rechtlich-parlamentarischen Mittel, die ihnen im doppelten Sinn des Wortes geboten wurden. Vermittels parlamentarischer ‚Koppelgeschäfte‘ und auch schon regelrechter Koalitionen erpressten sie den bürgerlichen Machtapparat dazu, sich seiner ‚sozialpolitischen Verantwortung‘ zu stellen und die Existenzbedingungen der Arbeiterklasse in seine Fürsorge für das Fortkommen der Gesellschaft einzubeziehen.“

Dieser Kampf konnte, wie gesagt, Erfolge vorweisen. 1914 vor die Alternative gestellt, entweder den vaterlandslosen Klassenstandpunkt oder die Loyalität zur Nation zu vertreten, also entweder das Überlebensinteresse des Proletariats oder den imperialistischen Erfolg der Staatsmacht zur Leitschnur zu machen, war für die Arbeiterbewegung klar, dass man den bisherigen Erfolgsweg weiter beschreiten wollte. Wie Dillmann/Schiffer-Nasserie darlegen, war 1914 so gesehen ein neuer Höhepunkt im Kampf darum, dass die Anliegen der Arbeiter Gehör finden: Ein Sozialstaat, der die proletarische Lebenslage konsequent ins Visier nimmt, wurde Wirklichkeit.

In der deutschen Sozialwissenschaft wird das heutzutage durchaus mit einem Kompliment an den Krieg als den Vater aller Dinge, als „Katalysator“ bei der Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat, versehen. Christoph Butterwegge zitiert dazu die Sozialhistorikerin Gabriele Metzler, die die These vertritt, „dass der im Krieg konsequent eingeschlagene Kurs in Richtung eines interventionistischen Wohlfahrtsstaates nach 1918 unumkehrbar war. Sozialstaatlichkeit gehörte zur Raison d’être der Republik“. Die Dame hat keine Probleme, eine Räson der Weimarer Republik hochzuhalten, die gar nicht deren eigenes Werk ist, sondern sich dem imperialistischen Deutschland der Kriegsjahre und dem expansionistischen Programm der wilhelminischen Ära verdankt.

Auf diese Weise sozialstaatlich aufgerüstet wurde der Krieg dann durchgestanden – mit allen Härten für das Kanonenfutter in den Schützengräben und für die Witwen und Waisen an der Heimatfront, die mit einer Sozialhilfe beglückt wurden, und für die Arbeiter in der Rüstungsindustrie, die jetzt einen Betriebsrat erhielten. Und gegen Abweichler in den eigenen Reihen wie Luxemburg oder Pannekoek ging man hart vor; notfalls wurden „Bluthunde“ losgeschickt, die kommunistische Anführer liquidieren und spartakistische Aufständische niederkartätschen ließen.

Wer hat uns verraten?

Denn als der Kriegsverlauf Deutschland ins Unrecht setzte, versuchten USPD und andere enttäuschte SPD-Anhänger, wie Decker/Hecker schreiben, „der sozialdemokratischen Mehrheit ihren politischen Besitzanspruch auf die Arbeiterklasse streitig zu machen. Ihr wichtigstes ‚Argument‘ war – wieder einmal – der Vorwurf des Verrats an die Führung der Traditionspartei: ein Vorwurf, der sich gar nicht damit aufhält, die gegnerische Politik zu kritisieren, stattdessen ein verpflichtendes gemeinsames Kampfziel unterstellt und lauthals beschwört, um die feindlichen Genossen des quasi hochverräterischen Frontwechsels im proletarischen Klassenkampf anzuklagen“.

Der Verrats-Vorwurf ist natürlich Historie. Wer wollte heute schon einem Arbeiterführer O. Scholz den Vorwurf machen, dass er die Interessen der Arbeiterklasse hinter denen der Nation zurückstellt. Aber vielleicht lohnt sich doch noch einmal der Blick darauf, wie die sozialdemokratische Partei und die international orientierte Gewerkschaftsbewegung das erreicht haben, was sie heute auszeichnet: die verlässlich Kraft zu sein, die dem Imperialismus in Krisenlagen zur Seite steht und für die Loyalität der Massen sorgt. Es ist ja bezeichnend, dass kurz vor Ende des 20. Jahrhunderts Deutschlands Rückkehr auf die Schlachtfelder der Welt vom Sozialdemokraten Schröder betrieben wurde, während die Jahre zuvor noch ein Kanzler Kohl, der aus dem alten christlichen Revanchisten Haufen in der Tradition des Antikommunisten Adenauer stammte, Deutschland – wegen seiner historischen Schuld – nicht zur militärischen Intervention auf dem Balkan befugt sah.

Dass jetzt ein sozialdemokratischer Kanzler vorangeht und den Aufwuchs des neuesten Deutschland zu einer europäischen „Führungsmacht“, zu einer weltpolitisch agierenden „Zentralmacht“ (SPD-Klingbeil), betreibt, die sich selbstverständlich in alle militärischen Händel auf dem Globus einmischt und dank nuklearer Teilhabe den Supermächten (fast) auf Augenhöhe gegenübertritt, hat so schon seine Logik. In der Tradition von Willy Brandt und Egon Bahr, die den Osten durch Wandel und Annäherung erschließen wollten, und in der Nachfolge eines Helmut Schmidt, der Moskau eine eigene Atomkriegsdrohung von deutschem Boden aus in Aussicht stellte, agiert hier ein Politiker, der die Ostpolitik von allen friedensidealistischen Hemmungen befreit und ihr eigentliches Programm mit den robustesten Mitteln, die man sich vorstellen kann (und die sich ein Friedensnobelpreisträger Brandt wohl nicht hätte träumen lassen), zur Geltung bringt.

Dass das durchgeht, liegt nicht zuletzt daran, dass sein Parteifreund Steinmeier als Bundespräsident die letzten Zweifel an der Güte des neuen vereinigten Deutschlands ausgeräumt und noch mit seiner letztjährigen Erinnerung ans „Unternehmen Barbarossa“ festgehalten hat, dass eine derart moralisch geläuterte Nation wie die BRD alles Recht der Welt hat, gegen das Böse im Osten vorzugehen. Somit war schon vor dem 24.2. klar: Deutschland bleibt sich treu und der neue Feind der alte: Russland! (https://overton-magazin.de/krass-konkret/deutschland-bleibt-sich-treu-und-der-neue-feind-der-alte-russland/) Und die Botschaft wurde dann ja noch einmal, passend zum Fest des Friedens 2022, in der Weihnachtsansprache aufgefrischt (https://www.heise.de/tp/features/Der-Koenig-von-Deutschland-spricht-wieder-zu-uns-7432746.html).

Nachweise

Christoph Butterwegge, Krise und Zukunft des Sozialstaates. Wiesbaden 2005 (Kap. 2.2.1: Der Erste Weltkrieg als Katalysator und die Weimarer Republik als Stabilisatorin der Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat, S. 47ff).

Peter Decker/Konrad Hecker, Das Proletariat – Die große Karriere der lohnarbeitenden Klasse kommt an ihr gerechtes Ende. München 2002 (Kap. 2.c: Die Arbeiterklasse erkämpft sich Artenschutz, S. 69ff).

Renate Dillmann/Arian Schiffer-Nasserie, Der soziale Staat – Über nützliche Armut und ihre Verwaltung. Hamburg 2018 (Kap. 3.5: Die Wende der deutschen Arbeiterbewegung, S. 189ff).

Anton Pannekoek, Klassenkampf und Nation (Original 1912). Herausgegeben von Hermann Lueer, Hamburg (Red & Black Books) 2022, E-Mail: herluee@yahoo.com.

Urheberrecht
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Grafikquellen       :

Oben       —    Meeting of the President of Ukraine with the Presidents of France and Romania, the Chancellor of Germany and the Prime Minister of Italy

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Das vergessene Morden

Erstellt von Redaktion am 4. Januar 2023

Zieht den Mördern die staatlichen Uniformen aus

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Bundeswehr in Schulen Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Der Nato-Staat Türkei forciert seine imperialistische Expansion im Nordirak und in Nordsyrien. Der Westen schaut weg, obwohl immer mehr Beweise für Kriegsverbrechen vorliegen.

„Jin, Jiyan, Azadi – Frau, Leben, Freiheit“: Außenministerin Annalena Baerbock schmückt sich bei öffentlichen Auftritten, etwa beim Bundesparteitag der Grünen im Oktober, gern mit den Parolen der Aufstandsbewegung im Iran. Und sie hat den Protestierenden zumindest verbal den Rücken gestärkt, indem sie versprach, die mörderische Repression durch das Mullah-Regime vor den UN-Menschenrechtsrat zu bringen und gezielte Sanktionen gegen die Verantwortlichen – also solche, die Deutschlands Exportwirtschaft nicht tangieren – anzuregen. Die Möglichkeiten der Außenpolitik seien zwar „begrenzt“, so Baerbock bei einem Wahlkampfauftritt Anfang Oktober in Hannover, doch „wir können hinschauen. Wir können die Stimme dieser Frauen sein.“

Wo Baerbock hingegen nicht hinschaut, ist die unmittelbar westlich des Irans gelegene kurdische Autonomieregion im Nordirak. Dort lässt ein enger Bündnispartner Deutschlands, Erdogans Türkei, vermutlich kurdische Aktivistinnen umbringen. Aktivistinnen, die an der Formulierung jener feministischen Befreiungstheorie beteiligt waren, die massenwirksame Parolen wie „Jin, Jiyan, Azadi“ hervorbrachte. Das Killerkommando, dem die Feministin Nagihan Akarsel Anfang Oktober in der Stadt Slemani zum Opfer fiel, versuchte nach der Tat, sich in Gebiete abzusetzen, die von der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) des in der Hauptstadt Erbil herrschenden Barzani-Klans kontrolliert werden. Die zu einem oligarchischen Herrschaftsinstrument verkommene KDP, die sich aufgrund der schlechten Wirtschaftslage und weitverbreiteter Korruption immer wieder mit Protesten konfrontiert sieht, kollaboriert mit dem türkischen Staat, um die PKK und emanzipatorische Gruppen und Organisationsansätze anzugreifen, die beide Seiten als Bedrohung ansehen.

Der türkische Geheimdienst nutzt laut kurdischen Angaben zumeist KDP-Regionen als Ausgangspunkte für Attentate oder Terrorakte im Nordirak. Die kurdische Autonomieregion um Silêmanî, wo Nagihan Akarsel unter anderem eine kurdische Frauenbibliothek aufbaute, steht hingegen unter Kontrolle der konkurrierenden Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Akarsel wurde bei einem Terroranschlag ermordet. Die Täter wurden an einem Kontrollpunkt der PUK verhaftet.

Nagihan Akarsel arbeitete an der Verbreitung der „Jineoloji“ („Frauenwissenschaft“), die soziale und historische Entwicklungen aus einer feministischen Perspektive beleuchtet. Sie ist das jüngste Opfer einer Mordserie, mit der türkische Geheimdienste kurdische Organisationen zu schwächen versuchen. Allein in Silêmanî starben im vergangenen Jahr fünf Aktivisten bei solchen Angriffen.

Laughs

Die informelle Kooperation zwischen Ankara und dem Barzani-Klan, der auch einträgliche ökonomische Beziehungen in die Türkei unterhält, findet aber vor allem in den gebirgigen nordirakischen Guerilla-Gebieten statt, die von der PKK gehalten werden. Schon im April, am Vorabend der jüngsten türkischen Militäroffensive, haben PKK-nahe Stellen die KDP der Unterstützung der türkischen Expansionspläne beschuldigt. PUK-Abgeordnete im kurdischen Regionalparlament erklärten gar, dass Barzanis KDP-Truppen der türkischen Armee aktiv „helfen“ würden. In den 90ern, während des innerkurdischen Bürgerkrieges im Nordirak, griff die KDP neben der PUK auch die PKK an. Jüngste Spannungen im Zusammenhang mit der türkischen Expansion im Nordirak haben Befürchtungen um einen erneuten Ausbruch des als „Brakuji“ (Brudermord) bezeichneten, 1998 überwundenen Bürgerkriegs aufkommen lassen.

Ankara nutzt die geopolitische Lage, vor allem den Krieg in der Ukraine, um sich mit aller Macht im Nordirak festzusetzen und die PKK militärisch vollständig auszuschalten. Dabei scheint das türkische Militär auch vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen nicht zurückzuschrecken. Kurdische Medien präsentierten in den vergangenen Monaten immer neue Beweise für den Einsatz von Giftgas durch das türkische Militär. Zudem sollen konventionelle und chemische Fliegerbomben zum Einsatz kommen, die in dichter zeitlicher Abfolge über Guerilla-Stellungen abgeworfen werden. Verstörende Videoaufnahmen aus der Kriegsregion zeigen etliche mutmaßliche Chemiewaffenopfer. Laut PKK-nahen Stellen setzt das türkische Militär routinemäßig Giftgas ein, dem mittlerweile 17 Kämpfer zum Opfer gefallen seien.

Mitte Oktober veröffentlichte die Ärzteorganisation IPPNW (Internationale Ärzt/innen für die Verhütung des Atomkriegs) eine erste Einschätzung des vorliegenden Materials, in der von „indirekten Beweisen für eine mögliche Verletzung der Chemiewaffenkonvention“ und den Einsatz chemischer Kampfstoffe die Rede ist. IPPNW forderte eine unabhängige internationale Untersuchung der türkischen Kriegsführung im Nordirak. Am 20. Oktober wiesen türkische Regierungsstellen die Anschuldigungen zurück. Sie entbehrten „jeder Basis und (seien) unwahr“, hieß es in einer Erklärung des türkischen Verteidigungsministeriums. Nur wenige Tage danach wurde die Präsidentin des türkischen Ärzteverbandes Sebnem Korur Fincanci von der türkischen Polizei wegen „Verbreitung terroristischer Propaganda“ verhaftet, weil sie eine unabhängige Untersuchung des etwaigen Einsatzes von Chemiewaffen im Nordirak forderte. Der Weltärztebund (WMA) und Amnesty International protestierten gegen den „erschreckenden Machtmissbrauch“ des türkischen Staates. Der WMA forderte ebenfalls eine „Untersuchung der Berichte über den Einsatz von chemischen Gasen durch die Türkei gegen die PKK-Gruppe“.

Presse und Politik in der Bundesrepublik ignorieren die Vorgänge im Nordirak nach Kräften. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der „Linkspartei“ erklärte die Bundesregierung lediglich, ihr seien entsprechende Medienberichte bekannt, sie habe aber keine eigenen Erkenntnisse. Die Türkei ist ein wichtiger „Wirtschaftspartner“ der Bundesrepublik. Rund 7.700 deutsche Unternehmen sind hier aktiv. Die Türkei ist auch eines der wichtigsten Exportländer für die deutsche Waffenindustrie. Dass die westlichen „Partner“ der Türkei diesmal ernsthaft intervenieren werden, gilt als unwahrscheinlich, haben doch die Nato-Staaten auch die Untersuchung des Einsatzes von weißem Phosphor gegen Zivilisten in Nordsyrien verhindert.

Der mutmaßliche Giftgas-Krieg Erdogans gegen die PKK im Nordirak ist Teil der imperialistischen, neo-osmanischen Expansionsstrategie der Regierung in Ankara, die sich im Ukraine-Krieg unverzichtbar zu machen versteht (siehe konkret 6/22). Laut einem jüngst publizierten Bericht des irakischen Verteidigungsministeriums führt die Türkei einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Nordirak. Die türkischen Truppen haben demnach „mehr als hundert“ Außenposten und Stützpunkte im Irak errichtet und seien dabei „bis zu 105 Kilometer“ tief auf irakisches Territorium vorgestoßen. Tausende von Truppen, unterstützt von Panzern, schwerer Artillerie und Flugzeugen, sollen sich in der Region festgesetzt haben.

Zudem setzt Erdogan die Terrorangriffe gegen die Überlebenden des Genozids des Islamischen Staats (IS) an den Jesiden fort. Immer wieder werden Flüchtlingslager und Siedlungen der Jesiden im Nordirak von türkischen Drohnen oder Flugzeugen angegriffen – wegen angeblicher Nähe zur PKK. Der Islamische Staat wirde während des syrischen Bürgerkriegs jahrelang von Ankara nicht nur toleriert, sondern auch militärisch, logistisch und finanziell unterstützt. Dagegen konnte die im Westen als „Terrororganisation“ geltende PKK 2014 mittels einer militärischen Intervention einem großen Teil vom IS verfolgten Jesiden das Leben retten. Die PKK unterstützte in den Folgejahren den Aufbau von Selbstverteidigungskräften der überlebenden Jesiden, weshalb Ankara auch sie als „Terrororganisation“ bezeichnet.

Türkischer Drohnenterror ist in den kurdischen Autonomieregionen Nordsyriens weiterhin Alltag. Laut Angaben des Rojava Information Center hat Ankaras Luftwaffe zwischen 1. Januar und 6. November dieses Jahres 88 Drohnenangriffe auf Ziele im Autonomiegebiet Rojava durchgeführt. Hinzu kommen sporadische Artillerieangriffe auf Siedlungen und Städte – im August etwa beschoss türkische Artillerie die Stadt Kobanê.

Die Kollaboration des lieben Nato-Partners Türkei mit militanten Islamisten scheint zudem in Nordsyrien weiterhin geübt zu werden. Die „Jerusalem Post“ warf in einer Ende Oktober publizierten Reportage über die jüngsten Kämpfe in den türkisch okkupierten Regionen Nordwestsyriens die Frage auf, ob Ankara mit der islamistischen Miliz Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS) kooperiere. Sie gilt in den USA und Kanada als Terrororganisation. Die HTS ist aus der Al-Nusra-Front hervorgegangen, dem syrischen Ableger des Al-Kaida-Netzwerks. Die Islamisten, die während des Bürgerkrieges von Saudi-Arabien und Katar finanziert wurden, haben einfach ein Rebranding durchgeführt und kontrollieren nun weite Teile der türkischen Besatzungszone Nordwestsyriens.

In der türkisch kontrollierten Provinz Idlib wie auch im 2019 eroberten Afrin würden nun, so die „Jerusalem Post“, islamistische Milizen um Macht und Beute kämpfen, während die türkische Armee als der „ultimative Vermittler“ zwischen den extremistischen Gruppierungen fungiere. In den türkischen Okkupationsgebieten werden systematisch Folter, Vergewaltigung von Frauen, Beseitigung von Oppositionellen und weitere schwere Menschenrechtsverstöße praktiziert. Ankara installiert in Nordwestsyrien ein von islamischen Terroristen bewachtes Freiluft-Gefängnis für syrische Flüchtling , die laut Human Rights Watch immer wieder hierher abgeschoben werden.

Es habe schon immer Absprachen zwischen Ankara und den Al-Kaida-Erben gegeben, schreibt die „Jerusalem Post“. Doch die jüngsten Vorgänge, bei denen die HTS trotz türkischer Luftkontrolle bei Kämpfen verfeindeter Milizen in Afrin intervenieren und ungehindert in die Kantonshauptstadt einmarschieren konnte, deuteten auf ein „gestiegenes Niveau an Kooperation“ hin. Ankara glaube, dass die dschihadistische HTS eine größere „Kohärenz und Stärke“ mit sich bringt als die „korrupten, zerstrittenen“ Fraktionen, die bislang Afrins verbliebene kurdische Bevölkerung terrorisierten und vertrieben. Die Vorgänge in Afrin sollten „genau von allen Staaten studiert werden, denen ein korrektes Verständnis der Natur, der Motivation und des Verhaltens der derzeitigen türkischen Regierung“ wichtig sei, mahnte die israelische Zeitung.

Der Muslimbruder Erdogan legitimierte schon 2014 den Eroberungszug innenpolitisch als einen „Kampf gegen Ungläubige“. So lange jedoch die Türkei für die Bundesrepublik als Bündnispartner, Investitionsstandort und Absatzmarkt wichtig bliebt, wird Annalena Baerbock Herrn Erdogan, der Frauen primär als Gebärmaschinen ansieht, als legitimen Partner ihrer „feministischen Außenpolitik“ verkaufen.

Erstveröffentlicht in Konkret 12/2022

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Grafikquellen      :

Oben      —     Autor Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

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2.) von Oben      —       Laughs

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Die NATO und Deutschland

Erstellt von Redaktion am 3. Januar 2023

Kanzler Scholz, vor aller Welt gedeckelt

Vor ihren Fahnen stehen immer die krummen Bananen

Quelle      :      Ständige Publikumskonferenz der öffentlichen Medien e.V.

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Der oberste deutsche Befehlsempfänger der USA ist noch weniger souverän als das Land, das er regiert: eine Schmach für seine Wähler

60 Tage lang konnte Olaf Scholz erfolgversprechend so tun, als sei er Kanzler eines souveränen Deutschlands. Er gab in seinen ersten Amtstagen sogar vor, er fühle sich mitverantwortlich für den Frieden in Europa[1] Am 7. Februar 2022 war dann Schluss mit lustig. Scholz musste zum Antrittsbesuch bei US-Präsident Biden antraben. Genauer: Zum Befehlsempfang, wie sich auf der anschließenden Pressekonferenz herausstellte. Als Scholz einer Journalistenfrage nach der Zukunft der Gasleitung Nord Stream 2 auswich, gab ihm Biden vor aller Welt Saures: Es werde „… kein Nord Stream 2-Projekt mehr geben“. [2] Der Kanzler griente nur dümmlich, anstatt zu kontern: Nord Stream 2 ist Miteigentum deutscher Unternehmen und liegt außerhalb US-amerikanischer Zuständigkeit. Doch soviel Rückgrat hatte Scholz nicht.

Die ARD-aktuell kommentierte den peinlichen Presseauftritt so:

„Demonstrativ untergehakt als zwei starke Partner, die sich gegenseitig (sic!) vertrauen“. [3]

Obendrein wurde des Kanzlers Erniedrigung also mit Schwanzwedler-Journalismus bedacht (‘tschuldigung, Frau Tina Hassel: Schwanzwedler*Innen-J.). In der 20-Uhr-Tagesschau vom 7. Februar hieß es lakonisch:

„Die USA fordern die klare Zusage, dass Solidarität über deutsche Wirtschaftsinteressen geht.“ [4]

Deutscher Frondienst ist ja nach wie vor selbstverständlich.

Seit dem Ukraine-Krieg ist unübersehbar, dass alle für Deutschland wichtigen Entscheidungen in Washington getroffen werden. Scholz, Baerbock, Habeck und Lindner unterwerfen sich dem Diktat, trotz der enormen Belastungen, die für uns daraus entstehen. Scholz mit Blick auf die USA:

„Es wird keine Maßnahmen geben, bei denen wir unterschiedlich agieren. Wir werden einheitlich und zusammen auftreten.“ [5]

Eigene Ideen zur Kriegsvermeidung und die notwendige Bereitschaft, auch die Sicherheitsbedürfnisse Russlands zu berücksichtigen, ließ er nie erkennen. Scholz, einst Merkels Stellvertreter in der Großen Koalition, weiß natürlich, dass Minsk-2, obwohl ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, nur zum Schein zelebriert und Präsident Putin damit jahrelang hintergangen worden war. Nicht Friedenssicherung war beabsichtigt, sondern Zeitgewinn zur Aufrüstung der Ukraine [6] und zum parallelen Dauerkrieg im Donbass.

Epochaler Betrug

Dass Scholz, nunmehr selbst Kanzler, dem epochalen Betrug kein Ende setzte, sondern die US-Provokationen gegen Russland – zulasten Deutschlands! – weiter unterstützte, zeigt seine US-Hörigkeit. Als ehemaliger Finanzminister Merkels wusste er genau: Seit 2014 hatten die USA das korrupte Kiewer Oligarchen-Regime mit jährlich 5 Milliarden Dollar gepäppelt und dessen Armee zur zweitgrößten europäischen Streitmacht hinter Russland hochgerüstet. Deutschland hatte dabei mit geschmiert.

Berlins Beitrag seit dem Maidan-Putsch und bis zum 24. Februar 22: gewaltige 2 Milliarden Euro [7], [8], über deren Verwendung kein Nachweis verlangt wurde. Obwohl die Ukraine laut EU-Rechnungshof „das korrupteste Land Europas“ ist [9], zahlte und zahlt unsere Regierung in das Oligarchen-Fass ohne Boden.

Die hemmungslose Aufrüstungshilfe der USA, der EU und Deutschlands nutzte das hochkriminelle Kiewer Regime skrupellos dazu, die ethnisch-russische Bevölkerung der Ostukraine zu terrorisieren. Der Vernichtungskrieg [10] [11] der ukrainischen Armee gegen ihre russischsprachigen Landsleute forderte mehr als 14 000 Tote; laut OSZE waren 81 Prozent der Opfer auf Seiten der russischen Ost-Ukrainer zu beklagen. [12] Das neonazistische Regime [13] in Kiew führte diesen Bürgerkrieg im Auftrag der USA. [14] Zu deren Vorteil sollte sich die Ukraine selbst zertrümmern und zum Aufmarschgebiet der NATO gegen Russland planieren.

Letzte Warnung

Deshalb teilte Präsident Putin im Dezember 2021 den westlichen Drahtziehern mit, Russland werde, falls das Dauer-Bombardement auf die Ost-Ukrainer nicht aufhöre,

„angemessene militärisch-technische Vergeltungsmaßnahmen ergreifen“. [15]

Biden, Johnson, Scholz und Co. wussten genau, wo Russlands Rote Linie verlief. Anstatt die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands – und Deutschlands! – zu bedenken und auf eine diplomatische Lösung hinzuwirken, ließ sich Scholz mit US-Auftragsbotschaft nach Moskau schicken und dort erwartungsgemäß abfertigen. Dem deutschen Publikum aber verkaufte die Regierungströte ARD-aktuell Scholz‘ peinliche diplomatische Pleite als beeindruckenden Erfolg:

Kanzler Scholz hat in Moskau diplomatisches Fingerspitzengefühl und Rückgrat bewiesenUnd Präsident Putin gezeigt, wie geschlossen der Westen in der Ukraine-Frage zusammensteht.“ [16]

Schleimer-Journalismus (Schwanzwedler-J. hatten wir ja schon). Nichts hatte Scholz erreicht, gar nichts.

Ein Typ ohne Anstand und Mitgefühl. Scholz hatte Putins Vorwurf, die Armee der Ukraine habe im Donbass 14000 Menschen umgebracht und damit Völkermord begangen, sogar „lächerlich“ genannt. [17] Selbst ein konservatives Magazin sah sich angesichts solcher Menschenverachtung zu der Frage veranlasst:

„Kann jemand, der seinen Gegner nicht einmal verstehen will, weil das dem eigenen Weltbild widerspricht, angemessen reagieren?“ [18]

Nein. Scholz ist nicht bereit, die deutsche Mitschuld an den mörderischen westlichen und Kiewer Provokationen anzuerkennen, die zum russischen Einmarsch in die Ukraine führten. [19] Was Charakterlosigkeit anbelangt, bleibt der Mann sich treu, wie sich schon zeigte, als er sich von US-Biden das Ende der betriebsfertigen Nord Stream-Röhre verkünden ließ:

„Ich verspreche Ihnen, wir werden in der Lage sein, das zu tun.“ [20]

Obwohl 57 Prozent der Deutschen an Nord Stream 2 festhalten wollten [21], folgte Scholz der Stimme seines wahren Herrn und ließ das Nord Stream-2-Projekt einstellen. Bidens Versprechen wurde mit der Sprengung beider Nord Stream-Gasleitungen schließlich sogar übererfüllt. [22] 

US-Krieg gegen Deutschland

Ein staatlicher Terrorakt, eine Kriegshandlung. Fast 10 Milliarden Euro allein für Nord Stream 2 wurden mit einem Schlag vernichtet. [23] Eine Hälfte des Schadens entfällt auf Russland, die andere auf mehrheitlich deutsche Miteigentümer. Die werden ihn erfahrungsgemäß nicht selbst tragen, sondern dem Steuerzahler aufhalsen.

Die Ampelkoalitionäre tun jedoch so, als habe Deutschland den kriegerischen Akt klaglos hinzunehmen: „Geheimhaltungsinteresse und Staatswohl“ gingen vor, heißt es in Regierungskreisen. [24] Den Vogel an bornierter Ignoranz schoss ein rechter Betonkopf-Sozi ab:

Der internationale Deppenchor : Jetzt kann Ratzinger endlich mithören ?

Es ist völlig gleichgültig, ob Nord Stream 1 und Nord Stream 2 nun Lecks haben, wie diese Lecks entstanden sind, ob das Anschläge waren, wer hinter den Anschlägen steckt, weil aus der einen Pipeline noch nie Gas gekommen ist und es aus der anderen seit Wochen kein Gas mehr gegeben hat.“ [25]

Auch ARD-aktuell wollte die Geheimhaltungsakrobatik [26] der Bundesregierung nicht weiter stören. Noch Ende November 22 faselte die Redaktion:

„Sprengung von außen wahrscheinlich“ [27] (sic!)

und bezog sich dabei auf ein externes Gutachten, statt selbst logisch zu denken.

Der Duckmäuser-Journalismus (Schleimer-J. hatten wir schon) unterstützt die USA und ihre Berliner Heloten dabei, Kriegsbeteiligung als Hilfe für die arme „völkerrechtswidrig überfallene“ Ukraine auszugeben und das tatsächliche Kriegsziel der westlichen Eliten zu verschleiern: die Zerschlagung der russischen Staatlichkeit zwecks ungehinderten Zugriffs auf die riesigen russischen Rohstofflager. Unseren Herrschaften geht es nicht um „Freiheit und Democracy“ in der Ukraine, sondern darum, den Konkurrenten Russland zu unterwerfen, sich an dessen Ressourcen zu bereichern und sein Territorium als Aufmarschbasis gegen die VR China zu nutzen.

Die vorgeblich selbstbewussten und doch nur US-liebedienerischen Äußerungen des Kanzlers, seines Vizes Habeck und seiner unsäglichen Außenministerin Baerbock seit Beginn des Krieges haben sich bis zur Stunde durchwegs als reaktionäre Bösartigkeit, Dummheit und Kurzsichtigkeit erwiesen. Verlierer ihrer Sanktionspolitik sind die Westeuropäer, Gewinner die USA. [28]

Die Zeche zahlt der „kleine Mann“

In Westeuropa wird inzwischen ein viermal höherer Gaspreis verlangt als in den USA. Deren superteures Flüssiggas erreicht inzwischen einen Anteil von 70 Prozent des westeuropäischen Gasimports. Unsere Abhängigkeit vom schmutzigeren, umweltschädlicheren und energieärmeren US-Fracking-LNG ist damit noch höher, als sie es jemals vom kalorienreicheren, ökologisch vernünftigeren und zugleich wesentlich preiswerteren russischen Leitungsgas gewesen ist. [29]

Laut Preisvergleichsportal Verivox verdreifachten sich im August 2022 die Gaskosten in Deutschland: Zahlte eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 20.000 kWh zuvor noch 1.258 Euro, stiegen sie nun auf durchschnittlich 3.568 Euro. Dabei bleibt es nicht: Private Haushalte müssen im neuen Jahr mit weiteren Mehrausgaben von 67 Prozent rechnen. [30] Auch die Ölpreise sind innerhalb eines Jahres um satte 50 Prozent gestiegen. [31] Zu dieser starken Heizkosten-Zunahme kommen noch der Preisauftrieb beim Strom (Vattenfall z.B. +45 Prozent) und wesentlich höhere Kraftstoffausgaben.

Davon abgesehen hat der wirtschaftlich, ökologisch und politisch absurde Verzicht auf russische Energieträger bereits jetzt zu beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schäden geführt. Mindestens eine Billion Euro hat es die EU gekostet, das Gas aus Russland zu ersetzen. [32] Deutschland musste für die Umstellung 500 Milliarden Euro aufbringen. Das Geld, mit dem Scholz um sich wirft („Doppelwums“), um den deutschen Kleinbürger ruhig zu stellen und den Amis das Beutemachen zu erleichtern, ist kein Geschenk, sondern Steuerschuld, die wir zurückzahlen müssen. Mit Zins und Zinseszins. Doch dreist wagt der Kanzler vor seiner Bundestags-Claque zu behaupten:

„Niemand, keine Familie, keine Rentnerin, kein Student und auch kein Unternehmen soll Angst haben, von den Preisen für Strom, Gas oder Fernwärme überfordert zu werden.“ [33]

Als ob die Überforderung nicht längst millionenfach stattfände. [34] ARD-aktuell titelte über den Scholz-Auftritt trotzdem unverdrossen verlogen:

„Zurück zur Sachlichkeit“. [35]

Stiefellecker-Journalismus eben (Duckmäuser-J. hatten wir schon).

Niemand soll Angst haben? Inzwischen hat es sich sogar bis zum Regierungssender Deutsche Welle herumgesprochen, dass Deutschland auf dem letzten Loch pfeift. [36] Von der Gesundheitsfürsorge über das Bildungswesen bis zur Verkehrsinfrastruktur ist alles in die Grütze gewirtschaftet. Dank Scholz und seines Gruselkabinetts aber haben wir wieder einen Staatsschulden-Auftrieb und sind schon bei mehr als 2,52 Billionen Euro angelangt. [37]

Den Kanzler juckt es nicht, sagt ein intimer Insider:

Es gibt nur ein einziges Programm für Olaf Scholz, und das ist er selbst. Dass er sich mit korrupten Bankern und Milliardären gut stellt, gehört dazu.“ [38]

Dass Scholz ein (erpressbarer?) Rosstäuscher ist, zeigt auch seine Behauptung, man habe die Sanktionen gegen Russland sorgfältig vorbereitet, „damit sie die Richtigen treffen“. Sorgfältig? Russlands Rohstoffeinnahmen lagen anno 2022 höher als seine Kriegskosten[39] [40], kein Vergleich mit Deutschlands mieser Kassenlage und drohender De-Industrialisierung.

Fass ohne Boden

Wofür das alles? Für eine von Neonazis beherrschte Ukraine. Für eine Diktatur, die alle Oppositionsparteien eliminierte, alle kritischen Medienhäuser dicht machte, politische Gegner auf Todeslisten [41] setzte, den ethnisch-russischen Bürgern die Muttersprache verbot, Millionen russischer Bücher und anderes Kulturgut vernichten lässt und von einem koksenden, miesen Schauspieler und Steuerbetrüger repräsentiert wird, der sich nicht scheut, mit SS-Abzeichen an seiner Camouflage vor die TV-Kameras zu treten und gegen die russisch-orthodoxe Kirche vorzugehen. [42] Für einen Staat mit der höchsten Korruptionsrate europaweit, in dem ein erheblicher Teil der ausländischen Hilfegelder in schwarzen Taschen verschwindet.

Tag für Tag werden auf den Schlachtfeldern der Ukraine hunderte Mitmenschen umgebracht oder verstümmelt. Das Grauen übersteigt jedes Vorstellungsvermögen. Aber unsere empathielose Außenministerin behauptet

Unsere Waffen helfen, Menschenleben zu retten“ [43]

und demonstriert ihre Selbstbezogenheit und Menschenverachtung. Hätte sie Herz und Verstand, müsste sie Konstantin Wecker zustimmen:

„Wer mehr Waffen fordert, der schickt andere zum Morden und Ermordet-Werden.“ [44]

Argumentativ kommt man einer Baerbock allerdings nicht bei. Für deutsche Politiker geziemt sich der Bückling vor US-Regierungen, das hatte auch Vizekanzler Habeck gezeigt:

„Je stärker Deutschland dient, umso größer ist seine Rolle“ [45]

Tiefer, Robert, tiefer! Und Abgang rückwärts!

Die Ursache der Unfreiheit

Seit Jahren kommt immer mal wieder der Verdacht auf, die Kriecherei der Bundesregierungen sei zwangsläufig, weil Deutschland auch nach 1990 keine volle Souveränität erlangt habe; nur Russland habe uns vom Besatzerprivileg befreit, die USA hätten es behalten.

Wiederholt äußerten sogar deutsche Spitzenpolitiker trotz des 2+4-Vertrags von 1990 entsprechende Zweifel an der Souveränität der Bundesrepublik. Wolfgang Schäuble, seinerzeit Bundesfinanzminister, am 18. November 2011:

„… wir in Deutschland sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen.“ [46]

Gregor Gysi, seinerzeit Fraktionsvorsitzender der Linkspartei und Oppositionsführer im Bundestag, am 28. Januar 2014 auf einer Pressekonferenz der Linkspartei:

„… ich denke, dass wir im Jahre 2014 verdient haben, ein in jeder Hinsicht souveräner Staat zu werden. Und wenn wir in jeder Hinsicht souverän werden wollen, müssen wir den USA zeigen, dass wir Grenzüberschreitungen nicht dulden … wer Freundschaft will, muss Unterwürfigkeit aufgeben…“ [47]

Am 21. Juni 2015 stellte Gysi die Souveränitätsfrage sogar im Parlament. [48] Auf eine Antwort bestand er leider nicht.

Unsere Regierenden sind zumindest de facto US-amerikanische Marionetten. Sie geben es nur nicht zu und verstetigen damit ihren Dienstbotenstatus und Deutschlands Souveränitätsdefizit. Die SZ – immerhin eine der wichtigen transatlantischen Meinungsmacher für die deutsche Öffentlichkeit – befand:

„Es existieren offensichtlich zwei Staatsgewalten in Deutschland: erstens die deutsche, und zwar in der Gestalt, die ihr die EU- und andere Verträge gegeben haben; daneben zweitens die US-amerikanische, in nicht genau bekannter Form.“ [49]

Na also. Warum nicht mal die Realität wahrnehmen, obwohl das für Journalisten von heute ungewöhnlich ist?

Von Kanzler Scholz ist vergleichbare Sachlichkeit nicht zu erwarten. Schwerer noch wiegt ein anderes Defizit, das er mit seinen NATO-oliv-Grünen Partnern laufend vergrößert: Empört leugnen sie, dass sie in Kiew mit Neonazis umgehen und deren Denkweise verinnerlichen, obwohl das längst nicht mehr zu übersehen ist; zugleich setzen sie selbst stark protofaschistische Akzente. Sie schikanieren und verbieten oppositionelle Medien und machen die Kritiker der desaströsen Berliner Politik verbal nieder: Kriegsbefürworter, Unmensch, Russenfreund, Verschwörungstheoretiker oder Verfassungsfeind ist, wer ihnen zu widersprechen wagt. Scholz tut so, als habe er die Moral gepachtet, auch wenn er grad eine entlarvende Hasstirade gegen Putin und ebensolche Elogen an den Nazi-Verehrer Melnyk ablässt. [50] Russen tierisch böse, wir die Guten!

Er und seine NATO-oliv-Grünen können sich des Beifalls der Tagesschau & Co.KG. sicher sein. Kriegsgeiler Knallchargen-Journalismus [51] eben (für „Qualitäts“-J. und ähnliche Beleidigungen ist leider kein Platz mehr).

Laut dpa ist eine Mehrheit von 55 Prozent der Deutschen dafür, dass die Ukraine sofort mit Russland über eine Beendigung des Krieges verhandelt. [52] Doch darüber setzt sich ein Kanzler von Amis Gnaden natürlich hinweg.

Der Kniefall des Bundeskanzlers Willy Brandt (1970) in Warschau gereichte ihm und uns weltweit zur Ehre. Die Katzbuckelei des Bundeskanzlers Olaf Scholz 2022 in Washington macht ihn und das Land, das er regiert, weltweit verächtlich.

Quellen:

[1] https://www.tagesschau.de/ausland/europa-ukraine-russland-101.html
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/scholz-biden-ukrainekrise-101.html
[3] https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt-9161.html
[4] https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-49723.html
[5] https://www.rnd.de/politik/joe-biden-nach-gespraech-mit-olaf-scholz-wenn-russland-einmarschiert-wird-es-kein-nord-stream-2-mehr-GVVGRO45QCOX3JBVL7W6IECPBY.html
[6] https://www.ffh.de/video/mediathek/340994-angela-merkel-abkommen-von-minsk-wurden-unterzeichnet-um-ukraine-zeit-zu-geben.html
[7] https://www.wsws.org/de/articles/2019/11/23/ukra-n23.html
[8] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/unterstuetzung-ukraine-2003926
[9] https://globalbridge.ch/wp-content/uploads/2022/12/Europaeischer-Rechnungshof_Ukraine_Korruption.pdf
[10] https://sonar21.com/retired-usmc-colonel-andy-milburn-surprisingly-tells-some-truth-about-ukraine/
[11] https://meinungsfreiheit.rtde.life/international/158456-us-militaerinstruktor-gibt-zu/
[12] https://globalbridge.ch/ein-schlechter-friede-ist-besser-als-ein-guter-krieg/
[13] https://consortiumnews.com/2022/12/29/on-the-influence-of-neo-nazism-in-ukraine/
[14] https://www.lifesitenews.com/blogs/exclusive-us-colonel-explains-americas-role-in-provoking-russia-ukraine-conflict/
[15] https://www.welt.de/politik/ausland/article235795402/Russland-Ukraine-Konflikt-Putin-droht-mit-militaerisch-technischen-Massnahmen.html
[16] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/scholz-putin-moskau-101.html
[17] https://www.merkur.de/politik/muenchen-siko-annalena-baerbock-sicherheitskonferenz-harris-blinken-putin-scholz-news-russland-zr-91356098.html
[18] https://www.focus.de/politik/ausland/angespitzt-kolumne-von-ulrich-reitz-drachenbaeren-allianz_id_56583708.html
[19] https://www.infosperber.ch/politik/welt/ukraine-chronik-der-westlichen-einmischung/
[20] https://www.youtube.com/watch?v=g9V4HNGRMwc
[21] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1282647/umfrage/festhalten-am-projekt-nord-stream2/
[22] https://www.rnd.de/politik/bidens-nord-stream-machtwort-7XZQLYHEPFELNHWBWQG3SOI24A.html
[23] https://praxistipps.focus.de/nord-stream-2-kosten-und-verlauf-der-pipeline_141153
[24] https://www.focus.de/politik/ausland/satellitenaufnahmen-zeigen-fuehren-dark-ships-zu-den-taetern-heisse-spur-bei-nord-stream-ermittlungen_id_180425022.html
[25] https://www.nachdenkseiten.de/?p=91465
[26] https://lostineu.eu/best-of-2022-wie-das-nord-stream-attentat-vertuscht-wird/
[27] https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/nord-stream1-explosion-101.html
[28] https://de.finance.yahoo.com/nachrichten/us-wirtschaft-sommer-st%C3%A4rker-gedacht-141553187.html
[29] https://www.businessinsider.de/wirtschaft/europa-wird-kein-billiges-us-gas-mehr-bekommen-koennen-sagt-ein-amerikanischer-energie-unternehmer-d/
[30] https://www.mein-eigenheim.de/heizen/gaspreise-2022-gaspreisentwicklung.html
[31] https://www.tecson.de/heizoelpreise.html
[32] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-12-20/der-tag-mit-bloomberg
[33] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100068520/olaf-scholz-niemand-muss-angst-vor-gas-und-strompreisen-haben.html
[34] https://m.focus.de/finanzen/sozialexperte-ulrich-schneider-warnt-bei-vielen-armen-schlaegt-die-angst-in-pure-verzweiflung-um_id_180455939.html
[35] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/regierungserklaerung-scholz-109.html
[36] https://www.dw.com/de/ein-land-funkt-sos-deutschland-an-der-belastungsgrenze/a-64189343
[37] https://www.gold.de/staatsverschuldung-deutschland/
[38] https://www.cicero.de/innenpolitik/interview-mit-ex-spd-politiker-torsten-teichert-die-linke-scholz-spd
[39] https://www.manager-magazin.de/finanzen/russland-einnahmen-aus-oel-erdgas-und-kohle-uebersteigen-kriegskosten-a-31d0b798-7db7-41aa-b51c-ce58e7048832
[40] https://www.russiafossiltracker.com/en
[41] https://free21.org/die-attentatsliste/
[42] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/wolodymyr-selenskyj-geht-gegen-russisch-orthodoxe-kirche-vor,TOqyyHT
[43] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/interview-aussenministerin-baerbock-faz/2553542
[44] https://www.lesering.de/id/4908427/Konstantin-Wecker-zur-Forderung-nach-mehr-Waffen-Die-schicken-andere-zum-Morden-und-Ermordetwerden/
[45] https://www.focus.de/politik/deutschland/besuch-in-den-usa-habeck-sieht-deutschland-in-einer-dienenden-fuehrungsrolle_id_61552626.html
[46] https://www.youtube.com/watch?v=Y5W5vsGIayI
[47] https://www.youtube.com/watch?v=D-szJY7Eo9E
[48] https://www.youtube.com/watch?v=t3ZJJTQxMhM
[49] https://www.sueddeutsche.de/politik/us-geheimdiensttaetigkeiten-wie-souveraen-ist-deutschland-1.1820657
[50] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw08-sondersitzung-882198
[51] https://meinungsfreiheit.rtde.life/inland/158344-studie-enthuellt-gier-deutscher-medien-nach-konfrontation/
[52] https://meinungsfreiheit.rtde.life/inland/158176-umfrage-mehrheit-deutschen-wuenscht-friedensverhandlungen/

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

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Grafikquellen          :

Oben     —     Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz nehmen am Montag, den 7. Februar 2022, an einer gemeinsamen Pressekonferenz im East Room des Weißen Hauses teil. (Offizielles Foto des Weißen Hauses von Adam Schultz)

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Unten     —     Die NATO sichert seit über 70 Jahren unsere Freiheit und unseren Frieden. In dieser für unsere Sicherheit entscheidenden Zeit treffen sich die Staats- und Regierungschefs auf der #NATOSummit ➖ Sicherstellen @NATO bleibt fit für die Zukunft ➖ Verstärken Sie #NATO Support für 🇺🇦 ➖Stärkung unserer Partnerschaften ➖Befürworten Sie eine neue #StrategicConcept. WeAreNATO

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Déjà-vu ! – Krieg in Europa

Erstellt von Redaktion am 3. Januar 2023

Noch ein Rückblick: „Krieg in Europa“ – Ein Déjà-vu!

Keine Feier ohne Meier – keine Party ohne Scholz – wer wäre da nicht stolz ?

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von        :        Johannes Schillo

Als im Februar Russland die Ukraine angriff, war das Erschrecken groß: „Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt“, verkündeten Politik & Medien und beklagten das Ende der europäischen Friedensordnung.

Bundeskanzler Scholz erinnerte bei der diesjährigen Gedenkrede zum 8. Mai, dem Tag der Kapitulation des faschistischen Deutschland, an die lange Friedensperiode der Nachkriegszeit und daran, „wie heute, 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, erneut rohe Gewalt das Recht bricht, mitten in Europa“ (https://www.n-tv.de/politik/Scholz-Rede-zum-8-Mai-im-Wortlaut-article23318080.html).

Außenministerin Baerbock teilte am Tag der russischen Invasion mit, sie und ihre Kollegen seien „heute in einer anderen Welt aufgewacht… Mit dem militärischen Angriff auf die Ukraine bricht die russische Regierung vor den Augen der Welt mit den elementarsten Regeln der internationalen Ordnung… Die Europäische Friedensordnung der letzten Jahrzehnte ist die Grundlage für das Leben in Wohlstand und Frieden“ (https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/baerbock-ukraine/2513392). Und der Verletzung dieser Ordnung gelte es „entschieden“ entgegenzutreten, mit robusten Mitteln, was, wie man mittlerweile weiß, militärisch fast alles einschließt – bis auf eine direkte NATO-Beteiligung.

Frieden in Europa?

Zum diesjährigen Fest des Friedens kamen natürlich wieder, wie fast an jedem Weihnachtsabend, Meldungen über die beklagenswerte Unfriedlichkeit auf dem Globus. In der Nacht zum 25. Dezember fielen z.B. in Europa Schüsse „nahe einer Nato-Patrouille“, wie die Bildzeitung (27.12.22) meldete. Eine Situation sei „entstanden, die leicht außer Kontrolle geraten kann“, kommentierte die FAZ (28.12.22) und warnte vor einem „Wiederaufflammen der Gewalt“, das den „Westen in erheblich Schwierigkeiten stürzen“ würde – und von dem Russland, das dieses Mal gar nicht beteiligt war, natürlich profitieren dürfte.

Der Schlusssatz macht klar: Es geht nicht um die neue Ostfront in der Ukraine. Die Schüsse fielen nämlich im Norden des Kosovo, wo schon seit langem die „Spannungen wachsen“ (FAZ) und kein wirklicher Frieden herrscht, wo es stattdessen heißt: „Serbien bereits im Modus der 1990er-Kriegsjahre… Etwa 3760 Nato-Soldaten halten den fragilen Frieden in der Region aufrecht“ (Bild).

Wer es vergessen haben sollte: Zur großartigen europäischen Friedensordnung gehören allerlei (para-)militärische Konflikte, die mal als separatistische Militanz (siehe Spanien, Belgien) hochkochen oder (siehe Nordirland) einen Dauerzustand darstellen. Auch als Rivalität von Nachbarn (Griechenland und Türkei) kennt man potenzielle Kriegsgründe, die immer wieder eingehegt werden müssen. Und last but not least hat in Jugoslawien fast ein ganzes Jahrzehnt lang eine heftiger Krieg stattgefunden, der dem Ukrainekrieg das Wasser reichen kann.

Kürzlich ist dazu das Buch „Krieg in Europa – Der Zerfall Jugoslawiens und der überforderte Kontinent“ des Journalisten Norbert Mappes-Niediek erschienen, der damals als Korrespondent deutscher und österreichischer Zeitungen auf dem Balkan unterwegs war (Rowohlt Berlin 2022, daraus so weit nicht anders vermerkt, die folgenden Zitate).

Ein Blick zurück

Das Buch sollte Pflichtlektüre für alle sein, die sich heutzutage über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine beklagen und die Putin die Zerstörung der europäischen Friedensordnung zur Last legen. Dass dies eine Mischung aus Heuchelei und dreister Lüge ist, macht das Buch schlagend deutlich.

Zum einen sind ja seit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes völkerrechtswidrige Kriege selbstverständliches Mittel der NATO-Staaten, wenn eine Legitimierung über den UNO-Sicherheitsrat nicht zu erhalten ist oder wenn die USA schlicht und ergreifend kein Interesse daran haben, wie von Bush jr. bis Trump explizit verkündet, sich supranationalen Autoritäten zu unterstellen. Mappes-Niediek, der an die Ausrufung einer „New World Order“ (US-Präsident Bush sr.) nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes erinnert, resümiert das kriegsträchtige Jahrzehnt der 90er, als sich die „einzig verbliebene Supermacht“ USA – mit einer weit gehend willfährigen russischen Regierung im Schlepptau – um die Erneuerung ihrer Weltordnung kümmerte: „‚Regime Change’ wurde zum Schlagwort des Jahrzehnts. Wenn es nicht mit der Unterstützung der Vereinten Nationen geht, dann eben ohne sie: Das blieb die Leitlinie der Vereinigten Staaten.“ (362). Von Außenministerin Albright wurde das ausdrücklich bestätigt. Selbst eine Zustimmung der UNO hätte in ihren Augen die Definitionsmacht der NATO über weltpolitische Konfliktfälle und den daraus folgenden Handlungsbedarf beschädigt.

Mappes-Niediek erinnert auch daran (357), dass zwar die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs in Gang kam – nachdem der Vorwurf der Kriegsverbrechen auf der jeweils anderen Seite die militärische Propaganda befeuert hatte –, dass sich aber die USA gleich davon distanzierten; ja, dass Präsident Trump Sanktionen gegen die Ankläger des ICC verhängte, die gegen verdächtige amerikanische Soldaten und Soldatinnen ermitteln wollten.

Der deutsche Journalist und Fachautor für Südosteuropa Norbert Mappes-Niediek 

Zum andern ist die europäische Friedensordnung, die seit Putins Krieg immer wieder als das Opfer russischer Machenschaften beschworen wird, eine Fiktion. Genauer gesagt: Sie hat sich fast vom ersten Tag an, als die Teilung der Welt aufhörte und das „Gemeinsame Haus Europas“ (Gorbatschow) am Horizont erschien, als eine blutige Realität offenbart. Nicht mit Putins Invasion in die Ukraine ist ja der Krieg nach Europa zurückgekehrt, wie es bei den neuen Bellizisten immer heißt, sondern mit den militärischen Konflikten auf dem Balkan, die vom Westen kräftig gefördert und betreut, schließlich auch selber geführt wurden. „Über acht Jahre zogen sich die Jugoslawienkriege, 135000 Menschen kamen zu Tode, Millionen flüchteten oder wurden vertrieben.“ (356)

Der Kosovokrieg, den die NATO-Staaten – unter Bruch des Völkerrechts – führten, sollte der „letzte ‚Krieg in Europa‘ sein“, so der deutsche Außenminister Fischer (357). In Wirklichkeit ließ er eine unbefriedete Region zurück, wurde zum Auftakt mehrerer Kriege in der europäischen Nachbarschaft und führte Deutschland auf den Weg einer zunehmenden Militarisierung (https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/31580/auslandseinsaetze-der-bundeswehr/). Anfang des neuen Jahrhunderts, unterm deutschen NATO-Generalsekretär Wörner, konnte sich somit der ehemalige Kriegsverlierer als weltweit engagierte Militärmacht präsentieren, wie die Presse stolz vermeldete: „Deutschland ist größter Truppensteller für Auslandseinsätze und nach den USA der zweitgrößte Beitragszahler in der Allianz“ (https://www.dw.com/de/die-nato-braucht-deutschland/a-1575704). Diese Karriere begann mit den Kriegen auf dem Balkan: „In Jugoslawien wurde gebombt, Deutschland war dabei.“ (358)

Und schließlich ist daran zu erinnern, dass Jugoslawien zum Präzedenzfall für Putins Invasion wurde. Der russische Herrscher verfuhr 2022 genau nach der Logik des Westens. Der hatte sich ja damals die Frage vorgelegt: „Darf man intervenieren, wenn in einem Land Menschenrechte verletzt und Bürgerkriege geführt werden? Muss man es nicht sogar?“ (359) Die Amerikanisierung des Völkerrechts – gefasst als Responsibility to protect – gab die klare Antwort: Man darf. Mit derselben Legitimation griff Putin 2022 zum Schutz einer bedrohten Volksgruppe in die Ukraine ein. Als er das tat, wurde im Westen natürlich gleich klargestellt: Quod licet Iovi, non licet bovi.

Krieg in Europa

„Krieg in Europa: Als der Alarmruf zum ersten Mal“ – und zwar nach einigen Friedensjahrzehnten – „wieder erklang, traf er auf Entsetzen, mehr aber noch auf ungläubiges Staunen. Krieg, wirklich?“ (9) schreibt einleitend Mappes-Niediek und meint natürlich nicht das ungläubige Staunen, das am Tag nach der russischen Invasion vom 24. Februar einsetzte und das gleich die erste große Kriegslüge der neuen Konfliktlage produzierte: die von westlichen Politikern und Medien unisono verbreitete Legende, jetzt, auf Putins Initiative, sei der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Die Jugoslawien-Chronik nennt dagegen das korrekte Datum, den Juni 1991, als die deutsche Tagesschau die ersten „Kämpfe“ in Slowenen mit einem toten Soldaten meldete. Dies war der Start des Gemetzels auf dem Balkan, das fast ein Jahrzehnt dauerte und bis heute (siehe Bosnien-Herzogowina oder das Kosovo) zu keinem wirklichen Friedenszustand geführt hat. Stattdessen wird durch eine Art neokoloniales Diktat der EU nur ein fragiler Waffenstillstand aufrechterhalten.

Als damals die Nachrichten die Öffentlichkeit an einen neuen Kriegszustand in Europa gewöhnten, handelte es sich nicht um eine Epoche von Hass und Völkerfeindschaft, wie der neue Rückblick betont. Im Gegenteil, als der Ostblock sich auflöste, sahen Lobredner der US-Demokratie wie Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ gekommen: Der Siegeszug der Demokratie sei unumkehrbar und liberale Revolutionen breiteten sich auf dem Globus aus, der so zu einem transnationalen „Global Village“ zusammenwachse. Das zur selben Zeit aufkommende Modewort „Globalisierung“ bekräftigte das. Jetzt, wo mit dem Ende des „Eisernen Vorhangs“ den Grenzen das Trennende genommen war, sollte die „Eine Welt“ zu ihrer Einheit finden, Nationalismus verschwinden und nationalstaatliche Selbstbehauptung ihre Bedeutung verlieren. „Nicht nur im Ostblock purzelten die Diktaturen“, vermerkt Mappes-Niediek, „auf der ganzen Welt entschieden sich freie Menschen für friedliche und demokratische Formen des Zusammenlebens“ (10). Erinnern kann man sich etwa an die Pinochet-Diktatur in Chile, die 1989 zu Ende ging, oder an das rassistische Apartheidsregime in Südafrika, das nach der Wende abdankte.

„Dass ausgerechnet in Europa der Triumph der Demokratie einen Krieg mit sich bringen würde, mochte sich auf dem Kontinent der sauber abgegrenzten Nationalstaaten niemand vorstellen.“ (10f) D.h. auf einem Kontinent, auf dem sich gerade Europa vereinigte. „1991, das Jahr, als in Jugoslawien Krieg ausbrach, war auch das Jahr, in dem die Europäische Gemeinschaft ein großes Stück weiter zusammenrückte.“ (11) In diesem Jahr – das war das überraschende Programm der Westmächte – sollten nun lauter neue Nationalstaaten auf dem Balkan entstehen, mit sauber abgegrenzten nationalen Populationen (die dann natürlich erst durch „ethnische Säuberungen“ herzustellen waren), und wurde die Errichtung neuer Grenzzäune von den Machthabern, die auf demokratischem Weg aufgestiegen waren, den Betroffenen als ihr neues Glück verkauft – und von nationalistisch aufgehetzten Massen auch als solches genommen.

Ähnlich wie Ulrike Guérot in ihrem Essay „Endspiel Europa“ 2022 den Traum von Europa (siehe Scharf links, 20.11.22 www.scharf-links.de/48.0.html) mit der bitteren, unfriedlichen, nationalistisch aufgeheizten Konfliktlage des Jahres 2022 konfrontiert, deutet Mappes-Niediek auf den Kontrast zwischen der 1989/1990 versprochenen Friedensdividende mit ihren Erwartungen eines demokratisch herbeiregierten allgemeinen Wohlstands und einer Realität, die genau das Gegenteil bereithielt. „Während auf dem Kontinent die Zeichen auf Vereinigung standen, löste Jugoslawien sich auf“ (11). Wie bei Guérot klingt auch hier eine – leider verpasste bzw. unterdrückte – Alternative an, die statt der Schaffung klarer völkischer Verhältnisse im Interesse der „Kriegsherren Jugoslawiens“ (13) das multiethnische oder -kulturelle Potenzial des ehemaligen Vielvölkerstaates bewahrt und von den unter Tito noch verbliebenen nationalistischen Resten befreit hätte.

Als in Jugoslawien Krieg ausbrach“

Zwei Einwände muss man jedoch gegen diesen aufschlussreichen Rückblick vorbringen, der das Ideal eines friedlich vereinten, multiethnisch ausbalancierten Kontinents unterstellt und dagegen im Klagemodus das Bild einer trostlosen Welt setzt. Erstens: Wenn sich herausstellt, dass die Ideale nichts wert sind, ja dass sich die vom Westen verbreiteten Visionen einer besseren Welt genau in dem Moment der „Zeitenwende“ von 1989/90, als ihre Realisierung angestanden hätte, in kürzester Frist als Sinnestäuschungen erweisen, dann können sie kein ernsthaftes Projekt gewesen sein. Dann wäre folglich eine Untersuchung angebracht, die die wirkliche Rolle der Friedens- und anderen Idealismen aufspürt. Dann hätte es nahe gelegen, sie etwa als – diplomatisch notwendige, auf Legitimation zielende – Umgangsformen im modernen Staatenverkehr unter die Lupe zu nehmen, denen man eventuell die wirklich gültige Zielsetzung entnehmen kann.

Zweitens gibt es bei Mappes-Niediek grundsätzliche Aussagen, die einen aufhorchen lassen. Wie zitiert, kennt der Autor Weltlagen, in denen ein Krieg „ausbricht“; oder es kommt dazu, dass sich Jugoslawien „auflöst“. Ein Vorgang oder Land figurieren hier als Subjekte, die etwas bewirken und entscheidende Veränderungen in die Welt setzen. Das hat natürlich seine Tradition, aber man stelle sich einmal vor, zum neuesten Krieg in Europa würde es heißen, er sei am 24. Februar ausgebrochen. Natürlich spricht der Autor auch von den Kriegsherren Jugoslawiens, sieht hier etwa den serbischen Nationalismus mit seinem Anführer Miloševi? als Hauptkriegstreiber. Es klingt also an, dass es bestimmte Figuren in der politischen Klasse gab, die mit hoheitlicher Gewalt ihren Anhang zu der fatalen Konfrontation hindirigieren konnten.

Aber hier liegt dann gleich ein weiteres Problem. Wenn man den Kriegsverlauf in den Blick nimmt, dann wird eins unübersehbar klar: Nicht Jugoslawien löste sich auf, sondern es wurde vom Westen (seinerzeit sogar mit weit gehender Zustimmung Russlands) systematisch in seiner Auflösung betreut und gefördert, am Schluss dann durch direktes militärisches Eingreifen „befriedet“. Ohne die auswärtigen Interessen an dieser Region wäre es nicht zu der ausgreifenden militärischen Konfrontation gekommen, vielleicht wäre der Aufbruch in die neue, US-dominierte Weltordnung nur mit ein paar völkischen Gehässigkeiten oder separatistischen Militanzaktionen verbunden gewesen, wie man sie aus anderen westeuropäischen Ländern kennt.

Zur Beurteilung von Kriegsgründen und Kriegsverlauf durch den Journalisten Mappes-Niediek wäre im Einzelnen einiges anzumerken. Der Autor will auf eine tragische Verkettung in einem „dunklen Jahrzehnt“ hinaus. Dabei bringt er es fertig, über eine parallele Militäraktion, mit der damals die NATO-Führungsmacht befasst und angeblich von Europa abgelenkt war, zu schreiben: „Der Januar [1991] hatte im Nahen Osten den Zweiten Golfkrieg gebracht.“ (77) Und die EU-Größen trafen sich zur selben Zeit in Brüssel, wo sie abends die Tagesschau über das Geschehen auf dem Balkan mit den ersten Schusswechseln informierte: „Die versammelten Regierungschefs waren sich der Brisanz der Nachricht bewusst. Sofort schickten sie hochrangige Emissäre nach Belgrad, um das Schlimmste zu verhindern.“ (78)

Kriege brechen aus oder kommen zu einem bestimmten Datum auf die Welt, Regierungschefs mächtiger Staaten sehen abends Nachrichten und sind erschüttert. Sie wollen eigentlich den Nationalismus abschaffen und die europäischen Völker vereinigen, haben dabei alle möglichen Probleme am Hals, sodass sie den Aufruhr auf dem Balkan, unmittelbar vor ihrer Haustür, nicht richtig wahrnehmen und erst – hilflos und unabgestimmt – eingreifen, wenn es zu spät ist. Alles in allem, sind sie Macher eines „überforderten Kontinents“. Fast so wie die legendären „Schlafwandler“ von 1914.

Wer’s glaubt wird selig! Natürlich glaubt auch Mappes-Niediek solche Beurteilungen nicht wirklich. An anderer Stelle weiß er zu berichten, dass „schon im Juli 1990, ein ganzes Jahr vor Kriegsbeginn“ (116), in der deutschen Politik über eine Sezession Kroatiens diskutiert wurde, dass Deutschland unter Kohl und Genscher vorpreschte; und zwar im Bewusstsein seiner neu errungenen Machtstellung, die bei den „Partnern“ misstrauisch beäugt wurde, „denn die Begeisterung für eine Wiedervereinigung Deutschlands hielt sich auch bei engen Verbündeten in Grenzen.“ (117)

Eine sehr diplomatische Formulierung! Deutschland erhob damals einen Führungsanspruch bei der Neugestaltung des europäischen Hauses, der bei den anderen EU-Mitgliedern auf Widerspruch stieß. Diese Hindernisse mussten Kohl und Co. erst abarbeiten. Wenn man näher hinblickt, offenbart sich also das angeblich Zögern und Abwarten des „Westens“ als Folge einer Konkurrenzaffäre: Imperialistischer Staaten kamen sich bei der Neuordnung des Kontinents ins Gehege und mussten Statusfragen klären. Die Kohl-Regierung setzte sich durch und die verhängnisvollen Daten für die folgenden Kriege. Das Programm, das hierzulande von Medien und politischer Klasse geteilt wurde, sollte eben „das beträchtliche Gewicht des wiedervereinigten Deutschland unbedingt einbringen – nicht aus imperialen Gelüsten, sondern aus Verantwortungsgefühl“ (125), wie der Balkan-Experte formuliert.

Tja, die Verantwortung! Jahrzehntelang hat man in Deutschland seitdem gehört, es sollte und müsste und wollte mehr Verantwortung übernehmen. Damals erfolgte die Verantwortungsübernahme dann in der Form, dass man sich 1999 dem militärischen Überfall auf Serbien anschloss. Und heute ist klar, dass Deutschland zur Rolle einer militärischen Führungsmacht berufen ist – verantwortlich für kontinentale und globale Ordnungsfragen, was mit Imperialismus natürlich nichts zu tun hat.

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Grafikquellen       :

Oben       —    Meeting of the President of Ukraine with the Presidents of France and Romania, the Chancellor of Germany and the Prime Minister of Italy

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Zwischen den Welten

Erstellt von Redaktion am 31. Dezember 2022

Ukrainer-innen nach ihrer Flucht in  Deutschland

Viele Menschen hinter einer Absperrung, auf der anderen Seite Helfer mit Westen und Megaphonen

Von Michael Bartsch, Patrick Guyton und Dinah Riese

Vor acht Monaten hatte die taz Ukrai­ne­r:in­nen getroffen, die gerade nach Deutschland geflohen waren. Wie geht es ihnen heute?

Kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat die taz im April Menschen getroffen, die einzeln oder mit ihren Angehörigen nach Deutschland geflohen waren. „Vier von fast 400.000“ schrieben wir damals (online unter taz.de/Gefluechtete). Zu einer Ukrainerin, die es nach Karlsruhe verschlagen hatte, haben wir den Kontakt verloren. Die anderen Geflüchteten haben wir gegen Ende des Jahres noch einmal getroffen, um zu erfahren, wie es bei ihnen weiterging.

Valentina, Radeberg

Die Eineinhalbzimmerwohnung in einem Plattenbau am Rand von Radeberg in Sachsen wirkt noch sehr provisorisch eingerichtet. Stühle stehen mehr zufällig herum, Waschmaschine und Herd sind noch nicht angeschlossen, die Spüle lehnt noch an der Wand. Für das Gespräch werden Sitzgelegenheiten zusammengeschoben.

Bis vor drei Wochen hatte Valentina, 64 Jahre alt, aus Tscherniwzi in der Bukowina, noch bei Cornelia Pfeil im acht Kilometer entfernten Dresdner Vorort Langebrück gewohnt. Ihren ganzen Namen möchte Valentina nicht öffentlich machen. Sie war eine von drei Frauen, die seit März in Pfeils ausgebautem alten Bauernhof wie in einer Flüchtlings-WG lebten. Für die anderen beiden Frauen und das sechsjährige Schulkind Milena hatte Pfeil bereits im April eine eigene Wohnung gefunden.

Auch für Cornelia Pfeil war es jetzt nicht einfach, ein Treffen mit Valentina zu organisieren. Sie neigt dazu, sich abzuschotten. Bis zu ihrer ersten dreiwöchigen Heimfahrt im September in die Westukraine zeigte sie auch wenig Antrieb, die deutsche Sprache zu lernen, pflegte kaum Verbindungen mit Landsleuten im Raum Dresden. Bei unserer Begegnung Mitte Dezember ist sie dann aber aufgeschlossen und gefasst. Schon vor acht Monaten kamen die emotionalsten und lebensklügsten Sätze der drei Frauen aus Langebrück von Valentina, die als einfache Marktfrau in ihrer Heimat gearbeitet hatte.

Auch in Deutschland hat sie einen Job gefunden, durch Vermittlung Cornelia Pfeils in einer Gärtnerei im Nachbardorf. „Das hat mir sehr gefallen, wir haben mit Deutschen, Polen und Ukrainern freundschaftlich zusammengearbeitet“, sagt Valentina. Und dass sie sich darauf freue, wenn es dort im März weitergeht – jetzt ist in der Gärtnerei Winterpause. Sie brauche die Motivation zum frühen Aufstehen ebenso wie die Kontakte mit anderen Menschen, sagt Valentina. Schon beim ersten Treffen im April erklärte sie, dass sie ihren Lebensunterhalt zumindest teilweise selbst verdienen möchte. Sie wolle nicht nur dem Gastgeberland auf der Tasche liegen.

Das alles übersetzt sicherheitshalber eine freundliche russischstämmige Musiklehrerin, aber Valentina hat auch einige Brocken Deutsch gelernt. Sie kann sich nach dem Weg und einfachen Informationen erkundigen. „Entschuldigung“, lautet jedes dritte Wort von ihr auf Deutsch.

Eine genaue Übersetzung ist besonders wichtig bei dem, was sie über ihre Heimat und ihre „gespaltenen Empfindungen“ im deutschen Exil sagt. „Hier ist es wie im Märchen“, sagt Valentina. „Man kommt mit nichts und erhält alles, das gibt es sonst nirgendwo.“ Überschwänglich lobt sie Cornelia Pfeil, die sich „rührend um mich gekümmert hat“. Und doch: „Mein Herz will natürlich zurück in die Ukraine.“ In ihre westukrainische Heimat könnte sie derzeit auch halbwegs gefahrlos zurückkehren, aber sie zögert.

Es wird nicht ganz deutlich, welche Wirkung die drei Wochen Heimatbesuch bei ihr hinterlassen haben. Ihr Sohn dient in der ukrainischen Armee, musste aber nach Gallenproblemen während der Ausbildung operiert werden und ist nicht einsatzfähig. „Ich bin stolz auf unsere Männer, die die Ukraine beschützen“, sagt Valentina. „Ich bete täglich für sie, und so viele sind schon gestorben.“

Ihr Besuch zu Hause scheint aber auch ihre Hoffnungen auf ein baldiges Kriegsende und ihre dauerhafte Rückkehr gedämpft zu haben. Selbstverständlich wünscht sie sich, „dass alles gut wird und die Kinder und Enkel in einem befreiten Land aufwachsen können“. Aber sie kann sich heute schwerer als zuvor vorstellen, „dass das Volk das, was es erlebt hat, verzeihen kann“. Die Russen haben viele Zivilisten getötet, Kinder entführt, das halbe Land „vernichtet“. Auch ihre Eltern wurden von den Russen erschossen.

Ob all das mit einem Friedensabkommen jemals gut werden kann? „Die Wunde wird wahrscheinlich noch lange offen bleiben“, sagt Valentina und wiegt nachdenklich den Kopf. Und das, obschon sie sich gut an die Zeit in der gemeinsamen Sowjetunion erinnert, „in der wir das Letzte, was wir hatten, geteilt haben“. Deshalb scheint sie sich nach ihrem Heimatbesuch nun stärker um Integration in Deutschland zu bemühen.

Zu den anderen geflüchteten Frauen, die zunächst zusammen mit Valentina bei ihr wohnten, hat Cornelia Pfeil seit deren Auszug kaum noch Kontakt, aber besonders mit einer von ihnen hatte sie schon in den wenigen Wochen in Langebrück Probleme wegen ihrer Anspruchsmentalität. Nehmen, was zu bekommen ist in Deutschland, sei der Plan gewesen – das war zumindest der Eindruck von Pfeil.

Die ehemalige Gastgeberin spricht lachend über ihr „Helfersyndrom“. Sie würde aber künftig genauer hinschauen, wen sie sich ins Haus holt, sagt sie. Am 5. März dieses Jahres, als sie spontan einem Vermittlungsangebot folgte und die durch den Auszug von drei ihrer vier Kinder frei gewordenen Plätze in ihrem Haus anbot, wusste sie das nicht. Ernüchtert haben sie auch die Erfahrungen mit deutschen Behörden. Die Vermittlung Valentinas in eine preiswerte Wohnung für 335 Euro im Monat scheiterte, weil das finanzierte Limit bei 333 Euro liegt.

Valentina feiert in diesem Jahr nicht russisches Neujahr und nicht das atheistische Jolka-Fest, aber in bescheidenem Maß feierte sie deutsches Weihnachten mit Besuchen und Anrufen zu Hause. Ihre nächsten Schritte? Die kahle Wohnung gemütlich einrichten und sich auf Arbeit und mehr Selbstständigkeit vorbereiten. Zum Abschied wünscht sie: „friedlichen Himmel über allen“.

Marianna Kazatska und Marina She­miat­­kina, München

„I’m fine“ – mir geht es gut, sagt Marina Shemiatkina in einem Besprechungsraum ihres Arbeitsgebers WTS im Münchner Werksviertel. Die 45-Jährige aus der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw ist Juristin, WTS ist eine große, internationale Steuerberatungsgesellschaft. She­miat­kina hat hier einen Job, schon in ihrer Heimat hatte sie für den ukrainischen Partner von WTS gearbeitet. Als der Krieg begann, waren sie und ihre Arbeitskollegin Marianna Kazatska mit ihren Kindern im Auto zunächst ins Ungewisse geflohen. An der polnisch-deutschen Grenze kam dann der Anruf von WTS: Sie sollen nach München fahren, alles sei vorbereitet. Am 6. März kamen sie an.

Mit ihrer Tochter lebt Shemiatkina in einer Dreizimmerwohnung in Kirchheim im Osten von München. Die 16-Jährige geht aufs Gymnasium, ist in der zehnten Klasse und macht viel Sport. „Vor allem Leichtathletik“, sagt ihre Mutter. Der Vater lebt in Kyjiw, das Paar ist seit Langem geschieden. In She­miat­kinas Wohnung in Kyjiw sind wiederum Freunde eingezogen. „Sie kommen aus der Ostukraine und mussten fliehen.“

Arbeit, Wohnung, Kind in der Schule – also offenbar alles im Griff in Deutschland. Und doch fängt Shemiatkina an zu weinen, wenn sie von ihrer Mutter erzählt. Die wohnt in einem Haus auf dem Land bei Kyjiw. „Da ist mittlerweile kaum jemand mehr“, sagt sie, „alle sind geflohen.“ Vor der Flucht hat sie der Mutter ihren Hund gebracht, die Katze, den Papagei.

Innerhalb von sechs Stunden musste Shemiatkina im März entscheiden, ob sie das Angebot von Marianna Kazatska annimmt. Die hatte ihr abends gesagt, dass sie am nächsten Morgen ganz in der Früh aufbricht, mit ihrer Mutter und den drei Kindern, heute 11, 8 und 1 Jahr alt – es wäre noch Platz im Auto. Ihren Mann Alexander musste Kazatska zurücklassen, Männer in wehrfähigem Alter dürfen die Ukraine nicht verlassen.

Jetzt arbeitet Marianna Kazatska ebenfalls bei WTC, in der Marketingabteilung. „Ich kümmere mich etwa um die internationale Homepage“, erzählt sie. „Die ist auf Englisch.“ Es hat sich viel getan seit dem Frühjahr. Erst war sie in eine Wohnung gezogen, die eine Bekannte von Bekannten zur Verfügung gestellt hatte. Im Juni durfte dann auch ihr Mann Alexander nach Deutschland kommen, denn Väter von mindestens drei minderjährigen Kindern wurden in der Ukraine von der Einberufung in die Armee freigestellt.

Nun lebt die Familie Kazatska in einer Doppelhaushälfte im Münchner Vorort Vaterstetten. „Wir sind sehr froh darüber“, erzählt Kazatska. „Die Vermieter sind sehr nett.“ Ihr Mann Alexander hat in Kyjiw eine eigene Steuerkanzlei. Diese existiert weiterhin, allerdings fast nur digital. Er arbeitet von Vater­stetten aus im Homeoffice, die meisten Mitarbeiter sind weiter in der Ukraine, ebenfalls im Homeoffice. So wird der Betrieb aufrechterhalten. „Aber das ist schon schwierig“, sagt Marianna Kazatska. „In Kyjiw gibt es oft tagelang keinen Strom.“

Ihre elfjährige Tochter geht aufs Gymnasium und spielt viel Klavier, bald wird sie an „Jugend musiziert“ teilnehmen. Die Achtjährige ist in der Grundschule, um den Einjährigen kümmert sich die Oma. Deren Mann wiederum ist in der Heimat in der Ostukraine geblieben – „ein Bauer verlässt sein Land nicht“, sagt Kazatska über ihren Vater. Als die Kämpfe in der Nähe seines Dorfs zu heftig wurden, zog er für einige Zeit in die leere Wohnung von Marianna und Alexander in der Hauptstadt. Jetzt ist er wieder zurück im Osten.

Die Kinder kommen so weit alle gut zurecht. „Sie spüren aber, dass sie Flüchtlinge sind“, erzählt Kazatska. Die Grundschülerin etwa hätte nicht gewagt, der Lehrerin zu erzählen, dass sie von einem Mitschüler geschlagen wurde. „Sie dachte, dass sie dann von der Schule ­gehen muss.“

Marina Shemiatkina und Marianna Kazatska wissen beide nicht, wie es weitergeht. „Ich gehe nur zurück, wenn es für meine Kinder zu hundert Prozent sicher ist“, sagt Kazatska. Ihre Freundin plant, dass ihre 16-jährige Tochter wohl in Deutschland das Abitur machen wird.

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Oben      —     Empfang von Flüchtlingen am Berliner Hauptbahnhof. Viele Berliner boten dort freiwillig einen Schlafplatz in ihrer Wohnung an.

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Faule Ausrede Angst

Erstellt von Redaktion am 28. Dezember 2022

Vom Mut der Ukrainer-Innen  und den Iranerinnen

Ein Schlagloch von Jagoda Marinic

Mutlosigkeit ist ein Luxus, den sich Ukrainer und Iranerinnen nicht leisten können. Von ihnen sollten wir lernen, an die Kraft zum Wandel zu glauben. Die Radikalität der Letzten Generation war ein Hoffnungsschimmer inmitten der politischen Landschaft.

Muss nur noch kurz die Welt retten, sang Tim Bendzko vor über zehn Jahren, und gefühlt lief dieser Song seit einem Jahrzehnt in Dauerschleife und machte die Runde um die Welt: Fast alle sind für irgendeine Weltrettung zuständig, und obwohl ich dankbar bin für jene Menschen, die unermüdlich wirken, macht sich in meinem Kopf zum Ende des Jahres die vollkommene Weltrettungsmüdigkeit breit, obwohl ich weiß, davon kommt nichts.

Ich versuche meistens auch, den Funken Hoffnung zu finden, die Handlungsfähigkeit des Einzelnen zu betonen, an die vereinte Kraft der vielen zu glauben. Vielleicht ist es zum Ende des Jahres aber auch möglich, gewisse Gefühle von Mut- und Machtlosigkeit auszusprechen, statt immer nur den Mutmuskel zu beschwören, wie so viele das derzeit notgedrungen tun. Zum Ende des Jahres das Zweifeln eingestehen, auch jene Momente zuzulassen, in denen ich denke, es führt doch alles zu nichts. Warum sollte ich mich nicht einem Moment lang der Dystopie hingeben, zumal mich das neue Jahr mit seinen guten Vorsätzen bald schon einholen wird.

Es gab zu Beginn dieses Jahres drei Tage, in denen mich Gefühle von Mut- und Machtlosigkeit völlig in Besitz nahmen. Das war, als die ersten Bilder von russischen Panzern zu sehen waren, wie sie auf Kiew zurollten; ein taubes Gefühl von Ohnmacht, das sich einstellte, weil man denkt, man hat das Leid, das auf solche Bilder folgt, schon einmal gesehen und niemand wird es verhindern. Man zuckt nach dem Massaker von Butscha nur mit den Schultern, weil es niemand verhindert hat, es war ja vorhersehbar.

Es sind Momente, in denen Begriffe wie Weltgemeinschaft wie Hohn erscheinen. Man könnte sich in Zynismus flüchten, bis man die Ukrainer selbst kämpfen sieht, bis man sieht, wie die Menschen dort die Kraft finden, sich zur Wehr zu setzen und uns so in die Pflicht nehmen: Wie können wir, die wir in Frieden leben, in Mutlosigkeit verharren, wenn die Ukrainer an der Hoffnung festhalten? Ist es für uns, die wir in Frieden leben, zu viel verlangt, mit den Kämpfenden zu hoffen?

Es hätte im deutschen Diskurs dieses Jahr viel mehr Respekt geben sollen vor dem Mut der Ukrainer, anstatt dass wir Debatten darüber führen mussten, wie viel Angst manche in Deutschland vor Putin haben. Die Debatten über die Ukraine zeigten, wie bequem wir Deutschen es uns gemacht haben mit unseren Ängsten, wie legitim es geworden ist, die eigenen Ängste öffentlich zu betrachten und sie trophäenartig als Entschuldigung für Handlungsunfähigkeit anzuführen. Wer Angst hat, muss nicht handeln, wer Angst hat, der muss seine eigenen Ängste tätscheln. In den deutschen Dauerschleifen der Pseudodifferenzierung entsteht jedoch nichts als Lethargie. Manchmal, wenn deutsche Diskurse in dieser Selbst Referenzialität jedes Handeln zum Erliegen bringen, spüre auch ich, wie das Nichthandeln zur reizvollsten, Selbst gefälligsten Option wird, weil man nicht mehr daran glaubt, etwas bewegen zu können.

In diesem Sinne war die Radikalität der Letzten Generation, ganz gleich wie umstritten manche Aktionen sind, ein Hoffnungsschimmer inmitten einer politischen Landschaft, in der sich die meisten mit den Beharrungskräften längst arrangiert haben. Sie lassen sich in ein Gefängnis sperren, obwohl sie wissen, dass es diese Gesellschaft mehrheitlich nicht interessieren wird, denn die klebt an ihren Routinen und würde lieber die Welt untergehen sehen als ihre liebgewonnen Gewohnheiten. Wenn in Deutschland Menschen, die für das Klima kämpfen, plötzlich zur RAF erklärt werden können, während Rechtsextreme und das Ausmaß ihrer Gewalt oft jahrelang im Verborgenen den Staat bedrohende Strukturen schaffen können, dann überrollt mich ein Gefühl von Mutlosigkeit, weil es zeigt: Auch ohne Horst Seehofer lebt der Irrsinn beliebiger Hufeisenvergleiche weiter.

Es war ein Jahr, in dem ich oft Angst hatte, meinen Twitter- oder Instagram-Account zu öffnen, weil die Freiheitskämpferinnen im Iran ihre Geschichten auf den sozialen Plattformen in die Welt setzten. Ja, die verfluchte Angst, die ich anderen so gerne ankreide, die mich überkommt, wenn ich weiß, ich sehe Bilder und Videos von Menschen, die um ihr Leben kämpfen und ich kann nicht viel mehr tun, als ihre Gesichter in meinen Texten teilen, eine Petition unterschreiben oder Menschen loben, die ihre Geschichten verbreiten helfen. Nichts davon wird viel ändern. All die Momente, in denen es mir peinlich war, dass sich meine Hilfe im Teilen von Social-Media-Posts erschöpfen sollte, und doch schrieben Iranerinnen: „Thank you for being our voice.“ Jenseits des Zynismus, jenseits der Abgeklärtheit glauben sie an die Veränderung zum Besseren, während wir in den freieren Teilen der Welt den Kopf über ihre Freiheitsbewegung beugen und richten, ob sie es dieses Mal schaffen, das Regime zu stürzen oder ob es „wieder nur“ ein Aufbäumen ist.

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Oben      —   Protest an der Amirkabir-Universität für Technologie am 20. September 2022

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 28. Dezember 2022

„Krieg und Frieden“
Aus Protest früher feiern

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Aus Luzk von Juri Konkewitsch

In Luzk feiert man Weihnachten so normal wie möglich – dafür am 25. Dezember. Der frühere Termin ist auch Zeichen gegen die Tradition der Besetzer.

In diesem Jahr haben wir Weihnachten zu Hause am 25. Dezember gefeiert. Nicht, dass ich mich besonders mit Kalendern und korrekten Daten auskenne. Ehrlich gesagt ist Weihnachten für mich vor allem die süße Getreidespeise Kutja, Familientraditionen, Verwandtschaft am Familientisch und ein gemütlicher Moment inmitten des Alltags.

In den vergangenen Jahren haben wir am 25. Dezember höflich dem Papst in Rom zugehört, unseren katholischen Bekannten gratuliert und auf den 7. Januar gewartet. Aber jetzt wollen wir ausschließlich den 25. Dezember haben, um Weihnachten nicht am selben Tag zu feiern wie diejenigen, die davon träumen, uns zu zerstören. Während ich mich fertig mache und zum Gottesdienst in die Kirche gehe, lasse ich das Jahr 2022 Revue passieren.

Universität

Ich erinnere mich an extrem helle Geschichten, die mich zu Tränen rührten: das Foto von einem kargen Weihnachtsessen bei Kerzenschein unserer Soldaten in der Hölle bei Bachmut, direkt vor den Augen der Russen. Ein Video der britischen Regierung, in dem ein Mädchen aus London eine batteriebetriebene Girlande per Post an eine Gleichaltrige aus Kyjiw schickt, damit sie mit diesem Licht die Feiertage in der kalten Stadt überstehen kann. Herzliche Videogrüße aus Köln – von Ingo und Olesja, meinen Berliner Freunden. Sie haben das Video für alle Ukrai­ne­r*in­nen und Be­la­rus­s*in­nen aufgenommen, die sie kennen.

Derweil gibt es Neuigkeiten von den Soziologe*innen: Waren vor der russischen Invasion 25 Prozent der Ukrai­ne­r*in­nen für die Umstellung des Kalenders, sind es jetzt schon 44 Prozent. Wenn ich meinen Facebook-Account angucke, bin ich ganz aufgeregt: Noch nie haben so viele am 25. Dezember gefeiert.

Ein Weihnachtslied des Dichters Alexander Irvanets, der die biblische Geschichte mit den Realitäten des modernen Lebens in der Ukraine verbindet: „Herodes bombardiert Nazareth und Bethlehem immer wieder, ohne aufzuhören. Er sagt auch:, Wir treffen überhaupt keine Zi­vi­lis­t*in­nen …‘ Und die rettenden Hirten räumen immer noch die Trümmer beiseite. Was haben sie nicht alles gesehen, wen haben sie nicht alles herausgeholt.“

Bombenalarm in der Kirche

Ich nähere mich dem Weihnachtsbaum im Zentrum von Luzk, der dieses Jahr nicht beleuchtet ist. Neben dem Dom spielt der Wind mit Engeln aus Pappe. Stille. Sind das Tränen auf meinen Wangen oder ist es nur nasser Schnee?

Quelle       :        TAZ-online        >>>>>         weiterlesen

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Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —     Universität

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Freiheit ist Freiheit.

Erstellt von Redaktion am 25. Dezember 2022

„Freiheit ist Freiheit. Niedertracht ist Niedertracht.“

Erst war die Straße und Brücke – dann kam der Zaun.

Von Serhij Zhadan

Seine Hände sind schwarz und abgearbeitet, das Schmieröl hat sich in die Haut gefressen und sitzt unter den Nägeln. Menschen mit solchen Händen wissen eigentlich zu arbeiten und tun es auch gern. Was sie arbeiten, ist eine andere Sache.

Klein, still und besorgt steht er da und erzählt von der Situation an der Front, von seiner Brigade, von der Technik, mit der er – der Fahrer einer Einheit – unterwegs ist. Plötzlich fasst er sich ein Herz und sagt: »Ihr seid doch Freiwillige«, sagt er, »kauft uns einen Kühlschrank.« »Was willst du denn an der Front mit einem Kühlschrank?« Wir verstehen nicht. »Aber wenn du ihn brauchst, dann fahren wir zum Supermarkt, du suchst dir einen aus, und wir kaufen ihn.« »Nein«, erklärt er, »ihr habt mich falsch verstanden: Ich brauche ein Fahrzeug mit einem Kühlschrank. Einen Kühlwagen. Um die Gefallenen abzutransportieren. Wir finden Leichen, die schon länger als einen Monat in der Sonne gelegen haben. Wir schaffen sie mit einem Kleinbus weg, da kriegst du keine Luft mehr.« Er spricht über die Leichen – seine Arbeit –, ruhig und gemessen, ohne Wichtigtuerei und auch ohne Hysterie. Wir tauschen unsere Nummern. Eine Woche später haben wir in Litauen einen Kühlwagen gefunden und bringen ihn nach Charkiw. Unser Bekannter und seine Kämpfer rücken mit der ganzen Mannschaft an, feierlich nehmen sie das Fahrzeug in Empfang und machen mit uns ein Selfie für einen Post. Dieses Mal trägt unser Bekannter eine Waffe und saubere Kleidung. Die Hände sind – wenn man genauer hinsieht – so schwarz wie zuvor, die tagtägliche schwere Arbeit, das sieht man den Händen am meisten an.

Die Unmöglichkeit, frei zu atmen und leicht zu sprechen

Was ändert der Krieg vor allen Dingen? Das Gefühl für Zeit und das Gefühl für Raum. Die Konturen der Perspektive, die Konturen der zeitlichen Ausdehnung ändern sich unglaublich schnell. Wer sich im Raum des Krieges befindet, macht keine Zukunftspläne, denkt nicht weiter darüber nach, wie die Welt morgen aussehen wird. Nur das, was jetzt und hier mit dir passiert, hat Bedeutung und Gewicht, nur Dinge und Menschen, mit denen du spätestens morgen zu tun hast – wenn du überlebst und aufwachst – haben Sinn. Die wichtigste Aufgabe ist es, unversehrt zu bleiben und sich den nächsten halben Tag durchzukämpfen. Irgendwann später wird sich zeigen, wird sich herausstellen, was man unternehmen und wie man sich verhalten muss, worauf man sich in diesem Leben verlassen kann und wovon man sich lösen muss. Das betrifft im Grunde genommen sowohl die Militärangehörigen als auch jene, die sich als „Zivilisten“, also unbewaffnet, in der Kontaktzone des Todes aufhalten. Genau dieses Gefühl ist es, das dich vom ersten Tag des großen Krieges an begleitet – das Gefühl der gebrochenen Zeit, des Fehlens von Dauer, das Gefühl der zusammengepressten Luft, du kannst kaum atmen, weil die Wirklichkeit auf dir lastet und versucht, dich auf die andere Seite des Lebens, auf die andere Seite des Sichtbaren abzudrängen. Die Überlagerung von Ereignissen und Gefühlen, das Aufgehen in einem zähen blutigen Strom, der dich erfasst und umfängt: diese Verdichtung, der Druck, die Unmöglichkeit, frei zu atmen und leicht zu sprechen, das ist es, was die Wirklichkeit des Krieges fundamental von der Wirklichkeit des Friedens unterscheidet. Doch sprechen muss man. Selbst in Zeiten des Krieges. Gerade in Zeiten des Krieges.

Natürlich ändert der Krieg die Sprache, ihre Architektur und ihr Funktionsfeld. Wie der Stiefel eines Eindringlings, eines Fremden beschädigt der Krieg den Ameisenhaufen des Sprechens. Also versuchen die Ameisen – die Sprecher der beschädigten Sprache – fieberhaft, die zerstörte Struktur zu reparieren, das, was ihnen vertraut ist, was zu ihrem Leben gehört, wiederherzustellen. Irgendwann ist alles an seinem Platz. Aber diese Unfähigkeit, sich der vertrauten Mittel zu bedienen, genauer gesagt, die Unfähigkeit, mit den früheren – aus friedlichen Vorkriegszeiten stammenden – Konstruktionen deinen Zustand zu beschreiben, deine Wut, deinen Schmerz und deine Hoffnung zu erklären – ist besonders schmerzhaft und unerträglich. Besonders, wenn du es gewohnt warst, der Sprache zu vertrauen und dich auf ihr Potenzial zu verlassen, das dir bislang unerschöpflich schien. Plötzlich aber zeigt sich, dass die Möglichkeiten der Sprache begrenzt sind, begrenzt von den neuen Umständen, von einer neuen Landschaft: einer Landschaft, die sich in den Raum des Todes, in den Raum der Katastrophe einschreibt. Jeder einzelnen Ameise kommt die Aufgabe zu, die Kongruenz des kollektiven Sprechens, des Gesamtklangs, der Kommunikation und Verständigung wiederherzustellen. Wer ist in diesem Fall der Schriftsteller? Auch eine Ameise, verstummt wie alle anderen. Seit Kriegsbeginn holen wir uns diese beschädigte Fähigkeit zurück – die Fähigkeit, sich verständlich zu machen. Wir alle versuchen zu erklären: uns selbst, unsere Wahrheit, die Grenzen unserer Verletzlichkeit und Traumatisierung. Vielleicht ist die Literatur hier im Vorteil. Weil sie alle früheren Sprachkatastrophen und -Brüche in sich trägt.

Wie soll man über den Krieg sprechen? Wie soll man mit den Intonationen umgehen, in denen so viel Verzweiflung, Wut und Verletzung mitschwingt, zugleich aber auch Stärke und die Bereitschaft, zueinander zu stehen, nicht zurückzuweichen? Ich glaube, das Problem mit der Formulierung der zentralen Dinge liegt derzeit nicht nur bei uns – die Welt, die uns zuhört, tut sich manchmal schwer, eine einfache Sache zu verstehen – dass wir, wenn wir sprechen, ein hohes Maß an sprachlicher Emotionalität, sprachlicher Anspannung, sprachlicher Offenheit zeigen. Die Ukrainer müssen sich nicht für ihre Emotionen rechtfertigen, aber sicher wäre es gut, diese Emotionen zu erklären. Warum? Schon allein deshalb, damit sie den Zorn und den Schmerz nicht länger allein bewältigen müssen. Wir können uns erklären, wir können beschreiben, was mit uns geschehen ist und weiter geschieht. Wir müssen uns darauf einstellen, dass das kein einfaches Gespräch wird. Aber so oder so müssen wir dieses Gespräch schon heute beginnen.

Frieden tritt nicht ein, wenn das Opfer der Aggression die Waffen niederlegt

Wichtig erscheint mir hier, dass sich der begriffliche Gehalt und die Nuancen unseres Vokabulars verschieben. Es geht dabei um die Optik, um die andere Sicht, den anderen Blickwinkel, aber vor allem eben um die Sprache. Manchmal kommt es mir so vor, als würde die Welt, wenn sie beobachtet, was sich da seit sechs Monaten im Osten Europas abspielt, von Wörtern und Begriffen Gebrauch machen, die das, was passiert, schon längst nicht mehr erklären können. Was zum Beispiel meint die Welt – ich weiß um das Irreale und Abstrakte der Bezeichnung, habe sie aber hier bewusst gewählt –, wenn sie den Frieden zu einer Notwendigkeit erklärt? Scheinbar geht es um die Beendigung des Krieges, das Ende der militärischen Konfrontation, um den Moment, wenn die Artillerie schweigt und Stille eintritt. Frieden sollte doch die Sache sein, die uns zur Verständigung führt. Was wollen die Ukrainer denn am meisten? Natürlich die Beendigung des Krieges. Natürlich Frieden. Natürlich die Einstellung der Gefechte. Ich, der ich im Zentrum von Charkiw im achtzehnten Stock wohne und vom Fenster aus beobachten kann, wie die Russen von Belgorod aus Raketen abfeuern, wünsche mir nichts sehnlicher als die Einstellung des Raketenbeschusses, die Beendigung des Krieges, die Rückkehr zur Normalität, zu einem natürlichen Dasein.

Warum werden die Ukrainer dann so oft hellhörig, wenn europäische Intellektuelle und Politiker den Frieden zu einer Notwendigkeit erklären? Nicht etwa, weil sie die Notwendigkeit des Friedens verneinen, sondern aus dem Wissen heraus, dass Frieden nicht eintritt, wenn das Opfer der Aggression die Waffen niederlegt. Die Zivilbevölkerung in Butscha, Hostomel und Irpen hatte überhaupt keine Waffen. Was die Menschen nicht vor einem furchtbaren Tod bewahrt hat. Die Bewohner von Charkiw, die von den Russen permanent und wüst mit Raketen beschossen werden, haben auch keine Waffen. Was sollten sie denn nach Meinung der Anhänger eines um jeden Preis schnell geschlossenen Friedens tun? Wo sollte für sie die Grenze zwischen einem Ja zum Frieden und einem Nein zum Widerstand verlaufen?

Wenn wir jetzt, im Angesicht dieses blutigen, dramatischen und von Russland entfesselten Krieges über Frieden sprechen, wollen einige eine simple Tatsache nicht zur Kenntnis nehmen: Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Es gibt verschiedene Formen eines eingefrorenen Konflikts, es gibt zeitweilig besetzte Gebiete, es gibt Zeitbomben, getarnt als politische Kompromisse, aber Frieden, echten Frieden, einen Frieden, der Sicherheit und Perspektive bietet, gibt es leider nicht. Und wenn manche Europäer (zugegebenermaßen nur ein sehr kleiner Teil) den Ukrainern ihre Weigerung, sich zu ergeben, fast schon als Ausdruck von Militarismus und Radikalismus anlasten, tun sie etwas Merkwürdiges – beim Versuch, in ihrer Komfortzone zu bleiben, überschreiten sie umstandslos die Grenzen der Ethik. Das ist keine Frage an die Ukrainer, das ist eine Frage an die Welt, an ihre vorhandene (oder nicht vorhandene) Bereitschaft, um fragwürdiger materieller Vorteile und eines falschen Pazifismus willen ein weiteres Mal das totale, enthemmte Böse zu schlucken.

Appelle an Menschen zu richten, die ihr Leben verteidigen, Opfer zu beschuldigen, Akzente zu verschieben, gute und positive Parolen manipulierend einzusetzen, ist für den einen oder anderen eine ziemliche bequeme Form, die Verantwortung abzuschieben. Dabei ist alles ganz einfach: Wir unterstützen unsere Armee nicht deshalb, weil wir Krieg wollen, sondern weil wir unbedingt Frieden wollen. Nur ist die uns unter dem Vorwand des Friedens angetragene, sanfte und diskrete Form der Kapitulation nicht der geeignete Weg zu einem friedlichen Leben und zum Wiederaufbau unserer Städte. Vielleicht müssten die Europäer weniger Geld für Energieträger ausgeben, wenn die Ukrainer kapitulierten, aber wie würden sich die Menschen in Europa fühlen, wenn sie sich bewusst machten (woran gar kein Weg vorbeiführt), dass sie ihr warmes Zuhause mit vernichteten Existenzen und zerstörten Häusern von Menschen erkauft haben, die auch in einem friedlichen und ruhigen Land leben wollten?

Ein Verbrecher ist ein Verbrecher

Es geht hier, das möchte ich noch einmal betonen, um die Sprache. Darum, wie genau und zutreffend die Wörter sind, die wir verwenden, wie markant unsere Intonation, wenn wir über unser Dasein an der Bruchstelle von Leben und Tod sprechen. Inwieweit reicht unser Vokabular – also das Vokabular, mit dem wir gestern noch die Welt beschrieben haben – inwieweit reicht es jetzt aus, um über das zu sprechen, was uns schmerzt oder stark macht? Schließlich befinden wir uns heute alle an einem Punkt des Sprechens, von dem aus wir früher nicht gesprochen haben, wir haben ein verschobenes Wahrnehmungs- und Bewertungssystem, veränderte Bedeutungsbezüge, veränderte Maßstäbe für Angemessenheit. Was von außen, aus der Entfernung, womöglich aussieht wie ein Gespräch über den Tod, ist in Wirklichkeit der verzweifelte Versuch, am Leben, an seiner Existenz und seiner Dauer festzuhalten. Wo in dieser neuen, gebrochenen und verschobenen Wirklichkeit endet denn der Krieg, und wo beginnt der Frieden? Der Kühlwagen mit den Leichen der Gefallenen – geht es da noch um Frieden oder schon um Krieg? Wenn Frauen an Orte gebracht werden, an denen keine Gefechte stattfinden – wofür ist das eine Unterstützung? Für die friedliche Lösung des Konflikts? Das Tourniquet, das du für einen Soldaten gekauft hast und das ihm das Leben rettet – ist das noch humanitäre Hilfe oder schon eine direkte Unterstützung der Kämpfenden? Und wenn du jenen hilfst, die für dich, für die Zivilisten in den Kellern, für die Kinder in der Metro kämpfen, hast du dann die Grenzen eines achtbaren Gesprächs über das Gute und über Empathie überschritten? Müssen wir unser Recht auf Existenz in dieser Welt in Erinnerung rufen, oder ist dieses Recht offensichtlich und unantastbar?

Quelle          :          Blätter-online           >>>>>        weiterlesen

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Oben        —     Über die Brücke fuhren früher die Kohlezüge zum Kraftwerk Reuter.

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Kolumne-Fernsicht-Uganda

Erstellt von Redaktion am 24. Dezember 2022

Umstürzler in Deutschland schocken Afrika

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Von Joachim Buwembo

Dunkle Wolken zogen 2022 über Europa. Sie kamen aus Russland und verfinsterten zuerst die Ukraine.

Afrikaner, die es gewohnt sind, vor Unheil zu fliehen, konnten nicht glauben, dass Menschen mit hellen Haaren und blauen Augen aus einem europäischen Land in andere Staaten flüchten und von Hilfsorganisationen versorgt werden mussten.

Schockiert über steigende Preise für Speiseöl und Seife machten wir Afrikaner genau das Falsche: Anstatt sofort Millionen unserer unbebauten, fruchtbaren Quadratkilometer Land zu erschließen, um Sonnenblumen anzubauen, die schon nach drei Monaten eine üppige Ernte bringen, schickten wir eine Präsidentendelegation nach Moskau, um dort Hilfe zu erbitten.

Als im September die dunklen Wolken England bewölkten, weil Königin Elizabeth II. starb, wurden wir überrascht Zeugen, wie im Vereinigten Königreich reibungslose Übergänge stattfanden, auch wenn die Premierminister in rascher Folge wechselten. Hoffentlich haben wir Afrikaner gelernt, wie wichtig es ist, Institutionen und Verfassungen zu respektieren und die Regeln einer friedlichen Machtübergabe zu befolgen.

Das Jahr endete mit einem Schock aus Deutschland, als dort Dutzende Putschisten festgenommen wurden. In Afrika hielten wir das zunächst für einen Scherz. Deutschland gilt in ganz Afrika als Vorbild für Exzellenz nicht nur in technischen Belangen. Wir waren ­schockiert, dass afrikanische Methoden des Regierungswechsels von Europas stärkster Wirtschaftsmacht erprobt werden sollten.

Auf der anderen Seite des Atlantiks hat Afrika zuvor über die Präsidentschaft von Donald Trump gewitzelt. Afrika gefiel Trump sehr, weil er zeigte, dass auch mächtige, entwickelte Staaten wie ein Zirkus geführt werden können. Trumps Weigerung, die Macht abzugeben, und der Putschversuch seiner Anhänger wurden in Afrika als Beweis gesehen, dass auch die USA auf unser Niveau sinken können.

Ablieferung von Kautschuk in Deutsch-Ostafrika. – Schon vergessen wie das Reich über Euch kam und sich nahm, was zu nehmen war?

Diese Haltung und Reaktion in Afrika ist aufgrund der Ereignisse während der Kolonialzeit leichter zu verstehen. Nach der Berliner Konferenz von 1884–85, bei der Afrika aufgeteilt wurde, entsandten die europäischen Mächte in der Regel respektable Fachkräfte zur Arbeit nach Afrika. So kamen weite Teile Afrikas damals mit Europa nur durch aufrichtige Missionare, Lehrer, Ärzte, Ingenieure und disziplinierte Militärs und Polizisten in Kontakt.

Als jedoch der Zweite Weltkrieg ausbrach, rekrutierten die europäischen Kolonisatoren viele Afrikaner als Soldaten. Sie erlebten, dass auch der „weiße Mann“ von Angst ergriffen und sogar besiegt werden kann. Bei ihrer Rückkehr überzeugten sie ihre Landsleute davon, dass die Kolonisatoren auch nur Menschen seien und bekämpft und vertrieben werden könnten. Das beschleunigte die Dekolonisierung.

Quelle       :          TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 20. Dezember 2022

„Krieg und Frieden“
Lieferdienste trotzen den Sanktionen

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Aus Wladikawkas Boris Epchiev

Langsam betreffen die Sanktionen das Leben jedes Einzelnen in Russland.  Osseten macht hier keine Ausnahme. Zurzeit sind neben den steigenden Preisen die Probleme mit Bankkarten die sichtbarsten und schmerzhaftesten.

Im Frühling, vielleicht einen Monat nach Beginn des Krieges, fiel die Abschaltung der Visa-, Master- und Maestro-Karten in eines der Sanktionspakete. Gleichzeitig haben Google und Apple ihre Zahlungssysteme abgestellt. Das hat dazu geführt, dass die fast vollständig von Bargeldzahlungen entwöhnte russische Bevölkerung zu diesen zurückkehren musste. Auch die Einführung des eigenen russischen Zahlungssystems „Mir“ hat nicht geholfen – die Karten, die ausgegeben wurden, haben keine Verbindung zum Übertragungsstandard NFC. Deshalb ist „Mir“ nur eine kleine Versicherung für den Fall, dass Russland komplett die „große Bezahl-Troika“ verlässt.

In Ossetien, von wo aus die Menschen nach Georgien ausreisen, kann man beobachten, wie Leute versuchen, ihr Geld auszuführen. Nicht Hunderttausende von Dollars oder Euro, sondern zwei-, dreitausend. Das ist mittlerweile ein faktisch unlösbares Problem, weil Überweisungen zwischen Russland und anderen Ländern blockiert werden. Es retten einen nur noch spezielle Anbieter wie Western Union, die für Geldtransfers hohe Gebühren verlangen.

Auch die russischen Banken nutzen jede Gelegenheit, von der Lage zu profitieren. Kaum wurde bekannt, dass Überweisungen ins Ausland blockiert werden, wurden Gebühren für Überweisungen eingeführt, die bis dahin komplett gratis waren.

Blick auf Wladikawkas.jpg

In fast allen Geschäften gibt es jetzt die Möglichkeit, per App zu bezahlen, wenn das Geld auf das persönliche Konto des Geschäftsinhabers geht. Über Steuern spricht dabei natürlich niemand, die Kontrollinstanzen drücken beide Augen zu, weil dieses Gebaren für viele Geschäftsleute die einzige Überlebenschance ist.

Wer allerdings überhaupt keine Probleme mit Überweisungen ins Ausland hat, das sind die Onlinehändler. Zum Beispiel der chinesische AliExpress. Die haben die Preise nicht erhöht, sondern sogar gesenkt, ganz im Einklang mit dem Dollarkurs, der nach dem Fall das „Vorkriegsniveau“ noch nicht wieder erreicht hat.

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     — Objekt: Panorama von Wladikawkas Beschreibung: Simbol von Wladikawkas

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Irans blutige 15 Minuten

Erstellt von Redaktion am 19. Dezember 2022

Mit den Hinrichtungen will das iranische Regime die Protestierenden einschüchtern.

Ein Debattenbeitrag von Solmaz Khorsand

Doch es erreicht damit nur das Gegenteil. Die Hinrichtungen rütteln an ein kollektives Trauma aus einer Zeit, als es diese Weltöffentlichkeit nicht gab.

Es gibt da ein Zitat, das Hannah Arendt zugeschrieben wird. Iranerinnen teilen es derzeit wie eine Prophezeiung, wenn sie gefragt werden, ob ihnen dieses Mal, nach 43 Jahren Islamischer Republik, der Sturz des Regimes gelingen wird. Ob sie mit ihrer Bewegung, die sie längst Revolution nennen, das schaffen können, woran die Generationen vor ihnen gescheitert sind? Ihre Antwort: „Alle Diktaturen wirken stabil, und das 15 Minuten bevor sie kollabieren.“

Diese 15 Minuten scheinen für viele angebrochen zu sein. „Diese Revolution ist sicher“, schreibt die berühmte – derzeit inhaftierte – Frauenrechtsaktivistin Bahareh Hedayat jüngst in einem offenen Brief aus ihrer Zelle im Evin-Gefängnis. „Die Beseitigung dieser kriminellen Regierung wird definitiv kostspielig und riskant sein, aber es führt kein Weg daran vorbei, diese Kosten zu zahlen und sich den Gefahren zu stellen.“

Wie hoch die Kosten noch sein werden, lässt sich nach drei Monaten, nach rund 500 Toten, über 18.000 Inhaftierten und einer potenziellen Hinrichtungswelle, die spätestens am 8. Dezember eingeläutet wurde, nur erahnen. Mit Mohsen Shekari, 23, wurde die erste Person im Zusammenhang mit der aktuellen Protestbewegung hingerichtet, vier Tage später Majidreza Rahnavard. Wenige Wochen nach ihrer Festnahme, ohne Rechtsbeistand, mit Zwangsgeständnissen, vorgeführt in einem Scheinprozess, exekutiert, ohne Wissen der Familien.

Mindestens 28 Personen droht dasselbe Schicksal. Auf der Liste der potenziellen Todeskandidaten befinden sich laut Menschenrechtsorganisationen auch Minderjährige, wie die zwei Brüder Mohammad und Ali Rakhshani, 16 und 15 Jahre alt, aus der Provinz Sistan-Belutschistan. Dass auch Jugendliche exekutiert werden, ist kein Novum im Iran. Das Alter der Strafmündigkeit liegt für Mädchen bei neun Jahren, für Jungs bei 15. Zwar wurde 2013 ein Gesetz verabschiedet, nach dem Richter auf ein Todesurteil verzichten können, wenn sie bezweifeln, dass der Jugendliche zum Zeitpunkt der Tat bei klarem Verstand war. Doch haben Irans Richter in den vergangenen Jahren kaum davon Gebrauch gemacht, so die selbst inhaftierte Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh in einem Artikel für die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte. Das heißt: auf die Gnade der iranischen Justiz ist nicht zu hoffen. Trotzdem versuchen es die verzweifelten Angehörigen.

Es ist schmerzhaft, zu sehen, wie Mütter und Großmütter etwas unbeholfen vor wacklige Handykameras treten und die Behörden und die Weltöffentlichkeit anflehen, ihre Kinder und Enkel zu retten. Etwa den Radiologen Hamid Ghareh-Hassanlou, ein Arzt, der in den entlegensten Gebieten des Landes Schulen gebaut hat. Oder die Rapper Saman Yasin und Toomaj Salehi. Salehis Zwangsgeständnis wurde unlängst als perfides Video, untermalt mit seiner eigenen Musik, veröffentlicht. Oder die zwei Brüder Farzad und Farhad Tahazadeh aus Oshnavieh, einer kurdischen Kleinstadt, aus der laut kurdischen Nachrichtenagenturen allein sechs Protestierende zum Tode verurteilt wurden.

Fast wie in alten Zeiten – wer möchte da Führungen vergleichen ?

Ihre Namen zu nennen ist essenziell, jede Öffentlichkeit kann sie schützen. Daher ist die Initiative europäischer Politiker, die Patenschaften für die Betroffenen übernehmen, mehr als nur eine schöne Geste der Solidarität. Die Patenschaften erzeugen Aufmerksamkeit und Druck auf Irans Machthaber, das Regime, das trotz seines Paria-Status immer noch nach internationaler Anerkennung lechzt. Deswegen haben auch Irans Rausschmiss aus der UN-Frauenrechtskommission sowie der UN-Beschluss, eine Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen im Land einzusetzen, historische Bedeutung. Noch nie in 43 Jahren wurde die Islamische Republik auf diese Art in puncto Menschenrechte verurteilt. Nicht umsonst hatten Aktivisten auf der ganzen Welt Freudentränen in den Augen, als sie von den Entscheidungen erfuhren. Zum ersten Mal, nach all den Jahren und Protesten, stellt die Weltöffentlichkeit für einen kurzen Augenblick die Menschen im Iran in den Mittelpunkt.

Die aktuellen Hinrichtungen rütteln an ein kollektives Trauma aus einer Zeit, als es diese Weltöffentlichkeit nicht gab: Die Exekutionen in den 1980er Jahren, unmittelbar nach der Revolution, als täglich Dutzende Oppositionelle, aber auch jene, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, hingerichtet wurden. Eine Welle, die ihren Höhepunkt 1988 erreichen sollte. Damals erließ Revolutionsführer Ayatollah Khomeini ein geheimes Dekret, nach dem alle „Feinde des Islam“, die sich damals in Haft befanden „so schnell wie möglich“ exekutiert werden sollen. Ein „Todes­komitee“ kümmerte sich um die Abwicklung. Die damaligen Gefängnisinsassen mussten nur ein paar Fragen beantworten: Welcher Partei gehörten sie an? Waren sie bereit, ihr abzuschwören? Waren sie Muslime? Beteten sie fünf Mal am Tag? Wer nur eine Frage „falsch“ beantwortete, wurde getötet.

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Oben     —   Während seines Besuchs im Iran traf sich der syrische Präsident Bashar al-Assad mit dem iranischen Führer Seyyed Ali Khamenei

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Impfpflicht für Soldaten ??

Erstellt von Redaktion am 19. Dezember 2022

BVerwG – Wissenschaft durch Gerichtsbeschluss
– Urteilsbegründung zur Impfpflicht für Soldaten

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Bundeswehr in Schulen Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Von Johannes Kreis

In unserer Reihe „Wir lesen diesen Mist, damit Sie ihn nicht lesen müssen“ beschäftigen wir uns mit der seit dem 13.12. auf der Webseite des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) veröffentlichten Urteilsbegründung zur Soldatenimpfpflicht.

Es hat mehr als 5 Monate gedauert, dieses Pamphlet zu verfassen. Bis heute verweigert das BVerwG eine Auskunft, welche Ausnahmen vorgelegen haben, so dass das Gericht nicht in der Lage gewesen ist, die Urteilsbegründung in der gesetzlich vorgeschriebenen Regelzeit von 2 Wochen nach der Verkündung des Urteils der Geschäftsstelle zu übermitteln.

Wir beschäftigen uns hier mit einigen Äußerungen des BVerwG zum Sachverhalt. Es ist unerheblich welche feingedrechselten Haarspaltereien deutsche Richter in eine Urteilsbegründung fabulieren, wenn schon vorne der Sachverhalt nicht richtig erfasst worden ist. In dem vorliegenden Fall wartet man allerdings vergebens auf juristische Finessen, denn der Sachverhalt ist für das BVerwG so kristallklar, dass die juristische Bewertung evident ist. Wird der Sachverhalt passend gestaltet, kann Rechtsprechung sehr einfach sein.

Die Urteilsbegründung enthält eine solche Menge an über den Text verteilten, unbewiesenen Behauptungen, Mutmaßungen, einseitigen Darstellungen bis hin zu gezielten Verdrehung von Tatsachen, dass man nicht auf jede einzelne Falschheit eingehen kann. Dabei dreht es sich immer um denselben Punkt. Die Impfungen haben einen hohen Nutzen und kaum Nebenwirkungen. Im Kern kann man es so zusammenfassen: RKI und PEI haben recht, wer etwas anderes behauptet, hat keine Ahnung.

Darf man die höchsten deutschen Verwaltungsrichter als naiv bezeichnen? Oder handelt es sich um Überzeugungstäter? Das einzige was klar ist, welcher Theorie der Einzelne auch anhängen mag, ein Gerichtsurteil ändert nichts daran, was tatsächlich in der Natur passiert. Das kann man nur beobachten. Zumeist ist der vollständige Einblick verwehrt und der Beobachtung ist, auch im Experiment, nur ein kleiner Ausschnitt der Natur zugänglich. In fast allen Fällen ist man auf statistische Auswertungen der Beobachtungen angewiesen. Es wirkt verzweifelt bis lächerlich, wie das BVerwG versucht aus den statistischen Daten Gewißheiten zu einer unterstellten Wirksamkeit der COVID-19 Impfungen und der Vernachlässigbarkeit von Impfnebenwirkungen herauszulesen. Das BVerwG folgt dabei vollkommen einseitig der amtlichen Interpretation der Daten, soweit diese überhaupt vorhanden sind.

Um bei der Statistik zu bleiben, das Urteil des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts offenbart eine schwere Statistik-Schwäche. So hatte der Antragsteller vorgeschlagen, doch die Angehörigen der Bundeswehr regelmäßig auf Antikörper zu testen, um so die Notwendigkeit einer vollständigen Impfung aller Bundeswehrangehörigen zu prüfen. Davon unabhängig hätte sich jeder Einzelne freiwillig impfen können, wenn er oder sie das für notwendig erachtet hätte.

Dazu merkt das BVerwG an:    —   Rz 114

„Außerdem würde eine laufende Überprüfung der Antikörper-Titer bei ca. 180 000 Soldatinnen und Soldaten einen unverhältnismäßigen Aufwand verursachen.“

Ja, was soll man dazu sagen? Natürlich testet man zur Bewertung des Immunstatus nicht jeden einzelnen Soldaten, sondern man bedient sich statistischer Methoden und testet eine repräsentative Stichprobe der Grundgesamtheit. Das ist schon deshalb zulässig, weil auch bei einem vollständigen Test der Grundgesamtheit Fehler auftreten würden. Finden sich bei der Bundeswehr ähnlich viele Menschen mit Antikörpern gegen SARS-CoV2, wie im Bundesdurchschnitt, ca. 95%, so relativiert sich die Notwendigkeit einer dienstlichen Pflicht zur Impfung. Das Ziel einer Impfung ist es ja gerade, die Produktion von Antikörpern zu provozieren. Diese Notwendigkeit entfällt ganz offensichtlich, wenn es schon Antikörper gibt. Aufgrund einer natürlichen Infektion produzierte Antikörper wirken zudem wesentlich breitbandiger als aufgrund einer Impfung produzierte, da bei der natürlichen Infektion der Körper auf das gesamte Virus reagiert und nicht nur auf einen kleinen Ausschnitt.

Das in der Urteilsbegründung hervorgehobene Risiko eines schweren Verlaufs relativiert sich deutlich, wenn 95% der Angehörigen der Bundeswehr Antikörper gegen SARS-CoV2 besitzen. Vgl. zum Immunstatus in Deutschland,

Daten aus UK haben Monate vor der Urteilsverkündung am 7.7.2022 dieses Ergebnis vorgezeichnet, z.B. im März 2022,

“In England, 98.4% of the adult population (95% credible interval: 98.1% to 98.6%) are estimated to have antibodies against SARS-CoV-2 at the 179 ng/ml threshold, in the week beginning 14 February 2022.”

Ähnlich hohe Antikörper-Level, wie in England, berichtet die britische ONS von Irland, Schottland und Wales.  Warum nimmt ein BVerwG das nicht zur Kenntnis? Wird diese Tatsache erst dann relevant, wenn eine deutsche Behörde sie aufgreift? Das RKI erwähnt diese Daten nicht. Warum nicht? Oder werden solche Daten erst erheblich, wenn Monate später die deutsche Bundesregierung es für nötig befindet, eine eigene Studie in Auftrag zu geben? Und nur diese Daten sind dann relevant, für die deutschen Virus-Varianten dieser mutmaßlich weltweiten Pandemie? Was hat das BVerwG im Juli 2022 daran gehindert, die Ergebnisse aus UK zur Kenntnis zu nehmen?

Damit hat das BVerwG schon von Anfang an die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Impfpflicht für Soldaten unter falschen Annahmen, genauer, unter Ignorieren bekannter Tatsachen, betrachtet.

Die Grundannahmen, die dem Urteil von Anfang an zugrunde lagen, kann man wie folgt zusammenfassen: Erstens, alles andere als eine Impfpflicht ist zu aufwendig. Zweitens, die verwendeten Substanzen sind praktisch nebenwirkungsfrei. Dazu aus dem Text der Urteilsbegründung,

Rz 119

„Im vorliegenden Fall konnte der Dienstherr davon ausgehen, dass die mit einer mRNA-Impfung verbundenen typischen Impfreaktionen nicht schwerwiegend sind.“

GC-Vaccination-600-E.png

Hinterhalts Schüsse bringen die besten Ergüsse ? 

Rz 120

„Daneben können im Einzelfall aber auch schwerwiegende und/oder länger andauernde Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen eintreten. Zwar handelt es sich bei den gemeldeten schwerwiegenden Nebenwirkungen zunächst nur um Verdachtsfälle, die nur zu einem Teil auch nachweislich zwingend kausal auf die Impfung zurückzuführen sind. Auch waren die gemeldeten schwerwiegenden Nebenwirkungen sehr selten und in der Regel nicht von Dauer.“

Rz 121.

„Allerdings ist das Risiko eines schweren oder tödlichen Verlaufs [der Impfnebenwirkungen] statistisch betrachtet nicht hoch.“

Immerhin, selbst das BVerwG verweist auf 116 Todesfälle in einem Bericht des PEI, die zumindest in einem „möglichen“ oder sogar „wahrscheinlichen“ kausalen Zusammenhang mit dem Versterben eines Menschen stehen.

Rz 121

„Es gab 2 810 Verdachtsmeldungen über tödliche Verläufe. Davon hat das Paul-Ehrlich-Institut in 116 Fällen, in denen Patienten in zeitlich plausiblem Abstand zur jeweiligen Impfung an bekannten Impfrisiken verstorben sind, den Zusammenhang mit der Impfung als möglich oder wahrscheinlich bewertet […].“

Wenn man die Wertung der Todesfälle nicht über „möglich“ oder „wahrscheinlich“ hinauskommen läßt, dann kann man sich die Beweiserhebung auch sparen. Hier wird belohnt, dass sich das PEI nicht um eine systematische Untersuchung der Impfnebenwirkungen gekümmert hat. Der Kausalitätsbegriff ist asymmetrisch, mit einem positiven Test ist man mit Sicherheit an COVID-19 kausal verstorben (im Median-Alter von über 80 Jahren), aber gesunde Menschen sterben 14 Tage nach einer Impfung nur möglicherweise an impfinduzierten Nebenwirkungen.

In der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Impfpflicht stellt das BVerwG diesen (mindestens) 116 „möglichen“ oder „wahrscheinlich“ kausal auf eine Impfnebenwirkung zurückgehenden Todesfälle den militärischen Nutzen gegenüber,

Rz 123

„In die Abwägung der Angemessenheit der Maßnahme ist aber auch der Nutzen der Impfung einzubeziehen. Der Dienstherr konnte im November 2021 bei Bewertung des militärischen Nutzens davon ausgehen, dass die Covid-19-Schutzimpfung für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewichtige Vorteile mit sich bringen würde.“

Es folgt dann eine Liste von Leistungen der Bundewehr, die, so muß man es wohl verstehen, ohne Impfung gar nicht möglich gewesen wären. So wird z.B. der Auslandseinsatz in Mali genannt. Hier übersieht das Gericht, dass COVID-19 an Afrika vollkommen vorbei gegangen ist. Der Virus hat Afrika einfach ignoriert, oder besser, die Afrikaner haben das Virus ignoriert.

Als an die Adresse der Hinterbliebenen der (mindestens) 116 Impftoten in der deutschen Bevölkerung gerichtet, muß man in diesem Zusammenhang wohl folgende Ausführungen des BVerwG werten,

Rz 124

„Unter dem Gesichtspunkt der allgemein-militärischen Einsatzfähigkeit ist aber auch schon eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Verhinderung eines schweren Verlaufs einer Covid-19-Erkrankung als bedeutender Vorteil einzustufen.“

„Zugleich bedeutet dies für den Dienstherrn kürzere Ausfallzeiten mit insgesamt höherer Einsatzbereitschaft.“

Rz 126

„Schließlich konnte der Dienstherr auch davon ausgehen, dass die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Gruppe der Basisimpfungen positive Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr im Ausland haben würde.“

Und natürlich darf in diesem Kontext auch die Ukraine nicht fehlen,

Rz 127

„Jedoch hat sich die militärische Bedrohungslage seit dem Beginn des Ukraine-Krieges verändert und eine Verlegung von Verbänden der Bundeswehr zur Erfüllung einsatzgleicher Verpflichtungen im Bereich der NATO wahrscheinlicher werden lassen.“

Unabhängig von der Frage, wann die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch COVID-19 jemals gefährdet gewesen wäre, ist es den Hinterbliebenen der (mindestens) 116 Impftoten sicherlich kein Trost, dass dies notwendige Opfer für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr gewesen seien sollen. Den Impftoten eine unterstellte eingeschränkte Einsatzfähigkeit gegenüber zu stellen, was hier weitestgehend reine Bereitschaft bedeutet, ist abwegig. Eine eingeschränkte Einsatzbereitschaft kann man immer unterstellen. Das BVerwG hätte vielleicht noch einmal deutlich machen sollen, ab wievielen Impftoten eine (möglicherweise) reduzierte Einsatzbereitschaft das kleinere Übel gewesen wäre. Es ist Teil des modernen Neo-Militarismus in Deutschland, dass schon eine unterstellte reduzierte Einsatzbereitschaft der Bundeswehr reicht, um Tote zu rechtfertigen.

In diesem Zusammenhang, also wenn es um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr geht, verläßt sich das BVerwG ganz konkret auf Versprechungen,

Rz 124

„Hinzu kommt, dass eine 75%ige Reduzierung symptomatischer Erkrankungen ein gewichtiges Weniger an Ausfallzeiten durch Erkrankung und Quarantäne verspricht.“

Wo ist denn der Beweis für eine „75%ige Reduzierung symptomatischer Erkrankungen“ durch eine Pflicht zur Impfung? Es kann sich ja jeder freiwillig impfen lassen, wenn man denn an die Wirksamkeit dieser Experimental-Substanzen glaubt. (Mindestens) 116 Impftote sind auch bei einer freiwilligen Impfung zu viel, ungeachtet des 2G/3G Terrors und der einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Gesundheitswesen.

Das BVerwG erspart es dem Leser nicht, dass die Bundeswehr für Gesundheitseinsätze auch „vulnerable“ Mitarbeiter einsetzt,

Rz 125

„Denn bei diesen Unterstützungseinsätzen im Gesundheitsbereich bestand einerseits ein erhöhtes Risiko des Zusammentreffens mit Infizierten und andererseits die Gefahr der Übertragung des SARS-CoV-2-Virus auf Angehörige vulnerabler Gruppen. Dabei hatte der bestmögliche Schutz vulnerabler Personen besondere Priorität.“

Dass sich die Bundeswehr in einem desolaten Zustand befindet, ist allgemein bekannt. Aber dass es so weit gekommen ist, dass man Lahme und Sieche in den Einsatz schickt, das erstaunt dann doch. Wahrscheinlich ist das der „Volkssturm“, zu dem sich auch Frau Strack-Zimmermann rechnet, die Allround-Expertin der FDP für Klima, Pandemie, Inflation, Energie und Verteidigung.

Wie stellt sich nun das BVerwG zu dem RKI und PEI einerseits und den Kritikern der Experimental-Impfstoffe andererseits? Die einleitenden Ausführungen zu diesem Abschnitt machen es deutlich, RKI und PEI verfügen über Informationen, die anderen Forschungsstellen gar nicht zur Verfügung stehen,

Rz 137

„Wie oben ausgeführt konnte sich der Dienstherr auf die fachlichen Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts bei der Einordnung der Gefährlichkeit des SARS-CoV-2-Virus und der Sicherheit der Covid-19-Impfstoffe verlassen.“

„Beide Fachbehörden beschäftigen eine Vielzahl hochspezialisierter Experten, die laufend die einschlägigen wissenschaftlichen Forschungsergebnisse auswerten und sich auf europäischer und internationaler Ebene mit den Überwachungsbehörden anderer Länder und der Europäischen Union austauschen. Sie werten in beträchtlichem Umfang nur ihnen zur Verfügung stehende Gesundheitsdaten aus und verfügen dadurch über Informationsquellen, die anderen Forschungsstellen nicht zugänglich sind.

Oha. Exklusive Informationsquellen der Behörden? Na, dann. Fraglich ist, zu welchen weiteren Themen deutsche Behörden exklusive Informationen besitzen? Und, warum leisten wir uns überhaupt noch eine Verwaltungsgerichtsbarkeit, wenn die Behörden über exklusive Information verfügen, die der Bürger nicht hat? Eine Beweisführung gegen eine Behörde ist dann von vornherein ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang bekommen die schleppenden Auswertungen zu den Impfopfern auf Basis der Daten der Krankenkassen eine ganz neue Bedeutung. Offensichtlich ist es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung anerkannt, dass deutsche Behörden auf Basis von der Allgemeinheit nicht zugänglichen Informationen agieren, unbeschadet der Frage, ob diese Informationen tatsächlich vorliegen oder das Vorliegen nur behauptet wird.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die amtliche Auskunft den Sachverständigenbeweis ersetzt,

Rz 138

„Treten amtliche Auskünfte an die Stelle von Sachverständigengutachten, bedarf die durch sie geklärte Frage im Allgemeinen keiner Klärung durch Einholung eines zusätzlichen Sachverständigengutachtens.“

Das BVerwG hat es dann doch nicht bei der amtlichen Auskunft belassen, sondern Sachverständige hinzugezogen, von eben denselben Behörden, dem RKI und dem PEI,

Rz 140

„Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung zur Erläuterung der amtlichen Fachinformationen und zur Auseinandersetzung mit dem Sachvortrag des Antragstellers mehrere Fachleute des Robert-Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts als Sachverständige angehört, die ergänzende Fragen beantworten und Unklarheiten ausräumen konnten.

Damit ist das Urteil schon gesprochen, oder für wie blöd hält das BVerwG den Bürger?

Von den vom Gericht hinzugezogenen Sachverständigen des (als Bundesbehörden mittelbar beklagten) RKI und PEI, sind Parteisachverständige zu unterscheiden, die von den Parteien als sachverständige Zeugen in das Verfahren eingebracht werden. Zu den Parteisachverständigen, die von den Antragstellern benannt worden sind, heißt es einführend pauschal,

Rz 140

„Die wissenschaftliche Überzeugungskraft dieser amtlichen Auskünfte konnte – wie im Folgenden näher ausgeführt wird – durch den Antragsteller und die in seinem Namen auftretenden Parteisachverständigen nicht erschüttert werden.“

Den vom Gericht bestellten, mutmaßlich neutralen (weil amtlichen) Sachverständigen, ist der mutmaßlich parteiliche Sachverständige, der im Namen der Partei auftritt, gegenübergestellt. D.h. Sachverständiger ist nicht gleich Sachverständiger.

Ein Verwaltungsgericht folgt erstmal dem, was die Verwaltung sagt. Der Bürger kann dann nur noch versuchen, die Aussagen der Verwaltung zu erschüttern. Wie soll das gehen, wenn das Gericht schon vorher festgestellt hatte, dass die Verwaltung über Informationen verfüge, die Außenstehenden nicht zur Verfügung stünden, siehe oben, und Parteisachverständige von vorherein als parteilich betrachtet werden? Nach welchen Kriterien hat das BVerwG denn die eigenen Sachverständigen ausgewählt? Weil der Sachverständige von einer Behörde kommt, ist er automatisch unabhängig? Das führt das Verwaltungsgerichtsverfahren ad adsurdum, denn die Auswahl der gerichtlichen Sachverständigen, die ausnahmslos von der beklagten Partei (der Exekutive der BRD) kommen, nimmt das Urteil vorweg.

So liest man dann, neben weiteren Ausführungen zu den Aussagen der Parteisachverständigen der Antragsteller,

Rz 146

„Die Richtigkeit dieser Gefahrenprognose konnte insbesondere nicht durch den vom Antragsteller als Parteisachverständigen beigezogenen Prof. Dr. med. Sucharit Bhakdi erschüttert werden.“

Rz 149

„Auch die vom Antragsteller beigezogene Parteisachverständige Dr. med. vet. Susanne Wagner konnte die These von der relativen Ungefährlichkeit des SARS-CoV-2-Virus nicht überzeugend belegen.“

Rz 151, 152

„Soweit Frau Prof. Dr. Kämmerer, die selbst nicht auf dem Gebiet der Virologie forscht, dies in Frage stellt, beruhen ihre Einwände nicht auf eigenen empirischen Studien, sondern auf einer selektiven Auswertung der einschlägigen medizinischen Literatur.“

„Aus diesen Gründen folgt der Senat der Einschätzung von Oberstarzt Prof. Dr. Wölfel, dass Frau Prof. Dr. Kämmerer aus ihren richtigen Grundannahmen unzutreffende Schlüsse zieht.“

Rz 171

„Keinen Erkenntnisgewinn vermitteln auch die Hinweise des Antragstellers auf noch laufende wissenschaftliche Forschungen von Prof. Dr. Schirmacher (Heidelberg) und Prof. Dr. Matthes (Berlin).“

Rz 175

„Auch bei Würdigung des mündlichen und schriftlichen Vortrages des pensionierten Pathologen Prof. Dr. med. Arne Burkhardt ist davon auszugehen, dass die Risikoeinschätzung der Ständigen Impfkommission und des Paul-Ehrlich-Instituts auf verlässlicher Grundlage beruhen.“

Rz 179

„Ferner erbringt auch die Presseveröffentlichung der Betriebskrankenkasse (BKK) ProVita vom 24. Februar 2022 keinen Nachweis für wesentlich höhere Nebenwirkungen.“

Rz 181

„Soweit der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung den Datenanalysten Tom Lausen als Parteisachverständigen beigezogen und dieser unter Bezugnahme auf die ihm zur Verfügung stehenden Daten auch vor Gericht eine wesentlich höhere Quote an Impfnebenwirkungen behauptet hat, ist auch diese Analyse letztlich nur eine wissenschaftlich nicht belegte Einschätzung auf unklarer und intransparenter Erkenntnisgrundlage. Derartige Datenanalysen vermögen den Beweiswert der amtlichen Auskünfte des Paul-Ehrlich-Instituts in seinen Sicherheitsberichten über die Zahl der gemeldeten Impfnebenwirkungen nicht zu erschüttern.“

Dagegen ist das, was die hauseigenen Sachverständigen von RKI und PEI sagen, reines Gold. Die Abteilungs- und Fachgebietsleiter des RKI und des PEI durften ihre eigenen amtlichen Auskünfte vor Gericht als Sachverständige bestätigen, unterstützt von Vertretern der Bundeswehr, und das ist dann der Sachverhalt.

Rz 168

„Schließlich ist es dem Antragsteller auch nicht gelungen, die Aussagekraft des Sicherheitsberichts des Paul-Ehrlich-Instituts als sachverständige amtliche Auskunft über unerwünschte Impfnebenwirkungen durch den Verweis auf andere Erkenntnisquellen oder die anderweitige Einschätzung von Experten zu erschüttern.“

Rz 183

„Dr. Mentzer hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, nach seiner Einschätzung gebe es zwar ein sogenanntes „Underreporting“ im Bereich der weniger schweren Nebenwirkungen der Impfung, nicht aber im Bereich der schweren Impfschäden. Diese Einschätzung ist auch überzeugend.“

Sieht das PEI von der Ermittlung von Risiko-Kennzahlen wegen mutmaßlich zu großem Aufwand ab, so ist dies für das BVerwG „vertretbar“.

Rz 197

„Aus diesen Gründen habe das Paul-Ehrlich-Institut von deren Ermittlung abgesehen. Der Senat hält diese sachverständige Einschätzung für vertretbar.“

Selbst der Vergleich der Experimental-Substanzen der COVID-19 Spritzung mit tatsächlichen Impfstoffen kann entfallen,

Rz 198

„Schließlich verfängt auch der Einwand des Antragstellers nicht, dass man bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Covid-19-Impfung deren Nebenwirkungen mit den Nebenwirkungen von Influenza-Impfstoffen vergleichen müsse und dass die Nebenwirkungen der Covid-19-Impfung um ein Vielfaches höher seien.“

Schließlich bemüht das BVerwG noch das Europarecht, denn was die europäische Arzneimittelbehörde EMA von sich gibt, ist automatisch richtig, selbst wenn es falsch ist,

Rz 205

„Die vom Antragsteller geforderte Überprüfung der Rechtmäßigkeit des von der Europäischen Arzneimittelagentur durchgeführten Zulassungsverfahrens für die mRNA-Impfstoffe ist auch nicht deswegen notwendig, weil die den Herstellern erteilten bedingten Zulassungen für die Impfstoffe „Comirnaty“ und „Spikevax“ bei Nachweis eines Verfahrens- oder Rechtsanwendungsfehlers im Zulassungsverfahren automatisch unwirksam wären. Vielmehr gilt im Unionsrecht der Grundsatz der Vermutung der Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsakten.“

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Rz 206

„Dieser Grundsatz betrifft die Rechtsbeständigkeit von Gemeinschaftsakten und enthält […] das Prinzip der Rechtswirksamkeit auch fehlerhafter Gemeinschaftsakte […]. Er gestattet es insbesondere anderen europäischen und nationalen Behörden sowie Gerichten in nachfolgenden Verfahren von der Tatbestandswirkung dieses europäischen Rechtsakts auszugehen, das heißt in nachfolgenden Verfahren bei der Rechtsprüfung das tatbestandliche Vorliegen einer rechtswirksamen Zulassung festzustellen

Es beißt sich, wenn man europäischen Rechtsakten eine so hohe Bedeutung einräumt, dass sogar fehlerhafte Akte rechtmäßig sind, man aber seitens des Gerichts die Kenntnisnahme von weiteren Daten aus dem europäischen Ausland verweigert, z.B. von Daten aus UK oder Schweden.

Soweit eine kleine Auswahl aus der Fülle an Absonderlichkeiten in der Urteilsbegründung zur Soldatenimpfpflicht des BVerwG. Nicht umsonst zählt das Verwaltungsrecht zu den einfacheren juristischen Disziplinen, denn was die staatliche Verwaltung anordnet, ist erstmal richtig. Wenn der Bürger das erschüttern möchte, benötigt er Beweise, über die aber nicht verfügt, ja, gar nicht verfügen kann, weil echten Beweise eben nur der Verwaltung zu Verfügung stehen.

So staatsdeligitimierend wie diese Urteilsbegründung des BVerwG ist, wird sich das BVerwG wohl auf eine Überwachung durch den Verfassungsschutz einstellen müssen. Der Staat selbst arbeitet schlampig und versäumt es wichtige Daten zeitnah zu erheben. Dafür wird er seitens der Gerichte belohnt, denn die dadurch entstehende Unsicherheit wird ausschließlich zugunsten des Staates ausgelegt. Zugleich ignorieren die Gerichte Vergleichsdaten aus dem europäischen Ausland. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich daran etwas ändern wird. Im Gegenteil, die aktuellen Diskussionen zur Datenqualität bei RKI und PEI werden dazu genutzt werden, das Projekt des „Europäischen Gesundheitsraumes“ mit europaweitem Datenzugriff auf persönliche Gesundheitsdaten voranzutreiben. Auch so wird Schlamperei auf nationaler Ebene belohnt werden.

Was hat diese Urteilsbegründung nun mit Naturwissenschaft zu tun? Nichts. Sie ist nur das klägliche Zeugnis einer selbsternannten Elite, die glaubt sich die Gesetzmäßigkeiten der Natur nach eigenem gusto zurechtbiegen zu können.

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Grafikquellen          :

Oben     —  Autor Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

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2.Von Oben             —       Cartoon: Vielleicht sollten bei der Durchsetzung der allgemeinen Impfpflicht Tierärzte mit entsprechender Ausrüstung eingesetzt werden.

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Das ignorierte Angebot:

Erstellt von Redaktion am 16. Dezember 2022

Russlands Briefe vom 17. Dezember 2021

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Von        :     Leo Ensel /   

Vor einem Jahr wiederholte Russland, es werde die Nato in der Ukraine nicht akzeptieren. Der Westen verweigerte Verhandlungen.

Die westliche Ukraine-Berichterstattung weist nicht erst seit Kriegsbeginn eine Reihe weisser Flecken auf. Kein Mensch weiss hierzulande beispielsweise, dass der Westfreund Boris Jelzin schon im März 1997 – Jahre bevor Wladimir Putin an die Macht kam – im Vorfeld der ersten NATO-Osterweiterung gegenüber dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton deutlich machte, spätestens mit einem NATO-Beitritt der Ukraine würde für Russland eine rote Linie überschritten. Offensichtlich war dies bereits damals in bestimmten US-amerikanischen Kreisen eine sicherheitspolitische Option.

Aufarbeiten der Geschichte

Red. Ein Krieg darf nicht davon abhalten, die Vorgeschichte zu analysieren. Hitund die Nazis waren für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich. Trotzdem weisen Historiker darauf hin, dass die Nazis wohl nicht an die Macht gekommen wären, wenn der Versailler Vertrag nicht so einseitig gewesen wäre, die Weimarer Republik nicht so schwach und die Politik eine Hyperinflation verhindert hätte. Auch der russische Angriff auf die Ukraine hat eine Vorgeschichte. Über sie gilt es ohne Scheuklappen zu informieren.

Worüber die westliche Öffentlichkeit wenig informiert wurde: Kiew ignorierte mit offensichtlicher Duldung des Westens sechs Jahren lang seine zentralen Verpflichtungen aus dem Minsk II-Abkommen vom Februar 2015 – Verabschiedung einer Verfassungsreform bis Ende 2015 (!) im Sinne einer Dezentralisierung unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Gebiete Donezk und Lugansk („Südtirol-Lösung“). Neulich deutete Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel den Grund an, den ‚böse Zungen‘ längst vermutet hatten: Es ging darum, Zeit zu gewinnen, um in der Zwischenzeit die ukrainische Armee fit zu machen.

Wenig informiert wurde im Westen auch darüber, dass die Ukraine im letzten Jahr – also vor dem russischen Überfall – nicht nur «im Karabachkrieg bestens bewährte» türkische Kampfdrohnen vom Typ Bayraktar TB2 kaufte und diese gegen die Rebellenstellungen bei Donezk im Donbass abfeuerte, sondern auch bereits mit der Türkei über eine Lizenzproduktion verhandelte.

Nahezu unbekannt ist bis heute die Tatsache, dass die USA schon seit Mitte der Neunziger Jahre unter dem Etikett „Rapid Trident“ (früher: „Peace Shield“) jährlich auf dem Gebiet der Westukraine Manöver mit ukrainischen Truppen durchführten, zuletzt vom 20. September bis zum 1. Oktober 2021, und zwar zusammen mit Soldaten aus Ländern wie Bulgarien, Kanada, Georgien, Deutschland, Grossbritannien, Italien, Jordanien, Moldau, Pakistan und Polen.

Dasselbe gilt für die Marinemanöver «Sea Breeze», welche die USA seit 1997 vor der Küste der Ukraine im Schwarzen Meer durchführten. Im Sommer letzten Jahres waren Einheiten aus nicht weniger als 32 Staaten beteiligt.

Man stelle sich die Reaktionen im Westen vor, hätte Russland jährlich zusammen mit Soldaten aus Belarus, Serbien, China, Kuba, Venezuela, dem Iran und anderen Staaten Truppenübungen in Mexiko oder Marinemanöver im gleichnamigen Golf vor der Küste Floridas unternommen.

Vollkommen unbekannt ist schliesslich die Tatsache, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky am 24. März 2021 – also genau elf Monate vor dem russischen Überfall – das Dekret Nr. 117 unterzeichnete, das die «Strategie zur De-Okkupation und Wiedereingliederung des vorübergehend besetzten Gebiets der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol» des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine vom 11. März in Kraft setzte. Das Dekret sah vor, Massnahmen vorzubereiten, um «die vorübergehende Besetzung» der Krim und des Donbass zu beenden. Die ukrainische Regierung erhielt den Auftrag, einen entsprechenden «Aktionsplan» zu entwickeln.

Am 30. August 2021 unterzeichneten die USA und die Ukraine dann einen Vertrag über militärische Zusammenarbeitund am 10. November 2021 einen Vertrag über «Strategische Partnerschaft». Hier hiess es u.a. wörtlich: «Die Vereinigten Staaten beabsichtigen, die Bemühungen der Ukraine zur Bekämpfung der bewaffneten Aggression Russlands zu unterstützen, unter anderem durch die Aufrechterhaltung von Sanktionen und die Anwendung anderer relevanter Massnahmen bis zur Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen.»

Laughs

Russland konnte das so verstehen, Kiew wolle mit Unterstützung der USA die annektierte und Russland-freundliche Krim mit dem strategisch wichtigen Militärhafen Sewastopol sowie den von Russland unterstützten Donbass militärisch zurückerobern wollen.

Russland fühlte sich schon seit mindestens 20 Jahren von der NATO bedroht

Auch im direkten bilateralen Verhältnis zu Russland war der Westen aus russischer Sicht jahrzehntelang in Sachen Eskalation aktiv: Fünf NATO-Erweiterungen seit 1999 bis direkt an die Grenze Russlands mit insgesamt 14 neuen Mitgliedern; Nichtratifizierung bzw. Kündigung fast aller Verträge zur Abrüstung und Rüstungskontrolle wie des A-KSE-Vertrages über die Abrüstung von Streitkräften und Waffensystemen in Europa, des ABM-Vertrages zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (2001), des INF-Vertrages, der die Herstellung und Stationierung landgestützter Raketen und Marschflugkörper einer Reichweite zwischen 500 und 5’500 Kilometern verbot (2019) und des Open-Skies-Vertrag, der im Sinne vertrauensbildender Massnahmen durch Überflugrechte beiden Seiten ‚Glasnost‘ ermöglichen sollte (2020); völkerrechtswidrige Angriffskriege gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (1999) und den Irak (2003); expansive Auslegung von UN-Mandaten wie im Falle Libyen 2011 oder höchst kreative Interpretationen der NATO-Russland-Grundakte (2016), welche die permanente Stationierung westlicher Truppen und Waffensysteme vor der russischen Haustüre untersagt; Aufbau des weltweiten Raketenabwehrsystems Aegis mit angriffsfähigen Modulen in Rumänien und Polen; Regime Change-Versuche im postsowjetischen Raum, am Offensichtlichsten in der Ukraine (2013/2014).

Ende letzten Jahres ergriff Russland dann die diplomatische Initiative und definierte gegenüber der NATO und den USA klar und unmissverständlich seine sicherheitspolitischen Interessen, einschliesslich Roter Linien.

Was Russland der NATO vorschlug …

Am 17. Dezember 2021 liess Russland der NATO und den USA jeweils einen Vertragsentwurf zukommen, der Sicherheitsgarantien für beide Seiten rechtsverbindlich festlegen sollte. – Die Forderungen Russlands scheinen auch aus heutiger Distanz weder absurd noch unerfüllbar:

  • Beide Seiten sollten bestätigen, sich nicht als Gegner zu betrachten;
  • Rückkehr zu den Prinzipien der „gleichen und unteilbaren Sicherheit“;
  • Verzicht auf die Anwendung und Androhung von Gewalt;
  • Verzicht, Situationen zu schaffen, die eine Seite als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit ansehen könnte;
  • Zurückhaltung bei militärischen Planungen und Übungen zur Vermeidung von „Dangerous Brinkmanships“ (gefährlichen Zwischenfällen), insbesondere in der Ostseeregion und über dem Schwarzen Meer;
  • Wiederbelebung des NATO-Russland-Rates und anderer bi- und multilateraler Gesprächsformate;
  • Transparenz bei militärischen Übungen und Manövern;
  • Einrichtung von Hotlines für Notfallkontakte (Revitalisierung des „Roten Telefons“);
  • Rückzug der westlichen Streitkräfte und Waffensysteme auf das Niveau vor der ersten NATO-Osterweiterung;
  • Verzicht einer Stationierung landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen in Gebieten, von denen aus sie das Hoheitsgebiet der anderen Partei angreifen könnten;
  • keine weitere Ausdehnung der NATO (insbesondere nicht um die, namentlich genannte, Ukraine);
  • Verzicht der NATO auf militärische Aktivitäten auf dem Gebiet der Ukraine, sowie anderer Staaten Osteuropas, des Südkaukasus und Zentralasiens;
  • Einrichtung eines weitgehend entmilitarisierten Korridors zwischen NATO und Russland.

… und was Russland den USA vorschlug

Der an die Seite der USA gerichtete Vertragsentwurf enthielt darüber hinaus folgende Vorschläge:

  • Bekräftigung der Erklärung, dass ein Atomkrieg keinen Sieger haben kann und dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, diese Gefahr abzuwenden;
  • Verzicht auf gegen die andere Seite gerichtete kriegsvorbereitende Massnahmen auf dem Territorium von Drittstaaten;
  • Verzicht der USA auf die Einrichtung von Militärstützpunkten und eine bilaterale militärische Zusammenarbeit in und mit den Staaten des postsowjetischen Raums, die keine NATO-Mitglieder sind;
  • beidseitiger Verzicht auf die Stationierung von Streitkräften und Waffensystemen ausserhalb ihrer Hoheitsgebiete, die die andere Seite als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit ansehen könnte;
  • Verzicht auf Flüge schwerer Bomber und die Anwesenheit von Überwasserkampfschiffen in Regionen, von denen aus sie Ziele im Gebiet der anderen Vertragspartei treffen könnten;
  • Verzicht auf die Stationierung von Atomwaffen ausserhalb des eigenen Hoheitsgebietes sowie Rückführung entsprechender Waffensysteme und Zerstörung der entsprechenden Infrastruktur in Drittstaaten;
  • keine Schulungen von Personal im Umgang Atomwaffen und keine Militärübungen für deren Einsatz in Ländern, die diese nicht besitzen.

Natürlich steckte, wie immer bei solchen Verträgen, der Teufel im Detail. Die Vorschläge hätten einer intensiven Prüfung durch sicherheitspolitische und diplomatische Experten bedurft. Zudem waren die «Paketforderungen« und der ultimative Ton, in dem die beiden Briefe gehalten waren, sehr undiplomatisch. Die NATO und die USA lasen die beiden Vertragsentwürfe nicht als Formulierung russischer Sicherheitsinteressen, die es genauestens zu prüfen und als Ausgangspunkt für Verhandlungen zu nutzen galt, deren Ziel eine deutliche Verbesserung der Sicherheitslage sämtlicher Vertragsstaaten und vor allem Europas hätte sein können – auf möglichst niedrigem militärischen Niveau.

Stoltenberg: «Jedes Land hat das Recht, der NATO beizutreten»

Am 7. Januar 2022 fand dann ein digitales ausserordentliches Meeting aller 30 NATO-Aussenminister statt und man durfte gespannt sein, ob und gegebenenfalls wie die NATO auf den russischen Vertragsentwurf reagieren würde.

Gar nicht. In der abschliessenden Pressekonferenz bediente Generalsekretär Stoltenberg – wie später auch US-Präsident Biden – die altbekannten Positionen: Die NATO werde weiterhin die Ukraine und Georgien unterstützen. Im Übrigen habe jedes Land, unabhängig von seiner Grösse und seinen Nachbarn das Recht, seinen Weg und seine Bündnispartner selbst zu wählen. Dass dies auf die Ukraine und Georgien gemünzt war, war offensichtlich.

Zu dieser Option hatte die ehemalige Moskaukorrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, bereits Monate zuvor festgestellt: «Alle Staaten haben das Recht, bei der NATO einen Aufnahmeantrag zu stellen. Aber die NATO hat jedes Recht der Welt, Bewerber abzulehnen, wenn übergeordnete politische Überlegungen dagegensprechen!»

Stoltenberg jedenfalls machte gleich auch noch Finnland und Schweden – «Partner, mit denen wir immer mehr eng zusammenarbeiten» – einen Antrag: «NATO‘s door remains open!»

Sechs Wochen später startete Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine.

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Weltseerecht – Tücken

Erstellt von Redaktion am 9. Dezember 2022

Die Verfassung der Meere und ihre Tücken

von Didier Ortolland

Unter den oft ohnmächtigen internationalen Institu­tio­nen der diplomatischen Landschaft stellt das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen so etwas wie ein stabiles Monument des Völkerrechts dar. 2022 feierte diese United Nations Conven­tion on the Law of the Sea (Unclos) ihr 40-jähriges Bestehen. Der Text der Konvention wurde am 30. April 1982 vereinbart und am 10. Dezember desselben Jahrs auf der abschließenden Sitzung der 3. UN-Seerechtskonferenz in Montego Bay in Jamaika verabschiedet.1

Die 320 Artikel und 9 Anhänge des Unclos sind ein diplomatisches Meisterstück. Der Völkerrechtler Tommy Koh, ehemals UN-Botschafter Singapurs und Vorsitzender der 3. Seerechtskonferenz der UN über elf Sitzungsperioden (1973–1982), bezeichnete das Übereinkommen als „Verfassung der Meere“. Und Javier Pérez de Cuellar, UN-Generalsekretär von 1981 bis 1992, sprach vom „wichtigsten völkerrechtlichen Instrument unseres Jahrhunderts“.

Dass Unclos ein Erfolg ist, steht auch 40 Jahre später außer Zweifel: 167 Staaten und die Europäische Kommission haben das Übereinkommen ratifiziert. Nicht dabei sind bisher – außer den Binnenstaaten – die USA und Israel, einige lateinamerikanische Länder sowie die Türkei, Iran und Syrien (siehe Beitext auf Seite 12).

Unclos ist aber mehr als das kodifizierte Seerecht. Das Abkommen steht auch für den Zeitgeist der 1970er Jahre, als die bestehende, vom Ost-West-Gegensatz geprägte Weltordnung durch den Prozess der Entkolonialisierung durcheinandergewirbelt wurde. Damals sahen die Entwicklungsländer, von denen einige zu Beginn der 3. Seerechtskonferenz gerade erst unabhängig geworden waren, in diesen Verhandlungen auch die Chance, eine neue Weltwirtschaftsordnung zu gestalten.

Das ist in Teilen gelungen. Dank der neu geschaffenen seerechtlichen Kategorie der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) erlangten diese Länder eine effektive Kontrolle über die Nutzung erweiterter Meereszonen einschließlich des Meeresbodens. Innerhalb dieser AWZ, die sich von der eigenen Küstenbasislinie bis zu 200 Seemeilen (370 Kilometer) ins Meer erstreckt, haben alle Küstenstaaten gewisse Hoheitsbefugnisse und gerichtliche Zuständigkeiten. Die begründen allerdings keine volle Gebietshoheit, denn die ist auf die „Territorialgewässer“ des Küstenmeers beschränkt.

Den Entwicklungsländern gelang es außerdem, den Grundsatz des „Gemeinsamen Erbes der Menschheit“ festzuschreiben, der für den Meeresboden außerhalb der AWZ gelten soll. Dieser bis dahin frei zugängliche, also frei ausbeutbare Meeresboden wird von der Internationalen Meeresbodenbehörde (IMB) verwaltet. Die im Rahmen von Unclos gegründete Internationale Organisation wacht über eine mögliche Nutzung dieses internationalen Meeresbodens, wobei die Erträge vorrangig den Entwicklungsländern zugutekommen.

Ein weiteres Novum ist der Begriff „Archipelgewässer“, deren Status dem des Küstenmeers recht stark ähnelt. Damit hat Unclos die Forderungen der Inselstaaten Indonesien, Philip­pinen und Fidschi berücksichtigt. Noch wichtiger ist, dass die „Verfassung der Meere“ das Gewohnheitsrecht der freien Schifffahrt untermauert: Unclos hat erstens die Bestimmungen über das Recht der friedlichen Durchfahrt (innocent passage) durch die küstennahen Hoheitsgewässer übernommen, zweitens wurde das Prinzip der Freiheit der Schifffahrt auf hoher See auch für die AWZs beibehalten. Allerdings können die jeweiligen Staaten in ihrer AWZ die Einhaltung von Umweltschutzbestimmungen durchsetzen.

Auch für Meerengen hält Unclos an der freien Durchfahrt fest. Dieser Grundkompromiss zwischen den Industriestaaten, die auf die Freiheit der Schifffahrt gerade auch in den Meerengen Wert legen, und den Entwicklungsländern, deren Idee die AWZ war, hat nach wie vor Bestand. Denn die Industrieländer haben festgestellt, dass auch für sie die Einrichtung der AWZ von Nutzen ist, und den Entwicklungsländern ist klar geworden, dass die Freiheit der Schifffahrt ebenfalls in ihrem Interesse liegt.

Dabei hatten sich einige Staaten mit großen Handelsflotten (wie die USA, Großbritannien und Deutschland) zunächst geweigert, das Seerechtsübereinkommen zu unterzeichnen. Was sie störte, waren die weitgehenden Befugnisse der Internationalen Meeresbodenbehörde (IMB) und des von ihr zu gründenden „Unternehmens“, das für die Bewirtschaftung des Meeresbodens zuständig sein sollte, einschließlich der direkten Gewinnung mineralischer Ressourcen in Zonen, die keinem Staat zugeordnet sind (genannt „The Area“).

Damit werde das freie Spiel der Märkte behindert, lautete das Argument der Industrienationen, deren Einspruch bedeutete, dass dieser Teil von Unclos nicht angewandt werden konnte. Deshalb musste ein „Übereinkommen zur Durchführung des Teils XI“ ausgehandelt werden, das spezifischen Bestimmungen in Bezug auf „The Area“ enthielt. Diese zusätzliche Vereinbarung wurde, unterstützt von Deutschland und Großbritannien, am 28. Juli 1994 in den Unclos-Text eingearbeitet. Daraufhin konnte die Konvention am 16. November 1994 in Kraft treten.2

Die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Übereinkommens wurde ein Jahr später erneut deutlich: Am 4. Dezember 1995 wurde das Übereinkommen über „die Erhaltung und Bewirtschaftung von gebietsübergreifenden Fischbeständen und weit wandernden Fischbeständen“ unterzeichnet, das in allen Weltmeeren die Einrichtung regionaler Fischereiorganisationen erleichtert. Derzeit wird auf UN-Ebene an einem Abkommen „für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der marinen Biodiversität in Gebieten jenseits nationaler Hoheitsgewalt“ gearbeitet. Die Verhandlungen zum Thema BBNJ (Biodiversity Beyond National Jurisdiction) sind weit vorangeschritten; ein weiteres Übereinkommen zur Umsetzung von Unclos ist in Vorbereitung.3

Solche Verfahren der Weiterentwicklung sind wichtig, weil große Teile des Übereinkommens noch nicht umgesetzt sind. Dies gilt auch für den Teil XIV „Entwicklung und Weitergabe von Meerestechnologie“ sowie für die Arbeit der IMB, die den offiziellen Auftrag hat, einen „evolutionären Ansatz“ für schrittweise einzuführende neue Vorschriften, Aktivitäten und Institu­tio­nen zu entwickeln. Eine Hauptforderung der Entwicklungsländer ist dabei nach wie vor die Gründung des oben erwähnten „Unternehmens“, das die im Unclos-Text definierte Aufgabe, den Meeresboden zu bewirtschaften und zu nutzen, auch effektiv wahrnehmen kann.

Allerdings wurden die Passagen der Konvention, die sich auf die nationale Souveränität beziehen, bewusst sehr mehrdeutig oder unscharf formuliert. Das geschah vor allem bezüglich der geografischen Abgrenzung der Meeresgebiete und in der Frage der rechtlichen Definition von Inseln und Felsen.

Das Resultat ist, dass Unclos den Staaten zwar ausgedehnte ausschließliche Wirtschaftszonen zuschreibt, aber keine detaillierten Hinweise für deren Abgrenzung enthält, wenn sich die AWZ-Ansprüche zweier Staaten überlappen. Zwar gilt der allgemeine Grundsatz, dass das Küstenmeer zweier Staaten mit aneinander angrenzenden oder gegenüberliegenden Küsten unter bestimmten Bedingungen zu teilen ist. Aber hinsichtlich der Abgrenzungsmethoden – für die AWZ wie für den Festlandssockel – wird lediglich gefordert, dass sie zu einem Ergebnis führen müssen. Die einzige inhaltliche Empfehlung lautet, dass eine „der Billigkeit entsprechende Lösung“ herauskommen müsse.

Angesichts vieler ganz unterschiedlicher Konstellationen war die Wahl der jeweiligen Abgrenzungsmethode keine ausgemachte Sache, aber in der Regel wurde die Äquidistanz- beziehungsweise Mittellinienmethode bevorzugt. In den meisten Fällen ist das Ergebnis „recht und billig“ (equitable), aber bei bestimmten Konstellationen führt die Methode zu Problemen. Zum Beispiel wenn nahe der Grenze die Küste konkav verläuft (etwa in Form einer großen Bucht), weil dann die Äquidistanzlinien in Richtung offenes Meer aufeinander zulaufen, womit die AWZ des betreffenden Landes kleiner wird. Deshalb war bei den Unclos-Verhandlungen am Ende kein Konsens über die Methode zu erzielen.

Und so kam es bei der AWZ-Abgrenzung zu zahlreichen Streitfällen zwischen zwei oder mehreren Ländern, deren Ansprüche sich überlappen. Dabei wandten sich die Streitparteien häufig nicht an die vorhandenen internationalen Instanzen, also an den Interna­tio­nalen Gerichtshof (IGH) oder an den dank Unclos geschaffenen Internationalen Seegerichtshof (ISGH), und ließen sich auch nicht auf ein Schiedsverfahren ein, weil sie angesichts des ungewissen Ausgangs kein Risiko eingehen wollten.

Allerdings hat der IGH in seinen Entscheidungen mit der Zeit schrittweise eine Abgrenzungsmethode entwickelt, die das Äquidistanzprinzip den jeweiligen Umständen anpasst. Damit ist der Ausgang weniger unsicher geworden, und die Streitparteien rufen inzwischen häufiger ein internationales Gericht oder ein Schiedsgericht an. Dennoch werden die Urteile des IGH nicht immer akzeptiert. Zum Beispiel hat sich Kolumbien nicht an eine am 19. November 2012 ergangene Entscheidung über seinen Grenzstreit mit Nicaragua gehalten. Daraufhin hat der IGH in seinem Urteil vom 21. April 2022 erneut befunden, dass Kolumbien die souveränen Rechte und Hoheitsbefugnisse Nicaraguas verletzt.4

Auch die seerechtliche Definition der Begriffe „Insel“ und „Felsen“ ist hoch relevant. Die Unterscheidung ist wichtig, weil Inseln – wie kontinentalen Küsten – eine AWZ von 200 Seemeilen zukommt, während Felsen lediglich über eine Hoheitszone von maximal 12 Seemeilen verfügen. Der einzige Unclos-Artikel (Art. 121), der sich mit der „Ordnung der Inseln“ befasst, ist jedoch alles andere als klar formuliert und lässt unterschiedliche Interpreta­tio­nen zu. Entsprechend haben die Staaten die Neigung, jedes über die Wasserlinie hinausragende Stück Land vor ihrer Küste als Insel zu klassifizieren, die eine AWZ beanspruchen kann. Der IGH hat es bislang vermieden, diese Frage abschließend zu beantworten, weil es unzählige Typen von Inseln gibt.

Diese Unsicherheit wollten die Philippinen bei ihren Gebietsstreitigkeiten mit China ausnutzen. Der Streit geht um inselartige Formationen im Südchinesischen Meer, deren Status der Permanent Court of Arbitration (PCA) in Den Haag klären sollte.5 Dabei ging es Manila nicht um die Frage, unter wessen staatliche Souveränität diese „Strukturen“ fallen, sondern um die Klärung, ob es sich um Inseln mit einer AWZ handelt oder um Felsen, die lediglich ein Küstenmeer haben. Oder aber um ein Stück Meeresboden, das nur bei Ebbe sichtbar wird, aber für die Ausdehnung des Küstenmeers relevant ist, wenn es höchstens 12 Seemeilen von der Küste entfernt liegt.

Quelle      :        LE MONDE diplomatique           >>>>>        weiterlesen

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Oben       —     Haupthandelsrouten des spanischen und portugiesischen Kolonialreichs

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Kolumne-Fernsicht-Polen

Erstellt von Redaktion am 3. Dezember 2022

Polens Problem mit den deutschen Luftabwehrraketen

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Von Karolina Wigura und Jaroslaw Kuisz

Im 15. Jahrhundert fand eine der größten Schlachten des Mittelalters statt: die Schlacht bei Tannenberg zwischen den polnischen und litauischen Armeen unter Władysław Jagiełło auf der einen Seite und dem Heer des Deutschen Ordens unter Ulrich von Jungingen auf der anderen. Chronisten der polnischen Geschichte berichten, dass kurz davor die germanischen Abgesandten dem polnischen König zwei riesige Schwerter brachten.

Umstritten ist, ob dieses Geschenk Ausdruck des Respekts oder eher eine List war, um die polnischen und litauischen Armeen dazu zu bringen, die deutsche Armee anzugreifen und schnell zu verlieren. Der Legende zufolge ließ sich Jagiełło nicht provozieren. Er nahm das Geschenk an und sagte: „Wohl besitzen wir Schwerter im Überflusse, diese beiden nehme ich aber doch auf, da ich sie als ein Zeichen des kommenden Sieges betrachte.“ Gesagt, getan. Polen und Litauen gewannen die Schlacht.

Seither ist viel Wasser die Donau heruntergeflossen. Der Deutsche Orden existiert nicht mehr, Polen, Litauen und Deutschland befinden sich in einem Militärbündnis. Einem Verbündeten Waffen anzubieten, ist Ausdruck einer Freundschaft. So musste die Antwort der polnischen Regierung auf den Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz, Patriot-Luftabwehrsysteme auf polnischem Gebiet zu stationieren, einigermaßen verwundern. Sie war rätselhaft. Erst hieß es: Ja, bitte, dann wieder: Nein, danke. Dazwischen stand ein Interview von PiS-Chef Jarosław Kaczyński mit der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Wenn Deutschland wolle, so der frühere Regierungschef, könne es die Patriots am besten gleich an die Ukraine liefern.

Die Assoziation zur Schlacht bei Tannenberg ist keineswegs zu weit hergeholt. Die Anekdote über Ulrich von Jungingen stand lange Jahre für die polnischen Vorurteile gegenüber Deutschen. Hinterhältigkeit, Doppelzüngigkeit und gleichzeitig der zum Sturz führende Stolz sind die wichtigsten Elemente des Stereotyps.

Kaczyńskis Erklärung berührt genau diesen Punkt. Die PiS-Europaabgeordnete Beata Mazurek unterstellte der deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht auf Twitter einen PR-Trick. Lambrecht wollte mit dem Luftabwehrsystem das eigene Image aufpolieren sowie der prodeutschen Opposition in Polen unter die Arme greifen.

Polen ist zum Frontland geworden und verfügt über ganze zwei Patriot-Luftabwehrsysteme. Es könnte zusätzliche Raketen gut brauchen. Gleichzeitig wäre das kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Polen in diesem Konflikt nicht zwischen Russland und Deutschland steht, sondern zwischen Russland und den USA, bei denen die EU nun um Hilfe anfragt.

Kaczyński betrachtet die Frage der Patriots jedoch nicht aus einer geopolitischen Perspektive. Es gibt für ihn ein viel wichtigeres Ziel: die Parlamentswahlen 2023. Der antideutsche Treibstoff, der sich bereits an der Reparationsfrage entzündet hat, spricht seine treueste Wählerschaft an. Traumata aus der Vergangenheit wirken bis in die Gegenwart.

Quelle      :            TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 29. November 2022

„Krieg und Frieden“
Tödliche Schallwellen im Schwarzen Meer

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Aus Odessa von Tatjana Milimko

Endlich kann ich wieder am Meer spazieren gehen. Mit Beginn des Herbsts wurden die Tafeln mit der Aufschrift „Vorsicht, Minen!“ an vielen Stränden Odessas abgenommen. Der Zugang zum Wasser ist damit wieder möglich. Richtig schwimmen zu gehen ist zwar nach wie vor gefährlich, aber die Odessiten sind schon froh, dass sie einfach nur die Hand wieder ins Meer tauchen können. Auf einem meiner Spaziergänge entlang einer meiner Lieblingsstrände machte ich einen schrecklichen Fund. Ein toter Delfin war ans Ufer gespült worden. Ich rief einen mir bekannten Ökologen an, der innerhalb einer Stunde mit seinen Kollegen am Strand eintraf. Das Tier zu drehen oder auch nur anzufassen war bis zum Eintreffen der Fachleute streng verboten. Der Grund: Die Ökologen mussten zuerst die Todesursache klären.

Vor dem Krieg starben Delfine vor allem durch Netze von Wilderern. Das erkennt man an charakteristischen Flossenverletzungen. Der von mir gefundene Delfin hatte keine Wunden oder andere Verletzungen, die zu seinem Tod hätten führen können. Nach Meinung der Ökologen war er aufgrund von Explosionen auf See und der Sonartechnik der Kriegsschiffe gestorben. In den Gewässern des Schwarzen ­Meeres sind seit Kriegsbeginn ein Dutzend russischer Schiffe im Einsatz. Die auf ihnen befindlichen Sonarsensoren senden starke Schallwellen aus.

Delfine gelangen in die Bereiche, in die diese Geräte ausstrahlen, und dann versagen ihre ihre eigenen Navigations- und Echoortungsorgane. Das bedeutet, dass Delfine und andere walähnliche Meeressäuger im Schwarzen Meer sehr starke akustische Traumata erleiden, die zu ihrem Tod führen.

Passagierterminal

Ich war unglaublich traurig, als ich erfuhr, dass derartige Funde in der Ukraine häufig vorkommen. Die Ökologen berichten von einem echten Ökozid und nennen schreckliche ­Zahlen. Vor Odessa wurden seit Kriegsbeginn 44 tote Delfine gefunden.

Ivan Rusev, promovierter Biologe des Nationalen Naturparks Tuslyer Limane, berichtete, dass in den Gewässern des Schwarzen Meeres schon 5.000 tote Delfine gefunden wurden. Nur etwa 5 Prozent aller getöteten Tiere werden überhaupt an Land gespült. Die übrigen 95 Prozent sinken auf den Meeresgrund und können vom Ufer aus gar nicht entdeckt werden. Nach Angaben von Ökologen beläuft sich die ungefähre Todeszahl dreier walähnlicher Meeressäugerarten im Schwarzen Meer auf 50.000. Zum Vergleich: Bis zu Beginn des Krieges wurden in einem ähnlichen Zeitraum höchstens 4 durch Wilderer getötete Delfine gefunden.

Quelle       :           TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

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Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten         —       Passagierterminal

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Die USA und ihre Taten

Erstellt von Redaktion am 28. November 2022

Als Sowjetrussland noch von den USA schwärmte

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Jürg Müller-Muralt /   

US-Amerikaner halfen in den 1920er- und 1930er-Jahren tüchtig beim industriellen Aufbau der Sowjetunion mit – auch in der Ukraine.

Der Dnjepr ist im Grunde auch ein gigantisches Kraftwerk. An dem rund 2200 Kilometer langen Strom, der Russland, Belarus und die Ukraine durchfließt, liegen auf ukrainischem Gebiet nicht weniger als sechs große Stauseen. Seit einiger Zeit gilt die Sorge hauptsächlich dem Staudamm von Kachowka, dem untersten vor der Einmündung des Stroms ins Schwarze Meer. Die Ukraine und Russland haben sich gegenseitig vorgeworfen, die Talsperre zu beschießen. Befürchtet wird auch, dass Russland den Staudamm sprengen könnte. Das Zerstörungspotenzial eines Dammbruchs wäre katastrophal.

Ukraine drohte mit Austritt aus Sowjetunion

Die Dnjepr-Wasserkraftwerke sind nicht nur wichtig für die ukrainische Energieversorgung, sie sind auch aus historischer Sicht in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Das gilt besonders für den 1932 gebauten Saporischschja-Stausee; er wurde als erster und als einziger noch vor dem Zweiten Weltkrieg gebaut. Das dazugehörige Kraftwerk Dnjeproges (Abkürzung für «Dnjeprowskaja Gidroelektrostanzija») war zur Entstehungszeit das größte Wasserkraftwerk Europas, der Staudamm gilt bis heute als einer der bedeutendsten der Welt. Zudem wirft das Bauwerk auch ein frühes Licht auf die schon damals nicht immer harmonischen Beziehungen zwischen Kiew und Moskau.

Die ukrainische Sowjetrepublik wusste ihre Anliegen im Kreml zumindest in diesem Fall durchzusetzen: Sie erreichte, dass der Bau des Kraftwerks Dnjeproges gegenüber dem Projekt des Wolga-Don-Kanals vorgezogen wurde. Wlas Tschubar, von 1923 bis 1934 Vorsitzender des Ministerrates der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik und damit Regierungschef, machte Druck und drohte schlicht mit dem Austritt der Ukraine aus der Sowjetunion.

Klassiker des sowjetischen Konstruktivismus

Vor ziemlich genau 90 Jahren, am 10. Oktober 1932, war es dann so weit: Das riesige, auf den Namen «Lenin» getaufte Kraftwerk wurde feierlich eröffnet. Die vom Berliner Wissenschaftsverlag herausgegebene Zeitschrift Osteuropa bezeichnete damals das Projekt als «unzweifelhaft eine der größten technisch-wissenschaftlichen Ideen der Gegenwart». Und die Faszination hält bis heute an. Der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel schreibt in seinem Monumentalwerk «Das sowjetische Jahrhundert: Archäologie einer untergegangenen Welt» (C.H.Beck, München 2017): «Das elegante Bauwerk ist Ausdruck menschlichen Genies in der Zähmung und Nutzung der Naturgewalt.» Es verkörpere «die baulich-architektonisch präzise Form, in der Funktion und Schönheit zu vollkommener Übereinstimmung gelangt sind.» Mit anderen Worten: «Dnjeproges ist ein ‹Klassiker› des sowjetischen Konstruktivismus.»

Tausende Amerikaner ziehen in die UdSSR

Das Kraftwerk Dnjeproges wurde zum Zentrum einer großen Industrieregion und versorgte den ganzen Donbass mit Strom. Das gewaltige Projekt wurde in nur fünf Jahren und mit einem Grossaufgebot von Arbeitskräften verwirklicht; rund 25’000 Arbeiter waren daran beteiligt – nicht ganz alle freiwillig. Kaum bekannt ist, dass auch sehr viele US-Amerikaner auf dem gigantischen Bauplatz Hand anlegten. Die Sowjetunion übte im Westen bei einigen Bevölkerungsschichten aus verschiedenen, nicht nur ideologischen Gründen, eine große Faszination aus; auch die 1929 ausgebrochene Weltwirtschaftskrise trug einiges dazu bei. Jedenfalls zog es tausende Amerikaner auf der Suche nach Arbeit in die Sowjetunion.

US-Ingenieur leitete Staudammprojekt

Auch auf dem Bauplatz des Dnjeprogres-Staudamms waren die Amerikaner in großer Zahl präsent. Sogar die Leitung des Projekts lag in amerikanischen Händen: Die Sowjetunion beauftragte Hugh Lincoln Cooper mit dem Bau des Damms. Der US-Ingenieur leitete zuvor bedeutende Staudammprojekte am Tennessee-River und verfügte damit über die nötige Erfahrung. Die American Society of Civil Engineers (Amerikanische Gesellschaft der Bauingenieure) schreibt auf ihrer Homepage, Coopers Arbeit in der Sowjetunion gelte «als Modell für den Transfer industrieller Fertigkeiten von technologisch fortgeschrittenen Gesellschaften auf weniger fortgeschrittene».

Amerikaner mit Rotbanner-Orden geehrt

Auch US-Unternehmen kamen zum Zug. So lieferte etwa General Electric die Generatoren und Newport News Shipbuilding die Hochleistungsturbinen. Die amerikanischen Gastarbeiter und Spezialisten wurden geradezu verwöhnt und lebten in privilegierten Verhältnissen, «in eigens für sie errichteten Häusern, ausgestattet mit Tenniscourts und Wagenpark – sogar besondere Lebensmittel sollen per Schiff über Odessa herbeigeschafft worden sein», schreibt Karl Schlögel. Nach Abschluss der Arbeiten wartete auf Cooper und andere amerikanische Ingenieure und Techniker eine besondere Überraschung: Am 17. September 1932 wurden sie mit dem sowjetischen Rotbanner-Arbeitsorden ausgezeichnet.

Eine Eisenstadt aus dem Boden gestampft

Nicht nur auf dem Gebiet der heutigen Ukraine, auch in der russischen Stadt Magnitogorsk waren amerikanische Arbeitskräfte in großer Zahl präsent. Die 1929 gegründete Stadt wurde zum Inbegriff der unter Stalin forcierten Entwicklung der Sowjetunion zu einer Industrienation. Der Ort wurde gewählt, weil dort große Eisenerz-Lagerstätten vorhanden waren. Innert kürzester Zeit wurde dort im buchstäblichen Sinn die größte Eisen- und Stahlproduktion des Landes aus dem Boden gestampft. Große Bedeutung erlangte Magnitogorsk im Zweiten Weltkrieg: Die Eisenwerke wurden zum wichtigsten Lieferanten des für die sowjetische Rüstungsindustrie notwendigen Stahls.

Klein-Amerika mit eigenen Siedlungen

1929 wurde nicht nur Magnitogorsk gegründet, 1929 war auch das Jahr der Großen Depression. Die Anziehungskraft des industriellen Aufbruchs in der Sowjetunion auf die Arbeitslosenheere im kapitalistischen Westen war beträchtlich. Filme und Bücher über Magnitogorsk hatten in den USA großen Erfolg – und eine ebenso große Wirkung. Nicht nur Arbeitskräfte aus den USA kamen in die Stahlstadt; die US-Firma McKee lieferte die Technologie für das Stahlwerk. «Für die amerikanischen und deutschen Ingenieure, die auf Zentralheizung, fließendes Wasser und die Lektüre der Saturday Evening Post nicht verzichten können, wird in Berjoski ein Klein-Amerika aus 150 Cottages errichtet, das heute noch zu bewundern ist», schreibt Karl Schlögel.

Sowjet-Russland im Bann der USA

Die USA waren in technologischer Hinsicht das große Vorbild für die Sowjetunion. Der US-amerikanische Schriftsteller Theodore Reiser, der 1927 monatelang die UdSSR bereist hatte, hielt fest: «Noch nie stand ein Land in technischer oder materieller Hinsicht oder in beidem so sehr im Banne eines anderen wie Russland heute im Banne der Vereinigten Staaten.» Es habe nicht allein in wirtschaftlich-technischer, sondern auch in kultureller Hinsicht einen «sowjetischen Amerikanismus» gegeben, konstatiert auch der Historiker Karl Schlögel: Man habe sich Amerika in vieler Hinsicht näher gefühlt als Europa: «Amerika hatte die Standesschranken hinter sich gelassen, Amerika war weniger hierarchisch, dort konnte es sozialen Aufstieg geben wie nur im Nachrevolutionären Russland, wo die Klassenstrukturen zusammengebrochen waren und die brachiale Durchsetzung der Gleichheit allgemein geworden war.» Zudem hat Amerika gegen Russland keinen Krieg geführt, abgesehen von einem Interventionskorps im Bürgerkrieg; und die USA hatten bei der Hungerkatastrophe 1920-1922 großzügig Hilfe geleistet.

Stalin schwärmte von den USA

Es herrschte also eine regelrechte Amerika-Begeisterung. Selbst Stalin schwärmte von der Verbindung von «amerikanischem Pragmatismus und bolschewistischer Leidenschaft». Für den Historiker Schlögel ist der Kern dieser Leidenschaft leicht zu erkennen: «Er besteht vor allem in der Überzeugung, dass sich im Grunde alle Probleme technisch bereinigen lassen und dass die Technik ein Instrument auch zur Lösung von gesellschaftlichen Konflikten darstellt.»

Das alles mutet, gerade wieder in der heutigen Lage, beinahe unwirklich an. Und doch war zur Zeit der Großbaustellen am Dnjepr und in Magnitogorsk gemäß Karl Schlögel nicht absehbar, dass der «sowjetische Amerikanismus» nur eine vorübergehende Konjunktur war.

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Oben      —     Die sechs Reaktoren des Kernkraftwerks Saporischschja nahe Enerhodar, links dahinter Schornsteine und Kesselhäuser des Wärmekraftwerks Saporischschja

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Vom Dorf zum Reich

Erstellt von Redaktion am 26. November 2022

Potemkinsche Gespenster des Extraktivismus im Donbas

Quelle        :     Berliner Gazette

Von       :  Elena Batunova

Die vom Putin-Regime vorangetriebene imperiale Strategie der territorialen Expansion und der Kolonisierung von Ressourcen wird wahrscheinlich den Niedergang und die Erosion Russlands beschleunigen, hinter dessen Fassade sich eine große Zahl unbekannter, nicht untersuchter und nicht angegangener systemischer Probleme verbirgt, argumentiert Elena Batunova in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism”, in dem sie den Fall der ehemaligen Bergbaustadt Nowoschachtinsk untersucht.

Seit dem 24. Februar 2022 ist das Wort “Donbas” weltweit als Schlachtfeld und Hauptziel der Aggression des Putin-Regimes gegen die Ukraine bekannt geworden. Im September 2022 organisierte die russische Regierung sogenannte “Referenden” in zwei Teilen der Region Donbas in der Ostukraine: Donezk und Luhansk. Am 30. September unterzeichnete Putin Abkommen über den Beitritt der Regionen des Donbass zu Russland (zusammen mit den Regionen Saporischschja und Cherson). Die wenigsten Menschen wissen jedoch, dass der Donbas ein großes Kohle- und Industriegebiet auf beiden Seiten der russisch-ukrainischen Grenze istInnerhalb der Ukraine umfasst der Donbas die nördlichen und zentralen Teile der Oblast Donezk, den südlichen Teil der Oblast Luhansk und den äußersten Osten der Oblast Dnipropetrowsk; innerhalb Russlands umfasst er den westlichen Teil der Oblast Rostow.

Ich begann diesen Text im Dezember 2021 zu schreiben, um über die postextraktivistische Entwicklung einer Bergbaustadt in Russland nachzudenken. Als Russland die Ukraine angriff und den Donbass als Grund anführte, brauchte ich eine Weile, um über die Bedeutung der zu erzählenden Geschichte nachzudenken und sie auszuarbeiten. Mein Hauptprotagonist – Nowoschachtinsk, eine Bergbaustadt in der russischen Oblast Rostow, nur 20 Kilometer vom Grenzübergang Dowschanskij zur Ukraine entfernt – blieb derselbe, wurde aber aus einer anderen Perspektive als der ursprünglichen dargestellt.

Donbas geteilt

Der Donbas war entscheidend für den Aufstieg und den Zusammenbruch des russischen und des sowjetischen Imperiums, und nach dem Zerfall der UdSSR glaubten Analysten, dass die Region ein Quelle geopolitischer Spannungen. Der Name der Region ist selbsterklärend: “Donbas” ist ein Akronym für das Donezbecken, ein Bergbau- und Industriegebiet, das für seine Kohlevorkommen bekannt ist. Bis zum 18. Jahrhundert war das “Wilde Felder” genannte Gebiet nur spärlich von Nomaden besiedelt und wurde nach und nach von den Kosaken kolonisiert. Der Kohleabbau, der Bau von Eisenbahnen und das Wachstum der Hüttenindustrie führten zu einer raschen Verstädterung des Gebiets. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde der Donbas zu einem Raum der “internationalen Zusammenarbeit”, in dem vor allem Industrieunternehmen aus den USA und Europa vertreten waren.

Der Donbas war während des Ersten Weltkriegs, der Oktoberrevolution, des anschließenden Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs ein wichtiges Ziel. Von der sowjetischen Propaganda als “das Herz Russlands” bezeichnet, erlebte der Donbas nach dem Zerfall der UdSSR eine lange Zeit des Umbruchs. Der Niedergang des Kohlebergbaus gilt als eine der Hauptursachen für den Zusammenbruch der UdSSR; die darauf folgenden Bergarbeiterstreiks symbolisierten dessen Ende. Sowohl der Donbass in der Ukraine als auch Russland erlebten eine erhebliche wirtschaftliche Depression, Bevölkerungskrisen, Umweltzerstörung und wirtschaftliche Umstrukturierung. Die postsowjetische Geschichte war geprägt von Initiativen zur Reorganisation der wirtschaftlichen Netzwerke im Donbas und zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und der europäischen Integration (siehe z. B. Euroregion Donbas). Die internationalen Beziehungen haben sich jedoch nach der “Revolution der Würde” im Jahr 2014 und der Annexion der Krim durch Russland im selben Jahr erheblich verändert.

Der östliche Donbas in Russland

Die mit dem östlichen Donbass verbundenen Kohlebergbaustädte in der Region Rostow machen ein Drittel aller Städte der Region aus. Die Namen einiger Städte leiten sich von ihrem Ursprung im Kohlebergbau ab: Shakhty (wörtlich: Minen), Novoshakhtinsk (die Worte “neu” und “eine Mine”), Kamensk-Shakhtinsky (die Worte “ein Stein” und “eine Mine”). Die umgewandelte Steppenlandschaft rund um die Städte erinnert den Betrachter sofort an den Bergbau in der Region: seltsam anmutende kegelförmige Hügel, die in scharfem Kontrast zum eher flachen Land stehen, sind die örtlichen “Rostower Berge” – ironischerweise Abraumhalden genannt.

Jeder Krieg ist ein Verbrechen und jeder Teilnehmer ein Mörder.

Die Abraumhalden, die irgendwo von Grün überwuchert sind, irgendwo rauchen wie schlafende Vulkane oder um der Mineralien willen abgebaut werden, sind imposante Spuren des vergangenen “Kohlerauschs” in der Region, in der nur noch fünf von einst 80 in Betrieb befindlichen Bergwerken übrig sind. Die Bergbauvergangenheit ist nicht nur in sichtbaren Landschaftselementen präsent, sondern auch in den sozioökonomischen Bedingungen des Lebens der Menschen: Die Proteste der Bergleute halten während der gesamten postsowjetischen Zeit an, und jede (ehemalige) Bergbaustadt hat ihre eigene Geschichte, wie sie mit dem Ende ihrer glorreichen Bergbauära umgeht.

Nowoschachtinsk: Das Ende der Bergbauära

Nowoschachtinsk kam 1939 auf die Landkarte, als mehrere kleine Städte, die im 19. Jahrhundert um die Bergwerke herum entstanden waren, zusammengelegt wurden und den Status einer Stadt erhielten. Bis 1962 stieg die Einwohnerzahl der Stadt von 48.000 im Jahr 1939 auf 108.000. Die Einwohnerzahl schwankte bis zum Ende des Sozialismus und ging dann leicht zurück auf 103.000 im Jahr 2021. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR überlebte die Kohleindustrie von Nowoschachtinsk relativ kurz. Die Umsetzung des nationalen Programms zur Umstrukturierung des Kohlebergbaus und die Katastrophe im Bergwerk “Zapadnaya-Kapital’naya” führten zur Schließung aller Bergwerke in der Stadt bis 2003.

Mit der Schließung des letzten Bergwerks wurde die Vorsilbe “ehemals” zum Schlüssel für die Beschreibung des Charakters der Stadt: “ehemals sowjetisch”, “ehemals Bergbau”, “ehemals Anbau”. Auch die wirtschaftlich-geografische Lage der Stadt hat sich verändert. Die Stadt, die einst inmitten der vitalen Bergbauregion lag, geriet an die Peripherie des Landes. Nowoschachtinsk sah sich mit wirtschaftlichem Niedergang, Arbeitslosigkeit und dem Verfall seines sozialen Umfelds konfrontiert. Der Kohleabbau hinterließ nicht nur an der Oberfläche des Stadtgebiets, sondern auch unter der Stadt physische Spuren. Ein beträchtlicher Teil der Wohngebiete der Stadt befand sich auf unterminierten Flächen. Die unterirdische Leere gefährdete den vorhandenen Wohnungsbestand und vergrößerte die Palette der dringend zu bewältigenden Herausforderungen.

Die Verwaltung von Nowoschachtinsk erkannte jedoch schnell die eingetretenen Veränderungen, ihre unvermeidlichen Folgen und die Chancen, die sich der Stadt für ihre Entwicklung nach dem Bergbau boten. In den 2010er Jahren gelang es der Stadtverwaltung, die Wirtschaft der Stadt umzugestalten und zu diversifizieren sowie staatliche und private Investitionen in wirtschaftliche, kulturelle und soziale Projekte anzuziehen. Die Stadt nutzte ihre neue geopolitische Lage gewinnbringend und konzentrierte sich auf Logistik, Verkehr und grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Die Stadt profitierte von dem staatlichen Programm zur Sanierung des städtischen Umfelds der ehemaligen Bergbaustädte. In den 2010er Jahren wurde die Stadt zu einer der führenden Städte im Wohnungsbau unter den in das Programm einbezogenen Bergbaustädten.

Verdeckte Nekrose hinter der Frontfassade

Wer durch die Stadt fährt, wird verschiedene Zeichen des postextraktivistischen Aufschwungs entdecken: neu errichtete Wohngebiete, Industrieanlagen, Unternehmen und Einkaufszentren. Wer jedoch Zeit für eine genauere Betrachtung hat, wird in vielen Teilen der Stadt herzzerreißende postapokalyptische Bilder ganzer Häuserblocks entdecken, die sich in unterschiedlichem Maße im Verfall befinden. An einem Ort gibt es fast intakte Gebäude, von deren Leere nur noch verstopfte Fenster zeugen. An anderen Stellen kann man nur noch an den Resten von Fundamenten im üppigen Gestrüpp erahnen, dass hier einmal Häuser standen. In der Stadt gibt es mehr als 2.000 verlassene Häuser, und einige Wohngebiete erinnern an die Zerstörung durch den Krieg. Tiere, Vögel und Grünpflanzen erobern die einstige Stadtlandschaft.

Was ist der Grund dafür? Nowoschachtinsk ist eine schrumpfende Stadt, wie auch alle anderen Städte in der Donbass-Region in Russland und im Übrigen 70 % aller Städte in Russland. Die langfristige Entvölkerung von Nowoschachtinsk hat jedoch dazu geführt, dass die Peripherie der Siedlungen nie vollständig verfallen ist, während sich die Verödung über die gesamte Stadt ausbreitet. Den Hauptbeitrag zum Verfall der Stadt leistete jedoch die “erfolgreiche” Umsetzung der neuen Wohnungsbauprojekte.

Die Fixierung auf ein rein nach quantitativen Kriterien gemessenes Erfolgsergebnis (z. B. die Zahl der bebauten Quadratmeter), das Fehlen von Überwachung und Forschung, die Zugrundelegung falscher oder fehlender Ausgangsdaten, eine zentralisierte, unflexible Gesetzgebung, die Ignoranz gegenüber “unbequemen” Themen wie der Entvölkerung, der Mangel an Ressourcen und Macht auf lokaler Ebene – all diese Faktoren haben zu einer raschen und irreversiblen Verschlechterung der städtischen Landschaft geführt, die durch die neue Wohnbebauung und die Umsiedlung der Menschen dorthin verursacht wurde. Heute verfügen die lokalen Behörden nicht über die Mittel und rechtlichen Instrumente, um die Situation zu lösen, während das Problem für die oberen Regierungsebenen “unsichtbar” bleibt.

Der Beginn des Krieges gegen die Ukraine wird Nowoschachtinsk vor neue, noch größere Herausforderungen stellen. Der Teil der Wirtschaft, der sich auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit konzentriert, wird wahrscheinlich sterben. Die militärische Mobilisierung und der wirtschaftliche Niedergang werden die Entvölkerung verstärken. Die Kürzung der staatlichen Haushaltsausgaben und die Änderung der Haushaltsprioritäten werden die Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt, deren Haushalt zu 82 % auf Kosten der Staatshaushalte auf regionaler und föderaler Ebene gebildet wird, erheblich beeinträchtigen. Der Verfall der Stadt wird sich beschleunigen.

Immer noch Extraktivismus

Nowoschachtinsk ist ein hervorragendes, wenn auch trauriges Beispiel dafür, wie die staatlichen Strategien in Russland funktionieren. Die starke Machtvertikale, die Umsetzung staatlicher Programme von oben nach unten ohne die Möglichkeit und Bereitschaft, ein wahrheitsgetreues Feedback von unten zu erhalten, die ständigen Datenfälschungen auf allen Ebenen und die häufige Anwendung des Konzepts des “Potemkinschen Dorfes” führten zu einer großen Kluft zwischen der Realität in Russland und der Wahrnehmung dieser Realität durch die staatlichen Entscheidungsträger.

Die Entwicklung einer Alternative zur auf dem Extraktivismus basierenden Geschichte Russlands in der postsowjetischen Zeit würde Freiheit, kritisches Denken, Innovationen, Transparenz und einen “gesunden” Wettbewerb erfordern. Russland hat es versäumt, ein solches Umfeld zu schaffen, und blieb eine Geisel seiner rohstoffproduzierenden Wirtschaft. Viele Experten erklären das Interesse des Putin-Regimes und seinen Einmarsch in die Ukraine mit seiner Bereitschaft, sich die reichen natürlichen Ressourcen der Donbass-Region anzueignen und die Ansprüche des Westens auf diese Ressourcen zurückzuweisen. Diese Hypothese erscheint logisch, wenn man die Prioritäten der nationalen und internationalen Politik Russlands in Bezug auf die natürlichen Ressourcen bedenkt.

Höchstwahrscheinlich wird die imperiale Strategie der territorialen Expansion und der Kolonisierung von (neuen) Ressourcen jedoch nicht zum Erfolg führen, sondern den Niedergang und die Erosion des Landes beschleunigen, hinter dessen Fassade sich eine große Zahl unbekannter, nicht untersuchter und nicht angegangener systemischer Probleme verbirgt.

Anm.d.Red.: Dieser Text ist ein Beitrag zur “After Extractivism”-Textreihe der Berliner Gazette; die englische Version ist auf Mediapart verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://after-extractivism.berlinergazette.de

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Oben       —     Schlacht von Mariupol (2022)

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 24. November 2022

„Krieg und Frieden“
Im Schutzraum zu Technobeats weitertanzen

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Aus Kiew ALEXANDER BABAKOW

Schon seit einigen Tagen ist Cherson wieder Teil der Ukraine. Die Stadt ist jetzt frei. Ich habe mit Cherson immer Wassermelonen assoziiert. Schon jetzt stelle ich mir vor, wie wir wieder unsere Melonen essen werden. Melonen aus Cherson – ukrainische Melonen. Die Wassermelone ist das Symbol der Stadt. Sogar in der Werbung tauchen diese saftigen Kürbisgewächse mittlerweile auf.

Aber ich bin in Kiew und habe aktuell keine Lust auf Wassermelonen. Im Sonderangebot habe ich eine Flasche Rum gekauft und warte mitten auf einer Wiese auf meine Freunde. Es sind ziemlich viele Leute da. Während ich was von dem Rum trinke, schaue ich mir an, wie die Jugendlichen um mich herum Spaß haben. Man kann die Worte „für Cherson“, „Ruhm der Ukraine“, „Ruhm der Nation“ hören. In diesem Augenblick verstehe ich, dass wir die Generation sind, die vor nichts Angst hat. Die Generation, die sich ihrer eigenen Identität bewusst ist, die weiß, wer sie ist und was uns alle verbindet.

Das Einzige, was ich nicht verstehe, war, warum sie noch immer zu russischen Liedern tanzten. Als ob es keine ukrainischen Künst­le­r*in­nen gäbe, keine gute ukrainische Musik. Aber vielleicht ist das schon so tief in uns verwurzelt, dass wir es gar nicht mehr bemerken. Klar, wir sind daran gewöhnt, diese bekannten russischsprachigen Künst­le­r*in­nen zu hören, die gerade in sind. Gewohnheiten sind schwer zu durchbrechen, aber Gewohnheiten machen uns auch kaputt. Wir sprechen russisch, weil unsere Eltern so sprechen, und die sprechen so, weil auch ihre Eltern schon so gesprochen haben. Aber da waren die Zeiten auch andere. Und es scheint mir, dass gerade wir diese Kette durchbrechen können, dass wir unsere Identität zeigen, unsere Kultur. An der Front zeigen Menschen Haltung durch Taten, aber wir können unsere durch Worte zeigen. Wir haben alle den gleichen Wunsch. Nur ist dieser Weg schwer und braucht Zeit.

Ich hatte keine Lust mehr, darüber weiter nachzudenken. Deshalb beschloss ich, zum Feiern in einen Club zu gehen. Meine Freunde wollten nicht mit, sie wollten weiter trinken. Der Club ist in einem Kellerraum, in der Nähe des Denkmals für die Helden von Kruty. Innen gibt es zwei Bartresen und zwei Dancefloors mit unterschiedlicher Musik – dazwischen eine Raucherlounge. Im ersten Raum ist eine riesige Discokugel mit farbigen Lichteffekten, warm und angenehm und mit ebenso guter Musik. Im zweiten spielen sie Techno mit Scheinwerfern, Blitzen und monotonem Rhythmus. Mir gefällt der zweite.

Quelle          :           TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten    —          Station der Metro Kiew, die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine (2022) in einen Luftschutzbunker umgewandelt wurde

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Von Kapital und Widerstand

Erstellt von Redaktion am 23. November 2022

Der Notstand des deutschen Kapitals und der Widerstand der Arbeiterklasse

Es gibt wohl kaum etwas politisches was es vorher nie gab.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Iwan Nikolajew

  1. Prolog

Die Ukraine-Krise zerbricht die neoliberale Weltordnung. Ein Zurück in die neoliberale Weltordnung ist nicht mehr möglich. Der point of no return ist erreicht. Die Ukraine-Krise war nur der letzte Tropfen, der das Faß zum überlaufen gebracht hat. Die Agonie des neoliberalen Kapitalismus begann mit dem Beginn der Großen Krise 2007/2008 und finden in der Ukraine-Krise ihren Abschluß. Anstelle des neoliberalen Kapitalismus setzt sich der multipolare Kapitalismus und führt zu zahlreichen sozioökonomischen und politischen Brüchen, welche die kapitalistischen Produktionsverhältnisse potentiell bedrohen. Mit dem Notstand versucht das Kapital die potentiell bedrohten kapitalistischen Produktionsverhältnisse abzusichern.

  1. Notstand der Verwertung

Der deutsche Imperialismus ist verunsichert. Seine neoliberale Welt ist zerbrochen. Aber der deutsche Imperialismus verweigert sich dieser Realität. Die deutsche Bourgeoisie möchte in die neoliberale Welt zurück und verfällt in den Größenwahn, die Rückkehr in den neoliberalen Weltmarkt erzwingen zu wollen und wird dabei notwendig scheitern. Auch der deutsche Imperialismus wird sich in einem multipolaren Weltmarkt einordnen müssen, denn dieser wird dem deutschen Imperialismus notfalls aufgezwungen. Je mehr sich der deutsche Imperialismus dem multipolaren Weltmarkt verweigert, desto größer wird der stumme Zwang des Wertgesetzes auf dem deutschen Kapital lasten, desto gefährdeter ist der deutsche Kapitalismus. Je potentiell gefährdeter das deutsche Kapital, desto eher greift die Bourgeoisie auf den bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) zurück.

Die Bourgeoisie steht ihrer parlamentarisch-demokratischen Herrschaftsform in letzter Instanz gleichgültig gegenüber. Es ist dem Kapital egal, in welcher historischen Form die bürgerliche Klassenherrschaft ausgeübt wird; wesentlich ist nur, daß diese aufrechterhalten wird. Nicht jedoch die Arbeiterklasse. Für die Arbeiterklasse ist die parlamentarisch-demokratische Herrschaftsform der Bourgeoisie überlebenswichtig, denn nur dort kann sich die Arbeiterklasse als Arbeiterklasse gesellschaftlich notwendig reproduzieren und unterliegt keiner Überausbeutung, hat Rechte, hat Mitbestimmungsrechte, hat also Eroberungen im Kapitalismus gemacht, die gegen das Kapital verteidigt werden müssen und können auch nur in der parlamentarisch-demokratischen Form des bürgerlichen Staates verteidigt werden. Mit der Beseitigung der parlamentarisch-demokratischen Form wird auch das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse drastisch abgesenkt. Der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) ist der zentrale Angriff auf die Arbeiterklasse und bereitet den Angriff auf das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse vor. Der Notstand bzw. Ausnahmezustand ist ein Moment des bürgerlichen Ausnahmestaates und findet sich in unterschiedlichen Graden im Bonapartismus, in der Diktatur und im Faschismus bzw. er ist die materielle Basis des bürgerlichen Ausnahmestaates in all seinen Formen. Jede Form des bürgerlichen Ausnahmestaates, ob Bonapartismus, Diktatur oder Faschismus, beruht auf unterschiedlichen graduellen Ausprägungen des Ausnahmezustandes, bzw. des Notstandes. Notstand bzw. Ausnahmezustand ist immer eine Form der Diktatur, auch wenn diese Notstandsdiktatur von der Bourgeoisie als ”Schutz” vor der Diktatur, als Verteidigung der Demokratie ausgegeben wird. Dann können der Notstand bzw. der Ausnahmezustand auch als ”wehrhafte Demokratie” bezeichnet werden. Die Bourgeoisie versucht mit dem Begriff ”wehrhafte Demokratie” den qualitativen Bruch von Notstand und parlamentarisch-demokratische Herrschaftsform der herrschenden Klasse im ideologischen Nebel zu verschleiern. Die ”wehrhafte Demokratie” ist nichts Anderes als der ”übergesetzliche Notstand” und der Begriff des ”übergesetzlichen Notstandes,” der bei ”Gefahr der nationalen Sicherheit” in Kraft tritt, ist nichts anderes als eine politische Entscheidung der Bourgeoisie im Sinne des Verwertungsprozesses von Kapital. Der ”übergesetzliche Notstand” soll im bürgerlichen Sinne die ”Notwehr” des bürgerlichen Staates gegen die ”Gefahren der nationalen Sicherheit” sein und wird auf eine Stufe gestellt mit der individuellen Abwehr eines individuellen physischen Angriffs im Alltagsleben. Der bürgerliche Staatsapparat, ein bewaffnetes Organ der herrschenden Klasse, wird auf eine Stufe gestellt mit einem unbewaffneten bürgerlichen Individuum und dem bürgerlichen Staatsapparat wird dann das Recht auf ”Notwehr”, und ”Selbstverteidigung” zugesprochen. Wenn ”Notwehr” und ”Selbstverteidigung” jemanden zustehen, dann dem abstrakten bürgerlichen Individuum und nicht nur gegen ein anderes angreifendes bürgerliches Individuum, sondern vor allem gerade Notwehr und Selbstverteidigung gegen die Gefahr der kollektiven physischen Bedrohung durch den bürgerlichen Staat. Dies wäre das Widerstandrecht gegen einen sich verselbständigten tyrannischen Staat, gegen einen Notstandsstaat. Nur indem man die qualitative Differenz zwischen bürgerlichem Staat und bürgerlichen Individuum ideologisch auslöscht, kann man zu einem ”übergesetzlichen Notstand” kommen. Dieser ”übergesetzliche Notstand” materialisierte sich im ”Deutschen Herbst” mit der Massenverfolgung kleinbürgerlicher oder proletarischer Gruppen und Organisationen im Gefolge der Schleyer-Entführung und fand seinen Höhepunkt in den Morden von Stammheim. Im Rahmen einer Strategie der Spannung wurde der proletarische Widerstand angegriffen und ebenso über die Strategie der Spannung wurde die Massenlegitimation für den ”übergesetzlichen Notstand” produziert. Die Notstandsgesetze wurden im ”Deutschen Herbst” formal nicht aktiviert, wohl aber ”übergesetzlich” exekutiert. Damit ist der ”übergesetzliche Notstand” ein realer Notstand, ohne jedoch formal ein Notstand zu sein. Ein ”übergesetzlicher Notstand” ist immer ein außerrechtlicher Notstand und der außerrechtliche Notstand ist der eigentliche Notstand, der eigentliche Ausnahmezustand.

Denn ein rechtlicher Ausnahmezustand, Notstand, der das bisherige Recht aufhebt und zwar auf formal-rechtlicher Weise ist ein logischer Widerspruch, denn das Recht wird rechtlich-formal aufgehoben, das Gesetz hebt das Gesetz auf und negiert sich auf diese Weise, bzw. die Verfassung wird verfassungsmäßig außer Kraft gesetzt und durch einen verfassungsmäßigen Nicht-Verfassungszustand ersetzt. Die Notstandsgesetze heben eben die Verfassung verfassungsmäßig auf, d.h. die Notstandsgesetze heben die individuellen und kollektiven Rechte, welche durch die Verfassung garantiert werden, auf verfassungslegitime Weise aus. Das Grundgesetz garantiert die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates und über die Notstandsgesetze auch die Aufhebung der parlamentarisch-demokratischen Form des Staates, legitimiert auch den Ausnahmezustand, den Notstand, die Notstandsdiktatur. Dieses Grundgesetz der BRD legitimiert gleichzeitig die demokratisch-parlamentarische Form des bürgerlichen Staates, wie auch seine Negation in der Notstandsdiktatur, beides ist verfassungsmäßig. Eine Notstandsdiktatur, ein Ausnahmezustand, ist ebenso demokratisch legitim, wenn das demokratisch-parlamentarisch System, notfalls über ein „Notparlament“ dies beschließt, d.h. das demokratisch-parlamentarische System kann sich auch selbst auf demokratisch-parlamentarischer Weise abschaffen und sich selbst aus Eigeninitiative mit der Exekutive gleichschalten. Der Notstand, der Ausnahmezustand, ist im Grundgesetz nur abstrakt geregelt. Kann auch nur rechtlich abstrakt geregelt sein, denn jeder Ausnahmezustand, jeder Notstand, ist ein außerrechtliches Moment, ist ein primär politisches Moment. Der Ausnahmezustand, der Notstand, steht als politisches Moment immer über den rechtlichen Moment; der Ausnahmezustand, der Notstand, ist notwendig ein außerrechtlicher Zustand und repräsentiert die vorrechtliche Staatsräson. Die Notstandsgesetze versuchen einen außerrechtlichen Zustand rechtlich zu regeln und tarnen lediglich den außerrechtlichen Ausnahmezustand, Notstand, als rechtlichen Zustand. Mit Notstandsgesetz oder ohne Notstandsgesetz: Der Ausnahmezustand, Notstand, ist immer außerrechtlich, ist immer übergesetzlich, ist immer außergesetzlich, ist immer politisch im Sinne konzentrierter Politik, ist immer aufbauend auf der sozialen Diktatur der herrschenden Klasse die politische Diktatur der herrschenden Klasse. Ein Ausnahmezustand ist immer ein pseudo-legaler Staatsstreich. Im Ausnahmezustand, im Notstand, gibt es keine gesetzliche Bindung des bürgerlichen Staates. Gerade die Gesetzesbindung des bürgerlichen Staates und die Auslegung der Gesetze durch die Judikative ist das konkret-spezifische Moment der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, das konkret-spezifische Moment der bürgerlichen Gesellschaft bzw. der Klassenherrschaft der Bourgeoisie. Dies schiebt die Bourgeoisie dann zu Seite, wenn die Verwertungsprobleme des Kapitals zu groß werden und wenn zusätzlich das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeiterklasse im Verlaufe des Klassenkampfes dies erlaubt. Carl Schmitt als Kronjurist des deutschen Faschismus formulierte deshalb auch; ” Souverän ist nur der, wer über den Ausnahmezustand entscheidet”. Nur im Ausnahmezustand ist der bürgerliche Staat der Souverän, unabhängig und frei von allen gesetzlichen und sonstigen Bindungen und entscheidet frei nach Staatsräson, ist nur noch Machtstaat und kennt nur noch die Grenzen der Machtentfaltung nach innen und außen erst durch die Konfrontation mit anderen inneren und äußeren Mächten. Hier kann sich die Staatsräson frei entfalten, während im parlamentarisch-demokratischen Staat die Staatsräson verdeckt über den tiefen Staat exekutiert wird. Vor allem werden im Notstand, im Ausnahmezustand, die individuellen und kollektiven Grundrechte außer Kraft gesetzt, welche konkret durch die Arbeiterklasse erkämpft worden sind und die gesellschaftliche Reproduktion der Ware auf ein hohes Reproduktionsniveau garantieren.

Der Corona-Notstand begann als ”übergesetzlicher Notstand” und wurde dann kodifiziert, um den ”Corona-Notstand” zu verstetigen. Jedoch wurde der ”Corona-Notstand” nicht mit den Notstandsgesetzen kodifiziert, sondern es wurde ein neuer Kreis des Notstands eröffnet. Das Infektionsschutzgesetz wurde im November 2021 derart abgeändert, daß es als Notstandsgesetz fungieren konnte, d.h. über das Infektionsschutzgesetz können die individuellen und kollektiven Grundrechte ausgesetzt werden.

Dieses Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom November 2021 ist vom Parlament unbestimmt formuliert und ermächtigt die Exekutive über Verordnungsermächtigungen das Gesetz zu exekutieren. Verordnungsermächtigungen sind in der deutschen Gesetzgebung nichts besonderes. Viele Gesetze, wie auch die Straßenverkehrsordnung, werden über Verordnungsermächtigungen konkretisiert und der Lage angepaßt. Eine Verordnungsermächtigung hat den Vorteil, daß diese schneller ein bestehendes Gesetz an die neue Lage anpassen kann, als daß ein neues Gesetz erlassen oder das alte Gesetz geändert werden muß. Eine Verordnunsermächtigung ist ein normales Instrument des bürgerlichen Staates in seiner parlamentarisch-demokratischen Form. Aber auch die Notstandsgesetze, auch die einfachen Notstandsgesetze, die sogenannten Sicherstellungsgesetze, welche die Kriegswirtschaft im Mobilisierungs-Verteidigungsfall realisieren sollen, werden mit den Verordnungsermächtigungen reguliert. Bisher wurden die Notstandsgesetze noch nicht exekutiert.

Jedoch wurden bisher die individuellen und kollektiven Grundrechte außerhalb der Notstandsgesetze nicht mit einer Verordnungsermächtigung reguliert. Erst mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes kommen die individuellen und kollektiven Grundrechte in den Bann der Verordnungsermächtigungen. Die Exekutive wird vom Parlament ermächtigt, im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes im Falle einer ”epidemischen Lage von nationaler Tragweite” die individuellen und kollektiven Grundrechte einzuschränken oder zeitweise zu suspendieren, wenn es die Lage erfordert und zwar bis zum Ende der ”epidemischen Lage nationaler Tragweite”. Dies ist der ”Corona-Notstand”. Der ”Corona-Notstand” ist ein ”ziviler” Notstand und grenzt sich von einem militärischen oder Kriegsnotstand ab, der in den Notstandsgesetzen geregelt und auch im Grundgesetz verankert ist. Dem deutschen Imperialismus fehlte ein Notstand geringer Intensität, ein militärischer Notstand wäre eine Überreaktion und könnte innere Verwerfungen und äußere Verwerfungen produzieren. Mit dem Infektionsschutzgesetz vom November 2021 hat nun der deutsche Imperialismus eine ”zivile” Variante des Notstands erhalten.

Dieses Infektionsschutzgesetz ist durch aus ein Ermächtigungsgesetz. Jedoch kein Ermächtigungsgesetz im Sinne des historischen deutschen Faschismus. Im März 1933 ermächtigte das Parlament die faschistische Exekutive im Sinne des Ausnahmezustandes die ”nationale Sicherheit” zu schützen und Übertrug seine Rechte der Gesetzgebung der faschistischen Exekutive. Damit hatte die faschistische Exekutive das Recht, Gesetze ohne Zustimmung des Reichstags, des Reichsrates und ohne Gegenzeichnung des Reichspräsidenten zu erlassen. Das Parlament als Ganzes gab sich selbst auf.

Im Infektionsschutzgesetz vom November 2021 gibt sich das Parlament als Ganzes nicht auf und behält weiterhin seine Rechte und seine Aufgabe in der Gesetzgebung. Die Bundesregierung wird ”nur” im Bereich des Infektionsschutzgesetzes” ermächtigt, dies Gesetz über eine Verordnungsermächtigung zu exekutieren. Hier liegt der Unterschied zwischen den Ermächtigungsgesetzen von 1933 und dem Ermächtigungsgesetz Infektionsschutzgesetz aus dem Jahr 2021. Die Bundesregierung erhält im November 2021 keine formale Generalvollmacht vom Parlament für einen Notstand. Das Parlament arbeitet und entscheidet weiter und kann auch die ”epidemische Lage von nationaler Tragweite” verkünden und aufheben. Erst, wenn das Parlament die ”epidemische Lage von nationaler Tragweite” ausruft, kann die Bundesregierung als Exekutive über die Verordnungsermächtigung die individuellen und kollektiven Grundrechte einschränken oder suspendieren.

Zumindest formal bleibt das Parlament Herr des Verfahrens. Jedoch ist unklar, was eine ”epidemische Lage von nationaler Tragweite” ist, und wann sie ausgerufen werden kann. Die Entscheidung über die ”epidemische Lage nationaler Tragweite” ist keine medizinische oder bürokratisch-technokratische Entscheidung, sondern immer eine politische Entscheidung, d.h. wenn die einfache Mehrheit im Bundestag, der Bundesrat wird als zweite Parlamentskammer wird nicht beteiligt, die politische Entscheidung für eine ”epidemische Lage von nationaler Tragweite” fällt, auch wenn keinerlei medizinische Anzeichen dafür zu finden sind, ist diese in Kraft gesetzt. Es kommt der Bundesregierung die Aufgabe zu, bei ”drohender Gefahr” die ”epidemische Lage von nationaler Tragweite” zu verkünden und diese vom Bundestag mit einfacher Mehrheit, d.h. konkret mit der Regierungsmehrheit im Bundestag, bestätigen zu lassen. Formal bleibt es bei einem Parlamentsvorbehalt bei Ausrufung einer ”epidemischen Lage von nationaler Tragweite”, jedoch muß nur die Hälfte des Parlaments, der Bundestag, zustimmen, real-konkret jedoch hat die Exekutive das Heft fest in der Hand und so ist die ”epidemische Lage von nationaler Tragweite” die Stunde der Exekutive und der halbe Parlamentsvorbehalt ist nur ein Formelkompromiß, welcher die Massenlegitimität der ”epidemischen Lage von nationaler Tragweite” sichern soll, indem eine Normallage, der Normalzustand, vorgetäuscht wird. Im deutschen Faschismus schaltete sich das Parlament offen und unmittelbar mit dem faschistischen Staatsapparat gleich, während in der BRD im November 2021 über den Parlamentsvorbehalt noch der Schein eines aktiven und selbständigen Parlaments gewahrt wird. Der November 2021 ist nicht der Übergang in einen Faschismus, wohl aber ein großer Schritt hin zu einem bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus), verstärkt die autoritären Tendenzen im deutschen Imperialismus, die auch in einem Faschismus enden könnten, wenn es der Arbeiterklasse nicht gelingt, dies zu verhindern. Der ”Corona-Notstand” soll die Massen an einer weiteren Verschärfung des Notstands gewöhnen, er ist nur ein Moment in einer autoritären Entwicklung des deutschen Imperialismus.

Eine zentrale Differenz zwischen dem ”zivilen Notstand” vermittels des ”Infektionsschutzgesetzes” und dem „militärischen Notstand“ vermittels der Notstandsgesetze, liegt darin, daß der ”zivile Notstand” durch das Infektionsschutzgesetz leichter zu realisieren ist. Die vollständige Aktivierung der Notstandsgesetze verlangt nach einem eindeutigen NATO-Beschluß oder einer 2/3 Mehrheit im Parlament, d.h. normalerweise bedarf es dafür die Zustimmung auch der Opposition. Die Hürden für einen militärischen Notstand durch die Notstandsgesetze sind weitaus höher als bei dem ”zivilen Notstand” vermittels des Infektionsschutzgesetzes, wo nur eine einfache Mehrheit und damit in der Regel nur die Regierungsmehrheit notwendig ist. Über das Infektionsschutzgesetz ist es nun möglich, einen niedrigschwelligen Notstand zu realisieren. Zentral dafür ist die politische Entscheidung, der politische Wille, den ”zivilen Notstand” zu realisieren. Die Ausrufung der ”epidemischen Lage von nationaler Tragweite” ist eine Leerformel für den ”zivilen Notstand” und kann schon bei ”Gefahr” ausgerufen werden. Es reicht der politische Wille dafür aus, denn es wird keinerlei Beweis für ein Vorliegen der ”epidemischen Lage von nationaler Tragweite” gefordert, die bloße Behauptung reicht aus. Auch wenn objektiv keine ”epidemische Lage von nationaler Tragweite” vorliegt, kann diese mit einfacher Parlamentsmehrheit, konkret sogar mit einfacher Mehrheit im Bundestag, verkündet werden und damit tritt dann das Infektionsschutz in Kraft und die Exekutive kann dann über Verordnungsermächtigung die individuellen und kollektiven Grundrechte außer Kraft setzen bzw. einschränken, also den Notstand exekutieren. Damit hat die Exekutive die Möglichkeit aus anderen Gründen als einer ”epidemischen Lage nationaler Tragweite” einen zivilen Notstand zu verhängen und benutzt die Ausrufung einer ”epidemischen Lage nationaler Tragweite” und damit das Infektionsschutzgesetz als Vehikel für andere sachfremde Ziele. Einmal vom Parlament die ”epidemische Lage nationaler Tragweite” ausgerufen, kann das Infektionsschutzgesetz mit seinen Verordnungsermächtigungen exekutiert werden und nur das Parlament kann mit einfacher Mehrheit wieder die ”epidemische Lage nationaler Tragweite” widerrufen. Jedoch kann die Exekutive über ihre Verordnungsermächtigung während der Exekution des Infektionsschutzgesetzes verhindern, daß das Parlament überhaupt zusammentritt. Das Parlament kann zwar die ”epidemische Lage nationaler Tragweite” beschließen und damit der Exekutive Sonderrechte einräumen, die von der ”Normallage” abweichen, jedoch können die Sonderrechte der Exekutive auch dafür genutzt werden, daß das Parlament nicht mehr zusammentreten kann, um die ”epidemische Lage von nationaler Tragweite” und damit die Sonderrechte der Exekutive zu beenden. Ist der Geist des Ausnahmezustandes, des Notstandes, erst einmal aus der Flasche, wird es schwer oder unmöglich sein, ihn wieder dahin zurück zu bringen.

Das Problem mit jedem Notstand ist, daß er zwar ”demokratisch” verkündet werden kann, aber die Sonderbefugnisse, die dann der Exekutive eingeräumt werden, können nicht mehr lückenlos demokratisch, von Legislative und Judikative, kontrolliert werden. Die Exekutive hat die carte blanche und ist souverän. Aber vor allem kann die Legislative nicht mehr das Ende des Ausnahmezustandes, des Notstandes, beschließen, denn die Exekutive hat über ihre Sonderrechte die Möglichkeit, das Zusammentreten der Legislative zu verhindern. Nur die Exekutive entscheidet in letzter Instanz über das Ende des Ausnahmezustandes, des Notstandes, nicht die Legislative und damit kann es den ewigen Ausnahmezustand, Notstand, geben. Die Legislative kann auf Anraten der Exekutive den Ausnahmezustand, Notstand ausrufen, aber nur mit Erlaubnis der Exekutive wieder beenden.

Die Notstandsgesetze ersetzen den Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung. Aus diesem Grunde sind die Hürden für die Aktivierung der Notstandsgesetze auch so hoch und erfordern eine 2/3 Mehrheit oder einen NATO-Beschluß. Mit dem Infektionsschutzgesetz und der ”epidemischen Lage nationaler Tragweite” werden die Hürden des militärischen Notstandes umgangen und einen ”zivilen Notstand” bzw. ”zivilen Ausnahmezustand” geschaffen, dessen Hürden sehr weit niedriger sind. Über das Infektionsschutzgesetz mit seiner ”epidemischen Notlage nationaler Tragweite” realisiert sich tendenziell der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfasung, welcher die materielle Grundlage für die Präsidialdiktatur und der faschistischen Diktatur war und damit auch für das Ermächtigungsgesetz im März 1933, auf niedrigschwelliger materieller Basis. Somit ist das Infektionsschutzgesetz mit seiner ” epidemischen Lage nationaler Tragweite” ein Ermächtigungsgesetz für einen ”zivilen Notstand” bzw. ”zivilen Ausnahmezustand”. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Zwischen dem ”zivilen Notstand” und dem ”militärischen Notstand” gibt es keine chinesische Mauer, sondern sie können ineinander übergehen bzw. hinüberwachsen. Ist erst der ”zivile Notstand” akzeptiert, geht man zum ”militärischen Notstand” über, in dem der Notstand sich selbst verwirklicht. Im ”militärischen Notstand” wird erst Recht mit der ”Verordnungsermächtigung”, bzw. Notverordnung regiert. Das niedrigschwellige Ermächtigungsgesetz des Infektionsschutzgesetzes gewöhnt an weitere Ermächtigungsgesetze, die auf einen ”militärischen Notstand” zielen. Dem ”zivilen Notstand” des Infektionsschutzgesetzes über die ”epidemische Lage nationaler Tragweite” und dem ”militärischen Notstand” der Notstandsgesetze oder dem ”übergesetzlichen Notstand” ist eigen, daß sie das Parlament und die Judikative entmachten und im Ausnahmezustand gleichschalten, natürlich in gradueller Abstufung zur konkret-historischen Form des Ausnahmezustandes. Es ist nicht so sehr eine Gleichschaltung durch die Exekutive, sondern eine Selbstgleichschaltung vor allem des Parlaments, daß Notstandsbefugnisse, Sonderrechte an die Exekutive ermächtigt, in der Hoffnung, daß die Exekutive damit sorgsam umgeht und sie bald wieder an das Parlament zurückgibt. Eine Hoffnung, die niemals begründet ist. Wer an die Exekutive eine Carte blanche vergibt, entwaffnet sich selbst und kapituliert, der kann alle Hoffnung fahren lassen und liefert sich selbst hilflos der Exekutive aus, begeht aus Angst vor dem Tod Selbstmord. Die Legislative, das Parlament, kann zwar über die Ausrufung des Ausnahmezustandes entscheiden, nicht aber unbedingt bei der Beendigung des Ausnahmezustandes.

Die Kernthese des Ausnahmezustandes, des Notstandes, ist die ”Gefahr für die nationale Sicherheit”. Im ”Corona-Notstand” nimmt die ”Gefahr der nationalen Sicherheit” konkret die Formel ”epidemische Lage nationaler Tragweite” an. Um die Gefährdung der ”nationalen Sicherheit” auszuschließen, versucht man den Notstand, den Ausnahmezustand, schon früh, schon präventiv, zu verhängen. Notstand ist auch immer präventiver Notstand, es geht nicht mehr um die Bewältigung eines eingetretenen Ereignisses, sondern der Notstand wird schon bei ”Gefahr” verhängt, weit im Vorfeld eines möglichen Ereignisses. Der ”zivile Notstand” wird auch damit begründet, daß die ”Gefahr für die nationale Sicherheit” nur auf diesem Weg erfolgreich begegnet werden kann. Würde man nicht jetzt niedrigschwellig über ”zivilen Notstand” eingreifen, gibt es eine Katastrophe, zur deren Bekämpfung man dann den ”militärischen Notstand” ausrufen müßte. Auf diese Weise wird der ”zivile Notstand” als das kleinere Übel ausgegeben. Doch jedes kleinere Übel führt notwendig zum größten Übel. Der ”zivile Notstand” macht nur den Weg frei für den ”militärischen Notstand”. So kann auch der ”zivile Notstand” des Infektionsschutzgesetzes für sachfremde Ereignisse genutzt werden, z.B. für die Energiekrise in dem gegenwärtigen antirussischen Wirtschaftskrieg, der sich immer mehr zu einem Weltwirtschaftskrieg entwickelt. Man muß nur formal im Bundestag die ”epidemische Lage nationaler Tragweite” ausrufen und dann treten die Verordnungsermächtigungen der Exekutive in Kraft, mit dem der ”zivile Notstand” gesteuert wird. Im Sinne des Infektionsschutzgesetzes sind die Verordnungsermächtigungen eine neue Form der Notverordnungen des Weimarers Artikel 48. Das Infektionsschutzgesetz mit seinem ”zivilen Notstand” lädt geradezu zum ”Mißbrauch” ein. Und über die die Inkraftsetzung des Infektionsschutzgesetzes durch die Ausrufung einer ”epidemischen Lage nationaler Tragweite”, d.h. des ”Corona-Notstandes,” läßt sich leicht der ”Energienotstand” organisieren. Schon der ”Corona-Notstand” führte zu einem deutlichen Einbruch der Akkumulation, zur Kriegsökonomie und war damit die Probe aufs Exempel für den nun drohenden Energienotstand. Der Energieverbrauch in der Corona-Krise unter dem ”Corona-Notstand” brach drastisch ein, bzw. es gab objektiv durch den ”Corona-Notstand” ein Zwangsenergiesparen. Die wieder in Kraft Setzung des ”Corona-Notstandes” wegen der gegenwärtigen Energiekrise, würde dann der neue Energienotstand sein. Dann sind ”Corona-Notstand” und Energienotstand miteinander vermittelt. Es fehlt jedoch explizit ein geregelter ”ziviler Notstand”, denn dieser wurde nur im Hinblick auf die Corona-Pandemie beschlossen, also nur für den einen Grund. Für andere Krisen steht nur der „militärische Notstand“ der Notstandsgesetze zur Verfügung. Die Nichtregelung eines ”zivilen Notstandes” kann in Krisenfällen zur Desorganisation und unberechenbaren Entwicklungen führen. Aus diesem Grunde gibt es eine bürgerliche Kritik an dem ”Corona-Notstand” und damit an dem Infektionsschutzgesetz, denn die eigentliche Frage nach einem ”zivilen Notstand” neben und unter den Notstandsgesetzen wurde nicht beantwortet. Wie die Bourgeoisie mit den notwendigen Krisen des multipolaren Weltmarktes umgehen will, bleibt derzeit offen. Wortmeldungen aus der Bourgeoisie fordern die Neuregelung eines generellen ”zivilen Notstandes” unterhalb der Ebene des ”militärischen” Notstandes der Notstandsgesetze. Der ”übergesetzliche Notstand” ist bei Nichtregelung des Ausnahmezustandes, vor allem bei Krisen, bei denen die Bourgeoisie auf einen ”kleinen Notstand” bzw. ”zivilen Notstand” zurückgreifen möchte und nicht auf den ”großen Notstand” in Form des ”militärischen Notstandes” der Notstandsgesetze, eine improvisierte Kompromißformel, welche aber Defizite an der Eindeutigkeit aufweist und in das organisatorische Chaos führen kann, da die Ziele und Zuständigkeiten nicht abgegrenzt sind. Der ”übergesetzliche Notstand” kann nur kurze Zeit gehalten werden. Aber es fehlt an einem ”Anschluß-Notstand”.

” Die Frage wer über die Corona-Beschränkungen entscheidet, ist mit der Wesenlichkeitslehre indies eindeutig und unmissverständlich zugunsten des Parlaments beantwortet. Allenfalls vorübergehend, also für einen gewissen Erstreaktionszeitraum, lässt das Grundgesetz Ausnahmen von dieser Regel zu, um auf neue, außergewöhnliche und unvorhergesehene Gefahrenlagen auch mit im Grunde näher regelungsbedürftigen Maßnahmen vorläufig reagieren zu können.” (vgl. Barczak, Tristan: Der Pandemiestaat als nervöser Staat, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 72. Jahrgang, 32-33/2022:” Freiheit und Sicherheit”, 8. August 2022, folgend abgekürzt mit Barczak, Tristan).

Jedoch ist schon der ”übergesetzliche Notstand” ein Angriff der Exekutive auf die Verfassung, denn ein ”übergesetzlicher Notstand” ist in der Verfassung nicht verzeichnet. Nur über die Notstandsgesetze in der Verfassung, welche dort im Jahr 1968 eingeführt wurden, läßt sich ein Notstand realisieren. Es ist also ein legaler Putsch über die Notstandsgesetze legal und möglich. Und in den Notstandsgesetzen ist der Notstand eindeutig geregelt. Es fehlt somit ein niedrigschwelliger ”ziviler Notstand” unterhalt der Ebene des ”Ernstfalls”, des Krieges. Das Grundgesetz kennt wohl den Notstand, den Ausnahmezustand, vor allem im Kriegsfall, nicht aber den Ausnahmezustand in Friedenszeiten, zu denen auch Spannungszeiten gehören können. Das möchte die Bourgeoisie ändern und verschweigt deshalb auch, daß das Grundgesetz durchaus die Ausrufung des Ausnahmezustandes ermöglicht und damit seine eigene Abschaffung. In den Worten von Tristan Barczak:

” In der historischen Skepsis des Grundgesetzes gegenüber jeder Form von Ausnahmezustand oder Staatsnotstand und dem beharrlichen Festhalten am verfassungsstaatlichen Normalfall liegt indess ein blinder Fleck. Hier zeigt sich die Vulnerabilität einer Verfassungsordnung, die zumindest auf den ersten Blick keine klare Trennlinie zwischen Normallage und Ausnahmesituation einzieht und damit auch der Vermischung beider Zustände wenig entgegenzusetzen hat” (Barczak, Tristan: a.a.O.)

Hingegen ist der Ausnahmezustand im Grundgesetz klar geregelt. Das Grundgesetz erlaubt über die Notstandsgesetze den Ausnahmezustand und damit seine eigene Negation in Form einer Selbstabschaffung. Eine Vermischung von Ausnahmezustand und Normallage, der ”übergesetzliche Notstand”, findet nicht statt, d.h. er ist die Negation des Grundgesetzes und ein Produkt der Exekutive. Ein ”übergesetzlicher Notstand” ist im Grundgesetz nicht existent, nur der Notstand über die Notstandsgesetze. Das Grundgesetz kennt wohl den Notstand, den Ausnahmezustand, versucht ihn gar juristisch zu regeln und scheitert dabei, denn der Notstand, der Ausnahmenotstand, ist kein juristisches Moment, sondern immer nur ein politisches Moment der Staatsräson. Die Staatsräson kann nicht juristisch geregelt werden, denn sie ist die Negation aller Juristerei, d.h. die Staatsräson ist unbegrenzte Macht ohne juristische Einschränkung. Im Notstand, im Ausnahmezustand, ist das Recht, ist das Gesetz, ausgeschlöscht, ist die Herrschaft des Rechts beendet und dort beginnt konkret die Herrschaft der Staatsräson. Das Grundgesetz beinhaltet beides zu gleichen Teilen: das parlamentarisch-demokratische System steht unvermittelt dem Notstand, dem Ausnahmezustand in Form des „militärischen Ausnahmestaates“ gegenüber, welcher die Negation des parlamentarisch-demokratischen Systems darstellt. Der schwache Versuch, den Notstand, den Ausnahmezustand, rechtlich zu regeln, Dinge, die außerrechtlich sind und niemals verrechtlich werden können, denn dann wäre der Notstand, der Ausnahmezustand, kein Notstand, kein Ausnahmezustand, muß scheitern. Der Notstand, der Ausnahmezustand ist immer vorrechtlich. Ein Notstand, ein Ausnahmezustand, ist immer die Negation des Rechts und damit das Reich der Gesetzlosigkeit. Im Grundgesetz ist jedoch der Ausnahmezustand vermittels der Notstandsgesetze klar geregelt. Es gibt im Grundgesetz eine klare Trennung zwischen Normallage und Ausnahmezustand. Im Grundgesetz gibt es beides: die Herrschaft des Rechts in der Normallage und die Nicht-Herrschaft des Rechts in dem Ausnahmezustand, dem Notstand. Nun wird versucht zwischen den beiden antagonistischen Polen ”Normallage” und Notstand eine neue Kategorie des Ausnahmezustandes einzuführen. Es geht um die Ausnahmesituation, die von dem Ausnahmezustand geschieden sein soll, d.h. es geht um den ”kleinen Notstand” bzw. ”zivilen Notstand”. Dieser soll möglichst den ”übergesetzlichen Notstand” ersetzen. Im ”übergesetzlichen Notstand” tritt eine Vermischung von ”Ausnahmesituation” und ”Normallage” ein. Da diese Vermischung naturwüchsig vor sich geht und nicht in einem ”kleinen Notstand” geregelt ist, ist sie situativ und kommt schnell an ihre Grenzen. Aus diesem Grunde wird für einen ”kleinen Notstand” plädiert.

Das Infektionsschutzgesetz ersetzt den ”übergesetzlichen Notstand” nur unvollkommen, denn es bezieht sich nur auf die ”Gefahren einer pandemischen Lage nationaler Tragweite”, nicht aber auf andere Gefahren und will auch nicht explizit als Ausnahmezustand erscheinen, da es nur als einfaches Bundesgesetz verabschiedet wurde. Die „Corona-Pandemie legte die Defizite des Grundgesetzes offen.

” Die zu ihrer Bekämpfung verfügten tiefgreifenden Freiheitsbeschränkungen, angefangen bei Quarantäne-Anordnungen in Einzelfällen, flächendeckenden Schließungen privater Betriebe wie öffentlicher Einrichtungen bis hin zu generalisierten Versammlungs- und Ansammlungsverboten sowie Kontakt- und Ausgangssperren, vollzogen sich allesamt jenseits des grundgesetzlichen Ausnahmeverfassungsrechts- und damit abseits ihres angestammten Platzes. Stattdessen nahm man Zuflucht im Exekutivstaat und in den exekutiven Verordnungsermächtigungen des Infektionsschutzgesetzes: Diese bestätigen ”das Institut eines neuen Ausnahmezustandes, der, anders als der vom Grundgesetz sogenannte Verteidigungsfall, nicht in der Verfassung, sondern nur in einem einfachen Bundesgesetz geregelt ist.” Es ist genau diese neue Art eines vergesetzlichten, entkonstituionalisierten und antizipierten Ausnahmezustandes, durch die sich der nervöse Staat zu erkennen gibt” (Barczak, Tristan: a.a.O.)

Um den Herausforderungen der multiopolaren Weltmarktkonkurrenz zu begegnen, wird ein „kleiner Notstand“ als Ergänzung zum ”Großen Notstand” der Notstandsgesetze gefordert. Dieser soll in das Grundgesetz eingearbeitet werden.

” Im Interesse der verfassungsrechtlichen Resilienz mag man zudem über eine Ergänzung des Grundgesetzes nachdenken: Mit einer ebenso schonenden wie zeitgemäßen Fortschreibung des Ausnahmeverfassungsrechts, die das Erfordernis krisenbedingter, in das Vorfeld konkretisierter Gefahrenlagen ausgreifender Normen auf der Ebene des einfachen Rechts reflektiert, zugleich jedoch ihre Anwendbarkeit in Normalzeiten sperrt, ließe sich sowohl die unverzichtbare rechtsstaatliche Rigidität als auch die notwendige Flexibilität und damit ein angemessener Ausgleich von Freiheit und Sicherheit in Krisenzeiten bewerkstelligen. Auf diese Weise könnte sich der Pandemiestaat aus seiner Versteifung und nervösen Verkrampfung befreien und sich in Zukunft als resilienter Staat erweisen.” (Barczak, Tristan: a.a.O.)

Bisher bekennt sich der bürgerliche Staat nicht formell zum Notstand bzw. Ausnahmezustand, den er institutionalisiert hat, die realen Notstandsmaßnahmen werden als Maßnahmen der ”Normallage” gerechtfertigt. Es findet angeblich keine wesentliche Einschränkung der individuellen und kollektiven Grundrechte statt und auch die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates garantiert weiterhin die Gewaltenteilung, so heißt es. Die Bourgeoisie hat Hemmungen, offen und unmittelbar auf den Ausnahmezustand, auf den Notstand, zuzugreifen und sucht dafür eine demokratische Berechtigung, anstatt offen und unmittelbar gegen die Arbeiterklasse die Machtfrage zu stellen. Den ”militärischen Notstand” der Notstandsgesetze versucht die Bourgeoisie zu vermeiden, der ”übergesetzliche Notstand” auf die Dauer nicht praktikabel, und der Notstand über das einfache Bundesgesetz des ”Infektionsschutzgesetzes” ist ein verschämter ”ziviler Notstand”. Ein ”ziviler Notstand”, der offiziell nicht sein darf. Aus diesem Grunde die Forderung nach einem offenen ”zivilen Notstand,” zur Abschreckung, damit die Arbeiterklasse weiß, was geschehen kann, wenn man gegen die Verzichtspolitik des bürgerlichen Staates Widerstand leistet. Die ”nationale Sicherheit” des ”kleinen Notstandes” ist klar sichtbar und damit auch ”Freund” und ”Feind”. Der ”Corona-Notstand” über das Infektionsschutzgesetz hat den Nachteil, daß er formal nicht nach ”Freund” und ”Feind” unterscheidet und läßt der ”demokratischen Illusion” auch im Spannungszustand zu viel Raum. Nur der offene Notstandsstaat kann offiziell ”Freund” und ”Feind” benennen. Die Selektion von ”Freund” und ”Feind” verläuft an der Trennlinie Notstand oder Nicht-Notstand. Diese historische Funktion eines ”kleinen Notstandes” ist es, frühzeitig, möglichst präventiv, die Selektion von ”Freund” und ”Feind” vornehmen zu können und als Durchgangsstadium zum ”großen Notstand” zu fungieren.

Nur vermittels eins Notstandes läßt sich eine radikale Deflationspolitik exekutieren. Der Verzicht der Arbeiterklasse, die radikale Senkung der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Arbeiterklasse, läßt sich nur über die Repression des Notstandsstaates erzwingen. Nur über den Notstand läßt sich der ”Verzicht als erste Bürgerpflicht” gegen die Arbeiterklasse durchsetzen. Verzicht meint Konsumverzicht der Arbeiterklasse, nicht Verzicht auf Profit.

” Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat, forciert durch den deutschen Klima- und Wirtschaftsminister Habeck, die Frage nach der Notwendigkeit von Konsumverzicht voll auf die politische Agenda gehievt.” (Lepenies, Philipp: Verzicht als erste Bürgerpflicht: Gegen die Politik des Laisses-faire, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2022-S. 61-68, folgend abgekürzt mit : Lepenies, Philipp)

Die Bourgeoisie stellt auf den Verzicht des individuellen Konsums ab, nicht aber auf die Produktionsverhältnisse, welche die Entscheidungen über das Was und Wie der Produktion bestimmen. Zentral für die kapitalistische Umweltzerstörung ist nicht der individuelle Konsum, sondern die Entscheidungen in der Produktionssphäre, die den individuellen Konsumenten entzogen sind. Das Kapital fordert im Namen von Krieg und Umweltzerstörung den Verzicht, obwohl das Kapital für Krieg und Umweltzerstörung verantwortlich ist und nicht der individuelle Konsum der Arbeiterklasse. Die Produktion produziert die Nachfrage und nicht die Nachfrage bestimmt die Produktion. Der Ruf nach Verzicht der Arbeiterklasse tarnt sich als Friedens- und Umweltpolitik und soll die Deflationspolitik und den Notstand massenlegitimatorisch sichern. Auch eine notstandsgestützte Deflationspolitik benötigt eine Massenlegitimation, dazu sollen dann die Themen Umweltzerstörung und Ukraine-Krieg dienen, d.h. Verzicht um die Umweltzerstörung zu beenden und Verzicht über die antirussischen Wirtschaftssanktionen, welche vor allem die Arbeiterklasse in Deutschland treffen, sollen den Sieg der NATO-Ukraine sicherstellen. Mit diesen beiden ideologischen Unterlegungen werden der antirussische Wirtschaftskrieg und der Notstand mit all der sich ausbreitenden Armut legitimiert. So erscheint dann die massive Ausbreitung absoluter Armut dann auch als ein Sieg gegen das ”feindliche” Rußland und ein Sieg der Vernunft bezüglich der angegriffenen ökologischen Lebensgrundlagen. Die Ausbreitung absoluter Armut wird auf diese Weise ideologisch verklärt, ebenso die Notstandsmaßnahmen des ”Corona-Notstandes” und des Energienotstandes, welche die Deflationspolitik absichern. Wenn man für das ”Gute” verzichtet, soll der Verzicht nicht mehr so schwerwiegend sein. Notfalls gilt es, gegen proletarischen Widerstand mit Notstandsrepression vorzugehen. Über die Kriegsökonomie der Rationierung organisiert das Kapital den Verzicht der Arbeiterklasse. Notstand beinhaltet immer Verzicht und Verzicht beinhaltet immer Notstand. Wer ablehnt, seinen individuellen Konsum dem antirussischen Wirtschaftskrieg zu opfern, der kapitalistischen Umweltschutzpolitik zu opfern, sich der Deflationspolitik und dem Notstand verweigert, wird von dem bürgerlichen Staat zum ”Feind” erklärt, denn der individuelle Konsum der Arbeiterklasse wird ebenso vom Kapital zum ”Feind” erklärt, d.h. die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Arbeiterklasse wird zum „Feind“ erklärt und damit auch die Gewerkschaften als Verteidigungsorganisationen der Arbeiterklasse für die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Arbeiterklasse. Es ist die historische Mission der Gewerkschaften, den „individuellen“ und „kollektiven“ Konsum der Arbeiterklasse gegen das Kapital zu verteidigen. Das Problem liegt nicht in einem Zuviel am „individuellen“ Konsum der Arbeiterklasse, sondern eher, daß dieser zu gering ist, damit sich die Ware Arbeitskraft als Ware Arbeitskraft gesellschaftlich notwendig reproduzieren kann. Weiter. Das Problem liegt an dem Privateigentum an Produktionsmitteln und nicht am „individuellen“ Konsum der Arbeiterklasse. Wer die Arbeiterklasse als „Feind“ sieht und ihren „Konsum“ reduzieren will, muß auch die Gewerkschaften als „Feindorganisation“ einstufen und diese dann notfalls auch offen terroristisch zerschlagen. Die Gewerkschaften sind der „natürliche Feind“ einer Deflationspolitik und können diese verhindern. Deshalb auch der Griff der Bourgeoisie zu einem bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus), welcher notfalls durch den Ausnahmezustand die Gewerkschaften zerschlagen kann, wie alle anderen proletarischen Massenorganisationen auch. Es droht entweder offen terroristische Zerschlagung der Gewerkschaften oder bürokratische Zerschlagung der Gewerkschaften durch den Einbau der Gewerkschaften in den bürgerlichen Staat im Sinne einer Arbeitsfront. Die Gewerkschaftsbürokratie zieht den Einbau der Gewerkschaften in den bürgerlichen Staat und damit die Transformation der Gewerkschaften in eine Arbeitsfront der offenen terroristischen Zerschlagung der Gewerkschaften vor, denn ihre bürokratische Existenz wird bei dieser Lösung nicht in Frage gestellt. So kapituliert die DGB-Gewerkschaftsbürokratie immer weiter und eben diese Kapitulationen transformieren sie objektiv immer mehr in eine Arbeitsfront. Bisher verweigert sich die DGB-Bürokratie der Reallohnsicherung. Die abgeschlossenen Tarifverträge sind untertarifierte Tarifverträge und schreiben große Reallohnverluste fest. Es wurde auch nicht der kleinste Versuch unternommen, die Löhne an die ansteigende inflationäre Tendenz anzupassen. In der IG-Metall Bürokratie wird sich explizit dahingehend geäußert, daß der Lohnausgleich im Verhältnis zu inflationären Tendenz nicht Aufgabe der Gewerkschaften, sondern des bürgerlichen Staates, repräsentiert durch die gegenwärtige Bundesregierung wäre. Doch die ersten Aufgaben der Gewerkschaften ist die Verteidigung des Lohns und der Arbeitsbedingungen. Ebenso haben die Gewerkschaften ein politisches Mandat inne, um die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder und der Arbeiterklasse gegenüber den bürgerlichen Staat zu verteidigen und damit auch gegen jede Deflationspolitik und Notstandsstaat. Die Waffe Generalstreik ist eng mit dem politischen Mandat der Gewerkschaften verbunden. Der Generalstreik ist eine scharfe Waffe gegen Deflationspolitik und Notstandsstaat und wird von der Bourgeoisie gefürchtet. Jede Forderung nach einem „individuellen“ Konsumverzicht der Arbeiterklasse kann mit einem Generalstreik oder Massenstreik zerschlagen werden. Auch die Forderung nach einem „zivilen Notstand“ oder gar „militärischen Notstand“ kann erfolgreich mit einem Generalstreik bzw. Massenstreik zurückgewiesen werden. Aber die Gewerkschaftsbürokratie fürchtet den Generalstreik, den Massenstreik, denn sie fürchtet, die Kontrolle über die Massenaktivität der Arbeiterklasse zu verlieren und wird alles versuchen, eine Massenmobilisierung zu verhindern. Jeder Generalstreik, jeder Massenstreik wäre in der gegenwärtigen Situation aus Sicht der Bourgeoisie eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“, denn die Lage des deutschen Kapitals im antirussischen Wirtschaftskrieg ist prekär. Statt den russischen Imperialismus zu ruinieren, ruiniert sich das deutsche Kapital selbst. Die Bourgeoisie ist sehr nervös und reizbar, beginnt bei jeder Widrigkeit wild um sich zu schlagen, stellt somit eine Gefahr für die Arbeiterklasse dar. Es droht der Ausnahmezustand, es droht der Notstand gegen die Arbeiterklasse.

Das Kapital stellt tendenziell auf eine „Schockpolitik“ ab. Der derzeitige Weltwirtschaftskrieg als Produkt des Zusammenbruchs des neoliberalen Weltmarktes durch den letzten Krisenschub der Großen Krise im Herbst 2019, droht den Weltmarktanteil des deutschen Kapitals erheblich zu reduzieren. Um sich im multipolaren Weltmarkt zu behaupten, ist eine Neuzusammensetzung des Kapitals- Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse notwendig und Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse heißt auch Verzicht der Arbeiterklasse an seiner gesellschaftlich notwendigen Reproduktion, notfalls unter dem Schutz des Ausnahmezustandes. Schockpolitik heißt auch, daß neben den Methoden der relativen Mehrwertproduktion vermehrt Methoden der absoluten Mehrwertproduktion eingesetzt werden und zu einer Überausbeutung führen. Aus diesem Grunde die Diskussion innerhalb des Kapitals um die Zweckmäßigkeit des „zivilen Notstands“ gegenüber dem „militärischen Notstand“ und umgekehrt. Der derzeitige ungünstige Verlauf des antirussischen Wirtschaftskrieges für das deutsche Kapital gefährdet nun sogar existentiell die Akkumulation des deutschen Kapitals und eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“ ist man schon dann, wenn man für das Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges eintritt, wie auch für die Beendigung der deutschen Waffenlieferungen und natürlich auch dann, wenn man die volle Kompensation der materiellen Verluste der Arbeiterklasse einfordert. Der deutsche Imperialismus ist sehr angespannt und wittert hinter jedem politischen Alternativvorschlag sofort Verschwörung und Verrat. Die „nationale Sicherheit“ ist jetzt überall gefährdet und wer nur ein klein wenig von der Position des deutschen Imperialismus abweicht ist ein potentieller Agent oder potentieller Terrorist und muß in die Schranken verwiesen werden.

Über den Notstand wird eine Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft aufgebaut, welche die bürgerliche Gesellschaft einer inneren Militarisierung unterzieht. Notstandszeiten sind Rationierungszeiten. Der Notstand, der Ausnahmezustand, dient der Mangelverwaltung. Der Mangel ist so groß, daß die unmittelbare naturwüchsige Rationierung durch das Wertgesetz an seine Grenze gelangt. Dann setzt die Rationierung durch den bürgerlichen Staat ein, welcher das Wertgesetz mittelbar exekutiert. Im „Corona-Notstand“ rationierte der bürgerliche Staat die Kundenfrequenz im stationären Einzelhandel, rationierte die Öffnungszeiten des stationären Einzelhandels etc. In einem Energienotstand könnte der Energieverbrauch, konkret der Verbrauch von Gas und Strom, einer Rationierung unterzogen werden. Dann reguliert das Wertgesetz die kapitalistischen Produktionsverhältnisse vermittelt über die unmittelbare Staatsintervention des bürgerlichen Staates in die Ökonomie. Der Notstand sichert über die Rationierung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse die Reproduktion des Kapitals. Der Mangel in der Mehrwertproduktion, konkret die fehlenden Energierohstoffe, welche die Reproduktion des Kapitals des Kapitals bedrohen, kann über den Notstand etwas abgemildert, aber nicht beseitigt werden und führt zum „Freund-Feind“ Schema. Auf die Dauer kann der Mangel auch nicht über Notstand verwaltet werden. Notstand ist nur eine kurzfristige, vorübergehende Lösung, nicht aber die Lösung der Reproduktionsprobleme des Kapitals. Der Notstand muß auf eine mittelfristige Lösung zielen, wenn er erfolgreich sein soll und dient dann der Kräftekonzentration auf ein bestimmtes mittelfristiges Ziel hin. Ausnahmezustand, Notstand ist die Anspannung aller Kräfte und zielt immer auf einen „Feind“, denn Notstand ist immer Krieg und dient auch der Kriegsvorbereitung, dient der allgemeinen, wie auch der militärischen, Mobilisierung. Ein Notstand, ein Ausnahmezustand, ist eine militärische oder paramilitärische Reaktion auf eine Krise und keine Fortsetzung ziviler Politik mit anderen Mitteln. Notstand, Ausnahmezustand, trägt den Krieg in sich und damit notwendig das „Freund-Feind“ Schema. Über das Prinzip der „Freund-Feind“-Kennung wird der bürgerliche Staat, wird die bürgerliche Gesellschaft, organisiert und damit mutiert jeder Widerstand im Außenverhältnis zum „äußeren Feind“, während jeder Widerstand im Innenverhältnis zum „inneren Feind“ mutiert. Dabei wird dann unterstellt, daß der „innere Feind“ mit dem „äußeren Feind“ kooperiert. Immer notwendiger wird der Notstand, da der antirussische Wirtschaftskrieg eskaliert und jeder Wirtschaftskrieg trägt den Krieg in sich, kann sich schnell und jederzeit in einen Krieg transformieren, ist nur eine Vorform des Krieges. Derzeit bewegt sich der Weltmarkt auf einen Weltwirtschaftskrieg zu, der in einem Dritten Weltkrieg eskalieren kann. Somit ist der Wirtschaftskrieg kein ziviler Ersatz für einen Krieg, sondern nur eine Vorstufe zum Krieg. Scheitert der Wirtschaftskrieg, bleibt nur der Krieg selbst, denn für das Kapital ist Aufgabe keine Alternative und eine Eskalation in den Krieg ist dann vorgezeichnet, wenn es der Arbeiterklasse nicht gelingt, diese Entwicklung zu stoppen. Infolgedessen beginnt die „Freund-Feind“-Einteilung schon im Wirtschaftskrieg und der erste Feind der Bourgeoisie ist immer die Arbeiterklasse und damit konkret ihre proletarischen Massenorganisationen, allen voran die Gewerkschaften. Burgfrieden nach innen ist die materielle Basis für eine imperialistische Aggression nach außen. Konkret. Gelingt es dem deutschen Imperialismus im Besonderen und den anderen transatlantischen Metropolen im Allgemeinen unter Führung des US-Imperialismus nicht, den russischen Imperialismus und China im Weltwirtschaftskrieg zu besiegen, droht eine militärische Eskalation in Form eines Dritten Weltkrieges. Und es ist objektiv unmöglich, den russischen Imperialismus und China im Wirtschaftskrieg zu bezwingen und so steigt die internationale Kriegsgefahr deutlich an, wenn die Aktionen der Arbeiterklasse im Klassenkampf dies nicht verhindert. Auf längere und auch auf mittlere Sicht kann das deutsche Kapital sich nicht ohne strategische Rohstoffe akkumulieren, ebenso wenig auch mit hohen Preisen für Rohstoffe, bzw. Energierohstoffe. Wenn der russische Imperialismus nicht mit ihnen großflächig handelt und diese strategischen Rohstoffe auch durch hohe Preise dem deutschen Kapital entzogen worden sind, bleibt nur der imperialistische Raubkrieg möglich. Für die strategischen Rohstoffe aus Rußland gibt es für das deutsche Kapital keinen wohlfeilen Ersatz und ohne diese strategischen Rohstoffe kann sich das deutsche Kapital auf Dauer nicht reproduzieren. Der Ukraine-Krieg ist ein NATO-Krieg zur Sicherung seiner Rohstoffversorgung, vor allem mit den strategischen Rohstoffen. Verliert der NATO-Pakt diesen Krieg und/oder diesen Wirtschaftskrieg, verliert der NATO-Pakt seine sozioökonomische Stabilität und findet sich im Abseits einer neuen multipolaren Weltordnung wieder. Unter dem Notstand findet eine Mobilisierung gegen die Energiekrise statt und damit gleichzeitig eine Mobilisierung gegen die „äußeren Feinde“ Rußland und China. Ausnahmezustand, Notstand heißt Mobilisierung der bürgerlichen Gesellschaft, heißt Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft, heißt Formierung der bürgerlichen Gesellschaft in eine formierte Gesellschaft-Volksgemeinschaft und damit Mobilisierung gegen den „inneren Feind“. Es gilt die „nationale Sicherheit“ gegen die „inneren Feinde“ und „äußeren Feinde“ zu gewährleisten. Wer sich dem Verzicht verweigert und auch dem Ausnahmezustand, ist ein „Feind“ der „Nation“, konkret ein „Feind“ der Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft und wird aus der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft ausgeschlossen, indem die bürgerliche Repression in Marsch gesetzt wird. Widerstand gegen den Verzicht im Ausnahmezustand beantwortet das Kapital mit Säuberung der Betriebe von proletarischen Widerstandskernen; hierbei geht der bürgerliche Staat mit seiner Repression vermittels Berufsverbot im bürgerlichen Staatsapparat voran und weist dem individuellen Kapitalkommando den Weg.

Es zeigt sich, daß die bürgerliche Gesellschaft nicht durch die Gesetzesform reguliert werden muß, sondern daß die Verordnungsermächtigung bzw. konkret die Notverordnung, ein geschmeidiges Mittel ist, die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse zu realisieren. Verordnungsermächtigungen bzw. Notverordnungen sind auch geschmeidig bezüglich des Einsatzes der Repressionsapparate des bürgerlichen Staates (Polizei, Geheimdienste, Bundeswehr). Aus der Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft wird ausgeschlossen, wer sich dieser verweigert, denn sie ist eine bürgerliche Leistungsgesellschaft unter dem Schirm eines Ausnahmezustandes, Notstands. Doch nicht nur, wer sich aktiv der Volksgemeinschaft-formierter Gesellschaft verweigert wird aus ihr ausgeschlossen, sondern auch die Individuen und Gruppen, welche nicht den Anforderungen der bürgerlichen Leistungsgesellschaft unter dem Schirm eines Ausnahmezustandes, Notstands, genügen. Damit kann man auf das Hartz IV-System aufbauen, welches schon für die industrielle Reservearme und für die Randbelegschaften ein Notstandssystem war, denn die Kontrolle des bürgerlichen Staates in seiner demokratisch-parlamentarischen Form über das Hartz IV-System war nur noch unzureichend gesichert. Die Umfirmierung von Hartz IV bzw. Arbeitslosengeld II in „Bürgergeld“ verpasst Hartz IV nur einen neuen Namen, aber es gibt keine wesentliche Änderung zum Positiven. Im Gegenteil. Im „Bürgergeld“ werden vor allem die Lohnarbeiter aus den ehemaligen Kernbelegschaften bessergestellt, als die Lohnarbeiter, die immer zwischen industrieller Reservearmee und Randbelegschaften zirkulieren mußten. Das Hartz IV-System wird damit konkret auf die gegenwärtige Krise ausgerichtet, denn das Kapital wird in diesem Krisenschub der Großen Krise auch die Kernbelegschaften in der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse dezimieren und versucht über die Neuausrichtung des Hartz IV-Systems durch das „Bürgergeld“ dies möglichst geräuschlos, ohne großen Widerstand aus den Kernbelegschaften, zu realisieren. Der korporatistische Block aus Kapital, bürgerlichen Staat und Gewerkschaftsbürokratie versucht die sozialen und politischen Folgen des historischen Bruchs in den multipolaren Weltmarkt, vermittelt durch den Ukraine-Krieg, tendenziell abzufedern, wie auch den damit verbundenen transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieg. Die Modernisierung des Hartz IV-Systems durch die Form des „Bürgergeldes“ ist nur ein Moment in der Neuzusammensetzung des Kapitals- Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse in dem gegenwärtigen antirussischen Weltwirtschaftskrieg. Ob das „Bürgergeld“ eine zentrale Rolle bei der „sozialen Befriedung“ im antirussischen Wirtschaftskrieg spielen wird, ist offen. Es ist davon auszugehen, daß der historische Bruch des antirussischen Wirtschaftskrieges härter ist, als sich dies das deutsche Kapital vorstellt und damit das „Bürgergeld“ in seiner gegenwärtigen Form schon überholt ist. Das Hartz IV-System wird eben deshalb ausgebaut und modernisiert, damit der antirussische Wirtschaftskrieg überhaupt geführt werden kann und es ist schon immer ein tendenzielles Notstandssystem gewesen und wird ohne größere bürokratische Friktionen auf den antirussischen Wirtschaftskrieg hin ausgerichtet.

Ins Visier des Kapitals geraten nicht nur die proletarischen Widerstandskerne als „politischer Feind“, welche sich der notstandsgestützten Deflationspolitik verweigern, sondern auch die Ware Arbeitskraft, welche nicht mehr als Ausbeutungsmasse für das Kapital fungieren kann, sich aber nicht der Deflationspolitik des Kapitals widersetzt und resigniert das gesellschaftliche Kapitalkommando erträgt. Dies führt nicht dazu, daß das Kapital an ihnen seine Gnade zeigt, sondern nur noch eine härtere Gnadenlosigkeit und auf eine Euthanasie, den „Gnadentod,“ zusteuert, denn diese nicht mehr verwertbare Ware Arbeitskraft wird als Übervölkerung gesehen, die noch nicht einmal als industrielle Reservearmee dienen kann. Da die industrielle Reservearmee die Funktion hat, den Lohn so gering wie möglich zu halten, sind die sozialen Transferleistungen für das Kapital gerechtfertigt. Dies setzt immer eine Fluktuation zwischen aktiver Arbeiterarmee und industrieller Reservearmee voraus. Einzelne Glieder der industriellen Reservearmee steigen in die aktive Arbeiterarmee auf, während gleichzeitig einzelne Glieder der aktiven Arbeiterarmee in die industrielle Reservearmee herabsinken. Jedoch die Lohnarbeiter, die nicht mehr als Ausbeutungsmasse für die Kapitalverwertung fungieren können, stehen noch unterhalb der industriellen Reservearmee, da sie nutzlos für die Kapitalverwertung sind. Das Kapital verweigert ihnen deshalb den vollen Satz der Transferleistungen und läßt ihnen bisher die Gnade zukommen, sich im langen Siechtum dem Tod zu nähern. Es kann sich auch die Gnade der Bourgeoisie ändern; vermittels einer direkteren Euthanasiepolitik kann der Gnadentod beschleunigt werden, damit das lange Siechtum abgekürzt wird. Für das Kapital ist die „Übervölkerung“, die „überflüssige“ Bevölkerung, der „soziale Feind“, welcher die Akkumulationsbewegung des Kapitals negativ bestimmt, vor allem jetzt in dem gegenwärtigen Krisenschub der Großen Krise, vor allem jetzt, in dem naturwüchsigen Bruch in den multipolaren Weltmarkt, in diesen historischen Zeiten, in interessanten Zeiten, wo der Weltmarkt unter den einzelnen Kettengliedern neu verteilt wird. Der Problemdruck, welcher auf dem deutschen Imperialismus lastet, führt zu einer Neuausrichtung des Kapitals auch in Fragen der „Übervölkerung“.

Die Bourgeoisie bekämpft den „politischen Feind“ unmittelbar, während der „soziale Feind“ mittelbar der bürgerlichen Repression zum Opfer fällt. Für den „politischen Feind“ der Bourgeoisie stellt die absolute Verelendung die große Gefahr für die Arbeiterklasse dar und deshalb versuchen die proletarischen Avantgarden eine Einheitsfront zwischen der aktiven Arbeiterarmee, der industriellen Reservearmee und der sozialen Kategorie des absoluten Elends, dem Pauperismus, aufzubauen und sind deshalb eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“, denn damit bedrohen sie die Akkumulation des deutschen Kapitals. Um den „sozialen Feind“ zu vernichten, muß zuerst der „politische Feind“ vernichtet werden. Aus diesem Grunde sind die Repressionsapparate des bürgerlichen Staats zentral auf die Bekämpfung des „politischen Feindes“ hin ausgerichtet, während die sozialen Staatsapparate des bürgerlichen Staates ihre Aufgabe in der Bekämpfung des „sozialen Feindes“ erfüllen. Zwischen dem „politischen Feind“ und dem „sozialen Feind“ der Bourgeoisie gibt es auch keine chinesische Mauer, sondern in den noch vorhandenen proletarischen Widerstandskernen konzentriert sich tendenziell gleichzeitig der „politische Feind“ und der „soziale Feind“ der Akkumulation von Kapital. Die Repression des bürgerlichen Staates versucht den „politischen Feind“ auf das Niveau des „sozialen Feindes“ hinab zu bringen. Über Berufsverbote und Schwarze Listen auf Basis der engen Zusammenarbeit des individuellen Kapitalkommandos mit dem kollektiven Kapitalkommando des ideellen Gesamtkapitalisten versucht der bürgerliche Staat den „politischen Feind“ in den „sozialen Feind“ aufzulösen, was auch die Zusammenarbeit der Repressionsapparate mit den sozialen Staatsapparaten impliziert, wie auch mit dem Werkschutz etc. des individuellen Kapitalkommandos. Es findet eine „wilde“ bzw. verdeckte „Sicherheitsüberprüfung“ statt. Aus den beiden zentralen Organisationen des Kapitals BDA (Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände) und BDI (Bundesverband der deutschen Industrie) werden die Rufe nach einem Notstand immer lauter und konkreter, zielt vor allem auf die Gewerkschaften, denn es wird nach einem „kurzzeitigen“ Streikverbot gerufen, nicht aber nach einem Ende des transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieges. Es gibt im deutschen Kapital deutliche Tendenzen zu einem Notstand, verbunden mit einer Schockpolitik, nicht aber für das Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges. Der transatlantische Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus wird mit einem generellen Tabu belegt. Es dürfen Kompensationen gefordert werden, die immer nur teilweise sein können und damit wäre dann die absolute Verelendung akzeptiert, niemals aber darf das Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges eingefordert werden. Dies wird von der Bourgeoise als „Hochverrat“, „Landesverrat“ angesehen, als „Vaterlandsverrat“. Es wird gar teilweise sogar bestritten, daß ein antirussischer Wirtschaftskrieg existiert und einen dramatischen Realitätsverlust der deutschen Bourgeoisie markiert. Bis jetzt werden vom Kapital Massenproteste gegen die Auswirkung des antirussischen Wirtschaftskrieges vom bürgerlichen Staat akzeptiert, solange diese nicht das Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges fordern. Für das Kapital ist die Forderung nach einem Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges eine „Gefahr für die nationale Sicherheit.“ Im Notstand, im Ausnahmezustand, konzentriert sich die „nationale Sicherheit“ und reguliert die bürgerliche Gesellschaft in Form der Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft.

Der antirussische Wirtschaftskrieg als ein Moment des gegenwärtigen Weltwirtschaftskrieges ist eine konkrete Vorkriegsphase und damit eine Vorbereitung auf den Krieg und die Ökonomie wird tendenziell auf eine Kriegsökonomie hin ausgerichtet. Die erste Phase des „militärischen Notstands“ stellen die Sicherstellungsgesetze der Notstandsgesetze dar und dienen der Organisation der Kriegswirtschaft, wie z.B. Sicherstellung der Ernährung etc. und regeln die Rationierung. Diese Sicherstellungsgesetze wurden aus dem Kern der Notstandsgesetze ausgelagert und unterliegen nicht den hohen Mehrheitsanforderungen für die Aktivierung des Kerns der Notstandsgesetze. Seit Oktober 2001 sind diese Sicherstellungsgesetze vom NATO-Pakt im Zuge der vom US-Imperialismus organisierten großen Terroranschläge in den USA am 11. September 2001 einstimmig in Kraft gesetzt worden und können auch nur wieder einstimmig aufgehoben werden, was derzeit eine unrealistische Entwicklung wäre. Auch wenn die Bourgeoisie nicht offiziell etwas über die Sicherstellungsgesetze verlauten läßt, ist evident, daß diese in Kraft gesetzten Sicherstellungsgesetze die materielle Basis für den „Corona-Notstand“, wie für einen „Energienotstand“ abgeben. Der „militärische Notstand“ ist keine abstrakte Möglichkeit der Bourgeoisie, sondern schon tendenziell in der Realität verwirklicht.

„Militärischer Notstand“ über die Notstandsgesetze richtet sich gleichzeitig gegen den „inneren und äußeren Feind“ und wird immer realistischer, wenn die gegenwärtigen internationalen Spannungen innerhalb der imperialistischen Kette weiter zunehmen, d.h. wenn der Ukraine-Krieg weiter eskaliert. Denn dieser Ukraine-Krieg ist real ein verdeckter NATO-Ukraine Krieg gegen Rußland und China, ein Stellvertreter-Krieg, welcher dem multipolaren Weltmarkt und damit der multipolaren Weltordnung zum Durchbruch verhilft. In dem Ukraine-Krieg geht es nicht so sehr um die Ukraine selbst, sondern um die neue multipolare Weltordnung. Dies macht diesen Krieg so gefährlich, daß er zum Dritten Weltkrieg eskalieren kann. Über den NATO-Pakt eskalieren die NATO-Staaten und damit auch der deutsche Imperialismus den Ukraine-Krieg, liefern Waffen und bilden gar ukrainische Truppen an diesen Waffen aus. Währenddessen marschiert der russische Imperialismus mit seinem Expeditionskorps langsam im stark befestigten Donbass vor, bewegt sich in der Ukraine hin und her, greift an leitet taktische Rückzüge ein, während die NATO-Ukraine verzweifelt versucht, eine Gegenoffensive zu starten, jedoch nur punktuelle Gegenangriffe realisieren kann. Auf diese Weise kann die NATO-Ukraine den russischen Vormarsch zwar hemmen, aber nicht aufhalten, eskaliert jedoch immer mehr das Verhältnis zu Rußland. Es droht eine russische Winteroffensive in der Ukraine, während niemand weiß, ob Cherson ein neues Trojanisches Pferd ist. Die ukrainischen Truppen ziehen zumindest sehr unsicher und zögerlich in Cherson ein. Der russische Imperialismus antwortet den transatlantischen Metropolen mit militärischen und ökonomischen Eskalationsdrohungen. Verliert der US-Imperialismus den Ukraine-Krieg, hat er auch formal die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette verloren, verliert der russische Imperialismus den Ukraine-Krieg, droht gar der Abstieg und die Zerstückelung Rußlands. Das Eskalationspotential zu einem Dritten Weltkrieg ist durchaus vorhanden. Der US-Imperialismus, wie auch der russische Imperialismus, stehen mit dem Rücken zur Wand, wobei der russische Imperialismus Vorteile hat und schnell jederzeit sein ganzes Militärpotential einsetzten kann und notfalls wird. Langsam, aber sicher rückt der russische Imperialismus vor, zuerst im Donbass, dann nach Westen. Der NATO-Pakt droht verdeckt über Polen damit in der Westukraine zu intervenieren, was dann zu einer offenen Konfrontation mit Rußland führen könnte. Eine verdeckte polnische US-NATO Intervention in der West-Ukraine löst zwar nicht formal die Beistandsverpflichtungen aus dem NATO-Pakt aus, führt jedoch an den Rand eines solchen Beschlusses. Auch schon in diesem Fall wird der deutsche Imperialismus noch tiefer in die Ukraine-Krise gerissen und die Aktivierung des „militärischen Notstands“ wäre sehr wahrscheinlich, über nationalen Beschluß oder über NATO-Beschluß wie im Oktober 2001. Diese Möglichkeit rückt näher, wenn die russische Front in der Ukraine nach Westen vorrückt. Über die Eskalation des transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieges und des langsamen russischen Vormarsches in der Ukraine vermittelt sich der „militärische Notstand“, denn ein „ziviler Notstand“ reicht dann nicht mehr aus und das schon weit vor möglichen Kampfhandlungen. Eine ansteigende Anzahl von Revolten und Streiks im inneren, wie ein langsames Vorrücken des russischen Militärs in Richtung Westukraine, können die deutsche Bourgeoisie so verunsichern, daß sie in den „militärischen Notstand“ flüchtet. Wie sehr die deutsche Bourgeoisie verunsichert ist, zeigt sich, daran, daß die Berliner Polizei sich seit dem Sommer auf „Unruhen und Plünderungen“ bei Verteuerung, Verknappung und Ausfall der Stromversorgung vorbereitet, ebenso in Österreich. Die „Normallage“ kann jederzeit in den „Ernstfall“ kippen. Der Umschlag von der „Normallage“ in den „Ernstfall“ und damit in den Notstand des Dritten Weltkrieges wurde bis Ende der achtziger Jahre jedes Jahr innerhalb der NATO und damit auch in der BRD geübt; dies war die Funktion der FALLEX-Übungen wie der WINTEX-CIMEX-Übungen, welche dann in dem Atomkrieg in Deutschland regelmäßig eskalierten und ihren Abschluß fanden. Dort wurde die innenpolitische, wirtschaftspolitische und außenpolitische Eskalation durchgespielt, den Krieg gegen „äußeren Feind“, wie auch gegen den „inneren Feind“, der mit Partisanen, Streiks, Demonstrationen und Blockaden in Verbindung mit dem „äußeren Feind“ agierte. In diesen NATO- Übungen wurde dann die Notstandsgesetze aktiviert oder schon vorausgesetzt. Ähnliche Planungen finden jetzt ebenso statt. Die „Normallage“ kann jederzeit, über Nacht, dem „Ernstfall“ weichen. Da seit über dreißig Jahren jedoch der „Zivilschutz“ abgebaut wurde, wie der innere Zivil-militärische Apparat und dieser auch nicht schnell wiederaufgebaut werden kann, wird der „Ernstfall“ sehr chaotisch ablaufen, da der bürgerliche Staat nicht mehr die personalen Ressourcen in Quantität und Qualität aufweist, um einen geordneten „Ernstfall“ zu realisieren, wie einst in den achtziger Jahren.

Der „Ernstfall“ macht eine Schockpolitik möglich. Über den Aufbau des Feindbildes eines „äußeren Feindes“ wird das Feindbild des „inneren Feindes“ konstruiert, damit soll suggeriert werden, daß der „innere Feind“ nur auf Befehl des „äußeren Feindes“ handelt, ein „Feind“ der „Nation“ ist. Die Schockpolitik wird als „alternativlos“ ausgegeben und wer sich ihr widersetzt, ist der „innere Feind“, der im Auftrag des „äußeren Feindes“ handelt, und muß politisch und sozial und unter Umständen auch physisch liquidiert werden. Eine sozioökonomische Schockpolitik wird immer mit einer konzentrierten Repression des bürgerlichen Staates, im Regelfall in irgendeiner Form des Notstands, realisiert. Besonders einfach ist es, wenn man das Feindbild eines „äußeren Feindes“ aufbauen kann, denn dann kann das Feindbild des „inneren Feindes“ leichter konstruiert werden. Ist erst das Feindbild eines „äußeren Feindes“ akzeptiert, wird auch das Feindbild des „inneren Feindes“ eher angenommen, denn es ist immer schwerer das Feindbild eines „inneren Feindes“ zu akzeptieren und damit gar des Nachbarn, denn dieses Feindbild ist zu konkret. Erst dann, wenn das Feindbild des „inneren Feindes“ in Verbindung gebracht wird mit dem abstrakten „äußeren Feind,“ wird das konkrete Feindbild des „inneren Feindes“ eingängig. Dann ist es auch leichter, eine Schockpolitik als alternativlos darzustellen, denn diese würde angeblich vom „äußeren Feind“ aufgezwungen; sie wäre ja eine Verteidigung gegen den Angriff des „äußeren Feindes“. Es wird objektiv und unbewußt ein Kriegszustand der Schockpolitik zu Grunde gelegt. Wer sich dann der Schockpolitik verweigert, verweigert sich angeblich auch der Verteidigung gegen den Angriff des „äußeren Feindes“ und öffnet dem „äußeren Feind“ damit auch die Tore, ist somit ein „innerer Feind“ und muß über die Repression des bürgerlichen Staates einer Schockbehandlung zugeführt werden, muß schnell aus der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft entfernt werden, bevor sich in den Massen Widerstand gegen die Schockpolitik organisieren kann. Konkret wird der „innere Feind“ als Extremist, Chaot oder als Terrorist bezeichnet und auch damit den konkret-spezifischen Regularien der Repression des bürgerlichen Staates in Notstandsform unterworfen. Damit ist eine politische Auseinandersetzung verunmöglicht, denn eine Opposition wird nicht zugelassen, sondern kriminalisiert. Auch nur die kleinstmögliche oppositionelle Stellungnahme kann zur repressiven Verfolgung und dem Ausschluß aus der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft führen. Die „Nation“ befindet sich im Kriegszustand mit dem „inneren Feind“, wie auch gleichzeitig mit dem „äußeren Feind“ und dieser Kriegszustand konzentriert sich im Notstand, im Ausnahmezustand. Im „militärischen Notstand“ realisiert sich der Kriegszustand vollkommen. Das Ziel der Schockpolitik ist nicht primär der „äußere Feind“, sondern die Vernichtung des „inneren Feindes“. Der „äußere Feind“, dem man die Schuld für die Notwendigkeit der Schockpolitik zuschreibt, dient nur der Ablenkung. Mit dem „äußeren Feind“ wird die Bourgeoisie eine Regelung finden, denn Bourgeoisie ist Bourgeoisie, nicht aber mit dem „inneren Feind“. Der Kriegszustand mit dem „inneren Feind“ wird nur dann beendet, wenn die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse beendet ist, dann geht die Bourgeoisie wieder auf eine parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates zurück. Mit dem antirussischen Wirtschaftskrieg wird nur in zweiter Linie dem russischen Imperialismus der Krieg erklärt, in erster Linie ist der antirussische Wirtschaftskrieg eine Kriegserklärung an die Arbeiterklasse und der konkrete Kriegszustand richtet sich nicht zentral gegen den russischen Imperialismus, sondern an die Arbeiterklasse. Das primäre Angriffsziel des deutschen Kapitals ist das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse und nicht so sehr das russische Kapital.

Weder wird der deutsche Imperialismus vom US-Imperialismus gezwungen, einen antirussischen Wirtschaftskrieg zu führen, denn dazu ist der US-Imperialismus nicht mehr in der Lage, sondern der deutsche Imperialismus führt seinen antirussischen Wirtschaftskrieg aus eigenen imperialen Interessen und verbündet sich damit eng mit dem US-Imperialismus. Die neuerliche Machtentfaltung des russischen Imperialismus und sein Bündnis mit China ist auch ein Angriff auf die Interessen des deutschen Imperialismus und nicht nur ein Angriff auf die Interessen des US-Imperialismus. Mit dem russisch-chinesischen Bündnis wird der neoliberale Weltmarkt zerstört und dies trifft nicht nur den US-Imperialismus negativ, sondern die gesamten transatlantischen Metropolen einschließlich dem deutschen Imperialismus. Der deutsche Imperialismus fand seinen Platz an der Sonne im neoliberalen Weltmarkt, der vom US-Imperialismus garantiert wurde. Mit dem russisch-chinesischen Bündnis, welches sich im Ukraine-Krieg materialisiert, wurde auch der deutsche Platz an der Sonne beseitigt. Nun muß der deutsche Imperialismus sich neu im multipolaren Weltmarkt positionieren, muß seine bisherigen Verflechtungen mit dem russischen Imperialismus neu ordnen, wie auch mit China. Für den deutschen Imperialismus war Rußland der zentrale Bezugsmarkt für strategische Rohstoffe, wie auch für viele andere Rohstoffe und China war und ist noch der zentrale Exportmarkt für das deutsche Kapital. Beides beginnt sich jetzt zu ändern. Man kann nicht einen antirussischen Wirtschaftskrieg führen und damit auch seinen Bezugsmarkt zerstören und gleichzeitig seinen chinesischen Exportmarkt verteidigen. Die Zerstörung des russischen Bezugsmarktes führt zu steigenden Energiekosten für das deutsche Kapital und verteuert auch damit die Waren auf dem chinesischen Exportmarkt, ebenso ordnet das russisch-chinesische Bündnis objektiv den chinesischen Markt neu und mit diesem russisch-chinesischen Bündnis positioniert sich nicht nur Rußland neu auch gegen den deutschen Imperialismus, sondern ebenso auch China. Mit diesem russisch-chinesischen Bündnis verliert der deutsche Imperialismus gleichzeitig seinen zentralen Bezugsmarkt und Exportmarkt und es gibt keinen Ersatz dafür. Mit dem antirussischen Wirtschaftskrieg wird nicht nur das Verhältnis zum russischen Imperialismus zerstört, sondern gleichzeitig auch das Verhältnis zu China. Rußland und China werden gleichzeitig zum Feind des deutschen Imperialismus erklärt. Es ist unmöglich, Rußland zum Feind zu erklären und China als neutral außen vor zu lassen. Zukünftig wird auch eine aggressive Politik gegen China eingeschlagen werden, wird ein antichinesischer Wirtschaftskrieg geführt werden, denn China ist keineswegs neutral, sondern ein enger Verbündeter des russischen Imperialismus. Eine Eskalation des Weltwirtschaftskrieges ist unvermeidlich. Der deutsche Imperialismus wird durch diesen notwendigen antichinesischen Wirtschaftskrieg seinen zentralen Exportmarkt zerstören, so wie es zuvor auch seinen zentralen russischen Bezugsmarkt zerstört hat. Dies ist notwendig, weil sich der deutsche Imperialismus im neuen multipolaren Weltmarkt neuformieren muß. Eine Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse ist notwendig und vollzieht sich international. Will der deutsche Imperialismus bestehen, muß er einen antirussischen und einen antichinesischen Wirtschaftskrieg führen und sich eben durch diesen Weltwirtschaftskrieg neu justieren, nach innen und außen, wird versuchen seine Mitteleuropa-Konzept und damit seinen Sonderweg zu realisieren. Für die Machtentfaltung des deutschen Imperialismus bei der Neuverteilung der Welt im multipolaren Weltmarkt-Aufstieg oder Untergang- ist es notwendig, seinen russischen Bezugsmarkt und seinen chinesischen Exportmarkt zu opfern, wie auch die EU samt Eurozone und erst Recht die demokratisch-parlamentarische Form des deutschen Staates. Eine Schockpolitik ist notwendig. Es ist eine Operation Phönix. Der deutsche Imperialismus in seiner gegenwärtigen Form muß sich selbst zerstören, um sich in den multipolaren Weltmarkt einzuordnen und die Welt neu aufzuteilen. Die Politik des deutschen Imperialismus ist damit keinesfalls irrational, sondern eindeutig rational im kapitalistischen Sinn. So auch der Griff zum Notstand. Ohne Notstand und Ausnahmezustand läßt sich der deutsche Imperialismus nicht umstrukturieren, zumindest als Drohung in der Hinterhand ist er immer präsent und erzwingt unausgesprochen das „kleinere Übel“, welches notwendig zum größten Übel führt, läßt der Selbstunterwerfung einen großen Raum. Das bisherige objektive Klassengleichgewicht wird von der Bourgeoisie verworfen, dann geht sie zum Angriff gegen die Arbeiterklasse über. Über den Notstand, Ausnahmezustand, im Rahmen einer deflationären Schockpolitik wird der Wert der Ware Arbeitskraft entwertet, daß er nicht mehr zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft ausreicht. Es droht eine große Massenarmut und damit verbunden ein großes Massensterben, wenn der Widerstand der Arbeiterklasse nicht ausreicht, diese Politik abzuwehren. Abwehren nicht nur die unmittelbare Rationierung über das Wertgesetz, sondern auch über die direkte Rationierung durch den bürgerlichen Staat als mittelbarer Ausdruck des Wertgesetzes. Eine Notstandsrationierung rationiert die Nahrungsmittel, die Kleidung, die Energie und auch die Medizin. Wobei die Rationierung der Energie der zentrale Punkt der Rationierung ist, denn die Rationierung von Energie ist die materielle Basis für jede Produktion und ebenso für jede Distribution. Wird die Energie rationiert, wird die Produktion und Distribution rationiert, wird auch die Medizin etc. rationiert. Über die Energiefrage läßt sich die bürgerliche Gesellschaft rationieren und steuern und die Rationierung der Energiezufuhr ist eine Schockpolitik.

Vor allem trifft die Schockpolitik die höheren und mittleren Schichten des Kleinbürgertums und treibt sie in den Ruin. Es droht ein sozialer Abstieg der Mittelschichten, wie in den dreißiger Jahren und damit steigt dann auch die Gefahr der Bildung einer faschistischen Massenbewegung. Wenn die höheren und mittleren Schichten des Kleinbürgertums an dem Kapitalismus irre werden und wild um sich schlagen, ist eine faschistische Massenbewegung nicht mehr auszuschließen. Die höheren und mittleren Schichten des Kleinbürgertums suchen Stabilität und die Umstrukturierung der Verwertungsbedingungen des Kapitals im Rahmen einer Schockpolitik bietet nur höchste Instabilität. Diese gegenwärtigen inflationären Tendenzen zerstören die Geldwertstabilität, welche dem Kleinbürgertum sehr am Herzen liegt. Die Zinserhöhungen, welche nun im Rückgang der Akkumulation erfolgen, also zum falschen Zeitpunkt, sollen die inflationären Tendenzen, brechen, zerbrechen aber im Gegenteil die Immobilienblase, welche bisher den Aufschwung des mittleren und höheren Kleinbürgertums getragen hat und ruinieren dieses. Das Kleinbürgertum erkennt darin nur eine Verschwörung des Kapitals gegen sich und kann dies nicht anders verarbeiten, denn es bietet sich dem Kapital als Stütze an, wird aber jetzt von der Bourgeoisie ruiniert, anstatt der Arbeiterklasse, während die Arbeiterklasse die Schockpolitik als Umstrukturierung des Kapitals, den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise gemäß, erkennt. Die Akkumulation hat gleichzeitig drei Schocks zu verarbeiten: den Corona-Schock mit den zerstörten Lieferketten, den Schock des antirussischen Wirtschaftskrieges und den Zinsschock. Das deutsche Kapital wird durch diese Schocks gezwungen, sich umzustrukturieren und nutzt diese Schocks für eine Schockpolitik gegen die Arbeiterklasse. Der Druck des Weltmarktes wird an die Arbeiterklasse und an das Kleinbürgertum weitergereicht. In der Schockpolitik des Kapitals gegen die Arbeiterklasse und Kleinbürgertum konzentrieren sich die Schocks und sollen eine Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums konkret erzwingen. Die Schockpolitik potenziert damit die verschiedenen Schocks des Weltmarktes, indem sie die Schocks auf einen einzigen Punkt konzentriert.

Eine Schockpolitik realisierte das deutsche Kapital in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Mit dem Sturz der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung Müller im Jahr 1930 begann die Zeit der Präsidialdiktatur und der Deflationspolitik unter Reichskanzler Brüning. Die Weltwirtschaftskrise, welche 1929 begann, übte gewiss den Impulsdruck für die Restrukturierung des Kapitals aus, doch das Kapital erhöhte den Druck gegen die Arbeiterklasse noch über die Deflationspolitik. Es gab Alternativen zur deutschen Entwicklung. In keiner anderen Metropole schlug das Kapital eine radikale Deflationspolitik ein. Die deutsche Bourgeoisie war eine Ausnahme und verschärfte die Weltwirtschaftskrise noch mit einer radikalen Deflationspolitik. Die sozioökonomischen Verheerungen in Deutschland sind nicht primär das Resultat der Weltwirtschaftskrise, sondern der Deflationspolitik des deutschen Kapitals geschuldet. Andere Metropolen schlugen eine andere Politik ein und versuchten die Weltwirtschaftskrise zu bekämpfen, während der deutsche Imperialismus das Gegenteil versuchte, die Weltwirtschaftskrise durch eine Schockpolitik zu verschärfen und wurde dabei von Teilen der US-Bourgeoisie unterstützt. Die deutsche Bourgeoisie transformierte die Weltwirtschaftskrise in einen sozioökonomischen Schock, um das System von Versailles abzuwerfen. Das System von Versailles bezieht sich nicht so sehr auf die außenpolitischen Restriktionen des deutschen Imperialismus, sondern auf die Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus, welche das Ergebnis der „halben“ und letztendlich gescheiterten deutschen Revolution von 1918 waren. Nach der Oktoberrevolution in Rußland und der gescheiterten deutschen Revolution in den Jahren 1918 bis 1923 entstand international ein labiles Klassengleichgewicht zwischen Bourgeoise und Proletariat, dessen Zentrum in Deutschland konzentriert war. Einer Entscheidung kann nicht ausgewichen werden und so muß das labile Klassengleichgewicht zwischen Bourgeoisie und Proletariat sich international, wie national auflösen. Die Weltwirtschaftskrise gab den Anstoß für die Entscheidungsschlacht zwischen Bourgeoisie und Proletariat und die internationale Bourgeoisie, konzentriert in der deutschen Bourgeoisie, ging zur Offensive über und zerstörte das prekäre internationale Klassengleichgewicht zugunsten der herrschenden Klasse, national auf Deutschland bezogen und auch international. Die Schockpolitik in der Präsidialdiktatur führte zur Lockerung in der Reparationsfrage, in der Außenpolitik und damit konnte der deutsche Imperialismus wieder international etwas mehr Handlungsfreiheit gewinnen, aber vor allem im Innenverhältnis konnte das deutsche Kapital die Eroberungen der Arbeiterklasse im Gefolge der gescheiterten Novemberrevolution 1918 weitgehend zerstören, da die Arbeiterklasse wegen der tiefen Spaltung in eine sozialdemokratische und stalinistische Arbeiterbewegung nicht in der Lage war, die kapitalistische Offensive mit einer Einheitsfront zu begegnen. Erst die Spaltung in der Arbeiterklasse ermöglichte den Erfolg der kapitalistischen Offensive. Die Deflationspolitik der Präsidialkabinette ruinierte das Kleinbürgertum, welches begann wild um sich zu schlagen und sich in eine faschistische Massenbewegung zu transformieren. Eine proletarische Einheitsfront wäre nötig gewesen, um das ruinierte Kleinbürgertum auf die proletarische Seite zu ziehen. Nur über die Präsidialdiktatur mit dem Artikel 48 der Weimarer Verfassung konnte über Notverordnungen am Parlament vorbei die Deflationspolitik realisiert werden. Ab 1930 wurde so das parlamentarisch-demokratische System der Weimarer Republik außer Kraft gesetzt und eine Präsidialdiktatur errichtet. Von 1931 bis Anfang 1933 realisierten sich die Widersprüche des deutschen Imperialismus in einem niedrigschwelligen Bürgerkrieg, welchen der Faschismus gewann, da die Arbeiterbewegung gespalten blieb. Mit dem Sieg des Faschismus im Januar 1933 war der Weg frei für eine Rekonstruktion der Verwertungsbedingungen des Kapitals. Durch die Zerschlagung aller proletarischen Massenorganisationen wurde die Arbeiterklasse atomisiert. Dies war die materielle Grundlage für die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse in Deutschland und letztlich auch auf internationaler Ebene. Der deutsche Faschismus unterzog dem Versailler System eine Revision, außenpolitisch, wie innenpolitisch und rüstete militärisch auf, denn auf dem Feld der ökonomischen Konkurrenz war der deutsche Imperialismus zu schwach, um zum zweiten Mal den Griff zur Weltmacht zu versuchen. Zwar führte die Aufrüstung des deutschen Faschismus an den Rand des Staatsbankrotts, aber das war einkalkuliert. Als sich 1938/1939 der deutsche Staatsbankrott näherte, näherte sich auch der imperialistische Krieg des deutschen Imperialismus. Im zweiten imperialistischen Weltkrieg materialisierte sich die Neuzusammensetzung des Kapitals- Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse auf der internationalen Ebene. Spätestens ab 1930 bereitete sich der deutsche Imperialismus für einen Kampf um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette vor. Ab 1933 unter der faschistischen Diktatur folge die Aufrüstung, da nur durch eine ökonomische Konkurrenz die Hegemonie nicht errungen werden kann, sie kann nur durch einen imperialistischen Krieg realisiert werden. Über den imperialistischen Krieg wird die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette gekrönt. So rüstete der deutsche Imperialismus von 1933 bis zum nahenden Staatsbankrott 1938/1939 auf und ging dann in den imperialistischen Raubkrieg über. Der Krieg ist die Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln. Nach dem Ende des ersten imperialistischen Weltkrieges gelang es keiner Metropole die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette zu erringen. Der britische Hegemon verlor seine Hegemonie und der US-Imperialismus stieg auf, zog mit dem britischen Imperialismus gleich und überholte diesen leicht mit dem Beginn des zweiten imperialistischen Weltkrieges und sicherte diese Hegemonie erst im zweiten imperialistischen Weltkrieg. Erst nach dem zweiten imperialistischen Weltkrieg hatte die imperialistische Kette wieder einen Hegemon, der sie ordnete, wie auch den Weltkapitalismus überhaupt. Das Ende eines Hegemon, hier des britischen Hegemon im Jahr 1918, heißt noch lange nicht, daß ein anderer, neuer Hegemon, hier die USA, den Thron der imperialistischen Kette besteigt. Der Thron des Hegemons innerhalb der imperialistischen Kette war von 1918 bis 1945 verwaist und so waren die Jahre geprägt vom Kampf um die Hegemonie, vom Kampf um die Weltherrschaft. Das Intermedium mußte mit einem neuen Hegemon enden, jedoch nur im historischen Zeitlauf. Mit dem neuen Hegemon US-Imperialismus stabilisierte sich auch der Weltkapitalismus und das Kapital ging in die Offensive über; das prekäre internationale Klassengleichgewicht zwischen Kapital und Arbeiterklasse, welches das Intermedium von 1918 bis 1945 prägte, war im Jahr 1945 mit einem Sieg des Kapitals in der Form des Sieges des US-Kapitals beendet. Erst der zweite imperialistische Weltkrieg brachte die Entscheidung zu einem Hegemonwechsel zustande.

Auch heute ist analog der deutsche Imperialismus die Speerspitze in der Transformation der Großen Krise in eine nationale und internationale Schockpolitik, gestützt auf den Ausnahmezustand, den Notstand, um auf nationaler und internationaler Stufenleiter eine Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse zu realisieren. Der gegenwärtige Krisenschub der Großen Krise ist nur der Anlaß für die notwendige Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse als zentrales Moment zur Rekonstruktion der Verwertungsbedingungen des deutschen Kapitals im multipolaren Weltmarkt, nicht aber der materielle Grund. Den von den transatlantischen Metropolen unter der Führung des US-Imperialismus provozierten Ukraine-Krieges gegen den russischen Imperialismus versucht der deutsche Imperialismus für eine Machtergreifung in der EU auszunutzen, sich in der EU als Hegemonialmacht zu inthronisieren und mit den EU-Block unter Unterstützung des US-Imperialismus die Konfrontation mit dem russischen Imperialismus zu wagen. Eine solche Entwicklung ist nur möglich, weil der US-Imperialismus als hegemonialer Imperialismus innerhalb der imperialistischen Kette faktisch abgedankt hat und nun der totale Kampf, der totale Krieg, um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette notwendig ist. Es ist ein Kampf aller gegen alle, jeder gegen jeden, auch in wechselnde oder gar in umgekehrten Bündnissen und impliziert den Dritten Weltkrieg oder eine Kette von imperialistischen Kriegen. Der US-Imperialismus hat seine Hegemonie verloren, denn sonst hätte die Ukraine-Krise, welche die Welt an den Rand eines Dritten Weltkrieges führt, nicht existieren können. An der Ukraine-Krise läßt sich deutlich der Verlust der US-Hegemonie ablesen. Wenn der US-Außenminister Blinken erklärt, die USA wollen die Welt führen, dann hat der US-Imperialismus die Führung verloren, denn sonst müßte diese Selbstverständlichkeit nicht betont werden. Der US-Imperialismus führte in der Vergangenheit die imperialistische Kette ohne dies zu erwähnen, weil dies eine allgemein anerkannte Praxis war, er handelte, aber sprach nicht. Jetzt spricht der US-Imperialismus vom Handeln, handelt aber nicht der Lage entsprechend. Es gibt keine Massendemonstrationen für oder gegen die Politik des US-Imperialismus, was anzeigt, daß der US-Imperialismus immer mehr auf das Niveau aller anderen Metropolen herabsinkt und nicht weder von den anderen imperialistischen Bourgeoisien und erst Recht nicht mehr von den Massen als der führende Imperialismus angesehen wird. Mit der transatlantischen Selbstschwächung der westeuropäischen Metropolen im antirussischen Wirtschaftskrieg schwächt sich objektiv auch der US-Imperialismus, denn ohne imperialistische Verbündete hat er gegen den Block Rußland/China keine Chance und der innere Druck der ehemaligen Verbündeten wird nach einer Zeit so groß, daß sie zu offenen Feinden des US-Imperialismus werden. Nun spricht der US-Imperialismus von Führung, exekutiert aber nicht die Führung, sondern isoliert sich auch von seinen transatlantischen Verbündeten. Der Verlust der US-Hegemonie läßt sofort keinen neuen Hegemon entstehen. Von 1945 bis formal 2022 organisierte der US-Imperialismus den Weltmarkt, nun organisiert ihn niemand mehr. Es muß ausgekämpft werden, wer das Privileg erhält, den Weltmarkt zu garantieren und damit auch das Weltgeld zu stellen. Damit vergeht auch die Welt von Jalta und Potsdam. Die gegenwärtigen Kriege sind Weltordnungskriege, mit ihnen wird eine neue Weltordnung geschaffen, bzw. die alte Weltordnung von Jalta und Potsdam zerstört. Es sind historische Zeiten-Wendezeiten, ein neues 1989. Doch diesmal geht nicht der „Osten“ unter, sondern der transatlantische „Westen“. Ein neuer multipolarer Weltmarkt entsteht, eine neue multipolare Weltordnung wächst heran, aber kein Hegemon. Auch China ist ökonomisch, wie politisch und militärisch zu schwach, um die Aufgaben eines Hegemons zu erfüllen. Vor allem militärisch hat China Defizite und bedarf den Schutz der Atomwaffen des russischen Imperialismus. Nur so kann und konnte der US-Imperialismus davon abgehalten werden, seinen gefürchteten chinesischen Konkurrenten militärisch, notfalls durch einen Atomkrieg, auszuschalten. Hinter der Ukraine-Krise steht die Taiwan-Krise. Der US-Imperialismus zögert den Ukraine-Krieg militärisch eskalieren zu lassen, denn dies würde in letzter Konsequenz zum Atomkrieg zwischen Rußland und den USA führen. Darum der Versuch, zwischen Rußland und China zu spalten, denn dann wären die USA gegen China noch militärisch im Vorteil. Es geht um „Teile und herrsche,“ bzw. den Feind getrennt schlagen. Jedoch das enge russisch-chinesische Bündnis verhindert einen US-Angriff auf China, bzw. auch einen nuklearen Angriff auf China. Während der US-Imperialismus in der Ukriane-Frage zögert, zögert er nicht in der Taiwan-Frage und kündigt offen militärische Unterstützung von US-Militär in dem Fall, daß China und Taiwan sich in einem Krieg befinden. Diese Politik jedoch schweißt Rußland und China enger zusammen, statt sie zu spalten. Gemeinsam sind Rußland und China den USA und seiner NATO überlegen, alleine jedoch nur ebenbürtig. Die aggressive Politik des transatlantischen Imperialismus führt objektiv eher zum Gegenteil, statt zu einer Schwächung von Rußland und China, die transatlantischen Metropolen schwächen sich selbst und setzten eher auf eine Schockpolitik gegen die Arbeiterklasse, um sich gegen den russischen Imperialismus und China umzustrukturieren. In der gegenwärtigen Form hat der transatlantische Imperialismus keine Chance gegen den russischen Imperialismus und China. Um es mit Rußland und China aufzunehmen, muß erst das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse radikal abgesenkt werden. Dies ist die historische Aufgabe der Deflationspolitik, welche durch den Notstandsstaat abgesichert werden muß. Dazu müssen dann die transatlantischen Metropolen den Konflikt mit Rußland und China eskalieren, damit deren „aggressives Verhalten“ für eine nationale Deflationspolitik herhalten kann. Die Eskalation der NATO-Involvierung in den Ukraine-Krieg führt zu einer Eskalation des Ukraine-Krieges durch den russischen Imperialismus, indem Rußland eine Teilmobilmachung anordnet und damit entsprechende Notstandspläne aktiviert, welche auch die Institutionalisierung einer Kriegswirtschaft vorsehen. Die Eskalationsspirale ist ungebrochen. Je mehr der Ukraine-Krieg sich internationalisiert und damit eskaliert, desto mehr wird der Rückgriff auf den Notstand, auf den Ausnahmezustand, immer wahrscheinlicher und damit auch die Verhängung des militärischen Notstandes in Deutschland über die Inkraftsetzung der Notstandsgesetze. Auch in Deutschland kann schon im „Spannungsfall“ eine Teilmobilmachung oder gar Generalmobilmachung angeordnet werden, die Sicherstellungsgesetze bezüglich einer Kriegswirtschaft wurden schon im Oktober 2001 über einen NATO-Beschluß aktiviert, also weit vor einem Angriff auf die BRD, d.h. auch weit vor einem Angriff auf die BRD können weitgehende Notstandsbefugnisse realisiert und die demokratisch-parlamentarische Hülle des bürgerlichen Staates ganz beiseitegeschoben werden, was dann eine Deflationspolitik vermittels Rationierung möglich mache würde. Die Ausrufung des Spannungsfalls oder gar Verteidigungsfalls ist eine politische Entscheidung, sie ist nicht an tatsächlichen Ereignissen gebunden. Jedes beliebige Ereignis kann also zur Begründung für einen Spannungsfall oder Verteidigungsfall herhalten. Auch eine Pandemie, welche auch nicht tatsächlich vorhanden sein, sondern nur behauptet werden muß. Ein realer Sachgrund muß nicht vorliegen, es reicht die Behauptung zur Legitimation der Entscheidung den Ausnahmezustand auszurufen. In diesem Sinn ist die russische Teilmobilmachung eine Vorlage für eine Radikalisierung der autoritär gestützten Deflationspolitik in Deutschland.

Mit seiner Teilmobilmachung und der Bestimmung ganz „Neurussland“ in der Ukraine von der NATO-Ukraine zu befreien, unterstrichen mit den Referenden zum Beitritt in die Russische Föderation in Cherson, Volksrepublik Donezk, wie Volksrepublik Lugansk, auch explizit gegen den NATO-Pakt, wird vom russischen Imperialismus die Eskalation und die letzte Phase des Ukraine-Krieges ausgerufen. Nun steht die staatliche Existenz der Ukraine zur Debatte. Das russische Militär wird sich nun auf eine staatliche Zerschlagung der NATO-Ukraine hin umgruppieren und dabei auch ausdrücklich gegen eine mögliche Intervention des NATO-Paktes in der Ukraine. Übrig bleibt dann eine drastisch verkleinerte, nicht lebensfähige Restukraine, konkret West-Ukraine, welche ebenfalls an den russischen Imperialismus locker angebunden und nicht Mitglied von NATO oder EU ist. Es haben sich durch den Kriegsverlauf die Kriegsziele des russischen Imperialismus geändert. Ging es zuerst nur um die Befreiung des Donbass und um Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Restukraine, geht es jetzt um Neurußland und deshalb bedarf es einer Teilmobilisierung. Der transatlantische NATO-Pakt kann diese Entwicklung nicht verhindern, sondern durch den militärischen Beistand nur verlangsamen oder den Dritten Weltkrieg riskieren. Auch in Europa werden die imperialistischen Einflußsphären neu abgesteckt, wie erst weltweit. In Europa konzentriert sich die Neuaufteilung der Welt unter den imperialistischen Mächten in der Ukraine, ist Ostasien ist es Taiwan. So wie der deutsche Imperialismus aus eigenen materiellen Interesse einen übermächtigen russischen Imperialismus fürchtet, so fürchtet der deutsche Imperialismus ebenso ein übermächtiges China und ist deshalb bereit, gemeinsam mit dem US-Imperialismus gegen China vorzugehen. Ein transatlantischer antichinesischer Wirtschaftskrieg liegt in der Luft. Wie im Fall Rußland wird der deutsche Imperialismus auch im Fall China seine ökonomischen Beziehungen schlagartig kappen und akzeptiert dann die großen Schäden, die aus beiden Wirtschaftskriegen erwachsen, setzt diese dann in einer Schockpolitik gegen die Arbeiterklasse ein. Der antirussische Wirtschaftskrieg ist nur ein Vorspiel um antichinesischen Wirtschaftskrieg und die Schäden eines antichinesischen Wirtschaftskrieges könnten noch die Schäden des antirussischen Wirtschaftskrieges übersteigen und beide Summen zusammen stellen die materielle Basis für eine potenzierte Schockpolitik. Dies alles vor dem Hintergrund eines neuen drohenden Krisenschubs, ausgelöst von der Entwertung des fiktiven Kapitals. Der Schatten eines Crashs der Weltbörsen über den gegenwärtigen Weltwirtschaftskrieg könnte das letzte Moment zur Flucht in die Autarkie/imperialistischen Großräumen darstellen. Rettung vor dem Weltmarktchaos durch eine Politik der Rationierung, d.h. durch eine Politik der Kriegsökonomie, wäre dann die Flucht nach vorn. Ein neuer Schub des Militarismus und die Aktivierung der Wehrpflicht. Multipolare Weltmarktkonkurrenz ist Konkurrenz der imperialistischen Blöcke um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette-Konkurrenz der relativ autarken „Großräume“. Gegenwärtig geht es um die Formierung der imperialistischen Blöcke und nicht um eine imperialistische Blockkonkurrenz, denn diese bildet sich nur durch die Herausbildung der imperialistischen Blöcke heraus. Der US-Imperialismus versucht die Herausbildung eines imperialistischen Blocks in Westeuropa zu verhindern und setzt dabei auf die osteuropäischen Staaten, welche einen „cordon sanitäre“ zwischen dem deutschen und dem russischen Imperialismus bilden und die offenen Brückenköpfe des US-Imperialismus innerhalb der EU darstellen („das neue Europa“). Dieses EU-Bündnis als Ganzes ist tendenziell bewegungsunfähig und wird derzeit, wie der deutsche Imperialismus, vom US-Imperialismus dominiert, wie die Sprengung der Nordstream I und II-Pipelines in der Ostsee durch eine Zusammenarbeit zwischen dem US-Imperialismus, dem britischen Imperialismus und Polen aufzeigt. Von den westeuropäischen Metropolen kommt kein offener Protest und auch nicht vom deutschen Imperialismus, obwohl dies eine direkte Kriegserklärung des US-Imperialismus und seiner Verbündeten nicht nur gegen den russischen Imperialismus ist, sondern auch gleichzeitig eine Kriegserklärung an den deutschen Imperialismus. Eine potentielle deutsche-russische Verständigung wird damit behindert, denn auch wenn sich der der deutsche und der russische Imperialismus sich verständigen würden, die Gaspipelines bleiben bis zur Vollendung der Reparatur außer Betrieb und führen zu einer langwierigen Energiekrise in Deutschland. Der deutsche Imperialismus kann zwar einen Wirtschaftskrieg gemeinsam mit dem US-Imperialismus auslösen, aber nicht alleine und damit gegen den US-Imperialismus, beenden.

Der „finanzielle Schutzschirm“ des deutschen Imperialismus ist zu gering um Wirkung zu entfalten, aber beträchtlich in der mittelfristigen Umverteilung von der Arbeiterklasse zum Kapital, da in letzter Instanz die Arbeiterklasse über höhere Steuern den kreditfinanzierten „Schutzschirm“ ablösen muß. Dieser „finanzielle Schutzschirm“ von ungefähr 200 Milliarden Euro beträgt 8,3 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung und hat als Schuldner der letzten Instanz die Arbeiterklasse fixiert, d.h. die Arbeiterklasse finanziert langfristig den „finanziellen Schutzschirm“ für sich selbst. Es kann sich das deutsche Kapital nur deshalb so hoch verschulden, weil es bisher hochprofitabel war, im Gegensatz zum französischen Kapital etc. Frankreich und Spanien können nur einen „finanziellen Schutzschirm“ von 2,9 Prozent der Wirtschaftsleistung einplanen, weil sie schon jetzt zu hoch verschuldet sind. Damit brechen die internationalen Widersprüche innerhalb des EU-Bündnisses und erst Recht innerhalb der EURO-Zone deutlich wieder auf. Frankreich, Italien etc. fordern einen EU-weiten „finanziellen Schutzschirm“, der in letzter Instanz vom deutschen Imperialismus finanziert werden soll. Doch bisher lehnt der deutsche Imperialismus wie immer ab. Damit weigert sich der deutsche Imperialismus die EU bzw. die Eurozone zu garantieren und behält sich immer seinen Sonderweg vor, d.h. auch den Aufbau eines „neuen Europa“ nach dem Muster der „Mitteleuropa-Konzeption“. Umso tiefer die Krise, umso härter die Schockpolitik, desto mehr kann das deutsch-nationale, nationalliberale Kapital, nach vorne drängen und drängt die transatlantische Kapitalfraktion zurück. Dies ist leicht möglich, da bis jetzt der proletarische Widerstand ungenügend ist. In Deutschland verbleiben die Massenproteste bisher gegen die Energiekrise auf einem niedrigen Niveau, in Britannien, Frankreich und Italien sind die Proteste absolut größer, doch real noch zu gering, um die Angriffe des Kapitals zurückzuschlagen. Gelingt es nicht, die proletarischen Massenproteste schnell auszuweiten, wird das nationalliberale Kapital profitieren, welches dann die Massenproteste kanalisieren in seinem Interesse kanalisieren wird.

Die derzeitige krisenhafte Entwicklung im fiktiven Kapital mit einem drohenden Crash an den Weltbörsen, wird die EU zusätzlich unter Druck setzten. Derzeit wird versucht die Credit suisse und die Deutsche Bank zu stützten, damit sich kein Chaos auf den Finanzmärkten ausbreitet, welches dann auch die Finanzierung der diversen nationalen „Schutzschirme“ gegen die „Energiekrise“ des antirussischen Wirtschaftskrieges gefährden könnte. Der verdeckte Wirtschaftskrieg des US-Imperialismus gegen den deutschen Imperialismus, gegen die EU, gleichzeitig vermittelt mit einem transatlantischen Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus, ein Wirtschaftskrieg im Wirtschaftskrieg als ein Moment eines Weltwirtschaftskrieges jeder gegen jeden, drängt den deutschen Imperialismus auf den Pfad des alten Sonderweges und somit auch auf den Weg einer deutsch-amerikanischen Feindschaft. Ein deutsches Mitteleuropa bzw. Kerneuropa wäre nicht nur gegen den russischen Imperialismus gerichtet, sondern gleichzeitig auch gegen den US-Imperialismus und gegen den britischen Imperialismus, d.h. eine deutsche Pendelpolitik könnte wieder auf eine deutsch-russische Verständigung und damit Energielieferungen setzten und Polen und andere Staaten des US-amerikanischen „neuen Europa“ unter sich in irgendeiner Form aufteilen. Letztlich zerbricht der US-amerikanische Imperialismus sein enges Bündnis mit dem deutschen Imperialismus, weil die US-Akkumulation zusammenbricht und mit Wert unterfüttert werden muß, mit Wert aus der deutschen Akkumulation bzw. der Akkumulation der EU. Dies zeigt offen die Schwäche des US-Imperialismus auf, den Verlust der Hegemonie, welche sich deutlich in der Sprengung der Nord-Stream I und Nord-Stream II-Pipelines ausdrückt. Um zu überleben, muß der US-Imperialismus seine Verbündeten kanibalisieren. Dies geht nur eine kurze Zeit gut, bis sich diese zu Wehr setzten. Die notwendige kapitalistische Regulierung über das Wertgesetz läßt keine andere Lösung zu. Je mehr Wert aus dem EU-Raum in die USA fließt, desto weniger kann in Zukunft fließen und die Quelle des Werttransfers in den US-Imperialismus versiegt, wie auch die „Verbündeten“, welche zu Feinden werden. Dann bleibt nur noch die Konfrontation mit dem russischen Imperialismus und China im Rahmen eines Dritten Weltkrieges, um den US-Imperialismus mit Wert zu unterfüttern. Der US-Imperialismus hat die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette verloren und kämpft nun objektiv gegen alle anderen Metropolen, reißt diese mit in seinen notwendigen Untergang als hegemonialer Imperialismus. In letzter Instanz begrenzt die Arbeiterklasse durch ihre Aktionen, durch ihren Massenwiderstand, den Werttransfer aus dem EU-Raum in die USA und zwar auch gegen die transatlantische Politik einer jeden westeuropäischen Bourgeoisie. Die derzeitigen proletarischen Massenproteste in der EU gegen ihre transatlantisch orientierten Regierungen zeigen die abstrakten Grenzen einer transatlantisch orientierten westeuropäischen Bourgeoisie auf. Auch der „große Notstand“ reicht dafür nicht aus, denn dieser bedarf einer sozialen und politischen Massenbasis und kann nur national-liberal in Opposition zum US-Imperialismus gegründet werden. Letztlich ist der US-amerikanische Wirtschaftskrieg gegen den deutschen Imperialismus und gegen die restlichen EU-Metropolen kurzsichtig und wird scheitern, wird zu einem Bruch führen. Da ein Strang der Nord Stream II-Pipeline nur leicht beschädigt ist und leicht repariert werden kann, hat Rußland angeboten diesen Strang in Betrieb zu setzten und übernimmt noch die Kosten für die Reparatur. Die transatlantischen Kapitalfraktionen innerhalb der EU-Metropolen werden das russische Angebot ablehnen und die gegenwärtige Krise der EU-Metropolen verstärken, solange, bis sich das Kapital in den EU-Metropolen neu unter dem Druck der politisch verstärkten Krise der Akkumulation und den Klassenkämpfen neu rekonstruiert, eine Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse einleitet. Dann ist der Weg für Nord-Stream I und II frei. Zeitnahe Lösungen in dieser Sache sind möglich, aber nicht wahrscheinlich. Eine Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse -ist immer das Resultat einer tiefen Entwertung des Kapitals bzw. des Klassenkampfes und kann somit nicht verhindert werden. Die notwendige Entwertung in den EU-Metropolen und damit auch die Entwertung des deutschen Kapitals schlägt auf das US-Kapital zurück. Am deutlichsten macht sich dies im US-fiktiven Kapital offenbar. Krisenhafte Tendenzen auch in der Akkumulation von fiktiven Kapital innerhalb der EU breiten sich von dort weltweit aus und damit auch in die USA, wo dies die Initialzündung für eine Entwertung der Wall Street wäre und damit für die Entwertung des US-Gesamtkapitals. Auch ohne diese Entwicklung ist die Lage der US-Akkumulation besorgniserregend und wird durch die OPEC+-Entscheidung im Oktober, die Ölförderung zu kürzen, noch verschärft. Der Grund für diese Entscheidung liegt darin, daß die transatlantischen Metropolen versuchen, einen Öl- und letztlich Gaspreisdeckel gegen Rußland zu erzwingen, um auf diese Weise die Preise zu senken. Dies schlägt fehl, weil Rußland seine Waren dann nicht in die transatlantischen Metropolen verkaufen wird und für alle anderen Staaten ist diese Ölpreis- und Gaspreisbremse eine Warnung, daß sie die nächsten sein könnten, die einen transatlantischen Wirtschaftskrieg ausgesetzt sind. Aus diesem Grunde gegen vor allem Rußland und Saudi-Arabien, wie die anderen Golfstaaten, enger zusammen- gegen die transatlantischen Metropolen. Der Versuch einen Ölpreis- und Gaspreisdeckel zu erzwingen führt nicht zu niedrigen Preisen, sondern zu steigenden Preisen für Öl und Gas.

Politisch schlägt sich dies in den Zwischenwahlen in den USA nieder, wo sich die soziale und politische Spaltung der USA manifestiert. Die „Demokraten“, welche den Präsidenten stellen, fahren eine deutliche Niederlage ein. Sie können zwar den Senat gegen die „Republikaner“ verteidigen, verlieren aber die Mehrheit im Repräsentantenhaus an die „Republikaner“. Das Repräsentantenhaus ist die zentrale Parlamentskammer. Damit können die „Republikaner“ den US-Präsidenten zur Zusammenarbeit zwingen. Somit ist die USA real blockiert. Die gegenwärtige Politik des US-Imperialismus kann wie bisher nicht fortgesetzt werden, das Weiße Haus muß Kompromisse eingehen, was auch deutlich die Ukraine-Frage betreffen wird. Diese Niederlage der US-Regierung in den Zwischenwahlen ist das Ergebnis der tiefen Krise der US-Ökonomie, welche durch den antirussischen Wirtschaftskrieg erheblich verschärft wurden. Die innere Blockade der USA geht weiter und kann nur abgemildert werden, wenn sich der US-Imperialismus entschließt, den antichinesischen Wirtschaftskrieg zu eskalieren. Der deutsche Imperialismus, wie auch die anderen verbündeten transatlantischen Metropolen, stehen mehr und mehr alleine gegen den russischen Imperialismus, da der US-Imperialismus nach den Zwischenwahlen keine kohärente Politik mehr ausformulieren kann. Ein Kollaps des US-Imperialismus und damit der transatlantischen Metropolen liegt im Bereich des Möglichen. Wenn es den Trump-Republikanern gelingt, daß bankrotte US-amerikanische Kleinbürgertum zu organisieren, marschiert eine präfaschistische Bewegung abermals nach Washington. Der 6. Januar 2021 mit seinem Massenputsch läßt sich erfolgreicher wiederholen. Die US-Repressionsapparate sind gespalten und damit ist ein Ausgang eines Machtkampfes innerhalb des US-Kapitals offen.

Gleichzeitig könnte in der Ukraine eine russische Winteroffensive mit dem Ziel beginnen, die Ukraine-Frage endgültig zu lösen und die Position des US-Imperialismus und des gegenwärtigen Präsidenten Biden noch weiter schwächen. Die russischen Angriffe lassen die Energieversorgung der Ukraine zusammenbrechen und die US-NATO ist zu schwach dagegen etwas zu unternehmen. Der letzte russische Vernichtungsschlag gegen die NATO-Ukraine liegt in der Luft und damit die totale Niederlage nicht nur der NATO-Ukraine, sondern der USA-NATO und damit der gegenwärtigen US-Regierung.

Es wird immer schwieriger, die sozialen Spannungen der USA nach außen abzuleiten. Der mögliche Bürgerkrieg oder Notstandsdiktatur zur Verhinderung eines Bürgerkrieges in den USA treibt den US-Imperialismus zur größtmöglichen Aggression nach außen, treibt ihn an den Rand eines Dritten Weltkrieges, denn der US-Imperialismus hat nichts mehr zu verlieren und ist bereit jedes Risiko einzugehen. Real ist der US-Imperialismus schon jetzt bankrott und zu keiner langfristigen Politik mehr fähig. Noch nie war die Entwicklung der USA so offen wie jetzt. Somit ist diese aggressive Politik des US-Imperialismus zur Wiedererlangung der verlorenen Hegemonie bzw. zur Verteidigung dieser Hegemonie, zum Scheitern verurteilt und löst eine tiefe Krise des kapitalistischen Weltsystems aus. Aus Angst vor dem Tod begeht der US-Imperialismus Selbstmord. Statt einer langfristig angelegten Politik schlägt der US-Imperialismus wild um sich und droht seine engsten Verbündeten mit in den Tod zu stürzen. Weltmächte, Hegemonialmächte, sterben nicht ruhig auf dem Bett, sondern nur auf dem Schlachtfeld. Die Ukraine ist nun das Schlachtfeld für die Entscheidungsschlacht um die US-Hegemonie, hier verliert der US-Imperialismus seine formale Hegemonie und die Ukraine ist das erste Schlachtfeld der multipolaren Weltordnung und diese multipolare Weltordnung ist nichts anderes als ein Durchgangsstadium zu einem neuen Hegemon

der imperialistischen Kette, welcher dann den Weltmarkt garantieren wird. Im multipolaren Weltmarkt, in der multipolaren Weltordnung wird der neue Hegemon ausgekämpft, durch den Dritten Weltkrieg oder eine Kette imperialistischer Kriege. Ohne Krieg gibt es keinen neuen Hegemon. Mit Krieg geht der alte Hegemon unter, mit Krieg wird ein neuer Hegemon gekrönt. Dazwischen liegt ein Zeitalter imperialistischer Kriege, denn ein neuer Hegemon entsteht erst im historischen Zeitverlauf, wenn es der Arbeiterklasse nicht gelingt, den Kapitalismus zu stürzen. Der neue Hegemon ist unbekannt und ersetzt auch nicht sofort den alten Hegemon. Die Entwertung des Gesamtkapitals des vormaligen Hegemons öffnet die Tore zur weltweiten Entwertung des Kapitals überhaupt und begräbt den vormaligen Hegemon unter sich.

Ohne einen Hegemon werden alle kapitalistischen Staaten zu den Waffen greifen, um sich gegen den jeweiligen Weltmarktkonkurrenten zu verteidigen. Dabei ist der Notstand, der Energienotstand, der erste Schritt und auch die materielle Basis für die Aufrüstung. Ein nationaler und internationaler Spannungszustand setzt ein, dessen erster Feind die Arbeiterklasse ist. Die notwendige Entwertung des Kapitals führt zur Zunahme der Massenarbeitslosigkeit und damit wird die Arbeiterklasse deutlicher als jetzt in aktive Arbeiterarmee und industrielle Reservearmee gespalten und über die Massenarbeitslosigkeit vom Kapital diszipliniert. Dabei wird die Disziplinierung der Arbeiterklasse durch die ansteigende Massenarbeitslosigkeit über das Hartz IV-System noch potenziert. Das Hartz IV-System war schon immer ein besonderer Notstand für die industrielle Reservearmee wie auch für die Randbelegschaften und wird unter dem neuen Entwertungsschub des Kapitals, verbunden mit dem Energienotstand, wieder mehr zur Geltung kommen und weitet sich in Form des Energienotstandes indirekt auf die Kernbelegschaften aus. Diese soziale Repression der Massenarbeitslosigkeit ist die materielle Basis für die Repression des bürgerlichen Staates. Der soziale Terror der Massenarbeitslosigkeit ist die erste Waffe des Kapitalismus gegen die Arbeiterklasse und die materielle Grundlage für den politischen Terror der Bourgeoisie gegen das Proletariat. Jeder proletarische Widerstand gegen die gegenwärtige Entwertung der Ware Arbeitskraft, gegen die drastische Absenkung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, beruht auf der Einheitsfront der aktiven Arbeiterarmee und der industriellen Reservearmee und richtet sich ausdrücklich gegen das Hartz IV-System, welches die Keimzelle des Ausnahmezustandes auch in der Form des parlamentarisch-demokratischen bürgerlichen Staates war und ist. Im Hartz IV-System ist der Energienotstand schon längst verwirklicht. Notstand heißt Armut, Rationierung heißt Armut, Energienotstand heißt Energiearmut und findet sich schon seit langem im Hartz IV-System, bis hin zur Stromsperren und Gassperren.

Die Empfänger von Hartz IV waren schon immer der „soziale Feind“ und unter Umständen der „politische Feind“ aus der Sicht des deutschen Kapitals und damit der „innere Feind“. Die Bourgeoisie fühlt sich von der industriellen Reservearmee und den Randbelegschaften angegriffen und somit ist für die Bourgeoisie das Hartz IV-System nur ein Verteidigungssystem. Nicht das Kapital ist die Ausbeuterklasse, sondern die Arbeiterklasse. An der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse stellen sich die gesellschaftlichen Verhältnisse nur mystifiziert, verdinglicht, dar und sind eine konkret-spezifische Umkehrung der realen Produktionsverhältnisse. So wird dann an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse der Ausbeuter zum Ausgebeuteten und der Ausgebeutete zum Ausbeuter, der Aggressor wird zum Opfer und das Opfer zum Aggressor. Das Kapital sieht in Hartz IV, wie auch in anderen Notstandsmaßnahmen, seine Selbstverteidigung verwirklicht, gegen einen gefährlichen „Feind“, d.h. die „nationale Sicherheit“ des Kapitals wird gegen einen aggressiven und gefährlichen „inneren und äußeren“ Feind verteidigt. Der Ausnahmezustand, der Notstand, ist für das Kapital „legitime Selbstverteidigung,“ gegen den „inneren Feind“, ebenso der Krieg gegen den „äußeren Feind“. Im Krieg, wie im Ausnahmezustand, Notstand, wird der „Feind“ mit Waffengewalt bekämpft, im Krieg sofort, da der „äußere Feind“ immer unter Waffen steht, der „innere Feind“ jedoch nicht, dieser ist meist unbewaffnet und auch nicht so konzentriert organisiert wie der „äußere Feind“. Sollte die Bourgeoisie jedoch entscheiden, daß es effektiver sei, Waffengewalt gegen den „inneren Feind“ einzusetzen, wird sie es tun, auch deshalb, weil es keine Abschreckungswirkung wie bei dem „äußeren Feind“ gibt. Grundsätzlich differenziert das Kapital nicht in der Wahl der Mittel, bzw. in der Wahl der Waffen, zwischen dem „äußeren Feind“ und dem „inneren Feind“. Legitime „Selbstverteidigung“ ist für das Kapital jeder kapitalistische Krieg, jeder imperialistische Krieg, gegen den „äußeren Feind“. Jedes nationale Kapital greift nicht an, sondern wird nur angegriffen und muß sich verteidigen; das eigene konkrete Verwertungsinteresse wird nicht hinterfragt, kann nicht hinterfragt werden, denn dann wäre Kapital kein Kapital. Die NATO-Osterweiterung und erst Recht der Versuch, die Ukraine in die transatlantische Umlaufbahn zu bringen ist notwendig ein Angriff auf die „nationale Sicherheit“ des russischen Imperialismus und so „verteidigt“ der russische Imperialismus seine Interessen, während die transatlantischen Metropolen sich mit der NATO-Osterweiterung gegen einen erstarkten russischen Imperialismus „verteidigen“ und sich ebenso im Selbstverteidigungsmodus wähnen, wie der russische Imperialismus. Mit dem Begriff „Selbstverteidigung“ wird der imperialistische Krieg gerechtfertigt, damit auch der Krieg gegen den „äußeren Feind“ und somit auch Repression oder Krieg gegen den „inneren Feind“. Den „äußeren Feind“ bekämpft man auf jeden Fall mit Waffengewalt; den „inneren Feind“ unter Umständen ebenfalls. Schließlich wähnt sich der Imperialismus in „Selbstverteidigung“ der „nationalen Sicherheit“. Vor dem Hintergrund der „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ mutiert für das Kapital die Opposition zum „Feind“. Wenn der deutsche Imperialismus Waffen an die Ukraine liefert und damit zum Einsatz gegen den „äußeren Feind“, dann spricht er sich auch die Legitimation und das Recht zu, notfalls Waffengewalt gegen den „inneren Feind“ einzusetzen, wenn der Ernstfall es erfordert. Jede prinzipielle Opposition, jeder Widerstand, wird als „Angriff auf die nationale Sicherheit“ und damit als Angriff auf den „Staat“, d.h. als Straftat gewertet und der bürgerliche Staat kann dann auf sein „Notwehrrecht,“ übergesetzlichen Notstand, zurückgreifen und die Angriffe des „inneren Feindes“ niederschlagen. Wer dem bürgerlichen Staat einen Freibrief für seine aggressive Politik gegenüber dem „äußeren Feind“ ausstellt, stellt objektiv genauso einen Freibrief für die Repression gegen den „inneren Feind“ aus. Zwischen dem „inneren Feind“ und dem „äußeren Feind“ gibt es keine chinesische Mauer im Paradigma der „nationalen Sicherheit“. Die konkrete Frontstellung des deutschen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus impliziert notwendig die Frontstellung gegen den „inneren Feind“, welcher den Verzicht auf große Teile des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse zugunsten der aggressiven Politik gegen den russischen Imperialismus ablehnt. Wer „Butter statt Kanonen“ fordert, ist nach Sicht des deutschen Imperialismus schon ein Moment des „inneren Feindes“, denn es wird sich dem notwendigen Verzicht verweigert und dies ist dann schon ein Angriff auf die „nationale Sicherheit“. Verzichtsverweigerung ist für das Kapital eine Kriegserklärung, ein Angriff auf die Akkumulation von Kapital, dem notfalls mit aller Härte Abhilfe geschaffen werden muß. Ebenso der äußere Feind: Die Verweigerung der Lieferung der russischen strategischen Rohstoffe, vor allem Energierohstoffe, an das deutsche Kapital zu den diktierten Bedingungen des deutschen Kapitals, faßt das deutsche Kapital schon als Kriegserklärung auf, als ein Angriff auf die „nationale Sicherheit des deutschen Kapitals und damit behält sich objektiv das deutsche Kapital einen militärischen Angriff auf den russischen Imperialismus vor, sieht sich in der Rolle der „Selbstverteidigung“ gegen einen „äußeren Feind“. Eine Situation analog zu Beginn des zweiten imperialistischen Weltkrieges zwischen dem US-Imperialismus und dem japanischen Imperialismus. Es gelang dem US-Imperialismus durch die Abschneidung der Rohstoffzufuhr den japanischen Imperialismus in die Defensive zu drängen und dieser „selbstverteidigte“ sich mit dem Angriff auf den US-Imperialismus am 6. Dezember 1941. Schlägt der Wirtschaftskrieg fehlt, geht er in den Krieg über. Der Grad zwischen Krieg und Wirtschaftskrieg ist schmal. Wirtschaftskrieg kann eben auch gezielte militärische oder paramilitärische Maßnahmen durch das Militär oder Geheimdienste beinhalten und nicht nur Strafzölle und Sanktionen, sondern auch die US-NATO-Sprengung der Nord-Stream II Pipelines, wie auch möglicher Sabotagehandlungen an der Eisenbahnstruktur der Deutschen Bundesbahn etc. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Krieg und Bürgerkrieg, zwischen äußerer Aggression und äußerer Aggression, zwischen „zivilen Wirtschaftskrieg“ und „Krieg“, zwischen einem „zivilen“ Notstand und einen „militärischen Notstand“. Der multipolare Weltmarkt mit seiner multipolaren Weltordnung hebt die Weltmarktkonkurrenz auf ein höheres Niveau und übertrifft damit die Weltmarktkonkurrenz im neoliberalen Weltmarkt. Die „totale Konkurrenz“ des multipolaren Weltmarktes ist der „totale Krieg“ der multipolaren Weltordnung.

Wirtschaftskrieg und potentieller Krieg führen in eine friedensähnliche Kriegswirtschaft. Über den Begriff „kritische Infrastruktur“ dehnt sich das Konzept der Kriegswirtschaft immer weiter aus und so wird letztlich die ganze Ökonomie zur „kritischen Infrastruktur“, denn jede Ware geht als Vorprodukt in das jeweilige konkrete Endprodukt ein. Diese Lieferkette macht in letzter Konsequenz die gesamte Ökonomie zur „kritischen Infrastruktur“. Die Militarisierung der kapitalistischen Ökonomie wird mit dem Begriff „kritische Infrastruktur“ getarnt und führt in eine Kriegswirtschaft und eine Kriegswirtschaft basiert zentral auf dem Prinzip der Rationierung. Der Mangel wird in einer Kriegswirtschaft über die Rationierung verwaltet. Eine Mangelverwaltung auch über Rationierung ist ein Notstand und dieser Notstand realisiert sich dann auch politisch. In der „kritischen Infrastruktur“ findet eine engmaschige Überwachung der Arbeiterklasse statt, jede Bewegung der Arbeiterklasse im kapitalistischen Produktionsprozeß wird im Sinne des Notstands, im Sinne der „nationalen Sicherheit,“ interpretiert. Bisheriges „normales“ Verhalten ist heute verdächtig, die „nationale Sicherheit“ zu untergraben, ist potentielles „Feindverhalten“. Das individuelle Kapitalkommando gestaltet jetzt den kapitalistischen Produktionsprozeß nach dem Prinzip der „nationalen Sicherheit“. Die Politik der Berufsverbote wird wieder langsam aktiviert und der bürgerliche Staat gibt das Signal dafür. Für eine Politik der Berufsverbote steht die gegenwärtige Bundesregierung unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Scholz, während die Landesregierung von Brandenburg in dieser Sache vorprescht. Die drohende Säuberung im Staatsapparat ist das Signal an das Kapital, die Fabriken von vermeintlichen potentiellen Terroristen zu säubern, denn diese würden ebenfalls dort die „nationale Sicherheit“, bzw. die „kritische Infrastruktur“ bedrohen. Diese Begriffe „nationale Sicherheit“, „Staatssicherheit“ und „kritische Infrastruktur“ sind Eins bzw. Ausformungen des Begriffs „nationale Sicherheit“. Die Sicherheit der „kritischen Infrastruktur“ ist die konkrete „nationale Sicherheit“ bzw. „Staatssicherheit“ und diese Sicherheit kann nur dadurch gewährleistet werden, daß potentielle „Innentäter“ aufgespürt werden; der „innere Feind“ muß aufgespürt und aus den Betrieben gesäubert werden. „Feind“ ist derjenige, wer dem vom Kapital geforderten Verzicht zugunsten des Kapitals ablehnt und somit dem Kapital Widerstand leistet. Kapitalkommando und gesamtgesellschaftliches Kommando arbeiten in der Frage der „Staatssicherheit“ eng zusammen, denn über die Frage der „inneren und äußeren Sicherheit des Staates“ ist auch konkret die Frage der „Betriebssicherheit“ vermittelt. Mit einer Rasterfahndung wird die industrielle Reservearmee und aktive Arbeiterarmee nach widerständigen proletarischen Kernen durchkämmt. Die offizielle Sicherheitsüberprüfung wird vermehrt eingesetzt werden müssen, aber vor allem die inoffizielle alltägliche Sicherheitsüberprüfung durch die frei verfügbaren Daten im Internet, wenn die „kritische Infrastruktur“ erfolgreich geschützt werden soll. Was in Deutschland „kritische Infrastruktur“ ist und was nicht, unterliegt der Entscheidung der Exekutive. Es können beliebig viele Industriezweige oder gar alle zur „kritischen Infrastruktur“ gezählt werden und jeder Industriezweig, jedes Unternehmen, welches zur „kritischen Infrastruktur“ gezählt wird, beschränkt potentiell den politischen Bewegungsradius der Belegschaft und der Gewerkschaften. Es findet auf diesem Weg eine Militarisierung der Fabriken statt. Die Betriebe beginnen über die Einordnung in die bürokratische Kategorie der „kritischen Infrastruktur“ durch den bürgerlichen Staat in Notstandsform langsam zu einem „militärischen Sperrgebiet“ zu werden, bzw. zu einem „paramilitärischen Sperrgebiet“. Es findet in der „Kritischen Infrastruktur“ eine tendenzielle Verschmelzung von „Betriebssicherheit“ und „Staatssicherheit“ statt und wirft seine Schatten auf die Sektoren der kapitalistischen Ökonomie, welche noch nicht den Regulierungen der „Kritischen Infrastruktur“ unterliegen. Es werden vermehrt Schwarze Listen angelegt. Eine Politik der „kritischen Infrastruktur“ verstärkt auch die Integrationstendenzen der Gewerkschaftsbürokratie in den bürgerlichen Staat. Die Repression ist notwendig, weil der potentielle und aktuelle verdeckte, aber auch offene Widerstand der Arbeiterklasse, der gegenwärtigen bürgerlichen Politik zuwiderläuft.

  1. Der proletarische Widerstand

-Generalstreik zum Sturz der Regierung und zur Bildung einer Arbeiterregierung

-Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, ansetzend an der kollektiven alltäglichen Sabotage der Ausbeutung auch in den Sektoren der „Kritischen Infrastruktur“ und international organisiert.

-Arbeiterkontrolle über die Produktion als ersten Schritt zur proletarischen Doppelherrschaftsorganen, ein erster Schritt hin zur Diktatur des Proletariats

-Aufbau proletarischer Hundertschaften gegen die Repression des bürgerlichen und seiner neofaschistischen Organisationen. Waffen aus NATO-Beständen gibt es aus den ukrainischen Beständen auf dem Schwarzmarkt in Moldawien. Die Arbeiterklasse muß nur organisiert Zugreifen. Besser, die Arbeiterklasse organisiert sich die Waffen, statt der internationale Faschismus. Die Waffen für das Proletariat organisiert die Bourgeoisie im Namen der NATO. Nur der kollektive Griff des Proletariats zu den Waffen, verhindert einen Bürgerkrieg des Kapitals.

Iwan Nikolajew Hamburg im November 2022 Maulwurf/RS

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Grafikquellen       :

Oben      —     Ende August 1961. Mitglieder der Ost-Berliner Arbeitermiliz blockieren das Brandenburger Tor, während ein gepanzerter Wagen für Rückhalt sorgt. Aus dem Büchlein „A City Torn Apart: Building of the Berlin Wall“. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite Historische Sammlungen der CIA (www.cia.gov/library/publications/historical-collection-pu…).

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Kolumne – Diskurspogo

Erstellt von Redaktion am 23. November 2022

Ab auf die Straße gegen rassistische Polizeigewalt

Kolumne von Simone Dede Ayivi

Der Protest gegen tödliche Polizeigewalt ist in Deutschland kleiner geworden. Fälle, für die Aufklärung gefordert werden könnte, gebe es genug.

Am 8. August 2022 wurde der 16-jährige Mouhamed Dramé bei einem Einsatz in Dortmund von der Polizei erschossen. Jedes Detail über den Ablauf dieses Polizeieinsatzes, das nach und nach an die Öffentlichkeit kommt, ist erschütternd. Der Eindruck, der gerade entsteht: Ein junger Mensch richtet ein Messer gegen sich selbst und wird dann von der Polizei vorsätzlich erschossen.

Am Samstag fand in Dortmund eine bundesweite Demonstration gegen tödliche Polizeigewalt statt.
 Zu dieser Demo erschienen rund zweitausend Menschen. Man fragt sich, was aus den Black-Lives-Matter-Protesten im Sommer 2020 geworden ist. Warum der Mord an George Floyd in den USA bei uns so viel mehr Reaktionen ausgelöst hat als der Tod von Mouhamed in NRW. Sicherlich ist es einfacher, mit dem Finger auf ein anderes Land zu zeigen, als ihn in die eigene Wunde zu legen. Ein Video, das den Hergang für alle sichtbar macht, hat mehr Effekt als über mehrere Monate durchtröpfelnde Informationen. Dazu kommt der Eindruck, dass es generell weniger Empathie für Schwarze Afri­ka­ne­r*in­nen gibt als für afroamerikanische oder Schwarze europäische Menschen.

Es gibt auch Entwicklungen in der Bewegung, die hoffen lassen: Es geht nicht mehr um Antirassismustraining für die Polizei oder um mehr Schulungen im Umgang mit Menschen in psychischen Krisen. Es werden nicht nur Kontrollinstanzen gefordert – sondern das System Polizei wird infrage gestellt und es wird über Alternativen nachgedacht. In den USA ist das schon länger Teil der öffentlichen Diskussion.

Dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die Be­treue­r*in­nen einer Jugendhilfeeinrichtung bei der Möglichkeit von Selbstgefährdung eines suizidalen Jugendlichen in ihrer Sorge keine bessere Option sehen, als die Polizei zu rufen, gefährdet Menschenleben und lässt mich ratlos zurück:
 Ich kann mir kein Szenario vorstellen, in dem der Anblick von bewaffneter Polizei beruhigend auf eine Person im psychischen Ausnahmezustand wirken könnte.

Schwung und Glanz ist vorbei

All diese Fragen also, die aktuell gestellt werden, sind vielleicht weniger anschlussfähig und komplizierter als die empowernde Pro Blackness von 2020, die sich so gut auf Instagram zeigen ließ. Aber: Sie sind substanzieller und schließen mehr Menschen mit ein, die im öffentlichen Raum Repression durch die Polizei erfahren: Sexarbeiter*innen, Obdachlose, Menschen mit seelischen Erkrankungen und eben alle, die von Rassismus und Racial Profiling betroffen sind.

Quelle         :           TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben        —     Eine „Wall of Death“ im Publikum von 4Lyn (2004)

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Geld oder Krieg

Erstellt von Redaktion am 22. November 2022

Setzen die USA auf globale Suprematie?

Opas wundersame Orts – Beschreibungen ?

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Johannes Schillo

Was die Wissenschaft zum Ukrainekrieg noch sagen darf. Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot eckt mit Äußerungen zum Ukrainekrieg an. Denn: Die Zeitenwende hat auch eine Gesinnungswende mit sich gebracht, die den Raum des Sagbaren weiter einschränkt. Bloße Meinungsäußerungen sollen aber noch erlaubt sein!

Guérot, Professorin an der Universität Bonn, hat zusammen mit dem Geisteswissenschaftler Hauke Ritz im November 2022 das Buch „Endspiel Europa“ (https://www.westendverlag.de/buch/endspiel-europa-2/) veröffentlicht. Die beiden Autoren „fordern die Europäische Union dazu auf“, wie es jüngst in einem Statement bei Krass & Konkret (https://overton-magazin.de/buchempfehlungen/endspiel-europa/) hieß, „nicht als Stellvertreter der USA zu fungieren“. Dazu berufen sie sich – unter Rückgriff auf die kulturelle Tradition des Abendlands – auf eine „EUtopie, die humanistisch, antifaschistisch, antimilitärisch, inter-nationalistisch und antikapitalistisch ist“, und schließen mit der Forderung: „Deswegen muss Europa alles tun, um diesen Krieg sofort zu beenden.“

Friedensidealismus: eine No-Go-Area

Solche Forderungen, die auf Ausgleich, Versöhnung und Verhandlung setzen, können sich in eine europäische Tradition einreihen, die das Ideal vom „Ewigen Frieden“ (Kant) zur ideellen Leitschnur erhebt. So gesehen waren sie bislang auch nichts Ungewöhnliches oder Unseriöses. Doch das gilt heute nicht mehr. In Deutschland (und ähnlich in den anderen NATO-Staaten) macht sich vielmehr eine neue Ausrichtung des öffentlichen Diskurses bemerkbar, die der von Kanzler Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ folgt: Die Konstruktion von Modellen und Szenarien zu einer möglichen friedlichen Problemlösung geht in Ordnung, solange sie die antirussische Leitlinie respektiert. Aber wenn die Grüne Antje Vollmer im Blick auf eine Verhandlungslösung festhält „Jetzt hilft nur noch die Weisheit des westfälischen Friedens“ (Telepolis, 16.11.2022), bewegt sich das schon am Rand des Zulässigen, und wenn eine Kritik an der NATO-Linie laut wird, führt das vollends in ein akademisches No-Go.

So sprach der Bonner Kollege Guérots, der Osteuropa-Experte Martin Aust, in einem Interview (General-Anzeiger, 12./13.11.2022) kurz nach Erscheinen des Endspiel-Essays kategorisch von der „Unwissenschaftlichkeit des Buches“ und forderte Guérot auf, von ihrer Professur zurückzutreten. Das Buch sei „eine regelwidrige Streitschrift … vollkommen an wissenschaftlicher Kenntnis des östlichen Europa vorbeigeschrieben … provokant, schrill und anmaßend“. Das Autorenduo wolle die Ansicht „eines ausschließlich von Russland begonnenen Kriegs gegen den Strich bürsten“ – wie es im Vorwort heißt –, aber „ohne sich dabei mit dem Forschungsstand auseinanderzusetzen. So bleibt der Versuch haltlos.“

Der Historiker Aust sieht hier besonders die Wissenschaftlergemeinde gefordert, „weil Guérot in dem Buch als Professorin figuriert, womit in der breiten Öffentlichkeit der Anschein wissenschaftlicher Autorität und Legitimität erweckt wird. Es ist deshalb wichtig, in der Öffentlichkeit auf die Unwissenschaftlichkeit des Buchs aufmerksam zu machen.“ Deshalb landet er am Schluss des Interviews auch bei der Forderung, „angesichts der unwissenschaftlichen Arbeitsweise des Buches wäre es nur folgerichtig, von der Professur zurückzutreten“. Aust hatte zuvor schon (siehe General-Anzeiger, 24.10.2022) „mit einer Kurznachricht im Netz auf die Fachexpertise“ verwiesen, die Guérot komplett „ignorieren“ und „niederreißen“ würde. Dazu teilte der Zeitungsbericht mit, dass Aust „nähere Angaben auf GA-Nachfrage für unnötig“ gehalten habe.

Sein Statement ist nämlich eher ein Aufruf zur Maßregelung, es ordnet sich unterstützend und bekräftigend in eine Kampagne ein, die seit einiger Zeit an der Bonner Universität läuft und die auf eine Kontrolle von Meinungsäußerungen der streitbaren Professorin oder gleich auf ihre Entfernung setzt. Die Bonner Universitätsleitung hat dazu mittlerweile eine Erklärung abgegeben (siehe General-Anzeiger, 7.11.2022), die sich gegen Guérot richtet, ohne sie beim Namen zu nennen, und die festhält, dass die Universität „den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf das Schärfste verurteilt“. Aus dem Rahmen fallende Äußerungen sind hier also schon ins Visier genommen. Das Studierendenparlament der Universität sowie die Juso-Hochschulgruppen fordern zudem, wie der Kollege Aust, weiter gehende Maßnahmen. Fazit: Die Debatte über juristische Möglichkeiten, in die „Wissenschaftskommunikation“ einzugreifen, hat begonnen und die Öffentlichkeit ist alarmiert.

Man darf gespannt sein, wie sich das auf die Freiheit zur Meinungsäußerung in Bonn und bei anderen Hochschullehrern auswirken wird, die in gewisser Weise auch zur neuen deutschen Dissidenz (siehe „Nicht viel Neues bei der Pressefreiheit“, Scharf links, 11.11.2022) gezählt werden können, so etwa

  • Prof. Klaus Moegling (u.a. Mitglied bei Scientists for Future), der jetzt einen „Appell für den Frieden“ mit der Forderung nach einer „Verhandlungsinitiative zur Beendigung des eskalierenden Kriegs in der Ukraine“ verbreitet, oder

  • Prof. Johannes Varwick, der vom ukrainischen „Zentrum für Desinformationsbekämpfung“ als russischer Propagandist geführt wird (und somit offiziell als „Informationsterrorist“ gilt), weil er sich ebenfalls für eine Verhandlungslösung einsetzt.

Wissenschaftlichkeit = NATO-Narrativ

Bemerkenswert auch, wie die Unwissenschaftlichkeit der Positionen festgestellt wird, die nicht dem NATO-Narrativ folgen. Die Bonner Universität führt es vor: Das Rektorat verabschiedet eine Erklärung, die sich zur Parteinahme für den Westen und gegen Russland bekennt; damit ist der wissenschaftliche Diskurs noch nicht unbedingt festgelegt, aber ein Rahmen gesetzt, in dem weitergehende juristische Möglichkeiten geprüft werden. Es ist also schlicht und ergreifend institutioneller Druck, der gegen die Infragestellung geltender Kriegslegitimationen, wie sie in „Endspiel Europa“ vorkommt, geltend gemacht wird. Darauf hat ja wohl auch der Hochschullehrer Aust in seiner erwähnten Kurznachricht gesetzt, als ihm die Zitierung von Autoritäten, mit denen er übereinstimmt, als Begründung ausreichte.

Er hat sich dann aber doch noch in dem späteren Interview bereit gefunden, am Schluss auf die Frage „Was werfen Sie dem Buch inhaltlich vor?“ mit drei Sätzen zu antworten. Er hält zunächst als Kernthese des Buchs fest: „Die USA hätten den Ukrainekrieg von langer Hand vorbereitet, um Europa von Russland zu entfremden und so die amerikanische Vorherrschaft auf dem Kontinent aufrechtzuerhalten. Statt das Nationalstaatsdenken zu überwinden, was doch wünschenswert wäre, unterstütze die EU jetzt im Gegenteil die Souveränität der Ukraine.“ Was der Geschichtsprofessor als Widerlegung dieser „unwissenschaftlichen“ Behauptung aufbietet, macht einen sprachlos: „Aber bitte, was wäre denn die Alternative: Das Land Putin und dem russischen Imperialismus zu überlassen?“

Es folgt überhaupt kein Einwand gegen die These. Mit der Frage ans Publikum, die gleich das wissenschaftliche Feld verlässt und ins Politikfach wechselt, ist für Aust die Sache erledigt. Und selbst bei dieser Problemverschiebung geht er unsachlich vor, denn Alternativvorschläge – siehe Moegling, sieh Varwick, siehe aber auch Guérot und Ritz mit ihrem weit ausholenden kontinentalen Friedensideal – lagen und liegen ja vor. Und im Vorfeld gab es ja auch zahlreiche Vorschläge, den Konflikt zu entschärfen; selbst ein Henry Kissinger hatte davor gewarnt, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, und später sogar Gebietsabtretungen an Russland für möglich gehalten (Die Welt, 24.5.2022). Das ist das eine, wenn es um die Frage der Alternativen geht. Auf der anderen Seite müsste aber auch einem Aust klar sein, dass die ständige Eskalation – bis zum letzten Ukrainer, bis zum Atomkrieg… – keine Lösung ist.

Doch zurück zum Problem der (Un-)Wissenschaftlichkeit, das ja den Stein des Anstoßes darstellte. Hier muss man eine weitere Ausflucht Austs festhalten: Bei ihm ist abschließend vom russischen „Imperialismus“ die Rede, was ja wohl als wissenschaftliche Einlassung des Fachmanns gemeint ist und somit die Frage aufwirft, welche theoretischen Implikationen hier gegeben sind. Es soll ja nicht ums Beschimpfen gehen (so wie Varwick vom ukrainischen Botschafter Melnyk als „Arschloch“ bezeichnet wurde), sondern um wissenschaftliche Klärung, bei der Guérot und Ritz angeblich versagt haben. Dazu wird vom Fachmann auf den Imperialismus als Erscheinung der modernen Welt angespielt – mehr aber auch nicht. Dass damit, der Sache nach, auf ein Expansionsbestreben gezielt ist, das seine Grundlage – auf die eine oder andere Weise – in der kapitalistischen Produktionsweise der Staatsmacht hat, kann man sich dazudenken. Ausführungen schenkt sich der Experte Aust, das negativ besetzte Wort soll genügen.

Wenn aber die Staatenwelt durch imperialistische Konkurrenzverhältnisse bestimmt ist, müsste man sich den Mächten zuwenden, die wie die USA und ihre NATO- bzw. EU-Partner bestimmenden Einfluss auf Weltmarkt und Weltpolitik haben und die um die Reichweite imperialen Einflusses ringen. Das machen Guérot und Ritz übrigens ausgiebig, sie nehmen die „amerikanische Vorherrschaft“ ins Visier, stützen sich bei ihrer Analyse auf amerikanische Quellen und Experten (Brzezi?ski, Wolfowitz, Mearsheimer), belegen die Aufrüstungsmaßnahmen oder die Einflussmaßnahme auf Umsturzbewegungen, dokumentieren die Feindbildproduktion, die Rüstungsanstrengungen etc. Das, was Aust in Kurzform als Aussage des Buchs bringt, wird dort ausführlich thematisiert.

Aber unabhängig von solchen Nachweisen müsste man die westliche Vorherrschaft eigentlich als Trivialität bezeichnen. Dass solche imperialen Bestrebungen zu konstatieren sind, könnte man als Ergebnis der Zeitungslektüre festhalten. Dass „America first!“ weltweit gilt und alle Rivalen, unter Einschluss der EU, kleinzuhalten sind, war sogar mal explizit ausgesprochenes Programm unter der Trump-Administration – ein Programm, das übrigens mit Bidens „Build Back Better“ nicht revidiert, sondern getoppt werden sollte. In der Forderung „Make America great again“ unterscheiden sich Republikaner und Demokraten nicht, sondern nur darin, wer es besser kann. Guérot und Ritz machen es sich übrigens nicht so einfach, die Trump-Ära groß zu betonen; diese hat bei ihnen eher den Stellenwert einer Randnotiz. Ihnen geht es darum, eine strukturelle transatlantische Rivalität – die sie eher in der kulturellen Sphäre verorten – herauszustellen.

Zu Austs Beschwerde wäre also festzuhalten, dass das Konstatieren der Sache selber, nämlich der US-Dominanz, keine wissenschaftliche Leistung ist. Sie ist der theoretischen Klärung vorausgesetzt als Sachverhalt, der nach imperialismustheoretischer Aufarbeitung verlangt; seine Bestreitung dagegen gehört ins Feld der Fake News. Und einen sachlichen Einwand hat Aust ja auch nicht zu bieten. Was dann die zweite Hälfte seines Resümees betrifft – die Rückkehr der EU zum Nationalismus –, kann er noch nicht einmal das Faktum bestreiten, sondern behilft sich mit der Ausflucht, es hätte keine Alternative gegeben, stimmt der Feststellung selber also zu.

Aust legt jedoch auf Nachfrage des Interviewers noch einmal nach, indem er zwar keine weiteren Inhalte kritisiert, aber die Äußerung des Autorenduos im Vorwort aufspießt, dass es die Weltlage „ganz neu denken“ wolle. Das weist er entschieden zurück, z.B. mit der Feststellung, dass die „Ansicht, Amerika versuche gezielt Europa von Russland zu entfremden, eine hundertjährige Geschichte im rechtsextremistischen Denken“ habe. Das ist nun wirklich infam. Er gibt nicht den kleinsten Hinweis, wo das inkriminierte Buch solche Bezüge zum historischen Faschismus oder zum Neofaschismus aufweisen würde. Dass es solche staatlichen Rivalitäten und Bündniskalkulationen gibt, gehört zum Grundbestand einschlägiger Erkenntnisse, seit vor über hundert Jahren das Zeitalter des Imperialismus begann; das zur Kenntnis zu nehmen, hat mit Extremismus nichts zu tun. Und Neofaschisten, wie sie etwa in der neuen italienischen Regierung vertreten sind, stehen treu zu den USA und zur NATO.

Außerdem ist die Ansage des Essays, neu zu denken, erkennbar auf die gegenwärtige Kriegslage bezogen. In der gibt es – Aust beruft sich ja gerade auf die Fachwelt als Autorität – einen breiten Konsens, der die Parteinahme für die NATO wissenschaftlich nachvollzieht. Auf den Dissens, der vom Autorenduo hierzu angemeldet wird und der somit in der Tat etwas ganz Neues bringt, bezieht sich die Schlussbemerkung im Vorwort.

Nicht träumen – bitte aufwachen!

Michel versucht 1848 eine Revolution zu machen

Da hatte doch von den heutigen Möchtegernen selbst Scholz noch nicht gelebt.

Natürlich ist die Vorstellung einer eurasischen Vereinigung unter Einschluss Russlands nichts Neues, auch keine Erfindung extremistischer Kreise, die sich dem Einfluss der USA auf Europa widersetzen woll(t)en. Der Osteuropa-Experte Stefan Creuzberger hat etwa kurz vor der russischen Invasion in die Ukraine die große Studie „Das deutsch-russische Jahrhundert“ vorgelegt (auf die sich Guérot/Ritz unter anderem beziehen) und auf solche alternative eurasische Möglichkeiten aufmerksam gemacht. So etwa im Fall des jetzt 100 Jahre alten Vertrags von Rapallo, mit dem die demokratischen Politiker der Weimarer Republik nach eigenen „Gestaltungsräumen“ gegen die Sieger des Ersten Weltkriegs suchten. Creuzbergers Studie geht in ähnlicher Weise wie das „Endspiel“ kontrafaktisch vor, indem sie – in historischer Perspektive – Potenziale im binationalen Verhältnis auslotet, mit denen Deutschland eigentlich seine eigene „koordinierende Rolle“ auf dem Kontinent hätte unter Beweis stellen können (und sollen).

Bei Guérot/Ritz heißt es resümierend in der Einleitung, die den – bereits im Titel des Buchs angesprochenen – politischen Traum vorstellig macht: „Der kontinentale, föderale Traum stellt eine lange, durchaus realistische Konstante deutscher oder auch französischer Nachkriegspolitik dar“. Damit liegt der Widerspruch, von dem das Buch lebt und den es nicht auflöst, auf dem Tisch: Realistisch betrachtet – das liefert die starken analytischen Passagen – ist das Gegenteil von dem der Fall, worauf es den Autoren ankommt. Das Buch ist also im Irrealis geschrieben. Dabei wird immer wieder deutlich, etwa beim Versagen des „deutsch-französischen Tandems“, bei der problembeladenen Einführung des Euro oder beim Streit über die europäische Verfassung, dass dem Aufbruchsprozess der EU von Anfang an die Widersprüchlichkeit einbeschrieben war, der Traum also gar nicht das wirkliche Programm darstellte. Die Autoren erwähnen ja konsequent und ehrlich solche retardierenden, „hausgemachten“ Momente; insofern kann man ihnen nicht den Vorwurf der Einseitigkeit, der Auslassung wichtiger Informationen oder der Weltfremdheit machen.

Die Hauptprovokation des Buchs – die These, dass Putin den Krieg nicht aus heiterem Himmel begonnen hat, sondern durch einen von langer Hand geplanten NATO-Aufmarsch provoziert wurde, dass es also eine Vorgeschichte der Militarisierung gab – ist gut belegt und wird auch differenziert, ohne Schwarzweißmalerei, die einer Seite allein die Schuld gibt, vorgetragen. Die offenkundige Schwäche des Buchs dagegen, dass es seinen Ausgangspunkt explizit bei einem „Traum“ von Europa nimmt, also gar nicht von der Sachlage, sondern von einer Wunschvorstellung herkommt (für die sich allerdings illustre Namen wie Monnet, Delors, Kohl, Gorbatschow anführen lassen), muss man festhalten: Der Essay ist noch nicht einmal in der Lage, sich von der eigenen Täuschung – nachdem der Traum (wie es im 3. Teil heißt) „geplatzt“ ist – Rechenschaft abzulegen und die Rolle, die der Idealismus in der Welt des Staatsmaterialismus spielt, zu analysieren.

Diese Schwäche kann aber kein Grund für den Wissenschaftsbetrieb sein, eine solche Wortmeldung als unseriös auszugrenzen und die Autoren zu exkommunizieren. Das Buch des Hochschullehrers Creuzberger geht, wie gesagt, ähnlich vor (siehe: Wir waren vom Ukraine-Krieg „völlig überrascht“, Scharf links, 5.6.2022). Auf seine Art bringt es auch eine kontinentale Vision zum Ausdruck, die bewusst als Dementi des Urteils gemeint ist, das 20. sei ein amerikanisch geprägtes Jahrhundert gewesen. Ein solcher Idealismus, der „eigentliche“ Wirkkräfte oder verschüttete, noch nicht realisierte Potenziale zur Sprache bringt und damit eine wissenschaftliche Arbeit strukturiert, erregt im akademischen Betrieb oder in der interessierten Öffentlichkeit sonst keinen Anstoß. Der heftige Widerspruch, auf den Guérot und Ritz stoßen, resultiert also nicht aus dem essayistisch vorgetragenen Spannungsverhältnis von hoch gesteckten Zielvorstellungen und der dahinter zurückbleibenden Wirklichkeit des politischen Geschehens. Hier macht sich vielmehr die neue Ausrichtung des öffentlichen Diskurses seit der von Kanzler Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ bemerkbar: Die Konstruktion von Modellen und Szenarien zu einer möglichen Problemlösung geht in Ordnung, aber bei Kritik an der NATO-Linie hört die Freiheit der Wissenschaft auf.

Zuerst bei Krass & Konkret erschienen.

Urheberrecht
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Oben      —      Vizepräsident Joe Biden weist seine Enkelin Finnegan Biden am Beobachtungspunkt Ouellette am 7. Dezember 2013 auf ein Gebiet Nordkoreas hin. Der dreitägige Besuch des Vizepräsidenten in Korea unterstreicht das Engagement der US-Regierung für die Wiederherstellung des Gleichgewichts in der Region und das Bündnis mit der Republik Korea. (U.S. Navy Foto von Mass Communication Specialist 2nd Class Chris Church) (Freigegeben)

 

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KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von Redaktion am 20. November 2022

Bombenanschlag in Istanbul: Wenn Schwurbler Popcorn essen

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Kolumne von Fatma Aydemir

Die blitzschnelle Aufklärung des Istanbul-Anschlags lässt Fragen offen. Wenn die Realität zum Blockbuster verkommt, braucht es kein Geschwurbel mehr.

Der beste Nährboden für Verschwörungstheorien ist Unsicherheit, sagt man. Es sind die Krisen und Kriege und Terroranschläge, die dafür sorgen, dass sich immer mehr Leute für das obskure Geheimwissen interessieren, das uns die Regierungen angeblich vorenthalten.

Wissenschaft, Presse, Politik, sie alle seien gleichgeschaltet, hörte man in letzter Zeit lautstark aus der Schwurblerecke, die in einer Impfempfehlung inmitten der tödlichsten Pandemie seit 100 Jahren einen perfiden Plan von Bill Gates erkannten: Er wolle uns Chips einpflanzen, um uns zu kontrollieren. Sci-Fi am Limit.

Nicht selten fragte ich mich, wenn ich „Corona-Diktatur“ auf einem Transpi oder einer Statusmeldung las: Was würde mit diesen ganzen Schwurblern eigentlich passieren, wenn Wissenschaft, Presse und Politik hierzulande tatsächlich gleichgeschaltet würden? Würde ihr Wissensdrang sie dazu verleiten, den Vertuschungen eines autokratischen Regimes auf den Grund zu gehen? Wären sie der Keim eines ernstzunehmenden Widerstands?

Stereotyp des Querdenkers

Ich habe da meine Zweifel. Die Annahme, der durchschnittliche Verschwörungstheoretiker sei männlich, habe ein niedriges Einkommen und keinen hohen Bildungsabschluss, ist als Muster unbrauchbar – Verschwörungstheorien finden schließlich in allen Schichten Anschluss. Was aber die „Querdenker“ vor allem verbindet, sind gemeinsame Nenner mit einem antifeministischen („Lebensschutz“) und antisemitischen („Geheimorganisation“) Weltbild sowie der Hang dazu, die Realität als tra­shi­gen Blockbuster-Plot zu konsumieren.

Überträgt man dieses Stereotyp in die Türkei, kommt man beim klassischen AKP-Wähler an. Und dieser scheint kaum ein Problem damit zu haben, jede Story zu schlucken, die ihm von einer gesäuberten Presse aufgetischt wird. Oder auch vom Regierenden persönlich, der einen 1.000-Zimmer-Palast bewohnt, während die Inflationsrate in dem Land, das er regiert, derzeit auf 85 Prozent klettert (nach offiziellen Angaben).

Nach dem Bombenanschlag, der sich letzte Woche im Herzen Istanbuls ereignete und sechs Menschen tötete, dauerte es keine zehn Stunden, bis die vermeintliche Bombenlegerin geschnappt wurde. Ein aufwendig montiertes Video im Stil eines Actionthrillers zeigt aus verschiedenen Blickwinkeln, wie Antiterroreinheiten die Wohnung der Verdächtigen stürmen, um sie wenig später mit Hausschlappen und verprügeltem Gesicht zwischen zwei türkischen Fahnen der Presse zu präsentieren.

Fall geklärt, in einer Stunde

Nur eine Stunde nach ihrer Festnahme trat der Innenminister Süleyman Soylu vor die Kameras und kannte bereits die Identität der Auftraggeber und den Hergang des Anschlags. Nur eine Stunde, und der Fall war so gut wie abgeschlossen. Natürlich sollen es die Kurden gewesen sein. Natürlich wolle man Vergeltung.

Quelle       :          TAZ-online       >>>>>        weiterlesen

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Oben     —   Eine wehende rote Fahne

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Unten     —   https://twitter.com/Smiley007de

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte   

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 16. November 2022

„Krieg und Frieden“
Gedankenströme bei Stromausfall in der Westukraine

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Aus Lwiw ROSTYSLAV AVERCHUK

Ein Bekannter aus Mariupol hat mir erzählt, wie er fast einen Monat lang im Bombenschutzraum verbracht hat. Seine Stadt wurde dem Erdboden gleichgemacht, es gab keinen Strom und keine Heizung, kaum Wasser und Essen.

Aber das, was ihm und seiner Familie am meisten gefehlt habe, seien Informationen gewesen. Als es in Lwiw nach russischen Raketenangriffen einen halben Tag weder Strom noch Telefonverbindungen gab, spürten die Menschen hier zum ersten Mal seit Kriegsbeginn, was es bedeutet, voneinander und von der restlichen Welt abgeschnitten zu sein.

Ich wanderte durch die Stadt in der Hoffnung, irgendwo Handyempfang zu haben, um Mitteilungen zu verschicken und die Nachrichten zu lesen.

Als ich nach erfolgloser Suche wieder nach Hause kam, nahm ich zum ersten Mal nach Jahren den Hörer des nutzlosen, wie es mir lange schien, Festnetztelefons zur Hand.

Abends kamen viele Lwiwer auf den Platz vor der Oper. Licht gab es nur von den vorbeifahrenden Autos. Es war ein bisschen unheimlich. Etwas aufmunternd wirkte ein Saxofonspieler und die Gastfreundschaft eines Buchhändlers, der die Leute noch nach Ladenschluss in sein Geschäft ließ. Dort gab es aus auch für ihn unerfindlichen Gründen noch Strom und sogar Internetzugang.

An diesem Abend wurden Stromversorgung und Mobilfunkverbindungen wieder hergestellt. Aber die russischen Angriffe gingen weiter.

Die Behörden bitten immer wieder darum, Strom zu sparen, besonders in den Hauptverbrauchszeiten morgens und abends. Jedes Mal, wenn ich jetzt das Licht oder den Wasserkocher einschalten will, frage ich mich: „Ist das wirklich gerade nötig?“ Man warnt uns davor, dass lange Abschaltungen möglich sein können.

Lwów - Widok z wieży ratuszowej 01.jpg

Wenn der Strom ausfällt, solle man Taschenlampen und Kerzen vorrätig haben. Zum Heizen benutzen manche Menschen in Lwiw Gasöfen, die noch aus der Habsburger Zeit stammen. Einige von ihnen können alternativ auch mit Holz beheizt werden. Zum Kochen gibt es Gasflaschen und Gasherde.

Im Internet wird darüber nachgedacht, Zelte in den Wohnungen aufzustellen, wenn es sehr kalt wird. Von Panik ist dennoch nichts zu spüren.

Quelle          :         TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —    Altstadt in Lviv (Ukraine).

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Keine Helden durch Kriege

Erstellt von Redaktion am 14. November 2022

Wer sind wir in Zeiten des Krieges? Plädoyer für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung.

Quelle        :     Berliner Gazette

Von       :        Christian Heck

Wer verfolgt noch den Krieg, den das Putin-Regime der Ukraine erklärt hat? Wer beschäftigt sich mit den Ursachen und Hintergründen? Wer ist bereit die Auseinandersetzung nicht allein vom Eigennutz abhängig zu machen und die Auswirkungen nicht allein an persönlichem Schaden zu bemessen? Diesen Fragen liegt nicht zuletzt die Frage nach dem gesellschaftlichen Wir zu Grunde, wie der Medientheoretiker Christian Heck in seinem Plädoyer für eine Auseinandersetzung mit Sprache und Technik argumentiert.

20 Jahre Afghanistankrieg sollten mit dem praktisch kampflosen Einzug der militant-islamistischen Taliban in Kabul und einem abrupten Abzug westlicher Streitkräfte ihr Ende nehmen. Doch der Krieg in Afghanistan geht weiter. Mit extralegalen Hinrichtungen mittels US-Kampfdrohnen. Drohungen, Verhaftungen, Misshandlungen, Folter und Tötungen von Frauen und Männern, insbesondere jenen, die sich für Frauen- und Menschenrechte einsetzen. Seit über einem Jahr drängen die Taliban afghanische Frauen aus dem öffentlichen, sozialen und politischem Leben. Sie dürfen sich in vielen Teilen des Landes kaum eigenständig auf den Straßen bewegen. Dürfen nur noch bis zur 7. Klasse die Schule besuchen. Studentinnen nur noch mit Hidschab in Universitäten gehen. Zahlreiche Bewegungen aus der Zivilgesellschaft zogen daraufhin disruptiv-technologische Bilanzen. In der Hoffnung unterstützend zukünftigen techno-politischen und militärischen “Fehleinschätzungen” (Heiko Maas, ehem. Bundesminister des Auswärtigen) entgegenwirken zu können.

Fehleinschätzungen liegen sicherlich auch Russlands Invasion der Ukraine zu Grunde. Auf allen Seiten. In den Medien: Überall Wortmeldungen. Doch wer ist tatsächlich bereit darüber zu reden?

Mehr noch: Wer findet Worte für das Bombardieren von Wohnhäusern? In Butscha. Charkiw. Kiew. Saporischschja. Krementschuk. Winnyzja. Tschernihiw. Kramatorsk. Cherson. Mariupol und unzähligen weiteren Städten und Dörfern. Das Bombardieren von Schulen, in denen Familien Unterschlupf suchen. Von Krankenhäusern, in denen Frauen ihre Kinder gebären. In denen Menschenleben gerettet werden. Während Sirenen laut heulen. Tag für Tag. Stunde für Stunde. Minute für Minute. Menschen. Leben. Retten. Bomben auf Gefängnisse. Evakuierungsbusse. Auf Fluchtrouten, auf denen Familien versuchen den Grausamkeiten des Krieges zu entfliehen. Sie werden gezielt bombardiert. Bahnhöfe. Einkaufszentren. Raketenkrater in den Innenhöfen von Wohnkomplexen in denen es keine einzige militärische Einrichtung gibt. Hinrichtungen. Massengräber in Charkiw. In Isjum.

“Grammatik des Krieges”

Zivile Opfer liegen im Kalkül des russischen Angriffskriegs. In Zeiten des Krieges sind all unsere Worte in “die alles betreffende Buchhaltung des Krieges mit eingerechnet”. “Ob wir den Krieg befürworten. Ob wir um Frieden kämpfen. Wir sind in der Logik des Krieges verzichtbar gemacht.” (Streeruwitz). Wir. Wer sind wir in Zeiten des Krieges? Während seine Schrecken in Echtzeit aus den Interfaces sprudeln. In mechanischer Zeit. Maschinenzeit. Waffen. Gewehre. KI. Maschinen. In Echtzeit, in die wir uns ein jedes Mal hineinbegeben, und in der wir uns bewegen. Wider die Totzeit. Wenn wir Kriegsnachrichten sehen. Lesen. Twitter. TikTok. Telegram. Schreiben. Der Spiegel. taz. Die Süddeutsche. Lesen.

Wieder einmal versuche ich heute zu schreiben, während “die Herrschaft des Krieges uns ihre Grammatik aufzwingt” (Streeruwitz).

Keine Worte finden. Worte für den Frieden. In Kriegssyntax schreiben. Auf Kriegssyntax bauen.

Die Grammatik des Krieges, sie steht vielen Technologien eingeschrieben, die uns tagtäglich begleiten. Sie sind uns sehr vertraut, wurden Teil unseres Alltagslebens und gestalten diesen aktiv mit. In den häufigsten Fällen wissen wir nicht, ob Teile unserer kleinen Devices in unseren Pockets auch zum Kriegseinsatz kommen. Welche Technologien sich Kriegs-, und welche sich den zivilen Technologien zuordnen lassen. Der Begriff des DUAL USE verlor sich in der öffentlichen Wahrnehmung, dafür kann er heute, insbesondere in der öffentlichen Förderungsterminologie unter dem Begriff der “Sicherheitstechnologie” wiedergefunden werden. Wir lernen solch neue Wörter, indem wir uns unterhalten, indem wir mit unseren Mitmenschen sprechen, die Wörter also “gebrauchen” um es in Wittgensteins Worten auszudrücken: Die Bedeutung eines Begriffs ist “die Art, wie dieser Gebrauch in das Leben eingreift” (Wittgenstein, 65)). Zuvor sind es wortlose Worte.

Worte, die nicht entstanden sind aus einem gesellschaftlichen Miteinander heraus. Aus einem Miteinandersprechen. Zuvor sind es künstliche Wörter, doch Wörter zugleich die wir gemeinsam gebrauchen. Wir gestalten unseren Lebensalltag durch sie. Diese Wörter, diese wortlosen Worte, sie entstehen an einem Ort wo wir im Sprechen keine Worte finden werden. In kognitiven Systemen. Systeme, denen Kriegsgrammatiken eingeschrieben stehen. “Marketing or death by drone, it’s the same math, … You could easily turn Facebook into that. You don’t have to change the programming, just the purpose of why you have the system.”, so Chelsea Manning in einemInterview mit dem Guardian in 2018, “There’s no difference between the private sector and the military.”

Maschinen des Krieges

Wer sich an die Debatten rund um Project Maven erinnert, dem oder derjenigen sagt eventuell der Begriff “Tensorflow” noch etwas. Im Jahr 2017 ging hierfür der IT-Konzern Google eine Partnerschaft mit dem Projekt Maven des Pentagons ein, das auch als “Algorithmic Warfare Team” bekannt ist. Der gemeinsame Auftrag lautete, eine Technologie zu entwickeln, die das Videomaterial von US-Überwachungsdrohnen aufzeichnet und effizienter als bisher nach militärisch bedeutungsvollen Objekten indexiert. Google gewährte dem US-Verteidigungsministerium zur Entwicklung von Machine Learning Objekterkennungsalgorithmen damals Zugriff auf ihr Software-Framework “Tensorflow”. Ohne solche Frameworks, die es Entwickler*innen ermöglichen Künstliche Intelligenzen in Form von Graphen und Datenflussdiagrammen zu programmieren, wäre die Erforschung hin zur neuronalen Netzwerkarchitektur “Transformer” wohl kaum denkbar gewesen.

Seit das Google Research Team zusammen mit einigen Google Brain Autoren ihre Studie “Attention Is All You Need” veröffentlichten, entstand ein Wettlauf unter den großen IT-Unternehmen, der sich häufiger an der Quantität der jeweiligen Datensätze und Modelle maß, als an ihrer Qualität und der Abwägung kultureller Konsequenzen, während diese in Gesellschaft beginnen zu wirken. Der Trend zu immer größeren Modellen und immer mehr Trainingsdaten führt derzeit dazu, dass nicht nur massiv Ressourcen wie Strom für riesige Serverfarmen verbraucht würden, sondern auch, dass KI-Modelle und Applikationen in denen diese eingebettet liegen, immer schlechter kontrollierbar werden.

Heute müssen während des Trainings solcher KI’s teils über 175 Milliarden Parameter und weitere mathematische Operationen ausgelesen, angepasst und erweitert werden. Die wenigsten universitären und öffentlichen Einrichtungen haben hierfür Kapazitäten. Weder verfügen sie über die Rechnerleistung zum trainieren und unabhängigen erforschen dieser Modelle, noch haben sie Zugang zu den immensen Datensätzen die als Grundlage zum Training von Transformern dienen. Unternehmen wie Google, Facebook oder OpenAI, die u.a. mit Microsoft kooperieren profitieren aus bekannten Gründen hiervon und treiben einen rasanten Fortschritt voran. Ein Fortschritt, unbestreitbar, der staunen lässt. Das transformerbasierte Sprachmodell GPT-3 von OpenAI und Microsoft bspw. übersetzt Sprachen, zumindest die meistgesprochensten, schreibt Zeitungsartikel, Essays und Gedichte und wird als Chatbot in Twitter, Reddit, Telegram, etc. genutzt.

Fast überall dort wo aus strukturierten Daten kontextbasierte, natürliche Sprache, bzw. leserfreundliche Texte erzeugt werden sollen, löste der Aufmerksamkeitsmechanismus (Attention) von Transformer-Architekturen, die bis dato verwendeten rekurrenten Modelle wie bspw. LSTM (Long Short Term Memory) ab. Die interaktive Besonderheit von GPT-Modellen (Generative Pretrained Transformer) ist jedoch nicht einzig für Social Media, sondern allgemein für Assistenzsysteme jeglicher Couleur interessant, z.B. zum militärisch genutzten Man-Machine-Teaming, Robotics und weiteren Mensch-Maschine-Interaktionen auf natürlichsprachlicher Basis.

Doch diesen Machine-Learning Verfahren stehen Rassismen, wenn auch nicht explizit, auch nicht vorsätzlich eingeschrieben. Sie generieren in ihrem Gebrauch schwer vorhersehbare Äußerungen, die von subtiler Alltagsdiskriminierung bis über Hetze im Netz reichen und tragen somit auch vermehrt zu rassistischen Gewalttaten im öffentlichen Raum bei.

Sie erzeugen Minderheiten und gesellschaftliche Gruppen werden verstärkt durch diese Systeme marginalisiert. Meistens, ganz ohne dass es den Entwickler- sowie auch Anwender*innen bewusst ist (Vgl. Gebru et. al.) .

Wessen Handlungsmacht?

Seit einigen Monaten nun, werden lautstarke Debatten über kulturelle Konsequenzen von transformerbasierten Text-zu-Bild Maschinen geführt. Künstlich intelligente Sprachmodelle, die Texteingaben (Prompts) in eine Anordnung von Pixeln transferrieren. Die bekanntesten von ihnen sind DALL-E 2ImagenMidjourney und Stable Diffusion. Sie generieren Bilder, die wie Fotografien, Zeichnungen oder Malereien aussehen können. Auf diese derzeitig technischen und populären Erfolge, bauen just veröffentlichte Modelle zur Text-zu-Video Generierung auf. Make-A-Video von Meta AI und Imagen Video, sowie Phenaki von Google Brain nehmen einen Prompt auf und geben daraufhin ein Video aus, das sich auf diese Eingabe bezieht.

Solch Text- bzw. Bild, und Videogenerierungen wirken seit längerem schon in TikTok, in Discord, Telegram und weiteren medialen Kanälen. Teils spielerisch wird dort mit ihnen umgegangen, häufig auch marktwirtschaftlich- strategisch. In manchem Fällen werden sie auch ganz konkret für staatliche, bzw. Kriegspropaganda genutzt.

Wir stehen heute also wieder einmal vor einer uns vertraut scheinenden, überaus gesellschaftsrelevanten Frage, nämlich der, wie wir sprachlich, bewertend, analytisch und interpretierend mit den jüngst entwickelten disruptiven Technologien umgehen? Über was für einen Wortschatz wir hierfür verfügen? Welch sprachlichen Mittel uns zur Verfügung stehen, um diese Technologien in unsere Gesellschaft zu integrieren? Sind wir, als Gesellschaft derzeit überhaupt noch in der Lage, die kulturellen Folgen dieser Technologien zu bewältigen?

Wohl spätestens seit den 2010ern, delegieren wir mehr und mehr Handlungsmacht an die neuen, meist disruptiven Technologien. Technologien, in denen „Menschen, Dinge, Ereignisse zu ’programmierbaren Daten’ werden: es geht um ’Input’ und ’Output’, Variable, Prozentzahlen, Prozesse und dergleichen, bis jeglicher Zusammenhang mir konkreten Dingen wegabstrahiert ist und nur noch abstrakte Graphen, Zahlenkolonnen und Ausdrucke übrigbleiben.“, so einst der Technologie- und Gesellschaftskritiker Joseph Weizenbaum. Je tiefer wir also unseren Sprachgebrauch und unsere alltägliche Lebenswelt in diese Technologien verstricken, desto exakter sind wir in „die alles betreffende Buchhaltung des Krieges mit eingerechnet.“ (Streeruwitz).

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Oben       —   State Emergency Service of Ukraine demines Kharkiv Oblast after liberation from Russian occupation. On 5 November, more than 10 hectares were cleared, 2241 explosive items were defused. In total, from 8 September to 6 November, 1,422 hectares were inspected and 37,915 explosive items were defused.

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Bläst die USA zum Sturm ?

Erstellt von Redaktion am 12. November 2022

Und schon wieder rasseln die USA mit den Säbeln

Drei große Soldaten

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Anfang November forderte der Chef der US-Atomstreitkräfte, Admiral Charles A. Richard, ein radikales Umdenken in der US-Militärstrategie. Der Ukraine-Krieg sei nur das Vorspiel zu einem „großen Krieg“ mit China.

Der Admiral scheut sich auch nicht, die USA zur Rückbesinnung auf die 1950iger und sechziger Jahre aufzurufen, als die USA ohne wenn und aber und warum genau das schnell umsetzten, was sie wollten. Also zurück zur Mentalität des Kalten Krieges. Oder ist das ganze Brimborium nur der jämmerliche Versuch, eigene Schwächen zu kaschieren?

Aber da ist auf einmal und völig unerwartet China, gegen das die USA nicht nur wegen dessen Größe nicht so vorgehem können wie gewohnt, sondern das auch militätisch schneller auf dem neuesten Stand ist als die USA. Jetzt verstehen wir was AUKUS soll: Stärkung der US-Untersemacht, denn dort fühlt sich der Admiral China (noch) überlegen. Für die vom Admiral geforderte Aufrüstung der USA ist die Ukraine-Krise nur ein Warmlaufen im Vergleich zu dem, was da bald kommt. Daher müssten die USA ihr Abschreckungsspiel hochfahren, meint der Admiral. Aber durchaus realistisch schätzt der Admiral die Abschreckung gegenüber China eher wie eine Fahrt auf einem langsam aber sicher sinkenden Schiff ein. Wie auch wir hätten die USA nämlich Wartungsprobleme, brauchen neue Waffen und immer wieder für alles viel zu viel Zeit. Und solange solche Probleme nicht gelöst sind, seien die USA nicht in einer guten Ausgangslage für ihre strategische Abschreckung und nationale Verteidigung.

Der Weg zurück im Zorn, als die USA noch kleinere Völker wie Vietnam mir nichts, dir nichts mit Krieg überzogen haben, ist ein Irrweg. Die Welt hat sich mit der Entwicklung von China zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht verändert. Die monopolare Ausrichtung an den USA ist vorbei, selbst wenn sie geradezu verzweifelt die NATO vor sich hertreiben. Auf dem Kriegsschauplatz Ukraine messen sich die USA und Russland mit Waffengewalt, während China die Welt auf der Seidenstraße ohne Krieg und Blutvergießen für sich zu gewinnen sucht. Dagegen haben die USA keine Waffen. Ihr tumbes Militärmachtdenken hat fatal jeden Sinn für Diplomatie oder friedliche Völkerverständigung verkümmern lassen. Das Palaver des Admirals klingt erschreckend ähnlich dem Make-America-Great-Again von D. Trump. Nur scheinen den Admiral auch noch Ängste umzutreiben, und die sind bekanntlich keine guten Berater.

Reinwaschung von Kriegsverbrechen

Also, Bangemachen gilt nicht, und Säbelrasseln gehört in den Abfalleimer der Geschichte. Wer Wettbewerb nicht ertragen kann, wird von den Veränderungen in der Welt rechts und links überholt, auch die USA. Diese sollten eher geistig aufrüsten, um die Welt davon zu überzeugen, dass es auch menschlich und friedvoll zugehen kann. In einem hat der Admiral aber Recht: Bei Veränderungen muss man immer bei sich selber anfangen. Aber bedenken sie, Herr Admiral: „Lernen, ohne zu denken, ist eitel, denken, ohne zu lernen, ist gefährlich“ sagte schon Konfuzius im fernen China vor 2500 Jahren.

Urheberrecht
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Zivilisatorisches Versagen

Erstellt von Redaktion am 10. November 2022

Streit über russische Deserteure

Hier kann ein jeder erlernen sich ermorden zu lassen oder selber zum Mörder zu werden.

Ein Debattenbeitrag von Pascal Beucker

Bevor die Hähne kräh’n. Wer nicht kämpft, kann nicht töten – nicht nur deshalb sollte jeder, der nicht für Russlands Präsident Putin sterben will, überall aufgenommen werden.

Ob die jungen Männer, die seit Wladimir Putins Verkündung der Teilmobilmachung Ende September ihre sieben Sachen packen, um Russland zu verlassen, wohl je etwas von Boris Vian gehört haben? Gut möglich, schließlich wurde sein „Le Déserteur“ in Dutzende Sprachen übersetzt, auch ins Russische. Jedenfalls kommt einem bei den Nachrichten über die Zehntausende Russen, die versuchen, sich der Zwangsrekrutierung für den Ukraine­krieg zu entziehen, das legendäre Chanson des französischen Schriftstellers aus dem Jahr 1954 in den Sinn: „Bevor die Hähne kräh’n / Verrammel ich die Türen / Ich will mein Leben spüren / Und mach’ mich auf den Weg“, wie Wolf Biermann Vian ins Deutsche übersetzt hat. „Mon­sieur le President / Ihr seid für’s Blutvergießen? / Allez! Lasst Eures fließen / Das wär ’ne gute Tat!“

Wer nicht in der Ukraine kämpft, der kann nicht in der Ukraine töten. Allein schon deshalb sollte jeder, der sich nicht von Putin verheizen lassen will und durch Flucht die Kampfkraft und -moral der russischen Truppen schwächt, überall mit offenen Armen aufgenommen werden. Zahlreiche europäische Staaten haben jedoch stattdessen ihre Grenzen für russische Kriegsverweigerer geschlossen. Was für ein zivilisatorisches Versagen!

Solch inhumanes wie unvernünftiges Vorgehen wünscht sich der neue ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev auch von der Bundesrepublik. Es wäre „falsch von Deutschland, russische Deserteure aufzunehmen“, hat er verkündet. Schließlich wollten die sich bloß „vor dem Militärdienst drücken“ und „nur nicht im Krieg sterben“. Damit liegt Makeiev ganz auf der Linie seines Vorgängers Andrij Melnyk, der bekundet hat, er hielte es für eine „katastrophale Entscheidung“, wenn russischen Männern Asyl in der Bundesrepublik gewährt würde, „NUR weil sie (…) keinen Bock auf ihre eigene Ruhestätte in der Ukraine haben“.

Im Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ Doch nach der international gängigen Rechtsauffassung gibt das leider den wehrfähigen Menschen noch nicht das Recht, sich zum Schutz ihres Lebens einem Krieg durch Flucht zu entziehen. Selbst wenn sie sich dem militärischen Wahn eines verbrecherischen Regimes verweigern wollen, reicht das als Asylgrund alleine nicht aus. „Selbstverständlich ist jemand kein Flüchtling, nur weil er aus Furcht, kämpfen zu müssen, oder aus Abneigung gegen den Militärdienst desertiert ist oder den Dienst erst gar nicht angetreten hat“, ist dazu im Handbuch des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlings­eigenschaft zu lesen. So unmenschlich es ist: Die Furcht vor Strafverfolgung und vor Bestrafung wegen Desertation oder der Weigerung, einer Einberufung Folge zu leisten, stellen keinen Grund dar, um Anrecht auf Asyl zu haben.

Wer ist so naiv dem Staat ein Gelöbnis zu liefert – er würde das gleiche auch nie zurückgeben !

Kriegsverweigerung ist ein Menschenrecht. Auch wenn sie als solches nicht allgemein anerkannt wird. Aber warum nicht? Weil Desertation in der ganzen Welt als strafbare Handlung geahndet wird – nicht nur in autoritären Regimen. Fahnenflüchtlinge will man nirgendwo haben. Weshalb auch Boris Vians grandioses „Le Déserteur“ mehrere Jahre – und zwar während des Algerien­krieges – in Frankreich verboten war. „Der Deserteur ist in allen Armeen der schlimmste Feind, schlimmer als der Feindsoldat, denn er widersteht dem Befehl zum Töten und nimmt lieber den eigenen Tod in Kauf“, schrieb einst der Schriftsteller Gerhard Zwerenz, der einzige Deserteur, der je dem Bundestag angehörte. Dabei ist selbst ein „gerechter“ Krieg immer noch ein Krieg, niemand sollte dazu gezwungen werden, gegen seinen Willen in ihn zu ziehen. Das gilt übrigens auch für jene Ukrainer zwischen 18 und 60 Jahren, die seit Kriegsbeginn ihr Land nicht mehr verlassen dürfen, um für die Verteidigung herangezogen werden zu können. Kein Staat hat das Recht, Menschen zum Töten anderer Menschen zu zwingen.

Gleichwohl ist die Diskussion über die russischen Kriegsverweigerer eine besonders aberwitzige. Denn sie ist nicht nur zynisch, sondern steht auch im Widerspruch zur Rechtsauffassung des UNHCR. Danach gibt es für Deserteure und Militärdienstflüchtlinge durchaus einen Flüchtlingsschutz, wenn sich „die Art der militärischen Aktion, mit der sich der Betreffende nicht identifizieren möchte, von der Völkergemeinschaft als den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend verurteilt wird“.

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 8. November 2022

„Krieg und Frieden“
Lieblingsfeinde des russischen Regimes

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Aus Riga von Maria Bobyleva

Unter denen, die nach dem 24. Februar 2022 aus Russland nach Lettland gekommen sind, sind ziemlich viele Ver­tre­te­r*in­nen der LGBTQ-Community. Viele haben Russland wegen der homophoben Repressionen verlassen, die seit Kriegsbeginn noch zugenommen haben.

Ich sage es ehrlich, die Homophobie, die in Russland auf staatlicher Ebene rapide zunimmt, war auch ein wichtiger Grund dafür, dass ich Russland gleich nach Beginn des Krieges in der Ukraine verlassen habe. Ich bin zusammen mit meiner Partnerin gegangen. Denn seit Jahren ziehen die russischen Behörden die Schrauben in allen Bereichen, die mit Freiheit zu tun haben, auf die eine oder andere Weise an. Das ist das Hauptschlachtfeld des autoritären Systems bzw. der totalitären Ideologie. Wenn man einem Menschen nämlich erlaubt, selbst zu entscheiden, wen er liebt, wird es unmöglich, ihn zu kontrollieren.

Das haben die russischen Machthaber schon lange kapiert. Seit fast zehn Jahren gibt es in Russland bereits ein Gesetz über die sogenannte „Homopropaganda“ unter Minderjährigen. Damit ist alles verboten, was nicht-heterosexuelle Beziehungen als nicht schlechter wie „traditionelle“ zeigt. Jedes beliebige Buch, jeder Artikel, jeder Film, in dem das Thema LGBTQ vorkommt, muss den Vermerk „ab 18“ tragen und für Kinder unzugänglich sein.

LGBTQ (so wie auch die USA, die Nato und Feministinnen) waren lange Zeit die Lieblingsfeinde des Regimes, doch seit man quasi vom Wort zum Bombenangriff übergegangen ist, wurde es wirklich schrecklich. Als der Krieg begann, hatten viele Menschen ernsthaft Sorge, dass es in absehbarer Zeit damit beginnen würde, Homosexuelle an Straßenlaternen aufzuhängen. Und obwohl Lettland verglichen mit Westeuropa, wo schon in vielen Ländern gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt hat, als nicht sehr homofreundliches Land gilt, habe ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass es hier für mich sehr viel sicherer sei als in Russland.

Riga - Latvia.jpg

Tatsächlich hat die Saeima, das lettische Parlament, in diesem Sommer die Prüfung des Gesetzentwurfs über gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften erneut verschoben. Mir persönlich ist Homophobie in Riga noch nie begegnet. Viele meiner nicht-heterosexuellen Bekannten aus Russland fühlen sich hier mehr als wohl. Händchen halten, auf Motto-Partys gehen – kein Problem. Tausende Menschen nahmen im Juni an der Pride-Parade teil, die ein wunderschönes Fest war.

Quelle          :        TAZ-online            >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —    View of Riga towards the cathedral and Vanšu Bridge.

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Der Fluch des Öls :

Erstellt von Redaktion am 7. November 2022

Russlands Petroimperialismus und die (in)humanen Geographien des Krieges

So begann es immer auf der Erde – Plakat «Bald gehört die ganze Welt uns». [Jekaterinburg] :

Quelle        :     Berliner Gazette

Von    :   Oxana Timofeeva

Immer wieder wird Russlands Aggression gegen die Ukraine als “fossiler Krieg” bezeichnet. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Oxana Timofeeva zeigt in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism”, wie das extraktivistische Ökosystem der Erdölindustrie während des Krieges nicht nur aufrechterhalten wird, sondern ihn buchstäblich anheizt.

Eine der Folgen des Krieges, den das Putin-Regime gegen die Ukraine führt, ist das Entstehen eines neuen eisernen Vorhangs zwischen Russland und den europäischen Ländern, der von Visabeschränkungen über Grenzkontrollen bis hin zu Einreiseverboten reicht. Für die Menschen in Russland waren diese Beschränkungen keine große Überraschung: Nach den jüngsten Erfahrungen mit der Quarantänepolitik an den Grenzen während der zwei Jahre andauernden COVID-19-Pandemie war die Gesellschaft auf diese Art von Beschränkungen vorbereitet.

Jetzt, im Nachhinein, sieht die Zeit der Pandemie, in der der internationale Reiseverkehr für Menschen eingeschränkt war, aber für Geld und Waren meist unbegrenzt blieb, wie eine Probe für einen größeren Ausnahmezustand aus. Heute scheinen die wirtschaftlichen und politischen Sanktionen, die als Reaktion auf die militärische Aggression Russlands in der Ukraine eingeführt wurden, nicht nur die Menschen, sondern auch die Geld- und Warenströme zwischen meinem Land und dem Rest der Welt zu beeinträchtigen. Es gibt jedoch etwas, das von dieser Politik fast unberührt bleibt.

Vom Krieg unberührte Pipelines

Es ist viel einfacher, ein Einreiseverbot für Menschen zu verhängen als für Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas. In der Tat diskutieren Beamte in Europa über Möglichkeiten eines Ölembargos und überlegen, wie sie die Rohstoffbeziehungen zu Russland schwächen können. In der Tat wird allgemein dazu aufgerufen, den Verbrauch von Öl und Gas aus Russland zu reduzieren, was dem allgemeinen Drang nach einem Übergang zu erneuerbaren Energiesystemen entspricht, um katastrophale Entwicklungen durch den Klimawandel zu verhindern. Doch die Dinge gehen weiter.

Einer der interessantesten Fälle ist die längste Ölpipeline der Welt, die in Tatarstan beginnt, wo sie Öl von anderen Pipelines aus Westsibirien, dem Ural und dem Kaspischen Meer aufnimmt und es von Russland und Kasachstan durch die Ukraine und Weißrussland nach Europa transportiert. Diese 4.000 km lange Pipeline mit dem Namen “Druschba”, was aus dem Russischen übersetzt “Freundschaft” bedeutet, wurde von 1958 bis 1964 geplant und gebaut, um die Länder des sozialistischen Blocks wie Polen, die Tschechoslowakei, die DDR und Ungarn mit Erdöl aus der Sowjetunion zu versorgen. Heute liefert die “Druschba” Rohöl nach Belarus, Polen, Ungarn, in die Slowakei, die Tschechische Republik und nach Deutschland.

Der südliche Zweig der Pipeline verläuft durch die Ukraine. Abgesehen von kurzen Unterbrechungen wie im August 2022, als die Öllieferungen wegen Schwierigkeiten bei internationalen Banküberweisungen eine Woche lang gestoppt wurden, sind die grundlegenden Vereinbarungen über den Öltransport von Russland nach Europa über die Ukraine während des gesamten Krieges in Kraft und wirksam geblieben. Auch die Infrastruktur ist weiterhin intakt. So fließt das Öl reibungslos durch die Rohre, und das Geld wird pünktlich bezahlt. In der Ukraine brennen Städte, die zivile Infrastruktur und sogar das größte Kernkraftwerk Europas, das Kernkraftwerk Saporischschja, ist in Mitleidenschaft gezogen, aber nicht die Pipelines. Öl fließt von Russland in die Ukraine und dann nach Europa. Hier kommt die Ironie der Namensgebung ins Spiel: eine kapitalistische “Druschba” als Erbe der sozialistischen “Freundschaft” hinter der Bühne des Kriegsschauplatzes, wo Menschen sterben.

Die Politik des Petrostaats

In seinem Buch “Das Böse der Natur: Eine Kulturgeschichte der natürlichen Ressourcen” definiert Alexander Etkind Russland als Petrostaat, wobei er diesen Begriff von Fernando Coronil übernommen hat. Nach Coronil ist ein Petrostaat ein Staat, der sich auf den Ölhandel stütztDas Konzept des Petrostaates steht in engem Zusammenhang mit einem anderen Konzept: dem von Michael Ross eingeführten “Ölfluch”. Ross warf die Frage auf, warum in bestimmten Ländern die Förderung fossiler Brennstoffe statt zu wirtschaftlichem Wachstum zu sozialem, wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Niedergang führt. Die Öleinnahmen versprechen Wohlstand für die Bevölkerung, bringen aber oft nur den Eliten enormen Reichtum, während der Rest immer ärmer wird.

Petrostaaten verfügen über enorme Einkommen, von denen ein Teil unter der Bevölkerung umverteilt werden kann, die somit von der Großzügigkeit der Eliten abhängig ist. Wenn der Großteil des Einkommens aus fossilen Brennstoffen stammt, ist der Staat weder auf Dinge wie Steuern angewiesen, noch muss er Hochtechnologien, Wissenschaft, Bildung, öffentliche Dienstleistungen usw. entwickeln. Das Leben des Staates basiert vollständig auf der brutalen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen.

Coronils Beispiel für einen Petrostaat ist Venezuela. Im Jahr 1938 wurde das Land zum größten Ölexporteur der Welt. Doch anstatt die Wirtschaft zu entwickeln, neue Fabriken und Universitäten zu bauen, verschuldete sich die Regierung wegen der künftigen Ölförderung immer mehr. Schließlich brach die Gesellschaft zusammen. Etkind wiederum schreibt über die späte Sowjetunion, deren Wirtschaft schließlich vollständig auf den Export fossiler Brennstoffe angewiesen war. Wie Oleksiy Radynski in seinem kritischen Bericht über die aktuelle Situation feststellt: “Es ist erwähnenswert, dass Russlands Industrie für fossile Brennstoffe – eine enorme Infrastruktur für die Förderung und den Transport von Öl und Gas, die sich von Sibirien bis nach Westeuropa erstreckt – selbst der Schlüssel zur Auflösung des Sowjetkommunismus und zur Entstehung eines kleptokratischen, extraktivistischen rechtsextremen Regimes in Russland war.

Fossiler Faschismus

Radynsky definiert dieses Regime als fossilen Faschismus. Dieser Begriff wurde von Cara Daggett eingeführt und kürzlich von Andreas Malm und dem Zetkin-Kollektiv in Bezug auf den westlichen Petrokapitalismus weiterentwickelt, aber ich stimme Radynsky zu, dass dieser Begriff voll und ganz auf das Phänomen des Putinismus heute anwendbar ist. Wie sind wir hierher gekommen?

Laut Etkind gibt es Länder mit guten (demokratischen) und schlechten (autoritären) Institutionen. Demokratische Institutionen können verhindern, dass der Staat in die Falle des Ölfluchs tappt. Die meisten autoritären Petrostaaten wiederum zeichnen sich durch große Ungleichheit, übermäßigen Luxuskonsum der Eliten, Korruption, patriarchalische Unterdrückung der Frauen, religiösen Fundamentalismus, mangelnde kulturelle Entwicklung und Bildung, Umweltkatastrophen usw. aus.

Da es an Transparenz und ziviler Kontrolle mangelt, fließt das Ölgeld direkt oder indirekt in die Taschen von Privatpersonen. Eine kleine Gruppe von Machthabern wird immer reicher, aber da die Gesellschaft allmählich zusammenbricht, ziehen sie es vor, ihr “Vermögen” im Ausland zu haben: Sie schicken ihre Kinder auf Universitäten in Europa, den USA oder dem Vereinigten Königreich, kaufen Immobilien in Übersee wie Villen oder Jachten. Infolgedessen fließt das aus dem Ausland erhaltene Ölgeld als privates Kapital derjenigen zurück, die den Staat regieren und nicht daran interessiert sind, in ihrem eigenen Land zu investieren.

Kaiserliche Phantasmen

In der Tat kann diese Situation nicht ewig andauern, und der soziale Antagonismus eskaliert zusammen mit der Zunahme der Ungleichheit. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Situation in der russischen Gesellschaft kurz vor dem Krieg hochexplosiv und nahezu revolutionär war. Es gab riesige Protestkundgebungen, bei denen die Menschen ihre Unzufriedenheit mit Putins Politik, gefälschten Wahlen, Korruption und Polizeigewalt zum Ausdruck brachten. Die Proteste wurden streng unterdrückt, aber die Menschen begannen, die Angst zu verlieren, und jede neue Unterdrückung konnte ein Auslöser für neue Proteste sein. Statt einer Revolution kam es jedoch zum Krieg, und die Politik der herrschenden Klasse nahm rasch eine faschistische Wendung.

Historisch gesehen ist der Faschismus ein Mittel, um den wachsenden sozialen Antagonismus zu neutralisieren, indem er eine nationale Einheit von Unterdrückern und Unterdrückten um einen starken Führer schafft und die Energie der Revolution in militärische Aggression gegen einen äußeren Feind umwandelt. Genau das ist der Fall im heutigen Russland.

Eine weitere Besonderheit Russlands als Petrostaat ist, dass es sich über riesige Gebiete erstreckt und multinational ist: Formal ist es eine Föderation, aber die herrschenden Gruppen betrachten es als ein Imperium. Daher kann man auch von Petroimperialismus sprechen. Imperialistische Phantasien sind einer der Bestandteile historischer faschistischer Ideologien (so war die Idee der Wiederherstellung des großen Reiches der Vergangenheit Teil des Faschismus in Italien und Deutschland im 20.) Auch Russland hat sein imperiales Erbe. Liberale Kritiker des Putin-Regimes neigen zu der Annahme, dass sein politisches Ziel die Wiederherstellung der Sowjetunion ist, aber in Wirklichkeit wird Russlands fossiler Faschismus von dem kapitalistischen kolonialen Traum vom Russischen Reich vor der Oktoberrevolution von 1917 angetrieben. In diesem Sinne können wir in diesem Zusammenhang auch einen anderen Begriff verwenden: Petroimperialismus.

Mein Argument ist, dass die Gründe, warum der Petroimperialismus in Petrofaschismus kollabiert, der externe Aggression und internen Polizeiterror kombiniert, nicht auf schlechte Institutionen und den Mangel an Demokratie in diesem speziellen Land reduziert werden können. Der Fluch des Öls ist ein systemisches Problem des globalen Petrokapitalismus, der die unterschiedlichsten Formen von gegenseitigen Abhängigkeiten und Pipeline-“Freundschaften” hervorbringt. Eine sehr grobe Skizze der (un)menschlichen Geographien des Erdölhandels vor und während des Krieges kann helfen, diese globale Dimension zu erfassen.

Das Ökosystem des Todes

Was allgemein als “russisches Öl” bezeichnet wird, stammt meist aus Sibirien. Diese Region wurde vom 16. bis 18. Jahrhundert in mehreren Schritten vom russischen Reich erobert. Ein Prozess der Stadtentwicklung begann in den 1960er Jahren, als unter den Permafrostschichten riesige Ölfelder entdeckt wurden. Geologen, Ölmänner und Baumeister kamen, und die sowjetischen Industriestädte begannen in Sibirien zu wachsen. Schon lange vorher war die Region von indigenen Völkern bevölkert, deren Vertreter nach und nach verschwinden, weil ihre traditionellen, nachhaltigen Lebensweisen mit der Rohstoffindustrie, die ihre natürliche Umgebung einfach zerstört, unvereinbar sind – und das ist immer noch der Fall. Nicht nur Öl, sondern auch Gas, Diamanten, Gold und andere natürliche Ressourcen werden aus den Gebieten gewonnen, die in den verschiedenen historischen Perioden des russischen Reiches erobert, d. h. kolonisiert wurden.

Zurück zum Öl. Vor Februar 2022, als die russischen Streitkräfte in die Ukraine einmarschierten, floss das Öl von Sibirien und anderen Randgebieten nach Europa (über die Ukraine), während das Geld von Europa nach Moskau und von Moskau zurück nach Europa floss. Nach dem Februar 2022 fließt das Öl immer noch auf demselben oder fast demselben Weg von den Randgebieten nach Europa (über die Ukraine), und das Geld fließt immer noch von Europa nach Moskau. Doch anstatt als privates Kapital und Investitionen der Elite nach Europa zurückzukehren, wird das Ölgeld nun für den Krieg gegen die Ukraine ausgegeben. Was neben dem Öl aus den verschiedenen Regionen Russlands in die Ukraine fließt, sind die lebenden Körper der Menschen, die den größten Teil der Armee bilden. Was zurück nach Sibirien und in andere Regionen geht, ist die so genannte “Fracht 200”: die toten Körper der Soldaten.

So läuft die Maschinerie des Petroimperialismus weiter: Solange Öl gegen Geld getauscht wird, hat dieser bestimmte Petrostaat die Möglichkeit, den Krieg fortzusetzen; aber auch für die anderen Staaten bleibt eine weitere petrofaschistische Wende eine Möglichkeit.

Anm.d.Red: Dieser Text ist ein Beitrag zur “After Extractivism”-Textreihe der Berliner Gazette; seine englische Version ist auf Mediapart verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://after-extractivism.berlinergazette.de

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Oben       —     Plakat «Bald gehört die ganze Welt uns». [Jekaterinburg] : Ural-Abteilung von ROSTA, [1920]. Farblithographie, 1 Blatt, 35×53 cm

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Wir, die Guten

Erstellt von Redaktion am 4. November 2022

Putins Gas statt Bidens Bomben

Beim Tausch zwischen Klima und Gas verspricht Beides ein  Ende des Lebens. Nur Bomben bringen Geld – Klima kostet Geld

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Im Diskurs über den Europäischen Krieg ist das Meiste noch vom Kopf auf die Füße zu stellen / Die Ossis sind die besseren Wessis

Achtung, ein kapitaler Baerbock: „Sind die Deutschen bereit, für die Freiheit zu sterben? Wir sind es.“ [2] Dieser unsäglich dumme Spruch   – Zitat in Anführungszeichen!  – dient als Überschrift eines Artikels in der Neuen Zürcher Zeitung. Andernorts taucht er nicht auf; zuzutrauen ist er unserer Hasspredigerin im Außenamt allemal. Ein übler Treppenwitz, was diese Frau unter Diplomatie und außenpolitischer Strategie versteht. Kennen Sie den schon? „Wir sind die Guten!“ [3] Früher gab es für derart ungezogenes Lügen eins hinter die Löffel. Heute qualifiziert es für die Mitgliedschaft im Kabinett des roten Ampelmännchens. Grün ist die Heide drumherum; schafsköpfige Tagesschau-Redakteure weiden dort, intellektuell anspruchslose Wesen. Sie werden gebraucht, damit das deutsche Publikum fürs Einschlafen was zum Zählen hat.

Annalena Baerbock stellte das, was sie unter Außenpolitik versteht, erwartungsgemäß mit den angesagten Beiwörtern dar. „Feministisch“ soll ihre Politik sein. „Werteorientiert“. Und natürlich „regelbasiert“, wie little Blinken in Washington es vorbetet. Was eben ein Plappermaul so dahersabbelt, wenn der dranhängende Kopf nicht mal halbwegs intelligent verlogenen Formeln auf Lager hat. Es handelt sich bei Baerbocks Hudelei [4] halt doch nur um kitschige Stimmungsmache für die imperiale Machtpolitik der USA. Die mörderischen Folgen (fürs eigene Volk wie für die anderen) muss Baerbock mit dem schönen Schein unserer moralischen Überlegenheit tarnen, damit ja niemand dagegen aufbegehrt. Das ist ihr Job. Der Regierungsrundfunk, voran die Tagesschau, ist dabei wie immer der beste Helfer.

Baerbock im Bundestag:

„Wir sagen eben nicht: Wir konzentrieren uns nur noch auf das, was vor unserer eigenen Haustür passiert, was unglaublich wichtig ist, sondern ganz im Gegenteil: Genau in diesem Moment nehmen wir weiter unsere Verantwortung in der Welt wahr. ... Uns geht es auch darum, uns gemeinsam mit den Menschen vor Ort den Kräften entgegenzustellen, die nichts auf Menschenrechte geben, nichts auf Demokratie und nichts auf eine regelbasierte Ordnung.“ [5]

Von wem und was spricht die Frau? Ach so, sie ist darüber sauer, dass die Regierung des nordwestafrikanischen Staates Mali die Nase endgültig voll hat von den USA und deren Vasallen; dass man die Anwesenheit auch der Bundeswehr nicht mehr ertragen will und sich lieber vom russischen Militär unterstützen lässt. Die Hofberichterstatter der ARD-aktuell leisten Baerbock ideelle Schützenhilfe und applaudieren Baerbocks Geschwätz. Ungeprüft und ohne Gegenrecherche bei den Beschuldigten teilen sie mit, malischen Soldaten und russischen Sicherheitskräften werde „ein Massaker an etwa 300 Zivilisten vorgeworfen.“[6]

Was deutsche Soldaten in Mali eigentlich verloren haben, braucht die Tagesschau selbstredend nicht darzulegen. Erst recht nicht, was entschieden gegen diese Art Auslandseinsatz spricht.[7] Wo kämen wir da hin! Da würden ja sogar die urdeutschen Sofadrücker erkennen, dass „regelbasierte Ordnung“ ein Begriff aus der Gaunersprache ist und unter anderem den Raub fremder Rohstoffe verschleiert.[8] In diesem Fall malisches Uran, Gold und andere reiche Bodenschätze, die in Europa heiß begehrt sind.[9]

Mollusken im Ministeramt

Gleich nach ihrem Antrittsbesuch beim Amtsbruder, dem „lieben Tony“ Blinken, schleimte Baerbock hemmungslos:

„Wir sind Freunde und Wertepartner“.[10]

Sie ließ somit keinen Zweifel daran, was sie unter „wertebasierter“ Außenpolitik versteht: Sich der US-Elite als allzeit bereite Politmätresse anzudienen. Oder, wie ihr Kabinettskollege Habeck trefflich formulierte, „eine dienende Führungsrolle“ zu spielen.[11] Der Ami braucht noch nicht mal „bücken!“ zu rufen, B&H liegen ihm schon zu Füßen.

Die USA als „Wertepartner“ zu bezeichnen heißt, die monströsen Verbrechen ihrer Regierungen zu billigen: imperiale Kriege mit Millionen Toten, systematischen Völkerrechtsbruch, Massaker in aller Welt, Entführungen, Folterungen, Attentate, Rassismus, „erst schießen, dann fragen“-Unkultur, Ressourcen-Diebstahl, Todesstrafjustiz, Staatsterrorismus. Es heißt, den US-Versuch zu unterstützen, die Konkurrenten Russland und China mit militärischen Drohungen und Übergriffen sowie mit weltweit verheerender Sanktionspolitik niederzuringen.

Wer, wie die „ich-komm-eher-ausm-Völkerrecht“-Baerbock[12] von dort nichts weiter mitgebracht hat als sich selber, der übersieht natürlich das KZ Guantanamo, das Justizverbrechen an Julian Assange, die unzähligen Drohnenmorde unter dem Deckmantel „Krieg gegen den Terror“, die Finanzierung antidemokratischer Putschisten und Farbrevolutionen, die grobe rechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Länder. „Wertepartnerin“ Baerbock hat vermutlich nicht einmal auf dem Zettel, dass die Politik ihrer US-Freunde einer blutrünstigen Tradition folgt:  219 Mal in ihrer kurzen Geschichte haben die USA andere Länder angegriffen, ohne jemals selbst angegriffen worden zu sein.[13] (Der japanische Überfall auf Pearl Harbour war keine Ausnahme, sondern von Roosevelt herbeiprovoziert, um die kriegsunwillige US-Bevölkerung für einen Kriegseintritt zu gewinnen.[14],[15])

Mörderische Tradition

Insgesamt sind die USA seit dem Zweiten Weltkrieg wegen ihrer martialischen Überfälle auf andere Länder für den Tod von schätzungsweise 20 bis 30 Millionen Menschen verantwortlich.[16] Allein in den vergangenen 20 Jahren hat unsere westliche „Wertegemeinschaft“ vier Millionen Muslime umgebracht, vom Neugeborenen bis zum Greis; angeblich, um den weltweiten Terrorismus auszurotten. Baerbocks „Wertepartnerschaft“ erinnert wahrlich streng an Goethes Aphorismus über den Charakter:

Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist; weiß ich, womit du dich beschäftigst, so weiß ich, was aus dir werden kann.“ [17]

Es ist die wichtigste Aufgabe unserer längst gleichgeschalteten Massenmedien, das Verbrecherische am transatlantischen „Kampf für Demokratie und Menschenrechte“ nur ja nicht ins öffentliche Bewusstsein dringen lassen. Beim Täuschen, Fälschen und Desorientieren ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk Vorreiter. Tagesschau, Tagesthemen, Deutschlandradio und Deutsche Welle als vermeintlich seriöse Informationsquellen garantieren, dass die Hetze gegen Russland, China und andere missliebige Staaten professionell und effizient ausgeführt wird.

Der englische Dramatiker Harold Pinter erinnerte in seiner Rede zur Verleihung des Nobelpreises 2005 an das

„weitverzweigte Lügengespinst, von dem wir uns nähren“. Damit die Macht der herrschenden Eliten „erhalten bleibe, ist es unabdingbar, dass die Menschen unwissend bleiben, dass sie in Unkenntnis der Wahrheit bleiben“.[18]

Sachlichen, um Information und Aufklärung bemühten Nachrichtenjournalismus darf man vom Regierungsrundfunk nicht erwarten. Die Massenmedien verschwiegen zum Beispiel, dass die seinerzeitige Grünen-Doppelspitze Habeck und Baerbock schon lange vor den Bundestagswahlen zu würdeloser Liebedienerei bei den US-Amerikanern und zum Betrug am deutschen Wähler bereit war: Der Wunsch der Ukraine nach „Defensivwaffen“ sei angesichts der „russischen Bedrohung“ (!) „berechtigt“, man könne ihn „schwer verwehren“.[19]

Zu jener Zeit hatten die ukrainische Armee und die ihr angegliederten Neonazi-Regimenter bereits 14000 Ost-Ukrainer massakriert.[20] Für ein Ende der Schlächterei und für einen Friedensschluss mit den gepeinigten russisch-sprachigen Landsleuten gemäß dem Minsker Abkommen[21] haben sich die Spitzen der Grünen, der SPD, der FDP und der Union in Kiew nie stark gemacht. Im Gegenteil, sie haben es erst mit Poroschenko und dann mit Selenskyj sabotiert.

Kein Raum für Scham

Die USA haben Kiew von Anfang an unterstützt. Das Minsker Abkommen war ohne sie von Deutschland und Frankreich mit Russland verabredet und von Washington missbilligt worden. Habeck und Baerbock wussten davon und richteten sich danach. Beide machten devot kenntlich, dass ihre Agenda mit der des US-Präsidenten aufs Innigste harmoniert. Den Stopp von NordStream 2 inbegriffen.

Als US-Präsident Biden am 27.7.21 äußerte :

„Ich denke, es ist mehr als wahrscheinlich, dass wir in einem Krieg enden werden   – einem echten Krieg mit einer Großmacht   – …“ [22]

orientierte sich Großmaul Baerbock daran und tat sich mit Sprüchen wie „Russland ruinieren“ und es derart zu schädigen, „dass es volkswirtschaftlich jahrelang nicht mehr auf die Beine kommt“[23] hervor. Die Außenministerin schämte sich dieser einzigartig undiplomatischen Entgleisung nicht. Dass ihr blanker Russenhass, ausgelebt in Serien von völkerrechtswidrigen Sanktionen, inzwischen die deutsche Volkswirtschaft zum Abgrund treibt, den Russen nicht wirklich schadet, aber das Geschäft der Amis erblühen lässt, das nimmt sie hin. Hätte sie substanziellen politischen Anstand und Loyalität gegenüber ihrer eigenen Nation, wäre sie niemals Mitglied im wirtschaftselitären „Young Global Leaders“-Club des Weltwirtschaftsforums WEF geworden.[24]

Die politische Verbreitung von Falschaussagen war immer schon ein wesentlicher Teil des politischen Handelns !

Die von den Regierenden und ihren medialen Scharfmachern gepflegte Fiktion, dass die USA, die NATO und damit auch Deutschland sich nicht im Krieg mit Russland befinden,[25] ist längst als pure Heuchelei zu erkennen. Pech, dass US-Präsident Biden sich bereits im Übergang von der Senilität zur Debilität befindet und die wahren US-Ziele versehentlich erkennen ließ: erst mal Regime-Change in Moskau, danach Zerstückelung Russlands und Ausbeutung seiner gigantischen Ressourcen.[26], [27]

Das ist den amerikanischen Imperialisten das Risiko eines Atomkriegs wert   – fern der Heimat, versteht sich. Sie planen bereits seit Jahren den begrenzten Einsatz von Atomwaffen in einem Erstschlag. [28] In Rede ist ein Krieg, der Europa zerstört, aber die USA nicht tangiert.

Auf „Endsieg“

Der Diskurs über eine „schmutzige“ ukrainische Atombombe müsste die Bundesregierung veranlassen, eine Springflut diplomatischer Aktivitäten in Gang zu setzen; das wäre verantwortungsbewusste Politik. Mit den Grünen-Kriegstreibern in Berlin ist sie aber nicht zu machen. Baerbock setzt auf den Endsieg.

„Und ja, wir werden auch die Ukraine weiter intensiv mit Waffen unterstützen. Denn wir liefern nicht nur Rüstungsgüter in die Ukraine, um Menschenleben zu retten. Sondern mit diesen Lieferungen, so hoffe ich, geht auch ein Schub Vertrauen und Solidarität einher.“ [29]

Würstchen wollen seit jeher groß rauskommen. Friedensverhandlungen? Nichts da. Der Berliner Reichstagsrasen ist fascho-grün gedüngt, dort schießen die Gurken ins Kraut. Sie treiben   – siehe oben   – prächtige sprachlichen Blüten.

Unmoral und die Perversion jeglichen Rechtsbewusstseins sind US-Markenzeichen. Wovon unsere hörigen Staatsfunker gerne mit scheinobjektiver Berichterstattung über die „Freunde“ ablenken. Tagesschau-Beispiel:

Die US-Regierung hat zusätzliche Unterstützung für die Menschen in Afghanistan angekündigt. Sie stellt weitere 327 Millionen Dollar für humanitäre Hilfen bereit. Davon sollen auch Afghanen profitieren, die in die Nachbarländer geflohen sind.“ [30]

Welch US-amerikanische Großzügigkeit! Das bringt die Tagesschau ja prächtig rüber. Und unterschlägt zugleich die unumgängliche Information über den politischen Kontext: dass US-Präsident Biden als Rache für die Niederlage gegen die Taliban das afghanische Staatsvermögen beschlagnahmt hatte, 7 Milliarden Dollar. Statt Entschädigung für die Verwüstung Afghanistans im mehr als 20jährigen US-Terrorkrieg zu zahlen und echte Wiederaufbauhilfe zu leisten, betätigte sich Biden als Straßenräuber und Leichenfledderer. Und trieb die Scheinheiligkeit auf die Spitze: Seine Regierung werde die Hälfte der geraubten Beute, 3,5 Milliarden Dollar, an die Hinterbliebenen des Anschlags auf die Zwillingstürme in New York („9/11“) auszahlen. [31] Obwohl Afghanistan erweislich nichts mit jenem Terrorakt zu tun hatte, den der Verbrecher George Dabbeljuh Bush nur als Vorwand für seinen Angriffskrieg brauchte. [32]

Afghanistan ist heute, nach den Worten David Beasleys, des Exekutivdirektors des Welternährungsprogramms,

„die Hölle auf Erden, die größte humanitäre Krise der Welt“. [33]

Zwanzig Millionen Menschen   – fast die Hälfte der Bevölkerung   – leiden akut unter Hunger. Es mehren sich Berichte über Verzweifelte, die eine ihrer Nieren anbieten, um an Geld für Lebensmittel zu kommen. [34] Keine Frage, dass es viele Interessenten an diesem Organhandel gibt.

Partner? Komplize!

Deutschland kann bezüglich unmenschlicher Politik mit den Amis aber mal wieder gut mithalten. Aydan Özoğuz (SPD), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages:

„Es liegt auf der Hand, dass Deutschland der Taliban-Regierung überhaupt kein Geld direkt zukommen lassen kann. Denn dieses käme kaum dort an, wo wir uns das wünschen. Darum ist es undenkbar, dass ein Regime nach Art der Taliban Gelder aus Deutschland in Empfang nehmen und dann unkontrolliert verteilen sollte.“ [35]

Wer‘s nicht fassen kann, schaue nach Syrien. Die USA hatten unter lebhafter EU- und deutscher Mitwirkung versucht, die Regierung in Damaskus zu stürzen. Zur Ablenkung vom eigenen Völkerrechtsbruch ließen die christlichen Kreuzritter die Drecksarbeit von Kopfabschneidern der IS-Dschihadisten erledigen. Der Umsturzversuch misslang, weil die Regierung Assad sich Hilfe aus Russland holte.

Dafür strafte sie der Westen mit vernichtenden Sanktionen. Die bereiten der syrischen Zivilbevölkerung unvorstellbares Leid. Es herrscht Hunger im Land am Euphrat. Syrien hat zwar reiche Öl- und Gasquellen, doch die sind von US-Militär besetzt. Dessen Soldaten begleiten mehrmals wöchentlich kilometerlange Tanklaster-Konvois mit geraubtem syrischem Öl in den Irak und in die Türkei.[36] Den Verkaufserlös, kürzlich vom Außenministerium in Damaskus mit 107 Milliarden US-Dollar beziffert, entziehen die USA der darbenden syrischen Bevölkerung und sacken ihn selber ein.[37]

Schlimm, das alles. Aber wo bleibt die Pointe? Ja richtig, da war doch Baerbocks russophober Beißreflex: Putin führe mit seiner Blockade des Getreideexports der Ukraine einen „Hungerkrieg“ gegen die notleidenden Menschen in der Dritten Welt.[38] Und wieder erweist sich, dass die ARD-aktuell-Redaktion in Berlin (und Hamburg) dafür Belege hätte verlangen müssen, statt sich als kritikloser Transporteur volksverhetzender Propaganda zu bewähren.

„Die Hauptziele für den laufenden ukrainischen Getreideexport lagen im Juli und im August allerdings nicht in den Hungergebieten Afrikas. Hauptabnehmer von ukrainischem Weizen und Mais war vielmehr die Türkei. … Danach folgen verschiedene EU-Länder.“ [39]

Die Tagesschau hätte gemäß ihrer Sorgfaltspflicht (Medienstaatsvertrag, § 6)[40] Putins Begründung für das Aussetzen des Getreide-Abkommens objektiv und vollständig übermitteln müssen: nicht nur hatte er ukrainischen Angriffe auf den Hafen Sewastopol und auf den Schutzkorridor für den Getreideexport genannt, sondern auch, dass das Abkommen seine humanitären Ziele verfehlt habe. [41]

Ossis gehen auf die Straße

Im Osten unserer Republik wächst der Widerstand gegen die antirussische Politik der Ampel. An den Demonstrationen beteiligen sich Tausende, und von Woche zu Woche werden es mehr. Viele Ossis haben tieferen politischen Durchblick als ihre Landsleute im Westen, im kritischen Urteil über Politiker und deren Wirken sind sie geübter. Sie sind erheblich stärker sozial sensibilisiert als die meisten Wessis; der Schaden, den Habeck und Baerbock verursachen, trifft sie zudem härter. Sogar die Tagesschau kam nicht umhin, über den Volkszorn zu berichten.[42]

Auch Dämlichkeit ist ein Menschenrecht. Niemand außer uns Wählern kann Habeck und Baerbock daran hindern, sich als subalterne Hanswurste in den Dienst der USA zu stellen. Aber von öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalisten muss man verlangen, dass sie der quasi regierungsamtlichen Hetze gegen „Feind“-Staaten entgegentreten. Merksatz, wie im Titel oben: Putins Gas ist besser als Bidens Bomben. Haben wir das geschnallt, Annalena? Capito, Zamperoni?

Quellen und Anmerkungen

[1] https://www.bundestag.de/resource/blob/880830/992e5c6be63dc8719477d83d61e70162/WD-2-085-21-pdf-data.pdf

[2] https://www.nzz.ch/international/deutschland-osteuropaeer-und-balten-misstrauen-den-deutschen-ld.1708005?reduced=true

[3] https://www.nachdenkseiten.de/?p=83934

[4] https://www.wortbedeutung.info/hudeln/

[5] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/baerbock-bt-minusma/2526052

[6] https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/bundeswehr-mali-161.html

[7] https://www.labournet.de/interventionen/kriege/antimili-all/massive-kritik-an-der-fortsetzung-des-kriegseinsatzes-was-soll-die-bundeswehr-in-mali-schuetzen-die-wehrdoerfer/

[8] https://www.wiwo.de/politik/europa/frankreich-der-rohstoffkrieg-in-mali/7629346.html

[9] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mali-das-sagenhafte-reich-voller-gold-und-bodenschaetze-12024831.html

[10] https://www.rnd.de/politik/usa-baerbock-auf-auslandsreise-ukraine-und-klima-als-hauptthemen-QF5RCJ6MC5HUTEMSVAM46KYDNQ.html

[11] https://www.focus.de/politik/deutschland/besuch-in-den-usa-habeck-sieht-deutschland-in-einer-dienenden-fuehrungsrolle_id_61552626.html

[12] https://www.youtube.com/watch?v=nOMW8Kn4OLw

[13] https://forum.beobachter.ch/forum/thread/18765-usa-%C3%BCber-200-kriege-seit-ihrer-gr%C3%BCndung/?pageNo=4

[14] http://www.studien-von-zeitfragen.de/Mnemeion/Hehre_Kunst_der_Provokation/hehre_kunst_der_provokation.htm

[15] https://www.sscnet.ucla.edu/polisci/faculty/trachtenberg/methbk/ickes.pdf

[16] https://www.youtube.com/watch?v=ks7hznOfTkU

[17] https://www.aphorismen.de/zitat/176

[18] http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Friedenspreise/nobel-lit-pinter.html

[19] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_90102198/klima-ukraine-und-nord-stream-2-die-ploetzliche-amerika-liebe-der-gruenen.html

[20] https://www.ohchr.org/sites/default/files/Documents/Countries/UA/29thReportUkraine_EN.pdf

[21] https://de.wikipedia.org/wiki/Protokoll_von_Minsk

[22] https://www.news.at/a/usa-biden-krieg-12180967

[23] https://www.focus.de/kultur/kino_tv/tv-kolumne-anne-will-baerbock-will-dass-russland-nicht-mehr-auf-die-beine-kommt_id_92735159.html

[24] https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/annalena-baerbock/fragen-antworten/sehr-geehrte-frau-baerbock-wie-wird-ihre-mitgliedschaft-im-young-global-leaders-des-weltwirtschaftsforums

[25] https://taz.de/Geostrategie-im-Ukrainekrieg/!5860826/

[26] https://www.srf.ch/news/international/regimewechsel-gefordert-viel-wirbel-um-den-schlusssatz-des-us-praesidenten-in-warschau

[27] https://www.extremnews.com/berichte/weltgeschehen/4ea1827e57f27f

[28] https://www.youtube.com/watch?v=_7R-0unFGgE

[29] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/-/2559154

[30] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/us-hilfen-afghanistan-101.html

[31] https://www.watson.ch/international/usa/574666678-usa-wollen-afghanische-milliarden-an-9-11-opfer-zahlen

[32] http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Terrorismus/martin.html

[33] https://progressive.international/wire/2022-08-23-to-end-hell-on-earth-the-us-must-free-afghanistans-7bn-reserves/de

[34] https://www.spiegel.de/ausland/hungerkrise-in-afghanistan-ich-habe-die-niere-meines-sohnes-verkauft-um-uns-alle-zu-retten-a-fb6b5a08-4da8-450c-a8bb-8da275653bf1

[35] https://www.dw.com/de/finanzsanktionen-gegen-taliban-unmenschlich/a-60781910

[36] https://thecradle.co/Article/News/17455

[37] https://globalbridge.ch/so-leiden-in-syrien-die-menschen-unter-den-westlichen-sanktionen/

[38] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/getreideabkommen-russland-reaktionen-103.html

[39] https://www.agrarheute.com/management/agribusiness/verkauft-ukraine-getreide-afrika-597271

[40] https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/Medienstaatsvertrag_MStV.pdf

[41] https://meinungsfreiheit.rtde.life/international/153077-putin-verdeutlicht-position-zum-getreide/

[42]https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/proteste-energiepolitik-105.html

Anmerkung der Autoren: Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

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Grafikquellen          :

Oben     —    Церемония открытия газопровода «Северный поток».

2.) v0n Oben       —       Poster der Ausstellung

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Rede von F.-W. Steinmeier

Erstellt von Redaktion am 1. November 2022

Der wahre Epochenbruch ist viel größer

Warum wird das Walterchen immer nach rechts gedrängt ?

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Der Bundespräsident hat sich diese Woche endlich zu einer lange erwarteten Grundsatzrede durchgerungen. Er verkündete harte Wahrheiten. Oppositionsführer Merz dagegen erzählt weiter beruhigende Märchen.

Diese Woche ist unter anderem Folgendes passiert: extreme Überschwemmungen in Nigeria, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Choleraepidemie auslösen werden . Derweil fällt der Mississippi in den USA trocken. Das Salzwasser aus dem Golf von Mexiko ist schon 100 Kilometer weiter ins Landesinnere der USA vorgedrungen  als normal. Pakistans Regierung schätzt die Schäden durch die Überschwemmungen von vor drei Wochen (erinnern Sie sich noch?), auf mehr als 40 Milliarden Dollar .

Stellen Sie sich bitte einen Globus vor, und darauf drei rote Punkte, die den Süden der USA, Nigeria und Pakistan markieren. Bis in zehn Jahren, wenn die 1,5-Grad-Schwelle mit hoher Wahrscheinlichkeit überschritten sein wird, werden sich die Katastrophen, die jetzt schon den Globus überziehen, in atemberaubendem Tempo vermehren, wie Windpocken. Immer mehr rote Punkte, überall.

Auf die Welt kommen deshalb nie dagewesene Wanderungsbewegungen  zu, und zwar in sehr naher Zukunft, nicht erst 2050.

»Das Fenster, das sich schließt«

Hierzulande, überall im sogenannten Globalen Norden wird aber weiterhin so getan, als hätten wir noch Zeit.

Die Uno hat gerade auf bittere Weise festgehalten, dass das ein Irrtum ist. Die derzeitigen Vorsätze – nur die Vorsätze! – der Länder dieser Welt reichen bei Weitem nicht, um das Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, die Erde nicht mehr als 1,5 Grad heißer werden zu lassen als vor der Industrialisierung.

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Politik & Macht bis es kracht

Erstellt von Redaktion am 31. Oktober 2022

Weder Russland noch Ukraine, NATO oder EU –
Von Opa Baerbock zum antimilitaristischen Widerstand

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Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von    :    Gerald Grüneklee

„Aus historischer Sicht sind die schrecklichsten Dinge – Krieg, Völkermord und Sklaverei – nicht auf Ungehorsam, sondern auf Gehorsam zurückzuführen.“ Howard Zinn.

„Jeder Staat muss, auf die Gefahr des eigenen Untergangs, des  Geschlucktwerdens von Nahbarstaaten hin, nach absoluter Macht streben, und wenn er mächtig geworden ist, muss er sich auf die Karriere des Eroberers einlassen, damit er nicht selbst erobert wird; denn zwei ähnlich starke, aber einander fremde Mächte können nicht koexistieren, ohne den Versuch zu unternehmen, einander zu zerstören“ (Michael Bakunin)Als vor rund 250 Jahren, in den 1770er Jahren, Österreich in Bayern einmarschieren wollte, wurde diesem dem preussischen König zu viel. Er sah die Österreicher schon auf dem Durchmarsch nach Preussen und marschierte seinerseits in Böhmen ein. Ähnliche Beispiele lassen sich zahlreich in der Geschichte finden, bis in die Gegenwart. Was wir daran sehen? Herrscher – nicht nur Adlige – können sehr empfindlich sein, wenn jemand ihrem Herrschaftsgebiet zu nahe kommt. Das wissen sämtliche Machthaber, denn sie sind alle aus ähnlichem Holz geschnitzt. Wenn also die eigene Machtsphäre ausgedehnt wird, ganz gleich, ob auf militärischem oder vertraglichem Weg, so weiss jeder Fürst oder König oder Regierungschef, dass er damit die Gegenseite provoziert. Dieses Risiko wird, um der eigenen Machterweiterung willen, billigend in Kauf genommen. Aber Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind natürlich rein zufällig und nicht beabsichtigt…

„Putin-Versteher“?

„Bist Du jetzt auch ein Putin-Versteher?“, fragte mich neulich eine Freundin. Wenn Verstehen heisst, etwas aus einer Binnenlogik – also in Putins Fall aus der Staatsführer-Perspektive – nachvollziehen zu können, dann bin ich das. Oft verwechselt wird verstehen mit akzeptieren, gutheissen oder gar mögen. Als Gegner von Staat und Herrschaft mag ich keine Staatschefs, schon gar keine Machos á la Putin oder Selenskyj, der vom ersten Tag an nur noch im olivgrünen Shirt zu sehen ist (hat er eigentlich mehrere davon?). NATO; EU und die Ukraine selbst haben massiv zur Konflikteskalation beigetragen, mit dem Brechen von Versprechungen, der Verweigerung diplomatischer Gespräche wie mit der offensiv angestrebten Osterweiterung von NATO und EU, sowie allerlei Provokationen. Wenn nun polnische Politiker als Statement zur Sabotage an den Nord Stream-Gasleitungen „Danke USA“ twittern (so Radek Sikorski, ein polnisches Europaparlament-Mitglied), so ist dies Öl auf die Mühlen.

Wenn Russland dann Polen den Krieg erklärt (da man derart an der Erfüllung der seit Beginn des Ukraine-Einmarsches bestehenden Befürchtung arbeitet) , wird sich Polen ebenso als unschuldiges Opfer darstellen wie es die Ukraine tat. Das alles macht einen Angriffskrieg – nicht nur den Putins – nicht minder verabscheuungswürdig. So, ich hoffe, das ist damit geklärt. Aber – warum muss man sich eigentlich dazu immer erst erklären, wo es doch offenkundig ist, dass Menschen einen missverstehen wollen. Man muss dieses Missverstehen-wollen (wenn ich beispielsweise ernsthaft gefragt werde, ob ich als Antimilitarist nun die „Ukraine an Russland ausliefern will“), als Machtdiskurs deuten: es gibt eine vorherrschende Meinung, damit eine Deutungshoheit. Wer sich dieser Deutungshoheit nicht beugen will, muss sich allen möglichen und unmöglichen Vorwürfen aussetzen, mit dem Ziel, diese Person um jeden Preis zu diskreditieren und auszugrenzen – wir kennen das vom Corona-Thema, und ich werde noch darauf zurückkommen, wie dies mit den Meinungshoheiten zusammenhängt, die wir jetzt beim Ukraine-Krieg erleben.

Politik & Macht – Das Beispiel Ukraine

Staaten brauchen Militär und Kriege, und natürlich gibt es Wirtschaftszweige, allen voran die Rüstungsindustrie, die daran gut verdienen: Krieg – auch schon die latente Drohung damit, die psychologische Kriegsvorbereitung, das ist ein hervorragendes Geschäft. Eine in Nationen aufgeteilte Welt, staatliche Gewalt und Herrschaft und das kapitalistische Wirtschaftssystem hängen in der Welt der modernen Kriege untrennbar zusammen. So legitimieren die Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr seit Beginn der 1990er Jahre den „ungehinderten Zugang zu Rohstoffen“ als legitimen Kriegszweck der Bundeswehr – also exakt das, was Putin betreibt.

Gegen das Militär zu sein, also antimilitaristisch zu sein heisst nach meinem Verständnis allerdings nicht, grundsätzlich gegen jede Waffengewalt zu sein. Wenn ich etwa an mittelamerikanische Befreiungsbewegungen in den 1980er Jahren oder an die Spanische Revolution ab 1936 denke, so wurden Waffen in erster Linie nicht benutzt, um zu töten, sondern um Leben zu ermöglichen, und zwar gegen die staatliche Gewalt. Ich denke, das ist ein wesentlicher Unterschied zu dem, was wir derzeit erleben.

Denn in der Ukraine gibt es keine soziale Revolution, die es zu verteidigen gilt. Der Ukraine-Krieg ist ein Krieg im Namen der Macht. Um Rohstoffe (Russland liegt am Zugang zur Getreidekammer Ukraine ebenso wie am Zugriff auf die Bevölkerung, da Russland mit seiner Bevölkerungszahl von rund 140 Millionen Menschen im Vergleich zu den USA und EU schlicht zu klein ist für eine Grossmacht im 21. Jahrhundert), aber auch um die ideologische Macht, um die historische Erzählung.

Auf Seiten aller Beteiligten geht es um Machtpolitik, um Wirtschafts- und Rohstoffpolitik, um Geschichtspolitik. Und so sehr es ein vollkommen absurder Kriegsvorwand von Putin ist, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen (zumal auf russischer Seite ebenfalls reichlich Nazis kämpfen), so ist der rechte Einfluss in der Ukraine kaum zu überschätzen. Das fängt mit dem massiven Personenkult um den Nazi Stepan Bandera an, nach dem Hauptstrassen und Plätze in grossen ukrainischen Städten benannt sind und von dem der ehemalige ukrainische Botschafter in Berlin, Melnyk, ein grosser Fan war.

Es geht weiter bei beliebten rechtsradikalen Bands, die Hitler und Mussolini verehren, sich als „Helden des Maidan“ und „Verteidiger der Ukraine“ verstehen und Kiew zu einer „Hauptstadt der Neonazimusik“ machen (Bundeszentrale für politische Bildung. 30.10.2020). Und es hört bei den neofaschistischen Kampfverbänden, die einen Teil ihrer von EU und NATO so grosszügig zur Verfügung gestellten Waffen an organisierte rechtsextreme Strukturen in Mitteleuropa abgeben, nicht auf. So gibt es eine „private“, aber mit den ukrainischen Behörden verwobene „Friedensstifter“-Liste, die vermeintliche „Staatsfeinde“ auf eine Website öffentlich präsentiert – mehrere von ihnen, darunter kritische Journalisten, wurden bereits von Nationalisten ermordet.

Dazu kommt: Selenskyijs Zustimmungswerte gingen vor dem Krieg zurück (von 73% im Frühjahr 2019 auf 23% im Januar 2022). Er hatte deshalb gar kein Interesse an einer diplomatischen Verhinderung des Krieges, da er einen Krieg zur Absicherung seiner Macht nutzen konnte. Die Bundeszentrale für politische Bildung wies noch am 19.10.2021 auf Selenskyijs Korruption hin. In den „Pandora Papers“ stand die Ukraine auf dem ersten Platz bei der Zahl korrupter Amtsträger. 41 Millionen Dollar soll Selenskyij bekommen haben, überwiesen von dem dubiosen Oligarchen Ihor Kolomojskyj.

Dieser finanzierte auch Selenskyijs Wahl 2019, und übrigens u.a. das ultranationalistische und stark antisemitische, nun in die offiziellen ukrainischen Streitkräfte integrierte Asow-Regiment – nicht nur Russland hat eben Oligarchen, bloss wurden die Vermögen der ukrainischen nicht vom Westen beschlagnahmt (weshalb Selenkyij seine 3 Londoner Luxuswohnungen und seine italienische Ferienvilla behalten darf).

Das darf alles nicht verwundern: Selenskyijs Politik ist strikt neoliberal. So war seine „Landreform“ faktisch ein gigantischer Landverkauf. „Zehn Unternehmen kontrollieren 71 % des ukrainischen Agrarmarktes, wie aus den Statistiken des Ukrainischen Getreideverbandes (UGA) hervorgeht. Neben der ukrainischen Oligarchie sind auch multinationale Konzerne wie Archer Daniels Midland (ADM), Bunge, Cargill, Louis Dreyfus und das chinesische Staatsunternehmen COFCO aktiv“ Selenskyijs massive Privatisierungen waren zwar im Interesse von IWF und Weltbank, aber nicht – siehe Zustimmungswerte – der (vermeintlich) „eigenen Bevölkerung“. Diese sah darin nämlich einen Ausverkauf, gar „Verrat“, der im Widerspruch zu seiner nationalistischen Ideologie stünde. Auch deshalb war Selenskyijs Macht zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs durchaus wackelig.

So oder so ist die Ukraine, als „Grenzland“ (so die Bedeutung von Ukraina) als „Land am Rand“ lediglich ein Spielball der Supermächte, bedroht von einer „doppelten Kolonisierung“ (Slavoj Zizek, zwischen Russland und der NATO. So wird Selenskyij nach dem Krieg, sollte der Westen gewinnen, ohnehin bestenfalls noch eine Marionette sein, zu sehr hat er seine Abhängigkeit vom Westen gezeigt, zu massiv sind die wirtschaftlichen Interessen vor allem der USA (die sich den Krieg im Namen ihrer Interessen nicht zuletzt von Deutschland bezahlen lassen, während sie von einer kommenden europäischen Wirtschaftskrise profitieren werden).

Insbesondere die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine wird dabei als „Schlüssel zur regionalen und globalen Vorherrschaft der USA“ betrachtet, so der Ökonom Jeffrey David Sachs (Berliner Zeitung, 30.6.2022). Das ist eine klare Kampfansage gegen Russland. Es geht beim Krieg in der Ukraine also nicht etwa um Menschenrechte (nicht einmal als Alibi), sondern um politische, auch um geopolitische, und um ökonomische Machtinteressen. Dafür wird die Gefahr eines Atomkrieges vom Westen ebenso in Kauf genommen wie die weitere Spaltung der Welt, ungeachtet der Probleme, die eigentlich nur gemeinsam zu lösen wären (Klimakrise, Umweltzerstörung, schwindende Ressourcen, Pandemien, wachsende Armut, Digitalisierung etc.).

Warum auf eine Seite schlagen?

Wenn also Staaten gegeneinander Krieg führen, dann ist das die eine Sache. Doch warum also sollte jemand sich auf eine Seite der Kriegsparteien schlagen? Und warum sollte dies jemand in Deutschland tun, einem Land, das doch ein paar Jahrzehnte lang einen eher pazifistischen Ruf hatte? Ein Blick auf die ehemalige „Sonnenblumen-Partei“, die jahrelang mit der Friedensbewegung eng verwobenen „Grünen“ ist aufschlussreich. Annalena Baerbock weiss, was russische Besatzung bedeutet, nämlich erschossene Zivilisten und vergewaltigte Frauen“ (Zeit online, 1.7.2022). Das ist zwar richtig und verabscheuungswürdig, ist allerdings „Normalität“ jedes Krieges und war allerdings bei den „humanitären Hilfseinsätzen“ der Bundeswehr etwa in Afrika auch nicht anders. Baerbock muss aber an ihren Opa denken, der „als geschlagener Soldat“ (Rede am 9.5.2022 in Frankfurt/ Oder) aus dem Russlandfeldzug zurückkam. Nun, Opa Waldemar war kein einfacher Soldat, er war Wehrmachtsoffizier.

Wenn Baerbock nun „Russland ruinieren“ will, so klingt darin doch noch eine späte Rache an, und mit dieser Stimmung holt sie offenbar immer noch (zu) viele Deutsche ab. Die Grünen sind damit wieder an ihrem Ursprung angekommen, denn was heute den wenigsten bewusst ist: in der Gründungsphase der Partei spielten Rechte eine wichtige Rolle, das Bild einer friedensverliebten Partei war also immer allenfalls nur ein Teil der Wahrheit. Nun erleben wir, dass sich diese Partei wieder positiv auf die Wehrmacht bezieht und die NS-Verbrechen verleugnet. Noch in der Rede vom russischen „Vernichtungskrieg“ werden die Wehrmachtsverbrechen unerträglich verharmlost, und dies ohne hörbaren Widerspruch. Die Grünen forcieren damit eine geschichtspolitische Wende hin zur offensiven Militarisierung der deutschen Politik.

In der späten deutschen Abrechnung mit Russland wird allerdings verdrängt, dass Russland die meisten Weltkriegsopfer hatte (mehr als Nazi-Deutschland), und dass die Deutschen für unzählige Massaker verantwortlich sind. Das schrecklichste aller Massaker fand im ukrainischen Babyn Jar nahe Kiew am 29. und 30.9.1941 statt, über 33.000 Juden wurden innerhalb von 2 Tagen umgebracht. Dies geschah mit eifriger Unterstützung ukrainischer Hilfskräfte und unter dem Beifall von Teilen der örtlichen Bevölkerung, die auch Tage und Wochen danach noch untergetauchte Juden denunzierte und so dem sicheren Tod auslieferte bzw. Juden gleich selbst erschlug (Andreas von Westphalen auf Telepolis, 22.10.2021; Bert Hoppe für Bundeszentrale für politische Bildung, 10.8.2021). Auch der in der Ukraine bis heute so verehrte Faschistenführer Bandera unterstützte die Wehrmacht. Zwar wurde Bandera später von den Nazis inhaftiert – allerdings als „Ehrenhäftling“, sie wussten, was sie an ihm hatten -, aber nur weil er, der extrem nationalistisch war, einen eigenen faschistischen Staat ausrufen wollte. Übrigens: Annalena Baerbock besuchte im April 2022 Estland. Bestandteil war ein Besuch des Denkmals für die Opfer des Kommunismus (Tagesspiegel, 23.4.2022). Ein Denkmal für die vom Nationalsozialismus ermordeten Juden oder die Gedenkstätte am estnischen KZ-Aussenlager Klooga besuchte sie nicht. Auch eine Aussage.

Frieden schaffen mit noch mehr Waffen?

Warum also sich auf Seiten einer Kriegspartei schlagen? Ist nicht die Entscheidung für oder gegen Nationalismus und Militarismus aus Sicht der Bevölkerung, die schliesslich die Kriegskosten zahlt – und das sind nicht nur steigende Energiepreise – viel sinnvoller? Die Profiteure des Kriegs sind die Rüstungsindustriellen, jene, die Zerstörung brauchen, um am Wiederaufbau zu verdienen (internationale Baukonzerne z.B.), um Lebensmittelpreise schachernde Hedgefonds usw., es ist aber nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Diese sollte wissen: Waffen bringen in der Regel immer nur noch mehr Waffen, und damit noch mehr Tote, hervor. Übrigens auch indirekt, denn das Militär ist selbst in Friedenszeiten (und wann herrscht je Frieden in der Welt?) für 5% der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich – der Klimawandel bringt seinerseits dann wieder neue Kriege um Ressourcen hervor, ausserdem Klimaflüchtlinge, gegen die die Grenzen dann wiederum militärisch verteidigt werden, statt diese Menschen, deren Lebensgrundlagen der Westen mit seinem Raubbau zerstörte, zu unterstützen.

Also: warum sollten wir dies alles – egal auf welcher Seite – noch unterstützen? In jeder Gesellschaft und zu jeder Zeit gibt es Dinge, die Menschen verbinden und Dinge, die Menschen trennen (Daniel Korth, Graswurzelrevolution Nr. 470) – warum sollten wir uns am inhumanen Trennen beteiligen? Warum nicht lieber das Verbindende suchen? Übrigens, Leidtragende von Sanktionen sind nicht in erster Linie Putin und seine Oligarchen – es ist die einfache Zivilbevölkerung, die vielfach gegen Putin eingestellt ist. Baerbock & Co. sind die möglichen Hungertoten jedoch herzlich egal – die Russen müssen dafür zahlen, dass sie, Opa Baerbock lässt grüssen, den Zweiten Weltkrieg gewannen und nun auch wieder – wie Annalena Baerbock bereits im Mai 2021 in einem Gespräch bei der einflussreichen, NATO-nahen US-Denkfabrik „Atlantic Council“ betonte, als Russen „in einem strategischen Kampf mit uns sind“. Neben Russland ist ihr auch China ein „Systemrivale“ (so Baerbock beim G7-Treffen im Dezember 2021).

Zu Baerbocks Engagement in einflussreichen Lobbyorganisationen gehört auch, dass sie 2020 für das Programm Young Global Leaders durch das World Economic Forum (WEF) nominiert wurde. Zurück zum Krieg: jene Soldaten, die da von deutschen Waffen massakriert werden, sind nicht die Oligarchen – es sind Rekruten, die Putin gezielt nicht aus den Grossstädten, sondern aus den ärmsten Teilen des Landes in die Ukraine schickt (n-tv, 4.8.2022). Es sind, wie so oft in der Weltgeschichte, wieder einmal die Ärmsten, die als erste den Kopf hinhalten müssen für die Interessen der Mächtigen.

Corona & der Krieg

Warum nun ist in Deutschland so wenig Widerspruch gegen den Krieg in der Ukraine sicht- und hörbar? Nun, wir leben im Grunde seit 2020 in einem mentalen Kriegszustand, denn damals wurde der „Krieg gegen das Virus“ (so u.a. Frankreichs Präsident Macron) ausgerufen. Als „Pearl Harbor-Moment“ bezeichnete Trumps Gesundheitsbeauftragter das Virus und verglich es so mit dem Angriff Japans auf die USA. Die Bundeswehr betrieb Akzeptanzschaffung und machte (bis zum Ukraine-Krieg) auf „Corona-Amtshilfe“. Wer abweichende Meinungen hatte, war schnell „Leugner“, „Schwurbler“, „Covidiot“, ein irrer „Aluhut“, der in die Psychiatrie gehört, und sowieso irgendwie „rechts“ (das durch diesen Diskurs wie auch die wegtauchenden, anpasslerischen, verängstigten „Linken“ die Rechten erst stark gemacht werden ist offenkundig – die Rechten können sich da wirklich die Hände reiben, aus eigenen Kräften bekommen sie einen derartigen Aufschwung nicht hin ). Die Beleidigung ersetzte das Argument. Auch wohl begründete abweichende Meinungen wurden nicht nur diffamiert und Menschen damit ausgegrenzt, sondern dies konnte auch massive persönliche Folgen haben.

Ich weiss von gekündigten Journalisten, von eingeschüchterten Pflegekräften, von Künstlern, denen Auftritte gekündigt wurden und von Solchen, die sich nicht trauten, sich zu äussern, aus Angst vor den finanziellen und beruflichen Folgen. „Nur noch 45% der Deutschen geben bei Allensbach an, frei und ohne besondere Vorsicht ihre politische Meinung zu äussern“ (Berliner Zeitung, 24.8.2021). Da sind natürlich auch Menschen dabei, die ernsthaft verschwörungsgefährdet, abweichende Anschauungen als Resultat der „Lügenpresse“ verunglimpfen und deren Meinungen man lieber auch nicht hören mag, dennoch ist dieser Prozentsatz hoch. Dabei wäre es angezeigt, gerade in Krisenzeiten kritisch zu denken, denn in jedem Krieg – auch gegen das Virus – ist die Wahrheit eines der ersten Opfer. Die durch die digitalen Medien verschärften, hysterischen Anfeindungen sind nun ähnlich im Ukraine-Krieg zu beobachten. „Kritische Stimmen werden mundtot gemacht oder auf schwarze Listen gesetzt“ (Berliner Zeitung, 13.8.2022).

Die Erklärung des inneren Ausnahmezustandes bereitete die Zustimmung zum äusseren Krieg vor, mehr noch: Kriege sind nicht einfach eine Form der Aussenpolitik, sie sind eine Konsequenz der Innenpolitik, und ohne die innere Mobilisierung nicht zu gewinnen. Wie beim Virus (vgl. z.B. die „ZeroCovid“-Kampagne) geht es nun auch in der Ukraine um den totalen Kampf, für den alle Mittel recht sind, und um den totalen Sieg. „Für oder gegen Lockdown und Impfpflicht“, Für oder gegen die Ukraine“ (= „Gut oder Böse“): unter dieser debattenfeindlichen, einschüchternden Polarisierung geht es nicht, doch wird diese einfache und grobe Schwarz-Weiss-Malerei der Wirklichkeit nicht gerecht, wie sich vielleicht schon anhand meiner Ausführungen zeigt.

Auch in anderer Hinsicht war die Corona-Politik eine mentale Vorbereitung auf das, was wir jetzt erleben. Schliesslich ging es seit 2020 nicht mehr darum, ein kommunikatives, lustvolles, soziales Leben zu führen, nein, dies war verpönt. Anpassung wurde nun zur „Selbstfürsorge“ aufgewertet. Einschliessen und (mehr oder minder) „freiwilliges Isolieren“ waren angesagt, der Verzicht auf lustvolles Erleben und Genuss wurde propagiert, moralisierendes „Wir müssen Oma schützen“, „solidarisch sein“, das waren die Stichworte. Und nun: dasselbe in – buchstäblich! – grün: wieder haben „wir“ zu verzichten, um „solidarisch zu sein“, erleben moralisierende Diskurse, um „unsere Werte“ durchzusetzen, sollen frieren für die Ukraine. „Solidarität“ wurde zur Drohung, zur Ausschlussformel – für Ungeimpfte oder für russische Menschen gilt sie nicht (apropos „solidarisch Impfen“: Corona-Impfstoffe aus Russland wurden ungeachtet ihrer seit 2021 erwiesenen Wirksamkeit in Deutschland nicht zugelassen). Überall nur Entbehrungen und Enthaltsamkeit, wenn das mal keine „christliche Leitkultur“ ist: Predigen und Fasten. Abstand halten und zusammenrücken, das sind die zwei Seiten der neuen Medaille.

Seit 2020 gibt es statt buntem, freudvollem Leben nur noch nacktes Überleben, und der deutsche Gesundheitsminister stellt dies auch für die Zukunft in Aussicht, kommen wir doch in eine weltpolitische Phase, „wo der Ausnahmezustand die Normalität sein wird“ (Karl Lauterbach, 13.3.2022). Es gibt nur noch eine Wahrheit, und der verhelfen notfalls „Faktenchecks“ zur Gültigkeit. Die Lage scheint fast ausweglos, das Virus ist überall, der Russe womöglich auch, dagegen helfen, wird uns erzählt, neben der Digitalisierung – von der Corona-App bis zur Satellitenüberwachung und militärischen Drohne – nur schwere Geschütze, die biochemische Keule oder die Flak. Die vorläufige Corona-Feuerpause wird nun vom medialen wie militärischen Waffeneinsatz gegen Russland überlagert. Um noch eine Chance gegen die – vermeintlichen oder realen – inneren wie äusseren – Feinde zu haben heisst es, zu aller erst gehorsam zu sein gegenüber den Anordnungen der Regierung.

Der starke Staat ist vom Volk ausdrücklich erwünscht, Widerstand ist zwecklos. Rebellische Outcasts, das Bedürfnis nach Autonomie, das hatte mal einen gewissen chic, verkörperte einen Individualismus, einen Hang zur Selbstverwirklichung, der freilich recht leicht von der neoliberalen Ideologie einzufangen war. Davon ist nichts mehr übrig. Aussenseitertum ist verdächtig, die Lebensfreude hin, heute geisselt sich, wer über die Stränge geschlagen hat („Selbstoptimierung“). Absurd (und vielleicht nur der blindmachenden Angst vor Viren und Russen zu verdanken), dass der „eigene“ Staat nun als Retter wahrgenommen wird, als „Erlöser“, dem wir uns, unserer Erlösung zuliebe, zu unterwerfen haben. Bedingungslos. Die autoritäre Gehorsamspflicht hat eine vielfältige Debattenkultur niedergewalzt wie ein Panzer. Jede offene Debatte wird zudem erschlagen durch „Faktenfinder“, beim Coronavirus ebenso wie jetzt beim Krieg in der Ukraine.

Wie sehr diese vermeintlichen „Faktenfüchse“ ihrerseits Falschmeldungen in die Welt setzten wäre ein eigenes Thema, verfolgt wird hinter dem vermeintlichen Anliegen, Fake News aus der Welt zu schaffen, ein eigener Lehrplan, nämlich Zustimmung zur Herrschaft zu verschaffen: der Herrschaft der „Experten“ an der Seite der Macht, um so die Macht zu zementieren. Nachdenklich machen sollte der Satz von Max Horkheimer: „Die adäquate Gestaltung der Gesellschaft, in der die Fachleute alles beherrschen, ist die totalitäre“ (zit. nach Carl Wiemer: Krankheit und Kriminalität, Freiburg 2001, S. 27). Und wo waren diese Faktenfüchse, als die USA die Legende verbreiteten, irakische Soldaten würden Säuglinge ermorden („Brutkastenlüge“, 1990)? Den Lügen und Verdrehungen der NATO und ihrer Verbündeten widmete sich bislang noch kein „Faktencheck“.

Was nun?

Was wäre nun also zu tun? Wir haben auf keinen Staat zu hoffen, denn es sind nicht die Staaten, die für Frieden sorgen werden. „Putin oder Selenskyij?“ ist die falsche Frage, beides sind nationalistische Fanatiker, die nur Elend über die Menschen bringen. Es sind die Menschen selbst, die für eine bessere, gerechtere, freiere Welt kämpfen müssen. Widerspruch gegen den Krieg gibt es in der Ukraine wie in Russland reichlich – wenn man genau genug hinschaut, denn in deutschen Medien ist davon wenig zu lesen. „Der Spiegel“ behauptete noch im August, auf Russland bezogen: „Stell dir vor, es ist Krieg – und niemand protestiert dagegen“ (Nr. 32, 6.8.2022), Allerdings wird wenige Seiten später im selben Heft festgestellt, dass Hunderttausende Russen das Land verliessen, vor der Ende September in Gang gesetzten Teilmobilisierung wohlgemerkt. Was ja schon mal ein Protest mit den Füssen wäre, wenn nicht ein vehementer Widerspruch gegen den drohenden Militärdienst. Doch was will man von einem Blatt halten, in dem sich Sascha Lobo über „„egozentrische Lumpen-Pazifisten“ mokieren darf (Der Spiegel, ausgerechnet am Hitler-Geburtstag, 20.4.2022), was im Jargon an alte weisse Männer im Deutschland der 1950er, 60er, 70er Jahre erinnert (auch in den 80ern und einige Jahre später gab es sie noch, doch da waren so gesonnene Menschen, im offenkundigen Gegensatz zur Gegenwart, eine unverbesserliche kleine, wenn auch nervende Minderheit).

Ja, es gibt russische Soldaten, die desertieren. Es gibt Menschen in der Ukraine, die diese Soldaten unterstützen. Und es gibt sicher auch Menschen in der Ukraine, die sich gegen die Tilgung alles Russischen und gegen die nationalistische Politik wehren, die den Traum einer „reinen Ukraine“ um jeden Preis verfolgt. Der von der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung in die ukrainische Politik gehievte Ex-Boxer und nunmehrige Bürgermeister von Kiew will Hunderte Strassen und Plätze mit russischen Namen umbenennen „zur Verringerung der wahnhaften Manipulation und des Einflusses des russischen Angreifers auf die Interpretation unserer Geschichte“ (Freitag 36/ 2022).

Es gibt auch noch immer zu wenig Informationen über die russische Antikriegs-Bewegung (in den letzten Wochen wird es langsam mehr), die zum Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine wie auch gegen Putin aufruft, die online, aber auch auf den Strassen präsent ist – allerdings auch massiv unterdrückt wird. Es gibt kaum Informationen über jene Saboteure, die in Russland schon Dutzende von Militärrekrutierungsbüros niedergebrannt haben sollen. Unabhängige Berichterstattung aus der Ukraine und Russland zu unterstützen wäre also eine wichtige Aufgabe. Auch Desertion auf allen Seiten wäre zu unterstützen. Russische Deserteure bekommen allerdings in Polen und den baltischen Staaten kein Asyl, da Kriegsdienstverweigerung dafür kein „hinreichender Grund“ sei. Auch Deutschland mauerte bisher, momentan scheint sich die Praxis zu ändern, doch die Aufnahme ist umstritten. „Russen mit demokratischer Gesinnung hätten das Land meist schon längst verlassen“, meint der „Deutschlandfunk“ (23.9.2022), man will also jene dem russischen Staat ausliefern, die angeblich zu lange „apathisch“ (ebd.) und zögerlich gewesen seien, schliesslich sollten diese in Russland gegen den Krieg kämpfen statt feige zu flüchten. Deutsche dürfen solche Ratschläge geben, sie haben schliesslich viel Erfahrung in massenhaftem Protest gegen kriegführende Despoten im eigenen Land.

So werden noch zynisch Flüchtlinge sortiert: aus der Ukraine willkommen, aus Russland nicht.

Allerdings: nur gegen den Krieg sein reicht nicht. Kern des Übels sind ganz offensichtlich die Staatlichkeit und die zerstörerische kapitalistische Weltökonomie. Ohne konsequente Ablehnung dieser Unterdrückungsverhältnisse wird niemals wirklich Frieden existieren. Konkret treffen Kriege die sozial schlechter Gestellten am massivsten, Kriege ruinieren jeden Gedanken an Klimaschutz buchstäblich nachhaltig, in Kriegszeiten zeigen sich besonders deutlich die Gefahren der Atomenergie, in Kriegszeiten werden die Lebensbedingungen auch weitab der Kriegsschauplätze unsicherer, Preise steigen, Reallöhne sinken etc. Eine umfassende Anti-Kriegs-Bewegung muss sich also mit anderen sozialen Bewegungen verbinden, mit der Klimabewegung wie mit den Arbeitskämpfen. Auf die fragmentarischen Reste dessen, was einst die „linken“ Bewegungen waren, wird man dabei kaum bauen können, da diese sich spätestens mit der Corona-Pandemie selbst aufgehoben haben. Doch warum eigentlich können sich Menschen in vielen Regionen der Erde eher das Ende der Welt vorstellen als das Ende einer durch Staaten und Kapitalismus geknebelten, erpresserischen und ausbeuterischen Weltordnung?

Ich möchte mit den abschliessenden Worten an den 2010 verstorbenen us-amerikanischen Politologen und Historikers Howard Zinn erinnern. Dieser äusserte einmal: „Aus historischer Sicht sind die schrecklichsten Dinge – Krieg, Völkermord und Sklaverei – nicht auf Ungehorsam, sondern auf Gehorsam zurückzuführen“. Es braucht offenbar eine Zerstörung dieses Gehorsams. Denn, so noch einmal Zinn: „Man sagt, das Problem sei ziviler Ungehorsam. Aber das ist nicht unser Problem. Unser Problem ist der zivile Gehorsam. Unser Problem ist die grosse Anzahl von Menschen auf der ganzen Welt, die dem Diktat ihrer Regierung folgen und deshalb in Kriege ziehen, in denen dann Millionen Menschen wegen diesem zivilen Gehorsam getötet werden“.

Der Autor ist Mitverfasser des Buches „Nie wieder Krieg ohne und – Deutschland und die Ukraine“, das 2022 in der Edition Critic erschien (ISBN 978-3-946193-38-8).

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Author Enno Lenze

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2. ) Von Oben        —     Верховный Главнокомандующий Владимир Путин посетил военный полигон Западного военного округа в Рязанской области, где проверил ход подготовки мобилизованных военнослужащих.

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Die Politik sucht Helden

Erstellt von Redaktion am 31. Oktober 2022

Die Wahrheit ist stets das erste Kriegsopfer

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Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Wir mögen es micht wahrhaben, aber wir leben in Kriegszeiten, mit einem Krieg vor der Haustüre, vorgeführt wie in einem Theater.

Nur die heute Über-Achtzig-Jährigen haben noch eigene Kriegserfahrung und die Erinnerung, dass auch der Zweite Weltkrieg herbeigeredet worden ist, mit Lügen, falschen Versprechen, Illusionen. Während Hitler sich der Verantwortung durch Selbstmord entzog, wollen z.B. US-Politiker ihre Hände seit dem Vietnam-Krieg in Unschuld waschen. So erklärte der seinerzeitige US-Verteidigungsminister McNamare noch 1995, dass er bis heute nicht wisse, was am 2. und 4. August 1964 im Golf von Tonkin geschah.

Damals wurde von den USA wahrheitswiedrig behauptet, dass der US-amerikanische Zerstörer Maddox im Golf von Tonkin von nordvietnamesischen Torpedobooten angegriffen worden sei. Und das war genug, einen verheerenden Krieg in Vietnam auszulösen. Ein amerikanischer Freund, der deswegen eingezogen wurde, wusste nicht einmal, wo Vietnam lag und was er dort sollte. Seine Erfahrung war dann ein zerschossenes Bein und lebenslanges Humpeln. Und McNamara kann sich an den Grund für den grausamen Vietnamkrieg mit drei Millionen Toten nicht erinnern!

Seit Vietnam haben die USA mit Lügen, Unterstellungen und machtgeil Kriege im Irak bis hin in Afghanistan geführt und allesamt verloren. Und im Stellvertreterkrieg in der Ukraine geht es konsequent weiter. Die USA wissen immer ein paar Tage voraus genau, was Russland macht, halten sich zwar militärisch bedeckt im Hintergrund, stacheln aber die NATO und die Ukraine auf und heizen ihre Militärindustrie kräftig an. Russland verhält sich ebenso. So wiegeln sich die beiden Supermächte gegenseitig auf, bis irgendwann die Sicherung durchknallt und tausende unschuldiger Menschen ihr Leben lassen müssen.

Der Auslöser der heutigen Kriegssituation ist der Einfall von Russland. Der Grund dafür liegt jedoch Jahre zurück mit dem Vorrücken der NATO direkt an die russische Grenze und weltweit. Stets auf Druck und mit Machtphantasien der USA. Was, bitte, hat ein deutsches Kriegsschiff im Chinesischen Meer zu suchen? Und warum wird heute so infam gegen China als Feind Nr.1 gestänkert, obwohl China noch nie in seiner Geschichte kriegerisch gegen ein Land außerhalb seiner Grenzen vorgegangen ist?

US soldiers Iraq

Es sind wohl Bequemlichkeit und Bildungslücken, die uns immer wieder den kriegstreibenden Lügenmärchen insbesondere der USA Glauben schenken lassen. Bis wir uns dann verdutzt die Augen darüber reiben, dass wir unmittelbar selbst betroffen sind. Aber dann ist es oft zu spät! Es darf uns nicht kalt lassen, dass wir nach der anfänglichen Zusage der Bereitstellung von Kriegshelmen heute bei der Lieferung schwerster Waffen an die Ukraine angekommen sind.

Dauernde Eskalation und immer kompliziertere Lügenmärchen haben uns an den Rand eines Krieges direkt bei uns manövriert. Aber hinterher will es keiner gewesen sein. Pathetisch verkündet unser Bundespräsident, dass ie Friedensdividende aufgezehrt sein. Mitnichten! Frieden ist eines der höchsten Güter und ohne wenn und aber anzustreben. Diese Wahrheit dürfen wir nicht von machtgeilen Politikern durch Kriegstreiberei oder gar Kriege massakrieren lassen. Und immer wieder fragen: Was ist Wahrheit und was ist Lüge?

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Krieg oder Frieden

Erstellt von Redaktion am 29. Oktober 2022

Keine dogmatische Gesinnungspolitik

Von   :     Rüdiger Lüdeking

Trotz wachsender Unsicherheit und Weltunordnung: Die globalen Herausforderungen erfordern eine friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit über Differenzen hinweg.

Der Krieg in der Ukraine befindet sich bekannterweise in einer besonders gefährlichen Phase. So überrascht, mit welcher Unbekümmertheit die Eskalationsrisiken in der deutschen Debatte vielfach übergangen werden. Auch ein nicht völlig auszuschließender Einsatz von taktischen Nuklearwaffen durch Russland scheint vielfach nahezu „eingepreist“ zu werden. Es geht unverändert zentral um die Frage der Lieferung schwerer Waffen. Die moralisch aufgeheizte Debatte vermittelt den Eindruck, dass sich hier das Gute und das Böse schlechthin in Gestalt Wladimir Putins beziehungsweise Russlands gegenüberstehen.

Die Notwendigkeit, die Ukraine zu unterstützen, wird letztlich damit begründet, dass die Ukraine einen Stellvertreterkrieg führt, dass sie für und damit letztlich im Namen der Nato und des Westens Werte wie Demokratie, Freiheit und Menschenrechte verteidigt. Interessanterweise spricht auch das russische Regime von einem Stellvertreterkrieg, den die Ukraine für den Westen führt. Ziel dieser Propaganda ist, die Kriegsschuld abzuwälzen, die militärischen Rückschläge Russlands in der Ukraine zu relativieren und gleichzeitig eine Drohkulisse aufzubauen, um westliche Staaten von weiteren militärischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine abzuschrecken.

Der Begriff Stellvertreterkrieg ist falsch und irreführend. Die Nato oder der Westen befinden sich eben nicht in einer militärischen Auseinandersetzung mit Russland, die in einem Drittland, der Ukraine, ausgetragen wird. Ebenso wenig kämpfen die ukrainischen Streitkräfte im Auftrag und im Namen des Westens. Auch die vielfach an die Fehlinterpretation von Stellvertreterkriegen geknüpfte überhöhte Erwartung, dass Russland im Falle eines Sieges gegen die baltischen Staaten und andere Mitglieder der Nato vorgehen würde, ist Unsinn. Für eine solche Absicht gibt es in der Vorgeschichte zum Krieg keinerlei Anhaltspunkte. Dazu kommt: Zu einem konventionellen Angriff auf die Nato dürfte Russland nach dem Ukrainedebakel über lange Jahre hinweg nicht mehr fähig sein.

Dennoch ist die Unterstützung der Ukraine in der jetzigen Situation notwendig, denn letztlich geht es um die Wahrung für die regelbasierte Weltordnung zentraler, nicht nur im Interesse westlicher Demokratien liegender Prinzipien: das Verbot von Angriffskriegen und die Gewährleistung territorialer Integrität. Russland verstößt in eklatanter Weise gegen diese Prinzipien und geht gar so weit, der Ukraine die Existenzberechtigung als selbständiger Staat abzusprechen.

Sollte Putin mit seinem völkerrechtswidrigen militärischen Angriff Erfolg haben, würde das einen folgenschweren Präzedenzfall schaffen. Der Rückfall in das alleinige Recht des Stärkeren würde zu chaotischen Verhältnissen führen. Die Unterstützung für die Ukraine ist darauf angelegt, dass sich die Ukraine als eigenständiger und lebensfähiger Staat in gesicherten Grenzen behaupten kann. Sie ist militärisch bewusst begrenzt, um zusätzliche Eskalationen bis hin zu Nuklearschlägen zu vermeiden. Das ist zudem ein Signal an Moskau, dass es nicht – wie die russische Propaganda meint – um die Unterwerfung Russlands geht. Der Westen befindet sich mitnichten im Krieg mit Russland. Auch in dieser Hinsicht ist also die Mär von einem Stellvertreterkrieg irreführend.

Beim Thema Stellvertreterkrieg geht es letztlich um die Einordnung des Krieges in der Ukraine, die Haltung zu der sich dynamisch entwickelnden Weltordnung, um eine Entideologisierung und Versachlichung der Debatte. Und es geht um Realpolitik: Bei aller verständlichen Empörung über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und die Kriegsverbrechen kann es der Nato nicht um einen ideologischen Kampf gegen ein autokratisch-faschistoides Russland oder dessen Niederringung gehen. Vielmehr muss angesichts der steigenden Eskalationsgefahr, aber auch der enormen menschlichen Opfer und Schäden die rasche Beendigung der Kriegshandlungen im Vordergrund der Bemühungen stehen.

Trotz der jüngsten beeindruckenden Erfolge der ukrainischen Streitkräfte bleibt der Ausgang des Krieges ungewiss; die von Putin dekretierte Mobilisierung von mehreren 100.000 Reservisten deutet vielmehr darauf hin, dass Putin keinesfalls aufgegeben hat.

Die USA stehen in einer besonderen Verantwortung, um eine diplomatische Lösung und das rasche Ende der Kriegshandlungen voranzutreiben. Problematisch ist, dass es – anders als in der Kubakrise vor 60 Jahren – keine funktionierende Krisenkommunikation zwischen den beiden Atommächten zu geben scheint. Die Kuba­krise hat gezeigt, wie entscheidend eine wirksame Krisenkommunikation ist, um Fehlkalkulationen und in letzter Konsequenz einen Atomkrieg zu vermeiden. Einmal mehr gilt jetzt, sich nicht von moralischer Empörung und Abscheu und Verachtung für Putin, sondern strikt von Interessen leiten zu lassen.

Praktisch können die USA unter Berufung auf Artikel IV des mit Moskau 1973 geschlossenen Abkommens zur Verhinderung eines Atomkriegs den sofortigen Eintritt in dringende Konsultationen fordern. Dabei stehen dann beide in der Verpflichtung, alles zu unternehmen, um das Risiko eines nuklearen Konflikts abzuwenden. Eine anzustrebende diplomatische (Zwischen-)Lösung muss natürlich darauf bedacht sein, im Interesse der Wahrung der eingangs genannten zentralen Prinzipien der internationalen Ordnung keinen falschen Präzedenzfall zu schaffen. Dennoch dürfen bittere und schwierige Kompromisslösungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

Optimistisch, dass ein solcher Ansatz gelingen könnte, stimmt die aktuelle Lage sicher nicht. Trotzdem steht zu viel auf dem Spiel. Nichts darf unversucht bleiben, um die Möglichkeiten einer Kriegsbeendigung auszuloten. Das Verständnis, nicht in einen Stellvertreterkrieg verwickelt zu sein, kann dabei den Weg zu realpolitischen Lösungsansätzen erleichtern. Natürlich müsste auch die Ukraine in einen solchen Prozess in geeigneter Weise eingebunden sein.

Ein verändertes Verständnis zur eigenen Rolle im Krieg sollte auch den Blick für die Risiken der Entwicklung der Weltordnung schärfen. Es geht eben nicht um einen Krieg zwischen Demokratien und Autokratien. Ebenso wenig sollte die sich abzeichnende neue Weltordnung auf eine solche Bipolarität reduziert werden. Schon der Kotau, den westliche Staaten vor auch unappetitlichen autoritären Regimen wie Saudi-Arabien im Interesse der eigenen Energiesicherheit zu machen bereit waren, signalisiert, dass die Versteifung auf eine derartige politische Frontstellung schon jetzt den politisch Handelnden wenig realistisch erscheint, selbst wenn immer wieder die „Wertegeleitetheit“ der Außenpolitik beschworen wird.

Es gibt keinen festgefügten Block von autoritären Staaten. Darüber können auch die Bemühungen von Russland und China nicht hinwegtäuschen, die Beziehungen zu autokratisch verfassten Regimen zu vertiefen. Und der Westen sollte einer Blockbildung durch eine ungeschickte Konfrontations- und Abgrenzungspolitik ohne Augenmaß keinesfalls Vorschub leisten.

Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei zentralen, durchaus auch demokratisch verfassten Staaten der Dritten Welt gelten. Russland und China umwerben diese Staaten, um sie auf ihre Seite zu ziehen oder zumindest zu neutralisieren.

Quelle       :       TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

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Oben      —     Kunstwerk mit dem Titel „Occupation feeds hate!“ von Carlos Latuff.

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Boykott ins Abseits

Erstellt von Redaktion am 28. Oktober 2022

Wäre nicht die einzig richtige Medizin –
Eine Trennung zwischen Staat und Religion ?

Die Auserwählten und die Gejagten

Ein Debattenbeitrag von Markus Bickel

Israels nächster Regierung könnten rechtsextreme Parteien angehören. Nur ein egalitärer jüdisch-palästinensischer Schulterschluss kann den Rechtsruck stoppen. Bei geringer arabischer Wahlbeteiligung steigen die Chancen für Netanjahu und seine rechten Verbündeten.

Es ist die fünfte Wahl in dreieinhalb Jahren: Am Dienstag wählt Israel eine neue Knesset, wobei sich alles um die Frage dreht, ob es Benjamin Netanjahu und seinen ultranationalistischen und religiösen Verbündeten gelingt, mehr als 60 der 120 Sitze zu erringen. Sollten sie das schaffen, droht in Jerusalem die rechteste Regierung seit der Zweiten Intifada vor 20 Jahren – möglicherweise mit einem bekennenden Rechtsex­tre­mis­ten als Minister. „Gewiss“ gebe es Platz für Ita­mar Ben-Gvir in seinem Kabinett, versicherte der nach 16 Monaten in der Opposition zurück an die Macht drängende Netanjahu im Wahlkampf dem Shootingstar der radikalen Rechten. Ben-Gvirs Partei Jüdische Stärke tritt gemeinsam mit Netanjahus Likud sowie dem rechtsnationalistischen Religiösen Zionismus Bezalel Smotrichs an.

Was eine Regierungsbeteiligung des der neofaschistischen kahanistischen Bewegung nahestehenden Ben-Gvir für das Zusammenleben zwischen den 2 Millionen palästinensischen und den rund 7 Millionen jüdischen Israelis bedeuten würde, hat der 46-Jährige wiederholt selbst deutlich gemacht. Sein arabophobes Programm liest sich wie der Aufruf zum Bürgerkrieg: Deportation „illoyaler“ arabischer Bürger Israels, erzwungene Emigration von Palästinensern nach Europa sowie die Zerschlagung der Autonomiebehörde von Mahmud Abbas in Ramallah, um nur einige Punkte zu nennen.

Die xenophoben Parolen von Politikern wie Ben-Gvir und Smotrich stoßen vor allem in der israelischen Peripherie auf Zustimmung – in den von Netanjahus Likud vernachlässigten Gemeinden im Süden Tel Avivs etwa, im Negev und am Rande des Gazastreifens. Unter den 2 Millionen palästinensischen Israelis hingegen wecken sie neue Ängste vor pogromartigen Ausschreitungen wie im Mai 2021. Im Schatten des elftägigen Gaza-Kriegs hatten vor anderthalb Jahren jüdische Ex­tre­mis­ten in binationalen Städten wie Akkon, Ramla und Jaffa regelrecht Jagd auf arabische Einwohner gemacht. An fast allen Schauplätzen der Gewalt an vorderster Front dabei: rechte Siedler aus dem Westjordanland.

Der gesellschaftliche Kitt wird aber auch von palästinensischer Seite bedroht: In Lod verhängte die Armeeführung im Mai 2021 den Ausnahmezustand, nachdem arabische Bewohner der binationalen Stadt jüdische Bürger angegriffen und Synagogen angezündet hatten. Von einer neuen „Kristallnacht“ war die Rede; viele Israelis stellten bestürzt fest, wie schmal der Grat zwischen vordergründig freundschaftlichen nachbarlichen Beziehungen und bewaffnetem Konflikt ist. Der Schreck unter den linken und zentristischen Parteien der Anti-Netanjahu-Allianz über die interkonfessionellen Ausschreitungen war größer als der über die elftägigen Angriffe der israelischen Luftwaffe auf den Gazastreifen.

Berliner und israelische Mauern

Das Ergebnis politischer Versager wird heute als „Nazi“-onale Staatsräson geadelt !

Seitdem sind von linker Seite die Rufe nach einer dezidiert jüdisch-palästinensischen Partei wieder lauter geworden. „Ich bin der Meinung, dass eine egalitäre jüdisch-arabische sozial­demokratische Linkspartei gegründet werden sollte“, fordert etwa die Vorsitzende der sozialdemokratischen Meretz-Partei, Zehava Galon, gegenüber der taz. „Eine Partei, die Menschen, die für Gleichheit einstehen und für ein gemeinsames Leben von Juden und Arabern, Antworten geben kann.“ Doch in der aufgeheizten öffentlichen Debatte stößt nicht der Ruf nach friedlichem Zusammenleben und demokratischem Ausgleich auf Zustimmung, sondern die Parolen des rechten Blocks. „Leider gibt es in der jüdischen ­Öffentlichkeit immer noch großes Misstrauen gegenüber einer solchen Partei“, so Galon ernüchtert.

Die ethnokonfessionell motivierten Ausschreitungen von Mai 2021 sind das Ergebnis eines Jahrzehnts rechter Hetze, die durch Netanjahu befördert wurde. Immer intoleranter wurden die Kabinette, die er angesichts schwindender Stimmen für seinen Likud zusammenstellte. Netanjahu goss auch selbst Öl ins Feuer: Als „existenzielle Bedrohung“ beschrieb er in der Vergangenheit israelisch-arabische Politiker, die das Ziel verfolgten, „uns alle auszulöschen“. Und der diesen Sommer nach nur einem Jahr als Ministerpräsident aus dem Amt geschiedene Naftali Bennett verglich noch 2018 palästinensische Terroristen mit Moskitos.

Quelle       :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Kämpfen für den Frieden

Erstellt von Redaktion am 27. Oktober 2022

Eine Replik auf den Kommentar von Franz Alt

Ein Debattenbeitrag von Jens Uthoff

Pazifisten, die Zhadan als Militaristen und Völkerhasser bezeichnen, haben ihn nicht verstanden. „Vielleicht kann man das verstehen, wenn man sieht, wie vor einem auf der Straße ein Mensch getötet wird“

Wer das Morden, das Metzeln und den Vernichtungswillen seitens der russischen Armee aus nächster Nähe erlebt und für den dabei empfundenen Ekel, für Abscheu und Hass drastische Worte findet, dem sollte man erst einmal Verständnis entgegenbringen. Serhij Zhadan wählt in seinem Kriegstagebuch „Himmel über Charkiw“ krasse Worte, er schreibt über russische Soldaten als „Abschaum“, „Unrat“ und „Barbaren“. Wer das zitiert, sollte auch die Kontexte nennen: Es geht um den Angriff auf den Bahnhof in Kramatorsk, um Raketen, die unweit von Zhadans Wohnung einschlagen, um reihenweise ermordete Zivilisten. Um Butscha. Oder eben: um Barbarei.

Einige, wie Franz Alt in der taz, halten Zhadan nun für keinen würdigen Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Nicht nur wegen seiner Wortwahl, sondern auch, weil er sich bedingungslos hinter die ukrainische Armee stellt und damit sicher nicht nur Leute unterstützt, die politisch unverfänglich sind. Doch aus der deutschen „Komfortzone“ (Zhadan) heraus, in der die aktuell dringlichsten Probleme 19 Grad Raumtemperatur und Heizkostenrechnungen sind, lassen sich derlei Urteile auch bequem fällen.

Als Erstes sollte man das Missverständnis aufklären, Zhadan werde „für“ seinen „Hass im Krieg“ geehrt, wie Alt impliziert. Der ukrainische Autor wird für sein Wirken und Werk ausgezeichnet, für Romane wie „Internat“ (2017), der ebendiese Verrohung, Verfinsterung und Verkommenheit im Krieg dicht nachzeichnet. Für die Gedichte in „Antenne“ (2020), in denen er die westliche Ignoranz seinem Land gegenüber anprangert. Dafür, dass er vor Kindern in der Charkiwer Metro Konzerte spielt. Und, ja, auch dafür, dass er unermüdlich Geld für Hilfsgüter und die Armee sammelt. Für Humanität.

Das Wichtigste zu „Himmel über Charkiw“ sagte Zhadan während der Pressekonferenz bei der Frankfurter Buchmesse: „Ich glaube nicht, dass Wut und Hass in dem Buch die zentrale Rolle spielen“, erklärte er. Damit hat er recht. Die Worte des Hasses werden von deutschen Pazifisten aus diesem Werk mit der Pinzette herausgepickt und unter dem Mikroskop gewendet. Und: „Vielleicht kann man das [die hasserfüllte Reaktion] verstehen, wenn man sieht, wie vor einem auf der Straße ein Mensch von einer Rakete getötet wird. Das ist nicht der Moment für politisch korrekte Worte.“ Auch die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk konstatierte in Frankfurt, wie gefühlskalt sie geworden sei.

Zhadan sagt, er glaube nicht, dass sich die Ukrainer für ihre emotionalen Worte rechtfertigen müssten. In seinem Buch – einfach mal den Epilog lesen – setzt er sich differenziert mit dem Sprachverlust auseinander. „Himmel über Charkiw“ sieht er nicht als literarisches Werk. Es sind Facebook-Posts, die ungefiltert seine Kriegswahrnehmung wiedergeben, als solche betrachtet er sie: Ansichten einer Kriegspartei. Sein Verlag machte ein Buch daraus.

Er sei keinesfalls russophob, und doch hält er den Krieg nicht bloß für „Putins Krieg“, sondern für einen, der von vielen propagandaverstrahlten Russinnen und Russen mitgetragen wird. Das sehen regimekritische russische Men­schen­recht­le­r:in­nen und Au­to­r:in­nen nicht anders. Man lese einmal den russischen Autor Arkadi Babtschenko („Im Rausch“), auch der schreibt sich in Rage über seine Landsleute als „Schweinehunde“ und darüber, „dass sich ein ganzes Volk innerhalb weniger Jahre in eine Masse von Charakteridioten verwandeln lässt“. Er vergleicht den Putin’schen Propagandaerfolg mit dem Goebbels’schen. Wollen die deutschen Pazifisten etwa, dass man die Faschisten auch noch mit netten Adjektiven streichelt?

Wer aus Zhadan einen Militaristen und Völkerhasser macht, verkehrt die Verhältnisse. In seiner Friedenspreisrede sagte Zhadan: „Wir unterstützen unsere Armee nicht deshalb, weil wir Krieg wollen, sondern weil wir unbedingt Frieden wollen.“ Klarer geht’s nicht. In seiner Heimatstadt Charkiw liest er regelmäßig vor Soldaten und gibt mit seiner Band Konzerte. Er ist auch vor Bataillonen aufgetreten, die dem ultranationalistischen und rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden. Die Situation gibt es nicht anders her.

Ein Rechter ist er deshalb noch lange nicht, wer ihn dazu macht, dient der russischen Propaganda. Schon 2014, in der Debatte über Rechtsextremisten beim Euromaidan, unterschrieb er eine Erklärung mit dem Wortlaut: „Wir sind friedliche Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft aus verschiedenen Regionen der Ukraine. Wir sympathisieren nicht mit den rechtsradikalen Organisationen.“ Auf die Frage, ob er sich als Nationalist oder Patriot bezeichne, sagte er dem Calvert Journal: „Ich bin kein Nationalist. Ein Patriot – das ja.“ Doch der Begriff Patriot sei in der Ukraine anders konnotiert als in Westeuropa oder den USA.

Quelle      :         TAZ-online       >>>>>          weiterlesen

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Oben      —     House in Zaporizhzhia after Russian strikes on the city with S-300 rockets in the morning of 21 October 2022. The house, a school and infrastructure objects were damaged.

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Unten       —     National Guard of Ukraine demines Kharkiv Oblast after liberation from Russian occupation.

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Noch ein Wirtschaftskrieg?

Erstellt von Redaktion am 19. Oktober 2022

Deutschland in der Digitalisierungs-Offensive

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Quelle       :        Scharf  —  Links

Von    :     Johannes Schillo

Einer Sache kann sich heutzutage – glaubt man den offiziellen Ansagen – kein Mensch mehr entziehen: der Digitalisierung. Eine neue Streitschrift stellt diesen Megatrend, der „uns alle“ betreffen soll in Frage. Dazu ein Gespräch mit dem Buchautor Peter Schadt.

Schadt, Sozialwissenschaftler und Gewerkschafter, hat vor zwei Jahren eine große Studie zur „Digitalisierung der deutschen Autoindustrie“ vorgelegt (siehe Scharf links, 19.12.20 und 9.3.21). Bei Unternehmerverbänden oder politischen Propagandisten einer schwarzrotgoldenen „Industrie 4.0“ dürfte sie nicht für Begeisterung gesorgt haben. War sie doch im Grunde eine einzige Warnung an die Adresse der Arbeitnehmer, sich nicht für dieses Programm – für eine neue Kampfansage, die vom Standort D in alle Welt ausgeht – zu erwärmen. Jetzt hat Schadt in einer kompakten Streitschrift (https://www.papyrossa.de/neuerscheinung-92) seine Kritik zugespitzt und auf das ganze digitale Innovationswesen gerichtet. Hier ein Gespräch mit dem Autor zur Frage, was er als kritisches Basiswissen in dieser Sache anzubieten hat.

Ein Sachzwang, dem keiner auskommt?

Digitalisierung kennt doch jeder. Sie kommt, ist zu großen Teilen schon da – jetzt muss sie nur noch „gestaltet werden“, wie uns Wirtschaftsführer oder Politiker dauernd versichern. Dass es hochinteressante Perspektiven gibt, dass man aber auch aufpassen muss, ist jedem (kritischen) Zeitgenossen klar. Es soll ja sogar ein digitaler „Überwachungskapitalismus“ drohen usw. Um die Frage des Richtig-Machens dreht sich demnach alles. Was ist denn schon am Ausgangspunkt dieser Bedenken oder Beschwörungen faul, so wie Dein Buch es behauptet?

Schadt: Es ist erstmal sachgerecht, dass Manager und Politik sich den Möglichkeiten der neuen Technik als eine Herausforderung stellen, die es zu meistern gilt. Die Gefahr besteht für diese dann zumeist darin, von anderen Konzernen oder Staaten abgehängt zu werden und in der Konkurrenz ins Hintertreffen zu geraten. Die Chance ist umgekehrt, andere abzuhängen. Entsprechend wurde Wahlwerbung mit Sprüchen wie „Digitalisierung first, Bedenken second“ etwa von FDP-Lindner gemacht.

Auf einem anderen Blatt steht, inwiefern man als Arbeitnehmer diese Stellung einfach übernehmen und an sich und andere die kritische Frage stellen sollte, wie „die Digitalisierung“ gut gestaltet wird. Das unterstellt nämlich ein gemeinsames Interesse aller Beteiligten am Vorankommen dieser Nation, ihrer Rechnungsweise und ihres Kapitals. Da setzt meine Kritik an, und ich will das hier mal an einem Punkt entwickeln. Dass gerade die ökonomische Rechnungsweise darin besteht, ein besonders günstiges Verhältnis von investierter zu erlöster Summe zu erzielen, ist wirklich kein Geheimnis. Was allerdings weniger Beachtung genießt, ist die Sorte Produktivität, die daher mit der Digitalisierung erreicht werden soll. Das heißt nämlich für die Beschäftigten, dass der oder die Betreffende –gleichbleibenden Lohn unterstellt, was in der Inflation aktuell schon ziemlich selten der Fall sein dürfte – jetzt in der Arbeitsstunde mehr herstellt, aber gleich viel verdient. Wenn also die Produktivität des Kapitals steigt – mit der gleichen Lohnsumme mehr Produkte geliefert wird –, sinkt die Produktivität, auf die es dem Arbeiter ankommt: Der muss jetzt mehr herstellen, um auf den gleichen Lohn zu kommen.

Der Ausgangspunkt – wie Du es nennst – meiner kleinen Streitschrift ist also der sehr generelle Einspruch gegen eine Debatte, bei der das „große Ganze“ beschworen wird, für das „wir“ alle uns einzusetzen haben. Wer nicht zufällig diesen Laden leitet oder eine smarte Fabrik besitzt, sollte sich das nicht einleuchten lassen, der ist nämlich selbst ein Kostenfaktor in dieser Kalkulation. Bei Marx heißt das wenig liebevoll, aber sehr treffend: Der ist variables Kapital.

Apropos Marx: An dessen Erklärung schließt Du Dich ja an. Vom ökonomischen Gehalt her gesehen ist Digitalisierung demnach nichts Neues, eben eine Methode, den Ausbeutungsgrad in der Konkurrenz zu erhöhen. Dargestellt wird die Sache aber als eine absolutes Novum. Ganz Deutschland soll in Gefahr sein, den Anschluss ans 21. Jahrhundert zu verlieren.

Schadt: Über die wenig überraschende Auskunft meiner kleinen Sammlung an ‚Argumenten gegen das Dafürsein‘ – dass die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus nach wie vor gelten –, sollte nicht übersehen werden, was alles an Neuem festzuhalten ist: So ist zum Beispiel das moderne Auto nicht mehr nur Produkt, sondern liefert Fahrdaten an die Autokonzerne, die unter anderem fürs autonome Fahren benötigt werden. Insofern wird das Produkt selbst zum Produktionsmittel für andere Produkte. Da steckt schon einiges an ökonomischer Sprengkraft drin, weshalb ich diese Dopplung auch wenig liebevoll als ‚Dual-Use‘ der digitalen Technik bezeichne.

Auf der Grundlage des ebenfalls nicht neuen Prinzips des geistigen Eigentums sind dann auch einige Fortschritte zu verzeichnen. Zwar werden auch Autos und Möhren nur zu Waren, wenn und insofern der Staat sie mit seiner Gewalt als Privateigentum garantiert; dennoch gibt es hier beachtenswerte Unterschiede zum ‚geistigen Eigentum‘, wie es in Daten vorliegt. Die können nämlich der Sache nach erstmal nahezu unendlich vermehrt werden, ohne dass nennenswerte Zusatzkosten entstehen. Damit aus einem Datensatz also ein brauchbares, weil zur Quelle von Reichtum gewordenes Stück Privatmacht wird, braucht es zwar ebenfalls den Staat. Der hat es aber mit ganz neuen Herausforderungen bei der Durchsetzung dieses Eigentums zu tun. Die prinzipielle Vervielfältigung und Verwendung der Daten soll dabei auch nicht einfach verboten werden, weil deren kapitalistischer Nutzen ja nicht im generellen Ausschluss, sondern gerade in ihrer Nutzung liegt. Wie allerdings sollen Daten einerseits genutzt werden, andererseits trotzdem geschützt sein? Da gibt es also eine ganze Menge zu klären, was den Prinzipien dieser schönen Gesellschaft allemal entspricht, was man aber auch nicht einfach dem Studium der drei dicken blauen Bände entnehmen kann.

Wir“ und die anderen

Nicht nur, aber auch dafür soll der Standort sich einer kompletten „Transformation“ unterziehen, damit er den Kampf um „Digitale Souveränität“ gewinnt und „Technologie-Führerschaft“ erlangt; er muss dominieren, darf nicht von anderen abhängig oder zur „verlängerten Werkbank“ degradiert werden, muss statt dessen Standards setzen, bevor andere es tun usw. usf. Ein ziemlich martialisches Programm?

Schadt: Ja. Und das beginnt lange vor den Drohnen und der digitalen Kriegsführung. Da zumindest gibt es öfter mal Zweifel, ob das zielgenaue Töten fremder Landsmannschaften so unmittelbar was mit dem eigenen Nutzen zu tun hat. Auch da sind jetzt Fortschritte zu beobachten, weil man allgemein zu dem Schluss gekommen ist, dass die Militärmaschinen für die BRD schon schwer in Ordnung gehen, weil man – ganz zufällig, wie in jedem Krieg der Weltgeschichte bisher, aber dieses Mal ganz wirklich – auf der Seite des Guten und Schönen und Menschlichen steht. Also, da wird eben zumindest mal in Erwägung gezogen, dass es martialisch und brutal zugeht.

Ziemlich selten dagegen wird sich mal angeschaut, was eigentlich „smarte Stromnetze“, digitale Ressourcenverwaltung leisten, sprich: was es eigentlich mit der Energiewende auf sich hat, die man ja bekanntlich auch selbst gestalten will – für die Zukunft Europas und seine Unabhängigkeit vom russischen Gas. Da will ich in meinem Bändchen zumindest mal den Hinweis gegeben haben, den ich hier jetzt nur an einem Beispiel illustrieren kann: dass eine Energiewende, bei der man sich allen ernstes Sorgen macht – wohlgemerkt Sorgen! –, die Chinesen könnten schneller sein als man selbst, wohl doch nicht in dem Zweck aufgeht, die Welt zu retten. Ich meine, das ist so offen und ehrlich, was die Politik da sagt, dass man schon treudoof entschlossen sein muss, das zu übersehen: Warum freut sich – naiv gesagt – eigentlich keiner, dass die Chinesen es vielleicht noch schneller schaffen als andere Nationen, mit und ohne digitale Technik, die CO2-Emissionen zu reduzieren? Warum ist das nicht einfach ein asiatischer Beitrag zur Weltrettung? Wenn allen arschklar ist, dass das eine „Gefahr“ ist, dann geht es halt auch um etwas anderes, für das die Reduzierung der Treibhausgase eben nur ein Mittel ist. Dann geht es hier um einen Kampf um einen Weltenergiemarkt, der zwar auf regenerativen Energien basieren soll, wo es aber der Sache nach vor allem darum geht, wer ihn stiftet, wer von im profitiert – und wer nur in ihn eingebaut wird.

Das Martialische – um noch gleich einen dritten Punkt zu nennen – kannst Du auch bei den Standards finden, also bei der Frage, welche Hard- und Software eigentlich die allgemeine Vernetzung von allem und allen mit allem bewerkstelligt. Da denken ja manche wirklich, das ginge auf in sowas Harmlosen wie der Reduktion von Müll, weil jetzt alle Smartphones und Kleingeräte mit dem gleichen Anschluss geladen werden können. Die einheitlichen Standards in ganz Europa sind vielmehr für das große – vor allem deutsche – Kapital eine willkommene Erweiterung der Absatzmärkte ihrer digitalen Produkte, während kleinere Unternehmen im Ausland ihre Nischen verlieren, die sie aufgrund von nationalen Eigenheiten bisher als ihren Markt bedienen konnten. Auch zwischen den Kapitalen geht es also allemal „martialisch“ zu, was aber gerne als Dienst am Kunden präsentiert wird.

Ja, einige werden ihre „Besitzstände“ verlieren. Davon wird ja auch offen gesprochen und dann rumgerechnet, wen es wo trifft. Da gibt es Verheißungen, dass wir am Standort D damit schon klar kommen, dass sich lauter neue Perspektiven eröffnen, dass man sich bloß munter weiterzubilden braucht, um seine „Beschäftigungsfähigkeit“ zu erhalten. Sind das tröstliche Mitteilungen?

Schadt: In den Streit, ob es hier bald mehr oder weniger Arbeitsplätze gibt, sollte man sich besser nicht einmischen, weil das recht entscheidend an der Frage hängt, wo sich welches Kapital durchsetzt und welcher Landstrich daher „Standort“ wird oder bleibt. Die Herstellung von Beschäftigungsfähigkeit durch Weiterbildung ist dabei recht verräterisch: Mehr als sich selbst instand zu halten, für den Standort nützlich zu sein, haben die Leute offensichtlich nicht in der Hand. Ob und zu welchen Bedingungen sie dann auch in Zukunft eine Beschäftigung haben, hängt wieder nur negativ von ihnen ab: Ohne entsprechende Kenntnisse muss man sich gar nicht erst bewerben. Ob man mit ihnen genommen wird – oder es überhaupt noch nennenswertes Kapital gibt, wo man seine Bewerbung einreichen kann –, das hat man wieder nicht in der Hand.

Und die Gegenwehr?

Kollege Schadt, mal von DGB-Mitglied zu DGB-Mitglied gefragt – Du bist ja in der Gewerkschaft tätig. Im Digitalisierungs-Diskurs wird also, altmodisch gesprochen, ganz dreist ein Klasseninteresse angemeldet. Dreist auch in der Hinsicht, dass die Damen und Herren aus den Chefetagen offen ihren Vorteil benennen, den sie aus der Sache ziehen wollen. Was dann heißt, dass eine andere Klasse es (in noch nicht genau feststehendem Umfang) auszubaden hat. Dazu ist ja jetzt einiges gesagt, auch zu den ominösen „Herausforderungen“ der Globalisierung, zu den Schönheiten der neuen Arbeitswelt. Aber mal ganz direkt gefragt: Eine solche Dreistigkeit gibt es von Gewerkschaftsseite ums Verrecken nicht?

Schadt: Ich will den Leserinnen ersparen, dass ihnen mal wieder ein Funktionär in kleinerer Position erzählt, wie die Gewerkschaft eigentlich zu handeln hätte, wenn er oder andere „kämpferische“ Gewerkschafter mehr zu melden hätten – oder was weiß ich. Es ist halt auch das Gegenteil einer Erklärung, den DGB ständig gegen die eigene Idee einer dreisten, also antikapitalistischen Kraft zu wiegen und dann für „zu leicht“ zu erklären.

Lieber sollte man sich an der Stelle nochmal an den Anfang unseres kurzen Gespräches erinnern: Einerseits stimmt es, dass die Produktivitätssteigerung des Kapitals, also aus Geld noch mehr Geld zu machen, ziemlich schädlich für das Arbeiterinteresse ist. Aus diesem Grund gibt es die Gewerkschaft und braucht es sie. Andererseits ist das nur die halbe Wahrheit: Wie der Name Lohnabhängige schon ausdrückt, sind die Leute ja abhängig gemacht von dem Lohn, den sie als Lebensmittel benutzen. Und jetzt kommt die Härte: Das gilt, obwohl er gar nicht daran bemessen wird, ob er denn zum Leben reicht. Ob und in welcher Höhe er bezahlt wird, hängt ja an der Kalkulation der Unternehmen und ob er sich für sie lohnt. Zu beobachten ist das nicht nur am Niedriglohnsektor, wo die Leute ohne Hilfe des Staates eh nicht zurechtkommen würden. Hier darf ruhig auch an die Besserverdiener gedacht werden. Ohne staatliche Sozialkassen, ohne Arbeitslosen- oder Krankenversicherung würden schon die normalsten „Schicksalsschläge“ eines Arbeitnehmers ausreichen, die totale Verarmung ganzer Familien hervorzurufen.

In der Digitalisierung heißt das: Die Lohnabhängigen sind vom Erfolg der deutschen Unternehmen abhängig; dieser besteht in der effektiven, daher kostengünstigen Anwendung der Arbeit. Die Beschäftigten sollen sich also für „ihr“ Unternehmen einsetzen, damit es die „Chancen“ der Digitalisierung nutzt. Und die bestehen darin, dass man – verdammt noch mal – selbst mehr arbeiten muss. Auf den kurzen Begriff gebracht: Der Zweck der Gewerkschaft, dass die Beschäftigten gut von ihrer Arbeit leben können, steht also in einem ständigen Widerspruch zu ihrem Grund, nämlich dass die Arbeit und ihre Bezahlung nur und nur dann stattfinden, damit und wenn es sich lohnt.

Ganz jenseits dieses Grundwiderspruchs gewerkschaftlicher Arbeit atmet die Kritik, der DGB solle kämpferischer sein, auch Untertanengeist. Der einzige Schluss, den solche Kritiker aus ihrer schäbigen Lage ziehen, scheint zu sein: Welche Partei, Organisation oder Gewerkschaft löst jetzt dieses Problem für mich? Unterstellt ist da allemal, dass die eigene Lebenslage von anderen Figuren abhängig gemacht ist. Das stimmt auch. Gerade das zu ändern ist aber nötig. Wer nicht länger als variables Kapital leben will, der wird damit schon selbst Schluss machen müssen.

Zuerst im Overton-Magazin Krass & Konkret erschienen.

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Oben   —   Book scanner RBS Pro TTInternational Bookfest in Budapest, 2010.

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DER ROTE FADEN

Erstellt von Redaktion am 18. Oktober 2022

Deutsche Waffendebatte: Leopard, Kubicki und andere Panzer

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Nina Apin

Gutes Gerät, schlechtes Gerät: Die Berliner CDU will alte Sowjet-Panzer loswerden. Gleichzeitig hat das Waffen-Bescheidwisser-innentum Konjunktur.

Panzer oder keine Panzer – und wenn ja welche? Die öffentliche Debatte geht munter weiter, obwohl sich der Krieg gegen die Ukraine gerade eher in der Luft abspielt und das erstaunlich schnell vom Hause Lam­brecht gelieferte Luftabwehrsystem Iris-T dort (hoffentlich) gute Dienste verrichtet – auf jeden Fall bessere als nicht gelieferte Leopard-Kampfpanzer.

Doch unsere schönen Panzerdiskussionen lassen wir Deutschen uns so leicht nicht nehmen – wo wir uns in den vergangenen Monaten doch erst mühsam, von Talkshow zu Talkshow, vom Pazifistenvolk zu kriegswaffenkundigen Be­scheid­wis­se­r:in­nen gemausert haben. Ich zum Beispiel habe erst kürzlich kapiert, dass mein Sohn, wenn er von Leopard, Marder und Büffel spricht, sich nicht auf den Bio-Unterricht bezieht, sondern Waffenkunde-Smalltalk betreibt.

Der Krieg ist, zum Glück nur in Form von Quartettkarten-Wissen, im Kinderzimmer angekommen. Vorbei die Zeiten, als es noch um den Kleinen Maulwurf ging, später dann um den Weißen Hai. Jetzt werden am Frühstückstisch Frontlinien-News erörtert – quasi synchron mit den Kriegsmeldungen aus dem Radio.

Aber zurück zu den Panzern: Jetzt hat selbst die Ukraine ihr schwerstes Gerät, den Panzerdiplomaten Andrij Melnyk, aus Berlin abgezogen: „Erhobenen Hauptes mit reinem Gewissen“, wie er auf Twitter schreibt, kehrt dieser nun nach Kiew zurück und wird künftig aus dem Außenministerium rhetorische Geschütze nach Berlin abfeuern.

Panzerwrack für Berlin-Mitte

Er hinterlässt ein paar beleidigte Leberwürste, dafür bekommt Berlin nun ein 40 Tonnen schweres, zerbeultes russisches Panzerwrack. Das darf laut Gerichtsbeschluss jetzt doch für zwei Wochen als Mahnmal in Nähe der russischen Botschaft aufgestellt werden, wie von einem privaten Museum beantragt. Die Pietätsbedenken des Bezirks, schließlich seien in dem Fahrzeug „wahrscheinlich Menschen gestorben“, fand das Gericht weniger gewichtig als die Meinungsfreiheit. Das zerbeulte Ding soll bald in der Schadowstraße stehen, einer Seitenstraße von Unter den Linden.

Hätte, hätte, Panzerkette – auf den Weg in die Ukraine oder ins Museum?

Künftig werde ich also auf dem Weg zur Arbeit an drei russischen Panzern vorbeiradeln. Denn an der Straße des 17. Juni stehen ja noch sehr prominent zwei sowjetische Exemplare, in Erinnerung an die bei der Befreiung Berlins gestorbenen Soldaten der Roten Armee. Seit Februar wird das Sowjetische Ehrenmal von der Polizei bewacht, und, ja, ich hatte auch schon wenig pazifistische Gedanken beim Vorbeifahren. Vor allem immer dann, wenn ich gerade ein Grüppchen umfahren hatte, das in Sichtweite zur russischen Botschaft Plakate gegen die „Nato-Kriegstreiber“ hochhält. Ob diesen Leuten durch den Anblick eines kaputten Panzers irgendein Licht aufgeht, wage ich zu bezweifeln.

Die Berliner CDU hat nun eine andere Idee: Die Panzer am 17. Juni müssen weg – angesichts des russischen Angriffskriegs sei die Grundlage für diese Form des Mahnmals zerstört, verlautete aus ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus. Wie bitte? Ach so, in Berlin ist ja wieder Wahl­kampf: Ge­ra­de streitet man sich darüber, ob die Bundestagswahl nächstes Jahr in 300 oder 400 Wahllokalen wiederholt werden muss. Vorher feuert die in Berlin traditionell zerbeulte CDU schon mal ein paar Blindgänger ab.

Kubicki und Koch-Mehrins Gatte

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Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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America First-again+again

Erstellt von Redaktion am 16. Oktober 2022

America First. Schon wieder !

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Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Im derzeitigen Wirrwarr des Weltgeschehens platzt jetzt auch noch die Ankündigung einer neuen Sicherheitsstrategie der USA. Voller Stolz trägt Biden vor, was die Welt längst weiß: America first!

Vordergründig handelt es sich um eine neue Strategie gegen China, ureigentlich aber um einen alten Traum der USA, der zunehmend zu einer Illusion, oder sollte man sagen einer Besessenheit, geworden ist.

Seit dem „Kalten Krieg“ genießen die USA den zweifelhaften Ruf, Führer der Welt zu sein, politisch, wirtschaftlich und vor allem militätisch. Für die Realität von heute und auch in der Zukunft haben die Politiker der USA weder Einsicht noch Sinn. Nach dem ersten politischen Geplantsche gegen Russland und China kommt Biden unverblümt zur Sache. „Als alter Transatlantiker bekennt sich Biden in seiner neuen Sicherheitsstrategie zur engen Zusammenarbeit mit Europa und ausdrücklich mit der Nato“, so in der SZ.

Ein Hauptmotiv im Widerstreit der Großmächte ist für Biden die Frage, „wer die Zukunft der internationalen Ordnung bestimmen darf“, denn „die USA wollten jene Macht sein, die Standards für die Weltwirtschaft setzt“. Dem hält der Politwissenschaftler und Diplomat Kishore Mahbubani entgegen, dass sich die gesamte asiatische Welt fragt: „Was ist da los mit dem Westen? Wie kann eine Minderheit von zwölf Prozent der Weltbevölkerung den Rest der Welt bevormunden wollen?“ Umso arroganter und vermessener ist da der Wille der USA, anderen Ländern die eigenen Modelle und Wertvorstellungen überzustülpen.

Und, ach oh Wunder, wollen die USA „Militär nicht mehr für Regimewechsel und den Wiederaufbau von Gesellschaften einsetzen“. Für was aber dann? Seit dem Krieg in Vietnam haben die USA keinen Krieg mehr gewonnen, sonder nur Leid und Tod gebracht. Jetzt soll dann wohl das gesamte Militär mit seinen weltweit über 700 Militärstützpunkten nur für den Fall der Fälle vorgehalten werden. Aber nein, es gibt ja immer wieder massive Kriegsmanöver mit weit aufgeblähtem Drohpotential. Dabei hat die Weltgemeinschaft andere Sorgen um ihren Weiterbestand zu sichern, von den aktuellen Wirtschaftsproblemen ganz zu schweigen.

Unevolution

Da sind Kriegsspielchen aller Art geradezu lächerlich. Und die schon wieder vorgetragene Strategie des America First ist ein alter Zopf und unnötig wie ein Kropf. Der weit überwiegende Teil der Weltbevölkerung pfeift auf eine internationale Ordnung, die nur die Werten und Interessen der USA vorgibt! Die USA waren die erste Nation, die so aus Jux und Dollerei zwei Atombomben auf Japan abgeworfen haben, obwohl der Krieg an sich schon vorbei war. Wie kann man einem solchen Staat in Sachen Frieden überhaupt noch trauen?

Auch für die USA muss gelten: Behandle jeden so, wie Du selbst behandelt werden möchtest. Konfuzius, schon wieder.

Urheberrecht
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Oben      —           Politische Karikatur von 1898: Die Schwingen des amerikanischen Adlers überspannen „zehntausend Meilen“ von den Philippinen bis Puerto Rico

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Des Westens Doppelmoral

Erstellt von Redaktion am 16. Oktober 2022

„Das ist unsere Doppelmoral“

Ein Interview von Tobias Schulze mit Kai Ambos

Warum unterstützen viele Länder des Globalen Südens die Sanktionen gegen Russland nicht? Auch wegen der Fehler des Westens in der Vergangenheit, sagt der Völkerrechtler Kai Ambos.

taz am wochenende: Herr Ambos, in Ihrem neuen Buch vertreten Sie die These: Weil der Westen, angeführt von den USA, in Völkerrechtsfragen nicht glaubwürdig ist, erhält er global wenig Unterstützung für seine Ukrainepolitik. Woran machen Sie das fest?

Kai Ambos: Die UN-Generalversammlung hat zwar in dieser Woche eine neue Resolution gegen Russland verabschiedet, aber es haben immer noch 40 Staaten mit Nein gestimmt oder sich enthalten, darunter China, Indien und Südafrika. 143 Länder haben zwar mit Ja gestimmt, aber wenn es konkret wird, tragen davon nur etwa 40 unsere Ukrainepolitik aktiv mit – indem sie sich an Sanktionen, Waffenlieferungen oder Maßnahmen wie der internationalen Strafverfolgung beteiligen. Das ist die Nato plus ein paar andere Länder. Wie kommt das angesichts einer so flagranten Völkerrechtsverletzung, die permanent verschärft wird durch Landraub und jetzt durch massive Luftangriffe? Eine Ursache ist unsere Doppelmoral, die uns unglaubwürdig erscheinen lässt, wenn wir eine regelbasierte Völkerrechtsordnung proklamieren.

Warum?

Es ist richtig, was der Westen sagt: Die russische Invasion in die Ukraine ist eine gravierende Völkerrechtsverletzung. Aber wenn man den Bruch von Normen beklagt, sogar skandalisiert, sollte man sich selbst an diese Normen halten. Der Westen tut das nicht immer.

An welchen Völkerrechtsbruch denken Sie konkret?

Zum einen an Verstöße gegen das Gewaltverbot wie die Invasion im Irak, die völkerrechtswidrig war, weil sie weder auf einer Resolution des UN-Sicherheitsrats beruhte, noch auf das Selbstverteidigungsrecht gestützt werden konnte. Dagegen hat sich Deutschland unter Ex-Kanzler Schröder bekanntlich ausgesprochen, insofern war das nicht der gesamte Westen. Daneben denke ich insbesondere an die extraterritorialen Hinrichtungen im Rahmen des sogenannten Kriegs gegen den Terror, zuletzt die Hinrichtung des Al-Qaida-Führers al-Zawahiri in Kabul durch eine US-Drohne. Gerade diese Hinrichtung, die Parallelen hat zur Exekution eines georgischen Dissidenten im Berliner Tiergarten, die zu einer Verurteilung wegen Mordes durch das Kammergericht Berlin geführt hat, zeigt doch die Doppelmoral. Sowohl Russland als auch die USA nehmen sich das Recht heraus, Menschen zu töten, die sie als Terroristen deklarieren.

Diese Völkerrechtsbrüche haben jeweils unterschiedliche Qualitäten. Der Sturz eines Diktators ist ein anderes Motiv als die Annexion ganzer Landesteile. Ein Top-Terrorist der al-Qaida ist etwas anderes als ein ausgedienter Milizenkommandeur wie das Mordopfer im Tiergarten.

Sie haben recht, es gibt graduelle Unterschiede und das räume ich auch im Buch ein. Prinzipiell macht es aber keinen Unterschied, sondern es kommt nur auf den Völkerrechtsbruch an sich an. Aus dieser Sicht sind unsere Völkerrechtsbrüche ebenso wenig akzeptabel wie die russischen.

Osama bin Laden-Verbindung1.jpg

 Osama bin Laden Compound

Sie haben selbst angesprochen, dass man zwischen den USA und dem Rest des Westens differenzieren muss. Kann in dem Sinne nicht Deutschland für sich in Anspruch nehmen, durchaus glaubwürdig für das Völkerrecht einzutreten?

Vor dem 24. Februar 2022 gab es noch Situationen, in denen es zu Diskussionen innerhalb des Bündnisses kam. Neben dem Irakkrieg gab es den Fall Libyen, in dem Guido Westerwelle als Außenminister einen Militäreinsatz abgelehnt hat. Da wurden diese Streitigkeiten, wie man so schön sagt, unter Freunden offen ausgetragen. Jetzt aber sehen wir – und das ist besonders erstaunlich bei einer grünen Außenministerin – totales Schweigen bei flagranten Völkerrechtsverletzungen. Im Gegenteil, in einer Rede vor einer US-amerikanischen Universität lobte Frau Baerbock die USA gerade erst als Vorbild in der Einhaltung des Völkerrechts. Und zur Tötung von Herrn al-Zawahiri haben Sie keinen einzigen Politiker dieser Bundesregierung gehört. Es muss doch möglich sein, dass man zumindest diplomatisch Bedenken äußert!

Schweigen bedeutet nicht unbedingt Zustimmung.

Dann nehmen wir die gerade genehmigten Rüstungsexporte an die saudische Koalition im Jemenkrieg. Das ist absolut heuchlerisch: Wir liefern diesen Staaten Waffen für einen jahrelangen Krieg, in dem flächendeckend Kriegsverbrechen begangen werden.

Was macht Sie sicher, dass der westliche Ukrainekurs gerade wegen solcher Punkte keine uneingeschränkte Unterstützung findet? Denkbar sind auch andere Motive.

Natürlich, ein anderes ist die koloniale Vergangenheit. Die Russen spielen extrem elegant mit der Karte, dass die Sowjetunion den antikolonialen Befreiungskampf dieser Länder unterstützt hat, während wir zum Teil als Kolonialmächte die Unabhängigkeitsbestrebungen gebremst haben.

Kolonialismus und Völkerrechtsbrüche gab es auch in Russland.

Russland ist natürlich eine imperiale Macht wie die USA und war es historisch auch immer. Insofern ist die Betrachtung eines Landes wie Südafrika, das sagt, die Russen haben uns im Kampf gegen die Apartheid unterstützt und deshalb können wir nicht gegen sie stimmen, auch eine nostalgische Verklärung. Umso erstaunlicher ist es, dass sich solche Staaten dem Westen noch nicht mal auf Ebene eines Votums im UN-Sicherheitsrat oder der UN-Generalversammlung anschließen.

Könnte das nicht auch an schnöden Gründen wie wirtschaftlichen Abhängigkeiten liegen?

Ja, es gibt natürlich noch weitere Faktoren. Es gibt autoritäre Regime, die von Russland unterstützt werden. Nehmen Sie zum Beispiel Venezuela, nehmen Sie gewisse Regime in Afrika wie Eritrea. Trotzdem müssen wir uns überlegen, wieso es nicht gelingt, mehr als 40 Staaten hinter die Sanktionspolitik zu bekommen. Mich stört in diesem Zusammenhang übrigens immer sehr das Narrativ von der internationalen Gemeinschaft, die Russland geschlossen isoliert habe. Das ist eine permanente Beleidigung des Globalen Südens, der eben nicht geschlossen dabei ist. Wir sind weder die Welt noch die internationale Gemeinschaft.

Was könnte der Westen tun, um seine Glaubwürdigkeit wieder aufzubauen? Der Irakkrieg lässt sich ja nicht ungeschehen machen.

Quelle         :          TAT-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 1948

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 13. Oktober 2022

„Krieg und Frieden“
Mit Brennholz gerüstet in den Energiekrieg

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Aus Tallin von Alexey Schischkin

Ukraine, Inflation und Energiekrise. Drei Themen, die in Tallinn sogar Menschen, die sich gar nicht kennen, untereinander diskutieren, statt wie früher übers Wetter zu sprechen. „Putins Energiekrieg“ nennt die estnische Premierministerin Kaja Kallas das, was gerade passiert. Und es fällt schwer, ihr zu widersprechen.

Ich lebe in einer Einzimmerwohnung in einem Holzhaus im Zentrum von Tallinn, die Heizung ist abgeschaltet, nur das Wasser zum Duschen und in der Küche wird mit Gas erhitzt. Und trotzdem ist der Abschlag für Strom zwischen Juni und September von 14 auf monatlich 68 Euro gestiegen. Mit Beginn der Heizperiode drohen die Nebenkosten in Tallinn die Höhe der Wohnungsmiete zu erreichen.

In einem dringenden Appell anlässlich des Beginns der Teilmobilisierung in Russland warnte Kaja Kallas, dass künftig auch Estland von Stromausfällen betroffen sein könne, die von seinem östlichen Nachbarn verursacht werden. Obwohl die Zusammenarbeit zwischen Estland und Russland fast vollständig beendet ist, haben sie noch ein gemeinsames Stromnetz. Die russischen Behörden versichern, dass es keine Pläne gebe, dieses gemeinsame System zu unterbrechen, aber man traut ihnen nicht. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die aktuelle Energiesituation auch ohne Stromausfälle schon bald einen kritischen Zustand erreichen könnte.

„Der billigste Strom ist der, der nicht verwendet wird“, das ist noch so eine populäre Aussage, der man nur zustimmen kann. Staatliche Maßnahmen wurden zwar angekündigt, doch wie wirksam sie sein werden, ist noch umstritten. Und woher der Staatshaushalt die zusätzlichen Mittel für diese Maßnahmen nehmen soll, ist ebenfalls ungeklärt.

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In meinem Hof gibt es jetzt Material für den Energiekrieg – ein Berg Brennholz unter einer Plastikfolie. Auch der Brennholzpreis hat sich in diesem Jahr verdreifacht, aber Ofenheizung ist immer noch am billigsten. Espenholz, das im vergangenen Jahr 47 Euro pro Kubikmeter gekostet hat, wird jetzt für 120 Euro verkauft. Birkenholz lag 2021 bei 55 Euro, jetzt sind 130 Euro fällig. Ich hatte Glück und habe für einen Kubikmeterpreis von 90 Euro kleingesägte Holzpaletten gekauft. „Ich habe nicht mal mehr versucht zu bestellen. Das sind ja Blockadepreise“, lacht meine estnische Nachbarin Kristin, während sie mich dabei beobachtet, wie ich die wertvolle Fracht vom Hof in den Schuppen schleppe.

Quelle        :         TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —       Hafen von Tallinn (Estland)

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Das Volk wird geschockt

Erstellt von Redaktion am 12. Oktober 2022

Energienotstand und  den Schockpolitik

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Von Iwan Nikolajew

  1. Prolog

Bewußt entscheidet sich das deutsche Kapital für eine aggressive Politik, welche die Energieversorgung gefährdet. Der transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland wird auch vom deutschen Imperialismus aktiv befürwortet und ist primär Klassenkampf, denn die Kosten dieses antirussischen Wirtschaftskrieges soll die Arbeiterklasse entrichten.

  1. Die „neue Normalität“ des Notstands

Der Notstand schafft seine eigene, „neue“ Normalität. Seit dem 13. und 17. März 2020 wird die Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum vermittels des „Corona-Notstandes“ an den Notstand überhaupt gewöhnt und damit auf den Verzicht, auf den Verzicht am gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse und auf Verzicht an den vom Proletariat erkämpften Rechten im Kapitalismus. Dies begann langsam und zaghaft mit dem „Corona-Notstand“ und der Ruf nach Verzicht wird in der Ukraine-Krise mit einem möglichen „Energienotstand“ immer lauter. Über eine Strategie der Spannung sollen in der Arbeiterklasse und im Kleinbürgertum Massenängste ausgelöst werden. Es geht darum Panik zu verbreiten und die Schockwirkungen einschneidender Notmaßnahmen schon präventiv zu legitimieren und vorzubereiten. Es werden Gas- und Energiekosten angedroht, die kaum von den Massen zu tragen ist. Die Angst vor der Abschaltung der Energiezufuhr geht in den Massen um, denn die Preise sind jenseits von Gut und Böse. Der bürgerliche Staat hofft dann mit Hilfen und Energierationierungen ein kleineres Übel anzubieten, damit die Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum die deutliche Erhöhung und Rationierung akzeptiert, weil sie sich von noch höheren Preisen fürchtet. Dies gelingt umso leichter, wenn die Arbeiterklasse isoliert, atomisiert ist, wie seit dem „Corona-Notstand“. Die historische Funktion des „Corona-Notstandes“ war es, die Arbeiterklasse und ihre Massenorganisationen zu desorganisieren und zu atomisieren, transparent für eine härtere Stufe des Notstands zu machen. Über den „Corona-Notstand“ lockerte das Kapital die sozialen Beziehungen der Arbeiterklasse auf und bereitete damit eine neue Stufe des Notstands, aber vor allem die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, vor. Die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse durch das Kapital ist die materielle Basis für die Neuzusammensetzung des Kapitals und wird durch den Notstand abgestützt. Im Notstand findet sich dann die Schock-Politik. Das Kapital erklärt ein Ereignis bzw. Zustand, zur existentiellen Gefahr, welcher man nur dann Herr werden kann, wenn man die traditionellen Institutionen und das bisherige alltägliche Verhalten im Sinne eines Notstandsstaates abändert und dies sofort, plötzlich, von einer Stunde auf die nächste Stunde ohne detaillierte Begründung. Der Notstandsstaat schiebt dann die bisherigen bürgerlichen Institutionen zumindest für eine bestimmte Zeit zur Seite und zwingt der Arbeiterklasse einen neuen proletarischen Klassenalltag auf. Im Notstandsstaat gibt es keine ausführliche Begründung, keine demokratische Konsenssuche, kein Ausgleich und kein Gleichgewicht; es gibt nur den Befehl. Nur durch den Befehl der Exekutive soll die existenzielle Gefahr überwunden werden können. Erst nach Überwindung der existentiellen Gefahr kann es wieder für das Kapital eine Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen geben. Ohne die plötzliche existentielle Gefahr, bzw. Schock, keinen Notstand. Der Notstand ist ein „Gegen-Schock“, ein plötzliches Ereignis zur Negation einer plötzlichen Gefahr und potenziert die Schock-Wirkung. Der Schock verdoppelt sich im Notstandsstaat und desorganisiert die Arbeiterklasse. Eine organisierte proletarische Gegenwehr muß schon vorher organisiert sein, ansonsten kann sie im Augenblick des Schocks nicht mehr organisiert werden. Der Schock desorganisiert und atomisiert die Arbeiterklasse tendenziell, zielt auf Lähmung und Handlungsunfähigkeit, zielt auf Blitzkrieg und einem politischen und militärischen Enthauptungsschlag. Mit einem gezielten Schlag gegen politische und soziale Knotenpunkte der Arbeiterklasse wird die Arbeiterklasse als Ganzes entmachtet und entrechtet, denn dann ist ein organisiertes Handeln nicht mehr möglich. Die mächtigste Waffe des Proletariats ist proletarische Organisierung und damit der Klassenkampf. Über eine Schock-Politik versucht die Bourgeoisie diese proletarische Waffe mit einem gezielten Schlag zu zerstören. Das Ziel der bürgerlichen Strategie der Spannung ist es, einen Schock-Moment zu organisieren, hier einen sozioökonomischen Schock, um dann die bisherige neoliberale Zusammensetzung der Arbeiterklasse zu zerstören und eine multipolare, nationalliberale Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse einzuleiten.

Der deutsche Imperialismus provoziert mit seinem transatlantischen Wirtschaftskrieg offen und ganz bewußt das Ende der Energielieferungen (Gas, Öl und Kohle) aus Rußland und damit einen ökonomischen Schock. Eine bürgerliche Einheitsfront von Kapital, aller wesentlichen Parteien (einschließlich der Linkspartei) innerhalb der kollektiven Einheitspartei, aller wesentlichen Verbände und der von der Gewerkschaftsbürokratie beherrschten Gewerkschaften, die bürgerliche „Zivilgesellschaft“ mit samt der „Kulturindustrie“ und den privaten und staatlichen Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) provozieren bewußt einen russischen Abbruch der Rohstofflieferungen, die auch über die Lieferung von Energierohstoffen hinausgehen. Schon jetzt schlägt sich dies in Problemen der Lieferketten und vor allem in einer inflationären Tendenz nieder. Doch der deutsche Imperialismus läßt nicht nach, versucht alle Brücken zum russischen Imperialismus abzubrechen und provoziert eine Energiekrise und damit einen „Energienotstand“. Andere Lösungsmöglichkeiten sind möglich, werden jedoch vom deutschen Imperialismus bewußt ausgeschlagen. Der deutsche Imperialismus setzt bewußt auf eine Eskalation des transatlantischen Wirtschaftskrieges gegen den russischen Imperialismus mit allen Konsequenzen. Einige bürgerliche Ökonomen in Deutschland fordern gar ein „Ultimatum“ an Rußland. Wenn nicht die Gaspreise gesenkt werden, dann sollte Deutschland mit dem Abbruch der Lieferbeziehungen im Gasmarkt drohen bzw. diese Drohung dann realisieren. Jedoch ist Deutschland abhängig von der Lieferung russischer Energierohstoffe. Ein Ultimatum ist die letzte diplomatische Warnung bzw. Forderung vor der Kriegserklärung, d.h. Rußland wird im Bereich des Gasmarktes von Deutschland der Krieg erklärt, den Gas- und Energiekrieg. Immer mehr ist der deutsche Imperialismus bereit, einen Gas-bzw. Rohstoffkrieg mit Rußland zu provozieren und letztlich den Krieg, denn wenn Rußland nun seinerseits die Gaslieferungen abbricht, bricht die Akkumulation des deutschen Kapitals drastisch ein. Dann gäbe es nur noch einen militärischen NATO-Angriff auf Rußland, um sich die strategischen Rohstoffe vermittels offenen Raub anzueignen. Das wäre dann der Beginn des Dritten Weltkrieges. Ein „Gasultimatum“ führt notwendig zum eigentlichen Ultimatum und ist damit eine verdeckte Kriegserklärung an Rußland. Der deutsche Imperialismus ist bereits zum dritten Male bereit, sich seinen „Lebensraum im Osten“ mit offener Gewalt und offenen Terror zu erobern, wenn er mir den Methoden der „friedlichen“ Durchdringung scheitern sollte. Dies setzt dann auch eine „neue Ordnung“ im inneren voraus und ein sozioökonomischer Schock wäre die Initialzündung für die Schaffung einer „neuen Ordnung“. Ein sich eskalierender Wirtschaftskrieg schafft eine neue „gesellschaftliche Ordnung“ im inneren, legt die materielle Basis für eine Kriegswirtschaft und damit für den imperialistischen Krieg, hier konkret wieder gegen Rußland. Der „äußere“ Feind“ ist notwendig für die Beseitigung des „inneren Feindes“, d.h. der proletarischen Massenorganisationen, welche die Interessen der Arbeiterklasse vertreten. Nur durch einen „äußeren Feind“ der als „gemeinsamer Feind“ der „Nation“ ausgegeben wird, kann die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse-Neuzusammensetzung des Kapitals im nationalen Rahmen realisiert werden und dann im zweiten Schritt auf der internationalen Ebene, dem Weltmarktzusammenhang, auch vermittels imperialistischen Krieg. Der Krieg im Kapitalismus ist nur die Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln, mit militärischen Mitteln. Auch der deutsche Imperialismus ist dabei eine Kriegswirtschaft aufzubauen und damit setzt eine Militarisierung der Klassenbeziehungen ein, welche sich konkret in einer Regulation der Klassenverhältnisse durch Rationierung ausdrückt. Das Wertgesetz drückt sich nicht mehr unmittelbar aus, sondern nur noch vermittelt über die militarisierte Intervention des bürgerlichen Staates in die Ökonomie. Über die Intervention des bürgerlichen Staates in die Ökonomie interveniert der bürgerliche Staat gleichzeitig in die Klassenbeziehungen, in die Arbeiterklasse. Durch die bürokratische Fixierung von Zielen und Durchführungsbestimmungen von Seiten des bürgerlichen Staates in die materielle Basis, wird auch die Arbeiterklasse einer Neuzusammensetzung unterzogen.

Mittlerweile traut sich auch das Kapital direkt, ohne Umweg über den bürgerlichen Staat, nach dem Notstand zu rufen. So forderte Ende Juni der Vorsitzende der BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) Rainer Dulger einen „nationalen Notstand“ als Antwort auf die Energiekrise, meinte aber noch konkreter die Arbeitskampfmaßnahmen von verdi in den Seehäfen, denn diese verschärften die Lieferkettenprobleme. Mit dem „nationalen Notstand“ sollten Streiks gebrochen werden, das „Streikrecht“ selbst aber nicht angetastet werden, d.h. das „Streikrecht“ wird nicht abgeschafft, sondern „nur“ für die Zeit des Notstandes suspendiert. Später im August fordert auch Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf bei einem Abbruch der russischen Gaslieferungen einen „nationalen Notstand“ mit Streikverbot. Jedoch nur die verdi-Bürokratie reagierte mit einer scharfen Kritik und der Warnung vor dem autoritären Staat. Die Bürokratien der anderen Einzelgewerkschaften schweigen sich laut aus und auch die DGB-Bürokratie. Diese Reaktionen der Gewerkschaftsbürokratien wundert nicht, denn sie gehen inhaltlich mit dem „nationalen Notstand“ des BDA tendenziell konform, indem sie eine Rationierung des privaten Gasverbrauchs fordern. Der Arbeiterklasse soll nur noch ein bestimmtes Mindestniveau an Gas kostengünstig gewährt werden. Alles, was über dieses Mindestniveau hinausgeht, muß zu hohen Preisen von der Arbeiterklasse gekauft werden. Gleichzeitig verweigern sich die Gewerkschaftsbürokratien den Reallohnverlust durch höhere Lohnforderungen zu kompensieren. Wird dies verweigert, bleibt nur der drastische Reallohnverlust, welcher mit einer gewissen Rationierung des Energieverbrauchs über Kompensationszahlungen abgemildert, aber nicht aufgehoben wird. Das Ziel dieser Rationierung ist es, den Gasverbrauch bzw. den Energieverbrauch der Arbeiterklasse drastisch zu senken, damit die Gas-und Energieversorgung des Kapitals konstant bleiben oder gar ausgebaut werden kann. Eine Umverteilung des Gas-bzw. Energieverbrauchs von der Arbeiterklasse zum Kapital. Jedoch wäre die Rationierung des Energieverbrauchs nur der Auftakt zu einer umfassenden Rationierung und damit der drastischen Absenkung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, vermittels einer Kriegswirtschaft. In Hamburg fordert der Umweltsenator schon jetzt die Rationierung von Warmwasser. Nun heißt es: Kanonen statt Butter. „Nationaler Notstand“ heißt konkret Rationierung der Arbeiterklasse. Immer tiefer sinkt der DGB auf die Stufen einer Arbeitsfront herab, wie einst 1914, wo sich die Gewerkschaftsbürokratie einer Selbstgleichschaltung unterzog bzw. wie 1933, wo eine Selbstgleichschaltung der Gewerkschaftsbürokratie nicht gelang, die Gewerkschaften aber derart zersetzt waren, daß die terroristische Gleichschaltung der Gewerkschaften durch den Faschismus eine Leichtigkeit war. Die historische Mission der Gewerkschaften ist die Verteidigung und Hebung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, aber nicht der „nationale Verzicht“. Damit unterstützt auch die DGB-Bürokratie den deutschen transatlantischen Wirtschaftskrieg gegen Rußland, ein Wirtschaftskrieg, der leicht in den Dritten Weltkrieg umschlagen kann.

Es wird eine politische Spannung aufgebaut, ein Energiemangel, der nur über Rationierung bekämpft werden kann und der bürgerliche Staat bietet sich an diese Rationierung zu übernehmen, denn eine Rationierung direkt über das Wertgesetz sei noch die schlechteste Lösung für die Arbeiterklasse. Ein bestimmtes Quantum Gas/Energie als Mindestleistung wird durch eine Rationierungspolitik der Arbeiterklasse zugeteilt. Will die Arbeiterklasse diese staatliche Reduktion nicht akzeptieren, kann sie über den Markt Energie/Gas zukaufen, was real wegen den hohen Kosten nicht möglich ist. Damit wird die Energiemenge an die Arbeiterklasse reduziert und das Kapital kann sich dann die „frei“ werdende Menge an Energie/Gas einverleiben. Eine Energierationierung wäre der potentielle Einstieg in ein System der umfassenden Rationierung der individuellen und gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeiterklasse. In der Rationierung liegt die Militarisierung der Klassenbeziehungen. Erst der Schock, dann die Rationierung.

Der bürgerliche Staat in Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) garantiert die „nationale Sicherheit“ der Akkumulation. Die Weltmarktkonkurrenz verdoppelt sich in Ökonomie und Politik. Damit verdrängt die „nationale Sicherheit“ die parlamentarisch-demokratische Form bürgerlicher Klassenherrschaft, welche die Form bürgerlicher Klassenherrschaft ist, die die Arbeiterklasse noch am ehesten akzeptieren kann, denn nur dort kann die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft ausgebaut werden, kann die Arbeiterklasse Eroberungen im Kapitalismus machen und verteidigen. Somit ist die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates für die Arbeiterklasse existentiell, nicht aber für das Kapital. Für das Kapital ist die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates austauschbar, zufällig, je nach den Bedürfnissen der Kapitalakkumulation disponibel. Diese Austauschbarkeit der Formen bürgerlicher Klassenherrschaft, welche sich in den historischen Formen des bürgerlichen Staates konkret-spezifisch materialisiert, ist in letzter Instanz vom Klassenkampf abhängig. Auch die herrschende Klasse kann nicht frei die Formen ihrer Klassenherrschaft wählen, sondern diese wird im Klassenkampf konkret bestimmt. Ist die Arbeiterklasse in der Defensive, in die Passivität gedrängt, kann die Bourgeoisie ohne große Rücksicht auf die Arbeiterklasse die Formen ihres Klassenregimes selbst bestimmen und die Intensität der Ausbeutung anziehen. Der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) ist ein Produkt der Defensive der Arbeiterklasse und organisiert sich um die „nationale Sicherheit“.

Nach dem Dogma der „nationalen Sicherheit“ wird die Ausbeutung der Arbeiterklasse neu organisiert. Der Begriff der „nationalen Sicherheit“ setzt eine potentielle Bedrohung derselben voraus, erst, wenn die „nationale Sicherheit“ vermeintlich bedroht wird, wird die „nationale Sicherheit“ betont. Damit setzt der Begriff der „nationalen Sicherheit“ einen Feind voraus. Ohne einen „Feind“ ist die Frage nach der „nationalen Sicherheit“ sinnlos. Die Bourgeoisie erklärt die Arbeiterklasse zum Feind, weil diese sich naturwüchsig ihrer Neuzusammensetzung im Prozeß der Neuzusammensetzung des Kapitals widersetzt. Indem die Bourgeoise die Arbeiterklasse über den Begriff der „nationalen Sicherheit“ zum Feind erklärt, negiert sie die parlamentarisch-demokratischen Formen des bürgerlichen Staates und damit auch alle reformistischen Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus und ebenso jeden historischen Klassenkompromiß. Jede Form eines historischen Klassenkompromisses bedroht dann die „nationale Sicherheit“ der Bourgeoisie, welche vermeint für die „Nation“ zu sprechen. In der „Nation“ ist die Arbeiterklasse nur als Untertan geduldet, sie hat keine Ansprüche zu stellen, sondern zu gehorchen. Nur als Objekt der Ausbeutung, nicht aber als politisches Subjekt der Geschichte ist die Arbeiterklasse geduldet. Damit werden die proletarischen Massenorganisationen zu Feindorganisationen, zu terroristischen Organisationen, zu „Gefahrenquellen für die nationale Sicherheit“ und müssen entweder zerschlagen oder gleichgeschaltet werden. Unter diesem Druck kapituliert die Gewerkschaftsbürokratie, was nicht anders zu erwarten war, denn sie erhofft sich durch diese Kapitulation die organisatorische Existenz zu sichern, kapituliert nicht in dem sie auf ihre Gleichschaltung wartet, sondern organisiert präventiv, im vorauseilenden Gehorsam, ihre Selbstgleichschaltung. Jedoch alle anderen Organisationen, wo sich noch keine Arbeiterbürokratie herausbilden konnte, wählen nicht den Weg der Kapitulation und der bürgerliche Staat in Notstandsform wird mit präventiver Repression vorgehen, wenn es nötig werden sollte, um diese Organisationen zu zerschlagen. Die Gewerkschaftsbürokratie hingegen versucht immer mehr die Gewerkschaften des DGB in den bürgerlichen Staat einzubauen und damit die Gewerkschaften als Arbeitsfront zu organisieren. Unabhängige, freie, autonome Gewerkschaften kann der bürgerliche Staat in Notstandsform nicht akzeptieren. Auch der DGB wird immer mehr zum Sprachrohr des Notstandsstaates, denn ebenso dort findet man eine Propaganda für den Verzicht. Verzicht soll Solidarität sein. Doch gerade die historische Aufgabe der Gewerkschaften ist es, die Arbeiterklasse gegen den Verzicht zusammenzuschließen; eine Solidarität der Arbeiterklasse gegen den Verzicht. Konsequent verweigern die DGB-Gewerkschaften auch eine Politik des inflationären Lohnausgleichs um den Reallohnverlust durch inflationäre Tendenzen auszugleichen und verweisen auf die Politik des bürgerlichen Staates. So wie sich die Gewerkschaftsbürokratie bezüglich der inflationären Tendenzen für nicht zuständig erklärt, weil die „Politik“ diese zu verantworten hat, wird sie sich auch bei deflationären Tendenzen für nicht zuständig erklären, weil „die Politik“ diese zu verantworten hat, d.h. die Gewerkschaftsbürokratie verweigert sich dem politischen Mandat der Gewerkschaften und verhindert eine relative proletarische Gegenmacht. Inflation und Deflation sind politische Größen und keine „technischen Daten“ der Ökonomie. Damit gibt die Gewerkschaftsbürokratie selbst ihre relative Tarifautonomie auf, statt diese gegen den bürgerlichen Staat zu verteidigen und erkennt somit den Notstandsstaat als letzte Entscheidungsinstanz an und damit auch das Dogma der „nationalen Sicherheit“. Das bürgerliche Dogma der „nationalen Sicherheit“ triumphiert über das von der Arbeiterklasse erkämpfte Recht in einer relativen Tarifautonomie gegen das Kapital bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen zu erkämpfen, ohne daß das Kapital offen und ohne weiteres auf die Machtmittel des bürgerlichen Staates zurückgreifen kann. Die Gewerkschaftsbürokratie negiert selbst dieses existentielle Recht der Arbeiterklasse und seiner Gewerkschaften. Im Notstandsstaat steht die „nationale Sicherheit“ des Kapitals absolut über den auch nur reformistischen Klasseninteressen des Proletariats. Jede proletarische Organisation, welche nicht die Hegemonie der „nationalen Sicherheit“ akzeptiert ist für den Notstandsstaat eine Feindorganisation und muß zerstört werden.

Dies beginnt mit der Einführung von Zensurmaßnahmen, deren Ziel es ist, die freie Meinungsbildung im Proletariat im Sinne der „nationalen Sicherheit“ zu regulieren. Es gilt, die proletarische Meinungsbildung im Sinne der „nationalen Sicherheit“ zu manipulieren. Eine offene Diskussion in der Arbeiterklasse versucht die Bourgeoisie zu verhindern, denn sie gefährdet die „nationale Sicherheit“ der Akkumulation von Kapital. Nur eine offene Diskussion im Proletariat schafft die materielle Basis für die proletarische Aktion. Die gegenwärtigen direkten und indirekten Zensurmaßnahmen dienen über die Meinungssteuerung der Verhinderung kollektiver proletarischer Aktion. Es werden von der Bourgeoisie die Meinungsbeiträge selektiert in Meinungsbeiträge, welche die „nationale Sicherheit“ gefährden und Beiträge, welche die „nationale Sicherheit“ nicht gefährden. Diese konkreten Meinungsbeiträge, welche die „nationale Sicherheit“ beeinträchtigen könnten, werden unterdrückt oder manipuliert. Damit werden proletarische Aktionen erschwert, verhindert werden können sie nicht. Die bürgerliche Meinungssteuerung ist auch ein Versuch, die politischen Aktionen der Arbeiterklasse zu steuern, ohne auf offensichtliche Repression zu setzten. Umso tiefer die Große Krise wird, desto mehr reicht die bürgerliche Meinungssteuerung nicht aus. Es muß auf die direkte nackte Repression zurückgegriffen werden.

Wenn der deutsche transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse deutlich gefährdet, wird die Arbeiterklasse die „nationale Sicherheit“ des Kapitals gefährden müssen. Dann steht „proletarische Existenzsicherheit“ gegen „nationale Sicherheit“ des Kapitals. Die sozioökonomische Spannung zwischen den antagonistischen Klassen entlädt sich zuerst in spontanen Revolten, auch in wilden Streiks und der Notstandsstaat versucht schon präventiv, die spontanen Revolten unter Kontrolle zu bekommen. Diese soziale Polarisierung aufgrund der Vertiefung der Großen Krise übersetzt sich in eine politische Polarisierung, wenn die Bourgeoisie eine notstandsgestützte Deflationspolitik realisieren sollte. Mittlerweile befürchtet die deutsche Außenministerin Volksaufstände und das Bundesinnenministerium warnt vor großen Protestwellen, sollte sich die Große Krise in Form einer Energiekrise durch das Ausbleiben von Gaslieferungen aus Rußland darstellen. Der BDA (Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände) ruft nach einem „nationalen Notstand“ und möchte für eine gewisse Zeit das Streikrecht suspendieren, gerade im Hinblick des Streiks der Hafenarbeiter, denn dieser Streik belastet die Lieferketten des deutschen Kapitals. Der bürgerliche Staat geht schon einmal voran und verbietet bis Ende August die Warnstreiks in den Seehäfen und die verdi-Bürokratie akzeptiert dies, anstatt das Streikrecht zu verteidigen, was zum Protest an der Gewerkschaftsbasis führt. Schon bei den Warnstreiks kam es zu Auseinandersetzungen mit Polizeieinheiten. Der „nationale Notstand“ tastet sich langsam voran. Je näher der Energiemangel kommt, desto näher rückt auch der „nationale Notstand“ vor.

Der deutsche Imperialismus ist keine Kolonie des US-Imperialismus. Damit kann die Politik des deutschen Imperialismus nicht auf die Politik des US-Imperialismus reduziert werden, sondern die Politik des deutschen Imperialismus ist primär Ausdruck der Interessenlage des deutschen Kapitals, welche durch die Interessenlage des US-Imperialismus und der anderen transatlantischen Metropolen modifiziert wird. Auch der deutsche Imperialismus hat kein Interesse an einem wiedererstarkten russischen Imperialismus, sondern versucht den russischen Imperialismus in der Position eines bloßen Energie- und Rohstoffproduzenten, maximal einer verlängerten Werkbank für das deutsche Kapital, zu belassen. Da für diese Eindämmungspolitik der deutsche Imperialismus zu schwach ist, bedarf es der Hilfe des US-Imperialismus, welcher die gleichen Interessen gegenüber dem russischen Imperialismus verfolgt, wie auch die anderen transatlantischen Kettenglieder der imperialistischen Kette. Den transatlantischen Kettengliedern der imperialistischen Kette geht es um den wohlfeilen Zugriff auf die strategischen Rohstoffe des russischen Imperialismus und um die Verhinderung des Aufbaus einer hochentwickelten russischen Industrie. Es gibt ein gemeinsames imperialistisches Interesse der transatlantischen Metropolen gegenüber dem russischen Imperialismus und nicht nur das alleinige Interesse des US-Imperialismus. Der Ausbruch des russischen Imperialismus aus dem neoliberalen Weltmarkt ist gleichzeitig auch ein Ausbruch Chinas aus dem denselben, zerbricht den neoliberalen Weltmarkt und gefährdet damit objektiv die Interessen aller transatlantischen Metropolen, gefährdet die „transatlantische nationale Sicherheit“. Der Ukraine-Krieg macht deutlich, daß die Versorgung des transatlantischen Kapitals mit strategischen Rohstoffen nicht mehr gewährleistet ist. Der „Ernstfall“ ist für die transatlantischen Metropolen eingetreten, also das Ereignis, daß unter allen Umständen verhindert werden sollte. Im „Ernstfall“ wird die transatlantische Front in der imperialistischen Kette gegen den russischen Imperialismus besonders deutlich. Nicht die Interessen des US-Imperialismus sind maßgeblich, sondern die Gesamtinteressen der transatlantischen Kettenglieder der imperialistischen Kette. Nur in diesem einen Fall gibt es eine zeitweise eine partielle Interessenidentität zwischen den transatlantischen Metropolen der imperialistischen Kette. Je länger der Ukraine-Krieg andauert, desto mehr zerbricht die zeitweilige und partielle Interessenidentität zwischen den transatlantischen Metropolen, dann sind EU und NATO am russischen Imperialismus gescheitert und jede Metropole wird alleine und/oder mit anderen Metropolen zusammen sich mit dem russischen Imperialismus ins Verhältnis setzen. Auch der deutsche Imperialismus vertritt in letzter Instanz nur seine eigenen Interessen und wird mit dem transatlantischen Scheitern auf den deutschen Sonderweg zurückkehren, sein Mitteleuropa-Konzept wieder revitalisieren.

Die notwendige Zinserhöhung der EZB droht die Euro-Krise wieder aufleben zu lassen und gefährdet damit potentiell die Euro-Zone und auch die EU. Diese Krisentendenz potenziert sich zusätzlich mit dem transatlantischen Wirtschaftskrieg gegen Rußland, welcher dazu führt, daß sich die EU von ihrer Energiezufuhr tendenziell abschneidet bzw. abgeschnitten wird. Es droht ein Energienotstand in der EU und jedes Land wird unter diesen Umständen versuchen, sich zu retten, statt gemeinsam unterzugehen. Mit einer Energiekrise realisiert sich die aufziehende Rezession in der EU rascher und tiefer und die Fliehkräfte innerhalb der EU werden sich früh bemerkbar machen. Die Frage ist offen, ob es dem deutschen Imperialismus gelingt, die EU zusammenzuhalten oder ob der deutsche Imperialismus ein neues (Mittel-) Europa organisieren muß. Der transatlantische Wirtschaftskrieg schlägt als Energie-Krieg auf die EU, auf den deutschen Imperialismus, zurück. Ohne die russischen Energierohstoffe kann das transatlantische Kapital, auch das deutsche Kapital, nicht akkumulieren. Es geht nicht nur um die Verfügbarkeit der russischen Energierohstoffe, sondern auch einen wohlfeilen Preis. Hohe Energiekosten belasten die Akkumulationsrate des transatlantischen und deutschen Kapitals. Vor allem das deutsche Kapital hatte über wohlfreie Preise für Energierohstoffe aufgrund langfristiger Lieferverträge mit den russischen Lieferanten beträchtliche Vorteile in der Weltmarktkonkurrenz. Diese Konkurrenzvorteile hat das deutsche Kapital nun verloren. Die hohen Energiekosten können auch nicht in voller Höhe inflationär an die Kunden weitergegeben werden, da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht ausreicht. Dann bleibt nur der deflationäre Ausweg über Produktionskürzungen wie Produktionseinstellungen und damit Lohnkürzungen und Massenarbeitslosigkeit, was ebenfalls zum drastischen Absinken der gesamtgesellschaftlichen Nachfrage führt. Die Entwertung des Kapitals ist notwendig und alternativlos. Damit treiben die hohen Energiekosten die Entwertung des Kapitals in der allgemeinen Bewegung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate voran. Um diese Überakkumulation von Kapital zu transzendieren, muß das Kapital sich neu zusammensetzen und damit primär die Arbeiterklasse einer Neuzusammensetzung unterziehen. Nur über eine qualitative Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit im Ausbeutungsprozeß, kann einen Aufschwung der Akkumulation herbeiführen. Dies schließt auch die Potentialität eines imperialistischen Krieges mit ein. Läßt sich nicht auf friedlichem Wege eine qualitative Erhöhung der kapitalistischen Produktivkraft der Arbeit realisieren, besteht die Gefahr, daß über den Krieg als Fortsetzung der Weltmarktkonkurrenz mit anderen Mitteln die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse verwirklicht wird. Der imperialistische Raubkrieg als kapitalistische Alternative zur „friedlichen“ Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Die Vorenthaltung der russischen Energierohstoffe durch Rußland kann zu einem militärischen Angriff auf Rußland durch die transatlantischen Metropolen führen und damit auch durch den deutschen Imperialismus. Der deutsche Imperialismus kann die Vorenthaltung der russischen Rohstoffe und vor allem der Energie-Rohstoffe nicht nur als Wirtschaftskrieg, sondern auch als Krieg interpretieren und zum militärischen Angriff ansetzen, wenn er die militärische Kraft hätte. Jedoch ist nur der US-Imperialismus in der Lage, Rußland militärisch zu bedrohen.

Über das „Energiesparen“ kann das deutsche Kapital die Krise nicht überwinden. Jedoch führt das „Energiesparen“ zum „Sparen in der Krise“ und vertieft damit diese. „Sparen“ ist dann kein freiwilliger Akt, sondern, sondern wird der Arbeiterklasse vermittels Wertgesetz und damit auch vermittelt über den bürgerlichen Staat aufgezwungen. Dieses derzeit propagierte „Energiesparen“, bzw. „Sparen“ ist eine ideologische Umschreibung für Verzicht, erfolgt nicht freiwillig, sondern ist vom Kapital erzwungen und wird vermittels des Notstandsstaates realisiert. Die Arbeiterklasse spart nicht, weil sie sparen will, sondern weil sie sparen muß, weil sie vom Kapital zum Sparen gezwungen wird. Eine Deflationspolitik ist eine Sparpolitik und damit ein Angriff auf das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse. Letztlich rationiert der Notstandsstaat. Für den Notstandsstaat wird das „Sparen“ der Arbeiterklasse zu einer Frage von Freund und Feind. Wer spart, wer verzichtet, ist ein „Freund“, wer jedoch sich dem „Sparen“ bzw. dem Verzicht verweigert, ist ein „Feind“, ein „Staatsfeind“. Die Aufgabe des Notstandsstaates ist es, das „Sparen“ bzw. den Verzicht der Arbeiterklasse sicherzustellen und damit zu erzwingen, denn das „Sparen“ bzw. der Verzicht wird zu einer Frage der „Staatstreue,“ der „Loyalität“ zum bürgerlichen Staat und zur bürgerlichen Gesellschaft, bzw. noch ideologischer gefaßt als Frage der „Demokratie“, des „freien Westens“ (Sparen bzw. Verzicht ist Freiheit), der „wehrhaften Demokratie“. In kapitalistischen Krisenzeiten ist das „Sparen“ bzw. der Verzicht der Arbeiterklasse alternativlos. Erst der revolutionäre Bruch mit dem Kapitalismus beendet die Alternativlosigkeit des kapitalistischen „Sparens“ bzw. des Verzichts. In dieser gegenwärtigen Krisensituation ist das „Sparen“ bzw. der Verzicht der Arbeiterklasse für das Kapital eine Frage der „nationalen Sicherheit.“ Wer sich des „Sparens“ und damit des Verzichts verweigert, ist eine „Bedrohung für die „nationale Sicherheit“ und somit ein „Feind“ und muß politisch und notfalls auch physisch liquidiert werden. Wer sich dem „Sparen“ bzw. dem Verzicht verweigert, ist ein Hochverräter in den Augen der Bourgeoisie. Die „neue Normalität“ des Notstandsstaates ist das „Sparen“, das „Verzichten“ der Arbeiterklasse zu Gunsten des Kapitals. Ideologisch soll über das Paradigma des Energiesparens die Deflationspolitik in den Massen, vor allem im Kleinbürgertum, verankert werden. Wenn es gut ist, Energie zu sparen, dann kann ebenfalls nur gut sein, auch bei den Ausgaben etc. zu sparen, d.h. über den Energienotstand und das „Energiesparen“ wird eine Deflationspolitik vorbereitet. Aus dem „Sparen“ überhaupt wird vermittelt über das „Energiesparen“ zum Schutze der Ökologie eine Tugend gemacht und somit ist dann auch eine Austeritätspolitik/Deflationspolitik/Sparpolitik eine Tugend bzw. der Verzicht wird in der tiefen kapitalistischen Krise zur Tugend erklärt, natürlich nur bezüglich der Arbeiterklasse. Die Bourgeoisie verzichtet nicht, sie gewinnt dann den Teil, auf den die Arbeiterklasse verzichtet. Für das Kapital heißt sparen: Kosten sparen, betriebliche und staatliche Ausgaben, Löhne und soziale Transferleistungen zu sparen, d.h. abzusenken. Die Energiekosten der kapitalistischen Produktion zu senken, auch auf Kosten der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Ware Arbeitskraft ist das Ziel und nicht der Schutz der ökologischen Grundlagen der Gesellschaft.

Der Energiemangel des deutschen Kapitals aufgrund des antirussischen Wirtschaftskrieges soll über eine Rationierungspolitik zu Lasten der Arbeiterklasse über den Notstandsstaat reguliert werden. Nicht nur national. Der deutsche Imperialismus versucht EU-weit einen „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ zu organisieren. Die einzelnen EU-Staaten sollen mindestens 15 Prozent an Gas bzw. Energie einsparen, um die Mangellieferungen oder gar den Abbruch der russischen Energielieferungen, vor allem der Gaslieferungen, abzufangen. Jedoch konnte sich die EU nur auf Absichtserklärungen einigen. Verbindliche Zusagen haben die einzelnen EU-Staaten nicht gegeben. Der Versuch des deutschen Imperialismus, die EU geeint in einen Wirtschaftskrieg bzw. gar in einen Krieg, bzw. Dritten Weltkrieg, gegen den russischen Imperialismus zu führen, ist bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt. Dieser angestrebte „Energienotstand“ ist nicht nur eine Waffe im antirussischen Wirtschaftskrieg, sondern ebenso ein Moment der Kriegswirtschaft zur Organisierung des potentiellen Krieges gegen Rußland und damit objektiv des Dritten Weltkrieges. Im „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ wird die Energie, bzw. das Gas, im Sinne des Akkumulationsprozesses rationiert und damit zur Lasten der Arbeiterklasse und zum Wohle der Kriegsvorbereitung des deutschen und transatlantischen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus im Rahmen eines in letzter Instanz notwendigen Dritten Weltkrieges. Dieser Dritte Weltkrieg kann nicht vom Kapitalismus abgewendet werden, sondern nur durch den aktiven Klassenkampf der Arbeiterklasse. Der Kapitalismus ist nicht friedensfähig, sondern nur kriegsfähig. Damit dient der nationale oder EU-weite „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ der imperialistischen Kriegsvorbereitung der transatlantischen Metropolen gegen den russischen Imperialismus im Rahmen eines Dritten Weltkrieges. Im Wirtschaftskrieg wird die Kriegswirtschaft aufgerichtet, welche dann den Krieg, den Dritten Weltkrieg, vorbereitet. Das „Sparen“ bzw. der Verzicht der Arbeiterklasse ermöglicht den antirussischen Wirtschaftskrieg, welcher die Arbeiterklasse hart trifft und bereitet einen potentiellen Dritten Weltkrieg vor. Der proletarische Verzicht des kapitalistischen Verzichts ist die materielle Basis für die Verhinderung eines Dritten Weltkrieges.

Dies Mitteleuropa-Konzept des deutschen Imperialismus verlangt erst einmal im Binnenverhältnis eine neue Formierung der Klassenbeziehungen. Die derzeitige tiefe Krisenphase der Großen Krise zerbricht die Westbindung des deutschen Imperialismus und der deutsche Imperialismus ist auf sich allein gestellt und muß sich in den multipolaren Weltmarkt einordnen, geht auf den deutschen Sonderweg zurück und dies verlangt auch nach der traditionellen militarisierten deutschen Gesellschaft. Der „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ erzwingt eine tendenzielle Kriegsökonomie, welche auf Rationierung des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse beruht. Will die Kriegswirtschaft des deutschen Imperialismus erfolgreich sein, kann sie nicht nur national organisiert sein, sondern muß über die engen nationalen Grenzen hinausgreifen, muß auf Westeuropa zielen. Der deutsche Imperialismus zielt immer auf ein „Mitteleuropa,“ entweder über eine transatlantische EU oder über ein deutsches Mitteleuropa. Um in der Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus zu bestehen, bedarf der deutsche Imperialismus die Ressourcen Westeuropas, muß jetzt gleichzeitig versuchen, das transatlantische Westeuropa notfalls in ein „neues Mitteleuropa“ zu transformieren. Nur dann kann der deutsche Imperialismus in seiner Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus um die Hegemonie in Europa sicherstellen, daß proletarische Revolten in Deutschland in der Defensive verbleiben. Jedoch führt dies zur Schwächung der anderen transatlantischen Metropolen und provoziert dort proletarische Revolten. Das „deutsche Mitteleuropa“ ist in letzter Instanz keine Lösung. Doch andere Lösungen sind im Kapitalismus nicht möglich.

Bisher war der deutsche transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland ein Fehlschlag. Statt den russischen Imperialismus zu ruinieren, ruinierte sich der deutsche Imperialismus selbst. Die Wirtschaftssanktionen befeuerten die schon vorhandenen inflationären Tendenzen und führten zur Inflationierung des Energieverbrauchs und zum Ende der langfristigen Lieferverträge für Energierohstoffe aus Rußland und tangieren somit die Verwertung des deutschen Kapitals, welches nun seine wohlfeile Rohstoffzufuhr von Energierohstoffen verlor. Immer deutlicher holt der russische Imperialismus zum Gegenschlag aus und begrenzt die Gaszufuhr. Der deutsche Imperialismus glaubte in seinem Größenwahn, anderweitig genügend Energierohstoffe auftreiben zu können und so Rußland in die Knie zu zwingen, vermeinte daß die Abhängigkeit Rußlands von Deutschland größer sei, als die Abhängigkeit Deutschlands von Rußland, glaubte, daß die NATO-Ukraine den russischen Imperialismus militärisch schlagen könnte, was dann die Möglichkeit eines Regime-Changes eröffnen würde. Das objektive Kräfteverhältnis zwischen dem deutschen und dem russischen Imperialismus wurde vom deutschen Imperialismus falsch eingeschätzt. In der Ukraine-Frage triumphiert der russische Imperialismus gegenüber dem transatlantischen Imperialismus. Nun ist der transatlantische Imperialismus in der Defensive und damit auch der deutsche Imperialismus.

Im deutschen Kapital geht jetzt die Angst vor einem Gasmangel um und die deutsche Bourgeoisie setzt zur Flucht nach vorn in eine Schock-Politik an. Es ist nun objektiv eine internationale Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse notwendig. Wieder einmal hat sich das deutsche Kapital selbst in die Enge getrieben und sieht sich in die Ecke gedrängt, beginnt wild um sich zu schlagen. Statt eine diplomatische Lösung anzustreben, radikalisiert sich der deutsche Imperialismus. Spricht durch den Mund des Bundeswirtschaftsministers von „keine Kapitulation“ und „wir werden keine weiße Fahne hissen“, wenn es um die sanktionierte Nord Stream II- Pipeline geht. Mit dem Ende der Sanktionen gegen Nord Stream II wäre der Energienotstand über Nacht verschwunden. Jedoch wäre dies auch eine Niederlage des deutschen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus und das weltweite Kräfteverhältnis hätte sich mit dem Scheitern des transatlantischen Wirtschaftskrieges gegen Rußland ebenfalls geändert. Aus diesem Grunde verweigert bisher der deutsche Imperialismus jede Verständigung mit dem russischen Imperialismus; im Gegenteil, je näher die deutsche Niederlage im antirussischen Wirtschaftskrieg, desto mehr radikalisiert sich der deutsche Imperialismus, desto mehr versucht auch der deutsche Imperialismus einen Bruch nach innen, denn ohne einen Bruch mit den bisherigen Klassenverhältnissen kann der russische Imperialismus nicht bezwungen werden. Die Aktivierung der Wehrpflicht wäre nur ein Moment in der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Je mehr der deutsche Imperialismus in seinem Wirtschaftskrieg gegen Rußland in die Defensive gerät, desto mehr radikalisiert er sich gegen den „inneren Feind“, den er mit einer Deflationspoltik und einem Notstandsstaat zu Leibe rückt. Das erste Ziel des deutschen Kapitals ist die Ausschaltung der proletarischen Massenorganisationen als eigenständige, freie, autonome proletarische Organisationen. Dann ist der Weg frei zum zweiten Ziel des deutschen Kapitals, der sozialen und auch wenn nötig, physischen Vernichtung einer vermeintlichen „Überschußbevölkerung“, welche nicht mehr als Ausbeutungsmaterial für den Ausbeutungsprozeß dienen kann. Über die „Vernichtung von Ballstexistenzen hofft das deutsche Kapital Kosten einzusparen, finanzielle Ressourcen zu optimieren, um konkret im Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus zu bestehen. Dazu wird der „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ benötigt. Eine Ware Arbeitskraft, die nicht ausbeutungsfähig ist, nicht als Ausbeutungsmaterial für das Kapital dienen kann, ist für das Kapital „unproduktiv,“ weil unprofitabel und damit „überflüssig“. Die industrielle Reservearmee zeichnet sich eben dadurch aus, daß sie potentiell in der Lage ist, als Ausbeutungsmaterial zu dienen und setzt deshalb objektiv die aktive Arbeiterarmee unter Druck. Eben deshalb ist die Ware Arbeitskraft in der industriellen Reservearmee erhalten und lediglich entwertet. Die Ware Arbeitskraft jedoch, die nicht mehr potentiell als Ware Arbeitskraft zirkulieren kann, ist keine Ware Arbeitskraft mehr, d.h. sie ist dann auch keine entwertete Arbeitskraft mehr, sondern Nicht-Ware-Arbeitskraft und hat damit keine soziale Daseinsberechtigung mehr, d.h. die Nicht-Ware-Arbeitskraft wird asozial, verliert damit weitestgehend die physische Daseinsberechtigung und droht physisch vernichtet zu werden, denn sie produziert für das Kapital nur Kosten, ohne jemals diese ausgleichen zu können. In der gegenwärtigen Phase der Großen Krise kann es geschehen, daß das Kapital sich seiner „Asozialen“ entledigen will. Vor allem dadurch, daß das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau dieser relativen Übervölkerung soweit abgesenkt wird, bis diese verendet, verhungert oder so geschwächt ist, daß Krankheiten sie hinwegrafft. Unter dem Deckmantel eines „Energienotstands“ läßt sich diese Politik geräuschlos realisieren. Der Energiemangel wird vom Kapital so verwaltet, daß der Hauptteil der Energie dem Kapital zufließt, der Mangel wird dann über Rationierung in der aktiven Arbeiterarmee und Teilen der industriellen Reservearmee verteilt, während die relative Übervölkerung keine, oder nur unwesentliche Mengen an Energie erhält. Ohne ausreichende Energie ist die physische Existenz bedroht. Es droht die physische Vernichtung der relativen Übervölkerung, aller Personen, welche für das Kapital kein Ausbeutungsmaterial mehr darstellen. In die Kategorie der relativen Übervölkerung fallen nicht nur Personen, welche soweit vernutzt sind, daß kein Ausbeutungsmaterial mehr darstellen können, sondern auch Personen, welche von der Bourgeoisie als „Gefahr für die nationale Sicherheit“ betrachtet und als „politisch unzuverlässig“ eingestuft wurden. Der „politische Feind“ wird im „sozialen Feind“ aufgelöst. Während der „soziale Feind“ des Kapitals die relative Übervölkerung ist, welche die Kosten für das Kapital in der Großen Krise hochtreibt, ist der „politische Feind“ des Kapitals potentiell als Ware Arbeitskraft im kapitalistischen Ausbeutungsprozeß einsetzbar, wird aber vom Kapital als potentielle Bedrohung der „nationalen Sicherheit“ eingeordnet, wenn die Klasseninteressen des Proletariats vertreten werden. Der „politische Feind“ des Kapitals gilt als „Sicherheitsrisiko“ für die „Betriebs- und Staatssicherheit“ und ist für das Kapital aus Sicht des Kapitals der gefährlichere Feind im Verhältnis zum „sozialen Feind“ des Kapitals, denn nur der „politische Feind“ des Kapitals kann die Einheitsfront mit dem „sozialen Feind“ des Kapitals organisieren, nicht umgekehrt. Aus diesem Grund muß der „politische Feind“ in den „sozialen Feind“ ausgestoßen werden, eine politische Säuberung in Kapital und bürgerlichen Staat stattfinden, damit Kapital und bürgerlicher Staat frei von Einflüssen des „politischen Feindes“ gehalten werden können. Die Waffe Berufsverbot ist dafür eine scharfe Waffe in den Händen der Bourgeoisie. Das Ziel ist die möglichst gemeinsame und gleichzeitige physische Vernichtung des „sozialen“ und „politischen“ Feindes und läßt sich am besten unter der Herrschaft eines Notstandsstaates im Ausnahmezustand realisieren. Der „soziale Feind“ findet seinen „sozialen Tod“ schon vor seinem physischen Tod in dem Ausschluß in die Armut und der „politische Feind“ wird hauptsächlich ebenfalls in die Kategorie des „sozialen Feindes“ gedrängt, damit er in der Armut seinen „sozialen Tod“ stirbt. Nur wenn es unumgänglich ist, der „politische Feind“ sich erfolgreich dem „sozialen Tod“ verweigert, zielt die Bourgeoisie auf den „politischen Tod“ des „politischen Feindes“ durch unverzügliche physische Vernichtung im Rahmen von „Search and destroy“ Aktionen, Such- und Vernichtungsaktionen im Rahmen einer Counterinsurgency-Politik, welche erst im Notstand, im Ausnahmezustand rasch umgesetzt werden kann. Immer ist die direkte Vernichtung des „politischen Feindes“ Ausnahme, denn diese „politischen Aktionen“ verursachen zu viel Öffentlichkeit und kann nur im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) realisiert werden. Die Bourgeoisie präferiert in der parlamentarisch-demokratischen Form bürgerlicher Klassenherrschaft die Auflösung des „politischen Feindes“ im „sozialen Feind,“ zielt auf den physischen Tod, wobei der „soziale Tod“ diesem vorgeschaltet wird. Um den „sozialen Feind“ zu vernichten, muß zuerst der „politische Feind“ vernichtet werden, dies Ziel steuert die Bourgeoisie im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) direkt an, während in parlamentarisch-demokratischen Formen des bürgerlichen Staates die Bourgeoisie das Ziel nur über indirekten Weg erreichen kann. Der „soziale Feind“ wurde durch die Bourgeoisie schon 2003/2004 vermittels des Institutionalisierung des Hartz IV-Systems bestimmt. Die Erwerbslosen der industriellen Reservearmee galten und gelten als „sozialen Feind“, den es zu vernichten gilt, entweder die positive soziale Vernichtung durch die Integration in die aktive Arbeiterarmee oder durch die negative soziale Vernichtung in den „ sozialen Tod“ des Hartz IV-Systems, welcher auch zum physischen Tod führen konnte, dieser ist immer mit einkalkuliert, entweder physischer Tod durch Mangelernährung und Armutskrankheiten oder durch den Selbstmord. Das Hartz IV-System ist strukturell so angelegt, daß es nach dem Leben der Hartz IV-Bezieher trachtet und der Euthanasie die Tore öffnet, auch dann, wenn versucht wird, das Hartz IV-System als „Bürgergeld“ zu modifizieren, Hartz IV bleibt Hartz IV, egal welchen Namen es auf der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse trägt. Und es wurde schon seit Bestehen des Hartz IV-Systems versucht, den „politischen Feind“ in das Hartz IV-System abzuschieben. Hartz IV ist ein Sondersystem, welches gegen die industrielle Reservearmee gerichtet ist und war schon immer der Notstand des Kapitals gegen die industrielle Reservearmee. Schon unter der Form des parlamentarisch-demokratischen Staates bildet sich der Ausnahmezustand aus und war auf die industrielle Reservearmee mehr oder minder beschränkt, bzw. noch auf einige Segmente der Randbelegschaften, soweit sie ihren Niedriglohn mit Hartz IV aufstocken mußten. Über den Notstand droht dieses Sonderrechtssystem Hartz IV nun die gesamte aktive Arbeiterarmee zu erfassen. In diesem Sinn ist der Notstand dann ein „Hartz IV für alle“. Der „Corona-Notstand“ weitete langsam den Notstand von der industriellen Reservearmee auf die Kernbelegschaften der aktiven Arbeiterarmee aus und der „Energienotstand“ verschärft den „Corona-Notstand“ und militarisiert diesen und die Tendenz zur Euthanasie der „Überflüssigen“ wird stärker, vermittelt sich über die steigenden Energiekosten.

Der bürgerliche Staat beginnt „Wärmeinseln“ für die Armutsbevölkerung zu organisieren, welche sich im Winter nicht in ihren Wohnungen erwärmen kann und droht zu Erfrieren. Dann ist dieser Personenkreis real aus seinen Wohnquartieren ausgezogen, zur Semi-Wohnungslosigkeit gezwungen und steht schon fast mit einem Fuß in einem Lagersystem. Dies leistet Tendenzen Vorschub, die Rückkehr in die konkreten Wohnungen zu verhindern, bzw. die Notwendigkeit nach kleineren und günstigeren der Armutsbevölkerung aufzudrängen, bis hin zu Wohngemeinschaften. Eine „Wärmeinsel“ wäre schon die Keimform einer objektiv erzwungenen Wohngemeinschaft der Armut. Wer sich der Neuorientierung in den Quartieren verweigert, wird nach einer gewissen Zeit keinen Platz mehr in einer „Wärmeinsel“ haben und muß droht dann potentiell in seiner Wohnung oder auf der Straße zu erfrieren. Das Aufsuchen einer „Wärmeinsel“ führt die konkret der Armutsbevölkerung vor Augen, daß sie sich ihre bisherigen Quartiere nicht mehr „leisten“ kann. Es ist ohne weiteres möglich, die „Besucher“ einer „Wärminsel“ mit ihren konkreten Daten zu erfassen, ebenso wie es bei einer „Tafel“ (Armenspeisung) geschieht. Der bürgerliche Staat hätte dann die Daten, welche für eine Bekämpfung des „sozialen Feindes“ notwendig wären. Über die Energiekosten bzw. über eine Politik der Energie-Austerität kann eine Selektion von formierter Gesellschaft-Volksgemeinschaft und „sozialem Feind“ vorgenommen werden.

Die Energiesicherheit als materielle Grundlage der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Arbeiterklasse wird in Frage gestellt und interessanterweise ist dies keine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“, wohl aber die Reaktion der Arbeiterklasse auf diesen Angriff auf ihre materielle Existenz soll eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ sein. Der Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Bedrohung der gesellschaftlichen Grundlagen durch das deutsche Kapital ist nichts anderes als Selbstverteidigung und verhindert eine Euthanasie-Politik. Ein „Energienotstand“ eröffnet der Bourgeoisie den Weg, den „politischen Feind“ mit konzentrierter Repression zu bekämpfen und die Hemmschwelle zur physischen Vernichtung des „politischen Feindes“ sinkt. Der bürgerliche Staat in Notstandsform zielt im inneren auf einen Bürgerkrieg der einseitig geführt wird, während im Außenverhältnis auf den imperialistischen Krieg abgezielt wird. Im Ausnahmezustand, im Notstand, ist der bürgerliche Staat von allen demokratisch-sozialen Bindungen befreit, bzw. befreit sich selbst von diesen Regularien, erklärt die Verfassung für nichtig und handelt nur nach der Staatsräson, ist somit ein Machtstaat und kennt nur noch „Freund“ oder „Feind“. Der „Freund“ darf leben, der „Feind“ muß sterben. Der „Feind“ wird im ausentwickelten Notstandsstaat der Todesstrafe in irgendeiner Form zugeführt, der „politische Feind“ unmittelbar durch die repressiven Staatsapparate des bürgerlichen Staates im direkten Einsatz oder durch die Justiz, der „soziale Feind“ durch die naturwüchsige strukturelle Gewalt der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Die Vernichtung des „Feindes“ in der Form des „politischen Feindes“ oder des „sozialen Feindes“ ist das primäre Ziel eines ausentwickelten Notstandsstaates. Damit hätte sich die Staatsräson realisiert, wie auch die Souveränität, denn ein Souverän im Sinn der Bourgeoisie findet sich nur im Ausnahmezustand. Es gilt immer noch der Satz von Carl Schmitt: Souverän ist derjenige, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Die Freund/Feind-Entscheidung ist eine Entscheidung der Bourgeoisie: die herrschende Klasse entscheidet darüber, wer als „Freund“ und wer als „Feind“ zu gelten hat. Neutralität gibt es in der Entscheidung nicht. Wer nicht für die Bourgeoisie ist, ist gegen sie und wird als „Feind“ bekämpft. Die Entscheidung darüber obliegt im Ausnahmezustand allein der herrschenden Klasse, das Verhalten auf diese Entscheidung durch die unterworfenen Klassen hat keinen wesentlichen Einfluß auf die Politik des Ausnahmezustandes. Eine „Freund-Feind“-Entscheidung ist immer eine Entscheidung über „Krieg“ und „Frieden“. Für den „Freund“ den „Frieden“, für den „Feind“ den „Krieg“. Im Ausnahmezustand wird das Recht zum Kriegsrecht. Wer dann „Feind“ ist, wird entrechtet. Kriegsrecht heißt auch Rationierung, Kriegswirtschaft und existiert nur im Kriegsfall. Nur im Ausnahmezustand des Krieges (ob Krieg, ob Bürgerkrieg, ob kriegsähnlicher Zustand) läßt sich ein historischer Bruch über eine Schock-Politik realisieren. Seit dem Jahr 2020, den weltweiten Corona-Notständen, haben die herrschenden Klassen einen kriegsähnlichen Zustand geschaffen und dies war ein Produkt der tiefer liegenden kapitalistischen Verwertungsprobleme. Jedoch ließen sich so die Verwertungsprobleme nicht lösen und eskalierten nun im Ukraine-Krieg, der dann einen offenen weltweiten Kriegszustand hervorbringt, der nach dem Ausnahmezustand ruft. Ohne Krieg, ohne einen Kriegszustand gibt es keinen Ausnahmezustand. Ist der Ausnahmezustand erst offen oder verdeckt verhängt, ist der Krieg tendenziell unvermeidlich, wenn man die Situation dann nur der herrschenden Klasse überläßt. Im Ausnahmezustand wird die Modifikation bürgerlicher Klassenherrschaft durch die Arbeiterklasse ausgeschlossen, d.h. die herrschenden Klasse negiert jede wesentliche Form der Mitbestimmung der unterworfenen Klassen, welche noch in der parlamentarisch-demokratischen Form des bürgerlichen Staates noch gewährleistet ist. Im Ausnahmezustand herrscht die Bourgeoisie direkt und kann nur auf diesem Wege eine Deflationspolitik an der Arbeiterklasse exekutieren, d.h. den „sozialen Feind,“ wie den „politischen Feind“ vernichten. Wer sich dem Sparen und damit der Deflationspolitik verweigert, ist gleichzeitig ein „sozialer Feind“ und ein „politischer Feind,“ welchem über den Ausnahmezustand bzw. Energienotstand der Krieg erklärt wird, d.h. der Ausnahmezustand ist der Bürgerkrieg gegen den „sozialen Feind“, wie dem „politischen Feind“. Unter dem Schutz des Staatsgeheimnisses, wie des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses bestimmt die Bourgeoisie ihren „sozialen Feind“, wie auch den „politischen Feind“.

Immer deutlicher organisiert die Bourgeoise die bürgerliche Gesellschaft als formierte Gesellschaft-Volksgemeinschaft. Als Legitimationsgrundlage dafür dient der Ukraine-Krieg. Der „äußere Feind“ Rußland bedroht die „nationale Sicherheit“ und wer schon eine diplomatische Verständigung anmahnt, wird sofort zum „inneren Feind“, ebenso bei der Ablehnung des Verzichts als zentrale Bürgertugend. Laut BRD- Bundeswirtschaftsminister Habeck wäre die Zurücknahme der antirussischen Sanktionen eine Kapitulation, ebenso die Öffnung von Nord Stream II. Der österreichische Bundeskanzler Van der Bellen denunziert die Gegner des transatlantischen Wirtschaftskrieges als „Kollaborateure“ und fordert eine „Schicksalsgemeinschaft.“ Deutliche Worte aus der Geschichte des deutschen Faschismus und des deutschen Imperialismus überhaupt. Für den österreichischen Bundeskanzler sind Gegner der antirussischen Sanktionen schlicht „Verräter“ bzw. „Hochverräter“ und dies wird traditionellerweise mit dem Tode bestraft. Mit dem Begriff „Schicksalsgemeinschaft“ nimmt der österreichische Bundeskanzler einen positiven Bezug zur faschistischen Volksgemeinschaft. Eindeutig wird von der Bourgeoisie ein „innerer Feind“ konstruiert, indem auch nur Gegner der antirussischen Wirtschaftssanktionen sofort „Extremisten“ und „Hochverräter“ werden. Wer für Entspannungspolitik eintritt und Nord Stream II öffnen möchte, ist dann ein „Volksverräter“ in den Augen der Bourgeoisie und muß aus der „Schicksalsgemeinschaft“ bzw. Volksgemeinschaft ausgestoßen werden, ebenso wer fordert, daß der bürgerliche Staat die Preiserhöhungen auf Energieverbrauch begleichen soll. Massenproteste gegen die hohen Energiepreise, gegen einen „Energienotstand,“ sind in den Augen der Bourgeoisie „Vaterlandsverrat“ und „Kollaboration“ mit dem Feind und sind damit der „innere Feind“, der aus „Schicksalsgemeinschaft“ bzw. Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft als „gemeinschaftsfremd“ ausgestoßen werden muß. Widerstand gegen den „Energienotstand“, gegen die hohen Energiepreise, sind für die Bourgeoisie eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ und werden notfalls mit härtester Repression beantwortet. Wer Widerstand gegen den „Energienotstand“ und gegen die hohen Energiepreise leistet, gilt für die Bourgeoisie als ein „Feind“ der Bundesrepublik Deutschland. Die Gründe für die angebliche „Feindschaft“ bzw. „feindliche Haltung“ der Bundesrepublik Deutschland gegenüber zählen nicht. Wer vom bürgerlichen Staat als „Feind“ bestimmt wurde, ist ein Feind für den bürgerlichen Staat und wird auch als „Feind“ behandelt und vernichtet. Der „Feind“ wird mit einem Sonderrecht, dem „Feindrecht“ behandelt, welches weit über das Strafrecht hinausgeht und ist damit letztlich tendenzielles Kriegsrecht. Dabei entfällt das Recht auf eine objektive Gerichtsverhandlung und Urteil. Das Urteil im Sinne der Staatsräson, bzw. der Staatssicherheit kann geheim ohne den Angeklagten anzuhören gefällt und exekutiert werden. Nach EU-Recht der EU-Grundlagenverträge ist auch eine Todesstrafe möglich, direkt in Folge von Unruhen und Aufständen, aber auch als klassische justizförmige Todesstrafe, d.h. legale und extralegale Todesstrafe im Extremfall des „Ernstfalls“. Der „Ernstfall“ ist immer ein Extremfall, der Ausnahmezustand, der Notstand in seiner höchsten Form der Entwicklung ist der Extremfall par excellance. Im Notstand kann der Ausschluß aus der bürgerlichen Gesellschaft in Form der formierten Gesellschaft-Volksgemeinschaft auch durch die legale oder extra-legale physische Vernichtung sichergestellt werden, wenn der „soziale Tod“ durch Isolation nicht als effektiv angesehen wird. Die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft ist eine „Leistungsgemeinschaft“. Ein „Minderleister“ wird aus der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft ausgeschlossen und konkret erst einmal aus der „Betriebsgemeinschaft“ ausgestoßen. Wer nichts mehr „leistet“ verliert vor allem in einer Epoche des Notstands das Recht auf Leben, d.h. wer nicht mehr als Ausbeutungsmaterial für das Kapital fungieren kann, muß damit rechnen, daß er sein Recht auf Leben verliert. Die Daseinsberechtigung, das Recht auf Leben, ist im Notstandsfall nur dann gegeben, wenn eine Ware Arbeitskraft im kapitalistischen Ausbeutungsprozeß eingesetzt werden kann. Im Notstand gilt die „Triage“-Regelung, welche sich immer am besten Fall orientiert bzw. an der Wiederverwertbarkeit oder Wiederverwendung. Hilfe zur Überbrückung einer Notlage erhalten nur die Personen, welche schnell wieder einer Wiederverwendung zugeführt werden können und nicht dauerhaft ausfallen. Hier fallen dann die geringsten Kosten an. Mit der Schwere des Falls steigen die Kosten an. Je schwerer ein Fall, desto höher die Kosten und die Gefahr der Nicht-Wiederverwendung in der Zukunft, desto mehr sinkt das Interesse des Kapitals an der Wiederherstellung der Ware Arbeitskraft. Die finanziellen Ressourcen werden nur auf die Fälle konzentriert, wo die Wiederherstellung der Ware Arbeitskraft mit geringen Kosten und zeitnah erfolgen kann. Die „Triage“ selektiert also nach „Leistungsfähigkeit.“ Die Ware Arbeitskraft, welche nur eine geringe Leistungsfähigkeit aufweist, erhält keine oder nur geringe Hilfe, um eine Notlage zu überbrücken. Dies Prinzip der „Triage“ kommt aus der Militärmedizin und kolonialisiert im Notstand die gesamte Medizin, wie auch alle anderen gesellschaftlichen Bereiche. Notstand ist „Triage“ und umgekehrt. Die gesellschaftlichen Ressourcen müssen nicht für alle reichen. Opfer sind notwendig. Das Kapital fordert die Arbeiterklasse sich im Dienste der „Nation“ zu opfern bzw. zu akzeptieren, geopfert zu werden. Es breiten sich im Notstand Euthanasie-Tendenzen aus, indem Teilen der Lohnarbeiterklasse sogar das unterste Niveau der physischen Existenz entzogen wird. Nicht umsonst ist Hartz IV als partieller Notstand gegen die industrielle Reservearmee von der Bourgeoisie erschaffen worden. Der Notstandsstaat schützt die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft gegen den „sozialen Feind“ und den „politischen Feind“, während die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft eng mit dem Notstandsstaat zusammenarbeitet und so den Notstandsstaat schützt. Die Armut wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen, sie ist kein Thema mehr; Sozialpolitik zielt nur noch auf die „Leistungsgemeinschaft“. Diese Entwicklung wurde mit dem Sondernotstand gegen die industrielle Reservearmee vermittels Hartz IV organisiert und der „Energienotstand“ versucht diese Entwicklung zu vervollkommnen. Die Verelendung der industriellen Reservearmee und der Randbelegschaften soll auch politisch und sozial isoliert werden, damit jeder gemeinsame Widerstand der Arbeiterklasse präventiv unterbunden werden kann. Über den „Energienotstand“ versucht man die Entpolitisierung der Arbeiterklasse bzw. der gesamten bürgerlichen Gesellschaft voranzutreiben, indem dem man diesen als Sachzwang und damit als alternativlos versucht darzustellen. Rußland würde die Gaszufuhr bei Nord Stream I unterbrechen, verschweigt aber, daß Deutschland Nord Stream II blockiert. Bei Aktivierung von Nord Stream II wäre die Energiekrise sofort zu Ende.

Die Entpolitisierung durch den „Corona-Notstand“ erschwert den Widerstand gegen einen „Energienotstand“. Über die erfolgte Atomisierung zerbrachen die bisherigen Organisationsstrukturen. Ein organisierter Widerstand gegen die Deflationspolitik des „Corona-Notstandes“ fand nicht statt. Über die Ohnmachtserfahrungen zersetzte sich die bisherige politische Zusammensetzung der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums und danach auch die soziale Zusammensetzung von Arbeiterklasse und Kleinbürgertum. Der Schub der Verelendung von Arbeiterklasse und Kleinbürgertum unter dem „Corona-Notstand“ führte zu einem atomisierten Verhalten, welches den Kapitalismus reproduziert. Die Zumutungen des neuen Klassenregimes werden vermehrt mit individueller Aggression gegen alles und jeden, Personen und Sachen, kompensiert. Ein wildes um sich schlagen gewinnt an Raum, denn es fehlt die organisierte politische Kraft, welche die individuelle Aggression aufgrund der Großen Krise negiert, indem diese in eine kollektive politische Aggression gegen das kapitalistische System transformiert wird. Diese Situation verschärft sich mit dem „Energienotstand“. Gelingt keine proletarische Antwort auf den „Energienotstand“, wird dieser als „Sachzwang“ abgearbeitet, dann nimmt die individuelle Aggression gegen Personen und Sachen zu, wie auch gelingt dann auch eine rechte nationalistische Integration in den Kapitalismus, welche die individuelle Aggression in die kollektive Aggression, auf die „Nation“ hin, sublimiert und so das kapitalistische System gegen die Arbeiterklasse stabilisiert. Die Entpolitisierung der Arbeiterklasse legt potentiell die materielle Grundlage für eine rechte nationalistische Politisierung des Kleinbürgertums und zersetzt dann die Arbeiterklasse. Diese „Alternativlosigkeit“ ist ein Ausdruck der Ohnmacht bzw. der Atomisierung der Arbeiterklasse und die ziellose individuelle Gewalt derzeit ist eine individuelle Revolte gegen eben diese „Alternativlosigkeit“ der kapitalistischen Ausbeutung.

Durch die Identitätspolitik wird die „Alternativlosigkeit“ moralistisch, emotional, aufgeladen. Es gibt nur noch die moralischen Kategorien von „Gut“ und „Böse“. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, denn „wir“ sind das „Gute“ und wer gegen das „Gute“ ist, ist für das „Böse“. Differenzierungen gibt es nicht. Nur die Positionen des „transatlantischen Westens“ gelten als gut und sind damit legitimiert. Alle anderen Positionen jenseits des „transatlantischen Westens“ sind nicht legitim und sind verbrecherisch und unterliegen der Repression des bürgerlichen Staates. Auf diese Weise gibt es „Meinungsverbrechen“ unterhalb der Schwelle des Strafrechts, aber auch auf der Schwelle des Strafrechts. Der Buchstabe Z steht in Rußland für den Krieg russischen Krieg gegen die Ukraine. In Deutschland ist der Buchstabe Z als Meinungsäußerung „verboten,“ denn mit ihm soll der „russische Angriffskrieg“ gerechtfertigt werden. Wer nicht die Staatsmeinung meint, ist nach der Position des bürgerlichen Staates nicht legitimiert, diese zu äußern und wird notfalls mit Repression überzogen. Teilweise wurden schon rote Fahnen und die sowjetische Fahne verboten. Das „Gute“ wird alternativlos, die Repression wird ebenfalls „gut“, weil sie das „Gute“ verteidigt und der bürgerliche Staat ist immer auf der Seite des „Guten“. Der bürgerliche Staat wird so ideologisch zum „Freund“ umgedeutet, während Kritik am bürgerlichen Staat „böse“ wird, bzw. eine „feindliche Einstellung zum bürgerlichen Staat und zur bürgerlichen Gesellschaft insgesamt offenbaren soll. Schweigen allein reicht nicht. Immer mehr werden die vereinzelten Klassensubjekte dazu aufgefordert, genötigt, Position in gewissen Fragen zu beziehen und damit implizit die Staatsmeinung zu übernehmen. Damit wird die Loyalität zur bürgerlichen Gesellschaft und zum bürgerlichen Staat bewiesen. Wer die Loyalität verweigert, hat mir Repression zu rechnen, denn er ist ein „Feind“, wenn es um Themen geht, die der bürgerliche Staat als existentiell ansieht. Damit baut sich eine „Alternativlosigkeit“ auf, die individuell mit abweichenden Verhaltensmuster kompensiert, aber eben nicht politisch gekontert wird. Dieses individuelle um sich schlagen reproduziert den Notstandsstaat, denn nur der bürgerliche Staat kann dann sicherstellen, daß der „innere Friede“, der „Landfrieden“ gewahrt bleibt. Der „Feind“ versucht den „Landfrieden“ zu brechen, der bürgerliche Staat, unter Umständen in der Form des Notstandsstaates, versucht den „Landfriedensbruch“ zu verhindern. Die Revolte ist eine vorpolitische Form des Klassenkampfes, sie ist spontan und situativ und unorganisiert, in ihr vermasst sich das atomisierte Kleinbürgertum und die atomisierte Arbeiterklasse, kommt an die Schwelle proletarischer Organisierung. Revolten müssen sich zur Revolution weiterentwickeln oder brechen zusammen. Eine zu große Atomisierung der Arbeiterklasse provoziert Revolten und damit Möglichkeiten proletarischer Organisierung. Gegenwärtig wird das individuelle Handeln durch die Bourgeoisie ideologisch groß hervorgehoben und im abstrakten Widerspruch zum kollektiven Handeln gesetzt. Nur das individuelle Handeln soll spontan und damit „authentisch“ und damit „wirklich“ und „wesentlich“ sein. Dies schließt vor allem Emotionen ein. Emotionen sollen „authentisch“ sein. Mit dieser Irrationalität bleibt die Arbeiterklasse beherrschbar. Doch somit wird die Arbeiterklasse in soziale Atome eingesperrt. Nur über die proletarische Organisierung, über die rationale politische Diskussion kann die Atomisierung der Arbeiterklasse überwunden werden, kann proletarische Gegenmacht gegen den Kapitalismus entstehen. Nur im rationalen kollektiven Handeln der Arbeiterklasse kann das individuelle Handeln der einzelnen Glieder der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums wirksam werden, kann die „Individualität“ ausgelebt werden. Der Kapitalismus versucht die Arbeiterklasse in „Emotionen“ einzusperren und in Irrationalität zu verbannen. Nichts fürchtet die Bourgeoisie mehr als die Rationalität der Arbeiterklasse, die sich im Widerstand gegen die Deflationspolitik des Kapitals realisiert. Dazu wird die Gewerkschaftsbürokratie aktiv werden, und von der bedingungslosen Unterstützung der Deflationspolitik abweichen, um die Kontrolle über die tendenzielle Selbstaktivität der Massen zu übernehmen, welche mit ihren Aktionen die politische und soziale Isolierung durchbrechen, denn diese mehr oder minder spontanen proletarischen Aktionen gefährden die Deflationspolitik des Kapitals, so daß die Deflationspolitik durch die Gewerkschaftsbürokratie modifiziert werden muß, was dem Notstandsstaat seine Arbeit erleichtert. Massenprotest, auch schon in potentieller Form, muß isoliert und entpolitisiert werden, denn nur dann wird die Massenunzufriedenheit durch die Gewerkschaftsbürokratie in unpolitische oder vorpolitische Aktionen kanalisiert und unschädlich gemacht. Auch ein bürgerlicher Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) bedarf einer Massenlegitimation und kann sich nicht nur auf die Repression stützen. Nur eine soziale und politische Massenbasis, aktiv und/oder passiv, ist notwendig, dem bürgerlichen Ausnahmestaat seine Stabilität zu sichern. Gegenwärtig wird versucht, die Stabilität des Notstandes vermittels der Identitätspolitik zu sichern. Die politische und ideologische Aufspaltung der gesellschaftlichen Totalität in verschiedene „Identitäten“ vermittels der „Identitätspolitik“ bereitet den Boden für einen Notstand vor. „Identitätspolitik“ ist nichts anderes als eine Politik unter dem Paradigma des „Teile und herrsche“ und kann über den Notstand abgestützt werden, wenn das Prinzip von „Teile und herrsche“ durch den Massenwiderstand in die Krise gerät, wenn die Massen beginnen sich zu organisieren und nicht mehr spalten zu lassen und die Bourgeoisie keine Ressourcen hat bzw. unwillig ist, diese aufzuwenden, um der Arbeiterklasse entgegenzukommen. Das Kapital versucht in tiefen historischen Krisen, wie in der gegenwärtigen Großen Krise, die Arbeiterklasse repressiv und ideologisch zu desorganisieren. „Identitätspolitik“ ist eine Form des Lobbyismus und richtet sich gegen die Selbstorganisation der Arbeiterklasse, wohl aber auf eine Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie zu Lasten der Arbeiterklasse. Für die Gewährung besonderer Privilegien bezüglich einer ideologisch-materiell konstruierten Identität, verkauft für ein Linsengericht die konkrete soziale Gruppe ihre Interessen an die Bourgeoise, buhlt um die Gunst des Kapitals, statt solidarisch mit der Arbeiterklasse ihre Ziele und Interessen gegen die Bourgeoise durchzusetzen. Die Defensive der Arbeiterklasse macht die Bourgeoisie für das Kleinbürgertum interessanter. Erst die soziale und politische Atomisierung der Arbeiterklasse macht den bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) möglich, wie auch die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, je mehr atomisiert, desto mehr Macht dem bürgerlichen Staat, denn dieser stellt dann die soziale und politische Vermittlung neben dem Wertgesetz her, denn er ist selbst eine konkret-spezifische Form des Wertgesetzes. Die Verselbständigung des bürgerlichen Staates im Verhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft nimmt im Prozeß der sozialen und politischen Atomisierung der Arbeiterklasse zu und dies in der Form der „nationalen Sicherheit.“ Die „Nation“ ist das Endziel der Identitätspolitik und findet sich konkret in einer Politik der „nationalen Sicherheit“ und die Politik der „nationalen Sicherheit“ findet sich konkret in der Politik der „wehrhaften Demokratie“.

Mittlerweile wirbt die Bundeswehr in der Öffentlichkeit mit dem Slogan: „Information ist Sicherheit“. „Information“ ist dann ein Moment der „nationalen Sicherheit“, bzw. der „Staatssicherheit“. „Information“ ist nur dann „Information“, wenn sie staatlich garantiert ist. Alles andere ist „Desinformation“ des „Feindes“ und „Desinformation“ ist eine „Gefahr für die „nationale Sicherheit“. Wer nicht dazu legitimiert ist, Informationen zu verbreiten und es dennoch tut, ist ein „Feind“. Ein „Feind“ wie Assange, der im Hochsicherheitstrakt in Britannien inhaftiert ist und dem die Auslieferung in die USA droht und dort dann eine lebenslängliche Haft oder gar die Todesstrafe, nur weil er Kriegsverbrechen der USA, aber auch Britanniens, öffentlich gemacht hat. Wenn die „Information“ eine Waffe des Militärs gegen den „inneren“ und „äußeren Feind“ wird, dann ist die „Information“ zuerst eine spezifische Ware, die in den Reihen der herrschenden Klasse zirkuliert, geschützt durch das Staatsgeheimnis, geschützt durch das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis und wer dies „Geheimnis“ verletzt ist ein „Spion“, ein „Staatsfeind“. Dies wird eben auch Assange vorgeworfen, konkret die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen und deshalb mußte Edward Snowden auch nach Rußland flüchten, denn gerade Edward Snowden hat sehr viele US-Staatsgeheimnisse, Geheimnisse der NSA und des CIA, veröffentlicht. Deshalb werden Edward Snowden und Julian Assange vom US-Imperialismus und seinen transatlantischen Verbündeten verfolgt. Es geht um die Gleichschaltung oder freiwilligen Gleichschaltung der Medien, denn „Information“ ist nun eine Frage der „nationalen Sicherheit“. Die Medien werden zu Kriegsparteien, die Medienbeschäftigten zu Kombattanten, welche entweder sozial über Berufsverbot entfernt werden müssen oder physisch liquidiert werden, wie es Israel an der Al Dschasira Journalisten Abu Akle, wie auch an anderen ermordeten Medienschaffenden, demonstriert hat. Ein feindlicher Medienschaffender ist ein „Feind“ im Sinne von Kombattant, ob Abu Akle, Edward Snowden oder Julian Assange oder die vielen namenlosen Opfer der Terror des bürgerlichen Staates und die Waffe dieser vermeintlichen Kombattanten soll „Desinformation“ sein. Es bedarf dann keines Gerichtsurteils, wenn jemand als „Kombattant“ eingestuft wird. „Information“ wird zu einem Synonym für „Staatssicherheit“ und „Staatsgeheimnis“ und somit gibt es dann auch „Informationsterrorismus“ oder „Informationsverbrechen“ oder „Informationskriegsführung“, wenn der bürgerliche Staat „Information“ als Waffe einstuft. Die Einstufung von „Information“ als Waffe soll die Kommunikation der Arbeiterklasse und damit ihre Organisierung verhindern und die soziale und politische Atomisierung der Arbeiterklasse festschreiben, die Bourgeoisie zum Sprechen und die Arbeiterklasse zum Schweigen bringen. So kann dann auch schon der Begriff „Corona-Notstand“ oder der Begriff „Energienotstand“ nicht nur ein „Meinungsverbrechen“, sondern gar ein „feindlicher Akt“ sein, der Repression bis hin zur physischen Vernichtung rechtfertigt. Für die Bourgeoisie ist „Information“ Krieg und der Bruch des Staatgeheimnisses wie auch des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, ist ein Angriff auf die „nationale Sicherheit“ des deutschen Kapitals und mit Chance mit zivilen Mitteln begegnet, kann auch eine militärische Antwort erfordern. Hinter dem „Staatsgeheimnis“ und dem „Betriebs- und Geschäftsgeheimnis“ verbirgt sich die Klassenmacht der herrschenden Klasse, die Verfügung über die Produktionsmittel. Die Übergabe der „Information“ an die Bundeswehr zeigt den Grad der inneren Militarisierung des deutschen Imperialismus an, denn der „zivile“ Staat zieht sich zurück, während der „Machtstaat“ mit seinem Kern aus Militär nach vorwärts marschiert. Wenn das Militär die „Information“ kontrollieren soll, wird die „Information“ zur Waffe, zur einer Waffe in der psychologischen Kriegsführung gegen die Arbeiterklasse (der „innere Feind“), wie auch gleichzeitig gegen den Weltmarktkonkurrenten (der „äußere Feind“). Die Medien ordnen sich dann der Notwendigkeit der Psychologischen Kriegsführung gegen die „Feinde“ der „nationalen Sicherheit“ unter. Die Aufgabe der Psychologischen Kriegsführung gegen die Arbeiterklasse ist es, den Notstand, den Ausnahmezustand, in der Arbeiterklasse und im Kleinbürgertum als legitim zu rechtfertigen. Der Notstand, der Ausnahmezustand, seine konzentrierte Repression gegen die Arbeiterklasse muß auch politisch über die Ideologie des Notstands, des Ausnahmezustands, in der Arbeiterklasse und im Kleinbürgertum verankert werden, um jeden Widerstand präventiv zu lähmen bzw. zu verlangsamen. Es wird versucht, den „starken Staat“ als Sozialstaat darzustellen, wobei real der „starke Staat“ die Negation des „Sozialstaats“ ist. Die Ideologie des Notstandsstaates ist die ideologische Repression des Notstandsstaates und stützt dessen physische Repression ab. Das Zentrum der Ideologie des Notstandsstaates ist immer die „Freund-Feind“ Unterscheidung, denn der Notstandsstaat unterscheidet nur nach „Freund“ und „Feind“, einen Staatsbürger kennt er nicht, wie auch keine Neutralität. In dem Begriff der „nationalen Sicherheit“ als zentrale Achse der Ideologie des Notstandsstaates ist die „Freund-Feind-Kennung“ hinterlegt. Die „Information“ als Waffe des Militärs wird zuerst als Zensur eingesetzt. „Feindinformation“ und „Feindsender“ sind zu identifizieren und notfalls physisch auszuschalten, zuvor jedoch sollte alles versucht werden, „Feindnachrichten“ zu unterdrücken und deren Urheber in den „sozialen Tod“ zu selektieren, bevor notfalls die physische Vernichtung erwogen werden muß. Möglichst sollte diese Zensur nicht formal zu erkennen sein. Das Ziel sind nicht so sehr die etablierten Medien, sondern die Massen, welche sich in Selbstaktivität von der Bourgeoisie verselbständigen können. Es gilt die Kommunikation innerhalb der Arbeiterklasse zu stören, die soziale Atomisierung der Arbeiterklasse zu verewigen. Die Zensur ist eine Waffe gegen den „Feind“. Demgegenüber steht die Propaganda für die „freundlichen Ziele“ des deutschen Imperialismus. Wer diese Ziele vertritt ist ein „Freund“ der „Demokratie“. Die Propaganda des deutschen Imperialismus soll die „Identität“ der „Nation“ ausdrücken und dadurch verstärken. Das ist die Seite des „Guten“. Wer diese Errungenschaften des „Guten“ ablehnt, ist ein „Feind“ und seht auf der Seite des „Bösen“. Ein abstrakter Protest gegen die inflationären Tendenzen und die gesamten Krisentendenzen ist vom bürgerlichen Staat erlaubt, was die gleiche politische Wirkung hat wie ein Protest gegen eine Naturkatastrophe, z.B. einem Erdbeben, d.h. keine politische Wirkung. Der abstrakte Protest ist entpolitisierter Protest und im Sinne der Bourgeoisie ein „guter“ Protest. Die Verantwortlichen für die Krise, für den Mißstand, für die katastrophale Politik, darf nicht konkret genannt werden, es dürfen keine konkreten Forderungen an eine konkrete Verantwortlichkeit gestellt werden, denn wäre der Protest in den Augen der Bourgeoisie ein „böser“ Protest. Der entpolitisierte Protest läßt nur Dampf ab und kann schnell kanalisiert werden, er ist ein Bittgesang, ein Flehen, aber kein Einfordern einer Änderung der konkreten Politik des antirussischen Wirtschaftskrieges, welcher hohe materielle Opfer in der Arbeiterklasse zur Folge hat. Die Bourgeoisie läßt den entpolitisierten Protest gewähren, geht aber repressiv gegen den politischen Protest vor. Zuvor wird der politische Protest von der Bourgeoisie als „extremistisch“ (links- und rechtsextremistisch) denunziert und legitimiert dann die Repression gegen den politischen Massenprotest.

Dem deutschen Militär kommt mittlerweile tendenziell das Recht der Entscheidung und der Identifikation zwischen dem „Freund“ als „Guten“ und dem „Feind“ als „Bösem“ zu und entspricht der materiellen Tendenz, unterhalb der formalen Notstandsgesetze den Bundeswehreinsatz im Inneren immer mehr auszuweiten. Dies firmiert dann unter dem Begriff „wehrhafte Demokratie“. Dem Notstand geht es jedoch nur um die Staatsräson, um die Unterordnung aller anderen Interessen unter die kurzfristigen und langfristigen Interessen des bürgerlichen Staates als ideeller Gesamtkapitalist, um die Interessen des herrschenden Blocks an der Macht der herrschenden Klasse. Erst im Notstand kann sich Staatsräson verwirklichen, denn dann haben die repressiven Staatsapparate des bürgerlichen Staates freie Hand. Die Staatsräson ist der Todfeind der Arbeiterklasse.

Im Namen der „nationalen Sicherheit“ wird die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates zerstört und damit auch das parlamentarisch-demokratische Rechtssystem. Im Namen der „nationalen Sicherheit“ bewegt sich der Notstandsstaat außerhalb des demokratisch-parlamentarischen Rechtssystems und setzt sein Sonderrecht im Sinne eines Feindrechts. Recht ist, was der „nationalen Sicherheit“ dient. Was der „nationalen Sicherheit“ dient, kann nicht Unrecht sein. Der „Feind“ ist im Unrecht, weil er „Feind“ ist, weil er die „nationale Sicherheit“ potentiell oder aktuell bedroht. Das Feindrecht ist in letzter Konsequenz Kriegsrecht. Feindrecht ist Gesinnungsrecht. Der bürgerliche Staat in Notstandsform bestimmt die Definition des „Feindes;“ indem er eine bestimmte Gesinnung bestimmt und diese individuellen und kollektiven Klassensubjekten zuordnet. Es wird die politische Gesinnung abgeurteilt, nicht die Tat und es wird schon vor einer Tat die politische Gesinnung abgeurteilt. Es geht um „Search and destroy“-„Suchen und Vernichten“, d.h. es gilt, den „Feind“ zu suchen bzw. zu Identifizieren und dann zu vernichten. Ein Gerichtsverfahren ist nicht mehr notwendig, das Urteil, welches schon vorher durch die vermutete politische Gesinnung vorlag, wird lediglich exekutiert. Ein Notstand radikalisiert sich selbst, verselbständigt sich, denn er hat keine institutionellen Grenzen in sich, da er sich als „alternativlos“ darstellt, als „Freund“, der von „Feinden“ umringt ist. Der Notstand erscheint auf der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als Notstand gegen eine Naturkatastrophe, nicht aber als eine bewußte politische Entscheidung aufgrund politischer und sozialer Entwicklungen. Die ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungen werden als „Naturkatastrophe“ umgedichtet und der Notstand erscheint im Lichte einer angenommenen Katastrophe als alternativlos. Der Notstand legitimiert sich durch den „Sachzwang“, als „unpolitische Sachentscheidung“ und erscheint als eine überparteiliche Einheitsregierung der „nationalen und demokratischen Kräfte“. Jede Opposition wird damit sofort de-legitimiert und zum „Feind“ und „Verräter“ gestempelt. Vom Standpunkt des Notstands kann eine Opposition und erst Recht Massenproteste und Revolten nur irrational sein und erscheinen der Bourgeoisie als Werk von „Extremisten“ aller Art. Als „Extremisten“ gelten alle, welche Forderungen an den bürgerlichen Staat richten. Ein „nicht-extremistischer“ Protest verlegt sich auf das Bitten und Flehen und Anklagen gegen den „äußeren“ und „inneren Feind“ der schuld ist. Die eigene Bourgeoisie wird freigesprochen, sie reagiert nur in der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus Unkenntnis falsch, aber im Grundsatz vor allem gegenüber den „äußeren Feind,“ handelt sie richtig, es müssen nur die kleineren „Fehler“ korrigiert werden. Dies ist die Position der Gewerkschaftsbürokratie und der „Sozialindustrie“. Dieser Protest ist eine Alibiveranstaltung für die Bourgeoisie und ihren antirussischen Wirtschaftskrieg und wird im „Energienotstand“ gern gesehen. Die Bourgeoisie versucht die Massenproteste zu spalten, schon präventiv.

Bevor der deutsche Imperialismus eine diplomatische Verständigung mit Rußland sucht, ruft er eher den „Energienotstand“ aus. Um jeden Preis scheut der deutsche Imperialismus vor einem internationalen Prestigeverlust/Gesichtsverlust zurück und bricht bewußt alle Brücken zum russischen Imperialismus ab, bereitet damit auch den Bruch mit China vor, welcher ebenfalls den deutschen Imperialismus schwer treffen wird, denn der chinesische Markt ist bisher ein zentraler Markt für das deutsche Kapital. Mit den Rußland-Sanktionen zerstört der deutsche Imperialismus seinen zentralen Bezugsmarkt von Rohstoffen einschließlich Energierohstoffen, während mit möglichen China-Sanktionen der zentrale Absatzmarkt des deutschen Kapitals zerstört wäre, wie auch dann die zahlreichen Vorprodukte aus China fehlen würden d.h. die Lieferketten wären total zusammengebrochen. Es wäre ein ökonomischer Doppelschock, der nur über einen offiziellen oder inoffiziellen Notstandsstaat auf kapitalistischer Weise reguliert werden könnte, bzw. der ökonomische Doppelschock würde einen Notstandsstaat zur Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, konkret zur Neuordnung der inneren Klassenverhältnisse, wie zur äußeren Neuordnung Europas nach dem Prinzip einer deutschen Mitteleuropa-Ordnung legitimieren. Die deutsche Bourgeoisie kann ohne weiteres die Brücken hinter sich in Richtung Osten, in Richtung Rußland und China verbrennen, um dann im Innenverhältnis und Außenverhältnis freie Hand zu erhalten, eine neue Ordnung zu etablieren. Diese neue Ordnung läßt sich nur über eine Katastrophe errichten. Ist die neue Ordnung errichtet, kann wieder die Fühlung mit Rußland und China aufnehmen, natürlich auf neuer materieller Grundlage.

Taiwan wird der zentrale Konfliktherd zwischen den transatlantischen Metropolen und China, während die Ukraine der zentrale Konfliktherd zwischen den transatlantischen Metropolen und Rußland ist. Es kommt immer deutlicher zu einem sino-russischen Bündnis, der sich zu einem sino-russischen Block festigen kann und damit den transatlantischen Block in die Defensive bringt, was dort auch zu einer Radikalisierung führt, bevor der transatlantische Block an seinen eigenen Widersprüchen zu Grunde geht und zerbricht. Der Besuch von Frau Pelosi, der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses in den USA ruiniert die Sino-US-amerikanischen Beziehungen und der deutsche Imperialismus steht in Nibelungentreue fest an der Seite des US-Imperialismus und wird deshalb auch ebenfalls die chinesischen Schläge einstecken müssen. China sanktioniert den Sand, den Taiwan für seine Chipproduktion benötigt. Dies trifft dann nicht nur Taiwan, sondern auch die transatlantischen Metropolen, denn Taiwan ist das Zentrum der Chipproduktion. Gleichzeitig beginnt China mit einer tendenziellen Luft- und Seeblockade Taiwan von seinen Lieferbeziehungen abzuschneiden. Gelänge es China Taiwan enger an sich zu binden, so hätte China den Zugriff auf die globale Chipproduktion und würde somit einen weltweit zentralen Industriezweig kontrollieren. Konkret auch aus diesem Grunde der Kampf um Taiwan zwischen China und dem transatlantischen Imperialismus und der Aufbau einer Chip-Industrie in den transatlantischen Metropolen.

Die transatlantischen Metropolen der imperialistischen Kette unterliegen einer Fehleinschätzung, daß noch der neoliberale Weltmarkt existiert, der ihnen tendenzielle Privilegien einräumte. Mittlerweile ist der neoliberale Weltmarkt zusammengebrochen und wurde auf naturwüchsiger Weise vom multipolaren Weltmarkt abgelöst. Dieser multipolare Weltmarkt mit seiner multipolaren Weltordnung jedoch verweigern sich die transatlantischen Metropolen, da sie diese nicht anerkennen wollen, sie glauben immer noch die stärkere Seite zu sein und verkennen und verweigern sich der multipolaren Realität und werden deshalb an der multipolaren Realität scheitern. Statt die multipolare Weltordnung, den multipolaren Weltmarkt zu gestalten, werden die transatlantischen Metropolen vom multipolaren Weltmarkt, von der multipolaren Weltordnung gestaltet. Dabei unterschätzen die transatlantischen Metropolen die multipolare Weltordnung, unterschätzen Rußland und China, was zu großem Verhängnis führen kann. Rußland hat im Ukraine-Krieg bewiesen, daß es auch notfalls im Dritten Weltkrieg um seine Interessen kämpfen wird. China zieht in der Taiwan-Frage seine roten Linien, so wie Rußland zuvor in der Ukraine-Frage seine roten Linien gezogen hat. Doch dies wird wie in der Ukraine-Frage von den transatlantischen Metropolen ignoriert, da man glaubt, daß man in der stärkeren Position ist und China wird keinen Krieg gegen Taiwan wagen. Bis vor kurzem glaubte man auch, daß Rußland es nicht wagen würde, die NATO-Ukraine anzugreifen, denn der NATO-Pakt steht hinter der Ukraine und schreckt Rußland ab. In der Ukraine-Frage haben sich die transatlantischen Metropolen verrechnet und trotz dieser Erfahrung verrechnen sie sich jetzt wieder in der Taiwan-Frage. Die Kriegsgefahr in der Taiwan-Frage ist sehr hoch und wird durch die Ignoranz der transatlantischen Metropolen noch erheblich erhöht. Realitätsverweigerung und Glauben trüben den Blick auf die Realität. Dies bezieht sich nicht nur auf die außenpolitischen Kriegsgefahren, sondern auch auf die tiefe sozioökonomische Krise in den transatlantischen Metropolen selbst, welche zu Massenprotesten und Unruhen führen können. Auch hiervor werden fest die Augen verschlossen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Der russische Imperialismus setzt in seinem Krieg gegen die NATO-Ukraine nicht auf einen Blitzkrieg, sondern geht gemäß der russischen Militärdoktrin langsam, aber gründlich vor, d.h. er setzt nicht auf einen politisch-militärischen Enthauptungsschlag, sondern auf die politische und soziale Umwälzung und damit auf die Zermürbung der NATO-Ukraine. Erst wird der Donbass-Feldzug siegreich beendet, bis die Front in Richtung Westen einschwenkt. Die Zeit spielt für den russischen Imperialismus, ebenso der Raum. Je länger der Krieg dauert, desto stärker wird der russische Imperialismus, militärisch, wie politisch und ökonomisch, während der deutsche Imperialismus immer schwächer wird, vor allem ökonomisch. Der Donbass wurde zum Massengrab des Maidan und des ukrainischen Faschismus, wie aller transatlantischen NATO-Hoffnungen. Je länger der Wirtschaftskrieg anhält, desto stärker wird der russische Imperialismus, denn der soziale und politische Druck in Westeuropa und in Deutschland steigt. Die Ölpreise, Gaspreise, Kohlepreise steigen extrem und finanzieren die Neuausrichtung des russischen Imperialismus nach Osten. Aus diesem Grunde hat der russische Imperialismus keine Eile, den Ukraine-Krieg zu beenden. Mit dem Ende des Krieges würden die Preise wieder auf das Normalniveau fallen. Die ganze Wucht des transatlantischen Wirtschaftskrieges gegen Rußland trifft Westeuropa und damit auch Deutschland, nicht so sehr die USA. Auf diese Weise wird objektiv die Neuausrichtung des deutschen Imperialismus erzwungen. Sieger im Wirtschaftskrieg ist der, welcher die Massen länger zum Verzicht zwingen kann und da ist der russische Imperialismus durch die Subsistenzproduktion des russischen Dorfes ebenfalls im Vorteil.

Die Situation kann sich verselbständigen. Scheitert der deutsche Imperialismus mit seinem antirussischen Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus, muß er das neue Kräfteverhältnis anerkennen und ist objektiv gezwungen, sich neu zu formieren, d.h. der deutsche Imperialismus wird sich radikalisieren und diese Radikalisierung drückt sich in dem Einschwenken auf den deutschen Sonderweg ein. Je länger der transatlantische Wirtschaftskrieg andauert, je mehr drängt der russische Imperialismus objektiv den deutschen Imperialismus auf seinen Sonderweg und damit auf eine Neuordnung Europas, nicht nur Westeuropas. Je länger die Ukraine-Krise andauert, je mehr droht die transatlantische Gemeinschaft zu zerbrechen. Aber auch eine Verhandlungslösung würde die Niederlage des transatlantischen Imperialismus besiegeln und ihn potentiell zerbrechen. Aus diesem Grunde ist auch ein transatlantischer Rückzug unmöglich und es wird bis zur letzten Konsequenz gekämpft. Die Niederlage steht für den transatlantischen Imperialismus schon fest. Diese Niederlage muß der Öffentlichkeit in den USA und Westeuropa aber als Sieg verkauft werden und so hofft der transatlantische Imperialismus auf einen gesichtswahrenden Rückzug. Ob der russische Imperialismus darauf eingeht, ist offen. Nicht die Einbrüche in der Wirtschaftsleistung in einem Wirtschaftskrieg sind entscheidend, sondern Sieger in einem Wirtschaftskrieg ist der, wer die Schäden länger aushält, d.h. die Massen länger zum Verzicht zwingen kann. Da ist der russische Imperialismus im Vorteil, denn die Subsistenzwirtschaft des russischen Dorfes und der Kleinstadt garantieren den längeren Hebel im Wirtschaftskrieg, da die Scheidung von Stadt und Dorf in Rußland bis heute noch nicht realisiert ist. Jedoch der deutsche Imperialismus kann nicht auf die Subsistenzwirtschaft zurückgreifen, dazu ist auch die Fläche Deutschlands zu gering, d.h. die Scheidung von Stadt und Land wurde in Deutschland realisiert. Aus diesem Grund kann der deutsche Imperialismus das materielle Lebensniveau in Deutschland nicht auf die Stufe des materiellen Lebensniveaus in Rußland absenken und verliert notwendig den Wirtschaftskrieg. Sinkt das materielle Lebensniveau in Deutschland sehr stark, drohen Massenproteste und Revolten, da hilft dann auch der Ausnahmezustand nicht.

Während der innere soziale und politische Druck in den transatlantischen Metropolen steigt, herrscht in den herrschenden Klassen der transatlantischen Metropolen eine große Verwirrung und ein beträchtlicher Realitätsverlust, so daß die notwendigen klaren politischen Entscheidungen erst mit großem Zeitverzug gefällt werden. Die Widersprüche in den herrschenden Klassen nehmen zu und lähmen die transatlantischen Metropolen.

Die erste Welle der Schockpolitik stellt die Gasumlage dar, denn sie treibt die inflationären Tendenzen noch weiter an und belastet die Löhne deutlich, führt also zu einem drastischen Absinken des Reallohns. Die Gasumlage ist nicht einheitlich festgelegt und kann sich jederzeit nach unten oder oben ändern, führt also zu einem Zwangssparen und damit zu einem scharfen Einbruch in die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, was zu deflationären Tendenzen führt. Schockpolitik und Kriegswirtschaft hängen eng zusammen. Ein Krieg ist ein Schock für die konkrete bürgerliche Gesellschaft und damit auch für sozioökonomischen Bedingungen. Die sozioökonomischen Bedingungen müssen auf eine Kriegswirtschaft umgestellt werden und dies bedeutet auch Formen von Zwangssparen. Kanonen statt Butter. Der deutsche Imperialismus mit seinem antirussischen Wirtschaftskrieg und seinen Waffenlieferungen an die NATO-Ukraine führt Deutschland in einen unausgesprochenen Kriegszustand, der jederzeit in einen Krieg, Dritten Weltkrieg, eskalieren kann. Hingegen der sogenannte Kalte Krieg war ein Spannungszustand, aber kein unausgesprochener Kriegszustand. Ein unausgesprochener Kriegszustand verlangt nach einer Schock-Politik, verlangt nach einer Kriegswirtschaft, verlangt nach einem Notstand, Ausnahmezustand, denn Krieg ist immer Ausnahmezustand und Notstand. Ein unausgesprochener Kriegszustand verlangt nach einer unausgesprochenen Schock-Politik und Kriegswirtschaft, verlangt nach einem unausgesprochenen Notstand, Ausnahmezustand und damit der Beseitigung demokratisch-parlamentarischer Herrschaftsformen der herrschenden Klasse zugunsten einer Notstandsdiktatur. Die Gasumlage ist ein Moment innerhalb des unausgesprochenen Kriegs- und Ausnahmezustandes, welcher ein totaler Krieg gegen die Arbeiterklasse ist, deren gesellschaftlich notwendiges Reproduktionsniveau drastisch und qualitativ abgesenkt werden soll, d.h. die Gasumlage ist der erste qualitative Schritt in den Energienotstand. Der Verzicht wird mit äußerster Repression erzwungen, wenn es nötig sein sollte. Widerstand gegen die Deflationspolitik ist dann Kollaboration mit dem „Feind“, bzw. „Verrat an der Nation“. Auch im unerklärten Kriegszustand gibt es nur „Freund“ oder „Feind“, aber keine Neutralität. Widerstand gegen die Gasumlage ist dann „Feindhandeln“, ein „Angriff auf die nationale Sicherheit“. Zuerst wird über die hohen Preise ein Verzicht erzwungen, notfalls über Rationierung. Schon im August nennt der nordrhein-westfälische Innenminister mögliche Protestler „Staatsfeinde.“, obwohl noch keine Proteste gegen den Energienotstand und Deflationspolitik stattfinden. Über die Wortwahl versucht der bürgerliche Staat mögliche Massenproteste abzuschrecken. Ein wesentliches Moment der Schock-Politik. Wer von seinen demokratischen Grundrechten auf Protest Gebrauch macht, wird vom bürgerlichen Staat als „Staatsfeind“ bezeichnet. Damit wird den Repressionsapparaten die Carte Blanche ausgeteilt; sie haben das Recht, jede scharfe Gewalt anzuwenden, bis hin zum Bundeswehreinsatz im Inneren. Dies wird indirekt durch Bundeskanzler Scholz bestätigt, wenn er verneint, daß auf Demonstranten geschossen werden könnte („Niemand hat die Absicht, einen Schießbefehl gegen Demonstranten zu geben“ -, Äußerung bei einem Auftritt in Neuruppin am 17.08.2022). Ein Schießbefehl auf Demonstranten ist aus Sicht der historischen Entwicklung der BRD absurd, daß er nicht erwähnt werden bräuchte. Wenn man den Schießbefehl dennoch erwähnt, auch in seiner Negation, dann nur, als Bestätigung für diese Möglichkeit. Zudem kann auch ein Bundeswehreinsatz im Inneren ohne militärischen Schußwaffeneinsatz realisiert werden, dafür aber mit den Waffen der Polizei, Schußwaffen und Schlagstock. Gerade im August werden von der Polizei mehrere unbewaffnete Menschen erschossen. In Britannien in der Ära Thatcher wurde 1984/1985 im Bergarbeiterstreik ebenfalls verdeckt das Militär als Verstärkung der Polizei eingesetzt. Das Militär erhielt Polizeiuniformen und Schlagstöcke und agierte auch verdeckt als kollektiver Streikbrecher, wenn es sein mußte. Vor allem: Bundeskanzler Scholz schließt nur den Schießbefehl der Bundeswehr auf die Demonstranten aus, nicht aber den Bundeswehreinsatz im Inneren unterhalb dieser Schwelle. Durch die Person des Bundeskanzlers Scholz wird die Arbeiterklasse verwarnt. Notfalls wird die Bundeswehr im Inneren eingesetzt. Diese Warnung wird nur diplomatisch in einer Negation verpackt. Der Notstandsstaat setzte auf den präventiven Bürgerkrieg.

Die Gasumlage ist eine Verelendungspolitik gegen die Arbeiterklasse. Bisher wurde Widerstand gegen den Notstandsstaat als tendenziell „rechtsextremistisch“ eingeordnet. Seit den Klimaproteten in Hamburg im August, beginnt man langsam, Klimaproteste als „linksextremistisch“ unterwandert darzustellen. Auf diese Weise versucht der bürgerliche Staat jeden sozialen und politischen Widerstand zu de-legitimieren und die immer mehr zunehmende Gewalt des bürgerlichen Staatsapparates zu legitimieren. Auch große staatliche Gewalt soll legitim sein, wenn es gegen die „inneren Feinde“ geht, denn sie sind „Feinde“ der nationalen Sicherheit. Bei einer deutlichen Verelendungspolitik sind Massenproteste und Revolten nicht zu vermeiden. Es ist derzeit offen, welchen Weg die Bourgeoisie einschlägt. Aber auf jeden Fall versucht der bürgerliche Staat seine Repression gegen über Organisationen und Gruppen zu verstärken, welche auf potentielle Massenproteste und Revolten einflußnehmen könnten, denn nur so könnten potentielle Massenproteste amorph und wirkungslos werden, wenn keine alternative und autonome politische Führung vorhanden ist. Denn dann wären die potentiellen proletarischen Massenproteste im Sinne der Bourgeoisie entpolitisiert und verlaufen sich im Sande. Auf jeden Fall ist die Gasumlage eine offene Kriegserklärung der Bourgeoisie an die Arbeiterklasse. In erster Linie gilt zielt die Repression des bürgerlichen Staates immer auf die Entpolitisierung der Arbeiterklasse. Dies ist die Peitsche. Gleichzeitig wird versucht mit finanziellen Zuwendungen gewisse Folgen des antirussischen Wirtschaftskrieges abzumildern, was aber nur ansatzweise gelingen kann. Die Verluste des antirussischen Wirtschaftskrieges sollen und werden auf die Arbeiterklasse abgewälzt. Es geht nur darum, „guten Willen“ zu zeigen, um dann die Arbeiterklasse die ganzen Lasten des antirussischen Wirtschaftskrieges tragen zu lassen und legitimiert letztlich die Repression des bürgerlichen Staates. Wer nicht mit dem „guten Willen“ der Bourgeoisie zufrieden ist, wer fordert, daß der bürgerliche Staat die hohen Energiekosten vollkommen zu kompensieren hat, ist aus der Sicht der Bourgeoisie ein Staatsfeind und diese berechtigten Forderungen der Arbeiterklasse werden als Anmaßung dargestellt, als „Sachfremd“ und damit als „politisch“. Die finanziellen Zuwendungen an die Arbeiterklasse sind aus Sicht der Bourgeoisie keine „politischen Maßnahmen“, sondern „technokratische“ Maßnahmen, um eine tendenzielle Massenloyalität aufzubauen, d.h. es wird die Akzeptanz technokratischer Krisenpolitik von der Arbeiterklasse erwartet. Wird jedoch die technokratische Krisenpolitik von der Arbeiterklasse negiert, indem diese „politische“ Antikrisenmaßnahmen erwartet, wird die Repression des bürgerlichen Staates auf die organisierten politischen Widerstandkerne in der Arbeiterklasse gerichtet, um sie zu vernichten, bevor sie die Arbeiterklasse als Ganzes politisieren können. Die Bourgeoisie will die Unterpolitisierung der Arbeiterklasse konstant halten, denn nur dann kann der antirussische Wirtschaftskrieg als objektives Mittel zur Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse im internationalen Maßstab realisiert werden. Die historische Funktion des Notstandsstaates ist es, die Entpolitisierung der Arbeiterklasse notfalls mit unbegrenzter physischer Gewalt durchzusetzen. Eine Politisierung der bürgerlichen Gesellschaft ist mit allen Mitteln zu verhindern, denn die bürgerliche Gesellschaft kann nur dann Bestand haben, wenn sie als „Sache“, als „Ding“ von den Massen begriffen wird, nicht aber als daß was sie ist, ein konkret-spezifisches politisches Verhältnis. Das kapitalistische System kann nur „Sachfragen“ und damit „Sachzwänge“ erfolgreich verarbeiten, nicht aber „politische Fragen“. Gelingt es der Arbeiterklasse nicht, seine „politischen Fragen“ auf die Tagesordnung zu setzen, wird das Kapital seine „Sachfragen“ auf die Tagesordnung setzen, unter Umständen in politischer Verkleidung eines „Dritten Weges“ und auf das verzweifelte und wildgewordene Kleinbürgertum gestützt, welches, wenn es sich selbst autonom organisiert, immer auf das Kapital hin ausrichtet und damit die „Sachzwänge“ der kapitalistischen Akkumulation in politischen Formen ausdrückt. Es kommt also auf die proletarische Initiative an. Der Grad der Entpolitisierung der Arbeiterklasse in den transatlantischen Metropolen ist hoch, der neoliberale Kapitalismus hat gute Arbeit geleistet. Dies erschwert eine jetzt objektiv notwendige Offensive der Arbeiterklasse, welche durch die Eskalation der Ukraine-Krise noch weiter geschwächt wird. Das Kleinbürgertum kann die soziale und politische Massenbasis für einen Notstandsstaat darstellen, es kann nur durch eine Offensive der Arbeiterklasse, die das Kleinbürgertum in ein Bündnis mit derselben zwingt, politisch neutralisiert werden. Wenn die Arbeiterklasse sich nicht das Thema der Krise und des „Energienotstandes“ annimmt, wird es das Kleinbürgertum zum Vorteil der Bourgeoisie tun. Die Politisierung der Arbeiterklasse ist eine langfristige Aufgabe. Massenproteste und Revolten geben wichtige Impulse für eine Politisierung der Arbeiterklasse, reichen aber nicht aus, die Offensive der Bourgeoisie sofort zu stoppen. In Krisenzeiten lernt die Arbeiterklasse schnell, aber kann nicht aus dem Stand heraus, über dreißig Jahre der Entpolitisierung durch den neoliberalen Kapitalismus kompensieren. Die herrschende Klasse behält immer noch die weitgehende Kontrolle über die Arbeiterklasse. Zur Re-Politisierung der Arbeiterklasse ist eine revolutionäre Partei notwendig. Spontan gibt es immer Momente der proletarischen Re-Politisierung, doch ohne eine kollektive Verarbeitung dieser Prozesse, fallen sie wieder in sich zusammen. Die Linkspartei, die verdi-Gewerkschaftsbürokratie, der linke Flügel der Sozialdemokratie und der Grünen, wie die kleinbürgerliche „Klimaschutzbewegung“ versuchen schon präventiv aufkommende Proteste zu kontrollieren und wird selbst bei Demonstrationsaufrufen aktiv, um schon von Beginn an mögliche Massenproteste zu kanalisieren und ihnen die Spitze zu nehmen. Je entpolitisierter die Arbeiterklasse durch den vorherigen Neoliberalismus ist, desto leichter kann die Linkspartei die politische Kontrolle über die möglichen Massenproteste gegen die Schock-Politik behalten. Der organisierte Reformismus setzt auf einen „Gaspreisdeckel“. Der bürgerliche Staat soll ein bestimmtes Mindestniveau an Gasbezug garantieren, welches zu einem niedrigen Preis verkauft wird. Wird jedoch dieses Mindestniveau an Gasbezug überschritten, soll der hohe gegenwärtige Preis gezahlt werden. Es geht also nur um eine „soziale Rationierung“, etwas, was es nicht geben kann. Der Mangel an Gas, der Mangel an Energie, bleibt erhalten, er soll nur „gerecht“ verteilt werden. Aber einen Mangel kann man nicht gerecht verteilen. Das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse sinkt dennoch und die Massenproteste werden sich nicht damit zufrieden geben, fordern das Ende des Wirtschaftskrieges und Öffnung von Nord Steam II, denn nur dann bleibt die Energiesicherheit erhalten. Gleichzeitig wird die FDP jede sozialere Lösung verhindern, die Gasrationierung auf die Spitze treiben und ist bereit die Regierung zu sprengen, was zu Neuwahlen führen könnte. Der bürgerliche Staat finanziert sich aus Revenue, muß die Steuern erhöhen und/oder sich verschulden, ist damit auch ein Moment im Akkumulatiosprozeß. Da nicht nur für den Endkunden die Gaspreise bzw. Energiepreise steigen, sondern auch für das Kapital, steht die Akkumulationsbewegung des Kapitals unter Druck und der bürgerliche Staat kann dann nicht ohne weites durch seine Aktionen unabhängig von der Bewegung der Akkumulation eine „soziale Rationierung“ vornehmen. Je länger die Krise andauert, desto mehr und eher wird der Gaspreisdeckel niedrig angesetzt werden müssen und stellt dann nur noch ein Placebo dar. Die Produktion ist entscheidend, nicht die Verteilung. Ein Mangel läßt sich nicht umverteilen, nur anders aufteilen. Ein Mangel bleibt an Mangel und niemals „gerecht“. Über eine Mangelverwaltung läßt sich die Energiekrise nicht aufheben. Es gilt den Mangel aufzuheben und das heißt konkret, daß die Forderung nach Öffnung von Nord Stream II zentral ist. Nur wenn wieder ausreichend Gasfließt, dann, wenn der antirussische Wirtschaftskrieg beendet ist, fallen die aufgeblähten Preise wieder in sich zusammen. Aber eben dies fordert die Linkspartei, wie die Gewerkschaftsbürokratie nicht, sondern nur eine „sozial gerechte Verteilung“ der Kriegskosten für den antirussischen Wirtschaftskrieg, der im Sinne des deutschen Imperialismus weitergeführt werden soll. Auch die Linkspartei und die DGB-Bürokratie verweigern sich einem Frieden mit dem russischen Imperialismus.

Die Diskussion über einen „sozialen Pflichtdienst“ für Männer und Frauen zielt auf die Aktivierung der Wehrpflicht und damit auch auf die Aktivierung des Wehrersatzdienstes bzw. des Zivildienstes, passt sich ein in die Kriegswirtschaft und zielt auch auf die erwartete höhere Rate der Arbeitslosigkeit aufgrund des antirussischen Wirtschaftskrieges, welcher die sich entwickelnde Rezession noch verschärft. Über eine Militarisierung der Ausbeutung soll eine innere Desintegration des deutschen Imperialismus verhindert, wie auch über die Aktivierung der Wehrpflicht die außenpolitische Schlagkraft erhöht werden. Mit dem Scheitern eines vermeintlichen „zivilen“ Wirtschaftskrieges gegen den russischen Imperialismus ist der deutsche Imperialismus gezwungen, den Krieg, bzw. die Kriegsdrohung, in der internationalen Arena offen einzusetzen und muß sich dazu neu organisieren. Die langsam einsetzenden Tendenzen zur Militarisierung zeigen die Niederlage des deutschen Imperialismus im Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus an. Der deutsche Imperialismus ist eben nicht dem russischen Imperialismus überlegen, sondern gar unterlegen, auch im Wirtschaftskrieg. Im militärischen Bereich ist der deutsche Imperialismus dem russischen Imperialismus deutlich unterlegen, wie auch dem US-Imperialismus und den anderen transatlantischen Metropolen. Die Niederlage im Wirtschaftskrieg gegen das russische Kapital führt zur Radikalisierung des deutschen Imperialismus, führt zur Flucht nach vorn. Kurzfristig könnte der deutsche Imperialismus einen Befreiungsschlag versuchen und die sanktionierte Nord-Stream II-Pipeline öffnen. Dann würden die Gaspreise drastisch fallen und der deutsche Imperialismus könnte sich stabilisieren. Gleichzeitig muß der russische Imperialismus auf seine Extra-Profite mit dem Fall der Gaspreise verzichten. Die Situation würde sich normalisieren. Jedoch wäre dies eine Niederlage des transatlantischen deutschen Imperialismus, wie der transatlantischen Metropolen mit dem Zentrum US-Imperialismus im antirussischen Wirtschaftskrieg überhaupt. Doch so ein Szenario brauch Zeit. Es wäre ein mehr oder minder allseitiger imperialistischer Interessenausgleich im Sinne einer multipolaren Weltordnung, welche damit als allgemein anerkannt würde, ein negativer Interessenausgleich, welcher das neue Status quo anerkennt. Eine Anerkenntnis, daß die Ordnung von Jalta und Potsdam beseitigt ist, das Ziehen neuer Interessenssphären und damit die beschleunigte Durchsetzung der De-Globalisierung des Weltmarktes. Statt zusammenwachsen, wie in der Ära des neoliberalen Weltmarktes, zerfällt der Weltmarkt in regionale Segmente. Im besten Fall trennen sich die Wege des deutschen und russischen Imperialismus, wird die ökonomische Trennung vollzogen und beide Imperialismen entwickeln sich unterschiedlich und können auf einer höheren Stufe ihre Interessenssphären abgrenzen. Dies gelänge nur, wenn der deutsche Imperialismus sein Energie-und Rohstoffproblem lösen kann. Doch dies sieht danach nicht aus und der deutsche Imperialismus bleibt auch in Zukunft abhängiger vom russischen Imperialismus als umgekehrt. Aus diesem Grunde ist zu erwarten, daß die aggressive Stoßrichtung des deutschen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus erhalten bleibt, die Formen wechselt und sich gar noch steigert. Die Übermacht des russischen Imperialismus treibt den deutschen Imperialismus in eine Militarisierung nach außen und innen, da die Schwäche des US-Imperialismus eine US-Garantie zugunsten des deutschen Imperialismus zunehmend verunmöglicht. Die deutsche Bourgeoisie wird dann in den deutschen Sonderweg flüchten. Eine Niederlage des deutschen Kapitals im antirussischen Wirtschaftskrieg ist mittelfristig ein Katalysator für die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Der Herbst und Winter 2022/2023 ist die Bewährungsprobe für den deutschen Imperialismus, ob seine Machtprojektionen nach innen und außen realistisch sind oder Ausdruck des abermaligen Größenwahns der deutschen Bourgeoisie. Der deutsche Imperialismus bereitet sich auf Energienotstand und Krieg vor. Die Deutsche Bundesbahn wurde angewiesen, Kohletransporte gegenüber dem Personenverkehr zu priorisieren, d.h. die Kohletransporte haben Vorrang vor den Personenverkehr. Aber vor allem haben Militärtransporte über die Deutsche Bundesbahn die höchste Priorität, noch vor den Kohletransporten zu den Kohlekraftwerken. Die Eisenbahn ist seit ihrem Bestehen schon immer ein zentrales Moment für die Kriegsführung gewesen und ist damit zentral auch zu Beginn des Krieges, im Mobilisierungsfall. Krieg ist Logistik und noch einmal Logistik. Die Kampftruppen können nur Siege erringen, wenn die Logistik funktioniert. Der Troß sichert den Kampftruppen den Sieg. Und die Eisenbahn ist zentral für die Logistik. Aus diesem Grunde muß den Aktionen der Deutschen Bundesbahn große Beachtung geschenkt werden. Gegenwärtig wird die Deutsche Bundesbahn in der ersten Phase eines Notstandsmodus geschaltet und einer inneren Militarisierung unterzogen. Hier kann die Belegschaft der Deutschen Bundesbahn konkret Widerstand leisten. Alle Metropolen gehen langsam immer deutlicher in den Kriegszustand. Rußland hat Regelungen implantiert, daß notfalls das russische Kapital Militäraufträge vorranging bearbeiten muß. Ebenso in China. Es findet eine Konversion von ziviler Produktion zu militärischer Produktion statt. Die transatlantischen Metropolen werden nachziehen müssen, wollen sie sich nicht schwächen und Deutschland setzt am Logistiksektor an. Das Paradigma der „nationalen Sicherheit“ schreibt sich immer tiefer als tendenzielle Kriegswirtschaft in die kapitalistische Produktionssphäre ein. Diese Tendenz zur Kriegswirtschaft begann in der „Corona-Krise“ seit März 2020 und verstärkt sich mit dem der Eskalation der Ukraine-Krise spätestens ab dem 24. Februar 2022, als diese sich zu einem russischen-ukrainischen Krieg auswächst.

Umso länger der Ukraine-Krieg anhält, desto länger hält auch der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg an. Und je länger der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg anhält, wie auch der Ukraine Krieg, der Kriegsverlauf wie der antirussische Wirtschaftskrieg sich negativ auf die transatlantischen Metropolen auswirkt, eine große Massenunzufriedenheit produziert, desto mehr radikalisieren sich die transatlantischen Metropolen nach innen und außen und richten sich immer mehr auf den Krieg, der ein Dritter Weltkrieg wäre, aus. Bisher ist der Ukraine-Krieg ein Stellvertreterkrieg zwischen dem vom US-Imperialismus geführten transatlantischen Lager gegen den russischen Imperialismus und China. Doch dieser Stellvertreterkrieg wächst immer mehr in einen offenen Krieg zwischen Rußland und China auf der einen Seite und den transatlantischen Metropolen auf der anderen Seite aus, denn beide Seiten dürfen diesen Krieg nicht verlieren. In der Ukraine, im Ukraine-Krieg entscheidet sich die Weltgeschichte, entscheidet sich die neue Weltordnung in Form einer neuen Kräftekonstellation. Und im Ukraine-Krieg verliert die transatlantische Seite immer mehr an Boden und die Gefahr besteht dann, daß die USA offen in den Ukraine-Krieg intervenieren und es damit offen zum Krieg gegen Rußland und China kommt. Und dieser Krieg ist ein Dritter Weltkrieg und kein Krieg in der Ukraine. Der Ukraine-Krieg kann nicht in der Ukraine isoliert werden, sondern wächst notwendig über die Ukraine zu einem potentiellen Dritten Weltkrieg heraus, kann sich leicht verselbständigen und kann nicht kontrolliert werden. Der Ukraine-Krieg ist ein Weltordnungskrieg; der Ausgang des Ukraine-Krieges wird die Welt signifikant geändert haben. Es gibt eine Welt vor dem Ukraine-Krieg und eine Welt nach dem Ukraine-Krieg. Ein imperialistischer Interessenausgleich war zu Beginn des Ukraine-Krieges noch leicht möglich, man hätte eine Neutralität festschreiben können und damit wären die Interessen des russischen Imperialismus berücksichtigt worden. Doch dies wäre eine Kapitulation des US-Imperialismus gewesen. Schon lange ist der US-Imperialismus in der Defensive und im August nach der Flucht aus Afghanistan hat er weltweit sein Gesicht verloren. Eine weitere und noch drastische Niederlage kann der US-Imperialismus nicht akzeptieren, wenn er der Hegemon in der imperialistischen Kette sein möchte und damit auch keinen Kompromiß mit dem russischen Imperialismus. Für den US-Imperialismus gibt es nur: „Sieg oder Untergang“. Aus dem Ukraine-Krieg wurde schnell ein Stellvertreter-Krieg, welcher immer droht, zu einem direkten Krieg zwischen den USA und Rußland auszuarten. Ein Zurück zu einem Kompromiß wie zu Beginn des Krieges, ist nicht mehr möglich; die Situation hat sich schon zu sehr verselbständigt. Es bedarf der proletarischen Massenaktion, um den Druck auf die Bourgeoisie zu erhöhen, mit der imperialistischen Kriegspolitik zu brechen. Nach der imperialistischen Logik kann es nur einen Sieger geben und ein Kompromiß zwischen den imperialistischen Mächten ist immer nur dem Druck des Proletariats geschuldet. Der Klassenkampf entscheidet über Krieg und Frieden.

Auch für die Arbeiterklasse wird der Krieg in der Ukraine zu direkten physischen Gefahr, denn da die NATO-Ukraine im konventionellen Krieg unterlegen ist, agiert der US-Imperialismus durch den NATO-Pakt auch mit der Aktivierung von Gladio A und Gladio B-Netzten in Rußland, um den militärischen Druck auf die zusammenbrechende Donbass-Front zu mindern. Auch dies ist psychologische Kriegsführung mit dem Ziel Konfusion zu sähen. Das gleiche Ziel auch in EU-und NATO-Westeuropa. Vor allem die faschistischen ukrainischen Exilstrukturen, die auch nur ein Moment der Gladio-Netze sind und mit den anderen europäischen Gladionetzen, wie auch faschistischen Netzen, d.h. auch den deutschen Netzwerken von Gladio- und Faschismus, verbunden. Diese ukrainischen faschistischen Gladio-Netzwerke haben Waffen und Munition in unbegrenzter Zahl und können diese Waffen auch bedienen. Ihr Ziel ist auch die Arbeiterklasse in Deutschland, wenn sich die Massenunzufriedenheit politisch manifestiert und das Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges, wie des Krieges in der Ukraine einfordert. Die extremen Waffenlieferungen der EU- und NATO-Staaten in die Ukraine waren nicht alle für die Ukraine gedacht. Von dort aus gingen die Waffen in die restliche Welt und auch nach Westen in Richtung Deutschland und Westeuropa. Es können ohne weiteres mit Kriegswaffen Demonstrationen und Kundgebungen in Deutschland angegriffen und diese auch gegen Einzelpersonen eingesetzt werden, wenn diese Einzelpersonen für eine Verständigung mit Rußland eintreten. Attentate in welcher Art auch immer, sind damit potentiell vom ukrainischen Faschismus vorbereitet. Der ukrainische Faschismus ist derzeit in Westeuropa und in den transatlantischen Metropolen (zu denen auch Australien und Neuseeland zählen) die Speerspitze des Faschismus und auch die Speerspitze des NATO Gladio-Netzwerkes und kann jederzeit im Sinne einer psychologischen Kriegsführung auch in Westeuropa gegen das Proletariat und unliebsame Regierungen bzw. unliebsame Opposition eingesetzt werden. Besonders sticht hier die Asow-Organisation hervor, welche mit den staatlichen Repressionsapparaten der NATO-Ukraine zusammengeschlossen wurde und in der Ukraine als Staat im Staat agiert, wie die anderen faschistischen Organisationen in der Ukraine auch. Vor allem diese faschistischen Organisationen wurden vom US-Imperialismus finanziert und ausgebildet und unterstehen in letzter Instanz keinem ukrainischen Kommando, sondern dem US-Kommando und können auch international eingesetzt werden, wie z.B. auch die diversen konterrevolutionären Kuba-Organisationen, welche durch den US-Imperialismus finanziert und ausgebildet, wie auch seit Jahrzehnten international und nicht nur gegen Kuba eingesetzt werden, sondern weltweit und auch innerhalb der USA selbst. Das Ende der NATO-Ukraine ist nicht das Ende des ukrainischen Faschismus und der Feind des ukrainischen Faschismus ist nicht nur der russische Imperialismus und russische Faschismus, sondern vor allem die Arbeiterklasse im allgemeinen, nicht nur die ukrainische oder russische Arbeiterklasse, sondern auch die deutsche multinationale Arbeiterklasse. Der Terror des ukrainischen Faschismus richtet sich überhaupt gegen die proletarischen Massenorganisationen, gegen die internationale Arbeiterbewegung. Das Massaker im Gewerkschaftshaus in Odessa am 02. Mai 2014 ist eine Warnung des Faschismus an die Arbeiterklasse, konkret gegen die internationalen Gewerkschaften und wurde von der Arbeiterklasse noch nicht gesühnt. In den transatlantischen Metropolen wird der Massenmord in Odessa noch gedeckt. Auch dies eine klare Warnung an die Arbeiterklasse, an die Gewerkschaften, an die Gewerkschaftsbürokratie sich zu unterwerfen, ansonsten könnte sich in einem anderen Land auch der 2. Mai 2014 von Odessa wiederholen. Auch die ukrainischen faschistischen Organisationen sind Momente der Herrschaftsreserve des Kapitals und übernehmen die „schmutzige Arbeit“ für die Bourgeoisie, können dann eingesetzt werden, wenn die Arbeiterklasse auch über Streiks ihr gesellschaftliches Reproduktionsniveau verteidigt. Auch der britische Hafenarbeiterstreik im August wäre ein Angriffsziel für den Faschismus, für den ukrainischen Faschismus, denn er verstärkt die Lieferkettenprobleme des Kapitals, nicht nur des britischen Kapitals und schwächt die transatlantischen Metropolen im Verhältnis zum russischen Imperialismus und schwächt damit den transatlantischen Ukraine-Krieg gegen den russischen Imperialismus. Letztlich ist auch der Streik der britischen Hafenarbeiter ein Streik gegen die „nationale Sicherheit“ des britischen Imperialismus, bzw. ein Streik gegen die „nationale Sicherheit“ jeder transatlantischen Metropole, denn es ist durch den Streik nicht nur die britische Lieferkette, sondern alle transatlantischen Lieferketten bedroht und stärkt damit objektiv den russischen Imperialismus im antirussischen Wirtschaftskrieg, auch wenn nicht subjektiv das Ziel des britischen Hafenarbeiterstreiks ist. Über Gladio-Operationen werden nicht nur „feindliche“ Personen oder Organisationen direkt angegriffen, sondern auch Operationen unter falscher Flagge ausgeführt und diese dann bestimmten „ feindlichen“ Personen und/oder Organisationen zu Last gelegt. Das Ziel ist die De-Legitimierung des Massenprotestes vor allem schon präventiv, wenn sich der Massenprotest erst langsam entwickelt. Die De-Legitimierung des Massenprotestes leitet, vermittelt in eben durch die dahinterstehende Strategie der Spannung, in den bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) über. Der bürgerliche Staat soll den Ausnahmezustand ausrufen, um die vermeintlichen Täter, bzw. „Feinde“ zu vernichten. Die vermeintlichen Täter sollen nicht nur Täter sein, sondern „Feinde“, und zwar nur dessen Vorhut. Das Ziel ist nicht so sehr, die vermeintlichen Täter der Gerichtsbarkeit zu überführen, sondern das Signal zu geben, den „Feind“, der größer ist als die vermeintlichen Täter anzugreifen und zu zerstören. Auf diese Weise kam der deutsche Faschismus erst zu vollem Durchbruch (Reichstagsbrand) und der US-Imperialismus nutzt bis heute diese Strategie der Spannung mit wechselnden Erfolg. Die Strategie der Spannung ist keine Wunderwaffe, sondern ein ganz alltägliches und normales Instrument imperialistischer Politik und wird von allen imperialistischen Mächten verwendet. Eine Erfolgsgarantie hat die Strategie der Spannung nicht, entscheidend ist das Kräfteverhältnis der antagonistischen Klassen im Klassenkampf. Hauptsächlich ist die Strategie der Spannung gegen den „inneren Feind“ gerichtet und wird dann Option, wenn die inneren Probleme eskalieren und die Bourgeoisie keinen anderen Weg sieht, als diese inneren Probleme mit einem bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) zu bearbeiten. Die Strategie der Spannung eröffnet den Weg in den Ausnahmezustand, organisiert für diesen die Massenlegitimation.

Das Einschwenken des NATO-Paktes auf Gladio-Operationen ist nicht auf Rußland beschränkt, sondern erstreckt sich notwendig auch auf Westeuropa und damit auch auf Deutschland. Ebenfalls wird der russische Imperialismus auf diese Art des Angriffs mit den gleichen Mitteln reagieren und dies nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Westeuropa und damit auch in Deutschland, wie auch in den USA. Die Politik der Destabilisierung fällt auf den Verursacher zurück, führt damit zu einer weltweiten Destabilisierung und den Ruf nach dem Ausnahmezustand, dem Notstand, um die gesellschaftlichen Strukturen wieder zu stabilisieren. Der US-Imperialismus und sein NATO-Pakt aktiviert eine „Politik der Spannung,“ und visiert den Ausnahmezustand an bzw. den Kriegszustand oder Belagerungszustand, zwingt diese Rationalität objektiv auch Rußland und China auf. Es findet objektiv ein internationaler Wettlauf in den Kriegszustand statt, denn jeder Staat sieht sich von einem anderen Staat von außen und innen bedroht, sieht sich von der Arbeiterklasse bedroht, sieht seine „nationale Sicherheit“ bedroht. Die „nationale Sicherheit“ findet in dem Kriegszustand, Belagerungszustand zu sich selbst. Diese Flucht in die „nationale Sicherheit“ ist das Produkt durch die Destabilisierung des Weltmarktes und der internationalen Beziehungen. Mit dem Versuch der Destabilisierung Rußlands durch Gladio-Operationen kommt es eher zur gegenteiligen Wirkung, zur autoritären Stabilisierung Rußlands und auch zur Radikalisierung des russischen Imperialismus.

Die „nationale Sicherheit“ ist ein Angriff auf die „soziale Sicherheit“ der Arbeiterklasse und damit ist die „nationale Sicherheit“ der große „Feind“ der Arbeiterklasse und muß zerstört werden, denn „nationale Sicherheit“ bedeutet Verzicht für die Arbeiterklasse. Über hohe Energiepreise wird die Arbeiterklasse indirekt zum Verzicht gezwungen. Diese hohen Energiepreise sollen der Preis für die „Energiefreiheit“ sein. Doch dies führt auf Seiten der Arbeiterklasse zu einem großen Energiemangel. Eine „Energiefreiheit“ für die Arbeiterklasse gibt es nicht, nur eine „Energiefreiheit“ für das Kapital und zwar auf Kosten der Arbeiterklasse. Der Energieverzicht der Arbeiterklasse schafft die „Energiefreiheit“ des Kapitals. Wenn die „Energiefreiheit“ des Kapitals die „nationale Sicherheit“ gewährleistet, dann muß der Energiemangel der Arbeiterklasse notfalls repressiv erzwungen werden. Ohne Energie gibt es keine Akkumulation von Kapital. Erneuerbare Energien sind derzeit keine Alternative und werden es vielleicht irgendwann in der Zukunft sein. Aber nicht im Heute und Jetzt. Durch den Boykott der russischen Energierohstoffe gefährdet die deutsche Bourgeoisie selbst ihre „nationale Sicherheit“ und versucht sich an der „sozialen Sicherheit“ der Arbeiterklasse schadlos zu halten. Doch dies wird nicht reichen. Nur durch das erzwungene „Energiesparen“ der Arbeiterklasse läßt sich die Akkumulation von Kapital, die „nationale Sicherheit,“ nicht gewährleisten. Da es keine anderen Lieferanten von Energierohstoffen gibt, die den Energiehunger des deutschen Kapitals decken können, ist der deutsche Imperialismus nicht in der Lage seine „Energiefreiheit“ nur auf sich gestellt durchzusetzen. Der US-Imperialismus ist wankelmütig und vom russischen Imperialismus will das deutsche Kapital seit dem Ukraine-Krieg nichts mehr wissen. Dieser Zustand kann nicht lange ausgehalten werden. Entweder der deutsche Imperialismus wird seine Interessen mit dem russischen Imperialismus ausgleichen oder in alleine bzw. eher in einem Bündnis militärisch angreifen müssen, zum wiederholten Male einen imperialistischen Raubkrieg gegen Rußland beginnen, um in den Genuss der „Energiefreiheit“, bzw. der „nationalen Sicherheit“ zu kommen. Der Expansionsdrang des deutschen Imperialismus nach Osten, nach „neuem Lebensraum“ im Osten, d.h. real nach Energierohstoffen und anderen strategischen Rohstoffen, bleibt existent, egal ob friedlich durch „Durchdringung“ oder offen terroristisch.

Die Politik der „Durchdringung“ ist spätestens mit dem russisch-ukrainischen Krieg fehlgeschlagen, eigentlich schon im Jahr 2014 mit dem gescheiterten Putsch und dem folgenden Bürgerkrieg in der Ukraine. Weißrussland und die Ukraine sollten vom russischen Imperialismus abgespalten werden und all diese Pläne scheiterten am 24. Februar 2022. Über die Abspaltung von Weißrussland und der Ukraine sollten die dortigen strategischen Rohstoffe dem deutschen Imperialismus zu Gute kommen, gleichzeitig wäre der russische Imperialismus durch den Verlust seiner zentralen westlichen Einflußsphäre dem Druck und der „Durchdringung“ des deutschen Imperialismus ausgesetzt. Wer Kiew hat, kann Moskau zwingen. Diese Politik des deutschen Imperialismus ist nun gescheitert. Entweder der deutsche Imperialismus akzeptiert das neue Kräfteverhältnis, oder er muß in den imperialistischen Krieg übergehen. Eine „Energiefreiheit“, d.h. die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus ohne und auch gegen den russischen Imperialismus ist nicht möglich. Der russische Imperialismus orientiert sich seit Februar 2022 deutlich nach Eurasien, weg von Westeuropa und damit gehen die strategischen Rohstoffe nach Osten und nicht nach Westen. Dem deutschen Imperialismus wird damit seine materielle Rohstoffbasis entzogen und damit seine Akkumulationsbasis. Der russische Imperialismus ist für die Expansion des deutschen Imperialismus nach Osten der zentrale Sperrriegel. So ist es um die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus nicht gut bestellt und umso aggressiver nach außen und repressiver nach innen tritt der deutsche Imperialismus auf. Um in Ostasien Fuß zu fassen und China herauszufordern, ist es notwendig, den russischen Imperialismus nach Osten in Richtung Sibirien zurückzudrängen, sich den Kaukasus und Zentralasien als Landbrücke nach China zu unterwerfen und so China zu isolieren. Damit würde man dann auch Rußland von China trennen. Aus diesem Grunde muß zuerst der russische Imperialismus als zentraler Sperrrigel Eurasiens angegriffen werden, erst danach China. Um an die chinesischen Grenzen vorzurücken, muß der russische Imperialismus aus seinem Einflußgebiet im Kaukasus und Zentralasien vertrieben werden, erst dann wäre der Mittlere Osten unter Kontrolle des transatlantischen Imperialismus, wie China nach Westen hin isoliert. Die NATO-Ukraine war dazu das Sprungbrett. Diese aggressive imperialistische Politik steht und fällt mit der Hegemonie des US-Imperialismus. Ist der US-Imperialismus zu schwach, scheitert die diese expansive und aggressive Politik der transatlantischen Metropolen. Die verheerende Niederlage des US-Imperialismus und des transatlantischen Imperialismus in Afghanistan zeigt die Schwäche des US-Imperialismus auf und der russische Imperialismus nutzt die Gunst der Stunde und zerbricht die Einkreisungspolitik gegen Rußland und China und marschiert in die NATO-Ukraine ein. Alle Versuche des transatlantischen Imperialismus zwischen Rußland und China zu spalten scheiterten und führten zu einer engen ökonomischen, militärischen und politischen Zusammenarbeit zwischen Rußland und China. Zusammen sind Rußland und China dem transatlantischen Block überlegen und der transatlantische Block kann höchstens Rußland oder China alleine schlagen, aber nicht beide zusammen. Nun ist der transatlantische Imperialismus objektiv gezwungen, sich gleichzeitig mit dem russischen Imperialismus und China zu konfrontieren. Der Ukraine-Krieg ist lediglich der Anlaß für die notwendige Eskalation zwischen einem transatlantischen Kapitalismus und einem eurasischen Kapitalismus. Der eigentliche Feind des US-Imperialismus ist China, welches immer mehr ökonomisch mit den USA konkurrieren kann, während Rußland im Weltmarkt eine zurückgezogene, peripher autarke Position einnimmt. Jedoch muß der russische Imperialismus China stützen, um nicht der US-Übermacht zu erliegen und China bedarf vor allem militärisch den Schutz des russischen Imperialismus, denn militärisch hat China nicht mit den USA gleichgezogen. Rußland hat China unter dem atomaren Schutzschirm genommen, ansonsten hätte es schon längst einen US-Angriff auf China gegeben. Der US-Imperialismus bedarf einer russischen Neutralität, um einen erfolgreichen Angriffskrieg gegen China zu führen. Mit der russischen Intervention in die Ukraine zerstört Rußland alle US-amerikanischen Hoffnungen auf eine russische Neutralität im Falle eines US-chinesischen Krieges. Jeder US-Angriff auf China würde notwendig in den Dritten Weltkrieg führen. Der Ukraine-Krieg ist nur oberflächlich gesehen ein Krieg um die Ukraine, im Wesen ist der Ukraine-Krieg ein Krieg um einen US-chinesischen Krieg zu verhindern, indem der eurasische Kapitalismus gefestigt wird. Die Ukraine alleine ist eher eine Belastung für den russischen Imperialismus und ein Krieg um die Ukraine sinnlos. Nur im geopolitischen Rahmen erschließt sich die Intention des Ukraine-Krieges. Der multipolare Weltmarkt und die multipolare Weltordnung ist das Ergebnis einer Konfrontation zwischen dem transatlantischen und dem eurasischen Kapitalismus. Nur durch diese Konfrontation zwischen transatlantischen Kapitalismus und eurasischen Kapitalismus kann der multipolare Weltmarkt entstehen. Die Konfrontation zwischen diesen beiden historischen Modellen des Kapitalismus ist unvermeidlich. Für die Arbeiterklasse hat kein historisches Modell des Kapitalismus einen Vorteil; die Arbeiterklasse steht gegen den Kapitalismus in Totalität und damit gegen all seine historischen Formen. Der Feind steht im eigenen Land- der Feind ist die eigene Bourgeoisie. Die erste Phase dieser Konfrontation fand in der „Corona-Krise“ noch in unterentwickelter Form statt. In der „Corona-Krise“ begann sich die imperialistische Kette langsam neu auszurichten. Erst in der Ukraine-Krise brechen die kapitalistischen Widersprüche offen aus. Damit übertrifft der Energienotstand potentiell auch den Corona-Notstand. Der Energienotstand ist der Ernstfall vor dem Ernstfall, der letzte Schritt vor dem Krieg. Für das deutsche Kapital ist die „Energiefreiheit“ auch gleichzeitig die „Rohstofffreiheit“ und beides existiert im Kapitalismus an sich nicht, sondern muß erkämpft werden. Ein Perpetuum mobile existiert nicht. Entweder die Rohstoffe und auch die Energierohstoffe werden durch den Handel organisiert oder aber durch einen imperialistischen Raubkrieg gegen wen auch immer. Nur mit Energie- und/oder Rohstoffeinsparungen läßt sich die Akkumulation nicht organisieren. Der neue Krisenschub führt automatisch zu Energie- und Rohstoffeinsparungen, weil die gesellschaftliche Produktion sinkt und damit wird auch weniger Energie und auch Rohstoffe verbraucht. Diese Art der Einsparung führt dann auch zur Einsparung an Quantität von Ware Arbeitskraft im kapitalistischen Produktionsprozeß, d.h. zur Arbeitslosigkeit. Dann geht die Einsparung wieder zu Lasten der Arbeiterklasse. Diese Art der Energie- und Rohstoffeinsparung illustriert nur die normale Entwertung von Kapital und ist keine Innovation des kapitalistischen Produktionsprozesses. Der deutsche Imperialismus kann nicht ohne Energierohstoffe und Rohstoffe existieren, bzw. kann nicht ohne die russischen Energierohstoffe und andere strategische Rohstoffe existieren; der deutsche Imperialismus einigt sich mit dem russischen Imperialismus oder muß diesen angreifen, um an seine strategischen Rohstoffe zu gelangen. Der russische Imperialismus sitzt am längeren Hebel. Von der Arbeiterklasse und vom russischen Imperialismus fühlt der deutsche Imperialismus seine „nationale Sicherheit“ bedroht und reagiert nach außen und innen immer aggressiver und repressiver. Der deutsche Imperialismus hat sich durch seine verblendete Machtpolitik selbst in die Ecke gedrängt, projiziert jedoch diese Entwicklung als Aggression des „inneren“ und „äußeren Feindes“ und ist bereit, jedes Risiko einzugehen, um den „Feind“ in die Schranken zu weisen, wenn eine andere Form der Verständigung nicht möglich ist. Die derzeitige Zwangslage des deutschen Imperialismus kann sich innerhalb der Bourgeoisie schnell zu einer Schockpolitik verselbständigen, eine Schockpolitik durch eine Flucht nach vorn. Wenn ein gesichtswahrender Rückzug der deutschen Bourgeoisie nicht mehr möglich ist, ist eine Schockpolitik ein Ausweg für das deutsche Kapital und eine Schockpolitik bezieht sich nicht nur auf die inneren Verhältnisse des deutschen Imperialismus, sondern auch auf die äußeren Verhältnisse und schließt den imperialistischen Krieg mit ein. Die „Energiefreiheit“ kann der deutsche Imperialismus nur im Rahmen eines Dritten Weltkrieges oder in einer Kette von imperialistischen Kriegen realisieren und wird damit scheitern oder aber der deutsche Imperialismus gibt die Politik der „Energiefreiheit“ auf, bricht mit der Realitätsverweigerung und kommt in der neuen Realität der multipolaren Weltordnung an, d.h. beendet den antirussischen Wirtschaftskrieg und öffnet die Nord Stream II-Pipeline für das benötigte Gas. Setzt der deutsche Imperialismus seinen antirussischen Wirtschaftskrieg fort, wird er letztlich auch die EU und den NATO-Pakt sprengen, denn die anderen Metropolen der EU und der NATO werden nicht ewig die deutsche Politik mittragen, denn sie fahren dadurch erhebliche Verluste ein. Dann steht der deutsche Imperialismus gegen alle. Innerhalb der EU versucht der deutsche Imperialismus auf die Energieressourcen der anderen Mitgliedsländer zuzugreifen. Der Rest der EU soll verstärkt seinen Energieverbrauch senken und damit objektiv den deutschen Imperialismus unterstützen. Die anderen EU-Länder jedoch haben dem deutschen Imperialismus nur formal zugestimmt, d.h. die EU-Regelungen sind nur bloße Absichtserklärungen und nicht verbindlich. Sollte sich die Krise im Herbst und Winter verschärfen, wird es nur schweren Verteilungskonflikten zwischen den verschiedenen EU-Staaten kommen. Die „Energiefreiheit“ die der deutsche Imperialismus meint, beinhaltet auch den Zugriff auf die Energieressourcen sämtlicher EU-Staaten. Über diesen antirussischen Wirtschaftskrieg versucht der deutsche Imperialismus objektiv seinen bestimmenden Einfluß in der EU zu behaupten und zwingt die anderen EU-Staaten ebenso in einen antirussischen Wirtschaftskrieg. Gelänge es dem deutschen Imperialismus die EU in einen verschärften antirussischen Wirtschaftskrieg zu ziehen oder gar in einem Krieg, der potentiell zu einem Dritten Weltkrieg auswachsen würde, hätte der deutsche Imperialismus innerhalb der EU die Hegemonie errungen, denn nur der Hegemon entscheidet über Krieg und Frieden. Der Ukraine-Krieg geht nicht um die Ukraine, sondern um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette.

Die absehbare Niederlage des transatlantischen Imperialismus in der Ukraine führt nicht zu einer Verständigungslösung mit dem russischen Imperialismus, sondern zur Eröffnung einer zweiten Front gegen China. Der deutsche Imperialismus marschiert in einen antichinesischen Wirtschaftskrieg, obwohl der chinesische Markt noch wichtiger für das deutsche Kapital ist als der russische Markt. Wie im Fall des russischen Marktes soll auch der chinesische Markt diversifiziert werden, damit die Abhängigkeit des deutschen Imperialismus nicht nur vom russischen Imperialismus, sondern auch vom chinesischen Kapitalismus reduziert wird. Nun wird im deutschen Kapital über konkrete Regelungen diskutiert, daß deutsche Investitionen in China vom deutschen bürgerlichen Staat genehmigt werden müssen. Der antirussische Wirtschaftskrieg weitet sich immer weiter zum einem Weltwirtschaftskrieg aus und überschreitet seit September die Grenze vom Wirtschaftskrieg zum Krieg. Mit den Sabotageaktionen von US-Imperialismus und NATO-Pakt an der Nord Stream I und Nordstream II Pipeline wird der potentielle Gasfluß von Rußland nach Deutschland gänzlich unterbrochen. Selbst wenn der deutsche Imperialismus sich mit dem russischen Imperialismus einigen würde, würde kein Gas fließen, solange, bis die Pipelines wieder repariert sind. Der deutsche Imperialismus und der US-Imperialismus ziehen zwar gemeinsam gegen den russischen Imperialismus ins Feld, vertreten aber auch hier ihre eigenen Interessen gegeneinander; die Interessen des US-Imperialismus und die Interessen des deutschen Imperialismus sind nicht deckungsgleich in der Konfrontation mit dem russischen Imperialismus. Immer deutlicher wird, daß der US-Imperialismus sich nicht nur mit dem russischen Imperialismus konfrontiert, sondern auch mit dem deutschen Imperialismus, während der deutsche Imperialismus nur den russischen Imperialismus als Feind einordnet, aber nicht den US-Imperialismus. Der deutsche Imperialismus wird reagieren müssen und wird letztlich mittelfristig gesehen, auf seinen Sonderweg zurückgreifen, will er nicht zwischen dem US-Imperialismus und dem russischen Imperialismus zerrieben werden. Ein Energienotstand wird durch die Angriffe auf Nordstream I und II immer wahrscheinlicher und damit ein neuer Krisenschub in der Akkumulation. Der Angriff auf Nordstream 1 und II ist eine US-amerikanische Kriegserklärung an Deutschland und Rußland, welche jedoch untereinander einen Wirtschaftskrieg führen und kann auch als Kriegserklärung an Rußland führen, da man auch von deutscher Seite Rußland als Saboteur indirekt beschuldigt. Schon deshalb steht drohend der „militärische Notstand“ der Notstandsgesetze potentiell bereit. Aber auch deshalb, um den Energienotstand durchzusetzen, denn ein Akkumulationseinbruch und Revolten gegen eine dann notwendige Rationierungs- und Deflationspolitik, bringt auch die Notstandsgesetze potentiell auf die Tagesordnung. Die Arbeiterklasse steht für die Reparatur und den Neubau der Pipelines Nordstream I und II und für eine enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Rußland von unten zum gegenseitigen Vorteil der deutschen und russischen Arbeiterklasse. Der US-Imperialismus und der britische Imperialismus versuchen die schon bestehenden Gräben zwischen dem deutschen Imperialismus und dem russischen Imperialismus zu vertiefen und damit auch die Gräben zwischen dem russischen Imperialismus und den EU-Metropolen. Es drohen deshalb noch weitere Angriffe auf die Infrastruktur der EU-Staaten von „dritter Seite“, die dem russischen Imperialismus zur Last gelegt werden können und damit die internationale Situation dramatisch in Richtung Dritter Weltkrieg eskalieren können, umso mehr, als der britische Imperialismus verzweifelt versucht sich zu stabilisieren und eine waghalsige Finanzpolitik einschlägt, welche zur Panik auf den Finanzmärkten führte und die britische Zentralbank zwang, zu intervenieren und so den Zusammenbruch von Pensionsfonds verhinderte, was zu einem weltweiten Zusammenbruch des Finanzmarktes wie im September 2008 hätte führen können. So führt die prekäre Lage des britischen Imperialismus zu einer allgemeinen risikoreichen Politik des britischen Imperialismus und vertieft die gegenwärtige Weltkrise. Die gegenwärtige Konjunktur der Klassenkämpfe führt zur Flucht nach vorn in den Krieg. Ebenso vor allem der US-Imperialismus. Auch der US-Imperialismus ist von schweren Klassenkämpfen erschüttert und es droht ein Bürgerkrieg. Deshalb auch hier die Flucht nach vorn in den Krieg, um die inneren Widersprüche nach außen zu kanalisieren. Sollte auch Deutschland in eine vertiefte Spannung herabsinken, wird der deutsche Imperialismus ebenso diese Politik einschlagen und zwar nicht nur gegen den russischen Imperialismus, sondern auch gegen den britischen und US-Imperialismus. Es gilt jetzt vermehrt: Alle gegen alle, jeder gegen jeden. Der drohende Zusammenbruch des fiktiven Kapitals weltweit könnte jederzeit über einen Crash die Akkumulation des Kapitals in den Abgrund reißen und den Weltmarkt zerstören. Vor dem Hintergrund des zerfallenden neoliberalen Weltmarktes ist eine weitere Entwertung des Kapitals notwendig. Die Desorganisation des kapitalistischen Weltsystems ist weit fortgeschritten, die De-Globalisierung hat einen point of no return erreicht und die Arbeiterklasse droht in den kapitalistischen Mahlstrom hereingerissen zu werden. Ein höheres Wesen wird die Arbeiterklasse nicht retten, daß muß sie selber tun und organisierten Widerstand leisten, einen Widerstand organisieren, der auf die Diktatur des Proletariats zielt. Der Kapitalismus befindet sich konkret in seiner Systemkrise, die eine Weltkrise hervorbringt. Es ist eine Frage des Überlebens, jetzt die Systemfrage zu stellen. Es gilt immer noch: Sozialismus oder Barbarei.

  1. Proletarischer Widerstand ist notwendig

-Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, international organisiert und ansetzend an der alltäglichen kollektiven Sabotage der Ausbeutung auch in der „kritischen Infrastruktur.“

– Arbeiterkontrolle über die Produktion

-Aufbau proletarischer Hundertschaften gegen die Repression des bürgerlichen Staates und seiner neofaschistischen Organisationen

-Generalstreik gegen Kriegspolitik und Kriegswirtschaft

Iwan Nikolajew Hamburg, im Oktober 2022 Maulwurf/RS

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Oben      —     Preismast einer Aral-Tankstelle in Illingen am 9. März 2022. Superbenzin kostet € 2,22 pro Liter, Diesel sogar € 2,309.

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 11. Oktober 2022

„Krieg und Frieden“
Die eigene Sprache verschlagen

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Aus Kyjiw von Rostyslav Averchuk

In Lwiw konnte man immer viel Russisch hören. Viele Touristen aus der Zentral- und Ost­ukraine, die nicht zum Ukrainischen übergegangen waren, verständigten sich auf Russisch mit den Einheimischen.

Doch jetzt haben sich die Dinge geändert. Zehntausende Menschen aus den überwiegend russischsprachigen Städten Charkiw, Mariupol, Cherson und dem Donbass haben im ukrainischsprachigen Lwiw Zuflucht gefunden, viele von ihnen gehen jetzt zum Ukrainischen über und besuchen ukrainische Sprachkurse und -klubs.

Einer dieser Klubs kommt im Lwiwer Museum für Volksarchitektur zusammen, einem Freilichtmuseum. Geflüchtete singen hier mit Einheimischen ukrainische Volkslieder, um ihre Aussprache zu verbessern und ihren Wortschatz zu erweitern. Wenn man sie singen hört, ist es schwer zu glauben, dass für einige von ihnen Ukrainisch nur die Zweitsprache ist. Tatjana, die gleich am ersten Tag des Krieges aus Charkiw gekommen ist und bis dahin Russisch gesprochen hatte, erzählt mir, dass der Übergang zum Ukrainischen – die „Rückkehr zur Muttersprache“ – für sie eine Frage des Prinzips sei. „Ich kann und möchte nichts mehr mit denen gemein haben, die mein Volk töten.“

Eine andere Tatjana, die bereits nach der Annexion der Krim 2014 von dort nach Lwiw gekommen war, ist in einer russischsprachigen Familie ukrainischer Patrioten aufgewachsen. Die Menschen in Lwiw haben am Anfang noch mit ihr Russisch gesprochen oder sie gebeten, sie selbst solle doch lieber Russisch sprechen, sobald sie bemerkten, wie schwer sich Tatjana mit der ukrainischen Sprache tat. Konnte man früher, selbst nach dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine vor acht Jahren, im Stadtzentrum von Lwiw noch Straßenmusiker auf Russisch singen hören, ist jetzt alles anders.

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An den Türen einiger Läden hängen Zettel mit der Aufschrift: „Wir sprechen nicht in der Sprache der Besatzer.“ Für Tatjana ist das kein Problem. Außer dem Singkreis im Museum besucht sie jetzt auch schon ihren zweiten richtigen Ukrainisch-Sprachkurs. Vor Aufregung wechselt sie ins Russische und erzählt, dass sie sich sehr wünscht, dass ihre Enkel Ukrainisch sprechen.

Nicht nur in Lwiw ändert sich die Situation.

Quelle        :      TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —    Altstadt in Lviv (Ukraine).

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Unfassbare Nonchalance

Erstellt von Redaktion am 7. Oktober 2022

Es muss mit Russland geredet werden.

 

Aber sicher nicht unter Militaristen und alles über Kimme und Korn !

Ein Debattenbeitrag von Helmut W. Ganser

Wer die vollständige Rückeroberung der besetzten Gebiete propagiert, bewegt sich auf eine nukleare Eskalation zu. Es bedarf der Analyse von Ausstiegsoptionen, die zunächst einmal das Gemetzel an den Fronten stoppen.

Die Forderung der neun osteuropäischen Nato-Staaten, den Eilantrag des ukrainischen Präsidenten zur Aufnahme in die Nato zu unterstützen, ist mehr als eine Herausforderung für die Allianz. Nach den von Osteuropäern ausgehenden früheren Forderungen nach einer Flugverbotszone der Nato über der Ukraine und der zeitweisen litauischen Teilblockade von Transitrouten nach Kaliningrad ist diese Initiative der bisher weitreichendste Versuch, die Nato unmittelbar in den Krieg hineinzuziehen – und das mitten in ein reales nukleares Eskalationsrisiko hinein. Würde die Bundesregierung einer Aufnahme der Ukraine in die Nato zustimmen, könnte sie sich einem Einsatz von deutschen Truppen in der Ostukraine nicht entziehen. Die Protagonisten der unsäglichen Forderung nach einem schnellen Beitritt blenden jede seriöse Folgenabschätzung aus.

Den Machteliten im System Putin ist klar, dass die erfolgreich verlaufende Selbstverteidigung der Ukraine zu einem großen Teil von der Unterstützung durch den Westen abhängt. Die operativen Fehlschläge und die hohen russischen Verluste gehen für Putin und dessen Generalstab primär auf das Konto Washingtons und der Nato-Europäer. Die wiederholten Atomdrohungen Putins müssen rational analysiert werden. Sollen sie die Europäer im Westen einschüchtern, Angst schüren, spalten? Die Antwort ist ein klares Ja. Ist Putin grundsätzlich bereit, taktische Nuklearwaffen einzusetzen? Die Antwort darauf ist ebenfalls Ja. Er besitzt die Grundbrutalität dazu, und er weiß um die geografische Größe seines Landes.

Seine konventionellen Streitkräfte sind inzwischen erheblich geschwächt. Und die Zeit läuft ihm davon. Es sind realistische Szenarien vorstellbar, in denen Putin keine andere Wahl mehr sieht und zur nuklearen Eskalation greift. Er würde die Folgen, so unkalkulierbar sie für ihn sind, in seiner ganzen Verblendung vermutlich nicht scheuen. Weder die Aussicht, als globaler Paria stigmatisiert zu werden, noch die Erwartung massiver amerikanischer konventioneller Luftschläge auf russische Fronttruppen in der Ukraine dürfte in beeindrucken. Letzteres würde im Übrigen die Nato zwangsläufig in den Krieg hineinziehen.

Dürfen Washington und die Bundesregierung, es so weit kommen lassen? Wie weit dürfen wir uns einer nuklearen Katastrophe nähern? Wollen wir uns wirklich herantasten an die letzten russischen roten Linien? In diesen Fragen dominiert in weiten Teilen der deutschen Politik und Medien eine unfassbare Nonchalance. Einige glauben offenbar, dass russische Atomschläge mit relativ geringer Sprengkraft in Kauf genommen werden könnten und blenden völlig aus, dass wir alle mit dem Bruch des nuklearen Tabus in eine völlig andere strategische Welt eintreten würden. Die meisten Nuklearexperten glauben nicht an eine Begrenzung eines Krieges mit Atomwaffen, wenn der zerstörerische Geist einmal aus der Flasche ist.

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Bundeswehr in Schulen Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Hier darfst du unbedarfte Personen zu Mördern ausbilden und die dazu entsprechenden Lizenzen – wie nach James Bond – verteilen !

Anstatt einer dramatischen Ausweitung und Eskalation des Kriegs zuzusehen, bedarf es dringend der Analyse von Ausstiegsoptionen, die zunächst einmal das Gemetzel an den Fronten stoppen. Die dafür entscheidende Ebene ist die zwischen Moskau und Washington: Joe Biden definiert durch vielfache militärische Unterstützung den Handlungsspielraum von Ukraines Präsident Selenski. Das oft gehörte Mantra, dass nur Selenski über Verhandlungen bestimmen kann, ist nur die halbe Wahrheit: Der Schlüssel für einen Ausstieg liegt in Moskau und Washington, die offenbar über einige Kanäle weiter kommunizieren.

Mit Blick auf die wachsenden Eskalationsrisiken für Europa insgesamt und die Ukraine ohnehin kommt es jetzt auf einen rationalen Abwägungsprozess an – zwischen den Zerstörungsrisiken einer nuklearen Eskalation und den Risiken, Bedingungen und Folgen einer Einstellung der Kampfhandlungen in Verbindung mit humanitären Lösungen. Dazu muss die Ausstiegsoption erst einmal in der verengten Debatte zugelassen und ausgeleuchtet werden: Eventuell ergibt sich in der nahen Zukunft im Zusammenhang mit der Schwäche der russischen Streitkräfte ein Fenster der Gelegenheit, das sich im Eskalationsgeschehen auch wieder schließen kann. Würde sich der Westen damit angstgetrieben der Erpressung Putins beugen? Nein, es wäre ein Akt der Vernunft, um weit Schlimmeres zu verhindern und einen erheblich geschwächten Putin, der seine Kriegsziele klein zu machen gezwungen war, hinterlassen.

Quelle        :         TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Helmut Ganser 2010 (2)

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Russen sind kein Ork-Volk

Erstellt von Redaktion am 6. Oktober 2022

Rassismus gegen Russen im Ukraine-Krieg

Ein Debattenbeitrag von Houssam Hamade

Die Gewalt der russischen Armee erschüttert. Doch auch in Russland gibt es sehr verschiedene Menschen, von denen viele selbst denken können.

In Kriegszeiten dämonisieren Menschen ihre Gegner vielfach. Die russischen Invasoren werden von den Ukrainern beispielsweise als „Orks“ bezeichnet. Das ist verständlich, bedenkt man die Brutalität und Sinnlosigkeit des Angriffskrieges, unter dem sie zu leiden haben.

Aber so nachvollziehbar das ist, so gefährlich ist es auch. Denn diese Dämonisierung verzerrt den dringend nötigen Sinn für Realitäten. Auch in den deutschen Medien vermehren sich zurzeit die Beiträge, die die russische Gesellschaft mehr oder weniger darstellen, als wäre sie eine von Orks.

Orks sind dunkelhäutige, sehr muskulöse Wesen aus diversen Fantasieromanen. Sie sind allesamt extrem aggressiv, egoistisch und meist auch dumm. Schon ihre Kinder werden zur Gewalt erzogen. Entscheidend ist: Sie sind so. Alle. Ihre „Kultur“ ist eben so, könnte man sagen.

Auch die russische Gesellschaft „scheint“ eben so zu sein, glaubt man beispielsweise der in den letzten Monaten so oft wiederholten Behauptung, 70 bis über 80 Prozent der russischen Bevölkerung stünden stramm hinter Putin.

Ergänzend erscheinen seit Beginn des Krieges immer wieder Medienbeiträge, die „die russische Kultur“ darstellen, als wäre diese ein Programmiercode, der „den Russen“ eingeschrieben ist und sie lenkt.

„Die Russen“ seien halt eine kollektivistische Gesellschaft und müssten erst lernen, selbstständig zu denken, hieß es beispielsweise in der taz. Andere behaupten dagegen, in Russland herrsche ein „aggressiver Individualismus“. Wieder andere schreiben, die Russen seien mehrheitlich eben abergläubisch, gewalt- und obrigkeitshörig und überhaupt seit Langem sehr rückständig. Die Au­to­r*in­nen solcher Texte haben oftmals selbst russische Namen. Und wenn die Russen das selbst sagen, dann wird es schon stimmen, denken sich die jeweiligen Redakteure vermutlich.

Dass eine Gesellschaft weniger individualistisch ist, heißt nicht, dass deren Angehörige allesamt Vollidioten sind

Ein weiterer taz-Artikel begründete die Gewalt der russischen Soldaten damit, dass sie „tief in Russlands Gesellschaft verankert“ sei. Überall setzten sich die Stärkeren mit Gewalt durch. „Die Menschen“ in Russland, so der Artikel, finden, dass Kinder abgehärtet gehören. Demütigung, Strafe, Brutalität. „Die Menschen“ heißt: alle. „Die Gesellschaft“ heißt: alle. Auch in deutschen Talkshows werden solche Behauptungen verbreitet.

Die gesamte russische Gesellschaft ist also durchsetzt von Gewalt, Rücksichtslosigkeit und Egoismus. Eine Ork-Gesellschaft halt. Aber stimmt das denn auch? Unwahrscheinlich. So ist Kultur nicht und so sind Gesellschaften nicht.

Gerade die russische Gesellschaft ist divers: Sie besteht aus verschiedenen Klassen, Altersgruppen, Bildungsgruppen, Ethnien, politischen Strömungen, Leuten vom Land, Leuten aus den Metropolen. Es gibt in jedem Land verschiedene Menschen mit verschiedenen Meinungen. Dass eine Gesellschaft weniger individualistisch ist als westliche Gesellschaften, heißt nicht, dass deren Angehörige allesamt Vollidioten sind, die weder klar noch kritisch denken können. Darum ist es sinnvoll, skeptisch auf solche Behauptungen zu reagieren. Entsprechen sie den Fakten?

Dass bis zu 83 Prozent der Menschen in Russland für den Krieg seien, ist Unsinn. Das zeigen die teils heftigen Proteste gegen die Mobilmachung. Trotz der drakonischen Strafen, die bei solchen Protesten drohen.

Der Moskauer Soziologe Boris Kagarlizky, Direktor des russischen Instituts für Globalisierung und soziale Bewegungen, erklärt, dass meist nur diejenigen an den offiziellen, meist telefonischen Befragungen zum Krieg teilnehmen, die das erwünschte Ergebnis von vornherein unterstützten. Der allergrößte Teil lehnt eine Befragung ab, weil die Leute Angst vor Strafen haben.

Realistischer ist die Einschätzung, dass sich die russische Gesellschaft etwa in drei große Lager spaltet. Laut einem geleakten Dokument des staatsnahen Umfrageinstituts WZIOM sind etwa 30 Prozent der Menschen in Russland gegen den Krieg. Auch schon vor der Mobilmachung. Diese stammen eher aus den Metropolen und sie sind eher jung. Ein weiter Block gehört zu den „Cheerleader*innen“ des Krieges: Leute, die Krieg und Putin unterstützen. Der dritte, größere Block will seine Ruhe und ist politikfern. Für diese Verhältnisse gibt es verschiedene Gründe: Erfahrungen der Bevölkerung mit autoritärer Herrschaft, die extrem schlechte politische und wirtschaftliche Lage in den 90ern, Propaganda in den Medien und so weiter.

Junge russische Ak­ti­vis­t*in­nen ärgern sich auf Twitter, dass der fehlende Widerstand in der russischen Bevölkerung auf angebliche „Mentalitätsunterschiede“ zurückgeführt würde und nicht auf die systematische Zerstörung der Zivilgesellschaft. Das trifft es ziemlich genau.

Quelle          :           TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

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Nicht „Putins Krieg“ ist irre…

Erstellt von Redaktion am 6. Oktober 2022

…er folgt politischen und militärischen Kalkülen –
sondern die Berichterstattung über ihn:

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Suitbert Cechura

Dass Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, ist Fakt. Außergewöhnlich ist Derartiges nicht. Wenn in den letzten 30 Jahren die USA, die einzig verbliebene Supermacht, im Bunde mit willigen NATO-Kumpanen Kriege starteten, wurde darum nicht viel Aufhebens gemacht – selbst wenn die rechtfertigenden Lügen (Saddams Atombomben, Bin Ladens Versteck am Hindukusch etc.) mit Händen zu greifen waren. Jetzt aber soll ein solcher Sachverhalt für sich selber sprechen: Ein Irrer führt Krieg als sadistisches Privatvergnügen, wie es sich nur Diktatoren leisten können.

„Putins Krieg“

Die Frage danach, warum Russland die Ukraine angegriffen hat – welche politischen Kalkulationen hier im Spiel waren und auf welchen Gegner sie trafen –, ist verpönt. Wer sie sich dennoch stellt oder versucht, eine Erklärung zu finden, wird gleich als Putin-Versteher, also als fünfte Kolonne (https://www.heise.de/tp/features/Fuenfte-Kolonne-2022-7206981.html) des Feindes, diffamiert. Denn: Wer einen Krieg beginnt oder ein Land angreift, ist schuld und damit zu verdammen, so die – neuerdings – allseits verbreitete Auffassung. Deshalb gehört es zum guten Ton für Politiker wie Journalisten, bei jeder einschlägigen Äußerung das Mantra vom völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg zu bemühen, um so die zwingende moralische Verurteilung mit zu liefern. Wer diese Floskel weglässt, hat sich schon von vornherein mit seiner Wortmeldung unmöglich gemacht.

Was daherkommt, wie ein Kant´scher Imperativ, ist dabei so selbstverständlich gar nicht. Als Aserbeidschan kürzlich Armenien angriff, war von einer Verurteilung des dortigen Regimes weit und breit nichts zu vernehmen (https://www.heise.de/tp/features/Waffenruhe-im-Pulverfass-Aserbaidschan-Armenien-7264519). Nachfragen beim werteorientierten Außenministerium ergaben, dass ein Aggressor einfach nicht feststellbar sei. Das galt nicht als eine Kritik an den eigenen Geheimdiensten oder der Unfähigkeit des ministeriellen Ladens. Und ein Schelm ist, der Böses dabei denkt und meint, es hätte etwas damit zu tun, dass die Europäische Union gerade ein Abkommen mit dem dortigen Potentaten über Gaslieferungen geschlossen hat.

Bezeichnend auch: Der ehemalige deutsch Bundeskanzler Gerhard Schröder wird wegen seiner Putin-Nähe gescholten, nicht wegen seiner Beteiligung am Angriffskrieg gegen Serbien und der damit verbundenen Bombardierung (die auch die Infrastruktur und Stadtgebiete traf, dabei zivile Opfer produzierte). Hatte doch sein grüner Außenminister für diesen Krieg eine moralische Begründung in die Welt gesetzt, d.h. freihändig zusammenkonstruiert: Serbien wolle die Kosovaren vernichten und nicht etwa in seinem Territorium behalten.

Auch der Angriffskrieg der Nato gegen Afghanistan führte zu keiner moralischen Verurteilung, wurde vielmehr als Verteidigungsakt der USA verkauft. Dabei hatte nicht Afghanistan die USA angegriffen, sondern eine politische Gruppe, deren Führer sich zu diesem Zeitpunkt in Afghanistan aufhielt und schließlich in Pakistan von den USA hingerichtet wurde. Die Mitglieder dieser Gruppe stammten aus verschiedenen Ländern des Nahen Ostens, vorwiegend aus Saudi-Arabien, einem engen US-Verbündeten. Viele von ihnen wohnten zeitweilig in Deutschland und wurden in den USA ausgebildet. Folgt man der Logik der moralisch einwandfreien Begründung für den NATO-Überfall auf Afghanistan, dann hätten auch noch ganz andere Länder ins Visier geraten können – wäre es wirklich um eine kriminalistische Aufarbeitung des Falls gegangen. Doch die war ja nicht gewünscht, das betreffende „Urteil“ hatten die USA ja schon in der selbstherrlich angemaßten Rolle des Weltpolizisten, Anklägers und Richters gesprochen!

Für die Gründe des Überfalls interessierte sich damals wie heute niemand, wurde doch an Afghanistan eindeutig demonstriert, womit Islamisten, die Amerika feindlich gesinnt sind (und ihm nicht wie im antisowjetischen Afghanistankrieg die Drecksarbeit abnehmen), zu rechnen haben. Und so wurde die Legende geschaffen, der Krieg (den man in der BRD zehn Jahre lang so nicht nennen durfte) sei eine Hilfsaktion, quasi eine „Spezial-Operation“ für Menschen in Not. Dabei wurde niemand daran irre, dass man zum Brunnenbohren keine Maschinengewehre benötigt und dass Soldaten mit Schützenpanzern keine Bildungsbegleiter für Mädchen und junge Frauen sind. Nachdem das Land dann zerstört und somit eindeutig demonstriert war, womit Gegner des freien Westens zu rechnen haben, konnte die NATO Afghanistan sich selbst überlassen.

Zudem besteht mit der Drohnentechnologie die Möglichkeit, jedes Land aus der Luft zu terrorisieren und Menschen, die die US-Präsidenten aus eigener Machtvollkommenheit auf eine Todesliste setzen, zu liquidieren. Die dabei anfallenden toten Zivilisten – die Zahlen gehen bekanntlich in die Tausende – gelten denn auch nicht als Kriegsverbrechen, sondern als Kollateralschäden des moralisch einwandfreien Freiheitskampfes. Amerikanische Präsidenten oder deutschen Kommandeuren drohen daher auch keine Kriegsverbrecherprozesse. Wer hier – wie Julian Assange – mit Enthüllungen querschießen will, wird einfach weggesperrt.

Moralisten wissen eben sehr genau, dass moralische Gebote – wie die völkerrechtlichen Normen (siehe den Kommentar zu „unseren“ Werten https://overton-magazin.de/krass-konkret/was-fuer-unsere-werte-alles-sein-muss-zur-not-auch-ein-atomkrieg/) – immer nur bedingt gelten, und sie wägen ab, wann sie in Anschlag zu bringen sind und wann nicht. „Unsere“ Werte beschreiben einen Sollzustand, der wünschenswert ist, aber wegen der widrigen Umstände oft nicht eingehalten werden kann. Vor der widrigen Realität oder zur Sicherung des privaten wie nationalen Erfolgs haben diese hohen Werte dann immer mal wieder zurückzutreten. Das gilt dann nicht als Abweichung von der Moral, sondern als Einsicht in die realpolitischen Bedingungen, als Pragmatismus, der diesen Moralisten dann ebenfalls zu Gute gehalten werden kann und nicht als Opportunismus oder als Doppelmoral zu verurteilen ist.

Die Ukraine – Söldnertruppe des Westens?

Inzwischen gilt der Krieg auch als „unser Krieg“. Denn Russland hat nicht nur die Ukraine angegriffen, heißt es, sondern damit auch den ganzen freien Westen. Das ist mehr als seltsam. Schließlich wehrt sich nicht der geballte freie Westen und tritt in den Krieg ein, sondern die Ukraine hat die ganze Last des Krieges zu tragen und für „uns“ zu kämpfen.

In der Vergangenheit wurden Soldaten, die nicht als Untertanen für ihr Land, sondern gegen Bezahlung für eine fremde Herrschaft kämpfen, als Söldner bezeichnet. Wenn man heute die Ukraine als die Söldnertruppe des Westens einstuft, wird das bestimmt für Aufregung sorgen. Dennoch wäre dieser Sachverhalt hier gerade festzuhalten! Die Ukrainer sollen ja ihren Kopf für ein fremdes, (welt-)herrschaftliches Interesse hinhalten, nämlich dafür, dass Russland in Zukunft nicht mehr in der Lage ist, irgendein Land anzugreifen; was nichts anderes bedeutet, als dass Russland der Militärmacht des Westens in Zukunft nichts Relevantes mehr entgegensetzen kann.

Dafür werden ukrainische Soldaten von Nato-Staaten ausgebildet, mit Waffen ausgerüstet und dirigiert, und dafür wird mit Milliarden-Summen der ukrainische Staat finanziert, dessen wirtschaftliche Grundlage ruiniert ist (https://www.heise.de/tp/features/Fuehren-die-USA-in-der-Ukraine-Krieg-gegen-Moskau-7273124.html). Gesteuert wird dieser Kampf durch die Aufklärung der Nato und die Ausstattung wie Anleitung des Militärs. So wird sichergestellt, dass der Krieg auch seine beabsichtigte Wirkung erreicht.

Gelobt wird der Kampfesmut des ukrainischen Volkes, dessen Angehörige sich nicht nur als Soldaten, sondern auch als Zivilisten dem Feind entgegenstellen, die sich für den Volkswiderstand bewaffnen und Molotow-Cocktails („Bandera-Smoothies“) auf Panzer werfen (https://overton-magazin.de/krass-konkret/ukraine-hat-das-amerikanische-resistance-operatin-concept-umgesetzt/). Die dabei anfallenden Toten liefern der Presse und den Politikern dann den Beweis für die Unmenschlichkeit russischer Kriegsführung. Die soll einfach keine Rücksichtnahme auf ukrainische Zivilisten kennen, da sie sie einfach als Feinde behandelt, wenn sie aus dem Hinterhalt schießen oder als Schutzschilde fürs Militär ihrem Land dienen, eben im Sinne des „totalen Verteidigungskriegs“ (https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/erste-halbjahr-ukraine-krieg) agieren, den die Kiewer Führung ausgerufen hat.

Zudem beweisen die Folterkeller der Russen und die eindeutigen Spuren an Leichen die Rückständigkeit russischer Kriegsführung. Amerika verfügt da über ein ganz anderes Spektrum von Maßnahmen, die vom „Outsourcing“ der Drecksarbeit bis zu elaborierten Methoden der Folterung (dauerhafter Schlafentzug, Beschallung mit Pop-Musik, Waterboarding …) reichen – Maßnahmen, die keine Spuren am Opfer hinterlassen oder einfach als adäquate Behandlung von „Terroristen“ gelten. Und so ist bei den Russen die moralische Verurteilung angebracht, während Guantanamo kein öffentliches Thema mehr ist, obgleich das Lager – bald zehn Jahre nach der Ankündigung seiner Schließung durch Friedensnobelpreisträger Obama – immer noch existiert.

Die Bürger der Ukraine verteidigen ihr Vaterland, ihre Lieben und überhaupt den westlichen Wohlstand in Freiheit, wird berichtet. Nur verfügen die meisten Bürger des Landes gar nicht über einen nennenswerten Besitz, ja noch nicht einmal über den „Besitz“ eines Arbeitsplatzes, weshalb sich ein Großteil der Bevölkerung auswärts, im europäischen Niedriglohnsektor, verdingt. Und sofern sie etwas besitzen oder ihre Heimat verteidigen wollen, müssen sie feststellen, dass beides gerade durch den Krieg zerstört wird.

Mit der Verteidigung der Lieben verhält es sich ähnlich, werden deren Leben doch gerade durch den immer weiter eskalierenden militärischen Einsatz gefährdet. Dass es bei der Verteidigung des Landes gar nicht ums Volk, sondern um den Schutz der Herrschaft seines Landes geht, das wollen diese Helden meist gar nicht wahrnehmen.

Solidarität mit der Ukraine

Einigkeit herrscht in weiten Kreisen der deutschen Gesellschaft bis hin zu den Linken, dass Solidarität mit der Ukraine zu üben ist. Gemeint ist damit, dass die Menschen hierzulande sich zumindest ideell auf die Seite der angegriffenen Nation stellen sollen. Das gilt, obwohl von dieser Einstellung für den Verlauf des Krieges gar nichts abhängt. Denn die hiesigen Bürger sind ja nicht die Akteure dieser gewalttätigen Auseinandersetzung. Praktisch werden sie ja auch nicht gefragt, wie sie in diesen Konflikt eingebunden sein wollen. Sie werden vielmehr mit den Folgen des Wirtschaftskriegs konfrontiert und haben mit den daraus resultierenden Preissteigerungen zurechtzukommen. Die Bürger hier – wie die Bürger in der Ukraine oder Russland – sind eben die Manövriermasse ihrer Regierungen, die sie nicht nur praktisch einspannen, sondern auch verlangen, dass sie ideell Partei ergreifen.

Solidarität ist dabei ein eigenartiger Imperativ: Sie war einmal ein Kampfbegriff der Arbeiterbewegung, die Aufforderung, die Konkurrenz untereinander einzustellen und sich gemeinsam gegen Kapital und Staat zur Wehr zu setzen. Jetzt wird der Begriff gerade im Gegenteil für eine Ansage „von oben“ benutzt, um die Gemeinsamkeit von Bürgerschaft und Staat über alle Klassengrenzen hinweg verbindlich zu machen. Dabei lohnt sich dieses Zusammenhalten nur für die einen, die wie immer ihre Gewinne, neuerdings sogar „Übergewinne“, machen, während er für die anderen das Sich-Abfinden mit den Preissteigerungen und den daraus resultierenden Einschränkungen bedeutet.

Ein viel gescholtener Autor des neunzehnten Jahrhunderts hat einmal geschrieben, dass Proletarier, die heute Arbeitnehmer heißen, kein Vaterland besitzen, und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie von ihren Regierungen nichts Positives zu erwarten haben – außer der Hilfe, weiter die Lasten zu tragen, die andere reich und den Staat mächtig machen. Für ihn hat sich daraus die Forderung ergeben, dass sich die Proletarier aller Länder vereinigen sollten, um die Herrschaft ihrer nationalen Herren abzuschütteln, statt aufeinander zu schießen. Unterschätzt hat dieser Autor die moralische Macht des Nationalismus der Arbeiter, die als Bürger ihrer Länder – letztendlich, wenn die finale Opferbereitschaft eingefordert wurde – noch immer brav als Soldaten in jeden Krieg gezogen sind. So, wie sich heute auch Linke in die nationale Einheitsfront einreihen, standen Sozialdemokraten schon mit Beginn des Ersten Weltkriegs auf Seiten ihres Kaisers, bewilligten Kriegskredite fürs Schlachtfeld und verkündeten den Burgfrieden an der Heimatfront.

Die Verteidigung unserer Werte geht über Leichen

In dem Krieg gegen Russland, steht viel auf dem Spiel, wie es heißt: Die Verteidigung unserer Werte wie Freiheit und Rechtsstaat. Gerade die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock wird nicht müde, immer wieder die Werte hochzuhalten. Doch wenn es um die Freiheit geht, dann stellt sich schon die Frage, um wessen Freiheit es sich da handelt. Die Freiheit der männlichen Bürger zwischen 18 und 60 ist in der Ukraine per Dienstverpflichtung massiv eingeschränkt – was jetzt an Russland kritisiert wird. Die Regierung in Kiew vertraut nicht einfach auf die nationalistische Begeisterung der Massen, sondern hat eine Wehrpflicht verordnet. Ob man will oder nicht, man muss den Kopf für die Nation hinhalten. Sollte man dabei umkommen, wird man als Held geehrt, der sich für die Nation hingegeben hat – ganz so, als ob man sich beim Tod fürs Vaterland frei entscheiden könnte. So siegt auch in dem Fall die Moral in Form der erfundenen Opferbereitschaft.

Und diejenigen, die nicht an der Front eingesetzt werden, dürfen ihre Freiheit in den Bunkern ausleben, während hierzulande die Folgen dieses Freiheitskampfes hinzunehmen und keineswegs mit Protest zu kontern sind: Dass viele Menschen sich einschränken müssen, weil ihr Einkommen angesichts der steigenden Preise hinten und vorne nicht mehr reicht, darf allein unter dem Blickwinkel betrachtet werden, ob das Ganze auch gerecht, also als Verteilung der Lasten auf alle Schultern, vor sich geht.

Auch die Meinungsfreiheit, bekanntlich eins der höchsten Güter in der „freien Welt“, gilt es zu verteidigen. Hier droht die Gefahr, dass sich die Bürger doch glatt die Sicht des Gegners anhören oder antun könnten. Solchen Gefährdungen der richtigen Sicht auf den Krieg muss vorgebeugt werden, und zwar durch die entsprechenden Verbote feindliche Sender. Eine Gleichschaltung der heimischen Medien braucht es dagegen kaum – weder in Russland noch im Westen –, sind sich Journalisten in der Regel doch ihrer nationalen Verantwortung bewusst und übernehmen schon von daher die Sicht ihrer Politiker, denen sie allenfalls vorhalten, zu lasch gegenüber dem Gegner zu sein und damit den Sieg über ihn zu verhindern.

So haben Journalisten in ihrem Job einiges zu tun. Klar ist z.B., dass die Eroberung eines Atomkraftwerkes dieses beschädigen und damit unter Umständen eine Atomkatastrophe auslösen kann ( https://www.overton-magazin.de/krass-konkret/iaea-verwaltungsrat-fordert-mehrheitlich-den-abzug-der-russischen-truppen-vom-akw-saporischja/). Dieser Vorwurf kann den Russen daher nicht erspart bleiben. Nur geht der Wiedereroberungsversuch der Ukrainer das gleiche Risiko ein – aber das ist für die freie Presse natürlich etwas ganz anderes. Die Bomben, die laufend aufs AKW Saporischja fallen, werden nicht verschwiegen, aber von einem Beschuss durch die ukrainische Armee ist auch nicht die Rede; irgendwie sollen die Angriffe von den Russen, die das Kraftwerk bereits besetzt haben, selber ausgehen. Über die Absurdität dieses Vorwurfs lacht die moralisch gefestigte Öffentlichkeit natürlich nicht, sondern nimmt sie selbstverständlich hin. Und wenn sich dann noch der russische Präsident erdreistet und auf diese Absurdität hinweist, dann zeigt dies nur dessen Abgebrühtheit. Schließlich sind westliche Partner über jeden Verdacht erhaben und es disqualifiziert sich jeder, der dies in Frage zu stellen wagt.

Bei der Besprechung des Krieges und seiner Parteien werden westliche Politiker dann auch noch sehr grundsätzlich: Es gehe in diesem Konflikt um die Prinzipien der Herrschaft, um die Alternative Demokratie versus Autokratie. Zwar lässt sich auch ein Putin wählen wie ein Orban oder ein Kaczynski in der EU oder wie ein Erdogan beim NATO-Mitglied Türkei, doch gilt der russische Präsident als Autokrat, während letztere sich in den Reihen der Demokraten wiederfinden, auch wenn sie im Rahmen der europäischen Konkurrenz einige Beschwerden einstecken müssen.

Demokraten stützen sich auf die Zustimmung ihres Volkes und somit geht ihre Herrschaft in Ordnung, während Autokraten sich nur durch Gewalt halten können, so die Behauptung. Wie Letzteres funktionieren soll – müsste doch im Prinzip hinter jedem Bürger ein Polizist oder Aufseher stehen –, ist zwar rätselhaft, wird aber vielfach geglaubt und von den Journalisten der Leitmedien eifrig kolportiert.

Hinzu kommt übrigens bei dieser prinzipiellen Alternative, dass zu den Verbündeten der ehrenhaften demokratischen Regierungen solche sinistren Gestalten gehören wie der saudiarabische Prinz Salman, der sich gerade des Besuchs des deutschen Kanzlers erfreut, oder der Putschist al Sisi aus Ägypten. Sie stehen – irgendwie – im Lager der Demokratie und werden daher reichlich mit deutschen Waffen ausgestattet, um mit uns – im Falle des Falles – gegen Autokraten zu kämpfen.

Die Macht der Moral – Futter für Mitmacher

Die Regierenden aller Länder sind auf die Loyalität ihrer Bürger angewiesen und auch ein Putin kann nicht hinter jeden Volksgenossen einen Büttel seines Sicherheitsapparats stellen. Natürlich berufen sich alle Regierungen darauf, dass ihre Herrschaft ganz dem Wohl des Volkes verpflichtet ist, doch spürt der Einzelne, wenn er zum gewöhnlichen Fußvolk gehört, in der Regel wenig davon. Denn das Wohl des Volkes ist eben etwas anderes ist als das Wohl des einzelnen Bürgers. Mit dem Wohl des Volkes bzw. der Nation ist der Erfolg des eigenen Staates gemeint, dessen Macht in der Welt gestärkt werden soll, um die Konkurrenz mit anderen Staaten zu bestehen; dafür haben die Bürger ihren Dienst zu leisten.

Also können Politiker nicht einfach auf die positiven Seiten ihres Handelns verweisen, das den Bürgern selbstverständlich Nutzen bringt. Denn auch ein Entlastungspaket für den kleinen Mann, das eine hilfreiche Leistung für „sozial Schwache“ darstellen soll, ist ja ein Schadensmilderungspaket, macht das Leben nicht leichter, sondern allenfalls die Schädigung erträglicher. Die politische Klasse führt daher ständig höhere Werte – in leicht abgewandelten Varianten – an, denen sie in ihrem Handeln verpflichtet ist.

In schweren Zeiten gilt es in besonderem Maße die Moral zu bemühen: Da wird die Gemeinschaftlichkeit beschworen, obwohl die einen mit dem Lebensunterhalt der Leute – nicht nur in der Krise – ihre Geschäfte machen und die anderen sich einzuschränken haben. Auch sollen die neuen Einschränkungen nicht das Resultat des Wirtschaftskrieges gegen Russland sein, der noch nicht einmal so heißen darf, sondern die Folge der Boshaftigkeit Putins oder eben wirtschaftlicher Prozesse, die nicht aus der Gestaltung der Wirtschaft durch die Politik erfolgen, sondern sich irgendwie sachzwangmäßig ergeben.

Es braucht eben moralisch gefestigte Bürger mit der entsprechenden Sicht auf die Dinge, damit sie nicht nur die Kriegsfolgen an der Heimatfront hinnehmen, sondern gegebenenfalls auch auf wildfremde Bürger anderer Staaten schießen, wenn das Kommando von oben kommt.

Zuerst erschienen im overton-magazin.de/krass-konkret/

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Oben      —     Defense Delivery, Jan 23, 2022

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2.von Oben     —   Protest und Putin

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Unten       —     Russische Bombardierung von Mariupol

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Die Copy-Paste-Propaganda

Erstellt von Redaktion am 5. Oktober 2022

Virale Nord-Stream-Thesen

Nord Stream gasbideak.jpg

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Die prorussische Propagandamaschine läuft nach den Pipelineexplosionen wieder auf Hochtouren. Seltsame Tweets, zehntausendfach geteilte Videos, Stimmen aus AfD und Die Linke, »Fox News« und Putins Kreml im Gleichklang.

Als am Montag bekannt wurde, dass in der Nacht ein Leck in der Gaspipeline Nord Stream 1 entstanden war, waren sich einige gleich sicher: Das war Sabotage. Manche wussten sogar: Das können nur die USA gewesen sein.

Seit Beginn dieser Woche hat sich, passend zu den beispiellosen Pipeline-Attacken, eine beispiellose Propagandakampagne abgespielt, primär in den sozialen Medien. Global, vielsprachig, ohne Atempause.

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Eine US – Flickschusterei

Erstellt von Redaktion am 5. Oktober 2022

 Mit Demokratie und der internationalen Ordnung

Datei:Barack Obama, Donald Trump, Joe Biden at Inauguration 01-20-17 (cropped).jpg

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Es ist offensichtlich, dass das politische US-System lichterloh brennt. Gleichwohl wollen die USA andere Länder immer wieder zwingen, ihre demokratischen Standards zu übernehmen und Flickschustern an Bündnissen mit ideologischen Leitlinien, die krass jedem demokratischen Verständnis widersprechen.

Das wird durch die Lage im eigenen Land grotesk bestätigt. Dort bekämpfen sich erbittert ganz linke Progressive, linke Liberale, rechte Liberale und ganz rechte Nationalisten. Die Regierung ist bei essentiellen Entscheidungen in einer Dauer-Patt-Situation blockiert, wobei die Trump-Anhänger praktisch gegen alles sind, was andere denken und wollen, wie z.B. bei der Immigration, der Rolle von Kirchen und Firmen im öffentlichen Leben und dem Rassismus, Rüstung und Waffen.

Noch immer bestreiten Republikaner die Rechtmäßigkeit und das Ergebnis der Wahlen von 2020. Die Gewaltenteilung wird durch gezielte Richterbesetzungen zur Farce. Der einstweilige Gipfel dieser Flickschusterei ist die Mutation der Demokraten zur jetzt führenden Kriegstreiberpartei, und das nicht nur in der Ukraine und in Taiwan. Bei diesen Missständen und noch vielen mehr könnte man eher von einem Scheiterhaufen der Demokratie in der US-Politik reden. Weltweit respektier bare demokratische Werte sind dort nicht mehr zu erkennen. Auf jeden Fall ist die US-Politik kein Vorbild, schon gar nicht für eine internationale Ordnung

Kein Wunder also, dass sich weltweit Widerstand regt, insbesondere aus dem globalen Süden, Indien und China. Allen voran fordert China laut eine internationale Ordnung im Rahmen der UN und auf der Grundlage eines klar definierten und konsensualen internationalen Rechts, eben keine von einem Staat oder einer Handvoll davon einseitig diktierte Ordnung nach Belieben.

„Neue Länder, neue Vögel, neue Vögel, neue Lieder“, reimte schon Heinrich Heine, und „Andere Länder, andere Sitten“, ist uns wohlbekannt. 40 Jahre lang arbeiteten der Osten und der Westen trotz großer politischer Systemunterschiede friedvoll und mit Erfolg zusammen, bis dann die Corona-Pandemie die massiven Schwächen des ach so hochgelobten US-Kapitalismus offenlegte. Anstatt die eigenen Fehler nachzubessern, werden jetzt alle Probleme im Handel allein China angelastet. Das beweist, dass man China nie als Partner, sondern nur als billigen Lieferanten gesehen hat.

Ein großer Fehler, den einige Firmen vernünftigerweise nicht machen. Multinationale Beziehungen müssen zum Gelingen Frieden und Fortschritt im Auge haben, um gegenseitiges Vertrauen und Zusammenarbeit zu fördern. Aber nein, aus lauter Gier nach Geld hat man übersehen, dass der billige Lieferant sich in vielen Techniken zum Weltführer entwickelt hat. In unserer derzeit fatal zerstrittenen Welt ist es mehr als verwerflich, wenn der aktuelle US-Präsident seinen trickreichen Stellvertreterkrieg gegen Russland „bis zum letzten Ukrainer“ durchziehen will. Spätestens jetzt sollten seine Rockzipfelhalter im Westen und bei der NATO aufwachen und loslassen. Die seit dem Vietnamkrieg praktizierte US-Politik ist kein Vorbild für irgendeine Ordnung. Die US- Demokratie ist eine einzige Flickschusterei und keinerlei Vorbild für gar nichts, was international Gültigkeit haben könnte.

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Grafikquellen       :

Oben      —        Präsident Donald J. Trump schüttelt dem 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten, Barack H. Obama, während der 58. Amtseinführung des Präsidenten im US-Kapitol in Washington, D.C., am 20. Januar 2017 die Hand. Mehr als 5.000 Militärangehörige aus allen Zweigen der Streitkräfte der Vereinigten Staaten, einschließlich Reserve- und Nationalgardekomponenten, leisteten während der Eröffnungsphase zeremonielle Unterstützung und Verteidigungsunterstützung der Zivilbehörden. (DoD-Foto von U.S. Marine Corps Lance Cpl. Cristian L. Ricardo)

Datum
Quelle https://www.dvidshub.net/image/3110898/58th-presidential-inaugural-ceremony
Verfasser U.S. Marine Corps Lance Cpl. Cristian L. Ricardo
Berechtigung
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Der Ukraine-Krieg –

Erstellt von Redaktion am 2. Oktober 2022

Propaganda und der geopolitische Abstieg des Westens

Quelle     :      Streifzüge ORG. / Wien 

Von  :   Andreas Urban

Einige Thesen aus wertkritischer Perspektive

Alle Kriege haben eine Vorgeschichte, und es gibt für sie stets sowohl Anlässe als auch Ursachen. Alle rekonstruierbaren Ursachen und historischen Voraussetzungen, die zum Krieg führen, können aber niemals eine Rechtfertigung für einen solchen sein. Für Krieg kann es niemals eine Rechtfertigung geben. Dies gilt auch und gerade für den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der seit Ende Februar 2022 die Welt erschüttert und selbst Fachleute und informierte Beobachter des Weltgeschehens, trotz der bekannten Vorgeschichte und der rezenten Eskalationen im Russland-Ukraine-Konflikt, einigermaßen überrascht haben dürfte.

Solche Selbstverständlichkeiten gilt es diesem Thesenpapier, gleichsam als Disclaimer, vorauszuschicken, zumal wir seit Beginn des Ukraine-Krieges in der Öffentlichkeit bemerkenswerte Parallelen zu den gesellschaftlichen Debatten während der Corona-Krise erleben, die den Diskurs in den letzten zwei Jahren weitgehend bestimmte: Mithilfe eines gewaltigen Propagandaapparates wird ein öffentlicher „Konsens“ produziert, der keinerlei Widerspruch oder auch nur Differenziertheit duldet. Wurde bereits im „Krieg gegen das Virus“ eine „Solidargemeinschaft“ geschaffen und beschworen, die mit heftiger Ranküne auf all jene reagierte, die es wagten, dumme Fragen zu stellen (über Lockdowns, Maskenpflichten, Impfungen etc.), so steht nun ebenfalls ein Heer von „Solidarischen“ Seite an Seite mit der ukrainischen Regierung und in Geschlossenheit gegen den russischen Aggressor. Es scheint fast so, als habe der während der Pandemie wiederentdeckte „Volkskörper“ nur darauf gewartet, sich endlich in einem „echten“ Krieg bewähren zu dürfen. Wer heute nicht in den sich allerorten (besonders krass aber in Deutschland) ausbreitenden Bellizismus einstimmt, wird schon fast als „Staatsfeind“ denunziert. Und jeder, der Fragen stellt, die z.B. die Rolle des Westens in der Eskalation des Konflikts betreffen, wird umstandslos als „Putinversteher“[1] diffamiert.

Die Mechanismen sind also sehr ähnlich jenen während der Corona-Krise, als sich Kritiker/innen, sobald sie die Regierungslinie und den medialen „Konsens“ kritisch hinterfragten, ebenfalls sehr rasch in der Tonne der „Coronaleugner“ und der „Verschwörungstheoretiker“, wenn nicht sogar der „Nazis“ und „Antisemiten“ wiederfanden. Entsprechende – in aller Regel nicht einmal mit irgendwelchen sinnvollen Argumenten bewehrte – Diffamierungen konnte man bis hinein in die Linke und selbst innerhalb wert(abspaltungs)kritischer Kreise
erleben.[2]

Die Kriegspropaganda ist dabei seit mindestens 1914 dieselbe, und ihre typische Form und ihr Inhalt machen die medialen und politischen Debatten daher so leicht als das identifizierbar, was sie sind – eben Propaganda: Der Krieg wird zu einer Konfrontation zwischen Gut und Böse. Die feindliche Seite ist von Grund auf gemein, unmenschlich und kriegslüstern, die eigene Seite dagegen human und friedliebend; der Feind ist grausam, begeht Kriegsverbrechen oder benutzt Massenvernichtungswaffen, die eigene Seite tötet Zivilisten – wenn überhaupt – nur aus Versehen. Und selbstverständlich kämpft die eigene Seite für höhere Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, der Feind hingegen ist autokratisch, trägt gleichermaßen unmenschliche wie untermenschliche Züge, ist ein Diktator und Despot, wenn nicht überhaupt ein neuer Hitler.[3]

Natürlich kommt die Propaganda, wie in jedem Krieg, von beiden Seiten, aber sie kommt eben auch (und nicht zuletzt) von westlicher Seite. Das macht es auch so schwierig, an brauchbare Informationen zu gelangen, weil weder der einen, noch der anderen Seite zu trauen ist. Zumindest so viel Konsens sollte sich in einem gesellschaftskritischen Kontext herstellen lassen, dass man nicht so ohne Weiteres Partei ergreifen kann und eine hinreichend kritische Distanz zur medialen Berichterstattung und zu Regierungsverlautbarungen, von russischer wie von ukrainischer bzw. westlicher Seite, bewahren sollte. Wer dies wollte, konnte in der westlichen Kriegsberichterstattung – in der übrigens von Journalisten, wie schon bei Corona, offenbar nichts, aber auch wirklich gar nichts auf Plausibilität, geschweige denn Richtigkeit überprüft wird – bereits in den ersten Kriegswochen Dinge sehen, die schlicht haarsträubend zu nennen sind. Das vielleicht Absurdeste, das in manchen westlichen Medien an erbärmlichem Journalismus besichtigt werden konnte, war ein Ausschnitt aus einem Star-Wars-Film in einem angeblichen Bericht vom ukrainischen Kriegsschauplatz. Ein beeindruckendes Beispiel von schamloser Desinformation war hingegen eine ukrainische Berichterstattung vom russischen Angriff auf Mariupol. Das Bildmaterial stammte tatsächlich von einem wenige Tage zuvor stattgefundenen ukrainischen(!) Angriff auf Donezk, bei dem 21 Zivilisten durch eine Streubombe getötet wurden (eine Kriegshandlung, von der im Westen übrigens nirgendwo berichtet wurde – wie man auch sonst nichts über die Situation in den seit Jahren unter ukrainischem Beschuss stehenden Gebieten im Donbass erfährt). Angesichts solcher journalistischen Fehlleistungen und unverhohlenen Desinformation und Propaganda kann man sich bei den von westlicher Seite immer wieder – sicher oftmals nicht zu Unrecht erhobenen – Vorwürfen russischer Desinformation und Fake News schwer des Eindrucks erwehren, Zeuge lehrbuchreifer Projektionen zu werden.[4]

Im Gegensatz zu dem, was der westliche „Konsens“ als einzig adäquate Positionierung im Ukraine-Krieg dekretiert, ist aus einer historisch informierten, gesellschaftskritischen Perspektive darauf zu bestehen, dass der aktuelle Krieg wie schon der gesamte Russland-Ukraine-Konflikt – der ja inzwischen auch schon eine etwas längere Vorgeschichte hat und nicht plötzlich von heute auf morgen eskaliert ist – nicht verstanden werden kann, ohne dabei (auch) die Rolle des Westens im Allgemeinen und der NATO im Besonderen mit ins Kalkül zu ziehen. Dazu gehört nicht zuletzt die seit mehr als 20 Jahren betriebene NATO-Osterweiterung. Dies pauschal als einen plumpen oder gar „verschwörungstheoretischen“ Anti-Amerikanismus abzutun, wie dies zum Teil sogar in manchen wertkritischen Debatten anklingt, ist hoch problematisch – wiewohl es natürlich solche verkürzten, anti-amerikanistischen Ausprägungen durchaus gibt, die auch entsprechend zu kritisieren sind. Aber wenn es für Wertkritiker/innen per se unzulässig wäre, die Rolle und die „Machenschaften“ des Westens und insbesondere der USA zu thematisieren und zu kritisieren, dann wären so wichtige Bücher wie etwa Roberts Kurz‘ „Weltordnungskrieg“[5] wohl niemals geschrieben worden. Hier scheint also eine ähnliche Dynamik zu wirken und eine ähnlich willkürliche Beschneidung des kritischen Denkens stattzufinden wie bei Corona: Wenn es gegen das böse Virus oder den bösen Russen geht, ist der Westen bzw. sind westliche Regierungen offenbar von der Kritik auszunehmen. Hier kann man auch nicht umhin, festzustellen, dass derzeit gerade in Ländern wie Deutschland offenbar wieder ein historisch tief eingewachsener Russenhass aktualisiert wird, was vielleicht auch einiges am Verlauf und der Qualität der Diskussion hierzulande erklären mag (Deutschland hat nun einmal so einiges, das es den Russen nicht verzeihen kann oder will, insbesondere 1941).

Der offene Rassismus, der plötzlich wieder fröhliche Urständ feiert[6], indem „dem Russen“ alle möglichen negativen Eigenschaften zugeschrieben und regelrechte Hetzkampagnen gegen alles „Russische“ geführt werden (bis dahin, dass Kulturhäuser Musik- und Theaterstücke von russischen Komponisten und Autoren aus dem Programm nehmen[7]), tobt sich im Übrigen nicht nur an Russland, sondern nicht zuletzt auch an den Objekten der westlichen „Solidarität“ selbst aus. Was dem westlichen und hier vor allem dem europäischen Bürger am gegenwärtigen Krieg so besonders zuwider zu sein scheint, ist offenbar, dass es diesmal nicht – wie z.B. seinerzeit in Afghanistan und dem Irak oder bis heute in Syrien oder dem Jemen – zivilisatorisch „rückständige“ Länder trifft, sondern ein an „westlichen Werten“ und „Demokratie“ orientiertes Land (beinahe) im Herzen Europas.[8] Und während in den anderen Kriegen primär Menschen muslimischer Herkunft betroffen waren und – so sie nicht getötet wurden[9] – sich in großer Zahl auf die Flucht in den Westen aufmachten, sind es heute blonde und blauäugige Frauen und Kinder, die es zu retten gilt und im Vergleich zu Menschen aus afghanischen, irakischen oder syrischen Kriegs- und Zusammenbruchsgebieten mit geradezu offenen Armen aufgenommen werden.[10] Mit anderen Worten: Die Ukraine wird bereits zum Westen gerechnet, und es trifft diesmal praktisch uns selber und nicht mehr „die Anderen“.

Mit alldem ist, wie gesagt, noch nichts über eine unbedingt notwendige Kritik am Vorgehen der russischen Regierung und ihrer Armee ausgesagt. Aber genauso wenig ist einzusehen, weshalb der Westen von der Kritik auszunehmen sein und eine kritische Perspektive auf den aktuellen Krieg ähnlich einseitig ausfallen soll wie die kaum erträgliche mediale Berichterstattung und Propaganda auf praktisch allen westlichen Kanälen.

Finale Krise und geopolitischer Abstieg des Westens

Aus einer wert(abspaltungs)kritischen Perspektive ist der Ukraine-Krieg freilich in den Kontext der finalen Krise zu stellen und in diesem Lichte zu betrachten.[11] Ein wesentlicher Aspekt in diesem Zusammenhang, den z.B. Gerd Bedszent in seinem Text über den Ukraine-Krieg[12] zumindest grob entfaltet hat, sind die Krisen- und Zerfallsprozesse in der kapitalistischen Peripherie und Semiperipherie, die sich in Russland und der Ukraine insbesondere in jenem berühmt-berüchtigten Oligarchen TUM manifestieren, welches aus dem Zerfall der Sowjetunion und ihrer anschließenden neoliberalen Ausschlachtung in den 1990er Jahren hervorgegangenen ist.[13] Speziell in der Ukraine ist es nicht zuletzt deren Status als „gescheiterter Staat“[14], der nun durch den Krieg wohl endgültig besiegelt wird (dies wird auch davon abhängen, wie lange der Krieg in die Länge gezogen wird und wie viel von der Ukraine dann, z.B. an Infrastruktur, noch übrig ist).[15]

Aber auch hier, unter dem Gesichtspunkt der finalen Krise, kommt eine kritische Analyse wohl nicht ohne Berücksichtigung des Westens aus. Man kann sich schwer des Eindrucks erwehren, dass wir gegenwärtig nicht zuletzt Zeugen eines rasant beschleunigten geopolitischen und ökonomischen Abstiegs des Westens und insbesondere der USA werden. Gerade die USA pfeifen inzwischen auf verschiedenen Ebenen aus dem letzten Loch – schon alleine was den mittlerweile erreichten Grad an Deindustrialisierung und die damit einhergehende Pauperisieren der Bevölkerung angeht.[16] Selbst die militärische Überlegenheit, aus der sich in den letzten Jahrzehnten der Status der USA als „Weltpolizei“ ableitete, scheint sich inzwischen nicht einmal mehr als Imago aufrechterhalten zu lassen.[17] Und mit das Gefährlichste an der gegenwärtigen Situation scheint zu sein, dass der Westen dies nicht wahrhaben will und mittlerweile offenbar seine eigene Propaganda glaubt. Anders ist z.B. die geradezu euphorische (und in vielerlei Hinsicht auch heuchlerische[18]) Sanktionswut hierzulande kaum zu erklären. Denn diese wird ökonomisch zwar weniger der US-Wirtschaft, dafür ganz besonders der europäischen Wirtschaft schaden – etwa wenn tatsächlich ein Erdöl- und Gas-Embargo gegen Russland verhängt werden sollte.

In diesem Punkt sind vielleicht auch manche Bedenken gegenüber Anselm Jappes an sich durchaus diskussionswürdiger Überlegung anzumelden, den Ausstieg aus russischem Öl und Gas sozusagen als Chance für den Ausstieg aus dem ökologisch verheerenden fossilen Kapitalismus überhaupt zu nutzen.[19] Wesentlich wahrscheinlicher dürfte nämlich sein, dass der Ausstieg aus russischem Öl und Gas insbesondere durch US-amerikanisches und ökologisch noch schädlicheres Fracking-Öl und -Gas kompensiert wird. Und das, was sich nicht kompensieren lässt (schon allein deshalb, weil das US-Angebot begrenzt und sehr kostspielig ist), werden dann vor allem diejenigen auszubaden haben, die schon heute kaum über die Runden kommen – durch Energieengpässe und/oder explodierte Strom-, Gas- und Benzinpreise, Massenarbeitslosigkeit infolge der wirtschaftlichen „Kollateralschäden“ der Sanktionspolitik etc. Der durch die Sanktionen zwangsläufig weiter forcierte Ausstieg aus der Energieerzeugung mittels Öl und Gas lässt darüber hinaus eine Renaissance der Atomenergie erwarten – dies wäre dann der Gipfel des Irrsinns. Wahrscheinlich ist in diesem Zusammenhang auch eine weltweite Aushöhlung der Umweltgesetzgebung (die Antarktis als Rohstoffquelle und Mülldeponie etc.). Ob also der Russland-Ukraine-Krieg eine gute Gelegenheit ist, um quasi über den Umweg von Sanktionen gegen Russland den praktischen Ausstieg aus der derzeitigen Energiewirtschaft anzubahnen, erscheint fraglich, solange nicht gleichzeitig an der kapitalistischen Produktionsweise gerüttelt wird. Zumindest müsste dieses Vorhaben gleichzeitig – schon allein unter ökologischen Gesichtspunkten – mit einem Boykott der US-amerikanischen Fracking-Industrie sowie der Atomenergie verbunden sein.

Auch die ständig weiter befeuerte westliche Eskalationspolitik kann vermutlich nur durch den (nach zwei Jahren Corona-Politik hinlänglich bekannten[20]) Realitätsverlust und die galoppierende Irrationalität nicht nur in der westlichen Bevölkerung, sondern auch und gerade unter den westlichen Funktionseliten erklärt werden.[21] Da scheint niemand mehr ernsthaft zu begreifen (oder begreifen zu wollen), was eine weitere Eskalation, z.B. eine Intervention der NATO, bedeuten würde – nämlich den dritten Weltkrieg.

Geopolitisch ist der russische Angriffskrieg vermutlich als Signal der endgültigen Abkehr Russlands vom Westen und der Fokussierung auf die „eurasischen“ Beziehungen, insbesondere mit China und Indien, zu deuten. Hier scheint derzeit einiges im Gang zu sein im Hinblick auf die Etablierung eines eurasischen Wirtschaftsraums. Auch das gehört faktisch zur geopolitischen und -ökonomischen Krise des Westens, die hierzulande konsequent verdrängt wird. Zu nennen sind hier beispielsweise die allem Anschein nach schon sehr weit gediehenen Bemühungen von China und Co., aus der Weltwährung Dollar auszusteigen („de-dollarization“). Kürzlich hat sogar Saudi-Arabien angekündigt, in Hinkunft einen Teil seiner Öllieferungen an China nicht mehr in Dollar, sondern in Yuan abzurechnen.[22] Es scheint bereits intensiv an einem alternativen Zahlungssystem, analog zum westlichen SWIFT-System, gearbeitet zu werden. Der erfolgte weitgehende Ausschluss Russlands aus SWIFT im Rahmen der westlichen Sanktionen dürfte, wenn diese Bemühungen Erfolg haben sollten, Russland nicht nur deutlich weniger schaden, als man sich im Westen erhofft (was abermals ein Beleg für den Realitätsverlust hierzulande wäre), sondern Russland erst recht dazu veranlassen, seine Kooperation mit China weiter zu forcieren – auch das wieder vor allem zum Schaden des Westens und nicht zuletzt Europas.

Im Zusammenhang mit der „De-Dollarisierung“ ist übrigens auch daran zu erinnern, dass zahlreiche der in den letzten Jahrzehnten vom Westen geführten „Weltordnungskriege“ nicht zuletzt (auch) der Stützung des Dollars als Weltleitwährung dienten.[23] Diese konnte der inzwischen offenbar nur noch in seiner Eigenwahrnehmung als solcher existierende Hegemon USA schon damals kaum noch wirtschaftlich, sondern nur noch dank seiner militärischen Überlegenheit gewährleisten. Dass nun selbst bis aufs Blut verfeindete Staaten wie Indien und Pakistan oder Iran und Israel quasi geschlossen der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland die Zustimmung verweigern, verdeutlicht ebenfalls die schrumpfende Bedeutung der USA als geopolitische Macht.

Implikationen für die Krisentheorie?

Ob und was aus diesen geopolitischen Verschiebungen resultiert und welche Implikationen das vor allem für die Krisentheorie hat, wird sich zeigen. Vielleicht werden wir (übrigens nicht zum ersten Mal) die Erfahrung machen, dass die weitere Verlaufsform der finalen Krise noch einige Überraschungen bereithält, mit denen wir so nicht gerechnet hätten. Möglich wäre eine (zumindest zeitweilige) geopolitische Machtverschiebung in den eurasischen Raum (vorausgesetzt, die gegenwärtige Eskalationspolitik mündet nicht in absehbarer Zeit in einen Atomkrieg).

Ein für die weitere Entwicklung in den kommenden Monaten und Jahren relevanter Faktor, der wertkritische Aufmerksamkeit verdient, wäre der Fakt, dass der Westen, insbesondere die USA, in den vergangenen Jahrzehnten kräftig die eigene Deindustrialisierung vorangetrieben hat, indem Produktionskapazitäten ins Ausland, insbesondere China, verlagert wurden. Robert Kurz hat diese Prozesse vor allem im „Weltkapital“ beschrieben und sowohl als Symptom als auch als wesentliche Triebkraft der finalen Krise theoretisiert.[24] Dieser Krisenprozess nimmt aber nicht überall auf der Welt dieselbe Gestalt an und betrifft nicht alle Länder gleichermaßen bzw. ist jeweils unterschiedlich ausgeprägt. Russland z.B., selbst wenn es wirklich die von US-Politikern gerne beschworene „als Staat verkleidete Tankstelle“ wäre, kann sich im Unterschied zu den USA und ganz besonders Europa (derzeit) im Wesentlichen selbst versorgen. Ähnliches gilt für China: Zwar ist die ostasiatische Wirtschaftsmacht, anders als etwa Russland, selbst abhängig von großen Energieimporten. Im Westen läuft allerdings ohne chinesische Produkte und Komponenten so gut wie gar nichts mehr. Würde sich China dazu entschließen, den Westen nicht mehr mit chinesischer Ware zu beliefern, wäre daher nicht nur der Warenkorb des westlichen Otto Normalverbrauchers ziemlich leer, sondern wären auch die westlichen Industrien weitgehend lahmgelegt. Mit anderen Worten: Auf stofflicher Ebene, vor allem im Hinblick auf das Produktionsaggregat und die Verfügung über Rohstoffe, stehen Länder wie Russland und China heute in gewisser Hinsicht wesentlich besser da als die USA oder Europa. Im Westen hat man in manchen Bereichen inzwischen teilweise nicht einmal mehr das nötige Know-how, um bestimmte Dinge und Technologien selbst so herzustellen, dass sie, erstens, funktionieren, und, zweitens, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig wären.[25]

Dass sowohl China als auch Russland für die bevorstehenden Krisenschübe besser gewappnet zu sein scheinen, hat freilich auch historische Ursachen. Russland ist nach den marktradikalen Exzessen der Jelzin-Ära knapp an einem Staatszusammenbruch vorbeigeschrammt; das jetzige repressive Putin-Regime ist letztlich das Produkt einer gewaltsamen Systemstabilisierung.

Und der wirtschaftliche Koloss China hat vergleichsweise spät begonnen, die etatistischen Strukturen seiner Aufbauphase abzuschütteln und baut diese derzeit tendenziell sogar wieder aus. Im Sommer 2021 ging z.B. durch die Medien, dass China die im Lande ansässigen Tech-Unternehmen an die Kandare genommen und deren Kontrolle stark verschärft hat. Es ging dabei vor allem um Big Data und Fragen der Datensicherheit. Wie es scheint, möchte die KPC die Daten über ihre riesige Bevölkerung nicht aus der Hand geben und vor allem ihren chinesischen Kapitalismus nicht den Internet- und Tech-Oligarchen ausliefern (hier dienen wohl nicht zuletzt wieder die USA als warnendes Beispiel). Überhaupt versucht die KPC die in den letzten Jahren selbst entfesselte Marktanarchie wieder in die Hand zu bekommen und installiert (angeblich) in allen größeren privaten Unternehmen Parteizellen.[26]

Natürlich können solche gewaltsam erzwungenen Rückgriffe auf repressive Früh- und Durchsetzungsphasen des Kapitalismus die Krise von Warenproduktion und abstrakter Arbeit nur vorübergehend ausbremsen, aber keineswegs aufhalten. Gleichwohl erscheint es vor diesem Hintergrund alles andere als sicher – wovon innerhalb der Wert(abspaltungs)kritik bisher mehr oder weniger explizit ausgegangen wurde –, dass die finale Krise des Kapitals sich allmählich von der Peripherie bis in die westlichen Zentren voranfrisst, bis (bildlich gesprochen) die letzte Wohlstandsinsel in der Flut der Entwertung absäuft. Es erscheint immerhin möglich, dass im weiteren Krisenverlauf jene Staaten Vorteile haben, die noch die Produktionskapazitäten, die Rohstoffe und die entsprechenden Fertigkeiten besitzen, um „stofflichen Reichtum“ noch hinreichend selbst erzeugen zu können. Und dazu gehören die USA und Europa heute sicher nicht mehr. Zumindest für begrenzte Zeit könnten Staaten wie China auf den Modus „Modernisierungsdiktatur“ schalten und hätten darüber hinaus im nicht unwahrscheinlichen (konventionellen) Kriegsfall wohl massive Vorteile.

Gerade mit Blick auf die Weiterentwicklung der Krisentheorie wird sich die Wert(abspaltungs)kritik die nötige Offenheit bewahren müssen, um die Theorie ständig an der empirischen Krisenrealität zu überprüfen und ggf. zu modifizieren. Und diese Krisenrealität – u.a. das zeigt der gegenwärtige Ukraine-Krieg – ist heute zunehmend geprägt durch weitreichende geopolitische Verschiebungen und insbesondere einen sich beschleunigenden, auch intellektuellen und militärischen Abstieg des Westens.

Endnoten

[1] Übrigens ein ähnlich fragwürdiges und vielsagendes Label wie das des „Coronaleugners”. Verstehen als kognitiver Akt wird da zur Sünde erklärt, wo doch ein wenig „Putinverständnis”, gerade im Kriegsmodus und schon aus eigenem Interesse, angebracht wäre. Die Chance, „richtige” Entscheidungen zu treffen, ist nun einmal erheblich größer, wenn man seinen Feind versteht. Nicht zuletzt Journalisten täte ein wenig „Putinverständnis” gut, um nicht beständig über Putin „rätseln” zu müssen (siehe exemplarisch: „Das Rätsel Putin – Was Merkel nicht schaffte, muss Baerbock jetzt lösen”, welt.de [23.2.2022]).

[2] Dort gipfeln die Diffamierungen inzwischen darin, Personen, die sich aus welchen Gründen auch immer gegen eine CoV-Impfung entschieden haben, quasi pauschal in den Rang einer von einem krisenbedingten Todestrieb geleiteten Selbstmordsekte zu erheben (vgl. Tomasz Konicz: Von Crashpropheten, Preppern und Krisenprofiteuren – Rechte Ideologie in der Krise, in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 19, 2022, S. 79).

[3] Ausführlich siehe Anne Morelli: Die Prinzipien der Kriegspropaganda, Springe 2004.

[4] Überhaupt ist die westliche Russland-Ukraine-Debatte voll von Projektionen – so etwa die beinahe gebetsmühlenartig vorgebrachten Behauptungen eines russischen Expansionsdrangs und einer angeblichen Rückkehr des „Sowjetimperialismus“. Manche scheinen sogar ernsthaft zu glauben, Putin hätte vor, nach der Ukraine auch in mittel- und westeuropäischen Staaten einzufallen. Hält man sich an die historische Faktenlage, war es in den vergangenen 30 Jahren vor allem der Westen, der auf Expansionskurs nach Osteuropa war. Zuerst waren es Großunternehmen, die ab 1990, nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus, massiv in Richtung Osten expandierten. Darauf folgten später EU und NATO, um das wirtschaftlich eroberte Terrain zu sichern.

[5] Robert Kurz: Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung, Bad Honnef 2003.

[6] Siehe hierzu pars pro toto die Auslassungen der Politikwissenschaftlerin und Vizedirektorin des Instituts der Europäischen Union für Sicherheitsstudien in Paris, Florence Gaub, bei Markus Lanz am 12. April 2022: „Wir dürfen nicht vergessen, auch wenn Russen europäisch aussehen, dass es keine Europäer sind – jetzt im kulturellen Sinne – die einen anderen Bezug zu Gewalt haben, die einen anderen Bezug zu Tod haben.“ (nachdenkseiten.de, 14.4.2022)

[7] Das Wiener Konzerthaus hat sogar ein Benefizkonzert für Kriegsbetroffene und Flüchtlinge aus der Ukraine abgesagt, nachdem der ukrainische Botschafter moniert hatte, dass in dem Orchester auch russische Künstlerinnen und Künstler mitwirken (konzerthaus.at).

[8] Was übrigens gleich doppelt falsch ist – sowohl geographisch als auch im Hinblick auf den „demokratischen“ Status der Ukraine.

[9] Im Irakkrieg ab 2003 übrigens, je nach Quelle, zwischen einer halben und einer Million Menschen.

[10] Moustafa Bayoumi: „They are ‚civilised‘ and ‚look like us‘: the racist coverage of the Ukraine“, theguardian.com, 2.3.2022

[11] Herbert Böttcher: Ukraine: Ein Krieg um die zerfallende Weltordnungexit-online.org, 2022

[12] Gerd Bedszent: Krise und Krieg der OligarchenwertKRITIK.org, 2022

[13] Gerd Bedszent: Oligarchen und andere Widrigkeiten, in: ders.: Wirtschaftsverbrechen und andere Kleinigkeiten, Frankfurt am Main 2017, S. 126-135.

[14] Gerd Bedszent: Zusammenbruch der Peripherie. Gescheiterte Staaten als Tummelplatz von Drogenbaronen, Warlords und Weltordnungskriegern, Berlin 2014, 126-162

Gerd Bedszent: Die Ukraine – Dualität von Nationalismus und Staatszerfall, in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 12, S. 176-184, 2014, online auch auf wertKRITIK.org

[15] Dies gilt zumindest für jene Landesteile, die nicht Russland einverleibt werden. Nicht wenig des ukrainischen Niedergangs zumindest seit 2014 war der horrenden Aufrüstungsfinanzierung, der überbordenden Korruption und, nicht zuletzt, der Reduktion der wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland geschuldet. Es ist zu erwarten, dass für die 30 bis 40 Prozent des Landes, die im Zuge des Kriegs an Russland fallen könnten, diese Faktoren großteils wegfallen. Dies hängt freilich auch davon ab, wie das derzeit zu beobachtende russisch-chinesische „Unabhängigkeitsexperiment” vom Westen (siehe unten) ausgehen wird.

[16] Peter Temin: The vanishing middle class. Prejudice and power in a dual economy, Cambridge 2017

[17] Vgl. Andrei Martyanov: Losing Military Supremacy: The Myopia of American Strategic Planning, Atlanta 2018

[18] Heuchlerisch vor allem mit Blick auf die Sanktionsforderungen, die anlässlich anderer de facto völkerrechtwidriger Kriege in den vergangenen Jahrzehnten, auch und gerade solchen unter Federführung der NATO bzw. der USA, erhoben bzw. nicht erhoben wurden (NATO-Angriff auf Jugoslawien 1999, Irakkrieg 2003, Libyen 2011 etc.).

[19] Anselm Jappe: Schluss mit Putins Gas?wertKRITIK.org, 2022

[20] Andreas Urban & F. Alexander von Uhnrast: Corona als Krisensymptom? Thesen zu Ursachen und historischen Bedingungen eines globalen NervenzusammenbruchswertKRITIK.org, 2022

[21] Womit nicht in Frage gestellt wird, dass es auch im aktuellen Krieg Akteure gibt, die durchaus binnenrational handeln und eine bestimmte Agenda verfolgen. Wer allerdings Politiker/innen wie Baerbock oder Scholz lauscht, kann schon sehr leicht an deren Geisteszustand zweifeln. Angesichts der sich hierzulande in einen immer größeren Kriegsrausch steigernden Reaktionen in Politik und Medien (vgl. Tobias Riegel: Ukrainekrieg: Deutsche Medienlandschaft endgültig im Rauschnachdenkseiten.de, 2022) erscheinen die seit Kriegsbeginn verbreiteten küchenpsychologischen Spekulationen über Putins geistige Gesundheit ebenfalls eher wie Projektionen der eigenen Irrationalität (ohne an dieser Stelle Putins Charakter und Geisteszustand beurteilen zu wollen). Darüber hinaus nimmt die Binnenrationalität unter den Bedingungen der finalen Krise selbst immer irrationalere Formen an, scheint also die Dialektik der modernen „irrationalen Rationalität“ (Horkheimer/Adorno) sich zusehends in Richtung der Irrationalität aufzulösen. Es wäre auch historisch nicht das erste Mal, dass die kapitalistische Binnenrationalität geradewegs in eine zivilisatorische Katastrophe führt.

[22] „Annäherung an China: Saudiarabien will weg vom Dollar”, diepresse.com (17.3.2022)

[23] Drei Jahre vor dem Irakkrieg hat Saddam Hussein verlautbart, in Hinkunft die irakischen Ölexporte nicht mehr in Dollar abwickeln zu wollen. Auch dem „internationalen Militäreinsatz“ in Libyen im Jahr 2011 gingen u.a. Pläne von Muammar al-Gaddafi voraus, eine goldgedeckte Währung einzuführen, die in direkter Konkurrenz zum westlichen Zentralbank-Monopol gestanden hätte.

[24] Robert Kurz: Das Weltkapital. Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems, Berlin 2005.

[25] Dies betrifft den militärischen Bereich ebenso wie zahlreiche andere Bereiche, z.B. die Autoindustrie oder die zivile Luftfahrt. Symptomatisch für Letzteres war beispielsweise das Boeing 737 MAX-Desaster. Interessantes Material und eindrucksvolle Belege für den ökonomischen, technologischen und nicht zuletzt intellektuellen Verfall vor allem der USA liefert – trotz unbestreitbarer konservativer Bornierungen und anachronistischer Nationalstaatsillusionen des Autors – Andrei Martyanovs Buch Disintegration. Indicators of the Coming American Collapse, Atlanta 2021.

[26] Jérôme Doyon: Kapital und Disziplin. Wie sich die KPCh unter Xi die Kontrolle über die Privatwirtschaft sichert, in: Le Monde diplomatique, Juli 2021, S. 13.

Original auf: www.wertkritik.org

Copyleft

„Jede Wiedergabe, Vervielfältigung und Verbreitung unserer Publikationen ist im Sinne der Bereicherung des allgemeinen geistigen Lebens erwünscht. Es gibt kein geistiges Eigentum. Es sei denn, als Diebstahl. Der Geist weht, wo er will. Jede Geschäftemacherei ist dabei auszuschließen. Wir danken den Toten und den Lebendigen für ihre Zuarbeit und arbeiten unsererseits nach Kräften zu.“ (aramis)

siehe auch wikipedia s.v. „copyleft“

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Grafikquellen          :

Oben     —    Unterstützungskundgebung für den Euromaidan und gegen die Besetzung der Krim durch die russische Armee in Prag, Kundgebung fand vor dem russischen Ambasy statt, Tschechische Republik, 2. März 2014

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Zur Not auch ein Atomkrieg?

Erstellt von Redaktion am 1. Oktober 2022

Was für „unsere Werte“ alles sein muss

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Ein Kommentar von Renate Dillmann

Nach etwas mehr als sechs Monaten Ukraine-Krieg haben sich alle an die Fakten und die dazu gehörenden „Narrative“ gewöhnt – was sie nicht richtiger macht.

Es gibt einen weiteren Krieg. Der ist unerträglich, im Gegensatz zu sonstigen Kriegen. Während normalerweise die USA, „wir“ oder unsere guten Verbündeten die Welt befrieden und ordnen – in Ex-Jugoslawien, im Irak, in Afghanistan, Libyen, Syrien, Gaza, Jemen oder sonstwo – wird dieser Krieg nämlich von Russland geführt. Deshalb ist er „brutal“, ein „Angriffskrieg“ und „völkerrechtswidrig“.

Dieser Krieg und das ganze Leid der ukrainischen Bevölkerung muss aufhören. Putin hat nämlich kein Recht, ihn zu führen. Der Krieg dient auch keinen Interessen, die „wir“ irgendwie nachvollziehen könnten, sondern ist einfach eine Ausgeburt des Bösen oder eines irren Machtwillens. Dass unsere Nato sich nach Osten erweitert hat, sind fake news. Russland ist da etwas überempfindlich nach zwei Weltkriegen, aber das muss man nicht so ernst nehmen. Dass es einen westlichen Aufmarsch mit entsprechenden Militärmanövern von Litauen bis Rumänien gibt, entspricht dagegen dem Sicherheitsbedürfnis dieser Länder, das wir sehr ernst nehmen.

Aufhören muss der Krieg allerdings zu unseren Bedingungen und die heißen „freie Ukraine“. Die Volksrepubliken, die Putin „befreien“ will (dieser Mann nimmt sich wirklich was raus! klaut sogar unsere Propaganda!) gehören nunmal zu einer freien Ukraine – egal, wie die Menschen das in Luhansk und Donetzk sehen nach dem von den USA finanzierten und orchestrierten Putsch gegen die gewählte Regierung. Und nach 8 Jahren Krieg ihrer Kiewer Zentrale mit 15.000 Toten. Einem Kompromiss in diesen Fragen kann der wertebasierte Westen wegen seiner Werte nicht zustimmen – da muss die Bevölkerung dort und im Rest der Ukraine schon weiter leiden. Die Krim muss übrigens auch zurückerobert werden. Ein separatistisches Referendum widerspricht nämlich dem Völkerrecht. Außer im Kosovo, im Südsudan und demnächst in Taiwan.

Frieden schaffen in der Ukraine heißt für „uns“ und unsere Werte deshalb: Lieferung von Waffen. Waffen, schwere Waffen, noch mehr schwere Waffen. Wieviel Milliarden inzwischen? Wer kann da noch mitzählen? Wer daran erinnert, dass damit der Krieg verlängert, die Zahl der Toten erhöht, die Ukraine mehr und mehr zerstört wird, verhält sich unsolidarisch mit den Helden, die für „unsere“ „Freiheit“ kämpfen. In der freien Ukraine kommt man für diese Äußerung sofort in den Knast; im freien Deutschland vorläufig nur auf die Liste der Vaterlandsverräter und Putinversteher.

Datei:Moscow 2012 Victory Day Parade Rehearsal, Topol-M ICBM launcher, Russia.jpg

Wenn Putin „uns“ jetzt daran erinnert, dass die fortlaufenden Waffenlieferungen und die westliche Hochrüstung der Ukraine zur drittstärksten Armee in Europa ein Angriff des Westens auf die russische Souveränität sind und er bereits zu Beginn des Kriegs darauf aufmerksam gemacht hat, dass sein Land über Atomwaffen verfügt, heißt das nur eins: dass Russland auf dem letzten Loch pfeift. Unsere Annalena bleibt standhaft: Die russische Atombombe ist ein Papiertiger. Kein Grund, eingeschüchtert zu sein. Kein Grund, über Kompromisse oder Verhandlungen nachzudenken. Das Volk mal fragen, wie es über Inflation und Bedrohungslage denkt? Auf keinen Fall – das wäre extrem populistisch, sprich undemokratisch. Schließlich hat es gewählt und die Regierung muss jetzt tun, was sie tun muss, egal was ihre Wähler denken.

„Wir“ (hier: die gewählte Regierung) halten also an „unserem“ Wirtschaftskrieg, den man im freien Deutschland nicht so nennen darf, und „unseren“ Waffenlieferungen fest – komme was wolle, „wir“ (hier: das Volk) haben schließlich schon Schlimmeres durchgestanden. Und unsere besten Freunde, die USA, können sich eine Drohung mit Atomwaffen durch Russland nicht bieten lassen – das würde ihre finale Oberhoheit über die Welt einschränken. Also ja: zur Not auch ein Atomkrieg!

PS: Wenn der Wirtschaftskrieg dazu führt, dass die Nahrungsmittel-Produktion auf der Welt nach unten kracht, weil Russland und Belarus bisher 20 Prozent der Düngemittel hergestellt haben, ist das bedauerlich, aber leider nötig. Auch wenn die UN dagegen ist. Die Hungerleider der Dritten Welt, die people of colour, denen wir unseren ganzen Respekt entgegen bringen, werden sich „trotz“ all unserer Entwicklungshilfe die Nahrungsmittel auf unserem schönen, regelbasierten Weltmarkt nicht mehr kaufen können – dumm gelaufen. Aber schuld daran an der laufenden wie der kommenden Hungerkatastrophe ist ja sowieso „der Russe“, „wir“ sollten uns von Horrornachrichten an dieser Front nicht beirren lassen.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Oben      —     Berlin-Mitte, Rathausstraße / Nikolaiviertel mit Friedenstaube nach Picasso

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 30. September 2022

„Krieg und Frieden“
Briefe , die sich in meinem Inneren stapeln

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Aus Kyjw ANASTASIIA OPRYSHCHENKO

Seit Beginn des russischen Großangriffs habe ich Tag für Tag Zeugenaussagen von Ukrainern gesammelt, deren Angehörige in Gefangenschaft geraten sind, vermisst werden, aus der Gefangenschaft zurückgekehrt sind. Ich trage sie zusammen und gebe sie an Menschenrechtsaktivisten und -organisationen weiter.

Nach vier Interviews bin ich normalerweise wie betäubt. Aber für Pausen ist keine Zeit. Die Anzahl der Menschen, mit denen wir sprechen müssen, liegt schon bei über 500.

„Ich flehe Sie an, mir zu helfen, meinen Mann zurückzuholen. Zwei kleine Kinder warten auf ihn und vermissen ihn sehr.“

„Mein Bruder und seine Tochter werden vermisst: acht Jahre alt, Autismus. Das Mädchen spricht nicht.“

„Im März meldete sich mein Sohn nicht mehr. Wir haben ein Video entdeckt mit Menschen, die aus dem Stahlwerk Asowstahl kamen. Sagen Sie bitte, ob er es ist oder nicht. Wir müssen wissen, ob er noch lebt. Ich flehe Sie an.“

Viele denken, dass ich ihre Angehörigen finden kann. Andere, dass ich Leute aus der Gefangenschaft herausholen kann. Ich fühle mit jedem Einzelnen von ihnen. Zehnmal am Tag wiederhole ich: „Bitte verzeihen Sie mir, aber ich kann Ihren Sohn, Mann, Ihre Schwester, Ihr Kind nicht retten. Ich sammle nur Aussagen.“

Manchmal höre ich mir den ganzen Tag Aussagen von Gefangenen über ihre Foltererfahrungen an. Manchmal weint am anderen Ende der Telefonleitung stundenlang eine Mutter. Es ist schrecklich, in den Zuschriften den Namen oder das Foto eines Bekannten zu entdecken. Es ist schwierig, wenn nach dem Wort „vermisst“ das Wort „Mariupol“ steht. Du weißt nicht, ob in dieser Stadt überhaupt noch Menschen am Leben sind. Am schmerzlichsten ist es, wenn ein Brief uns informiert, dass ein ukrainischer Soldat in Gefangenschaft getötet wurde und die weitere Suche nach ihm vergeblich ist.

Quelle      :         TAZ-online         >>>>>      weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —     Das auf den Hügeln des Westufers des Dnepr gelegene Höhlenkloster und die Mutter-Heimat-Statue, dahinter der Dnepr und dessen flaches Ostufer

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 27. September 2022

„Krieg und Frieden“
Die Säuberungen gehen weiter – in jedem Bereich

AnneFrank1940 crop.jpg

Aus Minsk JANKA BELARUS

Jeden Tag lese ich von neuen Verhaftungen ganzer Familien, die Kinder kommen dann ins Heim, über Hausdurchsuchungen und Strafverfahren gegen unschuldige Menschen.

Die Spirale dreht sich ins Absurde. Die Menschenrechtlerin Marfa Rabkowa wurde am 6. September zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt. Sie ist 27 Jahre alt, man nimmt ihr ihre Jugend und ihre Gesundheit.

Ich kenne einen Insider, der in der belarussischen Zentralbank arbeitet, die vom Staat kontrolliert wird. Er ist schockiert: „Es kam ein Befehl ‚von oben‘, fast 300 Leute zu entlassen. Weißt du, warum? Sie haben nicht an den Protesten im Jahr 2020 teilgenommen. Sondern waren einfach in den sozialen Medien mit den Bankmitarbeitern befreundet, die damals in Minsk auf die Straße gegangen waren. Diese Leute hatte man in der ersten Welle der Säuberungen entlassen. Dieser Befehl jetzt ist schon der dritte. Ich weiß nicht, wer hier noch arbeiten soll. Die ganzen Finanzspezialisten sind schon weg. Vermutlich schicken sie jetzt neue, die vorher vom KGB überprüft worden sind, aber von Finanzen keine Ahnung haben.“

In anderen Bereichen sieht es nicht besser aus. Im Frühling waren 35 Traumatologen festgenommen worden, die man beschuldigte, Bestechungsgelder von ausländischen Firmen für den Einsatz von importierten Prothesen angenommen zu haben. Was ist das, wenn nicht der Versuch der Staatsmacht, den Prothesenmarkt zu monopolisieren und die Menschen im Land von den eigentlichen medizinischen Problemen abzulenken? Denn die Wartezeit für den Einsatz eines künstlichen Kniegelenks aus einheimischer Produktion beträgt fünf Jahre. Ein Anbieter von Endoprothesen, der deutsche Unternehmen Waldemar Link, stellte kürzlich klar, dass das Unternehmen seine Geschäfte mit Russland und Belarus aufgrund des Krieges in der Ukraine vollständig eingestellt habe.

Мінск. Сквер па плошчы Незалежнасці.jpg

Die Ideologie ist auch in den Schulen angekommen. Am 1. September, zum Beginn des neuen Schuljahres, mussten die Kinder die Nationalhymne singen und die Staatsflagge hissen, die erste Unterrichtsstunde war der „natio­nalen Einheit“ (mit Russland) gewidmet.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —   Unabhängigkeitsplatz. MinskWeißrussland. Von links nach rechts: Regierungsgebäude, Kirche der Heiligen Simon und Helena, das Haus, in dem Ryhor Šyrma lebte (belarussischer Dirigent), das Hotel „Minsk“, die Unabhängigkeitsstraße (praspiekt Niezaležnasci), das Hauptpostamt, das Stadtregierungsgebäude, das Minsker U-Bahn-Managementgebäudedie Belarussische Staatliche Universität.

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