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Nigers Bodenschätze

Erstellt von Redaktion am 4. August 2023

In Niger geht es auch um Uran und Ausbeutung

Quelle      :        INFOsperber CH.

Martin Sonneborn /  Red. Martin Sonneborn ist Mitglied des EU-Parlaments («Die Partei»).

Niger ist der siebtgrösste Uranproduzent, aber drei Viertel seiner Einwohner sind an kein Stromnetz angeschlossen.

In Frankreich gibt es keine einzige aktive Goldmine. Dennoch besitzt dieser ehemals verbrecherische Kolonialstaat mit 2’436 Tonnen die viertgrössten Goldreserven der Welt.

Die ehemals französische Kolonie Mali besitzt genau 0,0 Tonnen Gold, obwohl es mehrere Dutzend Minen, darunter 14 offiziell, im Land gibt. Es werden dort pro Jahr ganze 70 Tonnen davon abgebaut. Von den Einnahmen aus knapp 60 Tonnen Gold, die von (schätzungsweise) 600’000 Kindern in der ehemals französischen Kolonie Burkina Faso geschürft werden, gehen nur 10 Prozent an das Land, aber 90 Prozent an multinationale Goldgräberkonzerne.

Ähnlich wie beim Gold funktioniert es beim Uran: Die letzte seiner 210 Uranminen hat Frankreich im Jahr 2001 geschlossen. Seither werden alle mit dem umwelt- und gesundheitsschädlichen Uranabbau verbundenen Probleme, einschliesslich der Gefahren radioaktiver Verstrahlung, vorsorglich nach woanders exportiert.

Französischer Konzern hat in Niger das Sagen

Aus dem westafrikanischen Niger stammen etwa ein Viertel der europäischen und ein Drittel der Uranimporte Frankreichs, das mit 56 Kernkraftwerken einen ausbaufähigen Spitzenplatz unter den Atomstromexporteuren der Welt belegt. Beschafft wird deren betriebsnotwendiger Brennstoff vom staatlichen Nukleargiganten Orano (ehemals Areva), der den höchsten und (passenderweise auch) schwärzesten Granitbau unter den Wolkenkratzern des Pariser Kapitaldistrikts La Défense besitzt. Mit Geheimverträgen wird das Uran beispielsweise aus Niger importiert, wo der Konzern sich drei gewaltige Uranminen sowie die Mehrheitsbeteiligung an Nigers Staatsunternehmen für Uranaufbereitung (Somaïr) unter den Nagel gerissen hat.

Die ehemals französische Kolonie Niger verfügt über die hochwertigsten Uranerze Afrikas und ist der siebtgrösste Uranproduzent der Welt, aber der Weltbank zufolge sind drei Viertel seiner Bürger noch nicht einmal ans Stromnetz angeschlossen. 40 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze, ein Drittel der Kinder ist untergewichtig, die Analphabetenquote liegt bei 63 Prozent. Nur die Hälfte der Einwohner hat Zugang zu sauberem Trinkwasser, nur 16 Prozent sind an eine angemessene Sanitärversorgung angeschlossen.

Das gesamte Staatsbudget Nigers, eines Landes mit der dreifachen Fläche der Bundesrepublik, ist mit rund 4,5 Milliarden Euro nicht grösser als der jährliche Umsatz des französischen Atomkonzerns Orano. Trotz seiner Uran- und Goldvorkommen lag der Niger im Entwicklungs-Index zuletzt auf Platz 189 von 191 erfassten Staaten.

Frankreich hat im Zuge der «Dekolonisierung» der 1960er Jahre seine vormaligen Kolonien zwar in die formale Unabhängigkeit entlassen, hinterliess ihnen allerdings Staats- und Rechtsordnungen, die – wie in der Kolonialzeit – darauf ausgelegt waren, die Bevölkerung einerseits mit möglichst geringem Aufwand zu kontrollieren und andererseits so viele Rohstoffe zu exportieren wie irgend möglich.

Vorkaufsrechte und an Euro gebundene Währung

Nicht genug, dass Frankreich sich über den sogenannten Kolonialpakt in Françafrique weiterhin das Vorkaufsrecht auf alle natürlichen Ressourcen und den privilegierten Zugriff auf Staatsaufträge gesichert hat, es zwingt den Staaten seither ebenso seine irrwitzige Kolonialwährung CFA-Franc auf, die jede autonome Geld-, Wirtschafts- oder Sozialpolitik der nur formal souveränen Staaten nachhaltig verunmöglicht. Die vierzehn CFA-Staaten sind nicht nur durch einen festen Wechselkurs an den Euro gekettet, was ihnen 1994 eine Abwertung von fünfzig Prozent einbrachte, sondern haben auch jeden Zugriff auf 85 Prozent ihrer Währungsreserven verloren, die sie gezwungenermassen bei der Agence France Trésor hinterlegen müssen.

Alle CFA-Staaten sind in hohem Masse rohstoffreich und nicht weniger hochverschuldet. Burkina FasoMali und Niger gehören trotz ihrer immensen Bodenschätze zu den ärmsten Ländern der Welt. «Meine Generation versteht das nicht», sagt der 35-jährige Staatschef Burkina Fasos, Ibrahim Traoré. «Wie kann Afrika, das über so viel Reichtum verfügt, zum ärmsten Kontinent der Welt geworden sein?»

Nicht «unterentwickelt», sondern «überausgebeutet»

Ganz einfach, sagt der US-amerikanische Politikwissenschaftler Michael Parenti. Arme Länder sind nicht «unterentwickelt», sondern «überausgebeutet» («not underdeveloped but overexploited»).

Es gib also Gründe dafür, dass in Niamey, der Hauptstadt Nigers, die französische Botschaft brennt.

Es gibt Gründe dafür, dass die Bürger in den Strassen west- und zentralafrikanischer Staaten nicht die französische Trikolore oder das kobaltblaue Europabanner, sondern die Flagge Russlands bei sich tragen.

Und ob es uns oder der EU nun gefällt oder nicht, sieht ein wachsender Teil der vor allem jüngeren afrikanischen Bevölkerung in Putin keineswegs einen Bösewicht, sondern den Vorkämpfer einer globalen Freiheitsbewegung, die gegen die – unter dem Deckmantel der «Demokratie» – von Akteuren des geopolitischen Westens aufrechterhaltene Ausbeutungs- und Unterwerfungsordnung in ihren Landstrichen gerichtet ist.

Rohstoffraub, Ausplünderung, Übervorteilung

All dies wird sich nicht mit guten – oder mit gut geheuchelten – Worten in Luft auflösen lassen, nicht durch die Streichung «verletzenden» Kinderromanvokabulars, nicht durch tolpatschige EU-«Informationskrieger» und noch weniger durch konzertiertes Bombengewitter, sondern nur dadurch, dass sich nach Jahrhunderten nun endlich einmal die realen Beziehungsverhältnisse des Westens zum Globalen Süden ändern. Und Unterdrückung, Bevormundung, Ausplünderung, Rohstoffraub und Übervorteilung durch mafiös ungleiche Handelsverträge ihr überfälliges Ende nehmen.

Die USA sind – in dieser und manch anderer Hinsicht – bekanntlich ein hoffnungsloser Fall, die EU vielleicht noch nicht. Je länger sie sich dem von ihr zu vollziehenden Paradigmenwechsel zu entziehen versucht oder ihm gar mit Gewalt begegnet, desto schlimmer wird es für sie ausgehen.

Vielleicht wäre es ein Anfang, wenn die EU beim nächsten Gipfel mit Afrika oder Lateinamerika die angereisten Staatsoberhäupter einmal durch dasselbe Hauptportal ins Konferenzgebäude schreiten liesse, das sie selbst benutzt, anstatt ihre fremdkontinentalen Gäste immerfort durch den schmucklosen Seiteneingang zu schleusen.

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P.S.: Einen Ersteindruck ihrer intellektuellen Satisfaktionsfähigkeit gibt die nigrische Militärregierung übrigens selbst. Auf die Ankündigung der USA, jegliche Hilfsgeldzahlung an den Niger einzustellen, habe das Regime – afrikanischen Quellen zufolge – ausrichten lassen, der demokratische Weltmarktführer möchte seine Hilfe behalten und sie für die Millionen Obdachloser in den Vereinigten Staaten verwenden: «Nächstenliebe beginnt zu Hause.»

P.P.S.: Ibrahim Traoré ist nicht nur Staatschef von Burkina Faso, sondern als Absolvent der Universität Ouagadougou und der örtlichen Militärakademie auch Geologe und Offizier. Als jüngstes und smartestes Staatsoberhaupt der Welt droht der 35-Jährige daher völlig zu Recht zum Hoffnungsträger der westafrikanischen Erhebung gegen Neokolonialismus und westliche Dominanz zu werden. Auch Traoré hat die französischen Truppen vor die Tür gesetzt und den Export von Gold und Uran nach Frankreich und in die USA untersagt, während er eine regionale Allianz mit Niger, Guinea, Mali und Algerien schmiedet.

P.P.P.S.: Frankreich und die USA drohen – selbst und über ihre Mittelsleute von ECOWAS – mit einem gewaltsamen Eingriff zur Wiederherstellung der «demokratischen» Ausbeutungsordnung. Sieht aus, als hätten unsere kriegsbegeisterten Honks demnächst die Wahl, ob sie die westliche Welt lieber in der Ukraine (Team Blackrock) oder in Westafrika (Team Atomstrom) verteidigen wollen. Das ist das Schöne am Kapitalismus. Er sorgt stets für reichhaltige Auswahl.

Eine militärische Intervention der Achse USA-Frankreich-Grossbritannien-ECOWAS in Niger, so erklärten es Burkina Faso und Mali soeben, würden sie als «Kriegserklärung» gegen sich selbst auffassen. Eine deutliche Ansage, die der malische Regierungssprecher Abdoulaye Maïga für die traditionell etwas begriffsstutzigen Demokraten aus Nord-Nordwest ein weiteres Mal und – wohl um der Deutlichkeit willen –noch ein drittes Mal wortgleich wiederholt. Guinea sieht das ähnlich, und auch Algerien, das ein militärisches Kooperationsabkommen mit Niger unterhält, wird «im Falle einer ausländischen Intervention nicht untätig bleiben».

Das Letzte, was Westafrika braucht, ist zufälligerweise auch das Letzte, was wir und Sie, und ist zufälligerweise auch das Letzte, was der ganze Rest der Welt braucht: einen weiteren Krieg.

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Zwischentitel von der Redaktion. Hier zur Webseite von Martin Sonneborn.

Hilferuf von Swissaid

Red. «Die gegen Niger verhängten Sanktionen treffen die Notleidenden im ärmsten Land der Welt», erklärte der Leiter des Swissaid-Büros in Niger, Mahamane Rabilou Abdou, am 3. August im «Tages-Anzeiger». Das Land mit 26 Millionen Einwohnern sei auf den Import von Grundnahrungsmitteln, Benzin und Strom angewiesen. Trotzdem beschlossen die Westafrikanischen Staaten (Ecowas), die Grenzen zu Niger zu schliessen. In wenigen Tagen seien die Preise um einen Viertel angestiegen.

Bereits im letzten Jahr seien vier Millionen Menschen in Niger von Mangel- und Unterernährung betroffen gewesen. Wegen einer anhaltenden Dürre drohten auch dieses Jahr grössere Ernteverluste.

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Grafikquellen        :

Oben      —     Map of Niger

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Politik – Reden + Ausreden?

Erstellt von Redaktion am 24. Juli 2023

Ein bisschen weniger Block, bitte

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Ein Debattenbeitrag von Bernward Janzing

Klimabewegung versus Anti-AKW-Aktivisten. Die Klimabewegung könnte viel von der einstigen Anti-AKW-Bewegung lernen. Die sah, der Sache wegen, über viele politische Differenzen hinweg.

Was auch immer man vom Atomausstieg hält – eines ist klar: Die Anti-Atom-Bewegung war im Sinne ihres Ziels erfolgreich. Spät zwar, aber immerhin. Womit sich die Frage stellt: Was können andere Bewegungen – speziell Klimaaktivisten – von diesem Erfolg lernen?

Vor allem dieses: Die Anti-Atom-Bewegung war für Akteure aller gesellschaftlichen Strömungen offen. Sie agierte milieuübergreifend, sie grenzte niemanden aus. Sie war im besten Sinn divers, nämlich im Sinne einer weltanschaulichen Vielfalt.

So kämpften Menschen zusammen, die in anderen politischen Fragen oft meilenweit auseinanderlagen – konservative Winzer vom Kaiserstuhl und linke Studenten zum Beispiel. Weil die Akteure souverän genug waren, den Charme des pluralistischen Widerstands anzuerkennen, rückten ideologische Differenzen in den Hintergrund. Ausschlaggebend war allein das gemeinsame Ziel. „Man hat nicht gefragt: woher kommst du?“ – das ist ein Satz, den man immer wieder hört, wenn die Widerständler von einst zurückblicken.

Ungestüme Offenheit

Verglichen damit kommt die Klimabewegung kleingeistig daher. Sie verprellt und verstößt potenzielle Mitstreiter, die nicht ins ideologische Raster passen. Symbolhaft zeigt sich das am Beispiel Boris Palmer. Beim Klimaschutz sind Palmers Verdienste offenkundig, seine Positionen engagiert. Dennoch gilt er vielen in der Bewegung, wie er einmal sagte, als „nicht satisfaktionsfähig“, weil er in anderen politischen Fragen nicht auf Linie ist.

Die Anti-Atom-Kämpfer von einst waren hingegen stoisch genug, jeden Querkopf einzubinden, solange er ihren Widerstand mittrug. Diese ungestüme Offenheit machte die Bewegung stark und letztlich erfolgreich – gemäß dem Motto: Die Welt ist bunt, und das ist gut so. Die Klimabewegung hingegen erscheint als monolithischer Block. Sie werfen die bittere Frage auf: Wie will eine gesellschaftliche Bewegung, die sich vor allem auf Talkshow-kompatible Phrasen und blindwütige Aktionen stützt, erfolgreich sein?

Was dann nahtlos zum zweiten Problem der Klimabewegung führt: Ihr fehlt das Konstruktive. Während aus der Anti-Atom-Bewegung heraus Firmen entstanden, um die Energiewende voranzubringen (viele davon gibt es noch heute), während mancher AKW-Gegner eine einschlägige Ausbildung machte, gehen Klimabewegte heute mitunter den konträren Weg und brechen ihre Ausbildung ab. Sie wollen Vollzeitprotestierer werden. Schon allein dieser Unterschied sagt einiges über die verschiedenen Mentalitäten.

Zu paternalistisch

Nun wäre es ungerecht, die einzelnen Akteure der Klimabewegung nur persönlich für diese Entwicklung anzuklagen. Vielmehr ist jede Bewegung auch ein Kind ihrer Zeit und reflektiert damit die Befindlichkeiten der aktuellen Gesellschaft – und diese ist heute eben reichlich paternalistisch geprägt. Einzig und allein in einer Gesellschaft, die Eigenverantwortung immer weniger einfordert, konnte der Ansatz „Staat, jetzt mach mal gefälligst“ zum Leitbild einer Bürgerbewegung werden.

Dem Erfolg dienlich ist diese passive Haltung nicht. Hingegen gab es in der Anti-Atombewegung Macher. Aktivisten gründeten das Öko-Institut, weil sie Wissenschaft abseits der Atomlobby betreiben wollten. Andere bauten Solarkollektoren, noch andere gründeten gleich einen eigenen Stromversorger, wie die Bürger von Schönau nach der Katastrophe von Tschernobyl. Die Schwarzwälder wollten keinen Atomstrom mehr und kauften deswegen kurzerhand das örtliche Stromnetz (was insofern zwingend war, weil vor der Marktliberalisierung der Inhaber des Netzes noch entscheiden konnte, welchen Strom er verkaufte).

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Auch dieses Beispiel zeigt, dass eine Bewegung Erfolge nur erzielen kann, wenn es ihr gelingt, Menschen jeder politischen Couleur einzubinden. Das nämlich war auch in Schönau nötig, wo zwei Bürgerentscheide zu bestehen waren. Doch das Arbeiten an Mehrheiten ist aufwendig; sich spektakulär festzukleben und anschließend mit Floskeln die Abendprogramme zu füllen ist einfacher – auf Dauer aber auch weniger wirkungsvoll.

Der Gipfel der Kreativität

Gleichwohl, um nicht unfair zu sein: Die Anti-Atom-Bewegung hatte noch die Chance, all das zu schaffen, was sie am Ende tatsächlich schuf. Die Klimabewegung hat diese Chance nicht mehr, weil sie in einer Zeit lebt, in der es längst alles gibt. Ein Öko-Institut muss heute niemand mehr gründen, nachdem inzwischen – von Staat und Stiftungen alimentiert – NGOs das Land zu allen erdenklichen Themen mit ihrer Weltsicht fluten. Auch Solarkollektoren muss heute niemand mehr im Keller bauen, Ökostromversorger niemand mehr gründen.

Womit sich die entscheidende Frage stellt: Was bleibt einer Generation an Eigeninitiative, wenn schon alles da ist, was die Energiewende braucht? Bleiben da wirklich nur noch bizarre Klebeaktionen als der vermeintliche Gipfel der Kreativität?

Quelle          :           TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben        —     Menschenkette gegen Atomkraft am 12. März 2011 zwischen Stuttgart und AKW Neckarwestheim

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Vollbremsung oder Crash?

Erstellt von Redaktion am 19. Juli 2023

Das Zeitfenster zur Begrenzung der Klimakatastrophe schließt sich

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Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Jürgen Tallig

Die Menschheit befindet sich in einer Vielfachkrise. Sie bewegt sich mit weit offenen Augen immer schneller auf einen großen Krieg, möglicherweise einen Weltkrieg, also einen Atomkrieg zu. Die Welt teilt sich offenbar erneut in Blöcke, die sich zunehmend unversöhnlich gegenüberstehen. Zig Milliarden werden für eine sich ausweitende Spirale der Zerstörung und des Tötens ausgegeben und fehlen woanders, um Leben zu retten und zu schützen und die eskalierende Klimakatastrophe einzudämmen.

Wissenschaftler sprechen längst von Alarmstufe Rot, vom „Klima-Endspiel“, einem beispiellosen Artensterben, einem globalen Notstand, vom vielfachen Überschreiten planetarer Grenzen, von drohenden Kippprozessen und fordern einen sofortigen Kurswechsel, um die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens und des Artenschutz-abkommens einzuhalten und eine weitere Eskalation der globalen Katastrophe zu verhindern.

Doch die zukunftsbedrohende Vielfachkrise der Menschheit verschwindet hinter einem Schleier von symbolischer Politik und Nebensächlichkeiten. Die Klimaschreckensmeldungen aus aller Welt und die immer ernsteren Mahnungen und Warnungen der Wissenschaft und der Klimaberichte erreichen immer nur kurz die mediale Oberfläche, um sofort wieder in einem Meer von populistischer Manipulierung und kunterbunter Abstumpfung zu versinken. Optimismus beruht bekanntlich auf Mangel an Information und auf dem Übermaß an nicht relevanten Informationen.

Weder die Gesellschaft, noch die Politik haben scheinbar den wirklichen Ernst der Lage begriffen, siehe die Gemeinsame Erklärung von Wissenschaftlern, Klimaaktivisten und Bürgerrechtlern zur Räumung von Lützerath,

http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/meinung/umsp1215.html

geschweige denn, dass man zu einem wirklichen Kurswechsel bereit wäre.

Die Stimmen des fossilen „Weiter so!“ sind noch viel zu laut in der Gesellschaft und die Macht der Fossillobby scheint ungebrochen.

Darauf angesprochen, dass die derzeitige Politik die Klimaziele missachte und daher rechtswidrig sei, äußerte Minister Habeck, dass es dann künftig höhere negative Emissionen geben müsse und offenbarte damit eine fahrlässige Unkenntnis der naturwissenschaftlichen und juristischen Faktenlage.

Defizite der Klimapolitik

Es ist ja leider so, dass das überlebenswichtige Klimathema in den letzten drei Jahren in der Politik und auch in der Öffentlichkeit durch andere Themen in den Hintergrund gedrängt wurde. Erst durch die Corona-Pandemie und jetzt durch den Krieg, die vermeintliche Energiekrise und die Aufrüstungsdebatte. Das führte zu einem klimapolitischen Rollback und dazu, dass die Klimaverpflichtungen des Pariser Klimavertrages international aber auch national nicht eingehalten werden und somit eine völlig ungebremste weitere Eskalation der Klimakatastrophe droht.

Es ist notwendig, auf dieses Defizit der Klimapolitik und auf die drohende Gefahr einer nicht mehr rückholbaren Klimakatastrophe hinzuweisen und die Öffentlichkeit zu mobilisieren, um die Politik endlich zu problemadäquatem Handeln zu bewegen.

Die Aktivisten der Letzten Generation, mit denen wir solidarisch sein sollten (obwohl ich die Beschädigung von Kunst ablehne) weisen mit ihren spektakulären Aktionen besonders auf die Fortführung einer rechtswidrigen, unverantwortlichen Verkehrspolitik hin, die fortwährend gegen die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes verstößt.

Das führte dazu, dass mittlerweile der BUND, der größte Umweltverband Deutschlands, Klage gegen die Bundesregierung beim Oberverwaltungsgericht eingelegt hat, – wegen Nichteinhaltung des Klimaschutzgesetzes. Es ist aber auch höchste Zeit, zu klären, wer denn eigentlich die Gesetzesverletzer sind. Die Reaktion der Bundesregierung war eine Änderung des Klimagesetzes, als Bewertungsgrundlage ist jetzt das Gesamtbudget zu betrachten, so dass einzelne Bereiche nun nicht mehr angreifbar sind. Das sind Taschenspielertricks!

Es gilt unverändert die Taktik: Ausweichen und auf die lange Bank schieben.

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Morgen, Morgen nur nicht Heute, sagen alle faulen Leute und die sehen wir hier!

Gleichzeitig spekuliert man über massive Subventionen für energieintensive Industrien.

Wir sind die letzte Generation

die die Klimakatastrophe noch begrenzen kann. Der Klimaschutz muss endlich den Vorrang erhalten, der ihm auf Grund des Ernstes der Lage, also der Gefahr einer sich selbst verstärkenden Erderhitzung durch das Überschreiten von Kipppunkten gebührt.

Hier hat die „Letzte Generation“, in letzter Zeit den Staffelstab übernommen und sehr mutig und phantasievoll das Thema wieder nach vorne gebracht. Und keinesfalls nur mit Klebeaktionen, wie uns die bürgerlichen Medien weismachen wollen, sondern mit einer Vielzahl unterschiedlichster Aktionsformen.

Sei es die Besetzung des „Adlon“ und das Entrollen eines großen Transparentes „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“, die Blockade des Hamburger Hafens, die „Verschönerung“ der RWE-Filiale mit roter Farbe, die Teilnahme an Protesten gegen ein Straßenbauprojekt in der Wuhlheide, das symbolische Abdrehen des Gashahnes in der Raffinerie Schwedt, – das geht schon alles in die richtige Richtung, wird aber gerne totgeschwiegen. Unterstützung kommt von Bürgermeistern, Museumsdirektoren, Wissenschaftlern. So manche altkluge Kritik sollte hier nicht an die Aktivisten gehen,

sondern an die Besserwisser, die sich lieber zurücklehnen und zuschauen, obwohl sie doch auch die Letzte Generation sind.

„Es rettet uns kein höheres Wesen“ und auch kein imaginäres Subjekt der ökologischen Wende aus dem Süden. Von dort werden sogar bald Dutzende und hunderte Millionen Klimaflüchtlinge nach Norden aufbrechen, weil ihre Heimat unbewohnbar geworden ist.

Die Zeit wird knapp und die Klimawende muss vor allem und zuerst im Norden stattfinden.

Die Erderhitzung beschleunigt sich

Die Erderhitzung und der Klimawandel beschleunigen sich immer weiter.

Die neuesten Entwicklungen sind erschreckend. So gibt es einen erneuten Negativrekord beim Schwund des Antarktischen Meereises. Das Tempo des Meeresspiegelanstiegs hat sich seit 1993 verdoppelt. Voriges Jahr erreichte die Erhöhung der globalen Mitteltemperatur bereits 1,26 Grad und sie nimmt mittlerweile bereits um über 0,2 Grad pro Jahrzehnt zu und all dies beschleunigt sich immer weiter.

https://www.energiezukunft.eu/klimawandel/erde-erwaermt-sich-schneller/

Asien ächzt dieses Jahr unter einer Hitzewelle (in Indien 45-50 Grad Celsius) und leidet unter zunehmendem Wassermangel. Die Gletscher des Himalaya schmelzen rasant.

Doch auch Südeuropa, Nordafrika und die südlichen USA (etwa 100 Millionen Menschen) sind von extremer Hitze betroffen, die teilweise schon wochenlang anhält.

Das führte auch zu verheerenden Waldbränden,- die in Kanada sind nicht zu löschen. Sie nebeln nicht nur New York und die Ostküste der USA ein, sondern haben inzwischen auch Europa und höhere Luftschichten erreicht, wo der Rauch die Wolkenbildung verändert und die Ozonschicht schädigt.

Es wird zudem vielfach eine extreme Erwärmung der Meere und Ozeane beobachtet. Darüber hinaus wird inzwischen mit 80%iger Wahrscheinlichkeit mit einer El Nino- Phase gerechnet, einer periodisch wiederkehrenden Wetteranomalie, die die Temperaturen zusätzlich nach oben treibt und für zusätzliche Wetterextreme sorgt.

Während sich Deutschland in diesem Frühjahr und Frühsommer sehr häufig unter dem Einfluss kalter Luft aus dem Norden befand und es häufigere Niederschläge gab, ist Südeuropa von Hitze und Dürre extrem betroffen. Austrocknende Seen und Flüsse, eine weiter erhöhte Waldbrandgefahr und eine massive Beeinträchtigung der Wasserversorgung und der Landwirtschaft stellen für viele heute schon die Existenzfrage,- doch auch Deutschland ist keine Insel der Seligen.

Längst ist das Wetter zum „Un“-Wetter geworden. Wir haben die atmosphärische Zirkulation über Europa grundlegend verändert, wie das absonderliche Jo-Jo-Wetter zeigt, das uns im Wechsel arktische Polarluft oder subtropische Warmluft beschert und die Niederschläge verschoben hat. In Europa hat sich zudem zwischen 1991 und 2021 die Oberflächentemperatur um unglaubliche 0,5 Grad pro Jahrzehnt erhöht. Die Erwärmung über Land ist viel stärker als über den Ozeanen und Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt.

Wir haben jetzt „erst“ eine um etwa 1,2 Grad Celsius erhöhte globale Mitteltemperatur erreicht. Was passiert dann aber bei den zu erwartenden globalen 2,7 oder 3,2 Grad, oder gar bei 4 oder 5 Grad globaler Temperaturerhöhung?

»Wenn wir global bei 3 Grad landen, drohen Deutschland etwa 6 Grad«

Der bekannte Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf hat sich jüngst in einem Interview mit Spektrum der Wissenschaften geäußert:

https://www.spektrum.de/news/klimakrise-stefan-rahmstorf-im-interview/2121369

„Wenn wir global tatsächlich bei drei Grad landen werden, drohen Deutschland etwa sechs Grad Erwärmung.“ sagt Prof. Rahmstorf.

„Landgebiete erwärmen sich etwa doppelt so rasch wie der globale Mittelwert, der zu 70 Prozent aus Meerestemperaturen gebildet wird. Hier zu Lande ist in der Vergangenheit die Temperatur daher etwa doppelt so stark gestiegen wie im globalen Mittelwert von 1,1 Grad. Wir sind in Deutschland inzwischen bei rund 2,3 Grad Erwärmung angelangt.…“

Seine größte Sorge ist, „Dass wir unumkehrbare Dinge in Gang setzen. Nicht nur die berühmten Kipppunkte, sondern ganze Kaskaden von Kipppunkten, die dann zum unaufhaltsamen Selbstläufer werden. …“

Abschließend stellt der Professor etwas resigniert die polemische Frage, ob denn die Entscheidungsträger, wenigstens die Zusammenfassungen der Berichte des Weltklimarates lesen würden… Er stelle immer wieder fest, dass das Wissen bei den Entscheidern unvorstellbar begrenzt ist.

Lizenz zum Klimakillen

Eine neue Studie namhafter Klimawissenschaftler, mit der IPCC-Methodik, aber unter Berücksichtigung der neuesten Forschungsergebnisse

https://www.energiezukunft.eu/klimawandel/erde-erwaermt-sich-schneller/

, kommt zu dem Ergebnis, dass das CO?- Budget nur noch halb so hoch ist, wie bisher angenommen. Dazu muss man wissen, dass die IPCC-Berichte des Weltklimarates nur alle sechs Jahre erscheinen und wesentlich auf konservativen Forschungsergebnissen des zurückliegenden Zeitraums beruhen, die aber durch das Tempo der Veränderungen oftmals schon überholt sind.

Weiterhin muss man wissen, dass das in den IPCC- Berichten ermittelte CO?- Budget, Grundlage der internationalen und nationalen Klimapolitik ist und die Höhe der tolerierbaren Restemissionen vorgibt. Kritiker dieser fragwürdigen und teils höchst spekulativen Berechnungen, nennen dies die Erteilung der „Lizenz zum Klimakillen“.

Nicht zu Unrecht. Hier wird die Möglichkeit zur CO?- Rückholung in großem Stil fest einkalkuliert, obwohl diese rein spekulativ und kaum umsetzbar ist.

Nach den neuesten Forschungsergebnissen müsste eigentlich bei der nächsten UN-Weltklimakonferenz, der COP 28 im November, ein neues, strengeres CO?- Budget beschlossen werden. Auch die Bundesregierung müsste dann, bei einem nur noch halb so hohen Budget, laut Klimaschutzgesetz ihre Klimaziele- und Maßnahmen erheblich verschärfen. Doch sie hält ja nicht einmal die derzeitigen, völlig ungenügenden Verpflichtungen ein, da Wirtschaftswachstum und Profit absoluten Vorrang haben.

Die Subventionierung der Klimakatastrophe

Fossile Energie und klimazerstörender Verkehr werden nachwievor hoch subventioniert, laut Umweltbundesamt mit über 65 Milliarden Euro pro Jahr,- was nicht länger hinnehmbar ist.

Diese umweltschädlichen Subventionen sind insgesamt weit höher als die Ausgaben für den Klimaschutz. Dazu gehören zum Beispiel:

8,4 Milliarden Euro für die Befreiung des Luftverkehrs von der Energiesteuer,

8,2 Milliarden Steuernachlass für Dieselkraftstoff,

6.0 Milliarden für die Pendlerpauschale,

5,2 Milliarden Steuernachlässe für tierische Lebensmittel,

2,1 Milliarden für kostenlose CO2-Emissionsrechte an Unternehmen,

1,9 Milliarden Energiesteuerbefreiung für energieintensive Industrien.

Dieses viele Geld müsste in den öffentlichen Verkehr und in sonstigen Klimaschutz umgeleitet werden. Auch eine wirksame CO2-Steuer könnte direkt zur Finanzierung des ÖPNV und z.B. zur Einführung von 100% Ökologischer Landwirtschaft beitragen, um unsere Insekten und Vögel zu retten. Klima- und Naturschutz und die massive Subventionierung fossiler Energie und von Autoverkehr sind nicht vereinbar.

Die Bundesregierung will das Energieproblem perspektivisch mit dem beschleunigten Ausbau Erneuerbarer Energien lösen, doch die können maximal ein Drittel des derzeitigen viel zu hohen Energieverbrauchs abdecken. Zudem werden gleichzeitig weiterhin kostenlose CO2- Emissionszertifikate ausgegeben, bis mindestens 2034, deren Menge sich nur allmählich reduzieren soll, so dass der Emissionshandel erst mal zahnlos bleibt und nicht die nötige Lenkungswirkung entfalten kann, zumal viel zu viele Zertifikate auf dem Markt sind (EU-Emissionshandel verschärft, Kostenlose Zuteilung fällt und CO2-Grenzausgleich kommt – pv magazine Deutschland).

https://www.pv-magazine.de/2022/12/19/eu-emissionshandel-verschaerft-kostenlose-zuteilung-faellt-und-co2-grenzausgleich-kommt/

Missachtung des Vorsorgeprinzips

Die einzig hinreichend regulierungsfähige Macht, der Staat, befindet sich offenbar in allen großen westlichen Ländern nachwievor fest in der Hand kapitalhöriger Kräfte, die nicht die Interessen der Bürger und der Umwelt, sondern eben vor allem die Interessen des Großkapitals und der fossil-mobilen Großkonzerne vertreten,- woran in Deutschland bisher auch die Regierungsbeteiligung der GRÜNEN nichts ändern konnte. Klimaschutz zu realisieren, bedeutet eben auch Schutz und Ausbau der Demokratie gegen den illegitimen Zugriff mächtiger Minderheiten. Klimaschutz und Demokratie werden im Moment zusehends als Wachstumshemmnisse betrachtet, die in der allgemeinen Mobilmachung für den globalen Konkurrenzkampf stören, wie die zunehmende mediale Hetze gegen die „Letzte Generation“ und ihre verschärfte juristische Verfolgung zeigen.

Es ist unübersehbar, dass die aktuelle Politik vorrangig zugunsten der Interessen einer kleinen, reichen Minderheit handelt und die Interessen der kommenden Generationen missachtet. Damit wird aber die Lage weiter eskaliert zu einer Klimakatastrophe die nicht mehr gestoppt oder rückgängig gemacht werden kann. Hier wird weder „Schaden vom deutschen Volke abgewendet“ und auch die Lebensgrundlagen werden nicht gesichert, sondern das Vorsorgeprinzip wird aus aktuellen Macht- und Profitinteressen sträflich missachtet, – insofern ist dieses (Nicht)Handeln nicht nur verantwortungslos, sondern rechtswidrig.

Diese fahrlässige Politik zu Lasten der kommenden Generationen missachtet aber nicht nur das Vorsorgeprinzip sondern beruht außerdem auf der weit verbreiteten, völlig spekulativen Annahme, dass künftig riesige Mengen CO2 aus der Atmosphäre zurückgeholt und die Temperaturen wieder gesenkt werden können. Die Inkaufnahme des Überschreitens der Temperaturgrenzen, die ja gar nicht zeitweilig sein kann, ist unverantwortlich und kommt einem Todesurteil für hunderte Millionen Menschen gleich. Im Bereich von Kipppunkten und einer sich selbst verstärkenden Erderhitzung gibt es kein Zurück.

Klimaungerechtigkeit

Inzwischen können wir die Klimakatastrophe nicht mehr verhindern sondern nur noch verlangsamen und begrenzen, – doch wir beschleunigen sie immer weiter.

Weshalb zeigen sich die EU und Deutschland (selbst mit grüner Regierungsbeteiligung) unfähig und unwillig die notwendigen Maßnahmen einzuleiten, obwohl man doch gleichzeitig hunderte von Milliarden Euro für dubiose Corona-„Wiederaufbauprogramme“, für Aufrüstung und für Energiesubventionen ausgibt, die man offenbar als systemrelevant betrachtet? Die rechtlichen Verpflichtungen zum Klimaschutz missachtet man hingegen und macht sich damit sogar strafbar. In der Logik des kapitalistischen Wachstumssystems ist Klimaschutz offenbar nicht „systemrelevant“, sondern systembedrohend, da er ein schnelles „Weniger“, statt des beständigen „Immer mehr“ erfordert, das ja die Grundlage für das Funktionieren des ganzen Systems ist.

Es gibt offenbar einen antagonistischen Widerspruch zwischen den dominanten Gegenwartsinteressen, die vorwiegend Wachstums, Profit- und Konsuminteressen sind und den Interessen der jungen Generation, der Ärmeren, der Bauern, des Südens und der kommenden Generationen an der Sicherung der Lebensgrundlagen und der Zukunft. Siehe hierzu das bemerkenswerte „Manifest der Völker des Südens – Für eine ökosoziale Energiewende“, https://infobuero-nicaragua.org

das unbedingt diskutiert und weiterverbreitet werden sollte.

Der Klimakonflikt ist natürlich auch ein nationaler und globaler Konflikt zwischen Arm und Reich, da die reichen 10 % in Deutschland und Europa in etwa genauso viele Treibhausgase verursachen, wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung (Klaus Dörre, Die Linke muss sich neu erfinden- aber wie?, LUXEMBURG 1/2022, Seite 119.und weltweit verursachen: „Die reichsten 1 % der Weltbevölkerung doppelt so viel Emissionen, wie die ärmeren 50 %, oder die reichsten 0,5 % so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung!“ (Quelle: Stockholm Environment Institut 2020). Was für eine ungerechte Welt! Um Klimagerechtigkeit herzustellen, müssten die reichen 10 % in Deutschland Ihre Emissionen übrigens auf ein Dreißigstel reduzieren.“ (Quelle: Dörre, 2022).

Beim derzeitigen „Endspiel um die Zukunft“ (Der Rabe Ralf April/Mai 2023, S.16-17)

https://www.grueneliga-berlin.de/publikationen/der-rabe-ralf/aktuelle-ausgabe/endspiel/

geht es von daher nicht nur ums Klima, sondern um reale Macht, es geht um Gerechtigkeit und Gestaltungsmacht für die kommenden Generationen, um eine dauerhaft mögliche, zukunfts- und friedensfähige Gesellschaft.

Die derzeitige Zukunftsblockade spaltet die Gesellschaft und wird durch die Klimakrise, die Aufrüstung, aber auch durch die nur vermeintlich klimafreundliche „grüne“ Modernisierung ständig weiter verschärft und ist in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturen offenbar nicht auflösbar.

Vollbremsung oder Klimacrash

Wir werden jetzt die Klimakatastrophe begrenzen oder wir werden sie überhaupt nicht mehr begrenzen können, weil sie sich dann verselbständigt hat und selbst verstärkt.

Das meint ganz konkret den auftauenden Permafrost, das schwindende Meereis, die brennenden Wälder, -alles Verstärkungen der Erderhitzung, die bereits in vollem Gange sind, aber in diesen Budgetzahlenspielereien gar nicht berücksichtigt werden.
Wir sind weiter völlig ungebremst in Richtung Klimakatastrophe unterwegs. Laut einer aktuellen Studie der Weltmeteorologieorganisation WMO, https://library.wmo.int/index.php?lvl=notice_display&id=22083#.Y5HsjMuZMY0
könnte eine Erderwärmung von 1,5 Grad bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre erreicht sein und damit eine eskalierende Klimakettenreaktion drohen.

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Die weitere Verschärfung der Klimakatastrophe bedroht direkt die Gesundheit und das Leben der Menschen. Jede Tonne CO? die ausgestoßen wird, führt dazu, dass noch mehr Menschen unter Hitzewellen, Extremwetter, Dürren, Hunger und sich ausbreitenden Krankheiten leiden werden. 2022 gab es in Europa bereits 60000 Hitzetote, in Deutschland waren es 8000 und das ist erst der Anfang. Jede weitere Tonne CO? destabilisiert die Lebensbedingungen der Zukunft weiter, – deshalb muss Schluss sein mit dem Kohle-und Autowahnsinn,- das sind wir unseren Kindern und Enkeln schuldig. Man kann eine sich aufschaukelnde Klimakatastrophe nicht später wieder rückgängig machen, genauso wenig wie den Tod. Deshalb müssen wir uns heute für das Leben entscheiden.

Trägheit der Herzen und Strukturen

Ein „Weiter so“ scheint aber vielen immer noch das geringere Übel. Groß sind die interessegeleiteten Trägheitskräfte in der Gesellschaft und bei jedem Einzelnen, eingeübte Routinen von Pflichterfüllung und vorauseilendem Gehorsam.

Der Wahnsinn, wenn er epidemisch wird, heißt Vernunft.“ wie der französische Philosoph Baudrillard treffend formulierte. Unsere derzeitige Wirtschafts- und Lebensweise ist nicht nur imperial, sondern zerstörerisch und bedeutet faktisch einen permanenten Krieg gegen das Klima, die Biosphäre und andere Kulturen, wird aber nachwievor als fortschrittlich, rational und alternativlos dargestellt und verteidigt. Doch wir sind nicht die Vernünftigen,

-wir Biedermänner sind die Brandstifter. . .

Und so werden wir wahnsinnig Vernünftigen die Welt in den Abgrund der Klimahölle befördern, nicht aus böser Absicht, sondern aus Trägheit und Bequemlichkeit, aus Gewohnheit und Pflichtgefühl, weil wir nicht bereit sind unsere gewohnte Komfortzone zu verlassen,- auch wenn wir schon den Rauch und die Hitze des großen Feuers spüren.

Wie man die Trägheit der Herzen und Strukturen noch rechtzeitig überwinden kann, ist inzwischen eine Überlebensfrage…“ schrieb ich bereits 2017.

Jeder Krieg geht vorbei, jedoch die Klimakatastrophe beginnt gerade erst und wird eine lebensbedrohliche Dynamik entfalten, die das Überleben der Menschheit gefährdet.

Das müssen wir endlich zur Kenntnis nehmen und endlich entsprechend handeln.

Krieg oder Frieden?

Sei es gegen eine klimafeindliche Energiepolitik (Lützerath), eine rechtswidrige Verkehrspolitik (Letzte Generation und FfF), gegen Aufrüstung und Waffenexporte, wie jüngst in Berlin,- es regt sich Widerstand, die Menschen werden aktiv, bekennen Farbe und fordern eine andere Politik. Die Friedenstaube war auf der Friedensdemo der 50000 auf vielen Transparenten, Plakaten und Ansteckern unübersehbar.

Das macht Mut und war zwar kein „Aufstand“, aber ein Aufbruch ganz gewiss, in dem viele den Beginn einer neuen Friedens- und Bürgerbewegung sahen. Höchste Zeit wäre es. Auch dass sich Friedens- und Klimabewegung zusammenfinden und viele andere Initiativen, um den verpassten „Aufbruch21“ doch noch nachzuholen (siehe Der Rabe Ralf, Februar/März 2021, Seite 15). So zeigte der gemeinsame Klimastreik von Fridays for Future und VERDI am 03.03.2023 mit über 220000 Teilnehmern, was schon alles möglich ist.

Frieden (auch mit der Natur), Klimaschutz, Gewaltfreiheit und Gerechtigkeit könnten und sollten dabei die verbindenden Gemeinsamkeiten sein, denn nur eine Gesellschaft, die sich in diese Richtung verändert, wird den Herausforderungen der Gegenwart gewachsen sein und Lösungen und nicht Probleme produzieren.

Eine Politik des Friedens

Eine wirksame, globale Klimapolitik ist nicht möglich, wenn jede Regierung nur den gegenwärtigen Vorteil ihres Landes sucht und vor allem der reiche Westen seine Gewinnerposition mit allen Mitteln bewahren will.

Früher oder später prallen die Interessen auch militärisch aufeinander, wenn man sich nicht beschränken und verständigen will, wie wir gerade erleben müssen. Es ist höchste Zeit, zu erkennen, dass unendliches Wachstum in einer endlichen Welt auf die irreversible Zerstörung der Lebensgrundlagen hinausläuft und nur Frieden untereinander und Frieden mit der Natur eine dauerhaft mögliche Lösung sind.

Wir entscheiden jetzt über Leben und Tod, über die Zukunft der vielen Milliarden Menschen, die noch nach uns auf der Erde leben wollen.

Um das Feuer der Klimakatstrophe zu löschen, ist ein wirklicher Machtwechsel und ein grundlegender Um-Rück- und Neubau der Gesellschaften weltweit notwendig. Es geht um den Aufbau von Gesellschaften und stationären Ökonomien, deren zentrales Paradigma nicht Wachstum um jeden Preis, sondern der Fortbestand des Lebens und der Menschheit ist, wobei die westlichen Industriegesellschaften voran gehen müssen. Hier noch einmal die

Konturen einer sozial-ökologischen Transformation

(zuerst in Tarantel 93, Auszug aus „Die Freiheit der Anderen“)

https://www.oekologische-plattform.de/2022/02/tarantel-nr-93-ii-2021/

* Grundlegender Umbau des Steuersystems, ökologische Steuerreform: Belastung des Energie- und Rohstoffverbrauchs, Entlastung der lebendigen Arbeit, regenerativer Energien und des öffentlichen Verkehrs, Reichensteuer. Preisreform: Verteuerung von Energie und Rohstoffen, ein progressiv schnell steigender CO?-Preis von mindestens 60 Euro pro Tonne, nicht gedeckelt und subventioniert, aber natürlich sozial abgepuffert für Geringverdiener und kleinere Unternehmen. Abschaffung des Bruttosozialprodukts zugunsten eines Ökosozialprodukts, Bilanzierung und Besteuerung der Unternehmen nicht nur nach ökonomischen Kennzahlen, sondern ebenso nach ökologischen und sozialen Kriterien.

* Einführung einer möglichst globalen, stetig steigenden Transportsteuer zur Eindämmung der Globalisierung und des ausufernden Verkehrs.

* Grundlegender Umbau der Finanzordnung: Geld als reines Tauschmittel, Abschaffung des Kapitalzinses und der leistungslosen Spekulations- und Aktiengewinne, Bankensystem als reine Dienstleistung in öffentlicher Hand, Geldmengenbegrenzung und friedliche Kapitalvernichtung.

* Sofortprogramm-Nahziele: sofortiger Kohleausstieg, sofortige Abschaffung und Umlenkung der Subventionen für fossile Energien, Einführung einer hohen Kerosinsteuer, Ausstieg aus dem motorisierten Individualverkehr, Tempolimit, kostenloser ÖPNV, 100 Prozent ökologische Landwirtschaft, Wiederaufforstung, Wiedervernässung von Mooren, Verbot von Einwegflaschen und -verpackungen, Verbot von Werbung für Umwelt- und gesundheitsschädliche Produkte, Zerschlagung unkontrollierbarer Konzern- und Kartellstrukturen.

Es gilt weltweit, die Debatte über eine gesellschaftliche Alternative jenseits des Wachstums wiederzubeleben, über eine sozial gerechte, lebensdienliche Ökonomie und Gesellschaft, die nicht länger die Natur, den Süden und die Zukunft zerstört. Es gilt eine breite Öffentlichkeit zu überzeugen, dass eine andere Welt nicht nur immer dringender nötig, sondern auch möglich ist und wie diese andere Welt und die Wege dahin aussehen könnten.

Entscheidung für das Leben

Aktuell geht es natürlich zuallererst um Frieden, um den Stopp von Aufrüstung und Waffenlieferungen und die Verhinderung eines neuen Wettrüstens.

Fossile Brennstoffe werden nach jüngsten Schätzungen (2022) mit jährlich 554 Milliarden Dollar subventioniert und in ihr Militär stecken die Länder der Welt pro Jahr rund zwei Billionen Dollar. Beide Zahlen haben sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine noch einmal erheblich erhöht. Um das ins Verhältnis zu setzen, der Weltklimarat IPCC erachtet als nötig: Es müssten alljährlich 1,6 bis 3,8 Billionen Dollar ausgegeben werden, um eine Klimaerwärmung um mehr als 1,5 Grad Celsius zu verhindern.

Weiter „Öl“ ins Feuer der Klimakrise zu gießen (egal woher es kommt), ist genauso unsinnig und unverantwortlich, wie die Lieferung von immer mehr Waffen in Krisengebiete und das dadurch bedingte weitere Anheizen kriegerischer Konflikte.

Es gilt militärisch, aber auch energetisch und ökonomisch abzurüsten und eine gerechte, global wirksame neue Sicherheits- und Kooperationsstruktur zu schaffen und die freiwerdenden Mittel in die Sicherung der Lebensgrundlagen und die Verhinderung der Klimakatastrophe umzulenken. Wir brauchen die Friedensdividende für die globale Klimawende. Insofern ist Friedenspolitik die beste Klimapolitik und Voraussetzung und Schlüssel für die Bewältigung der sich zuspitzenden Existenzkrise der Menschheit.

Der Autor war 1989 Mitbegründer des Neuen Forums in Leipzig

Weitere Informationen unter:

www.earthattack-talligsklimablog.jimdofree.com

Urheberrecht
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Grafikquellen      :

Oben      —     Folgen der globalen Erwärmung: Anstieg des Meeresspiegels auf den Marshallinseln (Luftaufnahme aus dem Dokumentarfilm One Word von 2020)

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Mitwelt Stiftung Oberrhein

Erstellt von Redaktion am 13. Juli 2023

Am 19.7.1973 (vor 50 Jahren) wurde Wyhl zum Standort für das später verhinderte Atomkraftwerk

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Quelle         :     Mitwelt Stiftung Oberrhein Venusberg 4, 79346 Endingen

Von         :         Axel Mayer

Vor 50 Jahren hatte die Umweltbewegung am Oberrhein einen ersten, großen Erfolg. Die Verantwortlichen des Energiekonzerns Badenwerk (heute EnBW) und die Landesregierung erkannten, dass der Atomkraftwerksstandort Breisach politisch nicht durchsetzbar war. Zu stark war der Protest der mehrheitlich konservativen Bevölkerung am Kaiserstuhl. Kurzerhand wurde die Planung 13 Kilometer nach Norden verschoben. Am 19. Juli 1973 wurde erstmals der neue Standort eines Atomkraftwerkes in Wyhl bekannt.

Es war eine spannende Zeit des Umbruchs in einer Phase extremer Umweltverschmutzung in Nachkriegsdeutschland und Europa. Nach den noch eher zaghaften Protesten gegen die Verschmutzung der Wutach und gegen die AKW in Breisach und Schwörstadt verstärkte sich der Protest. Der Nachkriegsglaube an das unbegrenzte Wachstum bekam erste Risse. Aus konservativen Nur-Naturschutzverbänden wurden politische Umweltverbände und im Elsass, in der Nordschweiz und Südbaden schwoll der Protest gegen umweltvergiftende Industrieanlagen und geplante Atomkraftwerke zu einer massiven Protestbewegung an.
Die heutigen (Teil-)Erfolge für Mensch und Umwelt in Sachen Luft- und Wasserqualität sind auch diesen frühen Kämpfen zu verdanken.

Es ging den Menschen nicht nur um die Bedrohung durch das AKW in Wyhl sondern auch um ein, im benachbarten Marckolsheim (F) geplantes, extrem umweltbelastendes Bleichemiewerk. Bei einem vergleichbaren Bleiwerk in Nordenham waren damals gerade sechzehn Kühe an Bleivergiftung gestorben, 69 Rinder mussten notgeschlachtet werden …
Die Menschen auf beiden Seiten des Rheins begannen erstmals nach dem Krieg in einer kleinen, alemannischen Internationale grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. Sie träumten und realisierten den Traum vom grenzenlosen Europa der Menschen und der verzweifelte Kampf gegen Blei und Atom begann.

Ein „Fenster der Möglichkeiten“ öffnete sich und beherzte Menschen aus dem Elsass und Baden begannen mit Informationsarbeit, Demonstrationen und der Vorbereitung der beiden Bauplatzbesetzungen in Wyhl und Marckolsheim(F). Aus den frühen erfolgreichen Kämpfen für Luftreinhaltung 1974 auf dem besetzten Platz in Marckolsheim entwickelte sich der Kampf gegen das Waldsterben 1.0. Langfristig gesehen liegen auch wichtige Wurzeln der heutigen Klimaschutzbewegung in diesen frühen Konflikten.

Die erfolgreiche AKW-Bauplatzbesetzung in Wyhl 1975 war ein wichtiger Impuls für die Besetzungen in Kaiseraugst(CH) und Gerstheim(F). Auch der Traum von einem schlagbaumlosen Europa der Menschen und von den kommenden erneuerbaren Energien wurde geträumt und angegangen. Doch nach kurzer Seit schloss sich das „window of opportunity“ und in Grohnde und Brokdorf war eine Wiederholung der Erfolge von Ober- und Hochrhein nicht mehr möglich.

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5 Jahrzehnte nach diesen trinationalen Umwelt-Konflikten, nach dem Streit um Gorleben und Wackersdorf und den Atomkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima wurden in Deutschland die letzten Atomkraftwerke abgestellt. In diesen 50 Jahren gab es (gerade auch beim aktuellen Atomausstieg) immer ein zentrales Hintergrund-Thema, das bei den Konflikten um Kohle und Atom und beim Streit für die erneuerbaren Energien in der öffentlichen Debatte selten erwähnt wurde. Der Streit der Lobbyisten für Atom, Gas, Öl- und Kohle und ihr jahrzehntelanger Kampf gegen die Erneuerbaren war immer ein Konflikt um das Energieerzeugungsmonopol und um die Gewinne der mächtigen Energiekonzerne.

Die Verhinderung des AKW in Wyhl, des Bleiwerks in Marckolsheim und der Atomausstieg am 15.4.23 waren schon erstaunlich. Seit wann setzen sich in a »rich man´s world« die Vernunft gegen die Macht, die Nachhaltigkeit gegen die Zerstörung und die Kleinen gegen die Großen durch?

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein

Der Autor war Sprecher der ehemaligen BI Riegel, (alt-)Bauplatzbesetzer und dreißig Jahre lang BUND-Geschäftsführer in Freiburg

Mehr Infos: https://www.mitwelt.org/kein-akw-in-wyhl.html

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Grafikquellen      :

Oben      —        Die Kritik am KKW Wyhl war Ende der 1970er Jahre noch subtil: unter dem Schild „Mafia“ ist „Kraft“ eingemeißelt

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Unten      —     Aufkleber gegen den Bau des Kernkraftwerkes Wyhl, 1975

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Die Anti-AKW-Bewegung

Erstellt von Redaktion am 4. Juli 2023

Es ist noch nicht vorbei

Ein Debattenbeitrag von Reimar Paul

Die Anti-AKW-Bewegung bleibt auch nach Abschalten der Meiler nötig: Das Müllproblem bleibt, Atomforschung und Brennstäbeproduktion gehen weiter.

Am 15. April war Schluss. Eine Minute vor Mitternacht ging mit dem Reaktor Neckarwestheim II das letzte von einst 36 Atomkraftwerken in Deutschland vom Netz. Die Produktion von Atomstrom und Atommüll ist seitdem Geschichte – ein jahrzehntelanger gesellschaftlicher Großkonflikt scheint mit einem großen Erfolg der Anti-AKW-Bewegung be­endet. Schließlich hat sie mit langem Atem mächtige Gegenspieler aus Wirtschaft und Politik zum Umlenken gebracht. Zahlreiche geplante Atomkraftwerke wurden nie gebaut, nukleare Wiederaufarbeitungsanlagen im Wendland und in Wackersdorf verhindert, den Anstoß für den Siegeszug der erneuerbaren Energien gab die Bewegung ebenfalls. Wie viele Gerichtsbeschlüsse und vor allem das Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigen, wurde auch die Demokratie in der Wilstermarsch und in Gorleben verteidigt.

Dennoch fiel die Freude über das AKW-Aus bei vielen aus der Bewegung eher verhalten aus. Denn der Konflikt um Atomkraft und Energiewende ist mit der Abschaltung der Meiler nicht vorbei. Nicht nur der laufende Betrieb von Atomkraftwerken, auch der sich über Jahrzehnte hinziehende Abriss birgt Gefahren. Zehntausende Tonnen teils stark verstrahlten Schrotts müssen abgetragen und abtransportiert werden. Die Strahlenschutzverordnung erlaubt es, radioaktiv belastetes Material wie kontaminierten Bauschutt oder Metallteile als „normalen“ Müll zu entsorgen – sofern ein bestimmter Grenzwert nicht überschritten wird. Erst vor wenigen Tagen sorgte die Meldung für Unruhe, dass der Betreiber des Gorlebener Zwischenlagers Hauben von Castorbehältern bei einem örtlichen Schrotthändler entsorgen ließ. Vollständig ist der Atomaussstieg auch nicht: Die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherungsanlage in Gronau, die Atomkraftwerke in halb Europa mit frischem „Brennstoff“ beliefern, haben unbefristete Betriebsgenehmigungen. Die Lingener Fabrik will ihre Produktion in einem Joint Venture mit dem russischen Atomkonzern Rosatom sogar ausweiten und Brennstäbe künftig auch nach Osteuropa exportieren. Diverse Forschungsreaktoren sind ebenfalls noch in Betrieb. Und in die Atomforschung etwa in Karlsruhe oder Aachen fließen nach wie vor erhebliche Summe aus öffentlicher Hand.

Noch nicht einmal ansatzweise erledigt hat sich das Atommüllproblem. Es betrifft einerseits die neu aufgerollte Suche nach einem Endlager für die hochradioaktiven Abfälle. Nachdem die mit der Suche betraute Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) 2020 einen ersten Zwischenbericht veröffentlichte, der mehr als die Hälfte des Bundesgebietes als potenziell geeignet ausweist, soll die Suche zunächst im Verborgenen weiterlaufen. Es besteht die Gefahr, dass die BGE erst in einigen Jahren weitere Gebietsausschlüsse veröffentlicht, wenn sie Standortregionen benennt, die ober­irdisch geprüft werden sollen. Damit blieben die Betroffenen erneut außen vor. Maßgeblich dem Einsatz Anti-AKW-Bewegter ist es zu verdanken, dass diese „Transparenzlücke“ wenigstens öffentlich problematisiert wurde. Völlig ungeklärt ist der dauerhafte Verbleib des schwach und mittelradioaktiven Atommülls. Zwar wird dafür seit Jahren das frühere Eisenerzbergwerk Konrad umgebaut, doch der Standort steht nach massivem Bürgerprotest auf der Kippe. Die Kritik: Konrad entspricht nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik, es handelt sich um ein altes Bergwerk, es gab kein vergleichendes Auswahlverfahren. Außerdem wäre Konrad viel zu klein – für die Abfälle, die aus dem maroden Atomlager Asse geborgen werden sollen, und für die Rückstände aus der Urananreicherung gäbe es dort gar keinen Platz.

Ebenso umstritten ist das auf dem Gelände des früheren AKW Würgassen in Nordrhein-Westfalen geplante Bereitstellungslager, in dem die Abfälle für Konrad zunächst gesammelt und neu verpackt werden sollen. Durch dieses Lager würde sich die Zahl der gefährlichen Atommülltransporte durch Deutschland deutlich vermehren. Dazu kommt: Die Genehmigungen für die in den vergangenen Jahrzehnten an den AKW-Standorten hochgezogenen Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle laufen in absehbarer Zeit aus. Ein Endlager wird wohl erst zur Jahrhundertwende betriebsbereit sein. Bis dort alle rund 1.900 Castoren aus den 16 Zwischenlagern eingelagert sind, werden weitere Jahrzehnte vergehen.

Quelle        :           TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben           —       Zehntausende Menschen demonstrierten am 6. September 2009 in Berlin gegen Atomkraft. Das Motto: Endlich mal abschalten.

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Von DIE LINKE

Erstellt von Redaktion am 3. Juli 2023

Bundesregierung reißt Frist zur Evaluierung des Strukturwandels
in den Kohlerevieren.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von DIE LINKE. im Kreistag Rhein-Erft

LINKE Abgeordnete aus den Revieren veröffentlichen Positionspapier.

Zum 30. Juni 2023 ist es gesetzlich vorgeschrieben, den Strukturwandel in den Kohlerevieren mitFokus auf Wertschöpfung, Arbeitsmarktsituation und das kommunale Steueraufkommen zuevaluieren (Investitionsgesetz Kohleregionen, § 26). Die Federführung liegt beim Bundesministeriumfür Wirtschaft und Energie. Aus diesem Anlass präsentieren die Fraktionen der LINKEN in denKohlerevieren pünktlich zum Stichtag ein gemeinsames Positionspapier. Darin fordern sie mehr Bürgerbeteiligung, schärfere Förderkulissen zugunsten nachhaltiger und tarifgebundenerIndustriearbeits- und -ausbildungsplätze sowie eine dezentrale Energieerzeugung mit Stärkung derkommunalen Familie.

Bereits zum 15. August 2022 hatte die Bundesregierung eine Evaluierungsfrist verstreichen lassen. In§ 54 fordert das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz eine Zwischenbilanz zu den Konsequenzendes Kohleausstiegs für die Versorgungssicherheit, die Zahl und installierte Leistung der von Kohle aufGas umgerüsteten Anlagen, die Wärmeversorgung sowie die Strompreise.

Martin Schirdewan, Co-Vorsitzender der Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament,erklärt:„Es markiert ein wirtschafts- und sozialpolitisches Versagen der Bundesregierung, dass sie erneut diegesetzlichen Fristen reißt und es offenbar nicht für nötig hält, die Öffentlichkeit rechtzeitig über denStand und die Auswirkungen des Strukturwandels im Hinblick auf die Kommunen, die Wirtschaft unddie Arbeitsplätze zu informieren. Die Verunsicherung wächst und die extreme Rechte kocht daraufihre braune Suppe. Umso dringender ist es, dass der nötige Umbau in den Braunkohlerevieren sozialgerecht gelingt und die Menschen dabei mitbestimmen können – schließlich geht es um ihre Arbeitund ihre Zukunft. Ein gelingender Strukturwandel wäre auch ein starkes Mitteln zur Sicherung unsererDemokratie. Daher ist die Politik hier in der Verantwortung: Da sozialer Zusammenhalt undKlimaschutz für die ganze Gesellschaft wichtig sind, muss der Umbau auch öffentlich organisiertwerden – und jetzt politische Priorität haben.“

Hans Decruppe, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Kreistag Rhein-Erft, fügt hinzu:„Als langjähriger Lokalpolitiker muss ich zum Stand des Strukturwandelprozesses im RheinischenRevier feststellen, dass eine transparente und veränderungswirksame Beteiligung der kommunalenEbene, der Bürgerinnen und Bürger und der Zivilgesellschaft nicht erfahrbar ist. Der Wandel vollziehtsich über den Köpfen der Menschen. Dieser Eindruck wurde inzwischen auch wissenschaftlichbestätigt.Als Gewerkschafter blicke ich natürlich auf soziale Sicherheit und auf die wirtschaftliche Entwicklungunserer Region. Dass die milliardenschwere Projektförderung gute, d.h. tarifgebundene,mitbestimmte und zukunftsfähige Arbeitsplätze insbesondere im Industriebereich schafft, ist zumjetzigen Stichtag spekulativ. Zu widersprüchlich und völlig unkonkret sind die Aussagen der grünenWirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen. Und selbst der Umstieg auf erneuerbare Energiequellenist viel zu lahm. Dabei benötigt die Region mit ihren energieintensiven Branchen – wie Chemie undAluminium – Energieversorgungssicherheit. Von einer ‚Europäischen Modellregion fürEnergieversorgungs- und Ressourcensicherheit‘, wie es im Gesetz heißt, ist das Rheinische Revierjedenfalls meilenweit entfernt.“

Antonia Mertsching, Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag für Strukturwandel,Nachhaltigkeit und Umwelt, sagt:„Der Freistaat Sachsen hat es verpasst, eine erfolgreiche Regionalentwicklung anzustoßen undgemeinsam mit den Ländern Sachsen-Anhalt und Brandenburg eine länderübergreifende Strategiefür das Lausitzer und das Mitteldeutsche Revier zu entwickeln. Stattdessen wurde ein Verfahren zurVerteilung der Strukturwandelmittel auf den Weg gebracht, das intransparent, wenigbeteiligungsorientiert und zu wenig auf die Bedürfnisse der kernbetroffenen Gemeinden ausgerichtetist. Ökologische Ziele spielen leider auch überhaupt keine Rolle. Wir fordern daher einen Neustart imStrukturwandel! Nötig sind eine konkrete Strategie, eine gerechtere Verteilung der Mittel, mehrBeteiligung – vor allem von Kindern und Jugendlichen –, sowie bessere Planungs- undPersonalressourcen in den Gemeinden. Sonst wird es nichts mit dem eigenen Anspruch, europäischeModellregion der Transformation zu werden!“

Anke Schwarzenberg, Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Landtag Brandenburg fürStrukturwandel in der Lausitz, ländliche Entwicklung, Regionalplanung und Raumordnung,fügt hinzu:„Wir müssen Vertrauen in Veränderung schaffen, Fachkräfte sichern und die weichenStandortfaktoren künftig stärker fördern, damit der Strukturwandel in der Brandenburger Lausitzgelingt. Die finanziellen Mittel vom Bund sind eine riesige Chance. Es braucht aber mehr Transparenzund Bürgerbeteiligung, damit die Menschen in der Lausitz den Strukturwandel selbst gestalten undnicht über ihre Köpfe hinweg erleben. Das schwächt auch rechtsextreme Strukturen und stärkt dieDemokratie. Dem Fachkräftemangel setzen wir gute Arbeitsbedingungen, Tarifbindung undMitbestimmung entgegen. Hieran sollte die Fördermittelvergabe künftig geknüpft werden.Entscheidend sind zudem die weichen Standortfaktoren wie Schulen, Kitas und eine funktionierendeGesundheitsversorgung. Wir können mit den Fördergeldern eine lebenswerte Lausitz für alleBürgerinnen und Bürger schaffen. Lassen wir sie viel stärker mitreden, mitdiskutieren undmitentscheiden.“

Kerstin Eisenreich, Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Sachsen-Anhalt fürStrukturwandel, Agrar-, Energie-, Verbraucherschutzpolitik und ländliche Räume, sagt:„Der Start in die Umsetzung der Gesetze zum Strukturwandel in Sachsen-Anhalt wurde ziemlichverstolpert. Sehr spät wurden auf der Landesebene die Richtlinie erlassen undEntscheidungsstrukturen geschaffen, eine parlamentarische Begleitung fehlt bis heute. FehlendeBeteiligung der betroffenen Beschäftigten und Menschen im Revier vermitteln ihnen das Gefühl, dasserneut Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden, der Strukturwandel als bedrohlichempfunden wird und das Vertrauen in den Erfolg des notwendigen Transformationsprozesses geringist. Das muss sich aus unserer Sicht dringend ändern, auch weil die Prozesse weder transparentnoch nachvollziehbar und damit nicht geeignet sind, diese als Vorbild für andereTransformationsprozesse zu nutzen.Als Abgeordnete und Kommunalpolitikerin sehe ich in den Menschen und Kommunen das wichtigstePotenzial für den Strukturwandel. Ihre kreativen Ideen für die künftige Arbeits- und Lebensweltmüssen einfließen können. Das gilt insbesondere für die jungen Menschen, die eine Perspektive fürihre Zukunft in der Region brauchen und dabei selbst mit anpacken wollen. Nutzen wir diesesPotenzial!“

Andreas Schubert, Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag für Wirtschaft,erklärt abschließend:„Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet ist eine Verpflichtung aus demGrundgesetz und begründet somit die Notwendigkeit, den Strukturwandels in den Braunkohlerevierenmit dem Investitionsgesetz Kohleregionen aktiv politisch zu begleiten. Die Fehler aus derNachwendezeit mit tiefgreifenden Strukturbrüchen infolge der Deindustrialisierung ganzer Landstrichein Ostdeutschland haben jahrzehntelang abgehängte Regionen wie Ostthüringen hinterlassen. Dasdarf sich nicht wiederholen. Infrastruktur, zum Beispiel eine gute Bahnanbindung, spielt eine Schlüsselrolle für die Entwicklung neuer Wertschöpfungsketten mit zukunftssicherenIndustriearbeitsplätzen auch für das Altenburger Land, das Teil des mitteldeutschen Reviers ist.Deshalb ist die durchgehende Elektrifizierung der Mitte-Deutschland-Schienenverbindung einSchwerpunktprojekt für Thüringen. In Verbindung mit der Elektrifizierung der Strecke zwischen Zeitzund Gera kann die Anbindung des gesamten Ostthüringer Raums auch an den Fernverkehrverbessert werden.“

Urheberrecht
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Oben      —    Westlicher Ortseingang aus Richtung Landstraße 277 im Januar 2023

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Wasserstoff aus Chile

Erstellt von Redaktion am 25. Juni 2023

Schiefes Geschäft mit Wasserstoff aus Chile

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Aus Chile von Sophia Boddenberg

Deutschland will für die Energiewende grünen Wasserstoff aus dem windreichen Chile importieren. Das Land könnte dadurch eigene Umweltprobleme bekommen.

n der Heimat von Alejandro Núñez, der Insel Feuerland im chilenischen Patagonien, weht ein eisiger Wind. Er hat die knorrigen Bäume der Insel schräg zur Seite verbogen. Und er soll der deutschen Wirtschaft dabei helfen, klimaneutral zu werden. Der 45-jährige Tierarzt Alejandro Núñez ist stolz auf seine Heimat. „Ich wünsche mir, dass auch meine Kinder und Enkel noch diese unberührte Natur bewundern können“, sagt er und blickt auf einen See, die Laguna de los Cisnes. Núñez hat sich dafür eingesetzt, dass sie zum Naturschutzgebiet erklärt wurde.

Der südlichste Zipfel des amerikanischen Kontinents, nicht weit von der Antarktis entfernt, wird auch „das Ende der Welt“ genannt. Gletscher und Fjorde zeichnen die Landschaft, in der Königspinguine und Guanakos zu Hause sind. Auch hier macht sich der Klimawandel bemerkbar. Die Temperaturen steigen, es schneit und regnet weniger. Núñez hat die Organisation Ciudadanos y Clima („Bürger und Klima“) gegründet, um gegen den Klimawandel zu kämpfen. Er ist für eine Energiewende. Aber er macht sich Sorgen, dass seine Heimat den Preis für die Energiewende des Globalen Nordens zahlen muss. Obwohl dieser die Klima-krise überhaupt erst verursacht hat.

In der Región de Magallanes, die den chilenischen Teil der Insel Feuerland umfasst – ein anderer Teil gehört zu Argentinien – soll bald grüner Wasserstoff produziert und in die Welt exportiert werden. Tausende von Windrädern, Industrieanlagen, neue Straßen und Häfen sollen in den nächsten Jahren gebaut werden. Wasserstoff ist ein Gas; wenn er mit erneuerbaren Energien hergestellt wird, spricht man von „grünem Wasserstoff“.

Da der Transport in Gasform teuer und die Wege zu den Importländern lang sind, sollen zunächst Folgeprodukte wie Methanol, synthetische Kraftstoffe und Ammoniak exportiert werden, für die es bereits Schiffe und Tanks gibt. In der Nähe von Punta Arenas betreibt das kanadische Unternehmen Methanex eine Methanolanlage und einen Hafen.

Die Hoffnung der deutschen Energiewende

Grüner Wasserstoff soll eine wichtige Rolle in der deutschen Energiewende spielen, weil er vielfältig einsetzbar ist: zum Beispiel als Ersatz von fossilem Gas oder als synthetischer Kraftstoff in Industrie und Verkehr. „Wenn wir nicht 5 oder 10 Prozent der Landesfläche mit Windkraftanlagen vollstellen wollen – das halte ich für absurd – brauchen wir Wasserstoffimporte“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Februar 2022.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, kündigte auf ihrer Südamerikareise im Juni einen Fonds von 225 Millionen Euro an, um Wasserstoffprojekte zu fördern. Bis 2030 will die Europäische Union 10 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff jährlich importieren. Mit Chile habe sich die EU darauf geeinigt, „an einer strategischen Partnerschaft für nachhaltige Rohstoffe“ zu arbeiten, sagte von der Leyen auf der Pressekonferenz in Santiago.

Nach Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums müsste Deutschland etwa 70 Prozent seines Bedarfs an grünem Wasserstoff importieren. Der grüne Wasserstoff könnte zum einen als Basis für die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen und Ammoniak eingesetzt werden, beispielsweise in der Stahlherstellung und Chemieindustrie, heißt es in der Nationalen Wasserstoffstrategie. Zum anderen könnte er als Energiespeicher dienen, er lässt sich nämlich wieder in Strom zurückverwandeln.

Derzeit ist die Herstellung von grünem Wasserstoff teuer und energieaufwändig. Deshalb fördert das Bundeswirtschaftsministerium Pilotprojekte in möglichen Partnerländern, die aufzeigen sollen, „ob und wie grüner Wasserstoff und dessen Folgeprodukte dort nachhaltig und wettbewerbsfähig produziert und vermarktet werden können“, heißt es weiter in der Nationalen Wasserstoffstrategie. Der internationale Handel mit Wasserstoff sei „ein bedeutender industrie- und geopolitischer Faktor“. Gefördert werden Projekte in Ländern wie Brasilien, Marokko, Ägypten oder auch in Chile.

Das Land sei ein „Paradies für erneuerbare Energien“, sagt Reiner Schröer, Leiter des Programms für Erneuerbare Energien der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in seinem Büro in einem gläsernen Hochhaus in Santiago de Chile. Das liege zum einen an der „Verfügbarkeit von Flächen“ und zum anderen am starken Wind in Patagonien und der hohen Sonneneinstrahlung in der Atacama-Wüste.

Einer Analyse der GIZ und des chilenischen Energieministeriums zufolge habe Chile das Potenzial, 70-mal so viel Strom aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen, wie es für den Eigenbedarf braucht. Das schmale Land in Südamerika könnte demnach die Hälfte des Bedarfs an grünem Wasserstoff von einem Industrieland wie Deutschland abdecken. Chile sei außerdem ein „Experimentierfeld“, das deutschen Unternehmen erlaube, „Technologien zu testen“, so Schröer.

Auch Chile hat eine Nationale Wasserstoffstrategie. Sie sieht vor, dass das Land bis 2030 das wichtigste Produktions- und Exportland von grünem Wasserstoff weltweit werden und diesen zum niedrigsten Preis von 1,50 US-Dollar pro Kilo Wasserstoff anbieten soll. Momentan liegt der Preis zwischen 10 und 15 US-Dollar pro Kilo.

Ein Problem ist bisher noch der lange Transportweg. Einer Studie der GIZ zufolge sind die Produktionskosten von grünem Wasserstoff in Chile aber so niedrig, dass der Transport nur einen Bruchteil der Kosten ausmachen würde. Aber die Schiffe, die den grünen Wasserstoff oder seine Folgeprodukte transportieren sollen, werden derzeit noch mit Schweröl betankt. „Das ist das größte Problem zurzeit, nachhaltige Lösungen für den Schiffstransport zu finden“, sagt Schröer von der GIZ.

Die GIZ berät das chilenische Energieministerium im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Mehr als 60 Projekte für die Produktion von grünem Wasserstoff sind in Chile geplant, die vor 2030 in Betrieb gehen sollen.

Ein Rettungsanker für deutsche Sportwagen

Zurück in Patagonien. Rund 30 Kilometer nördlich von Punta Arenas läuft Rodrigo Delmastro über eine Baustelle. Ein eisiger Wind pfeift, Bagger dröhnen und graben Erde aus. Das Zementfundament für das erste Windrad ist bereits gegossen. Es ist die Baustelle eines der Pilotprojekte, die das Bundeswirtschaftsministerium fördert. 8,23 Millionen Euro haben Siemens Energy und Porsche für das Projekt Haru Oni erhalten. Es ist die weltweit erste kommerzielle Anlage zur Herstellung von E-Fuels. Beteiligt sind auch der US-Ölkonzern ExxonMobil, der italienische Energieversorger Enel sowie die chilenischen Unternehmen ENAP und Gasco.

Hier vermisst er gerade die Welt mit seinen Hammelpfoten

Rodrigo Delmastro ist Geschäftsführer des chilenischen Unternehmens Highly Innovative Fuels (HIF), Partner von Porsche und Siemens Energy und verantwortlich für die Projektentwicklung. „In den nächsten zehn Jahren wollen wir hier 14 Millionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre filtern“, sagt er mit vor Stolz glänzenden Augen. Dafür soll das Verfahren „Direct Air Capture“ angewandt werden – eine Technologie, die sich noch im Entwicklungsstadium befindet. Das Ziel des Pilotprojektes sei es, „die verschiedenen Technologien im Produktionsprozess zu integrieren und davon zu lernen.“ Es sei „ein Experiment“.

Während der Pilotphase soll die Anlage 130.000 Liter E-Fuels pro Jahr produzieren, bis 2026 dann bis zu 550 Millionen Liter im Jahr. Die E-Fuels sollen im Motorsport und in Seriensportwagen eingesetzt werden. So will das Unternehmen unter anderem den berühmten Rennwagen Porsche 911 und seinen röhrenden Motorsound retten.

„Wir werden einen Kraftstoff produzieren, der in konventionellen Autos verbraucht werden kann. So muss die Technik des Autos nicht zu einem Elektroauto umgewandelt werden“, sagt Delmastro.

In Deutschland setzt sich vor allem die FDP für den Einsatz von E-Fuels in Verbrennungsmotoren ein. Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP steht in engem Kontakt mit Porsche-Chef Oliver Blume. Das Verbrenner-Aus in der EU wurde mit einer Ausnahme beschlossen – mit E-Fuels betriebene Neuwagen mit Verbrennungsmotoren dürfen auch nach 2035 zugelassen werden. Und Lindner will für diese Fahrzeuge Steuererleichterungen durchsetzen.

Porsche ist Mitglied der E-Fuel-Alliance, einem Industrieverband von 130 Automobil- und Mineralölunternehmen. Diese haben ein besonderes Interesse an E-Fuels, weil sie den Verbrennungsmotor länger am Leben erhalten und über das bestehende Tankstellennetz vertrieben werden können.

Die Anlage Haru Oni in Punta Arenas hat Lindner schon mehrfach als Vorzeigeprojekt gelobt. Im Dezember 2022 nahm sie ihren Betrieb auf. Angetrieben mit Windstrom spaltet ein sogenannter Elektrolyseur Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Der Wasserstoff wird in Verbindung mit aus der Luft gefiltertem CO2 in Methanol und schließlich in E-Fuels verwandelt, strombasierte Kraftstoffe. E-Fuels gelten als „klimaneu­trale Kraftstoffe“, weil beim Verbrennen genau so viel Kohlenstoffdioxid entsteht, wie vorher bei der Herstellung aus der Atmosphäre gefiltert wurde. Was diese Klimabilanz aber nicht berücksichtigt, sind die Emissionen, die der Transport in Tankern verursacht, und die Umweltfolgen bei der Herstellung.

Auswirkungen auf die Umwelt

Auch Alejandro Núñez hat vom Projekt Haru Oni gehört. In der Pilotphase läuft die Anlage mit nur einem Windrad. Langfristig sollen aber große Windparks mit bis zu 1.000 Windrädern entstehen, auch auf der Insel Feuerland, wo Núñez lebt. Er macht sich unter anderem Sorgen um die Vögel, die in den vielen Windrädern sterben könnten. „Ich bin für saubere Energie, aber nicht, wenn dafür die Umwelt zerstört wird“, sagt er.

Außerdem sorgen ihn die Abfälle, die bei der Produktion der E-Fuels entstehen könnten. Chile leidet unter einer schweren Dürre, auch in Patagonien ist das Grundwasser knapp. Für die Elektrolyse wird aber Wasser benötigt. Deshalb wollen die Unternehmen für das Projekt Haru Oni eine Meerwasserentsalzungsanlage bauen. Doch die Anlage produziert nicht nur Wasser, sondern auch ein Abfallprodukt: konzentrierte Salzlake.

In Chile gibt es bereits Meerwasserentsalzungsanlagen, vor allem für den Bergbau im Norden des Landes. Sie leiten die Abfälle ins Meer zurück. Der erhöhte Salzgehalt des Wassers könnte Auswirkungen auf das marine Ökosystem haben, die noch nicht erforscht sind.

Quelle        :         TAZ-online          >>>>>     weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —         Wasserstofffabrik von Praxair, USA

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Unten         —       Christian Lindner, Mitglied des Deutschen Bundestages, während einer Plenarsitzung am 11. April 2019 in Berlin.

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Ein Unsozialer Ausstieg?

Erstellt von Redaktion am 20. Juni 2023

 Unter den Preisen werden in erster Linie die Ärmeren leiden

Radioactive keeper drums.JPG

In unmittelbarer Nähe von Atommüll-Lagerstädten sind sicher noch Wohnungen frei

Ein Debattenbeitrag vin Leon Holly

Das Ende der AKW-Nutzung verschärft die sozialen Verwerfungen der Energiewende. Die kleine Stromverbraucherin subventionierte industrielle Windparkbetreiber und gut betuchte Eigenheimbesitzer.

Mitte April war es also vorbei. In Deutschland gingen auch die letzten drei Kernkraftwerke vom Netz. Vor allem im Lichte der Klimakrise erschien die Reihenfolge der deutschen Energiewende – erst aus der Atomkraft raus, dann aus der Kohle, und dann irgendwann auch aus dem Gas – mit der Zeit immer merkwürdiger. Statt mit der Kohle anzufangen, entledigte man sich zunächst einer fast CO2-freien Energiequelle.

Neben dem Weltklima leidet aber auch das oft beschworene soziale Klima unter dem Atomausstieg. Der Plan, das Stromnetz von fossiler und atomarer Grundlastversorgung auf 100 Prozent Erneuerbare umzustellen, bringt nämlich gewaltige Kosten mit sich bringt, unter denen besonders die Ärmsten ächzen.

Zwar können Fotovoltaik und vor allem Windkraft im Alltag recht billig Strom gewinnen. Doch die Gesamtkosten für die Transformation des Energiesystems sind gewaltig. So wollen die Treiber der Energiewende in den kommenden Jahrzehnten eine riesige Infrastruktur aus Kurzzeit- und Langzeitspeichern aus dem Boden stampfen, die bei Bedarf für die wetterabhängigen Erneuerbaren einspringen können. Darüber hinaus muss Deutschland auch das Stromnetz aus- und umbauen, neue Versorgungsleitungen legen und zur Harmonisierung der vielen dezentralen Energiequellen die Digitalisierung voranbringen. Schon heute sehen sich die Netzbetreiber häufig gezwungen, mit teuren „Redispatches“ (Anpassungen) einzugreifen, um Stromproduktion und -nachfrage im Gleichgewicht zu halten.

Alle diese Maßnahmen vergrößern die Rechnung für die Energiewende. Man könnte diese Kosten abmildern, würde man statt der Totaltransformation die Atomkraft als CO2-armen Grundlastsockel für Wind und Sonne beibehalten oder sie gar weiter ausbauen, wie es andere Länder planen. Schon 2021 zog der Bundesrechnungshof bittere Bilanz: Die Energiewende „droht Privathaushalte und Unternehmen finanziell zu überfordern“; die Kosten des Netzumbaus „treiben den Strompreis absehbar weiter in die Höhe“. Dazu kommt der Preis der CO2-Zertifikate, der in den kommenden Jahren weiter steigen und die noch fest verankerte fossile Grundlastproduktion mit Kohle und Gas verteuern wird.

Am Ende zahlen die Verbraucherinnen. Erst vor Kurzem hat die Bundesregierung die EEG-Umlage gestrichen, mit der alle Stromkunden jahrelang den Ausbau von Solar- und Windkraft bezuschussten. Auch die kleine Stromverbraucherin subventionierte darüber großindustrielle Windparkbetreiber und gut betuchte Eigenheimbesitzer, die Solarzellen auf ihre Dächer pflasterten – eine Umverteilung von unten nach oben. Nach über zwanzig Jahren Energiewende und Subventionen in Höhe von Hunderten Milliarden Euro hat Deutschland nicht nur das fossillastigste Netz Westeuropas, sondern auch mit die höchsten Strompreise auf dem Kontinent. Teuer an der Kernenergie wiederum ist vor allem der Bau von AKWs. Im Alltagsbetrieb produzieren sie hingegen effektiv und damit auch günstig Strom, wie Zahlen der Internationalen Energieagentur zeigen – Endlagerungs- und Rückbaukosten eingeschlossen. Besonders eine Laufzeitverlängerung bestehender Meiler hätte also ein Gegenmittel für steigenden Strompreise sein können.

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Die Politik hat mittlerweile erkannt, dass der Abbau gesicherter Leistung zum Problem werden könnte – und setzt deshalb bei der Nachfrage an. Das Umweltbundesamt bezeichnet „die Reduktion des Energieverbrauches“ als „eine der größten Herausforderungen der Energiewende“. Um das Stromsparen zu erleichtern, sollen alle Anbieter variable Stromtarife anbieten: Der Preis wird dann stündlich schwanken, abhängig davon, ob die Sonne gerade scheint oder der Wind weht.

Bis 2032 will die Bundesregierung zudem digitale Strommessgeräte in jedes Haus bringen. Auf den sogenannten Smart Metern können Kunden in Echtzeit erkennen, wie hoch der Strompreis ist und ihr Verhalten daran anpassen. „Demand Management“ nennt die Regierung das. Was nach neoliberalem Sprech klingt, atmet auch ebenjenen Geist: Sind die Strompreise in der Dunkelflaute gerade hoch, werden sich Menschen mit geringem Einkommen wohl zweimal überlegen, ob sie sich den Tarif leisten können. Sie werden einfach aus dem „dynamischen“ Markt gedrängt – oder müssen entsprechend Geld berappen.

In Großbritannien will die Regierung Smart-Meter-Nutzern nun sogar Geld für eingesparten Strom bezahlen. Kritiker warnen zu Recht: Arme Menschen, die bereits nicht viel Energie nutzen, könnten ihren Basisverbrauch noch weiter einschränken, um am Ende des Monats etwas mehr Geld auf dem Konto zu haben. Die gesicherte Leistung aus AKWs könnte solche Angebots- und Preisschwankungen abschwächen. Der Kurs der Bundesregierung droht indes auch hierzulande, den Armen eine neue Art der Austeritätspolitik aufzuerlegen: Sobald die Gesellschaft zum Sparen aufgerufen wird, spüren es die Armen als Erste.

Quelle         :       TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Vessels used for keeping the used radioactive waste. OAP stands for w:Office of Atoms for Peace. OAEP stands for w:Office of Atomic Energy for Peace.

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Sackgasse Flüssiggas

Erstellt von Redaktion am 2. Juni 2023

Fossile Projekte dürfen nicht an den Verpflichtungen aus dem Klimaschutzgesetz vorbei geplant werden

LNG terminal Wilhelmshaven.

Ein Debattenbeitrag von Francesca Mascvha Klein

Überkapazitäten, hohe Kosten, mehr Abhängigkeit von fossiler Energie – das LNG-Gesetz sendet ein fatales Signal. Es ginge auch anders.

Vor knapp einem Jahr hat die Ampel-Regierung ein Gesetz verabschiedet, welches den Bau und die Zulassung von rund 12 Terminals zum Import von Flüssiggas – auch unter dem Kürzel LNG („Liquified Natural Gas“) bekannt – an den deutschen Küsten beschleunigen soll. Hintergrund war, dass die Gaslieferungen aus Russland gekappt wurden. Schon damals warnten Ex­per­t*in­nen vor Überkapazitäten, einer Verschwendung öffentlicher Gelder und der verstärkten Abhängigkeit von Gas. Trotzdem werden munter weiter Pläne für noch mehr fossile Infrastruktur geschmiedet: Im Hafen von Mukran auf Rügen soll nun ein weiterer LNG-Standort entstehen – in einer Geschwindigkeit, die als „Deutschland-Tempo“ gefeiert wird.

Aber ein „Deutschland-Tempo“, das den Umweltschutz und die Einbindung der Öffentlichkeit auf ein Minimum beschränkt und Klimaverpflichtungen vollkommen außer Acht lässt, ist kein Grund zum Feiern. Sinn der Verfahrensschritte – die nach dem LNG-Beschleunigungsgesetz nun ausgespart werden sollen – ist, auch die Anliegen von An­woh­ne­r*in­nen und Umweltschutz frühzeitig zu berücksichtigen. Das ist, auch wenn es Zeit kostet, eine politische Errungenschaft und macht Entscheidungen rechtlich weniger angreifbar.

Die andauernden Proteste gegen die Errichtung des Terminals vor Rügen weisen deutlich auf die immensen Auswirkungen auf Umwelt, Menschen und Klima hin. Eine Aufnahme dieser Vorhaben in das LNG-Gesetz – wie es der derzeitige Entwurf vorsieht – würde es rechtlich erleichtern, Einwände und Proteste zu übergehen. Umwelt- und klimapolitisch wäre es also stattdessen dringend geboten, die Liste der Vorhaben im Einklang mit den Klimazielen zu kürzen und die Auslastung sowie die Laufzeit der Terminals zu deckeln.

Der letzte Winter ist Vergangenheit. Der deutsche Energiebedarf konnte gedeckt werden, nicht zuletzt durch Importe aus Nachbarländern. Zahlreiche Studien zeigen, dass über die geplanten Terminals wohl deutlich mehr Gas importiert werden kann, als wir in Deutschland auch in Zukunft brauchen. Auch Robert Habeck räumt ein, dass mit einer Überkapazität gerechnet wird. Aus seinem Ministerium heißt es – ohne dass dies mit Daten belegt wird –, man brauche das Gas, um die Nachbarländer zu versorgen.

Die Bundesregierung argumentiert, dass für Eventualitäten wie den Ausfall norwegischer Importe infolge eines Angriffs Vorsorge nötig sei. Mit solchen hypothetischen Schreckensszenarien ließe sich theoretisch jedes fossile Projekt ohne Beschränkung begründen. Und selbst wenn ein solch extrem unwahrscheinlicher Fall einträte, könnte dies laut des Gasspeicherverbands immer noch durch europäische Partner ausgeglichen werden. Nicht hypothetisch, sondern leider heute schon bittere Realität sind hingegen die katastrophalen Auswirkungen der Klimakrise, die sich durch Projekte wie diese verschärfen.

Zum Glück gibt es Alternativen: Klimaschutz und Versorgungssicherheit widersprechen sich nicht per se. Der Ausbau erneuerbarer Energien oder der effizientere Gebrauch von Energie dienen beiden Anliegen. Auch das LNG-Gesetz könnte beides in Einklang miteinander bringen. Für die Terminals könnte etwa gesetzlich festgeschrieben werden, dass sie in ihrer Laufzeit und Auslastung so beschränkt werden, wie es zur Einhaltung der Klimaziele notwendig ist. Im absoluten Notfall ließe sich eine derartige Beschränkung modifizieren oder aufheben. Zusätzlich muss klarer gesetzlich geregelt werden, dass die zuständigen Behörden solche Vorhaben nur dann zulassen dürfen, wenn ihre Vereinbarkeit mit dem Klimaschutzgesetz geprüft wurde.

Fossile Projekte dürfen jedenfalls nicht weiterhin an den Verpflichtungen aus dem Klimaschutzgesetz vorbeigeplant werden – und schon gar nicht im „Deutschland-Tempo“. Das Grundgesetz verlangt von der Politik einen klaren Weg zur Klimaneutralität. Das sollte sie auf der Basis eines modernen Verständnisses von Sicherheit tun, welches auch die Klimakatastrophe als Risikofaktor für die Menschheit angemessen berücksichtigt.

Beschleunigung ist kein Selbstzweck. Mit der Infrastruktur, die jetzt geschaffen wird, bindet sich die Politik für die Zukunft. Ist sie fossil, ebnet das entweder den Weg zur verschärften Klimakrise, oder es wird bald klar werden, dass öffentliche Gelder für Projekte verschwendet wurden, die niemandem nutzen. Mit dem Gasverbrauch, den das Klimaministerium für die Terminals zugrunde legt, reißt Deutschland seine Klimaziele. Außerdem bestehen Zweifel, ob die LNG-Infrastruktur überhaupt jemals auf klimafreundliche Weise genutzt werden kann.

Die fossilen Flüssiggas-Terminals sind also keine Brücke in eine klimafreundliche Zukunft, sondern größtenteils eine Sackgasse. Sich daraus wieder herauszumanövrieren könnte teuer werden: Es ist absehbar, dass die Bundesregierung angesichts der Klimakrise aus der Nutzung von Gas aussteigen muss – und die Gasindustrie dann unter Berufung auf das LNG-Gesetz und den Vertrauensschutz die Hand aufhalten wird.

Quelle         :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben       —     The floating LNG storage and evaporation ship Höegh Esperanza moored at LNG terminal Wilhelmshaven.

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Opfer der Parteipolitik

Erstellt von Redaktion am 15. Mai 2023

Das Wirtschaftsministerium schuf die Energie-Agentur einst in einer Nacht-und-Nebel-Aktion

Für Arbeiten zu denen Politiker-innen nicht fähig sind, sich aber bezahlen lassen, werden  Mitarbeiter aus den Clans oder der Wirtschaft gesucht !

Ein Debattenbeitrag von Christine Wörlen

Die Energieagentur dena stand immer unter politischem Einfluss. Ihr Hauptjob – die Fachberatung bei der Energiewende – wird so ausgebremst.

Die Deutsche Energie-Agentur (dena) ist in aller Munde. Das ist ein völlig neues Gefühl für die 400 Mitarbeitenden. Als die technische Werkbank der Energiewende würde sie eigentlich schon gerne viele Leute erreichen, aber natürlich nicht mit Skandalnachrichten. Aber bereits die Gründung dieser Bundes-GmbH im Jahr 2000 war von parteipolitischer Trickserei geprägt. Das Bundeswirtschaftsministerium schuf die Agentur, die eigentlich als Gemeinschaftsprojekt geplant war, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, um klarzustellen, wer hier das Sagen haben würde.

Besetzt wurde es auch schon damals mit einem Freund des Hauses, Stephan Kohler – der gleichzeitig ein enger Vertrauter von Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier war, der niedersächsischen SPD-Connection. Der Augsburger war zuvor bereits Chef der niedersächsischen Landesenergieagentur gewesen – technisch also qualifiziert. Politisch aber von Beginn an diskreditiert.

Das ganze Polittheater – damals wie heute – ist eine Katastrophe, denn es schadet dem so wichtigen Mandat einer Deutschen Energie-Agentur: die Energiewende mit Information und Kommunikation voranbringen, sie erklären und Bürger und Unternehmen zum Mitmachen motivieren. Das ist heute dringender notwendig denn je. Durch Putins Krieg und die Energiekrise haben auch die Grünen Probleme, diesem ebenso disruptiven wie langfristigen Transformationsprozess Richtung und Kontinuität zu geben. Und die Klima­kri­se hat leider keine Pause gemacht, während die Politik in den Merkel-Jahren schlief.

Dabei ist die Aufgabe der dena nicht das Machen von Politik. Vielmehr arbeitet die dena im vorpolitischen Raum – da, wo es an die Entwicklung von Ideen geht –, und bei der Umsetzung von Gesetzen. Gerade bei der Umsetzung der Energiewende fehlt es aktuell ganz massiv an Wissen.

Eine echte Deutsche Energiewende-Agentur müsste ein neutraler Informationsgeber für Ent­schei­dungs­trä­ge­r:in­nen sein. Das ist angesichts der vollkommen irrational aufgeladenen Debatte über „Habecks Heizhammer“ nötiger denn je. Zielgruppe der dena sind nicht (nur) Politiker:innen. Wirklich entscheidend ist die Information in die Breite. Energieverbrauchende, Haus­eigentümer:innen und Unternehmen praktisch aller Branchen benötigen leicht zugängliches Wissen darüber, wie sie ihren Energieverbrauch ohne Wohlfahrtsverluste einschränken und ganz praktisch auf erneuerbare Energien umsteigen können.

Hierzu kann die dena direkt beraten. Vor allem aber sollte sie auch Landes- und Kreisenergieagenturen, Verbraucherzentralen, Mietervereine, Schuldnerberatungen, Industrie- und Handelskammern und andere Organisationen in die Lage versetzen, selbst zu Energiewendemittlern zu werden. Diese Informationsfunktion kann keine andere staatliche Institution so systematisch wahrnehmen wie die dena, auch wenn sich die Verbraucherzentralen und NGOs redlich bemühen.

Aber die dena hat weitere wichtige Aufgaben. So leidet die deutsche Energiewende zum Beispiel unter einem erstaunlichen Datendefizit. Unsere Ent­schei­dungs­trä­ge­r:in­nen fliegen in weiten Bereichen im Blindflug oder zumindest in einem dichten Nebel. Wie der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, bereitwillig zugibt, kann er nur recht grob abschätzen, wie hoch der Wärmebedarf überhaupt ist. Aber Bauchgefühl kann teuer werden – zum Beispiel beim Gaseinkauf oder der Pacht von Flüssiggasstationen.

In Deutschland werden Energiedaten von der Industrie zusammengestellt. Früher von der sogenannten Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen, betrieben vom Braunkohleverband, heute vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Aber stellt die Gewährleistung der Energiesicherheit nicht eine hoheitliche Aufgabe der Daseinsvorsorge dar? Sollte nicht der Staat selbst sicherstellen, dass er jederzeit die Datenbasis für seine Entscheidungen hat? Im Strombereich, der von der Bundesnetzagentur reguliert wird, sieht es besser aus als in den Bereichen Gas und Wärme. Im Gebäudebereich gab es bis vor wenigen Jahren nicht einmal deutschlandweite Statistiken zur Zahl der Gebäude, geschweige denn zu ihrem Energieverbrauch. Auch hier muss die dena ansetzen.

Das führt zur dritten wichtigen Rolle, die die dena einnehmen sollte. Die dena ist eine Plattform für den Austausch zwischen den Akteuren der Energiewende. Das sind einerseits die Energieunternehmen. Aber dazu gehören auch die Ver­brau­che­r:in­nen und andere Gruppen. Sie haben eine – oftmals unnötige und übertriebene – Angst vor den Veränderungen, die Energiewende und Klimaschutz mit sich bringen. Neben den klassischen Zielgruppen Industrie und privaten Ver­brau­che­r:in­nen betrifft die Energiewende ja mittlerweile auch Kultureinrichtungen, Kirchen, Vereine, Medizin und Sportvereine. Die Energiewende und noch viel mehr der Klimaschutz sind Querschnittsthemen, die einen breiten gesellschaftlichen Diskurs benötigen.

Quelle        :         TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —     Head of dena (Deutsche Energieagentur = German Energy Agency) at the VDMA Conference in Berlin 2012

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Es war einmal….

Erstellt von Redaktion am 10. Mai 2023

So enden alle Ereignisse oder Zustände.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

So auch die US-Hegemonie oder „unipolare Weltbeherrschung“. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion endete 1991 eine weltpolitisch bipolare Situation der jüngeren Geschichte, und die USA behaupteten sich seitdem als Monopolist in der Weltpolitik.

Spätestens mit dem jämmerlichen Rückzug aus Afghanistan aber begann das Schwinden der US-Macht, das durch den fulminanten Aufstieg von China zur zweiten Volkswirtschaft der Welt ganz offensichtlich beschleunigt wird. Die Schwergewichte in der Welt verschieben sich seitdem deutlich in Richtumng eines multilarteralen Weltgeschehens. Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die USA und ihre Vasallen in den G7-Staaten wirtschaftlich und bevölkerungsmäßig deutlich schwächer sind als die im BRICS zusammengeschlossenen Staaten.

Allein China und Indien stellen 35 Prozent der Weltbevölkerung, während die USA es gerade auf 4,1 Prozent bringen. Und die überwiegende Weltbevölkerung will weg von der unilateralen, US-gesteurten „regelbasierten internationalen Ordnung“ hin zu einer multilateralen Verständigungen über die Regeln, nach denen die Völker der Welt miteinander umgehen wollen.

Der erste und in Anbetracht des Brutalo-Kapitalsimus wichtigste Schritt ist die Lösung vom US$ mit der Gründung der New Development Bank (BRICS-Bank) mit Sitz in Shanghai zur Abwicklung aller Geldgeschäfte zwischen den BRICS-Staaten in den Nationalwährung bzw. Yüan. Nun müssen sich Entwicklungs- und Schwellenländer nicht mehr einer peinlichen Prüfung ihrer Kreditwürdigkeit unterziehen, sondern können sich respektvoll z.B. mit China über ein Entwicklungsprojekt verständigen, ohne alles über den US$ abwickeln zu müssen und so die USA an einem Projekt mitverdienen zu lassen, für das sie sowieso kein oder allenfalls dann Verständnis haben, wenn es „America First“ dient.

Das Monopol des US$ ist gebrochen. Schwieriger, langwieriger und sicher auch gefährlicher wird die Lösung der Welt von der US-Militärmacht. Mit über 800 Militärstützpunkten rund um die Welt unterhalten die USA eine Kriegs- und Rüstungsindustrie, die nur ihren Interessen dient. Dabei übersehen die USA in ihrer Arroganz und Ignoranz geflissentlich, dass alle seit Vietnam entfachten Kriege nur unendliches Leid ausgelöst haben und keiner von den USA gewonnen wurde. Schlimmer noch und gnadenlos wird die Abhängigkiet der USA von Rohstoffen aller Art, insbesondere von solchen für die Herstellung von Produkten und Verfahren der KI-Industrie. Verzweifelt ihr Versuch, durch die Lieferung von schmutzigem LNG Länder wie die BRD abhängig zu machen.

Spätestens mit der erratischen Energiepolitik der aktuellen BRD-Regierung wird das überaus schädliche LNG als Nischenprodukt verschwinden. In Sachen Diplomatie sind die USA seit eh und je ein Totalausfall. Seit der Monroe-Doktrin haben sie kein Interesse, geschweige denn Verständnis für die Nöte und Wünsche anderer Völker und Länder. Die gebetsmühlenartige Berufung auf Gott und die Demokratie ist längst als hohles Palaver enttarnt. Wenn die USA sich nicht selbst kritisch konstruktiv erneuern, werden sie – wie schon so viele vor ihnen – verkümmern. Das „panta rhei“ des Heraklit gilt gnadenlos auch für die USA. Die Augen verschließen und durch ist der falsche Weg nach irgendwo.

Urheberrecht
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Grafikquellen       :

Oben       —   20210627 99 New York Harbor & Statue of Liberty

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Atomkraft in Frankreich

Erstellt von Redaktion am 9. Mai 2023

Fiasko in Frankreich

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Ein Debattenbeitrag von JAYRÔME C. ROBINET

Kernspaltung war beim Nachbarn mal ein Zeichen für Forschergeist. Heute steht die Regierung vor großen Problemen, ist aber unbeirrt.

Während die weißen Dampfschwaden der AKW-Kühltürme und die Atomkraft in Deutschland insgesamt Geschichte sind, geht Frankreich den umgekehrten Weg – Laufzeiten werden verlängert, sechs neue AKWs sollten gebaut werden. In der Sache ist Frankreich psychologisch gesehen ein Fall von „eskalierendem Commitment“. Man lässt sich nicht von einem einmal eingeschlagenen Kurs abbringen, obwohl immer deutlicher wird, dass dieser Kurs in die Irre führt.

Eskalierendes Commitment ist nicht schlimm, wenn man im Kino sitzen bleibt, obwohl längst klar ist, dass einem der Film nicht gefällt, oder wenn Menschen in einer Beziehung bleiben, obwohl sie merken, dass sie nicht glücklich sind – am Ende schadet es nur ihnen selbst. Fatal ist es, wenn Staaten an ihren Entscheidungen festhalten, obwohl sie sich verrannt haben.

Die Geschichte der Atomenergie in Frankreich ist ein Fiasko, das wie ein Märchen begann: Die Politikwissenschaftlerin Sabine von Oppeln verortet die Geschichte der Kernenergie in Paris und Berlin. Das Pariser Forscherteam um Henri Becquerel, Pierre und Marie Curie und das Berliner Team um Otto Hahn und Lise Meitner leisteten Pionierarbeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Deutschland aus naheliegenden Gründen auf die eigenständige Entwicklung militärischer Atomwaffen verzichten.

In Frankreich hingegen wurde die Force de frappe – die Nuklearstreitmacht der französischen Streitkräfte – als Symbol der Größe und Unabhängigkeit des Staates aufgebaut. Hauptgründe dafür waren die Ablehnung einer US-amerikanischen Vorherrschaft in Europa und das Streben nach dem Erhalt einer Vormachtstellung angesichts des Wirtschaftsaufschwungs in der Bundesrepublik. Der französische Wille, „nie wieder schwach zu sein“, erklärt sich historisch aus dem als gescheitert empfundenen Pazifismus der 1930er Jahre. Der Pazifismus endete 1938 mit dem Münchner Abkommen und 1940 mit der deutschen Besetzung Frankreichs. Die Atomwaffen bildeten, was Ressourcenwissen anbelangte, die Grundlage für die zivile Nutzung der Kernenergie.

„In Frankreich haben wir kein Erdöl, aber wir haben Ideen“ – so lautete der Slogan des Jahres 1976 unter Präsident Valéry Giscard d’Estaing. Unter dem Schock des Ölpreisanstiegs 1973 suchte das Land nach neuen Energiequellen. Nach der Ölkrise war Frankreich in der Lage, innerhalb von 20 Jahren einen über das Land verteilten Atomkraftwerkspark mit 59 Reaktoren zu errichten – also 3 Reaktoren pro Jahr. Ein Riesenerfolg aus der Sicht der Kernenergiefans: In den 2000er Jahren war Frankreich – auf die Einwohnerzahl heruntergerechnet – weltweit das Land mit den meisten Atomkraftwerken. Das Land produzierte mehr Strom, als es verbrauchte. Der Verkauf des Überschusses an die europäischen Nachbarländer brachte jährlich 3 bis 5 Milliarden Euro in die Staatskasse.

Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen stießen in Frankreich auf die starre, zentralistische und autoritäre Umsetzung von Politik

Zwanzig Jahre später hingegen befürchtet das Land Stromengpässe; zeitweise war 2022 die Hälfte der Atomkraftwerke abgeschaltet – entweder wegen gravierender Mängel und Schäden oder wegen mangelnden Kühlwassers wegen des heißen Sommers. Frankreich ist zum größten Strom­im­porteur Europas geworden.

Natürlich ist die Kernenergie auch in Frankreich nicht unumstritten. Die Intensität der Proteste gegen die zivile Nutzung der Kernenergie war in Frankreich zeitweise vergleichbar mit der in Deutschland. Allerdings stießen die Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen in Frankreich auf die starre, zentralistische und autoritäre Umsetzung von Politik im Allgemeinen und des Atomprogramms im Besonderen.

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Um die nukleare Abschreckungskraft Frankreichs durchzusetzen, nutzte Premierminister Michel Debré 1960 den Verfassungsartikel 49.3, der es der Regierung erlaubt, Gesetze am Parlament vorbei durchzusetzen. „49.3“ ist auch im Ausland bekannt, seitdem Präsident Macron seine Rentenreform über diesen Weg durchsetzte.

70 Prozent Atomstrom

Heute stammen rund 70 Prozent des französischen Stroms aus Kernenergie. Aber das Land scheint nicht in der Lage zu sein, aus der Atomindustrie eine erfolgreiche Industrie zu machen. Angesichts der Risiken der Kernenergie und solange Atommüll nicht in den Weltraum geschossen wird – was hoffentlich nie passiert –, ist das vielleicht ein Glück im Unglück.

Quelle       :           TAZ-online             >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —       Das Kernkraftwerk Cattenom besteht aus vier 1300-MWe-Reaktoren

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Unten     —     Kernkraftwerke in Frankreich, Stand 2022, d. h. ohne Fessenheim am Rhein

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Verkehr als Klimaproduktion

Erstellt von Redaktion am 13. April 2023

Setzen Elektroautos die Ausbeutung von Arbeit und Natur fort?

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Quelle        :     Berliner Gazette

Von        :      · ALLIED GROUNDS

Die viel beschworene Mobilitätswende wird von konkurrierenden Industrien dominiert. Aber auch Akteur*innen der Zivilgesellschaft sowie Arbeiter*innen und Gewerkschaften im Allgemeinen sind an den Kämpfen beteiligt. Es gibt Stimmen, die eine Veränderung des gesamten Produktionssystems fordern. Wäre dies nicht ein Ansatzpunkt für klassenübergreifende Bündnisse, die einen Übergang vom ausbeuterischen und umweltverschmutzenden Kapitalismus zu einer ökosozialistischen Gesellschaft katalysieren? In seinem Beitrag zur BG-Textreihe “Allied Grounds” zeichnet der Forscher John Szabo den Konflikt nach.

Die Verbrennung fossiler Brennstoffe geht weiter, und die Emissionen erreichten 2022 einen neuen Höchststand, so dass das von den Regierungen in Paris vereinbarte 1,5°C-Ziel zunehmend außer Reichweite gerät. 23 % dieser Emissionen stammen aus dem Verkehrssektor, wovon der überwiegende Teil auf den Straßenverkehr entfällt. Die Schuldigen sind Personenkraftwagen. Individualisierte Verkehrsmittel, die auf dem erdölverschlingenden Verbrennungsmotor basieren, sind das Herzstück und der Mittelpunkt der “Klimaproduktion“.

Der Pkw steht dem weiteren Ausbau des fossilen Kapitalismus im Wege, da die Anzahl und Materialintensität der Fahrzeuge ein nicht nachhaltiges wachstumsorientiertes Paradigma unterstützt. Die Dekarbonisierung des Transportwesens scheint unaufhaltsam voranzuschreiten, da Elektrofahrzeuge (EVs) sowohl die Märkte als auch die Vorstellungskraft der Verbraucher erobert haben, die darin einen Beitrag zu einer kohlenstoffarmen Zukunft sehen. Dadurch wird der fossile Kapitalismus in eine etwas weniger kohlenstoffintensive Zukunft geführt, aber der Wandel selbst birgt das Risiko, soziale Ungleichheiten zu verschärfen und sozial-ökologisch ausbeuterische Praktiken aufrechtzuerhalten: Er ist ein Wolf im Schafspelz.

Das Automobil wird als technisches Wunderwerk gepriesen, das seit Beginn des 20. Jahrhunderts einen schnelleren Transport ermöglichte. Es wurde zu einem Objekt des auffälligen Konsums, das die Wohlhabendsten im öffentlichen Raum nutzten. Diese Objekte der Begierde bildeten eine Dialektik mit der Expansion des Erdölsektors: Die Produzent*innen bohrten Millionen von Bohrlöchern und die Raffinerien setzten komplexe Technologien ein, um den Kraftstoff bereitzustellen.

Zentral für die “Klimaproduktion”

Das Auto ist ein technisches Artefakt, das die Umwandlung von fossilen Brennstoffen in Mobilität und Emissionen vermittelt. Sein Aufstieg ist eng mit dem industriellen Kapitalismus verknüpft. Die Hersteller*innen übernahmen weitgehend die Grundsätze des Taylorismus, rationalisierten die Produktion und ermöglichten die vollständige Entfremdung der Arbeit. Parallel dazu ebnete der Fordismus den Weg für die Konsumgesellschaft, indem er dafür sorgte, dass Produktion und Konsum eine Wachstumsspirale in Gang setzten. Das Rezept war einfach: Einem Teil der Arbeiter*innen sollte so viel Lohn gezahlt werden, so dass sie diese Gegenstände selbst kaufen konnten. Dies würde eine größere Verbraucher*innenbasis ermöglichen, die die Beschleunigung der Kapitalakkumulation gewährleisten würde.

Der Pkw wurde zu einem wesentlichen Bestandteil des täglichen Lebens in den Industrieländern, als deren Anzahl und die entsprechende Infrastruktur wuchsen. Sie standen im Mittelpunkt des anhaltenden Wirtschaftswachstums in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Unternehmen wie Toyota eine Schlüsselrolle im “japanischen Wirtschaftswunder”, General Motors im “Goldenen Zeitalter des Kapitalismus” in den USA oder Volkswagen im deutschen “Wirtschaftswunder” spielten. Arbeit und Kapital wurden in ihrem Streben nach Wirtschaftswachstum gleichgeschaltet, während die Auswirkungen der Produktion auf die Umwelt vernachlässigt wurden.

Ein boomender Automobilsektor wurde zum zentralen Faktor der “Klimaproduktion”, da die Emissionen aus Raffinerien und Auspuffrohren in den 1960er und 1970er Jahren spürbare Auswirkungen hatten. Einflussreiche Werke wie Rachel Carsons “Silent Spring” oder die “Grenzen des Wachstums” des Club of Rome beschäftigten sich mit den ökologischen Folgen eines ungebremsten Wirtschaftswachstums und forderten Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und der Emissionen giftiger Stoffe in die Ökosphäre.

Länder auf der ganzen Welt haben Maßnahmen zur Verringerung der Umweltverschmutzung ergriffen, die jedoch von der steigenden Zahl der Fahrzeuge überschattet wurden. Deutschland und Frankreich führten in den 1960er Jahren Umweltvorschriften ein, während der US-Kongress 1965 erstmals Schadstoffe regulierte. Diese waren notwendig, weil die Erdölprodukte (Benzin oder Diesel) Schwefel enthielten und bei ihrer Verbrennung Schwefeldioxid in die Atmosphäre freisetzten. Dies führte zur Versauerung des Wassers und zu saurem Regen, was 1972 auf der Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen in Stockholm ein wichtiges Thema war. Hier wurde die Autonutzung nicht als Teil der “Klimaproduktion” in dem Sinne gesehen, wie wir sie derzeit im Zusammenhang mit dem globalen Klimawandel diskutieren. Aber man war sich schon bewusst, dass er gravierende lokale Klima- und Umweltauswirkungen hat. Insofern wurden damals gewisse Voraussetzungen für das heutige Verständnis der Problematik geschaffen.

Fortschrittliche Technologie vs. Arbeit

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschärften die Regierungen schrittweise die Umweltvorschriften für Personenkraftwagen. Nach den Ölkrisen der 1970er Jahre konzentrierte sich Europa auf die Kraftstoffeffizienz, was sich tendenziell auch positiv auf die Kohlendioxidemissionen auswirkte. Dieselkraftstoff wurde zur bevorzugten Technologie, die als effizienter und angesichts der allgemeinen Steuerpolitik der EU in Bezug auf diesen Kraftstoff auch als kostengünstiger aus Sicht der Verbraucher*innen angesehen wurde. Gleichzeitig widersetzten sich die Hersteller*innen anderen strengen Umweltvorschriften. Auf der anderen Seite des Atlantiks zielten die US-Regulierungsbehörden auf NOx- und Partikelemissionen ab, während sie dem Gesamtverbrauch weniger Bedeutung beimaßen. Bei beiden Ansätzen wurde ein wichtiger Faktor vernachlässigt: die Größe. Die US-Vorschriften ließen die Autos und ihre Motoren wachsen, während die EU-Kohlendioxidvorschriften, die im Zuge ihrer Umweltpolitik eingeführt wurden, gewichtsbezogene Emissionsnormen einführten. Die Fahrzeugflotte wurde in beiden Märkten schwerer, materialintensiver und leistungsfähiger.

Personenkraftwagen wurden zu einem Hauptbestandteil der “Klimaproduktion”, aber da diedamit verbundenen Industrien Millionen von Menschen beschäftigen und eine wichtige Triebkraft des Wirtschaftswachstums sind, schien es wenig Bereitschaft zu geben, sie abzubauen und den Verkehrssektor von Grund auf neu zu überdenken. Dies zeigte sich auch an den Positionen der Gewerkschaften. Diejenigen in Europa, die noch Einfluss auf die Führung der jeweiligen nationalen Automobilsektoren haben, neigten dazu, den Zusammenhang zwischen Arbeitsplätzen und Emissionen als Nullsummenfrage zu betrachten. Die allgemeine Auffassung war, dass die höhere Technologie- und Kapitalintensität der E-Fahrzeuge die relative Macht der Arbeiter*innen in diesem Sektor weiter schwächen und Arbeitsplätze überflüssig machen würde.

Die Gewerkschaften lehnten den “grünen Übergang” ab, weil die Technologieintensität der E-Fahrzeugherstellung die Waage weiter zugunsten des Kapitals kippt und es kaum Anzeichen für eine angemessene Sozialpolitik seitens der Staaten gibt, um dies auszugleichen. Die Staaten selbst haben sich auf einen Wettlauf nach unten eingelassen, um die E-Märkte zu erobern und ihre geoökonomische Vorherrschaft zu sichern. Sie stehen in einem globalen Wettbewerb gegeneinander, der ihre relative Macht in globalen Angelegenheiten untergraben könnte, wenn sie ihn verlieren. Um die E-Märkte zu erobern, investierten die USA massiv in Tesla, Deutschland unterstützte nationale Champions, während China seit Jahren staatliche Mittel in den Sektor fließen lässt. Die Staaten unterstützten die Aktivitäten der Unternehmen, indem sie Industrie-, Bildungs- und eine Reihe anderer Politikbereiche den Bedürfnissen dieser privaten Akteur*innen unterwarfen, damit diese auf den globalen Märkten erfolgreich sein konnten.

Warum aber sollten wir in diesem Kontext von einem Wolf im Schafspelz sprechen? Der Umstieg auf Elektrofahrzeuge beinhaltet eine Form der “Klimaproduktion”, die weniger direkt mit den Auspuffemissionen verbunden ist. Es sind nicht die Autofahrer*innen, die Emissionen verursachen, wenn sie pendeln, sondern die verkörperten Emissionen – also nicht der Verbrauch, sondern die produktionsbedingten Emissionen. Die Herkunft des Stroms und der Materialien werden für die “Klimaproduktion” von zentraler Bedeutung sein. Im besten Fall wird dies kohlenstoffarm sein. Die Elektrizität wird bei den derzeitigen Entwicklungen irgendwann dekarbonisiert werden, und sogar der Bergbau, der für die Bereitstellung der Materialien für die Fahrzeugproduktion erforderlich ist, könnte relativ emissionsfrei werden. In diesem Prozess können die Lebenszyklusemissionen von Elektrofahrzeugen sinken, aber ihre Produktion wird weiterhin auf zutiefst ungleichen, ausbeuterischen Praktiken beruhen, die Arbeiter*innen und derUmwelt schaden.

Nehmen wir die Batterieproduktion, bei der wichtige Rohstoffe wie Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo und Lithium in Australien und Chile konzentriert sind. Diese Ressourcen müssen abgebaut werden, in der Regel unter laxen Umwelt- Arbeitsvorschriften, also zum Nachteil der Arbeiter*innen, der lokalen Bevölkerung und der Umwelt. Anschließend müssen sie verschifft werden – ein schwer zu dekarbonisierender Sektor, der auf Schweröl angewiesen ist –, um dann raffiniert zu werden, in der Regel in China. Kohle dominiert hier weiterhin den Energieeinsatz, da sowohl die Arbeits- als auch die Umweltgesetze weiterhin lax sind. Danach müssen Batterien hergestellt werden, was nicht nur ressourcenintensiv ist, sondern auch eine hohe Wasser-, Energie- und Abfallintensität aufweist. Länder, die Gefahr laufen, im Zuge der Abkehr vom Verbrennungsmotor Arbeitsplätze und Wachstumsperspektiven zu verlieren, sind der Batterieindustrie entgegengekommen, haben dabei aber fragwürdige Praktiken eingeführt. Letzteres spiegelt sich nicht zuletzt in der wachsenden sozialen Opposition in Fällen wie Ungarn und Polen wider.

Die Herausforderungen für die Arbeitnehmer

Das neue technologische System wird eine Reihe von Lock-Ins in Gang setzen, die den Einfluss der Arbeiter*innen – und damit die demokratische Entscheidungsfindung – auf die Energiewende und eine kohlenstoffarme Gesellschaft weiter aushöhlen werden. Alle Prozesse, die an der Produktion von E-Fahrzeugen beteiligt sind – vom Bergbau über die Batterieproduktion bis hin zur Herstellung dieser Fahrzeuge – sind hoch automatisiert und erfordern weniger Arbeit. Dies könnte durch eine steigende Produktion kompensiert werden, doch damit wird ein wachstumsorientiertes Paradigma aufrechterhalten, das weiterhin extrem materialintensiv ist. Das Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit wird sich weiter zugunsten der ersteren verschlechtern, und eine Umkehrung wird immer schwieriger. Die Gewerkschaften sind davon abgekommen, den Übergang als Nullsummenspiel zwischen der Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren und einem kohlenstoffarmen Übergang zu betrachten, aber sie konzentrieren sich noch immer auf ihren eng definierten Auftrag, Arbeitsplätze für ihre Mitglieder*innen zu sichern.

Die Gewerkschaften müssen die Gunst der Stunde nutzen und auf eine länder- und branchenübergreifende Organisation drängen, die darauf abzielt, den Übergang mit der Abschaffung anderer ausbeuterischer Praktiken und der Einführung alternativer Lösungen zu verbinden. Die Technologie wird die Arbeitsintensität der Produktion verringern und damit Länder, Unternehmen und Arbeiter*innen gegeneinander ausspielen. Anstatt zu versuchen, dieses System zu verlängern, müssen sozialpolitische Maßnahmen, die sich mit dieser Entwicklung befassen, ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Jene sollte sich nicht nur auf die Frage des allgemeinen Grundeinkommens beschränken, sondern auch die Möglichkeit eines allgemeinen Grundauskommens, d. h. einer allgemeinen Grundversorgung, in Betracht ziehen. Und die universelle Grundversorgung sollte nicht eine Frage des “ob”, sondern des “wie bald” und des “wie umfassend” sein.

Die Gewerkschaften sind auch in der Lage, bei den Unternehmen darauf hinzuwirken, dass sie von einem Profil abrücken, das sich weiterhin auf den Individualverkehr konzentriert, und sich für eine größere Rolle des öffentlichen Verkehrs, ein Umdenken in den Städten und Vorstädten, den Ausbau des Fahrradverkehrs und der Fahrradinfrastruktur usw. einsetzen. Die Gewerkschaften und damit die Arbeiter*innen im Allgemeinen müssen den derzeitigen Bruch im gesellschaftspolitischen System als einen erkennen, der nicht durch die Ersetzung von 3+°C-Klimaproduktionsverfahren durch solche, die mit dem 1,5°C-Ziel vereinbar sind, zu beheben ist. Diese sind schließlich zutiefst ausbeuterisch und sozial-ökologisch nicht nachhaltig und verleihen dem Kapital weiterhin Macht über die Arbeiter*innen, wodurch Ungleichheiten verschärft werden. Insofern sollten Arbeiter*innen, solange sie noch eine gewisse Macht haben, diese nutzten, um sich dem Aufstieg des grünen Kapitalismus zu widersetzen und einen proto-sozialistischen Übergang zu ermöglichen.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette; die englische Fassung finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “Allied Grounds”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://allied-grounds.berlinergazette.de

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Atomausstieg in Deutschland

Erstellt von Redaktion am 5. April 2023

50 Jahre nach Beginn der Wyhl-Proteste

Quelle         :     Mitwelt Stiftung Oberrhein

Von      :      Axel Mayer  (Der Autor ist seit den Wyhl Protesten in der Umweltbewegung aktiv und war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer in Freiburg)

Hintergrund: Atomausstieg Deutschland – 50 Jahre nach Beginn der Wyhl-Proteste.  Der Atomausstieg am 15.4.23 ist schon ein erstaunliches Phänomen. Seit wann setzen sich in a »Rich Man´s World« die Vernunft gegen die Macht, die Nachhaltigkeit gegen die Zerstörung und die Kleinen gegen die Großen durch?

Vor 50 Jahren erkannten die Verantwortlichen des damaligen Energiekonzerns Badenwerk, dass der Atomkraftwerksstandort Breisach politisch nicht durchsetzbar war. Am 19. Juli 1973 wurde erstmals der neue Standort eines Atomkraftwerkes in Wyhl bekannt. Dort scheiterten ab 1975 die Pläne ein AKW zu bauen am massiven Widerstand der örtlichen Bevölkerung.
Fast 50 Jahre später, genau 111 Jahre nach dem Sinken der unsinkbaren Titanic, werden am 15.4.2023 endlich die drei letzten deutschen AKW Neckarwestheim-2, Emsland und Isar-2 abgeschaltet. Der Atommüll, der in etwas mehr als 3 Jahrzehnten entstand, strahlt noch eine Million Jahre und gefährdet 30.000 Generationen. Geschichtlich gesehen war und ist die Nutzung der Kernenergie zutiefst asozial. Die AKW-Stilllegung ist kein „Selbstzweck“ sondern berechtigte Gefahrenabwehr. Leider umfasst der Atomausstieg nicht auch die Anlagen der Urananreicherung in Gronau und die Brennelementfertigung in Lingen..

Die Nutzung der Atomkraft in Deutschland war nicht erst seit den„AKW-Wyhl-Protesten“ vor einem halben Jahrhundert heftig umstritten. Massive Proteste in Wyhl, Grohnde, Brokdorf, Wackersdorf und Gorleben haben die letzten Jahrzehnte in Deutschland geprägt. Und da war nicht nur das »NAI Hämmer gsait«, das Nein der Umweltbewegung zur Atomkraft. Da war immer auch das Ja zu den umweltfreundlichen, kostengünstigen und nachhaltigen Energien, die von Atom-, Öl- und Kohlekonzernen und ihren Lobbyisten in der Politik massiv bekämpft wurden und immer noch bekämpft werden.

Während in den ersten Jahrzehnten der Atomenergiedebatte „nur“ die Aspekte des Umwelt- und Menschenschutzes auf Seiten der Umweltbewegung standen, ist es seit einigen Jahren auch die Ökonomie. Strom aus Wind und Sonne ist nicht nur umwelt- und menschenfreundlicher sondern auch wesentlich kostengünstiger als Strom aus neuen AKW. Auch der ökonomische Niedergang der französischen Atomwirtschaft zeigt dies mehr als deutlich. Und wie heißt es? „It’s the economy stupid.“

Trotz alledem:

  • Die globale Macht der alten und neuen atomar-fossilen Seilschaften ist noch nicht gebrochen.
  • Die von der Anti-Atombewegung befürchtete weltweite Verbreitung von Atomwaffen durch die nur scheinbar friedliche Nutzung der Atomkraft hat begonnen.
  • Die von der Umweltbewegung befürchteten schweren Atomunfälle kamen nicht mit der Wahrscheinlichkeit von ein zu einer Million Jahre, wie von der Atomlobby verkündet. Die Atomunfälle und Atomkatastrophen von Lucens (CH), Harrisburg (USA), Tschernobyl (SU) und Fukushima (Japan) bestätigten alle frühen Befürchtungen der Umwelt-Aktiven und zeigten die Lügen der Atomlobby.

Jahrzehntelang haben marktradikale atomar-fossile Seilschaften den Ausbau der zukunftsfähigen Energien, Stromtrassen und die Energiewende massiv behindert und das Energieerzeugungsmonopol der mächtigen Energiekonzerne verteidigt. Jetzt warnen sie scheinheilig vor einem Black-out und vor dem Klimawandel. So kämpfen Sie für die Gefahrzeitverlängerung und gefährliche und teure neue AKW.

Viele Medien berichten kurz vor dem Ausstiegsdatum leider gerade ungeprüft, dass die Atomkraft weltweit im Aufschwung sei. Der World Nuclear Industry Status Report 2022 zeigt die Realität: „Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Realität des Atomindustriesektors von der Wahrnehmung der Öffentlichkeit und zahlreicher Entscheidungsträger als blühende Zukunftstechnologie unterscheidet. Fast alle Indikatoren haben ihre Höchstwerte seit Jahrzehnten überschritten, z.B. die Anzahl laufender AKW 2002, der Anteil der Atomkraft am Strommix 1996 oder die Betriebsaufnahmen Mitte der 1980er Jahre.“ Und dennoch behaupten Atomlobbyisten, dass alle Welt neue AKW baue und nur die „dummen Deutschen“ aus der Atomkraft ausstiegen. Die Hauptstoßrichtung der aktuellen PR-Kampagnen ist nicht faktenorientiert, sondern beruht auf dem Erfolgsrezept einer perfekt organisierten Angstkampagne.

Für Laufzeitverlängerung und neue AKW kämpfen erstaunlicherweise nicht mehr direkt die deutschen Energiekonzerne, denn diese können rechnen. Für die Gefahrzeitverlängerung kämpfen insbesondere die Lobbygruppen und Parteien, die politisch die Hauptverantwortung für den Klimawandel, Ressourcenverschwendung und die Artenausrottung tragen. Je offensichtlicher es wird, dass wir den großen, globalen Wachstums-Krieg gegen die Natur gerade krachend verlieren, desto stärker setzen sie auf den Mythos der neuen Wunderwaffen. Dieser Mythos war auch im letzten Weltkrieg sehr effizient und kriegsverlängernd, änderte aber nichts an der Katastrophe. Der Streit um die Laufzeitverlängerung und um neue AKW ist getragen von der Hoffnung und Propaganda der „Wunderwaffe Atomkraft“, die ein zerstörerisches Weiter so ermöglichen soll. Ein Weiter so mit Weltraumtourismus, Superyachten, Überschallflugzeugen, Rohstoffverschwendung, unbegrenztem Wachstum und selbstverständlich ohne Tempolimit.

Hier zeigt sich auch eine Konfliktlinie, die aktuell viele ökologische und soziale Konflikte prägt. Nicht der Staat, sondern der Markt soll entscheiden, ob Atomkraftwerke, PFAS oder CO₂ gefährlich sind. Nach dieser marktradikalen Logik wären DDT, FCKW und Asbest immer noch nicht verboten.

Nach der Abschaltung der letzten deutschen AKW muss sich die Umweltbewegung noch stärker als bisher um die massiv bekämpfte Energiewende und um den Ausstieg aus den fossilen Energiequellen kümmern. Technischer Fortschritt und gute, nachhaltige, menschengerechte Technik könnten schon heute das gute Leben für alle Menschen der Welt ermöglichen, wenn es mehr Gerechtigkeit gäbe. Die Abschaltung der AKW ist Grund zur Freude, aber kein Anlass für Triumph, insbesondere auch so lange in Lingen die Brennelementfabrik noch arbeitet.

Im großen, globalen Krieg des Menschen gegen die Natur und damit gegen sich selber, (Atommüllproduktion, Klimawandel, Artenausrottung, Ressourcenverschwendung, Meeresverschmutzung …) haben wir mit dem mühsamen Atomausstieg in Deutschland Zerstörungsprozesse entschleunigt und einen kleinen, wichtigen Teilerfolg erzielt. Es lohnt, sich zu engagieren.

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Schweiz + das Russland Öl

Erstellt von Redaktion am 31. März 2023

Die Schweiz überwacht Öl-Sanktionen zu Russland kaum

Quelle      :        INFOsperber CH.

Markus Mugglin /   

Grosse Schweizer Rohstoffhändler zogen sich aus dem Ölgeschäft mit Russland zurück. Eine neue Genfer Firma springt in die Lücke.

Red. Die Nichtregierungsorganisation Public Eye hat soeben die Studie «Die Schweiz und der Handel mit russischem Öl: Ein trügerischer Abschied?» publiziert. Die Studie analysiert die dramatischen Veränderungen auf dem Ölmarkt seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und insbesondere die Folgen für die Schweiz als globalen Hub für den Handel mit russischem Öl. Sie folgt auf mehrere seit dem Krieg von der Organisation publizierten Recherchen. Wir geben im Folgenden die Zusammenfassung der neusten Studie wieder.

Ein Jahr Krieg in der Ukraine hat die Karten auf dem Ölmarkt neu gemischt. Zur Austrocknung dieser Hauptfinanzierungsquelle des Kremls hat die westliche Welt, darunter die Schweiz, ein historisches Embargo gegen das schwarze Gold aus Russland verhängt. Seit Dezember 2022 ist die Einfuhr dieses Rohöls auf dem Seeweg verboten, und der Handel damit unterliegt in rund 40 Ländern einem Preisdeckel. Diese Massnahmen gelten seit Februar auch für Erdölprodukte. Vor Putins Einmarsch in die Ukraine war Europa der Hauptmarkt für russisches Öl, das laut unseren Schätzungen zu 50 bis 60 Prozent über die Schweiz gehandelt wurde.

Basierend auf exklusiven Insider-Daten und -Aussagen zeigen neue Recherchen, dass dieser Markt neu aufgeteilt und noch undurchsichtiger wurde. Jahrzehntelang waren Trafigura, Vitol, Glencore und Gunvor die Haupthändler von Putins Öl und direkt an vielen russischen Projekten und Unternehmen beteiligt. Seit der Invasion in die Ukraine wurden die Schweizer Rohstoffkonzerne durch russische oder chinesische Staatsunternehmen sowie kleine Händler mit unbekannten Eigentümern ersetzt. Diese neuen «Pop-up»-Firmen operieren meist von Dubai oder Hongkong aus, die keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Viele Indizien weisen darauf hin, dass sie dies im Auftrag oder mit Unterstützung von Grossunternehmen tun, die unbemerkt weiter mit russischem Öl handeln wollen.

Public Eye hatte Zugang zu Daten, welche die Entwicklung im ostrussischen Hafen Kozmino zeigen, von wo die Rohölsorte «ESPO» nach Asien exportiert wird. Seit Sommer 2022 sind die grossen Handelshäuser aus der Käufer-Liste verschwunden. Dafür besetzt ein anderes Schweizer Unternehmen nun einen Spitzenplatz: Paramount Energy & Commodities. Zwischen März 2022 und Februar 2023 exportierte das Genfer Unternehmen 10 Millionen Tonnen (72 Millionen Barrel) russisches Rohöl, was etwa acht Tanker pro Monat entspricht.

Kurz nach Kriegsbeginn hatte Public Eye erstmals über die primär in Russland und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion aktive Paramount berichtet. Im Juni 2022 soll die Firma den Handel mit diesen Fässern gemäss Global Witness und Financial Times jedoch der in Dubai registrierten Paramount Energy and Commodities DMCC übertragen haben. Dieses Unternehmen agiert demnach zwar unabhängig von der fast gleichnamigen Genfer Firma, sein Geschäftsführer ist aber Schweizer Staatsbürger.

Der Mechanismus der Preisobergrenze ermöglicht es westlichen Marktteilnehmern (Händlern, Spediteuren, Versicherern), weiter mit russischem Erdöl zu handeln, sofern sie dafür weniger als 60 USD pro Barrel zahlen («price cap») und es an Länder ohne Russland-Sanktionen verkaufen.

Mit den EU-Sanktionen hat der Bundesrat auch diesen Mechanismus übernommen. Anders als die EU, USA und Grossbritannien kontrolliert das in der Schweiz dafür zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) jedoch nicht, ob sich die Unternehmen auch daran halten. Das Seco bestätigte Public Eye vielmehr, dass es weder Audits durchführt noch eine Melde- oder Dokumentationspflicht für solche Transaktionen auferlegt, sondern sich ganz auf den guten Willen der Branche verlässt, sich selbst zu kontrollieren.

Zudem gilt das Schweizer Embargogesetz – im Gegensatz zu den EU- und US-Bestimmungen – nicht für Schweizer Bürger*innen mit Wohnsitz im Ausland. Für global agierende Händler ist diese rechtliche Lücke faktisch eine Einladung, die Sanktionen gegen russisches Öl mit nur kleinen organisatorischen Änderungen ganz legal zu umgehen.

Bald wieder mehr Geschäfte mit russischem Öl?

(mm) Die USA würden die grossen Handelsunternehmen dazu drängen, die Ölgeschäfte mit Russland wieder aufzunehmen, wenn sie dies unter der von der G7 festgelegten Obergrenze von 60 Dollar pro Barrel tun können. Das berichtet die Financial Times. Der Westen zeige sich besorgt über die durch die Sanktionen hervorgerufene Verlagerung des Handels von den traditionellen hin zu wenig bekannten Unternehmen, die häufig alte Schiffe einsetzten und nicht transparent operierten, schreibt die britische Wirtschaftszeitung in ihrer Berichterstattung über den «Commodities Global Summit», der diese Woche in Lausanne stattgefunden hat. Die Vertreter der in der Schweiz domizilierten Trafigura und Vitol erklärten sich dazu bereit, Ölgeschäfte mit Russland unter Einhaltung des Preisdeckels wieder abzuwickeln, sofern die Regierungen und Banken diesen zustimmen würden.  

FREIE NUTZUNGSRECHTE

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Legal, illegal? Scheißegal

Erstellt von Redaktion am 30. März 2023

Kanzler Scholz gibt den Watschenmann

Quelle      :      Ständige Publikumskonferenz der öffentlichen Medien e.V.

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Für die Rolle bestens geeignet / Zensur und Selbstzensur kaschieren das deutsche Elend, derweil die Rechtsstaatlichkeit schwindet

Deutschland, der Pausenhof: Big Joe knallt dem Olaf ein Ding an den Nischel, so einen Wumms hält kein Gasrohr aus. Olaf sieht Sterne und Streifen. Aber er versichert den Umstehenden: „Unsere Partnerschaft ist enger und vertrauensvoller denn je.  Big Joe bestellt den Olaf wenig später zu sich nach Übersee und flüstert ihm was. Die ARD-aktuell aber macht daraus einen „Besuch bei Freunden“.  Manipulation gehört eben zur Tagesschau wie Mattscheibe zur Caren Miosga. Drei Tage später heißt es aus Hamburg, Big Joe habe dem Olaf überhaupt keine reingehauen, sondern, ganz anders, einige pro-ukrainische Rüpel hätten mit einem Segelboot Knallfrösche in Olafs Badewanne … Man verzeihe uns das Geschnodder, es soll darauf aufmerksam machen, dass die USA eine intellektuelle Flugverbotszone über unser Land verhängt haben; deshalb liefern unsere Leit- und Konzernmedien Nachrichten vom hier dargestellten informationellen Gehalt.

Unser Gemeinwesen verkrüppelt unter solcher Deutungshoheit zusehends zu einem protofaschistischen US-Protektorat. Widerstandskräfte dagegen entwickeln sich erst allmählich. Konkrete Erfahrungen mit realem Faschismus hat in Deutschland nur noch ein sehr kleiner Kreis von Hochbetagten, die Hitlers Drittes Reich erlebt haben. Die Jüngeren müssen erst selbst dahinterkommen, wo welche Gefahrenquellen für unseren Rechtsstaat sprudeln.

Seine Verächter zeichnen sich durch ihren abgrundtiefen Zynismus und US-Konformismus aus. Selbstbestimmte Persönlichkeitsentfaltung, unabhängige Meinungsbildung, freies Denken und Reden sind ihnen zuwider. Ihr Ideal ist der Angepasste, der sich ihren Vorgaben unterordnet und ihnen besinnungslos nachbetet. Die einst übliche Todesstrafe fürs Abhören von „Feindsendern“ brauchen sie für ihre Zwecke nicht mehr. Mit von elektronischer Datenverarbeitung unterstützter Zensur sowie mit Agitation und Propaganda in Dauerschleife gelingt es schon jetzt, ein vollkommen verzerrtes Weltbild als Realität auszugeben und mehrheitlich akzeptabel zu machen. Rechtsnihilismus und Willkürjustiz unterstützen den Erfolg.

Kein Nachrichtentag vergeht, ohne dass wir vom brutalen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu hören kriegen. Wer diese USA-NATO-EU-Sichtweise öffentlich infrage stellt, ein Ende der gigantischen Waffenlieferungen an die Ukraine und die Aufnahme von Verhandlungen mit Russland fordert, lernt schnell deutsche Staatsanwälte kennen. Die nennen soviel kritischen Widerspruch gegen die „herrschende“ Meinung nämlich

Billigung eines Angriffskrieges, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“.

Das gilt als Straftat und wird mit bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe geahndet. Entsprechende Urteile sind bereits ergangen.

Deutsche Gerichte berücksichtigen nicht, dass der globale Süden, die Mehrheit der Weltbevölkerung, sich nicht an der westlichen Sanktionspolitik beteiligt. Zudem lassen die deutsche Justiz (und füglich auch die konformistische Tagesschau) außer Acht, dass sich Russland bei seiner militärischen Aktion gegen die Ukraine – ob zu Recht oder Unrecht bleibt offen – auf Art. 51 der UN-Charta beruft; dieser Artikel betrifft die Selbstverteidigung und schließt sogar eine präventive (=vorbeugende) Selbstverteidigung nicht aus.

Justitia, die Göttin der Gerechtigkeit, ist angeblich blind und wird meist mit verbundenen Augen dargestellt. Ihre deutsche Ausgabe gibt sich hingegen als offen einäugig. Sie setzt durch, dass die Masse der Bevölkerung das Geschehen in der Ukraine nicht einmal mehr von beiden Seiten betrachten kann: von der NATO-transatlantischen und von der russischen Seite – der Beleg unserer zunehmenden Unfreiheit.

Ex-Kanzlerin Schamlos und Kanzler Tunichtgut

Das lässt sich exemplarisch auch am Umgang mit dem Eingeständnis der Altkanzlerin Merkel sowie der vormaligen Staatspräsidenten Poroschenko (Ukraine) und Hollande (Frankreich) aufzeigen. Alle drei gaben bekanntlich aus freien Stücken zu erkennen, das völkerrechtlich abgesicherte Minsk-II-Abkommen mit voller Absicht gebrochen und Putin hintergangen zu haben. Sie wollten den seit Mitte 2014 von Kiew geführten Bürgerkrieg gegen die ukrainischen (russischsprachigen) Donbass-Provinzen nicht beenden lassen (das Abkommen sah dafür enge Fristen von wenigen Monaten vor), sondern – vertragswidrig – der Ukraine jede Menge „Zeit geben“ zu hemmungsloser Hochrüstung. Sie kalkulierten Russlands militärische Reaktion und brachen somit einen völkerrechtlich gültigen Vertrag.

Schon Monate vor Russlands Invasion hatten sie bis ins Detail geplant, womit sie ihren schon mehr als zehn Jahre geführten Wirtschaftskrieg zu verschärfen gedachten; die Angeberei des Merkel-Nachfolgers und vormaligen Vizekanzlers Scholz im Bundestag verrät alles:

„…Sanktionen …, die ihresgleichen suchen. Über Monate hinweg haben wir sie bis ins kleinste Detail vorbereitet …. Weltweit haben wir für Unterstützung geworben.“

Sie wussten, was kam. Sie hatten es ja genau darauf angelegt.

ARD-aktuell berichtete über diesen Skandal mit keinem Wort. Wenn schon einäugige Justiz, dann erst recht tendenziöser Qualitätsjournalismus.

Keine offizielle Instanz in Deutschland regt sich darüber auf, dass Ex-Kanzlerin Merkel in ihrem „Zeit“-Interview zugleich einen mehrfachen Verfassungsbruch schamlos eingestand: Das Grundgesetz bindet nämlich alle staatlichen Organe an die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“. Zugleich verbietet es „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“. Offen bleibt die Frage, ob außerdem noch ein strafbarer Fall von Friedensverrat vorliegt.

Reden wir lieber über den regierenden Kanzler Scholz und seine infantile Außenminister-in Baerbock. Beider Rechtsverständnis reicht ebenfalls nicht so weit, dass sie sich um eine Wiederbelebung des Minsk II-Abkommens bemühten. Im Gegenteil, sie verweigern Gespräche mit Moskau und konterkarieren das, was die UN-Generalversammlung gerade erst wieder beschlossen hat:

„Die Generalversammlung fordert nachdrücklich die sofortige friedliche Beilegung des Konflikts zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel.“ 

Mit Ignoranz und Arroganz setzen sie vielmehr auf weitere Waffenlieferungen an die Ukraine, auf grundgesetzwidrige Kriegsbeteiligung mittels Ausbildung ukrainischer Soldaten an deutschen Angriffswaffen und auf völkerrechtswidrige Sanktionen. Im Gegensatz zu aller Berliner Heuchelei dient diese Politik den USA und deren Ziel, den Krieg zu verlängern.

Das Einzige, was man Kanzler Scholz zugutehalten kann:

Er hat sich noch nicht öffentlich bei den Amis für ihren Terroranschlag auf die Nord-Stream-Gasleitungen bedankt.

Aber das kann ja auch noch kommen.

Legal, illegal? Scheißegal

Man sollte eigentlich meinen, die UN-Charta sei auch in Art. 2, Absatz 4 unmissverständlich:

„Alle Mitglieder unterlassen … jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“,

doch machte man dann die Rechnung ohne den Wirt. Nach Auslegung der USA ist in der Charta lediglich die „militärische Gewalt“ gemeint. Der globale Süden beharrt hingegen darauf, das Gewaltverbot gelte auch für Wirtschaftssanktionen. Wird hier Haarspalterei betrieben? Das kann nur jemand meinen, der nicht wahrhaben will, dass Sanktionen eine ebenso existenzvernichtende, für Millionen Menschen tödliche Gewaltform darstellen können wie die militärische Gewalt.

Damit auch das endlich geklärt ist: Baerbocks großmäulige Ansage, die Sanktionen würden (sollten) „Russland ruinieren“ ist eine Missachtung des Völkerrechts. Ein Ausdruck vollendet selbstherrlicher Ignoranz. Denn laut UN-Charta ist nur der UN-Sicherheitsrat und niemand sonst ausdrücklich befugt, zur zwischenstaatlichen Streitbeilegung und zur Sicherung des Friedens schwerwiegende Sanktionen zu verhängen.

Mit hasserfülltem Aktionismus verfügte die EU allein in den ersten zwei Monaten nach Beginn der russischen Militäroperation sage und schreibe 3913 Sanktionen. Per Verordnung, ohne gesetzliche Grundlage, auf rechtlich äußerst fragwürdiger Basis.

Dass diese überschäumende Sanktionitis ihren gegen Russland gerichteten Zweck verfehlt, ist das Eine; das Andere aber, dass sie inzwischen die deutsche Wirtschaft massiv schädigt. Das führte selbst in Baerbocks Ministerium zu Nebenwirkungen:

„Bei vielen Mitarbeitern hat sich ein enormes Maß an Frustration und Fremdscham angehäuft … zunehmendes Unverständnis über die Art und Weise der Sanktionspolitik ohne jede Rücksichtnahme auf deutsche Interessen …

Ob die Sanktionen mit dem in Deutschland geltenden Recht vereinbar sind, ist längst nicht so eindeutig geklärt, wie die führenden Politiker und ihre journalistischen Wasserträger uns weismachen wollen. Beabsichtigt war, die russische Bevölkerung dazu zu bringen, den innenpolitischen Druck auf ihre Führung zu verstärken, um deren Außenpolitik zu ändern. Das Gegenteil ist eingetreten. Putin wird von 80 Prozent der Russen unterstützt. Logisch und rechtlich geboten wäre es folglich, die Sanktionen aufzuheben.

Über Berge von Leichen

Doch weder mit Logik noch mit rechtsstaatlichem Bewusstsein ist unsere Ampelregierung sonderlich gesegnet. Vielmehr treibt sie der gleiche krankhafte Wille, die Widersacher der USA zu vernichten, wie ihn Washington gegenüber Kuba, Venezuela, Irak, Iran und derzeit in schlimmster Form gegenüber Syrien auslebt. Da gehen die Scholz-Regierung und die Biden-Aministration Arm in Arm – und zwar über Berge von Leichen.

Menschenleben zählen nicht, entgegen dem frommen Schein auch keine ukrainischen. Waffen liefern für den Krieg, auf dass er bald zu Ende gehe? Gegenfrage: Kennen Sie in der vieltausendjährigen Geschichte der Menschheit auch nur einen einzigen Fall, dass ein Krieg mittels Waffenlieferungen beendet wurde?

Michail Gorbatschow, der letzte Präsident der abgestorbenen Sowjetunion, politischer Vater auch der DDR-Selbstaufgabe und einst der Deutschen Lieblingsrusse:

„Die deutsche Presse ist die bösartigste überhaupt.“

Sie ändert sich nicht und garantiert damit, dass sich auch in unserem politischen Alltag nichts Wesentliches ändert. Gleiches gilt für die EU und den gesamten „Werte-Westen“: Ihre „regelbasierte Ordnung“ ist ein orchestrierter Bruch des Völkerrechts. Menschenverachtende Willkür. Gäbe es außerhalb der bewussten Medien (Internet-Portale, Blogs, einige kleine Tages- und Wochenzeitungen) tatsächlich einen distanziert-kritischen, um Wahrhaftigkeit und um Aufklärung bemühten Journalismus, dann gingen die Massen heute nicht nur zu Arbeitskämpfen auf die Straße, sondern regelmäßig auch gegen politische Korruption und gegen Kriegstreiberei.

Die Pest der Zensur

Mit ihr weiß unsere politische und gesellschaftliche Elite allerdings gut umzugehen und dem Volkszorn vorzubeugen. Mit Zuckerbrot (Journalisten schmieren, sie mit gut dotierten Posten und Privilegien korrumpieren) und Peitsche: Maulkorb und Strafandrohung, von Staats wegen.

Über die Informationsfreiheit heißt es in Art. 11 der Charta der Europäischen Union:

„Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.“

Das Entsprechende in unserem Grundgesetz Art. 5:

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Diese Grundrechte sind das Papier nicht mehr wert, auf dem sie gedruckt stehen. Bereits bevor Russland in den Ukraine-Krieg eingriff, verweigerten deutsche und europäische Behörden RT Deutsch die Sendeerlaubnis, obwohl RT bereits eine europaweit geltende, von Serbien ausgestellte Sendelizenz hatte. Die russische Nachrichtenagentur „Sputnik“ wurde ebenfalls gesperrt. Ausgerechnet EU-Kommissionspräsidentin v. d. Leyen, selbst unter Korruptionsverdacht und geübt in schamloser Lüge, durfte sich da hervortun:

„Als Sprachrohre Putins haben diese Fernsehkanäle seine Lügen und Propaganda erwiesenermaßen aggressiv verbreitet.“ Man solle ihnen „keine Bühne mehr zur Verbreitung dieser Lügen geben.“

Tobias Schmid, Direktor der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen sah für das Vorgehen allerdings keine Rechtsgrundlage:

„Die Europäische Kommission ist gefordert, eine gesetzgeberische Lösung zu finden.“

Mit anderen Worten: Das Verbot war rechtswidrig. Und das ist es bis heute.

Die Bundesnetzagentur gab sich zur Durchsetzung der Zensurmaßnahmen her. Auch sie handelte rechtswidrig, wenn man eine grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beachtet:

„Dem Einzelnen soll ermöglicht werden, sich seine Meinung auf Grund eines weitgestreuten Informationsmaterials zu bilden. Er soll bei der Auswahl des Materials keiner Beeinflussung durch den Staat unterliegen. Da die Informationsfreiheit … auch dazu bestimmt ist, ein Urteil über die Politik der eigenen Staatsorgane vorzubereiten, muss das Grundrecht vor Einschränkungen durch diese Staatsorgane weitgehend bewahrt werden.

Die Informationsfreiheit wurde … verfassungsrechtlich garantiert, um die ungehinderte Unterrichtung auch aus Quellen, die außerhalb des Herrschaftsbereiches der Staatsgewalt der Bundesrepublik bestehen, zu gewährleisten. Wenn die Informationsquelle an irgendeinem Ort allgemein zugänglich ist, mag dieser auch außerhalb der Bundesrepublik liegen, dann kann auch ein rechtskräftiger Einziehungsbeschluss nicht dazu führen, dieser Informationsquelle die Eigenschaft der allgemeinen Zugänglichkeit zu nehmen.“

Diese vorbildliche Entscheidung stammt allerdings aus einer Zeit, als Politiker und Richter noch bemüht waren, „Demokratie zu wagen“.

Zwei staubige Brüder

Hatten wir eingangs des Kanzlers charakterlos schleimige Bemerkungen zitiert, so wollen wir hier mit vergleichbar Geistreichem von ihm fortfahren. Scholz:

„Niemand steht über Recht und Gesetz“.

Um Legendenbildungen vorzubeugen: Er bezog das auf Putin, nicht auf sich selbst.

Ein klassischer Fall von Cum-Ex-Gedächtnislücke. Doch bei diesem folgenlosen Vorwurf wollen wir es nicht belassen. Scholz habe am neuesten Märchen über die Nord-Stream-Gasröhren mitgestrickt, behauptet der weltbekannte Investigativ-Journalist Seymour Hersh; er habe beim Tête-à-Tête mit US-Präsident Biden in Washington vereinbart, dessen Täterschaft zu vertuschen. Beide hätten die CIA und den BND beauftragt, eine Tarngeschichte für die Zerstörung der Nord-Stream-Röhren zu erfinden und sie zu lancieren.

Heraus kam dabei die Story von ukrainischen Segelbootfahrern als angebliche Nord-Stream-Bombenleger. Die Tagesschau behauptete sogar, nicht die Einflüsterung der Geheimdienste, sondern eigene Recherchen der ARD hätten zu dieser „Spur“ geführt. Das klang so großmäulig wie unglaubwürdig.

Sollte Hersh mit seiner Behauptung Recht haben, Scholz sei Mitwisser der fiesen Geschichte, dann gehörte der Kanzler wegen eines Bündels von Straftaten vor den Richter, unter anderem wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung und Strafvereitelung im Amt.

Was aber macht ein deutscher Bundeskanzler heutzutage, wenn er mit schändlich unterwürfigen Aussagen gepatzt hat? Zieht er sich ins Trappistenkloster zurück und legt ein Schweigegelübde ab? Aber nicht doch! Entgegen seiner Pflicht, selbst aktiv zur Konfliktbewältigung beizutragen, tut er so, als sei sein geopolitischer Widerpart ein Schwachkopf – und lässt schnellstmöglich die nächste Sottise raus:

“Es ist wichtig, dass Putin versteht, dass er seine Truppen zurückziehen muss“.

Man nennt das verbale Vorne-Verteidigung. Die Tagesschau bringt derart hohle Phrasen garantiert im O-Ton und kommentarlos auf den Schirm, statt sie als Realsatire zu brandmarken. Das Publikum lässt es sich ja gefallen. Noch.

Quellen

https://www.tagesschau.de/inland/scholz-washington-105.html
https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/scholz-biden-111.html
https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt-9971.html
https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-56347.html
https://dejure.org/gesetze/StGB/140.html
https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/buergerrechte/russlandversteher-in-berlin-mit-2000-euro-bestraft/
https://www.bundestag.de/resource/blob/414640/44a2b7337d3b8fd94962639cb365c9c8/WD-2-049-07-pdf-data.pdf
https://www.zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-21-vom-30-november-2022.html
https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-von-bundeskanzler-olaf-scholz-2019954
https://www.zeit.de/2022/51/angela-merkel-russland-fluechtlingskrise-bundeskanzler
https://lxgesetze.de/gg/24
https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_26.html
http://stgb-online.de/verrat.html
https://www.un.org/depts/german/gv-notsondert/a-es11-1.pdf
https://www.wallstreet-online.de/nachricht/16690507-scholz-kuendigt-kontinuierliche-waffenlieferungen-ukraine
https://www.bundestag.de/resource/blob/892384/d9b4c174ae0e0af275b8f42b143b2308/WD-2-019-22-pdf-data.pdf
https://www.tagesschau.de/ausland/scholz-kampfpanzer-leopard-ukraine-101.html
https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/un_charta_666.html
https://www.mpil.de/files/pdf1/vrz.gewaltverbot.pdf
https://www.rnd.de/politik/ukraine-krieg-baerbock-ueber-sanktionen-das-wird-russland-ruinieren-RZDYS2DEPRK5OST7ZGGRZ6UN4I.html
https://unric.org/de/un-aufgaben-ziele/frieden-und-sicherheit/
https://de.statista.com/themen/9109/sanktionen-gegen-russland/#topicOverview
https://www.nachdenkseiten.de/?p=95404
https://verfassungsblog.de/wirtschaftssanktionen-gegen-russland-und-ihre-rechtlichen-grenzen
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1293274/umfrage/umfrage-zu-den-zustimmungswerten-fuer-wladimir-putin-in-russland/
https://www.tagesspiegel.de/politik/russland-gorbatschow-deutsche-presse-ist-die-boesartigste-ueberhaupt/1512810.html
https://uebermedien.de/82771/landesregierung-will-veroeffentlichte-preistraeger-noch-mal-veroeffentlichen/
https://fra.europa.eu/de/eu-charter/article/11-freiheit-der-meinungsaeusserung-und-informationsfreiheit
https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html
https://www.tagesschau.de/inland/rt-de-rundfunklizenz-101.html
https://www.tagesschau.de/investigativ/hr/verbot-russische-staatssender-101.html
https://www.deutschlandfunk.de/putin-medien-propaganda-russland-europa-eu-kommission-sender-100.html
https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/Digitalisierung/Internet/Netzneutralitaet/DNSsperren/start.html
https://www.fallrecht.de/bv027071.html#080
https://www.berliner-zeitung.de/news/scholz-zu-putin-haftbefehl-niemand-steht-ueber-recht-und-gesetz-li.329010
https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-56079.html
https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129a.html
https://dejure.org/gesetze/StGB/258a.html
https://www.tagesschau.de/ausland/scholz-cnn-103.html

 Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

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Grafikquellen          :

Oben     —   Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

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Kapitalismus-Kannibalismus

Erstellt von Redaktion am 27. März 2023

Die multidimensionale Krise und der Sozialismus des 21. Jahrhunderts

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Von Nancy Fraser

Seit dem Ende der Systemkonkurrenz, dem Untergang des realexistierenden Sozialismus, gibt es auf der Welt nur noch ein herrschendes System, wenn auch in durchaus unterschiedlicher Ausprägung, nämlich den Kapitalismus. Da aber die globalen Krisen nicht ab-, sondern zunehmen und sich wechselseitig verstärken, stellt sich eine entscheidende Frage: Was stimmt nicht mit dem Kapitalismus? Kritiker, die den Kapitalismus aus einem eher eng gefassten Blickwinkel, als bloße Wirtschaftsform, betrachten, erkennen an ihm drei wesentliche Fehler: Ungerechtigkeit, Irrationalität und Unfreiheit.

Erstens sehen sie die zentrale Ungerechtigkeit des Systems in der Ausbeutung der Klasse der freien, eigentumslosen Arbeiter durch das Kapital. Letztere arbeiten viele Stunden umsonst und produzieren enormen Reichtum, an dem sie keinen Anteil haben. Der Nutzen fließt vielmehr der Kapitalistenklasse zu, die sich die überschüssige Arbeit und den dadurch erzeugten Mehrwert aneignet und letzteren für ihren eigenen, vom System diktierten Zweck reinvestiert – nämlich um immer mehr davon zu akkumulieren. Die noch schwererwiegendere Folge ist das unerbittliche exponenzielle Wachstum des Kapitals als feindselige Macht, die genau die Arbeiter beherrscht, die es produzieren. Schauplatz dieser Ausbeutung ist die Sphäre der Produktion.

Zweitens besteht nach dieser Sichtweise eine der entscheidenden Irrationalitäten des Kapitalismus in seiner eingebauten Tendenz zu wirtschaftlichen Krisen. Ein Wirtschaftssystem, das auf die unbegrenzte Akkumulation von Mehrwert ausgerichtet ist, der von profitorientierten Unternehmen privat angeeignet wird, ist von Natur aus selbstdestabilisierend. Das Streben nach Kapitalvermehrung durch Produktivitätssteigerung mittels technischen Fortschritts führt immer wieder zu einem Fall der Profitrate, zur Überproduktion von Waren und zur Überakkumulation von Kapital. Reparaturversuche wie die Finanzialisierung schieben den Tag der Abrechnung nur hinaus und sorgen dafür, dass er umso schlimmer ausfällt, wenn er denn kommt. Im Allgemeinen wird der Verlauf der kapitalistischen Entwicklung von periodischen Wirtschaftskrisen unterbrochen: von Boom-Bust-Zyklen, Börsencrashs, Finanzpaniken, Pleitewellen, massiver Wertvernichtung und Massenarbeitslosigkeit.

Und schließlich drittens besagt die eher enge Sichtweise, dass der Kapitalismus zutiefst unfrei und damit konstitutiv undemokratisch ist. Zugegeben, er verspricht oftmals – gerade in seiner europäischen Ausprägung – Demokratie im politischen Bereich. Dieses Versprechen wird jedoch systematisch im Ökonomischen durch soziale Ungleichheit einerseits und durch Klassenmacht andererseits unterlaufen. Insbesondere der kapitalistische Arbeitsplatz ist in den meisten Ländern von jeglichem Anspruch auf demokratische Selbstverwaltung ausgenommen. In dieser Sphäre befiehlt das Kapital und die Arbeiter gehorchen.

Die Probleme des Kapitalismus ergeben sich gemäß dieser Perspektive aus der inneren Dynamik der kapitalistischen Wirtschaft, seine Fehler liegen also primär in seiner wirtschaftlichen Organisation. Dieses Bild ist keineswegs falsch, aber unvollständig. Es zeigt vor allem die dem System inhärenten wirtschaftlichen Übel korrekt auf, versäumt es aber zugleich, eine Reihe von nichtökonomischen Ungerechtigkeiten, Irrationalitäten und Unfreiheiten zu erfassen, die ebenso konstitutiv für das System sind. Um diese zu identifizieren, verlangt der Begriff „Kapitalismus“ nach einer grundsätzlichen Klärung. Mit dem Wort wird gemeinhin ein Wirtschaftssystem bezeichnet, das auf Privateigentum und Markttausch, auf Lohnarbeit und gewinnorientierter Produktion beruht. Aber diese Definition ist zu eng gefasst und verschleiert eher das wahre Wesen des Systems, als dass sie es offenlegt.

„Kapitalismus“, so werde ich im Folgenden argumentieren, bezeichnet etwas weit Größeres, Umfassenderes, nämlich eine Gesellschaftsordnung, die eine profitorientierte Wirtschaft dazu befähigt, die außerökonomischen Stützen, die sie zum Funktionieren braucht, auszuplündern: Reichtum, der der Natur und unterworfenen Bevölkerungen entzogen wird; vielfältige Formen von Care-Arbeit, die chronisch unterbewertet, wenn nicht gar völlig verleugnet werden; öffentliche Güter und staatliche Befugnisse, die das Kapital sowohl benötigt als auch zu beschneiden versucht; die Energie und Kreativität der arbeitenden Menschen. Obwohl sie nicht in den Unternehmensbilanzen auftauchen, sind diese Formen des Reichtums wesentliche Voraussetzungen für die Profite und Gewinne, die dort sehr wohl verzeichnet sind. Als wesentliche Grundlagen der Akkumulation stellen auch sie konstitutive Bestandteile der kapitalistischen Ordnung dar.

Kapitalismus bezeichnet also nicht nur eine Wirtschaftsform, sondern eine Gesellschaftsform, die es einer offiziell als kapitalistisch bezeichneten Wirtschaft erlaubt, monetären Wert für Investoren und Eigentümer anzuhäufen, während sie den nicht ökonomisierten Reichtum aller anderen verschlingt. Indem sie diesen Reichtum den Konzernen auf dem Silbertablett serviert, lädt sie diese ein, sich an unseren kreativen Fähigkeiten und an der Erde, die uns ernährt, zu laben – ohne die Verpflichtung, das, was sie verbrauchen, wieder aufzufüllen, oder das, was sie beschädigen, zu reparieren.

Damit aber sind den verschiedensten Problemen Tür und Tor geöffnet. Zugespitzt gesagt: Wie der Ouroboros, das alte Bildsymbol einer den eigenen Schwanz fressenden Schlange, ist die kapitalistische Gesellschaft darauf ausgerichtet, ihre eigene Substanz zu verschlingen. Sie ist ein wahrer Dynamo der Selbstdestabilisierung, der regelmäßig Krisen auslöst, während er routinemäßig die Grundlagen unserer Existenz auffrisst.

Eine seltene Art von Krise in Form mehrerer Fressanfälle

Der Kapitalismus ist also ein kannibalistisches System, dem wir die gegenwärtige globale Krise verdanken. Offen gesagt, handelt es sich um eine seltene Art von Krise, in der mehrere Fressanfälle zusammentreffen. Was wir dank der jahrzehntelangen Finanzialisierung erleben, ist nicht „bloß“ eine Krise der grassierenden Ungleichheit und der prekären Niedriglohnarbeit; auch nicht „bloß“ eine Krise der Fürsorge oder der sozialen Reproduktion; auch nicht „bloß“ eine Krise der Migration und der rassistischen Gewalt. Es handelt sich auch nicht „einfach“ um eine ökologische Krise, in der ein sich aufheizender Planet tödliche Seuchen ausspuckt, und nicht „nur“ um eine politische Krise, die sich durch eine ausgehöhlte Infrastruktur, einen verstärkten Militarismus und dadurch auszeichnet, dass überall auf dem Globus Politiker Erfolg haben, die sich als starke Männer (strong men) gerieren. Oh nein, es ist viel schlimmer: Wir haben es mit einer allgemeinen Krise der gesamten Gesellschaftsordnung zu tun, in der all diese Katastrophen konvergieren, sich gegenseitig verschärfen und uns zu verschlingen drohen. Legt man dieses „kannibalische“ Verständnis des Kapitalismus zugrunde, kommen diese fundamentalen Probleme klar zum Vorschein.

Erstens fördert die kannibalische Sicht auf den Kapitalismus einen erweiterten Katalog von Ungerechtigkeiten zutage. Diese sind aber eben nicht ausschließlich in der Ökonomie des Systems begründet, sondern in den Beziehungen zwischen der kapitalistischen Ökonomie und ihren nichtökonomischen Bedingungen. Ein Beispiel dafür ist die Trennung zwischen wirtschaftlicher Produktion, bei der die notwendige Arbeitszeit in Form von Geldlöhnen vergütet wird, und sozialer Reproduktion, bei der die Arbeit unbezahlt oder unterbezahlt ist, naturalisiert oder sentimentalisiert und zum Teil mit Liebe vergütet wird. Diese historisch geschlechtsspezifische Aufteilung verankert wichtige Formen der Herrschaft im Herzen der kapitalistischen Gesellschaften: die Unterordnung der Frau, die Geschlechterbinarität und die Heteronormativität. In ähnlicher Weise errichten kapitalistische Gesellschaften eine strukturelle Trennung zwischen freien „Arbeitern“, die ihre Arbeitskraft gegen Lohn zur Deckung ihrer Reproduktionskosten eintauschen können, und abhängigen „Anderen“, deren Körper, Land und Arbeitskraft einfach beschlagnahmt werden können. Diese Teilung fällt mit der globalen colour line zusammen. Sie trennt die „bloß“ Ausbeutbaren von den offen Enteigenbaren und rassifiziert letztere Gruppe als von Natur aus verletzlich. Das Ergebnis ist die Verfestigung einer Reihe von strukturellen Ungerechtigkeiten, darunter rassistisch motivierte Unterdrückung, (alter und neuer) Imperialismus, die Enteignung von Indigenen und Völkermord.Schließlich führen kapitalistische Gesellschaften eine scharfe Trennung zwischen Menschen und nichtmenschlicher Natur ein, die nicht mehr demselben ontologischen Universum angehören. Die nichtmenschliche Natur fungiert allein als Zapfhahn und Senke, weshalb sie sich brutaler Instrumentalisierung ausgesetzt sieht. Selbst wenn man dies nicht als Ungerechtigkeit gegen die „Natur“ (oder gegen nichtmenschliche Tiere) betrachten will, ist es doch zumindest eine Ungerechtigkeit gegen bestehende und künftige Generationen von Menschen, denen ein zunehmend unbewohnbarer Planet hinterlassen wird. Generell macht also eine erweiterte Sicht der kapitalistischen Gesellschaft einen erweiterten Katalog struktureller Ungerechtigkeiten sichtbar, der die Klassenausbeutung einschließt, aber weit darüber hinausgeht.

Die systematische Zerstörung der eigenen Grundlagen

Eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus müsste neben den ökonomischen Ausbeutungsverhältnissen auch diese anderen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten beseitigen. Sie darf sich nicht darauf beschränken, die Organisation der wirtschaftlichen Produktion zu verändern, sondern muss auch deren Verhältnis zur gesellschaftlichen Reproduktion und damit die Geschlechter- und Sexualordnung transformieren. Ebenso muss sie der Mitnahmementalität des Kapitals mit Blick auf die Natur und der Enteignung des Reichtums der unterjochten Bevölkerungen und damit der rassistischen und imperialistischen Unterdrückung ein Ende machen. Kurz gesagt: Wenn der Sozialismus die Ungerechtigkeiten des Kapitalismus beseitigen soll, muss er nicht „nur“ die kapitalistische Wirtschaft, sondern die gesamte institutionalisierte Ordnung der kapitalistischen Gesellschaft verändern.

Aber damit noch nicht genug. Das erweiterte Konzept weitet auch unseren Blick darauf, was als kapitalistische Krise gilt. Wir können auf diese Weise einige eingebaute selbstdestabilisierende Tendenzen erkennen, die über die der kapitalistischen Wirtschaft innewohnenden Dynamiken hinausgehen.

Erstens gibt es eine systemische Tendenz, die soziale Reproduktion zu kannibalisieren – und damit Fürsorgekrisen zu provozieren. In dem Maße, in dem das Kapital versucht, die Bezahlung der unbezahlten Care-Arbeit, von der es abhängig ist, zu vermeiden, übt es regelmäßig enormen Druck auf diejenigen aus, die diese Arbeit in erster Linie leisten: Familien, Gemeinschaften und vor allem Frauen. Die gegenwärtige, finanzialisierte Form der kapitalistischen Gesellschaft erzeugt heute genau eine solche Krise, da sie sowohl eine Kürzung der öffentlichen Bereitstellung sozialer Dienstleistungen als auch eine Erhöhung der Lohnarbeitsstunden pro Haushalt, also gerade auch von Frauen, fordert.

Die erweiterte Sichtweise macht zweitens eine inhärente Tendenz zur ökologischen Krise sichtbar. Da das Kapital es vermeidet, auch nur annähernd die wahren Wiederbeschaffungskosten für die Inputs zu zahlen, die es der nichtmenschlichen Natur entnimmt, laugt es die Böden aus, verschmutzt es die Meere, überflutet es Kohlenstoffsenken und überfordert ganz allgemein die Kohlenstoffspeicherkapazität des Planeten. Es bedient sich kannibalisch am natürlichen Reichtum und verleugnet dessen Reparatur- und Ersatzkosten, wodurch es die metabolische Interaktion zwischen den menschlichen und nichtmenschlichen Komponenten der Natur regelmäßig destabilisiert. Die Folgen sind heute unübersehbar: Was den Planeten zu verbrennen droht, ist nämlich nicht, wie in fast jeder UN-Deklaration bemüht, „die Menschheit“, sondern der Kapitalismus.

Die Tendenzen des Kapitalismus zur ökologischen und sozial-reproduktiven Krise sind drittens untrennbar mit seinem konstitutiven Bedarf an enteignetem Reichtum rassifizierter Bevölkerungen verbunden: seine Abhängigkeit von gestohlenem Land, erzwungener Arbeit und geplünderten Rohstoffen; seine Abhängigkeit von rassifizierten Zonen als Deponien für Giftmüll und von rassifizierten Gruppen als Lieferanten von unterbezahlter Care-Arbeit, die zunehmend in globalen Betreuungsketten organisiert wird. Das Ergebnis ist eine Verflechtung von wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Krise mit Imperialismus und rassistisch-ethnischem Antagonismus.

Von der Krise des Regierens zur Untergrabung der Demokratie

Viertens offenbart der erweiterte Blick auf den Kapitalismus eine strukturelle Tendenz zur politischen Krise. In diesem Bereich will das Kapital ebenfalls beides zugleich haben: öffentliche Güter und eine Freistellung von ihrer Finanzierung. Durch die Hinterziehung von Steuern und die Schwächung staatlicher Regulierungen neigt es dazu, die öffentliche Gewalt auszuhöhlen, von der es doch zugleich abhängig ist. Die aktuelle, finanzialisierte Form des Kapitalismus hebt dieses Spiel auf eine ganz neue Ebene. Die Megakonzerne sind den territorial gebundenen öffentlichen Mächten weit überlegen, indem die globale Finanzwelt die Staaten diszipliniert; indem sie Wahlergebnisse, die nicht in ihrem Sinne ausfallen, lächerlich macht und antikapitalistische Regierungen daran hindert, auf die Forderungen der Bevölkerung einzugehen. Das Ergebnis ist eine große Krise des Regierens, die nun mit einer Krise der Hegemonie einhergeht, da sich die Menschen auf der ganzen Welt massenhaft von den etablierten politischen Parteien und dem neoliberalen Common Sense abwenden.

Und schließlich ist da noch das eingebaute Demokratiedefizit des Kapitalismus. Auch dieser Fehler erscheint weitaus größer, wenn wir uns eine erweiterte Sichtweise dieses Gesellschaftssystems zu eigen machen. Das Problem besteht nicht nur darin, dass die Bosse in den Fabriken das Sagen haben. Es geht auch nicht nur darum, dass wirtschaftliche Ungleichheit und Klassenmacht jeden Anspruch auf gleiche demokratische Mitsprache im politischen Bereich zunichtemachen. Ebenso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger ist, dass dieser Bereich von Anfang an stark beschnitten wurde.

Tatsächlich wird durch die Trennung von Wirtschaft und Gemeinwesen der Spielraum für demokratische Entscheidungen von vornherein radikal verkleinert. Wenn die Produktion an private Unternehmen übertragen wird, sind es nicht wir, die unser Verhältnis zur Natur und das Schicksal des Planeten kontrollieren, sondern die Klasse der Kapitalisten. Ebenso entscheiden nicht wir, sondern sie über die Form unseres Arbeits- und Nichtarbeitslebens – wie wir unsere Energien und unsere Zeit aufteilen, wie wir unsere Bedürfnisse interpretieren und befriedigen. Indem sie die private Aneignung des gesellschaftlichen Überschusses gestattet, ermächtigt die spezifische Verbindung von Wirtschaft und Gemeinwesen schließlich die Kapitalisten, den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung zu gestalten und damit unsere Zukunft zu bestimmen. Die zentralen gesellschaftlichen Fragen werden in kapitalistischen Gesellschaften also von vornherein von der politischen Agenda gestrichen. Investoren, die auf maximale Akkumulation aus sind, entscheiden sie hinter unserem Rücken. Kurzum: Der Kapitalismus kannibalisiert nicht nur sich selbst, sondern auch uns – er raubt uns die kollektive Freiheit, gemeinsam zu entscheiden, wie wir leben wollen.

Wie hätte ein Sozialismus für das 21. Jahrhundert auszusehen?

Quelle         :         Blätter-online         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle :

Oben     —     Großbaustelle der Blöcke F und G des Braunkohlekraftwerks mit optimierter Anlagentechnik (BoA) Neurath bei Grevenbroich

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Besser gewappnet sein

Erstellt von Redaktion am 20. März 2023

Europa muss es besser machen als China:

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Kohlemine in der Inneren Mongolei; 2005

Ein Debattenbeitrag von :    ELEONORA EVI, SANDRA DETZER, JORIS THIJSSEN, MARIE-PIERRE VEDRENNE

Echte Partner-schaften bilden und Industrien vor Ort aufbauen. Die EU-Kommission stellt ein neues Gesetz über kritische Rohstoffe vor. Ziel ist es, Krisen vorzubeugen sowie unabhängiger und nachhaltiger zu wirtschaften.

Wir alle in der Europäischen Union haben eine Vorstellung von Öl- und Gaskrisen. Die Älteren erinnern sich an die Ölkrise 1973, als arabische Länder ihre Öllieferungen einstellten. Die Jüngeren erleben gerade, wie Russland im Zuge des Angriffskrieges gegen die Ukraine Gas als Waffe einsetzt. Aber wer von uns hat je an eine Nickel-, Lithium- oder Kobalt-Krise als möglichen historischen Einschnitt gedacht? Was wäre, wenn uns China oder einige afrikanische Länder diese Metalle nicht länger lieferten? Spannen wir dann wieder Rettungsschirme und fragen uns, wie wir so naiv in sichtbare Abhängigkeiten geraten konnten?

Damit solche Krisen erst gar nicht entstehen, muss Europa für die Zukunft besser gewappnet sein. Darum ist es richtig, dass die EU-Kommission in Person von Binnenmarktkommissar Thierry Breton jetzt sein neues Vorhaben vorstellte: ein europäisches Gesetz über kritische Rohstoffe. Es soll uns helfen, über ausreichend kritische Rohstoffe wie Nickel, Lithium, Kobalt oder seltene Erden zu verfügen, damit nie ein europäisches Windrad oder eine europäische Solaranlage aus Rohstoffmangel keinen Strom liefert.

Noch kennen wir es nicht anders. Mangel an diesen kritischen Metallen, die wir meist in weiterverarbeiteter Form aus China beziehen, gab es bisher nicht. Das ist allerdings auch der Grund, warum wir in Europa nicht auf eine Rohstoffkrise vorbereitet sind.

Das neue europäische Gesetz markiert deshalb einen echten Neustart. Zum ersten Mal gibt sich Europa eine gemeinsame Strategie für kritische Rohstoffe. Es geht hier um elementarste Vorkehrungen für die eigene Sicherheit und den Klimaschutz.

Gerade für den Ausbau von Sonnen- und Windenergie als vorherrschende Energieträger ebenso wie für die Elektromobilität brauchen wir große Mengen kritischer Rohstoffe. Um sie über Jahre zuverlässig zu beschaffen, gibt uns der Raw Materials Act die nötigen Regeln. Das neue Gesetz schafft ein gemeinsames Verständnis für die Bedeutung kritischer Rohstoffen für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften. Es führt zu einem gemeinsamen Handeln der europäischen Akteure für sichere und diversifizierte Lieferketten. Es soll uns auf hohe ökologische und soziale Standards bei Bergbau und Weiterverarbeitung verpflichten.

Um damit erfolgreich zu sein, muss das Gesetz echte Partnerschaften zwischen den Ländern des Globalen Südens und der EU ermöglichen. Mit Investitionen in die Infrastruktur und die weiterverarbeitende Industrie vor Ort können wir echte Win-win-Situationen schaffen. Dabei sollte das Gesetz auch im Ausland hohe Umweltstandards und menschenwürdige Arbeitsplätze sicherstellen.

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Wer lernt Heute noch das lügen – wird auch Morgen noch betrügen. Die Luft in der EU wird besser, da der Dreck in China anwächst?

Europa muss seine strategische und industrielle Unabhängigkeit stärken. Es muss in der Lage sein, Wertschöpfungsketten für den Abbau und die Nutzung von Ressourcen innerhalb Europas zu schaffen. Das erfordert eine Reform der nationalen Gesetze, um kluge Bergbau-Regeln für die Einhaltung unserer Umweltambitionen umzusetzen und gleichzeitig bei der Rohstoffsouveränität voranzukommen. Mehr Unabhängigkeit müssen wir auch durch die Wiederverwendung von Rohstoffen gewinnen, die bereits im Umlauf sind. Das Gesetz setzt hier die richtigen Ziele: 10 Prozent der benötigten kritischen Rohstoffe sollen bis 2030 innerhalb der EU gefördert werden, 15 Prozent recycelt und 40 Prozent in der EU veredelt werden. Um diese Ziele zu erreichen, muss unser gesamter europäischer Industrieapparat in die Umgestaltungen einbezogen werden. Nur dann können wir Rohstoffe direkt in Europa nachhaltig nutzen, verarbeiten und wiederverwenden.

In der Vergangenheit verfügte bei der Rohstoffbeschaffung jedes europäische Land über seine eigenen Methoden. In Paris und Rom ließ man alte Verbindungen spielen, in Berlin vertraute man der Kraft der eigenen Großunternehmen. Das alles wird nun nicht mehr reichen.

Vor Ort in Ländern wie Simbabwe und dem Kongo haben chinesische Staatsunternehmen bereits umfangreich investiert und wollen es auch in Zukunft tun. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, denn auch China investiert damit in Energiewende und Klimaschutz. Doch wir Europäer müssen hier nicht nur mit China gleichziehen, sondern es besser machen: Nämlich indem wir die weiterverarbeitende Industrie, die sich heute oft in China befindet, vor Ort aufbauen. Nicht umsonst hat Simbabwe gerade den Export von unverarbeiteten Lithium verboten. Das Land wartet auf die Investoren vor Ort.

Quelle         :        TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Grafikquelle :

Oben     —     Kohlemine in der Inneren Mongolei; 2005

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Kolumne Materie

Erstellt von Redaktion am 15. März 2023

Anschlag auf Nord-Stream-Pipelines: – Danke! Danke! Danke!

Eine Kolumne von Kersten Augustin

Eigentlich ist es egal, wer es war: Wer auch immer die Nord-Stream-Pipeline gesprengt hat, hat drei Preise verdient.

Wer hat die Nord-Stream-Pipeline gesprengt? Die Ostsee liegt zwar wieder so ruhig und langweilig da, wie es ihre Art ist, aber die Gerüchteküche blubbert. Einer Recherche verschiedener Medien zufolge soll eine Gruppe von sechs Personen mit gefälschten Pässen an der deutschen Ostseeküste eine Jacht gemietet haben und mit einem Sprengsatz zur Pipeline geschippert sein.

Das ist natürlich wahnsinnig aufregend, aber schlauer ist man nach dieser Recherche nicht – außer, dass es ein Wieck auf dem Darß und ein Wiek auf Rügen gibt und die Jacht an einem der beiden Häfen ein Päuschen gemacht hat. Ob die Sprengung aber von Ukrainern oder Russen ausgeführt wurde, ob die ukrainische Regierung informiert oder involviert war oder gar die Amerikaner – nichts davon ist heute klarer als vor einer Woche.

Einige Hinterbänkler sehen trotzdem die Chance, aus den Vermutungen Profit zu schlagen. Über „Terrorismus mit Staatshilfe“ spekuliert etwa Ralf Stegner und behauptet, die Medienberichte legten nahe, dass „Putin es nicht war“. Er raunt über „politische Turbulenzen, die sich gewaschen haben dürften“. Die Hoffnung, einen Grund zu finden, die Waffenlieferungen an die Ukraine endlich einzustellen, ist in Bordesholm so stark spürbar, da braucht man keinen Seismografen.

Ich muss Sie enttäuschen, auch diese Kolumne wird das Rätsel nicht lösen. Aber ich werde es herausfinden, mit einer investigativen Methode, einem Preisausschreiben. Denn egal, wer für die Zerstörung der Pipeline verantwortlich ist und woher die Täter kommen, ihnen gehören sämtliche Orden angebunden.

So geht sozial-ökologische Transformation

Zunächst der ARD-Vorabend-Preis für den besten Krimiplot: Man muss sich das nur mal vorstellen, wie diese Jacht, bis oben hin vollgepackt mit Sprengstoff, in den beschaulichen Hafen Wiek auf Rügen einfährt, neben der Jacht eines Rostocker Zahnarztes vertäut wird und etwas später weiterfährt. James Bond kann einpacken, bei dieser Geschichte stimmt einfach alles.

James Bond kann einpacken, hier stimmt einfach alles

File:Nord Stream gas leaks 2022.svg

Die Pipeline-Helden verdienen außerdem den Footprint-Award für sozialökologische Transformation: Sie haben für das Ende des fossilen Albtraums mehr geleistet als jeder vegane Nachtzugfahrer. Ohne ihren heldenhaften Einsatz wäre die Wärmepumpe immer noch ein Kapitel im grünen Parteiprogramm. Jetzt ist sogar dem letzten aus Aserbaidschan bezahlten CDU-Politiker klar: Es gibt keinen Weg zurück zum russischen Billiggas.

Womit wir beim dritten Preis wären: Dem Gerhard-Schröder-Preis für Verdienste gegen die deutsche Sozialdemokratie. Denn seien wir ehrlich, spätestens im nächsten Winter, wenn es wieder kalt wird, aber Christian Lindner sich weigert, Olaf Scholz’ Finanzbazooka nachzuladen, wird es ungemütlich werden in Deutschland. Und wenn es in der Ukraine dann etwas gäbe, das man aus der Ferne mit zusammengekniffenen Augen als Waffenstillstand bezeichnen könnte, wären die ersten Sozialdemokraten aus ihren norddeutschen Villen gekrochen und hätten gefordert, dass wir doch bitte Nord Stream 2 endlich in Betrieb nehmen.

Quelle          :       TAZ-online

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Grafikquellen          :

Oben     —   [1] Materie: ein Atom

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Unten        —    Karte der Explosion, die an den Nord-Stream-Pipelines am 26. September 2022 verursacht wurden.

https://www.berria.eus/albisteak/218737/berlinek-eta-moskuk-laquosabotajetzatraquo-jo-dituzte-nord-streameko-isuriak.htm

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Fukushima-Atom-Unfall

Erstellt von Redaktion am 8. März 2023

12 Jahre danach – Was haben wir daraus gelernt?

Dort, wo die Nieten schwitzen – werdem keine Einfälle blitzen. Weiter so… 

Quelle         :     Mitwelt Stiftung Oberrhein

Von      :      Axel Mayer

Vor 12 Jahren, am 11. März 2011, begann mit dem Tōhoku-Erdbeben die Atomkatastrophe von Fukushima. In vier der sechs Reaktorblöcke gab es extrem schwere Unfallabläufe, teilweise mit Kernschmelzen und ein massives Entweichen von Radioaktivität. Es war einer dieser typischen schweren Atomunfälle, ein Katastrophenablauf, mit dem die Betreiber im Vorfeld nicht gerechnet hatten.

Glück im Unglück war ein gnädiger Wind, der in den Anfangstagen die extreme Radioaktivität aufs Meer hinaustrug und nicht in die nahe Metropolregion Tokio mit ihren 37 Millionen Menschen.

Wenige Monate nach den Kernschmelzen in den Atomanlagen von Fukushima Daiichi trafen der Betreiber Tepco und die japanische Regierung die Vereinbarung, den geschmolzenen Kernbrennstoff binnen eines Jahrzehnts aus den zerstörten Meilern zu bergen, doch wie so viele Versprechungen des japanischen „atomaren Dorfes“ ist dies nicht geschehen. Erfolgreich war allerdings die verharmlosende Nach-Unfall-PR, die heute Krisenkommunikation genannt wird.

12 Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima sind die Entschädigungen für die tatsächlichen Opfer der Katastrophe minimal. Doch ein Gericht in Tokio ordnete die Zahlung von 13 Billionen Yen (94,6 Milliarden Euro) Schadensersatz für die Aktionäre des Atomkonzerns an. (Eine Milliarde sind tausend Millionen). Es gibt wenige Urteile, die besser die „Westlichen Werte“ aufzeigen, für die Japan und der Westen leider immer mehr stehen.

Die Atomunfälle von Fukushima und Tschernobyl kamen viele Millionen Jahre zu früh. In einer alten, bundesweit verteilten Broschüre der deutschen Atomkonzerne stand sinngemäß: „Wenn die Vormenschenaffen im Alt-Tertiär vor 50 Millionen Jahren 20 Kernkraftwerke gebaut und seither betrieben hätten, dann hätte man einen solchen Unfall mit Kernschmelze und Freisetzung von Radioaktivität vielleicht einmal registrieren können“. Die alten, falschen Versprechungen von der hundert Prozent sicheren Atomkraft aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts werden auch 2023 wieder gemacht und Ängste vor einem Blackout durch den Atomausstieg gezielt geschürt …

Die internationale Atomlobby war nach Fukushima und Tschernobyl für kurze Zeit ein wenig in Deckung gegangen. Aufgegeben hat sie ihr profitables Geschäft nicht. Das globale atomare Dorf, die alten mächtigen Seilschaften funktionieren immer noch. Die atomar-fossile Lobby lässt die zukunftsfähigen Energien und die Energiewende bekämpfen, denn Strom aus Wind und Sonne ist schon lange kostengünstiger als Strom aus neuen Kohle- und Atomkraftwerken.

In Deutschland kämpfen einflussreiche Lobbygruppen und Parteien immer noch mit Angstkampagnen gegen die Abschaltung der letzten AKW und auch neue, wieder einmal 100 % sichere Atomkraftwerke werden geschickt ins Gespräch gebracht.

Nur die Vor-Fukushima Durchsetzungsstrategien wurden geändert. Mit den makaber-erfolgreichen Strategien, mit denen die Gefahren des Klimawandels und von Asbest heruntergespielt wurden, werden jetzt die Folgen des Reaktorunfalls verharmlost. Es sind nicht so sehr die Betreiber-Konzerne der alten AKW noch die neuen Atom-Start-Ups mit ihren gefährlich-unreifen Reaktor-Konzepten, die Laufzeitverlängerung und neue AKW fordern, sondern scheinbar unabhängige Bürgerinitiativen und Tarnorganisationen wie die Nuclear Pride Coalition. Die alte Gefahrtechnologie Atomkraft soll nach dem Willen der Strategen im Hintergrund mit dem Klimaschutz-Argument grüngewaschen werden. So wie die Verantwortlichen des bisher letzten Weltkrieges auf Wunderwaffen setzten, so setzen die Verantwortlichen im aktuellen, erneut verloren gehenden Krieg gegen Klima und Natur auch auf die Wunderwaffe Atomkraft.

Wenn jetzt nach Fukushima „sonnenarme“ Länder wie Saudi-Arabien, Jordanien, Türkei, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate teure AKW bauen wollen, dann geht es nicht in erster Linie um Energie oder Klimaschutz, denn Strom aus Wind und Sonne ist schon lange günstiger als Strom aus neuen Atomkraftwerken. Es geht um Proliferation, um zukünftige „Atomkraftwaffen“ und Macht. Jedes neue Land, das über Atomkraftwaffen verfügt, erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges und des damit verbundenen atomaren Winters. So könnte die Atomkraft tatsächlich einen makabren Beitrag gegen den Klimawandel und zur globalen „Abkühlung“ leisten. Der Neubau von AKW und der weltweite AKW-Export (nicht nur in Spannungsgebiete) sind ein globales Selbstmordprogramm.

Was haben wir aus der Reaktorkatastrophe von Fukushima gelernt? Mit den Unfällen von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima wurden wieder einmal die realen Gefahren dieser nicht menschengerechten Technologie aufgezeigt und der Ausstieg aus der gefährlichen und teuren Atomkraft eingeleitet. Und andererseits sind die alten atomaren Seilschaften mit geschickten neuen Durchsetzungsstrategien und atomarem Greenwash immer noch aktiv, um AKW-Gefahrzeitverlängerung und neue Atomanlagen durchzusetzen.

Der Kampf gegen Apokalypse-Blindheit, Klimakatastrophe, Artenausrottung, gegen die Wachstumsreligion und gegen globale Zerstörungsprozesse, der große Streit für eine umweltfreundliche Technik und eine menschengerechte Zukunft steht auch 12 Jahre nach Fukushima noch ganz am Anfang.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein, (Alt-) BUND-Geschäftsführer, Bauplatzbesetzer 1975 in Wyhl

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Grafikquellen      :

Oben      —       Meeting with Fukushima Decontamination Team and staff from the JAEA Fukushima office. Hotel Sunroute Plaza, Fukushima. 9 October 2011. Copyright: <a href=“http://www.iaea.org/NewsCenter/Multimedia/Imagebank/index.jsp“ rel=“nofollow“>IAEA Imagebank</a> Photo Credit: Giovanni Verlini / IAEA

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Unten      —     Chainreaction carries on? 1986 Chernobyl – 2011 Fukushima – ???? Tihange Protest banner about the neclear katastrophe in Fukushima (Japan). Used at the protest march at 11th march 2017 in Essen, Germany

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Die Politik der Ampel

Erstellt von Redaktion am 3. März 2023

Wie eine Wärmewende in den Städten umgesetzt werden kann

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Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Klaus Meier

Rund 20 Prozent aller deutschen Treibhausgas-Emissionen entstehen durch den Wärmeverbrauch der Gebäude. Das ist ungefähr so viel wie der Verkehrssektor ausstößt. Trotzdem haben sich ökologische und linke Strömungen bisher nur wenig mit dieser Frage auseinandergesetzt. Aber die explodierenden Gaspreise haben das Interesse an dieser wichtigen Frage des Klimaschutzes schlagartig erhöht. Die dabei auftretenden Fragen lauten: Wie können wir die Gebäude ökologisch heizen? Wie schnell kann der Umbau gehen und wie hoch sind die Kosten? Was ist von Habecks Wärmepumpenoffensive zu halten?

Dem grünen Wirtschaftsminister Habeck ist sicherlich zu glauben, das er klimapolitisch umsteuern will. Doch die ständigen Kompromisse, die er dabei eingeht, haben nicht nur zu überdimensionierten LNG-Terminals und extrem langfristigen Flüssiggas-Lieferverträgen geführt. Die grün getünchte Wärmewende hat vor allem eine Schlagseite: Sie orientiert vornehmlich auf Besserverdienende, die in Einfamilienhäusern wohnen. Sie können sich Wärmepumpen und Haussanierungen leisten und erhalten obendrein noch einen Großteil der staatlichen Fördermittel. Der ärmere Teil der Bevölkerung, der sich das nicht leisten kann, muss de facto weiter auf fossile Gas- und Ölheizungen setzen und lebt zudem noch in den schlechter gedämmten Wohnungen mit höheren Heizkosten. Habecks Politik beinhaltet aber nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem, sondern mit dieser Ausrichtung gerät die Wärmewende auch in eine politische Sackgasse. Das gilt besonders für die verdichteten urbanen Räume, wo die Masse der Bevölkerung wohnt. Wo liegt hier das Problem? Tatsächlich kann unter den beengten Platzverhältnissen in den Städten nur dann ausreichend Heizenergie bereitgestellt werden, wenn man industrielle Abwärme, saisonale Wärmespeicher oder Tiefengeothermie nutzt. Das ist aber nur im großen Maßstab möglich. Wärmepumpen in privaten Kellern können das nicht leisten. Ein wesentlicher Ansatzpunkt in den Städten ist aber das Fernwärmesystem. Eine ausreichende finanzielle Förderung vorausgesetzt, könnte das Netz tatsächlich sehr schnell ausgebaut werden. Denn es gibt in zahlreichen Städten bereits Leitungen, die als Brückenköpfe dienen könnten. Nach Ansicht des Energieeffizienzverbandes AGFW ließe sich der Fernwärmeanteil in Deutschland bis 2030 auf 30 Prozent verdreifachen. In den großen Städten mit über 100.000 EinwohnerInnen könnte damit rund die Hälfte des Wärmeverbrauchs gedeckt werden. In den mittelgroßen Städten mit mehr als 20.000 EinwohnerInnen wären es dann 20 Prozent und in den Kleinstädten immerhin 10 Prozent. Das wäre ein Anfang.

Nachteilig ist allerdings, dass die bestehenden Wärmenetze vornehmlich mit fossilem Erdgas und sogar Kohle betrieben wurden. Doch die zentralisierte Wärmeversorgung bietet für eine Dekarbonisierung einen großen Vorteil: Statt die Heizungen in zehntausenden Kellern umzustellen, müssen nur die Heizzentralen mit erneuerbaren Energien versorgt werden. Ein Beispiel ist unser nördliches Nachbarland Dänemark: Die meisten Wohnungen wurden hier bereits in der Vergangenheit an Fernwärmenetze angeschlossen. So konnte eine Wärmewende in Dänemark sehr schneller umgesetzt werden. Bereits 50 Prozent der Fernwärmenetze wurden bis jetzt dekarbonisiert. Und die Wärmeversorgung von Kopenhagen soll sogar schon 2025 CO2-neutral sein. Das ist ein Vorbild, an dem wir uns auch in Deutschland orientieren können.

Klaus Meier

Einladung zur Veranstaltung:

Ökologisch Einheizen

Keine neuen Öl- und Gasheizkessel mehr ab 2024? Neuer Ampelstreit.

Ökologische Wärmewende in den Städten: Wie kann das gehen?

Referent: Klaus Meier,

Ingenieur, Hochschuldozent, 7. März 2023, 19:00 Uhr

Bisher wird in Deutschland vor allem mit Öl und Gas geheizt. Die CO2-Emissionen liegen dafür bei rund 20 %. Ein Entwurf im Wirtschaftsministerium will ab nächstem Jahr den Einbau von fossilen Heizungen verbieten. Die FDP schießen bereits massiv dagegen.

Ohne ein schnelles Umsteuern bei der Gebäudewärme können die Klimaziele aber nicht erreicht werden. Doch auch Habecks Politik hat Schlagseite: Seine Wärmepumpenförderung orientiert einseitig auf Einfamilienhäuser und vergisst die Menschen in den städtischen Regionen.

Zum Inhalt: Unser Referent diskutiert, wie eine ökologische Wärmewende in den urbanen Räumen umgesetzt werden kann: Warum sind Wärmenetze ein zentrales Element? Wofür brauchen wir dann Wärmepumpen? Was ist mit Solarthermie, Tiefengeothermie und Wohnungssanierungen? Wie hoch sind die Umbaukosten? Wie schnell lässt sich eine Wärmewende umsetzen?

Zoom-Einwahldaten:

Meeting-ID: 760 632 6079 Kenncode: 230696

https://us02web.zoom.us/j/7606326079?pwd=Z0VQUUdPQWNNeHdjblZZRDRpRzNndz09

Die Veranstaltung wird getragen von:

Netzwerk-Ökosozialismus (www.netzwerk-oekosozialismus.de)

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

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Grafikquellen       :

Oben       —     Luft/Wasser-Wärmepumpenheizung in einem Einfamilienhaus

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Pipelines Nord-Stream 1+2

Erstellt von Redaktion am 28. Februar 2023

«USA zerstörten Nord-Stream, damit Scholz keine Wahl mehr hat»

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Quelle      :        INFOsperber CH.

Urs P. Gasche /   

Laut US-Journalist Seymour Hersh wollten die USA verhindern, dass Deutschland im kalten Winter die Pipeline nutzt. Eine Nachlese.

Dieser Artikel legt nahe, dass die USA und Norwegen den Terrorakt in der Ostsee ausführten und nicht Russland. Damit stellt sich Infosperber nicht auf die Seite des Kriegsführers Putin, sondern versucht, im Fall Nord-Stream den Tatsachen so nahe wie möglich zu kommen. Das Schweigen der deutschen Regierung darf die Öffentlichkeit nicht akzeptieren.

27.9.22 Ursula von der Leyen
© U.v.d.L.

Am Tag nach dem Anschlag twitterte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: «Jede vorsätzliche Störung der aktiven europäischen Energieinfrastruktur ist inakzeptabel und wird zu den schärfstmöglichen Reaktionen führen.» Seither herrscht Schweigen. Von «scharfen Reaktionen» ist keine Rede mehr.

Bereits vor der Sabotage floss kein Erdgas mehr durch die alte Ostsee-Pipeline Nord-Stream 1. Und die neue Pipeline Nord-Stream 2 war noch nicht in Betrieb. Seymour Hersh erklärte am 14. Februar in einem Interview mit der Berliner Zeitung1:

«Nord Stream 2 wurde von Deutschland selbst auf Eis gelegt, nicht durch Sanktionen […] Das Weisse Haus befürchtete, dass Deutschland und Westeuropa die gewünschten Waffen nicht mehr liefern würden und dass der deutsche Bundeskanzler die Pipeline wieder in Betrieb nehmen könnte – das war eine grosse Sorge in Washington.»

Die USA hatten die Sabotage der Erdgasleitungen bereits einige Zeit vorher angekündigt. Nach dem erfolgreichen Terrorakt äusserten sich die USA offiziell sehr erfreut.

Seymour Hersh: «von langer Hand geplante Sabotage-Aktion»

Die USA hätten mit Hilfe Norwegens in einer verdeckten und von langer Hand geplanten Sabotage-Aktion die beiden Leitungen am 26. September 2022 gesprengt. Sie hätten verhindern wollen, dass Deutschland bei einer Gas-Knappheit im Winter 2022/23 doch wieder günstiges russisches Gas aus Russland importiert.

Zu diesem Schluss kam der US-Investigativjournalist Seymour Hersh, der seit Jahrzehnten Machenschaften der US-Administrationen aufdeckt. Unter dem Titel «How America Took Out The Nord Stream Pipeline» beschreibt er, wie die USA die Geheimaktion von langer Hand vorbereiteten und dann zusammen mit norwegischen Spezialeinheiten durchführten. Bereits im Juni 2022 hätten US-Marinetaucher im Rahmen einer NATO-Sommerübung namens BALTOPS 22 die fernauslösbaren Sprengsätze an den Pipelines angebracht, die drei Monate später ferngesteuert drei der vier Nord-Stream-Pipelines zerstörten.

Hersh stützt sich nach eigenen Angaben auf eine Quelle, welche über direkte Kenntnisse der Einsatzplanung verfügt. Es ist nachvollziehbar, dass die Auskunftsperson geheim bleiben möchte. Denn wer in den USA Staatsgeheimnisse verrät, riskiert das Schicksal eines Edward Snowden oder eines Julian Assange.
(Der vollständige Bericht von Hersh ist am Schluss verlinkt)

«Behauptung ist komplett falsch»

Nach Veröffentlichung von Hershs Recherchen dementierte Adrienne Watson, eine Sprecherin des Weissen Hauses, umgehend: «Das ist falsch und frei erfunden.» CIA-Sprecherin Tammy Thorp doppelte nach: «Diese Behauptung ist komplett falsch.»

In der Schweiz übernahmen grosse Medien wie die NZZ oder die Tamedia-Zeitungen die Dementis der USA und informierten nur spärlich über die Vorbereitungen und den Ablauf der Sprengungen, wie sie Hersh recherchierte und darstellt.

Medien, die von Hersh die Offenlegung der Quelle und Dokumente verlangen, verdächtigten handkehrum Russland als Urheber, ohne selbst dazu auch nur Indizien zu haben.

Einige  britischen Zeitungen verbreiteten bereits am 27. September, einen Tag nach dem Terrorakt, es sei ein russischer Angriff gewesen. Auch deutsche Medien vertraten diese These.

Am gleichen Tag titelte die NZZ auf der Frontseite: «Dänische Regierung geht bei Ostseepipelines von Sabotage aus Russland aus.» Die Zeitung fragte weder nach der Quelle noch nach Beweis-Dokumenten.

Der CDU-Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Bundestag, Roderich Kiesewetter, erklärte gegenüber dem Handelsblatt, es handle sich um einen gezielten Sabotageakt, der «durchaus in die von Staatsterrorismus geprägte und hybride Vorgehensweise Russlands passen würde».

Am 1. Oktober schrieb Stephan Israel, Redaktor des Tages-Anzeigers, in einem Leitartikel für die Tamedia-Zeitungen, Wladimir Putin sei der «Hauptverdächtige». Eine Quelle oder einen Beleg nannte Israel nicht. Es gehöre zur russischen Desinformationspolitik, dies abzustreiten. Der Leitartikel hob als Schlagzeile heraus: «Der Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines ist auch eine indirekte Kriegserklärung an den Westen.»

Am 2. Oktober schrieb Auslandredaktor Markus Bernath in der NZZ am Sonntag:

«Der offenkundige Sprengstoffanschlag auf die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee könnte von einer Spezialeinheit des russischen Militärs ausgeführt worden sein […] Der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines – schreibt man ihn den Russen zu – hat noch eine andere, gefährlichere Botschaft: Moskau droht dem Westen damit indirekt weitere Sabotageakte gegen essenzielle Be­reiche der Infrastruktur an. Datenleitungen oder andere Pipelines am Meeresboden, ­Bohrinseln im Meer, Cyberangriffe auf Windenergieanlagen. Vieles ist vorstellbar, vieles sehr verwundbar.»

Ebenfalls am 2. Oktober berief sich die Sonntags-Zeitung auf den ehemaligen Chef des deutschen Nachrichtendienstes BND sowie auf die Denkfabrik Rand Corporation, um die These zu unterstützen, dass wahrscheinlich Russland die Anschläge verübte. Die Rand Corporation arbeitet in den USA für das Militär.

Bereits am 28. September zitierten die Tamedia-Zeitungen wie Tages-Anzeiger, Der Bund usw. einen nicht genannten «norwegische Militärexperten» und titelten auf den Frontseiten in der halben Schweiz:

«Der Westen wirft Russland Sabotage vor.»
Weiter im Artikel: «Der Westen hat Russland für die Lecks in den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee verantwortlich gemacht. ‹Lecks an drei Orten, die so weit voneinander entfernt liegen, können nur die Folge von Sabotage sein›, erklärte ein norwegischer Militärexperte.»

Am 5. Oktober stützte sich die NZZ offensichtlich auf den gleichen «norwegischen Militärexperten» und schrieb: «Der Westen hat Russland für die Lecks in den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee verantwortlich gemacht.»

Und der Tages-Anzeiger, ebenfalls am 5. Oktober:

Fast alle Indizien sprechen für einen Terrorakt der USA

Eigentlich läuteten von Beginn weg alle Alarmglocken und wiesen darauf hin, dass nicht Russland, sondern die USA oder nordische NATO-Verbündete die Sprengungen durchführten. Folgende starke Indizien und Argumente zeigten in diese Richtung.

1. Präsident Joe Biden hat eine Sabotage angekündigt

Am 7. Februar 2022, knapp drei Wochen vor der russischen Invasion in der Ukraine, traf Biden in seinem Büro im Weissen Haus mit Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen. Bei der anschliessenden Pressekonferenz sagte Biden wörtlich

«Wenn Russland einmarschiert, wird es kein Nord Stream 2 mehr geben, wir werden dem Projekt ein Ende setzen.» Und als eine Reporterin fragte, wie genau er das zu tun gedenke, da das Projekt vor allem unter deutscher Kontrolle stehe, sagte Biden nur: «Ich verspreche, dass wir in der Lage sein werden, es zu tun.»

CNBC berichtete am 7. Februar darüber unter dem Titel «Biden says Nord Stream 2 won’t go forward if Russia invades Ukraine, but German Chancellor demurs» («Biden sagt, Nord Stream 2 werde nicht gebaut, wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, aber der deutsche Bundeskanzler widerspricht»).

Unabhängig vom russischen Einmarsch in die Ukraine hatten sich die USA wiederholt und deutlich gegen den Bau von Nord-Stream 2 ausgesprochen. Drei Wochen vor Bidens Pressekonferenz verkündete Staatssekretärin Victoria Nuland bei einem Briefing des Aussenministeriums im Wesentlichen dieselbe Botschaft:

«Ich möchte Ihnen heute ganz klar sagen: Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream 2 so oder so nicht vorankommen.»

Und schliesslich erklärte US-Aussenminister Antony Blinken an einer Pressekonferenz im September zu einer möglichen Energiekrise in Westeuropa:

«Es ist eine enorme Chance, die Abhängigkeit von russischer Energie ein für alle Mal zu beenden und damit Wladimir Putin das Erdgas als Mittel zur Durchsetzung seiner imperialen Pläne zu entziehen. Das ist sehr bedeutsam und bietet eine enorme strategische Chance für die kommenden Jahre.»

2. Motive und Nutzen

Wie in jedem Kriminalfall gilt es zu fragen, wem die Zerstörung der Pipelines nützt und welche Motive hinter dem Anschlag stehen könnten.

Russland hätte sich durch die Beschädigung der eigenen Infrastruktur selbst der Möglichkeit beraubt, die Gasversorgung als Druckmittel zu verwenden. Zudem verliert Moskau mittelfristig die Möglichkeit, die Pipelines in Betrieb zu nehmen, um Einnahmen aus dem Gasexport in Milliardenhöhe zu generieren.

Klar den grössten wirtschaftlichen und geopolitischen Nutzen von der Zerstörung der Pipelines haben die USA. Denn die Energiepartnerschaft zwischen Russland und Deutschland wird entscheidend geschwächt. Bereits seit 2017 wollten die USA die Nord Stream-Pipelines verhindern und eigenes Fracking-Gas nach Europa exportieren. Mit einem Sanktionsgesetz verpflichtete der US-Kongress die US-Regierung sogar, den Bau einer zweiten deutsch-russischen Gasleitung in der Nordsee zu verhindern, um ihr teureres US-Fracking-Gas nach Europa exportieren zu können. Unternehmen und Banken, welche die Gasleitung Nord-Stream 2 unterstützen, konnten seither mit Sanktionen belegt werden. Im Gesetz, das der US-Kongress im Jahr 2017 verabschiedete und das Sanktionen gegen Investoren von Nord-Stream 2 vorsieht, heisst es wörtlich: «Die US-Regierung legt grössten Wert auf den Export amerikanischer Energieträger und auf die Schaffung amerikanischer Jobs.»

Es ist im Interesse der US-Wirtschaft, Konkurrenten auf dem Weltmarkt keine billige Energie zu überlassen, wenn das einheimische Fracking-Gas viel teurer ist. Falls die deutsche Wirtschaft von dem viel teureren Flüssiggas abhängig wird, werden deutsche Erzeugnisse weniger konkurrenzfähig. Und Milliarden Euro, die zuvor für Energielieferungen nach Russland gingen, gehen jetzt zu einem grossen Teil in die USA.

3. Eine «False-Flag-Operation» 

Weil Russland an einer Zerstörung der Pipelines offensichtlich kein Interesse haben konnte, verbreiteten westliche Think-Tanks, Russland habe mit dem Sabotage-Akt eine «False-Flag-Operation» beabsichtigt. Damit ist ein in den 50er-Jahren von der CIA entwickeltes Täuschungsmanöver des Militärs oder des Geheimdienstes gemeint, den Gegner (hier die USA oder die NATO) fälschlicherweise als Urheber darzustellen, um dies als Vorwand für eigene Militärschläge zu nutzen.

Russland habe also den Sabotage-Akt ausgeführt, um ihn der NATO in die Schuhe zu schieben und ihn als Anlass für Vergeltungsmassnahmen zu nutzen. Russlands Militär war jedoch längst in der Ukraine und brauchte keinen «Vorwand», um weiter vorzustossen, um einen Luftkrieg anzufangen oder eine taktische Atomwaffe zu zünden, was Russland bisher nicht tat.

Bereits unmittelbar nach der Sprengung der Pipelines erklärte die polnische Regierung als erste, es handle sich möglicherweise um eine russische Provokation. Es folgte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak auf Twitter: «Das grossflächige ‹Gasleck› an Nord Stream 1 ist nichts anderes als ein von Russland geplanter Terroranschlag und ein Akt der Aggression gegenüber der EU.»

Am 28. September zitierte der Tagesspiegel Podoljak: Er halte eine «False Flag»-Aktion Russlands für «denkbar».

Am 1. Oktober zitierte die NZZ am Sonntag eine neue Quelle, um die Vermutungen auf Russland zu richten:

«Für Sascha Dov Bachmann, einen Theore­tiker des hybriden Krieges, ist klar, dass dies eine Operation ‹unter falscher Flagge› war, eine Tat ganz in der Tradition militärischen Denkens der Sowjetunion und Stalins, um die Öffentlichkeit im Westen wie im eigenen Land in die Irre zu führen…»

4. Weitere Indizien in Richtung USA als Akteur

  • Zum Zeitpunkt der Sabotage befanden sich viele US-Kriegsschiffe in der Ostsee und östlich von Bornholm, wo ein grosser US-Kampfverband im Rahmen der NATO operierte. Er könnte dafür gesorgt haben, dass die Sabotage ausgelöst wurde und die Urheber verdeckt blieben.
  • Anstatt sofort Ermittlungen zu beginnen, teilte die deutsche Bundesregierung am 11. Oktober 2022 mit, die Untersuchungen der Vorfälle vor Ort würden «gerade erst beginnen». Diese Verzögerung ist erklärungsbedürftig, denn es handelt sich um einen Terrorakt. Und es geht auch um Haftungsansprüche.
  • Russische Experten wurden daran gehindert, bei den Untersuchungen vor Ort dabei zu sein.
  • Norwegen und Schweden weigern sich bis heute, die Ergebnisse ihrer Untersuchungen bekannt zu geben. Die deutsche Bundesregierung weigert sich ihrerseits zu sagen, welche Schiffe der NATO und Russlands sich in der Nähe des Tatorts aufhielten.
  • Politiker und Medien setzen sich mit den Recherchen von Seymour Hersh nicht auseinander, sondern zielen auf die Person (was nach gängiger PR-Regel bedeutet, dass man sich mit Argumenten und Fakten nicht auseinandersetzen will): Es handle sich um einen 85-jähriger Mann, der die Täterschaft Assads für ein Giftgasattentat verneint habe. Hersh stütze sich bei seiner Nord-Stream-Recherche auf eine einzige Quelle, würde seinen Informanten nicht nennen und keine Dokumente als Beweis vorlegen, lauten die Gründe für die Skepsis. In ihren Online-Ausgaben verlinkten viele Medien nicht einmal auf der Bericht von Hersh.
    «Ein Starjournalist auf Abwegen» titelte die NZZ. Hersh vermische «Phantasie mit Fakten». Und als schlagenden Beweis für die Unseriosität von Hersh meinte Korrespondentin Katja Müller, die These von Hersh werde «vor allem von regierungsnahen russischen Medien verbreitet». In den USA würde diese These kaum aufgenommen.
    Die Tamedia-Zeitungen wie beispielsweise Tages-Anzeiger, Der Bund oder Zürcher Oberländer übernahmen einen Kommentar von Stefan Kornelius, Redaktor der «Süddeutschen Zeitung»: Hersh verbreite eine «spektakuläre, aber unplausible These» und betreibe «ein Geschäft mit der Konspiration». Auf die konkrete Darstellung von Hersh ging Kornelius nicht ein.
    Kornelius ist Mitglied der «Atlantik-Brücke», die unter anderem eine militärpolitische Brücke zwischen den USA und Deutschland schlagen will, und sass einige Jahre – wie heute die in den Medien präsenten Professor Carlo Masala und Marie-Agnes Strack-Zimmermann – im Beirat der «Bundesakademie für Sicherheitspolitik», die organisatorisch zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung gehört und laut Statuten die Bundesregierung berät, also die selbe Bundesregierung, deren Politik die Medien kritisch hinterfragen sollten (siehe Infosperber: Redaktoren im Dienste von Nato-Organisationen).
    Es fällt auf, dass die «Süddeutsche Zeitung» Hersh noch im Januar 2019 als den «wichtigsten US-Investigativjournalisten» lobte. Nun verbreitet sie, Hersh «drohe die Spur zu verlieren» und verbreite «Konspiration».
    Noch am 3. Mai 2022 leitete der «Bayrische Rundfunk» eine Sendung über Hersh mit den Worten ein: «Reporterlegende Seymour Hersh – Stachel im Fleisch der Mächtigen. Er bringt ans Tageslicht, was die Mächtigen verbergen: Kriegsverbrechen, Korruption, Umweltfrevel. Die Enthüllungen der Reporterlegende zeigen der Weltöffentlichkeit das hässliche Gesicht der USA.»

5. Offizielle Reaktionen

Medien, welche als Hauptverdächtigen für die Sabotage vorschnell Russland ausmachten, sollte etwas später wenigstens stutzig machen, dass westliche Exponenten die Zerstörung der Pipelines begrüssten.

Sogar schon wenige Tage nach der Sprengung der Pipelines erklärte US-Aussenminister Antony Blinken an einer Pressekonferenz, Putin sei jetzt ein wichtiges Machtmittel genommen worden. Die Zerstörung der Pipelines sei eine ungeheure Chance – eine Chance, Russland die Möglichkeit zu nehmen, die Pipelines als Waffe einzusetzen.

Am 30. September, nur vier Tage nach dem Pipeline-Anschlag, twitterte der ukrainische Finanzmarktspezialist Bohdan Kucheriavyi2 erfreut: «Die Sabotage der Nord-Stream verschafft neue Möglichkeiten.»

26. Januar 2023 zeigte sich auch Victoria Nuland erfreut, bekannt durch ihren Ausspruch «Fuck the EU». Während einer Anhörung des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des Senats sagte sie zu Senator Ted Cruz: «Wie Sie bin auch ich, und ich glaube auch die Regierung, sehr erfreut zu wissen, dass Nord Stream 2 jetzt, wie Sie sagen, ein Haufen Metall auf dem Meeresgrund ist.»

Am 27. Januar 2022 bedankte sich der frühere polnische Verteidigungs- und Aussenminister Radoslaw Sikorski in einem Tweet bei den USA: «Thank you, USA.»

Peinlicher Faktencheck der ARD

«Sprengstoff in Pflanzenform unwahrscheinlich»: Wohl wahr, aber das hat Seymour Hersh nicht behauptet. Stoff in Pflanzenform unwahrscheinlich» dementierten die Faktenchecker der ARD Seymours Hershs Beschreibung des Attentats. Hersh habe behauptet, die Taucher hätten den plastischen Sprengstoff C4 «in Form von Pflanzen auf den vier Pipelines mit Betonschutzhüllen» platziert. Laut Experten sei «die These, der Sprengstoff sei in Pflanzenform angebracht worden, ‹abenteuerlich›», verbreiteten die Faktenchecker.

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Später mussten die ARD-Faktenchecker zurückkrebsen: In Hersh Originaltext heisst es: «…plant shaped C4 charges». Die Faktenchecker übersetzten dies mit «Sprengstoff C4 in Form von Pflanzen». Nur: «Plant» bedeutet in diesem Fall «platzieren» und nicht «Pflanze».

Olaf Scholz: «Man kann es nur vermuten»

Während eines TV-Bürgerdialogs Anfang Februar nahm der deutsche Bundeskanzler das Wort «USA» nicht in den Mund:

«Wer die Pipeline gesprengt hat, kann man vermuten, aber weil wir ein Rechtsstaat sind, vermuten wir nicht, sondern sagen nur dann etwas ganz Präzises, wenn wir das beweisen können. Auch wenn hier fast alle denken, wie das ist, darf man sich nicht in Spekulationen ergehen.»

Hinter dieser Maxime versteckt sich Scholz wohl deshalb, weil es um Vorwürfe an die Adresse der USA geht. Bei Vorwürfen gegen Russland oder China, geschweige denn gegen die Oppositionsparteien gilt dieser hehre Grundsatz der endgültigen Beweisbarkeit, um eine fast sichere Vermutung auszusprechen, offensichtlich nicht.

Das Zitat wurde am 27.2.2023 ergänzt
2 Hier wurde der Tweet anfänglich irrtümlicherweise Exxon Mobil zugeordnet

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NACHTRAG vom 28.2.2023
Im obigen Artikel kritisierte ich die zitierten Zeitungen, weil diese Seymour Hersh als unglaubwürdig darstellten, ohne dass sie überhaupt darüber informierten, was denn Hersh herausgefunden zu haben glaubt. Unterdessen melden einige Medien Zweifel, ob Details des von Hersh beschriebenen Ablaufs des terroristischen Anschlags zutreffen. Es kann sein, dass Hersh den genauen Ablauf absichtlich mit Fehlern darstellte, damit seine Quelle schwieriger identifiziert werden kann. Es kann auch sein, dass Hersh über den Ablauf falsch informiert ist. Bei ihren Zweifeln stützten sich beispielsweise die Faktenchecker der ARD auf den Pressesprecher der norwegischen Streitkräfte und auf einen dänischem Datenanalysten.
Die taz macht es sich einfach, wenn sie aufgrund von fehlerhaften Details die Kernaussagen von Hersh als «umplausibel» disqualifiziert.
Weder die taz noch die ARD-Faktenchecker haben Hersh Gelegenheit gegeben, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck stufte die Ermittlungen als «geheimdienstlich» ein. Weder die deutschen noch die dänischen noch die schwedischen oder norwegischen Ermittler geben ihre Ergebnisse bekannt. Gäbe es auch nur Hinweise dafür, dass Russland für den Terrorakt verantwortlich ist, wären entsprechende Ergebnisse wohl längst bekannt gemacht worden.
Im obigen Artikel sind eine ganze Reihe deutlicher Indizien aufgezeigt, welche nahelegen, dass die USA beim Anschlag federführend waren.

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Grafikquellen        :

Oben      —       Karte der Nord-Stream-Pipelines

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2.) von Oben       —     Ceremony of opening of gasoline Nord Stream. Among others Angela Merkel and Dmitry Medvedev

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Angst vor den Blackout

Erstellt von Redaktion am 23. Februar 2023

Hintergrund: Atomausstieg , Blackout und Angstkampagen

Wyhl 02.650.n.jpg

Quelle         :     Mitwelt Stiftung Oberrhein

Von      :      Axel Mayer

„Wenn das AKW Wyhl nicht gebaut wird, gehen in Baden-Württemberg die Lichter aus“, sagte Ministerpräsident und Marinestabsrichter a.D. Hans Filbinger 1975. „Wenn wir die letzten drei AKW abschalten, gehen in Deutschland die Lichter aus“, drohen die atomar-fossilen Seilschaften heute. Die Zeiten ändern sich, aber die perfekt organisierten und immer wirksamen Angstkampagnen bleiben.

1975, vor bald einem halben Jahrhundert, in der heißen Phase des Wyhl-Konflikts, beauftragte die damalige Badenwerk-AG die Hamburger Werbeagentur Drews Verfahrensstrategien zu entwickeln, die eine zügige Überwindung des Widerstandes der Bevölkerung garantieren sollten. Das Manager Magazin und der Spiegel berichteten über die Vorschläge der Werbeagentur, die u.a. die folgenden Taktiken vorgeschlagen hatte:

  • Negativtaktik: Dramatisierung aller Probleme, die durch den Nichtbau von Kernkraftwerken entstehen. Die Ängste der Gegenwart durch die Ängste der Zukunft überdecken.
  • Verschleierungstaktik: Herunterspielen der Probleme, die im Zusammenhang mit Kernkraftwerken in der Bevölkerung auftauchen. Die Ängste durch Verfremdung der Probleme verdrängen.
  • Verschönerungstaktik: Einseitige, positive Informationen über alle Fragen (fast alle) der Kernenergie. Die Ängste einfach negieren und ein positives Bild aufbauen.

Dieses alte Strategiepapier kommt einem angesichts mancher heutigen Argumente der Atomlobby seltsam bekannt vor. Die damaligen Angst-Strategien werden heute noch verwendet, gerade wenn es gilt, für die Laufzeitverlängerung der AKW Neckarwestheim-2, Emsland und Isar-2 oder für den Neubau von Atomkraftwerken zu werben.

Mit Fakten für die Laufzeitverlängerung zu werben, ist nach Tschernobyl und Fukushima schwierig geworden.
Selbst die Ökonomie spricht seit einigen Jahren gegen die Atomkraft. Strom aus Wind und Sonne ist nicht nur umwelt- und menschenfreundlicher, sondern auch wesentlich kostengünstiger als Strom aus neuen AKW.
Erstaunlicherweise werben auch nicht mehr die alten deutschen Energiekonzerne für die Gefahrzeitverlängerung, denn diese können rechnen. Für die Laufzeitverlängerung werben aktuell die alten und neuen Atomparteien CDU, CSU,  FDP und AfD und die ihnen nahestehenden Medien, rechts-libertäre Seilschaften und die Netzwerke der Klimawandelleugner. Vor fünf Jahrzehnten fanden die inhaltlichen Auseinandersetzungen noch direkt zwischen Konzernen und Umweltbewegung statt.

Heute tarnt sich die Atomlobby „scheinbar klimafreundlich“ nach amerikanischem Greenscamming-Vorbild. Greenscamming ist eine PR-Technik, bei der umweltfreundlich klingende Namen und Bezeichnungen für Organisationen oder Produkte ausgewählt werden, die nicht umwelt- oder klimafreundlich sind. Eine häufig angewandte Greenscamming-Methode besteht z.B. darin, dass sich Anti-Umwelt-Organisationen klimafreundlich bzw. „grün“ klingende Namen geben, die ein Interesse am Umweltschutz suggerieren, um die Öffentlichkeit über ihre wahren Absichten und Motive zu täuschen.

Negativtaktik heute: Dramatisierung aller Probleme, die durch den Nichtbau von Kernkraftwerken entstehen. Die Ängste der Gegenwart durch die Ängste der Zukunft überdecken.

      • Blackout-Angst:

    Fachleute, unter anderem die Bundesnetzagentur, halten einen unkontrollierten, großflächigen Stromausfall für äußerst unwahrscheinlich. Laut dem Branchendienst Energate schließt der größte Übertragungsnetzbetreiber Tennet einen Blackout aus. Geschürt wird die Angst insbesondere von PolitikerInnen und Medien, die den Übergang zu den umweltfreundlichen und kostengünstigen Energien jahrzehntelang behindert haben, weil das Energieerzeugungsmonopol der Energiekonzerne durch die Energiewende gefährdet war. Medien in der Schweiz haben gerade aufgedeckt,

  • wie ein Millionär eine Blackout-Kampagne
      •  finanziert. 1975, kurz nach den Filbinger-Äußerungen wurde während eines Fußball-Länderspiels ein „Mini-Blackout“ in Südbaden inszeniert … Ob das wiederkommt?

      • Strompreis-Angst:

    Die Strompreise werden steigen, wenn wir die AKW abstellen, wird in vielen Medienberichten suggeriert. Diese Angstkampagne der atomar-fossilen Seilschaften hat eine doppelte Zielsetzung. Sie stärkt die Atomindustrie und sie lenkt von tatsächlichen Verursachern der explodierten Energiepreise ab. Für die

Kriegsgewinnler

      •  Chevron, BP, Shell, TotalEnergies und ExxonMobil war 2022 ein profitables Jahr. Die schmutzigen „Big Five“ erzielten einen gemeinsamen Jahresgewinn von knapp 200 Milliarden US-Dollar. (Eine Milliarde sind unglaubliche 1000 Millionen!)

      • Das Märchen vom billigen Atomstrom:

    Gerade weil wir aktuell von den Energiekonzernen ausgeplündert werden, wirkt das Märchen vom scheinbar billigen Atomstrom immer noch. Doch im Atomstromland Frankreich ist der Strompreis nur scheinbar billig. Die Schulden des teilverstaatlichten französischen Atom-Konzerns EDF stiegen im vergangenen Jahr von 43 auf unglaubliche 64,5 Milliarden Euro. (64.500.000.000 Euro)Den realen Preis für den Atomstrom werden die Menschen in Frankreich über ihre Steuern bezahlen. Ein schwerer Atomunfall hätte auch in Frankreich verheerende Folgen. Eine Regierungsstudie rechnet mit 430 Milliarden Euro Kosten. Sei es Atomkraft,

Cum-Ex-Betrug

     oder Übergewinne. Konzerne und Milliardäre freuen sich, dass sich Normalverdienende unter einer Milliarde Euro nichts vorstellen können.

 

In diesen Angst-Kampagnen zeigt sich die Macht der Mächtigen in diesem Land. Die Abschaltung der letzten 3 deutschen AKW ist Gefahrenabwehr. Der Kampf gegen die Atomkraft war aber 50 Jahre lang immer auch ein Kampf für Demokratie und für eine umwelt- und menschenfreundliche Energieversorgung.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein. Der Autor war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer und Bauplatzbesetzer in Wyhl.

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Grafikquellen      :

Oben      —     Photograph: Luftfahrer = Norbert Blau Beschreibung: Luftbild von Wyhl aufgenommen bei einer Ballonfahrt mit dem Ballonteam Norbert Blau Quelle: Selbst photographiert im Juni 2003 Weitere Luftbilder von Wyhl

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Unten     —     Anti–AKW–Demonstration in Hannover gegen die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Gorleben am 31. März 1979. Das Standbild aus einem Super 8 Schmalfilm zeigt ein Fahrzeug mit dem Schild „Whyl grüßt Gorleben“ und wurde vor dem Fabrikgebäude des Keksfabrikaten Bahlsen aufgenommen mit Blick auf das Eckgebäude an der Rühmkorffstraße.

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Umbauen statt schrumpfen

Erstellt von Redaktion am 20. Februar 2023

Klimaschutz ist ohne Wachstum nicht möglich: 

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Ein Debattenbeitrag von Larl-Martin Hentschel

Eine Auseinandersetzung mit den Degrowth-Thesen aus Ulrike Herrmanns aktuellem Buch. Auch wenn wir den Energie- und Rohstoffverbrauch drastisch senken, wird das Bruttoinlandsprodukt wachsen.

Die taz-Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann hat mit ihrem neuen Bestseller eine wichtige strategische Debatte angestoßen. Doch kann man bei der Analyse, wie Deutschland so schnell wie möglich klimaneutral werden kann, auch zu völlig anderen Ergebnissen gelangen.

Herrmann hält es für entscheidend, das Wachstum zu stoppen. Sie will das Bruttoinlandsprodukt drastisch reduzieren: Wenn die Menschen nur noch halb so viel arbeiteten, fehle ihnen das Geld, um neues Wachstum anzuschieben. Daher sei es konsequent, dass die Degrowth-Bewegung die kommerzielle Lohnarbeit halbieren will. Herrmann argumentiert weiter, dass die erneuerbaren Energien und die Rohstoffe nicht reichen und dass „grünes Wachstum“ nicht funktionieren kann, da der Rebound-Effekt dazu führt, dass alle Einsparungen an Energie und Emissionen durch das Wachstum wieder aufgefressen werden. Da aber der Kapitalismus auf Wachstum angewiesen ist, fürchtet die Autorin, dass Degrowth zu einer Weltwirtschaftskrise führt. Deshalb schlägt sie als Weg aus dem Kapitalismus das Modell der Kriegswirtschaft in Großbritannien im Zweiten Weltkrieg vor.

Dieser Vorschlag findet erstaunlich viel Zustimmung. Aber erstens wird das, was Herrmann vorschlägt, nicht ausreichen, um die Klimaerwärmung zu stoppen. Und zweitens kann diese Strategie ökonomisch nicht funktionieren. Drittens aber kann das Beispiel Großbritannien trotzdem sehr hilfreich sein.

Zum Ersten: Die Treibhausgas-Emissionen zu halbieren ist viel zu wenig. Nach unseren Rechnungen sollte Deutschland bis 2030 sie um 80 Prozent reduzieren und spätestens 2038 klimaneutral sein. Um das zu erreichen, sollte schon 2035 die Energie zu 100 Prozent erneuerbar erzeugt werden. Das ist möglich. Anders als Ulrike Herrmann behauptet, sind alle damit verbundenen Probleme seit Jahren in umfangreichen Studien analysiert und gelöst worden – von der Stromerzeugung, dem Leitungsbau, dem Import grüner Rohstoffe bis hin zu den Speichern für Strom und Wasserstoff, um auch im Fall einer längeren kalten Dunkelflaute die Stromversorgung zu sichern. Weiter sollten bis 2040 mindestens 80 Prozent der Häuser wärmetechnisch saniert oder sogar zu Nullemissionshäusern gemacht werden. Auch die Rohstofffragen sind ausführlich untersucht worden. Im „Handbuch Klimaschutz“ kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Importe von Roh- und Brennstoffen um rund 80 Prozent bis 2040 zurückgehen können. Entscheidend dafür ist der konsequente Übergang zur Recyclingwirtschaft. Weiter rechnen wir mit einer Verdreifachung des Bahnverkehrs, des öffentlichen Nahverkehrs sowie des Fahrradverkehrs.

Zum Zweiten: Degrowth kann auch ökonomisch nicht funktionieren. Da heute nur noch 20 Prozent der Beschäftigten in der Produktion tätig sind, würde die Zahl der Arbeitsplätze selbst dann nicht wesentlich zurückgehen, wenn die Produktion von Waren und zugleich die Zahl der Geschäfte halbiert würden. Mehr als die Hälfte der Menschen arbeitet bereits in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Pflege, Kinderbetreuung und anderen Dienstleistungen. Dort werden in den kommenden Jahren noch viele neue Arbeitsplätze benötigt. Auch beim Umbau zu einer klimagerechten Gesellschaft werden Millionen neuer Arbeitsplätze entstehen: Die Sanierung der Häuser, der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Umbau der Städte, der Ausbau von Bahnen und Stadtbahnen, die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft, Renaturierung von Wäldern und Mooren – das alles erfordert viel Arbeit und Arbeitskräfte.

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Ökonomisch bedeutet das: Auch wenn wir die Emissionen von Klimagasen auf fast null reduzieren, den Rohstoffbedarf um 80 Prozent senken und den Energieverbrauch halbieren, wird das Bruttoinlandsprodukt wachsen – wie es auch heute schon wächst, wenn wir Naturschutzgebiete ausweisen oder neue Kran­ken­pfle­ge­r*in­nen einstellen – also scheinbar „unproduktive“ Bereiche ausweiten.

Auch wenn Ulrike Herrmann hier irrt, so ist trotzdem gerade der dritte Teil ihres Buchs inspirierend, in dem sie vorschlägt, die Kriegswirtschaft in Großbritannien im Zweiten Weltkrieg als Blaupause für die Klimapolitik zu nehmen. Zur Steuerung dieser Politik wurde damals das Bruttoinlandsprodukt (BIP) erfunden. Da Arbeitskräfte knapp waren, wurde das „Manpower Budget“ zum zentralen Steuerungsinstrument. Auch der Konsum wurde strikt geregelt: Milch und Eier nur für Kinder, Schwangere und stillende Mütter; Fleisch, Käse, Fett, Zucker, Tee und Seife wurden pro Kopf rationiert. Erstaunlicherweise war das System sehr beliebt, weil alle das Gleiche bekamen und die Unterschicht besser versorgt war als in Friedenszeiten.

Nun werden wir hoffentlich nicht so viel rationieren müssen. Trotzdem lässt sich daraus einiges für heute lernen: Um den gewaltigen Umbau zu schaffen, braucht es staatliche Planung und klare gesetzliche Regelungen. Ob dazu erst der Kapitalismus zu Ende gehen muss, wird sich zeigen. Auf jeden Fall aber wird Klimapolitik nur gelingen, wenn die Menschen fühlen, dass es gerecht zugeht. Und das wird auch die Gesellschaft grundlegend verändern.

Quelle       :           TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben        —        Auf Luftverschmutzung, wie beispielsweise hier durch ein Kohlekraftwerk, sind jährlich etwa acht Millionen vorzeitige Todesfälle zurückzuführen[142]

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Grünes Schrumpfen

Erstellt von Redaktion am 17. Februar 2023

Eine neue Studie weist nach, dass „grünes Wachstum“ eine Illusion ist.

Logo Renewable Energy by Melanie Maecker-Tursun V1 bgGreen.svg

Ein Finanzkasino von Ulrike Herrmann

Denn Öko-Energie, die unsere Technik antreibt, hat schlicht zu hohe Kosten. Die Herstellung von grünem Kerosin dürfte insgesamt etwa 10- bis 40-mal so viel kosten wie die fossile Variante.

Klimaschutz scheint einfach: Man muss nur auf Ökoenergie setzen. Doch leider ist es nicht trivial, genug Ökoenergie zu mobilisieren. Energieexperten schätzen, dass Deutschland etwa 2.000 Terawattstunden (TWh) an Ökostrom benötigen würde, wenn „grünes Wachstum“ möglich sein soll. Das wäre rund 4-mal so viel Strom, wie Deutschland heute verwendet.

Diese Mengen kann die Bundesrepublik nicht komplett erzeugen. Selbst wenn so viele Solar­paneele und Windräder wie möglich installiert würden, kämen wohl nur 1.200 heimische Terawattstunden heraus. Die restlichen 800 TWh müssten importiert werden.

Wirtschaftsminister Robert Habeck ist daher kürzlich nach Namibia gereist, um dort ein Projekt anzustoßen, das 10 Milliarden Dollar kosten soll. Mit Sonne und Wind soll grüner Wasserstoff produziert und dann in Ammoniak umgewandelt werden. 2027 soll die erste Fuhre nach Deutschland gehen, um hier Dünger und andere Chemikalien klimaneutral herzustellen.

Die Idee hat Charme: Namibia ist mehr als doppelt so groß wie Deutschland, hat aber nur knapp 2,6 Millionen Einwohner – und damit viel Platz für Windräder und Solarpaneele. Zugleich würde auch Namibia Ökostrom erhalten, denn „eine Art von grünem Energie-Imperialismus“ schließt Habeck aus.

Bleibt die Frage: Wie teuer wird die gesamte Produktion? Es sagt wenig, dass ein Projekt 10 Mil­liar­den Dollar kosten soll. Um die Energiewende zu kalkulieren, ist wichtig, wie teuer die einzelnen grünen Energie-Einheiten im Vergleich zu den fossilen Varianten werden. Lange gab es nur vage Schätzungen – bis im Dezember eine Studie erschien, die das Bundeswirtschaftsministerium gefördert hat. Gerechnet wurden Modelle für das nördliche Afrika und den Nahen Osten, wo die Bedingungen ähnlich günstig wie in Namibia sind: Die Sonne scheint fast immer, und in den Wüsten leben kaum Menschen, die sich an den Solarpaneelen oder Windrädern stören könnten.

Immerhin: Theoretisch ließe sich genug Strom erzeugen, um ganz Europa zu versorgen. Doch der Rest ist schwierig. Denn der Wüstenstrom lässt sich nicht einfach nach Norden transportieren, weil Stromleitungen zu teuer wären. Um aber per Schiff oder Pipeline nach Europa zu ­gelangen, muss der Strom umgewandelt werden – erst in grünen Wasserstoff und dann in synthetische Kraftstoffe oder andere Basisprodukte. Schon dabei geht eine Menge Energie verloren. Zudem lässt sich Wasserstoff nur erzeugen, wenn ­Süßwasser vorhanden ist, das aber in Wüsten bekanntlich fehlt. Also muss Meerwasser entsalzt werden, was erneut Energie kostet. Ein weiteres Problem: Um grünes Kerosin oder andere Energieträger zu erzeugen, wird Kohlenstoff benötigt. Klima­neutral ist dies jedoch nur, wenn dafür CO2 aus der Luft gefiltert wird, weil auch wieder CO2 entsteht, wenn grünes Kerosin verfeuert wird. Leider kostet es erneut viel Energie, CO2 aus der Luft zu holen.

Die neue Studie hat daher errechnet, dass ein Liter grünes Kerosin 2030 zwischen 1,92 und 2,65 Euro kosten dürfte. Bis 2050 sollen die Herstellungskosten auf 1,22 bis 1,65 Euro fallen. Diese Preise wirken zunächst nicht besonders teuer – schließlich müssen Fluggesellschaften momentan etwa 2,81 Dollar pro Gallone Kerosin zahlen, wobei eine Gallone 4,4 Litern entspricht. Das grüne Kerosin scheint also „nur“ 4-mal so teuer zu sein wie die fossile Variante.

Doch dieser Vergleich führt in die Irre, weil Marktpreise mit Herstellungskosten verwechselt werden. Die Fluggesellschaften zahlen nicht nur für die Produktion des Kerosin, sondern finanzieren auch die enormen Gewinne der Ölstaaten – und die Spekulation an den Finanzmärkten. Das Öl selbst lässt sich relativ billig aus dem Boden holen. Im Nahen Osten liegen die Förderkosten bei etwa 10 Dollar pro Barrel (159 Liter), in den USA sind es rund 30 Dollar. Natürlich ist auch ein bisschen Aufwand nötig, um das Rohöl zu Kerosin zu raffinieren – aber insgesamt dürfte die Herstellung von grünem Kerosin etwa 10- bis 40-mal so viel kosten wie die fossile Variante. Damit wird „grünes Wachstum“ zur Illusion.

Stattdessen ist „grünes Schrumpfen“ angesagt. Denn die Energie treibt die ganze Technik an, die unseren Wohlstand produziert. Wird Energie knapp und teuer, muss die Wirtschaftsleistung sinken. Viele Klimaretter wollen nicht wahrhaben, dass es auf „grünes Schrumpfen“ hinausläuft. Sie führen gern zwei Argumente an, die aber beide falsch sind. Erstens: Nur die Marktpreise würden zählen, nicht die Herstellungskosten. Denn das hiesige Geld sei futsch, sobald wir unsere Öl­importe zahlen. Deswegen sei grünes Kerosin „nur“ 4-mal so teurer.

Quelle      :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —     Logo for renewable energies (solar energy, bio-energy, energy of water, wind energy) by German graphic designer and art director Melanie Maecker-Tursun from Hamburg.

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Sprache als Klimakiller

Erstellt von Redaktion am 16. Februar 2023

2-Grad-Ziel, Umwelt, CO2-Äquivalente, Kompensation: 

Ein Debattenbeitrag von Ute Scheub

Viele Klimabegriffe sind verharmlosend oder sachlich falsch. Ein Plädoyer für klügere Sprache. Autos, Kühe und Reisfelder werden verrechnet, obwohl Verbrenner völlig andere Auswirkungen haben als Kühe.

Zu langsam, zu ineffektiv, zu häufig wirkungslos – die Pariser Klimaziele von „deutlich weniger als im Schnitt 2 Grad plus“ werden von keinem Land der Welt erreicht. So beurteilt die globale Klimabewegung die Maßnahmen der nationalen Regierungen rund um den Globus. Die fossile Lobby ist viel zu stark, die Regierungen sind zu sehr mit ihr verbandelt oder trauen sich zu wenig. Aber ein wenig ist auch die Klimawissenschaft verantwortlich – aufgrund ihrer Sprache.

Es fing bereits an mit dem Begriff „Klimawandel“. US-Wissenschaftler der 1970er und 1980er nannten das Phänomen immerhin noch „Treibhauseffekt“. Treibhäuser sind heiß, das begreifen Menschen intuitiv. Aber „Klimawandel“? Ach, irgendwas ändert sich doch immer. Und Wandel klingt nach Lustwandeln, nach Spaziergang in lauschigen Wandelhallen.

Dann, einige Zeit später, das „2-Grad-Ziel“. Gefühlt sind zwei Grad Unterschied nicht der Rede wert: Schon allein der Wärmeunterschied zwischen Tag und Nacht ist größer. Abermillionen von Menschen haben die dramatischen Konsequenzen von „plus 2 Grad“ nie verstanden. Das Rechnen mit globalen Mittelwerten, die auch Ozeane, sprich 70 Prozent der Erdoberfläche, miteinschließen, verschleiert das Wesentliche der Klimakatastrophe: Extremwetter und Landzerstörungen. Also Hitzewellen, Dürren, Wüstenbildung, Überflutungen, Meeresanstieg, Unberechenbarkeit von Jahreszeiten und Ernten, Unsicherheit von Leben überhaupt. Wäre als Kernbotschaft vermittelt worden, dass lokal viele höhere Temperaturen entstehen und somit Welternährung und Lebenssicherheit auf der Kippe stehen, wäre die Wirkung weit größer gewesen.

Sodann der Begriff „negative Emissionen“. „Negativ“ ist ein negativ besetztes Wort, „Emissionen“ auch. „Negative Emissionen“ müssen also etwas besonders Schreckliches sein. Was, es geht um Treibhausgas-Speicherung? Warum nennt man das dann nicht so? Der Begriff „Umwelt“ wiederum ist nicht den Klimawissenschaften anzulasten, weil schon älter, aber ebenfalls verhängnisvoll. Alles, was lebendige Natur ist, pulsierendes Leben, quirlige Artenvielfalt, wird in ein menschenzentriertes Wort gequetscht. Um-Welt, das ist die Welt um den Menschen herum, seine Bedürfnisse und Interessen. De facto eine Un-Welt, weil der Begriff leugnet, dass Menschen ohne Natur nicht existieren können. Um-Welt, das ist die fatale Fortsetzung des Bibelspruchs: „Macht euch die Erde untertan!“ Der Spruch wurde über Jahrhunderte benutzt, und bis heute gelten Tiere, Pflanzen und Ökosysteme juristisch als Dinge. Eine verdinglichte „Umwelt“ ist viel leichter zu erobern, auszubeuten und zu zerstören als das lebendige Subjekt einer „Mitwelt“ mit ihren nichtmenschlichen Mitgeschöpfen, die ihren Eigenwert in sich selbst trägt.

„CO2-Äquivalente“ ist ein weiterer Problembegriff. Er suggeriert, dass man alle Treibhausgase mit CO2 gleichsetzen und verrechnen könne. Dabei haben Lachgas, Methan und Stickoxide völlig unterschiedliche biologische Kurz- und Langzeitwirkungen. Auch Wasserdampf ist ein Treib­hausgas. Die Erfindung der „CO2-Äquivalente“ dient dazu, Computersimulationen für die Wirkung von Klimamaßnahmen zu erstellen. Sie führt aber auch dazu, dass Autos, Kühe und Reisfelder als CO2-Emissionsquellen mit Mooren oder Wäldern als CO2-Emissionssenken verrechnet werden – obwohl Verbrennermaschinen eine völlig andere Wirkung haben als Kühe. Die wegen ihres Methan-Rülpsens als „Klimakiller“ geschmähten Rinder etwa können mittels nachhaltiger Weidesysteme jede Menge CO2 auf Weiden speichern helfen.

Mit anderen Worten: Über die rein quantitative Verrechnung mittels „CO2-Äquivalenten“ gehen entscheidende qualitative Unterschiede verloren. Das wirkt sich zugunsten von großtechnischen Vorschlägen und Scheinlösungen aus und zulasten von natürlichen Klimalösungen. Inzwischen ist überall zu lesen, dass „wir“ nicht mehr umhinkommen, in Form der CCS-, DACCS- oder BECCS-Technik CO2 abzuscheiden und unterirdisch zu lagern. Auch der grüne Vizekanzler Robert Habeck redet so daher.

Quelle           :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle :

Oben       — Karikatur: „Technischer Fortschritt“: Rückholung von Kohlenstoffdioxid (Stichworte: CO2, Energie, Technik, Klima)

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Lützerath als Fanal

Erstellt von Redaktion am 12. Februar 2023

Warum wir transformative Strategien im Kampf gegen die Klimakrise brauchen

Von Markus WissenUlrich Brand

Lützerath bleibt. Selbst wenn die Kohle unter dem Ort im Rheinischen Braunkohlerevier irgendwann abgebaggert sein sollte, wird dessen Name fortwirken: als Symbol für den Mut und den Einfallsreichtum von Menschen, die sich einem mächtigen Konzern ebenso wie der Staatsmacht widersetzen. Lützerath steht auch als Symbol für eine Politik, die die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Die Zeichen der Zeit, das sind der Kohleausstieg und der Übergang in eine Produktionsweise, in der das gute Leben aller und nicht die Verteidigung mächtiger Partikularinteressen den zentralen Bezugspunkt bildet.

Dass dies nicht im Sinne von konservativen und liberalen Parteien ist, kann kaum überraschen. Deren historische Funktion besteht darin, gesellschaftliche Veränderungen so lange im Sinne der herrschenden Interessen hinauszuzögern, bis ihre Notwendigkeit unabweisbar geworden ist. Die Empörung über die politischen Versäumnisse richtet sich deswegen in erster Linie gegen die Grünen. Und dies zu Recht: Kaum sind sie zum zweiten Mal nach 1998 Regierungspartei auf Bundesebene geworden, machen sie erneut Politik gegen jene Bewegungen, aus denen sie selbst einst hervorgegangen sind. Beim ersten Mal war es vor allem die Friedensbewegung, die die Grünen unter ihrer damaligen Leitfigur Joschka Fischer brüskierten. Heute enttäuschen sie die Anliegen der Klimagerechtigkeitsbewegung, deren Stärke sie ihre jüngsten Wahlerfolge mitzuverdanken haben.

Sicherlich hat niemand von der grünen Regierungsbeteiligung eine sozial-ökologische Revolution erwartet. Denn zum einen sind die Grünen nur Teil einer Koalition, in der mit der FDP eine antiökologische Kraft über ein erhebliches Druckpotenzial verfügt. Zum anderen steht außer Frage, dass staatliche Politik anderen Logiken folgt als das Handeln sozialer Bewegungen. Die Möglichkeiten staatlicher Politik werden systematisch durch die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse beschränkt. Diese schreiben sich in die staatlichen Apparate ein, sie prägen die Denkweisen ihres Personals und bestimmen, welche Probleme in welcher Form überhaupt debattiert werden können. Der von den 1968ern angestrebte „Marsch durch die Institutionen“ resultierte im Marsch der Institutionen durch die Protagonist:innen der Bewegung. Das war die Erfahrung der ersten grünen Regierungsbeteiligung: Schneller als ihm lieb war und meist ohne es zu bemerken, verinnerlichte das grüne Spitzenpersonal die institutionellen Restriktionen und missverstand dies als Ankunft auf dem harten Boden der Realität. Gemeint war die Realität der Herrschenden, die sie bis dahin kritisiert hatten und die sie nun mitgestalten wollten.

Das Versäumnis der heute tonangebenden Grünen liegt darin, diese Erfahrung nicht reflektiert zu haben. Stattdessen liefen sie blindlings und unvorbereitet in eine Situation, in der sie schließlich den Quasi-Freibrief für einen der weltweit größten Umweltsünder als klimapolitischen Kompromiss verkaufen sollten. Über so viel grünen Realitätssinn wird sich RWE vermutlich noch länger die Hände reiben. Denn in Zeiten einer eskalierenden Klimakrise darf der Konzern weitere 280 Mio. Tonnen Braunkohle abbaggern und verbrennen. Im Jahr 2030, acht Jahre früher als im Kohleausstiegsgesetz vorgesehen, lässt er es dann gut sein mit der heißen Luft und der verbrannten Erde – und kann sich auf der Gewissheit ausruhen, dass dann die gestiegenen Preise für Zertifikate aus dem europäischen Emissionshandel die Kohleverstromung ohnehin unrentabel gemacht haben werden. Als Zugabe obendrauf bekommt der Konzern die Zerstörung einer wichtigen Infrastruktur der Klimagerechtigkeitsbewegung, die ihm in den kommenden Jahren noch einiges an Ärger beschert hätte: Das besetzte Lützerath war ein Ort, an dem Menschen zu Aktionstrainings, Workshops und Festivals zusammenkamen.

Nun ließe sich einwenden, dass die Vorgängerregierung der Ampel die Energiewende systematisch ausgebremst und damit die Sachzwänge, mit denen Grüne und SPD als Regierungsparteien heute konfrontiert sind, erst geschaffen habe. Ohne die Grünen in der Regierung würde zudem alles noch schlimmer kommen. Und schließlich trage die derzeitige Regierung keine Schuld an den Gaspreissteigerungen infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. All das ist richtig, trifft aber nicht den entscheidenden Punkt: Dieser besteht zunächst einmal in der simplen Tatsache, dass der Abbau der Kohle unter Lützerath aus Gründen der Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht nötig ist. Zu diesem Schluss kommen gleich mehrere Gutachten.[1] Sodann, und in der aktuellen politischen Diskussion weitgehend vernachlässigt, stellt sich die Frage: Für wen und wofür wird der Strom eigentlich erzeugt? Und um wessen Versorgungssicherheit geht es hier eigentlich?

Denn selbst wenn die Kohle benötigt würde, um den bestehenden Strombedarf zu decken, wäre es ökologisch naheliegend, erst einmal diesen Bedarf zu problematisieren, bevor zu seiner Deckung noch mehr CO2 emittiert wird: Müssen wir wirklich Strom für Autofabriken erzeugen, damit darin riesige Mengen an immer größeren Fahrzeugen hergestellt werden, die, einmal freigelassen, selbst Unmengen an Strom verbrauchen oder die fossilen Treibstoffe gleich selbst in Kohlendioxid verwandeln? Brauchen wir Energie für eine chemische Industrie, um diese in die Lage zu versetzen, Berge an Verpackungen aus Kunststoff zu produzieren, die nach einmaligem Gebrauch verbrannt oder ins Ausland exportiert werden? – Das ist die Versorgungssicherheit einer Produktions- und Lebensweise, die bereits heute unzählige Menschen in existenzielle Unsicherheit stürzt.

Warum soziale Bewegungen unerlässlich sind

Viel sinnvoller – und angesichts sich zuspitzender Krisen immer dringlicher – wäre es dagegen, innezuhalten und zu fragen, welche Dinge tatsächlich gesellschaftlich notwendig sind und sich zudem auf eine Weise herstellen ließen, die nicht die Erde weiter aufheizt und die Lebensgrundlagen von Menschen hierzulande, andernorts und in der Zukunft zerstört: ein nachhaltiges Mobilitätssystem, ein gut ausgebautes und für alle zugängliches Gesundheitswesen oder energetisch sanierte und preiswerte Wohnungen.

Auseinandersetzungen an den Polizeiketten vor Lützerath

Natürlich ist dafür genug Geld da. Die Gesellschaft ist so reich wie nie zuvor. Wer sich hunderte Milliarden Euro für die Bundeswehr oder die Bankenrettung leisten kann, der hat auch ausreichend Ressourcen dafür, die Gesellschaft zukunftsfähig zu machen. Warum sollten wir weiterhin Ressourcen und menschliche Kreativität dafür verschwenden, neue Finanzinstrumente zu entwickeln, SUVs zu designen oder Waffensysteme zu optimieren? Warum nicht stattdessen die gesellschaftlichen Anstrengungen, die praktische und kollektive Intelligenz von Beschäftigten in der Produktion, im Pflegebereich oder im Gesundheitswesen, die Kreativität von Ingenieur:innen in den Dienst des guten Lebens für alle stellen?

Solche Fragen lassen sich in den Parlamenten und Ministerien kaum diskutieren. Das ist kein Wunder, denn sie gehen ans Eingemachte der kapitalistischen Produktionsweise: an die Möglichkeit, das Privateigentum an Produktionsmitteln letztlich auch zum Schaden der Allgemeinheit nutzen zu dürfen, solange dabei Profite, Wachstum und Steuereinnahmen herauskommen. Übertüncht wird dies mit Begriffen wie „Wettbewerbsfähigkeit“, dem Verweis auf Arbeitsplätze oder dem Argument, dass „die Chinesen“ das Problem beim Klimawandel seien. Europa mache ja schon seine Hausaufgaben. Doch all diese Behauptungen sind Nebelkerzen.

Quelle         :      Blätter-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —   Räumung Lützeraths, 11. Januar 2023

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Unten     ––       Auseinandersetzungen an den Polizeiketten vor Lützerath

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Australiens giftige Kohle

Erstellt von Redaktion am 9. Februar 2023

Australische Aktivist*innen, der Krieg und der Milliardär

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Public Eyeon          Public Eye

Während Europa aufgrund des Kriegs in der Ukraine nach Alternativen zu fossilen Energieträgern aus Russland sucht, eröffnet Australien Dutzende Kohleminen und opfert dafür seine Naturschutzgebiete und kulturellen Heiligtümer.

Um die Projekte durchzusetzen, verweisen die lokalen Behörden auf den Krieg in Europa, während sich hinter den Kulissen alles um die Interessen der in der Schweiz ansässigen Konzerne Glencore und Adani dreht. In Queensland organisieren Aborigines und Umweltschützer*innen den Kampf gegen die Rohstofflobby – unter dem heftigen Widerstand der Minenbetreiber.

Die ockerfarbene Erde durchdringt alles, sie ist rau wie die Menschen, die sie betreten, und in der Halbwüstenlandschaft allgegenwärtig. Die blassgelbe Rauchsäule, die etwa 50 Meter in die Höhe steigt, ist nicht zu übersehen. In dieser Landschaft gibt es kaum Echo, und so klingt die Sprengung wie ein kurzer, heftiger Schlag. Er kommt von der grossen Narbe, die die Carmichael-Mine im geologischen Galilee-Becken im Herzen von Queensland in Nordostaustralien hinterlassen hat.

Coedie MacAvoy hat schon einiges erlebt. Der 30-jährige Sohn eines Stammesältesten und Hüters des Wissens der Wangan- und Jagalingou-Gemeinschaften nennt voller Stolz die Anzahl Tage, während derer er das kleine Stück Land gegenüber dem Gelände schon besetzt hat, das der Adani-Konzern in eine der grössten Kohleminen der Welt umwandeln will. An diesem Nachmittag im Oktober sind es 406 Tage. So viele Tage zählt auch das Camp Waddananggu; der Name bedeutet «Diskussion» in der indigenen Sprache Wirdi.

Über ein Jahr Besetzung reichte zwar nicht, um den Produktionsstart im Dezember 2021 zu verhindern, doch dem ehrgeizigen Multi ist sie ein grosser Dorn im Auge. Adani wird vom indischen Milliardär Gautam Adani geführt, der dank dem Kohleboom zum drittreichsten Mann der Welt (142,4 Milliarden US-Dollar, Stand Mitte November 2022) aufgestiegen ist (siehe schwarze Box unten). Im April 2020 hat der indische Konzern in Genf einen Handelszweig eingerichtet, der seine Kohle verkaufen soll. Dieser ist bei einem lokalen Treuhandunternehmen domiziliert. Gemäss Daten, die Public Eye vorliegen, unterstützte Credit Suisse im Jahr 2020 Adani, indem die Grossbank dem Unternehmen ermöglichte, Anleihen im Wert von 27 Millionen US-Dollar auszugeben. Laut der spezialisierten Plattform Global Coal Mine Tracker ist Adani mit 60 Projekten hinter Coal India der multinationale Konzern mit den meisten Plänen zur Eröffnung neuer Kohleminen. Glencore belegt mit 37 Projekten den sechsten Platz in diesem Ranking.

Adani kontrolliert ein Drittel der indischen Kohleimporte. Wie das Magazin «The New Yorker» im November 2022 berichtete, ist der Konzern in seiner Heimat auch dafür bekannt, Dörfer zu schleifen und Wälder abzuholzen, um dort riesige Kohleminen zu graben.

In Waddananggu brennt seit dem 26. August 2021 das zeremonielle Feuer der ursprünglichen Besitzer*innen, in Australien «traditional owners» genannt. Die Aborigines werden zeitweilig begleitet von Klimaaktivist*innen und Menschen, die sich für die Rechte der indigenen Gemeinschaften einsetzen, manchmal in Gesellschaft ihrer Kinder. Insgesamt sind es etwa 15 Personen. «Atmet diese Scheisse nicht ein!», rufen sie all den Menschen zu, die aus den Zelten und Baracken kommen, um die dicke Rauchsäule zu beobachten, die sich in Richtung Horizont auflöst.

Australische Aktivist*innen, der Krieg und der Milliardär

Mit sonnenverbrannten Schultern und einer Feder, die vom Filzhut auf ihr blondes Haar fällt, filmt Sunny die Staubwolke, die sich nach Nordwesten in Richtung der umliegenden Felder und des Viehs bewegt, das dort weidet. Sunny, die die Zerstörung von uralten Artefakten der Aborigines anprangert, dokumentiert alle Sprengungen der Mine, die nach 15 Jahren rechtlicher Auseinandersetzungen nun rasant ausgebaut wird. Nachfrage nach australischer Kohle steigt

Nach zwei Jahren Pandemie laufen die Kohleminen auf Hochtouren, um aus den historisch hohen Preisen Kapital zu schlagen. Und nach dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 wird australische Kohle (der qualitativ am nächsten liegende Ersatz für Kohle aus Russland) zum Dreifachen des Durchschnittspreises der letzten zehn Jahre gehandelt. Länder wie Polen, die stark von russischen fossilen Brennstoffen abhängig sind, baten Australien, die Exporte von Kraftwerkskohle zu erhöhen. In Queensland nutzten die Behörden die Gelegenheit, um auch besonders unbeliebte Projekte wie das von Adani anzukurbeln.

Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine hat Australien 3,3 Millionen Tonnen Kohle nach Europa exportiert. Dies geht aus Daten hervor, die Public Eye von der spezialisierten Agentur Argus Media zur Verfügung gestellt wurden. Fast die Hälfte dieser Kohle (1,4 Millionen Tonnen) stammte von elf Massengutfrachtern, die vom Hafen Abbot Point am Korallenmeer im Nordosten des Landes kamen, der von Adani kontrolliert wird.

Sunny ist empört. «Bei diesem Wind sollten sie keine Sprengungen durchführen», meint sie, ohne ihr Smartphone wegzulegen. «Eigentlich sollten sie dies sowieso nicht, aber heute erst recht nicht.»

Adani hat sich zum Ziel gesetzt, bis Ende 2022 mindestens 10 Millionen Tonnen zu produzieren. Der Konzern scheint es eilig zu haben – schliesslich waren ursprünglich 60 Millionen Tonnen pro Jahr geplant, die über eine 300 Kilometer lange Zuglinie mit zwei Gleisen nach Abbot Point befördert werden sollten. Von dort aus – nur wenige Dutzend Kilometer vom Great Barrier Reef entfernt, dem grössten Korallenriff der Welt, das seit 1981 zum Unesco-Weltnaturerbe gehört und gemäss einem Bericht von Expert*innen der UNO vom November 2022 «gefährdet» ist, wird die Kohle auf Massengutfrachter verladen, um hauptsächlich in fast 10’000 Kilometer entfernten indischen, chinesischen und koreanischen Kraftwerken verbrannt zu werden.

Dieses Projekt ist ein ökologischer und logistischer Unsinn, meint Grant Howard. Für den früheren Minenarbeiter aus der Region Mackay, der rund 30 Jahre in der Industrie gearbeitet hat, ist Carmichael «nur deshalb von wirtschaftlichem Interesse, weil Adani über die gesamte Infrastruktur verfügt und der indischen Bevölkerung zu hohe Energiepreise abverlangt».

Als Umweltschützer, der sich in den Busch zurückgezogen hat, um der Natur näher zu sein, verurteilt Howard das «unzeitgemässe» Projekt. Es droht, als trojanisches Pferd für andere gigantische Bergbauprojekte im Galilee-Becken zu dienen, das bis zur Ankunft von Gautam Adanis Leuten unberührt gewesen war.

Australien verfügt über die drittgrössten Kohlereserven der Welt – genug, um noch vier Jahrhunderte lang weiter zu produzieren.

Auf Anfrage erklärt die Credit Suisse, welche die Finanzierung von Adani unterstützt hat, dass sie ihre Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel wahrnehme. «Wir sind uns bewusst, dass auch die Finanzströme mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens übereinstimmen müssen», meldet die Medienstelle der Bank und versichert, dass sie ihr finanzielles Engagement in Kohle im Jahr 2021 um 39% reduziert habe.

Die Sprecher*innen lassen jedoch offen, ob ein Kunde wie Adani, der den Grossteil seiner Einnahmen aus Kohle erzielt und die Eröffnung neuer thermischer Kohleminen plant, künftig von der Finanzierung ausgeschlossen wird. «Die Position der Credit Suisse im Bereich Nachhaltigkeit ist darauf ausgerichtet, unsere Kunden beim Übergang zu kohlenstoffarmen und klimaresistenten Geschäftsmodellen zu unterstützen», so die Bank.

Die blutige Geschichte des Landes

Für Coedie MacAvoy ist es eine Familienangelegenheit. Er unterstützt den Kampf seines Vaters Adrian Burragubba – der sich durch Prozesse gegen den multinationalen Konzern ruiniert hatte –, indem er 2019 allein das Carmichael-Gelände besetzte, um «Teile des Eigentums» auf dem Land seiner Vorfahr*innen zurückzuerobern und so die Bauteams von Adani aufzuhalten. Nach zwei Wochen schnitten die Sicherheitsbehörden seine Versorgungswege vollständig ab.

Er ist auch der Anführer der seit August 2021 andauernden Proteste, aber er ist nicht mehr allein. «Ich bestreite das Recht der Regierung, Land zu enteignen, um es in eine Bergbaukonzession umzuwandeln», sagt Coedie MacAvoy. Mit seinen stechend grünen Augen, dem Flow eines Rappers und seinem tätowierten Totem auf der Brust zählt sich der 30-Jährige gerne zu den Aktivist*innen, die sich an Bäume ketten – mit einer Extraportion «Fight the power». «Ich bin keiner dieser Grünen aus Melbourne», betont der Aborigine.

2019 hat die lokale Regierung von Queensland den indigenen Gemeinschaften die Eigentumsrechte aberkannt und diese dem Bergbaukonzern überlassen, der die Aborigines seitdem wie Eindringlinge behandelt. Nach dem hartnäckigen Widerstand von Coedie und seinem Vater wurde diesen vor Gericht immerhin das Recht zugesprochen, ihr Land zu besetzen, um «ihre Identität und ihr kulturelles Erbe zu überwachen, zu schützen und zu fördern», solange dies nicht mit den Bergbauaktivitäten in Konflikt gerät.

Dieses Recht geht aus dem Menschenrechtsgesetz von Queensland hervor, das am 1. August 2020 in Kraft trat. Die Gesetzeslücke, die damit gefüllt wurde, hängt mit der blutigen Geschichte dieser Region und mit den Bedingungen zusammen, unter denen das Land den Aborigines weggenommen worden war. «Es ist bekannt, dass die Weissen erst 1860, zur Zeit meines Urgrossvaters, hier eintrafen», sagt Coedie MacAvoy. «Sie erschossen alle Männer im wehrfähigen Alter.»

Die Aborigines wurden erst 1967 in die australische Volkszählung aufgenommen, und die australische Bundesverfassung gesteht ihnen bis heute keine Sonderrechte zu. Auf regionaler Ebene gewährleistet nun aber das Menschenrechtsgesetz ihr Recht, ihre Kultur zu schützen. «Wir haben gelernt, mit ihren Waffen umzugehen und diese nach besten Kräften einzusetzen; wir haben die Büchse der Pandora geöffnet», sagt Coedie MacAvoy stolz, der den von seinem Grossvater «geliehenen» irischen Namen beibehalten hat. Im Stil eines Stammesführers gibt er die indigene Sprache Wirdi an die Jüngeren weiter und träumt davon, ein Esperanto der Aborigine-Dialekte zu schaffen, denn «alles, was ich sage oder berühre, wird als kultureller Akt anerkannt». Sehr zum Ärger der Adani Group, die sich an ihre Bergbaukonzession klammert und immer wieder die 180 Kilometer entfernte Polizei ruft.

Public Eye konnte sich ein Bild davon machen, wie aggressiv der multinationale Konzern mit Menschen umgeht, die sich für seine Aktivitäten interessieren. Während unserer Recherche vor Ort verfolgte uns ein Geländewagen seines Sicherheitsdienstes entlang der öffentlichen Strasse, die zur Mine führt, und filmte uns, als wir vor dem Camp Waddananggu aus dem Fahrzeug stiegen. Einige Stunden später erreichte die Geschäftsleitung von Public Eye per E-Mail ein Schreiben, das uns aufforderte, das Gebiet zu verlassen – «leave immediately and do not return» –, und uns verbot, die vor Ort gemachten Aufnahmen zu verbreiten. Das Schreiben schloss mit dem Hinweis auf eine Beschwerde bei der örtlichen Polizei und der Androhung rechtlicher Schritte.

Public Eye hat Adani eine Liste mit detaillierten Fragen zukommen lassen. Der Konzern wollte jedoch weder die Pläne für seine Niederlassung in Genf oder seine Ziele für die Carmichael-Mine erläutern noch auf seine Haltung gegenüber kritischen Stimmen eingehen. Das multinationale Unternehmen weist stattdessen unsere Fragen «vollständig» zurück, die implizieren, dass seine Unternehmen unverantwortlich oder im Widerspruch zu den geltenden Gesetzen und Vorschriften gehandelt haben. «Es ist enttäuschend, dass Public Eye als Organisation mit Sitz in einer reichen und einkommensstarken Nation die eigene privilegierte Position nutzt und versucht, den ärmsten Menschen der Welt den Zugang zu derselben zuverlässigen und erschwinglichen Energie zu verweigern, von der die führenden Industrieländer seit Jahrzehnten profitieren», schliesst die Nachricht, die von einem Sprecher der australischen Niederlassung gesendet wurde.

Die Daten, die Public Eye vorliegen, zeigen allerdings, dass ein erheblicher Teil der Adani-Produktion derzeit auch deutsche, niederländische, schwedische und britische Häfen erreicht. Von wegen «die ärmsten Menschen der Welt».

Roter Teppich für die Konzerne

Der Kampf, den Coedies Familie gegen den multinationalen Konzern führt, ist höchst ungleich. Sowohl die Landesregierung als auch die Regierung von Queensland haben den roten Teppich für Bergbaukonzerne wie Adani ausgerollt, die nun dank den historisch hohen Preisen 120 Milliarden australische Dollar (76 Milliarden Franken) an Einnahmen für den Export von 400 Millionen Tonnen thermischer Kohle (für die Stromerzeugung) sowie metallurgischer Kohle (für die industrielle Nutzung) erwirtschaften sollen.

Der Zuger Konzern Glencore ist mit 15 Minen (die zwei Drittel seiner Produktion ausmachen) der führende Kohleförderer des Landes. Zusammen mit Adani und ihren australischen, chinesischen und japanischen Konkurrenten bildet er ein mächtiges und einflussreiches Netzwerk mit besten Verbindungen in die Medien und die Politik. In Queensland nimmt die Kohlelobby für sich in Anspruch, 58,8 Milliarden australische Dollar (über 37 Milliarden Franken) zur lokalen Wirtschaft beizutragen und 292’000 Arbeitsplätze zu schaffen, davon 35’000 direkte.

Der ehemalige konservative Premierminister Australiens, Tony Abbott, beschrieb im Juni 2015 das Adani-Projekt der Carmichael-Mine als «armutsbekämpfendes Wunder», das es «Australien ermöglichen wird, zu einer Energiesupermacht zu werden». Der indische Konzern erhielt Steuererleichterungen sowie ein undurchsichtiges, mehrjähriges Moratorium auf die Schürfgebühren. Erst unter Druck verzichteten die Behörden darauf, dem multinationalen Konzern ein Darlehen für den Ausbau seiner Eisenbahnlinie zu gewähren. 2019 hatte ein Bericht des Institute of Energy Economics and Financial Analysis – ein Thinktank, der Fragen im Zusammenhang mit Energiemärkten und -politik untersucht – das Ausmass dieser «Geschenke» auf über 2,7 Milliarden Franken geschätzt; eine Summe, die eine Voraussetzung für die Realisierbarkeit des Projekts gewesen sein soll.

Eine Touristikerin macht nicht mit

Die lokale Reiseveranstalterin Lindsay Simpson reiste selbst mit einer Gruppe australischer Aktivist*innen zu Gautam Adani in den indischen Bundesstaat Gujarat. Sie wollten sich 2017 zur Generalversammlung des Konzerns einladen und die Premierministerin von Queensland, Annastacia Palaszczuk, bei ihrem offiziellen Besuch abfangen, um ihr dann zu verkünden: «Sie werden den Tod des Great Barrier Reef mit ins Grab nehmen.»

Lindsay Simpsons erste Begegnung mit Adani fand 2013 statt. Der indische Konzern hatte zwei Jahre zuvor den Hafen Abbot Point erworben und wollte nun seine Transportkapazitäten durch spektakuläre Bauvorhaben direkt im Korallenmeer ausbauen. Um das zu erreichen, wollte er die Tourismusbranche dazu bringen, die Verklappung von 3 Millionen Kubikmetern Baggergut direkt ins Meer gutzuheissen. Die ehemalige Kriminalreporterin der Tageszeitung «Sydney Morning Herald», die mittlerweile auf die Organisation von Segeltörns umgestiegen ist, weigerte sich damals, das von Adani erstellte Dokument zu validieren, das der lokale Tourismusdachverband «gegen Entschädigungszahlungen» unterzeichnet hatte.

Lindsay Simpson bezeichnet sich heute als Autorin eines fiktiven Romans und elf Krimis, die auf wahren Verbrechen basieren, «darunter das Verbrechen von Adani»: In «Adani, Following Its Dirty Footsteps» schildert sie den Hang der lokalen Politik, vor der Bergbauindustrie zu kuschen. Sie zieht Parallelen zwischen der Kolonialisierung Australiens und der Geschichte des Bergbaus und kritisiert die fortwährende und heuchlerische «Huldigung» dieser «männlichen Helden der Arbeiterklasse mit Schutzhelmen».

Die ersten Kohlevorkommen in Queensland wurden 1825 westlich von Brisbane entdeckt, als die Region als Strafkolonie für die britische Krone dienen sollte. Nachdem das Land weniger als zwei Jahrzehnte später in freies Land umgewandelt wurde, ermöglichte der Abbau von Sedimentgestein in grossem Stil die Versorgung der Dampfschiffe, auf denen die ersten Siedler*innen ankamen.

Die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten im Landesinneren ist nach wie vor von diesen Arbeitsplätzen abhängig. Neben der Landwirtschaft stellt der Bergbau fast die einzige Einkommensquelle dar. In den Dörfern Collinsville, Clermont und Emerald – wo Glencore einige seiner Minen betreibt – sorgt die Blockadehaltung von Umweltschützer*innen und Aborigines für deutlich mehr Kritik, als es die Schattenseiten des Bergbaus tun. Medienschaffende sind selten gern gesehen, und nur wenige Einheimische sind bereit, sich gegenüber Medien zu äussern, die eine andere Sicht der Dinge vertreten.

Den Kids ein Leben ermöglichen

Luke Holmes zählt nicht zu diesen Menschen. Bei unserem Treffen beobachtet er von seinem Quad aus seine weidende Herde und spricht dabei über die notwendige Schaffung von Arbeitsplätzen. «Unsere Kinder müssen weiterhin Arbeit haben, denn hier wird man nicht Arzt», sagt er und spuckt seinen Kautabak aus, während seine beiden Hunde auf dem Rücksitz hecheln. Luke Holmes hat selbst etwa 15 Jahre lang für einen Bergbaukonzern gearbeitet. Das brachte ihm das nötige Geld für den Kauf eines Stücks Land ein, von dem er heute leben kann. Die Einstiegslöhne betragen ohne Weiteres 45 australische Dollar pro Stunde (29 Franken), qualifizierte Arbeitskräfte kriegen fast das Doppelte – und das bei Kost und Logis. Der Farmer ist Big Coal zwar weiterhin dankbar, gibt aber zu bedenken, dass «Kohlebergwerke viel weniger reguliert sind als die Landwirtschaft».

Klar, denn König Kohle beherrscht die Region und duldet niemanden neben sich. Derzeit sind in Australien 68 Projekte zur Ausweitung oder zur Eröffnung von Bergwerken in Planung, die Hälfte davon in Queensland, so die offiziellen Zahlen. Angesichts des Vormarsches der Kohle müssen nun einige Farmerfamilien schweren Herzens die zweite Zwangsenteignung ihres eigenen Grund und Bodens ertragen. Um dem Ganzen entgegenzuwirken, handeln die Bergbaukonzerne die Entschädigungen von Fall zu Fall aus und überbieten sich gegenseitig mit spektakulären Versprechen von Vorteilen für die lokalen Gemeinden und der Anzahl der Arbeitsplätze, die geschaffen werden würden. Adani hatte ursprünglich 1500 Arbeitsplätze während der Bauphase sowie 6750 indirekte Arbeitsplätze versprochen. Diese Zahlen sind inzwischen stark nach unten korrigiert worden.

Matthew Currell, Professor für Umwelttechnik, ist besorgt darüber, dass die Kohleminen die Wasserressourcen in diesen halbwüstenartigen Gebieten in Beschlag nehmen. «Die Regierung von Queensland hat Adani eine Lizenz erteilt, beliebig viel Grundwasser zu pumpen. Doch es fand keine seriöse Umweltverträglichkeitsprüfung statt», bemängelt Currell. Als Mitverfasser eines Meinungsartikels schrieb er im Mai 2020: «Australien hat beim Coronavirus auf die Wissenschaft gehört. Stellen Sie sich vor, wir würden dies auch bei den Kohleminen tun.» Für den Wissenschaftler des Royal Melbourne Institute of Technology (RMIT) ist das Risiko einer Kontaminierung oder Austrocknung des Ökosystems der Doongmabulla-Quellen – Lebensraum für seltene und den Aborigines heilige Pflanzenkulturen – offensichtlich; angesichts der wirtschaftlichen und der wahlpolitischen Interessen wurde es jedoch ignoriert.

Die Argumentation des Dealers

Auf globaler Ebene gibt es ein noch grösseres Problem: die Emissionen. Lange Zeit konzentrierte sich die Debatte auf Kohlendioxid (CO₂), das bei der Verbrennung von Kohle freigesetzt wird. Auf diese Kritik haben die Lobbys oft reagiert, indem sie das Problem auf die Länder abwälzten, in welchen die Kohle verbraucht wird.

Das klingt für mich wie die Argumentation eines Drogendealers», sagt Peter MacCallum, Koordinator der Umweltorganisation Mackay Conservation Group

«Ich kann noch so viel Heroin verkaufen, aber ich bin nicht verantwortlich für die Menschen, die es konsumieren.» Peter McCallum

Die lokale Regierung kündigte Ende September stolz an, dass sie bis 2035 auf den Verbrauch von thermischer Kohle als Energieträger im Inland verzichten wolle. Der Export von Kohle wurde jedoch mit keinem Wort erwähnt. Diese politische Ansage veranlasst Peter MacCallum zu dem ironischen Kommentar: «So werden wir wie die Schweiz: Unsere Hände bleiben sauber.»

Der ökologische Kampf dreht sich in Wirklichkeit immer mehr um das Methan, ein potentes Treibhausgas, das beim Kohleabbau freigesetzt wird. Es ist 82-mal stärker als CO₂ und soll laut einem der letzten Berichte des Weltklimarats IPCC für den Anstieg der globalen Temperaturen um 0,5 Grad in den letzten 100 Jahren verantwortlich sein. In Australien – dem Industrieland, das weltweit am anfälligsten für Klimakatastrophen wie steigende Meeresspiegel oder Waldbrände ist – verlagert sich der Fokus der ökologischen Anliegen daher von der Kohleverbrennung auf die Gewinnung und Verarbeitung. Damit sind die Worte des Dealers für das Förderland passé.

Mithilfe neuer Satellitenbilder der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa hat das kanadische Rechercheunternehmen Ember in einem Bericht vom Juni 2022 die Methanlecks aller australischen Kohleminen analysiert. Das Ergebnis: Die Verschmutzung ist fast doppelt so gross wie diejenige, die der lokale Autoverkehr verursacht. Und: Bergbauprojekte im Galilee-Becken wie das auf Jahrzehnte angelegte Adani-Projekt werden die Lage in Zukunft weiter verschlechtern.

Zu den umweltschädlichsten Tagebauminen Australiens gehört Hail Creek mit einer Fördermenge von rund 7 Millionen Tonnen, an der Glencore 2018 die Mehrheit übernommen hat. Satellitenbilder zeigen, dass aus der Mine mehr als zehnmal so viel Methan entweicht, als Glencore den Regulierungsbehörden gemeldet hat.

Der Zuger Konzern, den wir mehrere Wochen im Voraus kontaktiert hatten, verweigerte uns eine Besichtigung der Mine und begründete dies mit der «Revision des Jahresbudgets». Vor Ort, an der einzigen öffentlichen Zufahrtsstrasse zur Mine und zu ihrem Kontrollposten, wirbt ein Schild jedoch für Offenheit und Verantwortung als Glencores Werte. Auf Anfrage schickte uns der Zuger Konzern ein Merkblatt zum Thema Methanemissionen. Es beschreibt mit dem Tagebau verbundene Phänomene, lobt Glencores Bemühungen zur Reduzierung (durch die Gasverbrennung oder das Einfangen des Gases zur Umwandlung in Strom) und äussert Zweifel an der Verwendung von Satellitenbildern, da diese zu «unstet» seien, um sie mit den jährlich gemeldeten Emissionen zu vergleichen.

In Queensland wird es jedoch immer schwieriger, die Erderwärmung zu ignorieren. Das weltbekannte Great Barrier Reef – der Stolz der Region – erstreckt sich über 2000 Kilometer und wird von immer heftigeren Wirbelstürmen und einer beschleunigten Korallenbleiche heimgesucht. Im Mai 2022 waren laut einem Regierungsbericht 91% der Riffe von einer andauernden Hitzewelle betroffen. Es war die vierte seit 2016. In der Tourismusbranche, in der normalerweise nicht viel darüber gesprochen wird, um Tauch- und Segelliebhaber*innen nicht abzuschrecken, werden allmählich kritische Stimmen laut.

Der in Kalifornien geborene Tony Fontes kam 1979 an die Küste von Airlie Beach, «um seinen Traum vom Tauchen am Riff zu leben». Er ist geblieben. Aber heute ist es nicht mehr dasselbe Gefühl, weil das Great Barrier Reef so sehr gelitten hat. «Das Thema wird totgeschwiegen. Anstatt gemeinsam gegen die Interessen der Bergbaukonzerne vorzugehen, die dem Tourismus schaden, leugnen die Reiseunternehmen lieber die Folgen des Klimawandels, aus Angst, dass die Tourist*innen ausbleiben», kritisiert er. Die Reiseveranstalterin Lindsay Simpson beobachtet eine neue Tourismuskategorie, die sie «disaster tourism» nennt – Katastrophentourismus; Reisende, die das Great Barrier Reef unbedingt noch sehen wollen, bevor es zu spät ist.

Die goldenen Zeiten der Industrie

Die Kohleindustrie hat ihre Zukunft jedoch noch vor sich. Im Gebiet um die Ortschaften Capella und Emerald hat Glencore im April 2020 Genehmigungsanträge für die vielleicht grösste Mine Australiens eingereicht: sechs Kohleschächte mit einer Produktion von 20 Millionen Tonnen pro Jahr. Codename: Valeria Project. Baubeginn: 2024. Dauer: 30 Monate, einschliesslich des Baus der dazugehörigen Eisenbahn und Strominfrastruktur. Das Ganze soll 37 Jahre lang nutzbar sein. Das ist weit nach 2050, dem Jahr, in dem der Zuger Konzern bei den Emissionen netto null erreichen will.

File:Abbot Point Terminal.jpg

Unter dem Druck seiner Kapitalgeber verpflichtete sich der damals von Ivan Glasenberg geleitete Rohstoffgigant im Februar 2019, seine Kohleproduktion auf 150 Millionen Tonnen pro Jahr zu beschränken. Im Jahr 2021, das noch von der Pandemie geprägt war, produzierte er 103,3 Millionen. Seitdem hat Glencore ohne zu zögern die Anteile seiner Konkurrenten an der kolumbianischen Mine Cerrejón aufgekauft. Dies dürfte die eigene Kohleproduktion um weitere 14 Millionen Tonnen erhöhen.

Auf den rund 10’000 Hektaren, die Valeria auf dem Gebiet einnehmen wird, hat Glencore bereits gründlich aufgeräumt. Neun Familien wurden umgesiedelt und das Land, auf dem sich zwei staatliche Wälder befinden, ist fast vollständig eingezäunt. Nur noch ein Hubschrauberpilot lebt in einem kleinen Haus und wartet auf das Ende seines Pachtvertrags im Januar 2023.

In Capellas Zeitungskiosk, der auch als Informationszentrum dient, drückt die Besitzerin ihrer Kundschaft direkt eine von Glencore produzierte und mit Mai 2022 datierte Broschüre in die Hand, die den weiteren Ablauf der geplanten Arbeiten zusammenfasst. «Das Projekt läuft schon seit vielen Jahren, das kommt nicht überraschend», resümiert sie fatalistisch. «Wir haben viele Minen in der Umgebung, wir wissen also, worum es geht.»

Ein Farmer, der nicht namentlich genannt werden will, ist nicht erfreut darüber, dass er «im Staub von Glencore hockt». In Australien sorgen die Minen für leere Landstriche, denn seiner Meinung nach hat der Konzern keine besonders gute Bilanz in Bezug auf die Nachbarschaftsbeziehungen vorzuweisen. Sein Grundstück grenzt über mehrere Kilometer an die geplante Valeria-Mine. Und obwohl er überhaupt keine Lust hat, dieses Land zu verlassen, «das uns so viel gegeben hat und ein Teil von uns ist», wird er durch die vom Kohleabbau verursachte Umweltbelastung dazu gezwungen sein.

«Die Menschen in der Schweiz müssen sich bewusst werden, wie stark der Bergbau unser Leben hier verändert», sagt er. Ein Farmer, der anonym bleiben will

Auf dem Territorium der Aborigines

Auch Scott Franks wird das nicht bestreiten. Nachdem er sich gegen Glencores Pläne zur Ausweitung der Glendell-Mine auf dem Land seiner Wonnarua-Vorfahren gewehrt hatte, wurde der Aborigine (zusammen mit einem anderen Aktivisten) in einer ganzseitigen Anzeige des Zuger Konzerns in einem lokalen Medium mit Namen genannt, weil er «versucht hat, unser Projekt zu stoppen» und damit auch die gewerblichen Tätigkeiten auf einer Fläche von 156 Quadratkilometern im Hunter Valley in New South Wales. Es geht um 3000 Arbeitsplätze. «Die Strategie ist, die Bergbaugemeinschaft gegen die Aborigines, die Black Folks, aufzubringen. Bisher haben wir alle Minen unterstützt, aber uns bleiben lediglich noch 3% unseres Landes», analysiert Scott Franks voller Bitterkeit.

Die geplante Ausweitung von Glendell würde die Gedenkstätte eines Massakers betreffen, das 1826 von der berittenen Polizei in einer Aborigines-Siedlung verübt worden war und 36 Tote gefordert hatte. Glencore will dazu eine Farm umsiedeln und behauptet in der Anzeige, dass das Massaker in Wirklichkeit 20 Kilometer entfernt stattgefunden habe. Zudem bestreitet der Konzern die Eigentumsrechte der beiden Opponenten sowie ihre Rolle als Vertreter des Volks der Wonnarua. Die Unabhängige Planungskommission (IPC) der Regierung von New South Wales sprach Glencore Ende Oktober 2022 das Recht auf Ausweitung der Glendell-Mine ab. Auf Anfrage erklärte der Bergbaukonzern, dass er darüber nachdenke, diese Entscheidung anzufechten, da das «Massaker von 1826 ausserhalb von Ravensworth stattgefunden hat» und «die heutige Farm erst danach gebaut wurde». In seiner Antwort erwähnt der multinationale Konzern auch seine Programme zur Wiederherstellung von Bergbauland sowie zur Unterstützung junger Aborigines. «Wir anerkennen die einzigartige Beziehung der indigenen Gemeinschaften zu ihrer Umwelt», versichert Glencore und spricht von Beziehungen, die auf gegenseitigem Vertrauen, Respekt und im Bestreben nach «beidseitigem Nutzen» beruhen.

«Glencore verhandelt nur mit Gemeinden, die der Konzern kaufen kann», kritisiert hingegen Scott Franks. Klage gegen Glencore wegen Greenwashings.

Nachdem gegen den Konzern in den letzten Jahren wegen Korruption in den USA, Grossbritannien, Brasilien und der Schweiz eine Welle von Strafverfahren eingeleitet worden sind, scheint Glencore sich jedoch mehr um sein Image zu kümmern. Sowohl in der Schweiz als auch in Australien versucht der Kohleriese, sich als Hauptakteur der Energiewende zu profilieren, indem er seine Rolle beim Abbau von Kobalt und Kupfer betont, die für die Herstellung von Elektrobatterien unerlässlich sind.

In Australien hat dem Konzern seine Kampagne «Advancing Everyday Life» eine Anklage wegen «irreführenden oder täuschenden Verhaltens» bei der Behörde für Verbraucher- und Investorenschutz eingebracht. In der Schweiz hat die Koalition für Konzernverantwortung, zu der Public Eye gehört, Glencore zudem wegen Greenwashings im Zusammenhang mit der Plakatkampagne des Konzerns in öffentlichen Verkehrsmitteln und Bahnhöfen angeklagt. Dies beeindruckt den Zuger Multi jedoch keineswegs, denn er versichert, dass alle drei Klagen abgewiesen wurden, und es hält ihn auch nicht davon ab, neue Minen zu eröffnen – genauso wenig wie seinen Konkurrenten Adani.

Aber im Camp in Waddananggu hat Coedie MacAvoy zweifellos ein ebenso dickes Fell wie sein Vater. Und sein Humor ist so trocken wie die Erde, wenn sie in die Motoren der Geländefahrzeuge eindringt. Am Eingang des Lagers hat er mehrere Schilder aufgestellt, die vor unbefugtem Betreten warnen, da man sonst von der Stammesjustiz verurteilt werden könnte: «Haben Sie mein Schild gesehen? Es sieht aus wie jedes andere Schild, und in einer Welt voller Schilder kann niemand mehr den Unterschied erkennen.» Im vergangenen Jahr organisierte er seine eigene «Tour of Carmichael», bei der über 100 Velofahrer*innen in dem für Adani abgesteckten Gebiet zusammenkamen. «Wir haben die moralische Stärke. Wir leben weiter, also werden wir gewinnen», versichert der 30-Jährige.

Coedie MacAvoy lebte bei der Lancierung des Bergbauprojekts in Brisbane, der Hauptstadt von Queensland. Er gibt offen zu: «Ich glaube nicht, dass meine Familie auf das Land, von dem mein Grossvater mit vorgehaltener Waffe vertrieben wurde, zurückgekehrt wäre, wenn es nicht um Adani gegangen wäre.» Wollte Coedie, der mit den Ideen und Reden seines Vaters aufgewachsen ist, sich nie gegen das Familienschicksal auflehnen und etwas anderes tun? Hat er nicht das Gefühl, einen endlosen Konflikt geerbt zu haben? «Ich habe nie gedacht, dass die Generation meines Vaters den Ausschlag geben würde», antwortet er nur. «Dazu trägt sie noch zu viel Traumata und Wut in sich.»

Am Horizont geht die Sonne über Carmichael unter. Die Staubwolke hat sich aufgelöst, und die Mine ist in Stille getaucht. Coedie MacAvoy nutzt die Gelegenheit, um eine Palme zu pflanzen, die – so hofft er – in einigen Jahren Früchte tragen wird.

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Grafikquellen          :

Oben        —   Kohle-Tagebau bei Collie in Western Australia

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Unten     —    Abbot point port terminal infrastructure

Author WikkiMediaa          /         Source      :: Own work      /     Date    :  1 April 2014, 00:06:31

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Hintergrund: 1973 – 2023

Erstellt von Redaktion am 7. Februar 2023

50 Jahre keine Brennelementfabrik / Plutoniumfabrik BBR in Heitersheim

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Axel Mayer – Mitwelt Stiftung Oberrhein  

Wir schreiben das Jahr 2023. Die letzten deutschen AKW werden (hoffentlich) abgestellt und die Brennelementefabrik in Lingen steht ohne russisches Uran vor dem Aus.

Wenn heute an Atomprotest am Oberrhein erinnert wird, dann gilt dieses Erinnern zumeist dem erfolgreichen Fessenheim-Protest oder den durch Bauplatzbesetzungen verhinderten AKW in Wyhl und Kaiseraugst(CH). Die erfolgreichen Proteste gegen das französische AKW in Gerstheim bei Strasbourg und gegen das geplante Hochrhein-AKW in Schwörstadt werden meist vergessen. Auch in Breisach am Kaiserstuhl war 1971 der Bau eines der größten AKW-Standorte der Welt (mehrere Reaktorböcke mit insgesamt 4000 MW!) geplant.

Häufig ganz vergessen wird der erfolgreiche Protest gegen die Brennelementefabrik BBR in Heitersheim, der im Jahr 1973 seinen Anfang nahm.

Bis 1973 profitierte die Wirtschaft in Heitersheim von Schacht III des Kalibergwerks Buggingen mit vielen Arbeitsplätzen. Als 1973 die Kalibergwerke in Heitersheim und Buggingen ihren Betrieb einstellten (und vor der Schließung, passend zum Zeitgeist, noch unsachgemäß Giftmüll eingelagert wurde), gingen über tausend Arbeitsplätze verloren. Es sollte dann dort eine Brennelementefabrik angesiedelt werden. Versprochen wurde zuerst, dass 2000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Es zeigte sich allerdings, dass lediglich 150- bis 200 neue Arbeitsplätze in die Region gekommen wären. Im Herbst 1973 begannen nicht öffentliche, geheime Verhandlungen zur Ansiedlung einer Plutoniumfabrik. Im Herbst 1974 wurden diese Gespräche durch Whistleblower öffentlich. Es wurde öffentlich bekannt, dass beim gerade erst stillgelegten’Schacht 3′ der Kalisalz-Grube Buggingen eine Brennelementefabrik geplant war, die nicht nur Uran sondern evtl. auch Plutonium verarbeiten sollte. Es bestand die Gefahr, dass für die Brennelemente auch hochgiftiges Plutonium verwendet worden wäre.

Der giftigste Stoff der Welt
„Plutonium – sinnigerweise benannt nach Pluto, dem griechischen Gott des Totenreiches – ist der giftigste Stoff, den es gibt. Seine kurz reichende Alpha-Strahlung reißt gewissermaßen tiefe Schneisen in jedes lebende Gewebe und zerstört es. Dabei kann es nur schwer oder gar nicht ausgeschieden werden. Es setzt sich fest, reichert sich sogar an, die Strahlung ist bei einer Halbwertszeit von 24000 Jahren faktisch dauerhaft vorhanden. Bereits wenige Millionstel Gramm (Mikrogramm) können sofort, sogar nur etliche Milliardstel Gramm (Nanogramm) langfristig tödlich wirken …“ Zitat Frankfurter Rundschau

Schon vor dem Bekanntwerden dieser Pläne gab es wenige Kilometer von Heitersheim entfernt in Fessenheim und Breisach massive Proteste gegen geplante Atomanlagen. So kam es am nahen Kaiserstuhl im September 1972 zur ersten großen Kaiserstühler Treckerdemo mit 560 landwirtschaftlichen Fahrzeugen.

Die BBR-Nein-Gruppe in Heitersheim / Baden war ab 1973 aktiv, um die geplante Plutoniumfabrik, welche für das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich Plutonium-Brennelemente produzieren sollte, zu verhindern. Der BBR-Nein-Gruppe gelang es im Zusammenspiel mit einer erwachenden Umweltbewegung am Oberrhein, eine große Mehrheit gegen die Ansiedlung der Fabrik zu organisieren. Sie veröffentlichte u.a. die Broschüre „Die BBR in Heitersheim“. Vom AK Umweltschutz der Uni Freiburg erschien 1975 die Broschüre „Kein Plutonium nach Heitersheim“. Die Stimmung in der Bevölkerung wendete sich ab 1975 gegen die planende Betreiber-Firma. Während einer Bürgerversammlung wurden von der Gruppe ‚BBR Nein‘ zwei Korruptionsfälle aufgedeckt. Die frisch gegründete AGUS (Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Markgräflerland) half der örtlichen BI politisch und juristisch.

    • Risiko verhindert

Nicht produzierte Plutonium-Brennstäbe bedeuten: Keine noch extremere Gefahr für die Menschen bei schweren Atom-Unfällen und kein Atommüll, der eine Million Jahre sicher gelagert werden muss und 30.000 Menschheit-Generationen gefährdet.

    • Fehlinvestition verhindert

Wie so häufig in der Geschichte hat die Umweltbewegung in Heitersheim auch eine ökonomische Fehlinvestition verhindert. Die Heitersheimer Brennelemente waren für die vielen damals noch geplanten Druckwasserreaktoren des Herstellerkonsortiums Babcock-Brown Boveri Reaktor GmbH (BBR) vorgesehen. Doch das BBR-Reaktorkonzept war sehr umstritten und gefährlich. Nur ein einziges deutsches BBR-Kernkraftwerk wurde von 1975 bis 1986 in Mülheim-Kärlich gebaut. Das AKW wurde im September 1988 nach knapp zwei Jahren im Probe- und genau 100 Tagen im Regelbetrieb endgültig abgeschaltet.

Die Brennelementefabrik in Heitersheim war letztendlich politisch nicht durchsetzbar, auch weil sich immer mehr Winzergenossenschaften dem Protest anschlossen.
Diese frühen, verzweifelt-hoffnungsfrohen ökologischen Konflikte am Oberrhein (Heitersheim (D), Marckolsheim (F), Wyhl (D), Kaiseraugst (CH), Gerstheim (F)… brachen erstmals mit der vorherrschenden Nachkriegslogik der Gier, des Wachstumszwangs und der Zerstörung. Sie waren erste Zeichen der Hoffnung mit Fernwirkung und haben die globalen Zerstörungsprozesse entschleunigt. Mit der Schließung der letzten drei deutschen AKW endet im Jahr 2023 eine Phase, die vor einem halben Jahrhundert auch in Heitersheim begonnen wurde.

Doch die Macht der weltweiten Atomlobby zeigt sich immer noch. In den perfekten aktuellen Desinformationskampagnen zum Atomausstieg und wenn alle Energieimporte aus Russland nach Europa boykottiert werden, nicht aber der Import von russischem Uran nach Europa und wenn dies (fast) kein Medienthema ist.

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Unten     —    Eingangstor der Urananreicherungsanlage der Firma Urenco in Gronau

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Der Holzbetrieb

Erstellt von Redaktion am 5. Februar 2023

Im Hamster-modus: „Brennholz ist das neue Klopapier“

Von Thomas Vogel

Putin eine lange Nase machen, soll er doch sein Gas behalten. Ersatz wächst auch bei uns vor der Türe. Wenn die Sache mit dem Brennholz nur so einfach wäre.

Die Deutschen und ihr Wald. Ein Thema, bei dem ganz, ganz viele Emotionen mitschwingen. „Wenn du ein tiefes Leid erfahren/Tief schmerzlich, unergründlich bang/Dann flüchte aus der Menschen Scharen/Zum Walde richte deinen Gang“, empfiehlt der Arzt und Dichter Ludwig August Frankl (1810-1894). Der Wald ist Trost, Zufluchtsort und in der deutschen Geschichte immer wieder Stoffspender für nationale Mythen, auch ganz fürchterliche. Vom Fällen der Baumstämme ist dabei ausdrücklich nie die Rede.

Dafür hat inzwischen sogar die russische Propaganda dieses Thema für sich entdeckt. Vergangenen November lancierte sie die Meldung in den medialen Raum, wonach die in bitterer Kälte darbende Berliner Bevölkerung bereits Hand an den Stadtpark Tiergarten lege, um ihn zu verfeuern.

Blanker Unsinn wieder mal. Zumal gutes Brennholz mindestens zwei Jahre lagern muss, um gut auszutrocknen, wie jeder Freizeitheizer mit Kaminofen-Expertise weiß. Besuch bei Gewährsmann Michael Mayr, Vollbart, verschmitzes Lächeln, verschmutzer Dienstwagen mit Waldbodenspritzern rundherum. Er ist Revierleiter in der Marktgemeinde Pfaffenhofen an der Roth in Bayrisch-Schwaben. Die Gegend ist waldreich, etwa ein Drittel der Waldflächen gehören privaten Besitzern. Mehr als 1.000 von ihnen steht er beratend zur Seite und ebenfalls fünf Gemeinden mit ihren Kommunalwäldern. Insgesamt ist er für 3.800 Hektar zuständig. Zwei Hektar beträgt die durchschnittliche Größe im Privatwald.

Das Brennholz, das aus Mayrs Beritt in den Verkauf kommt, reißen sie ihm derzeit förmlich aus der Hand. In den Wintermonaten, wenn die Bäume weniger Wasser führen, ist Hochsaison bei Waldarbeiten. Statt lieblichen Vogelstimmen hören Spaziergänger, die Erholung und Erbauung suchen, dann den grellen Aufschrei der Kettensägen und das Prasseln fallender Bäume.

Mit Beginn der Saison stand bei Mayr zeitweilig das Telefon nicht mehr still vor lauter Anfragen nach Brennholz. Mancher Private orderte unversehens die dreifache Menge. Anfragen von gewerblichen Interessenten trudelten ein, die weit außerhalb des üblichen Kundenradius ansässig sind. Die Leute, sagt Mayr, seien erneut im Hamstermodus wie in besten Coronazeiten: „Brennholz ist das neue Klopapier.“

Horten aber sei gar nicht so sinnvoll. „Holz hat zwar kein Haltbarkeitsdatum, aber es hält auch nicht ewig“. Nach ein paar Jahren, so Mayr, verliere es stark an Brennwert.

Eine zehnminütige Autofahrt oder acht Kilometer Luftlinie entfernt findet sich der nächste Stützpunkt der Waldbetreuung. Der Forstbetrieb Weißenhorn, zum staatlichen Unternehmen der Bayerischen Staatsforsten gehörend, residiert in einem historischen Forsthaus aus den 1920er Jahren am Rande der Altstadt. Ihm unterstehen die über 14.500 Hektar Staatswald in der Umgebung, was grob gerechnet mindestens ebenso vielen Fußballfeldern entspricht. Hier empfangen Forstbetriebsleiter Martin Eggert und sein Stellvertreter Christoph Kohler zum Gespräch.

Energiekrise? Aus Anlass des russischen Überfalls auf die U-kraine? Ganz weit weg, und doch ganz nah. Denn in Folge setzte auch bei ihnen ein bislang unbekannter Run auf die Holzscheite ein.

Eggert und Kohler, unprätentiöses Auftreten, dialektfreie Sprache, druckreife Ausdrucksweise, wären auch vorstellbar als Seminarleiter an einer Hochschule. Als Manager des Waldes jonglieren sie zwischen Naturbegeisterung und Zahlenwerk. Die Holzmenge, die „ihr“ Betrieb alljährlich dem Markt zur Verfügung stellt, ist imposant. Es sind insgesamt 131.000 Festmeter, wie es in der Fachsprache heißt. Einer ist ein Kubikmeter mit gestapeltem Holz. 11.000 Festmeter davon werden als Brennholz abgegeben. Doch wer als Neukunde nach einem Häppchen davon heischte, hatte zuletzt schlechte Karten. Selbst wenn die Nachfrage explodiere, werde nicht mehr Holz eingeschlagen, verlautet es aus beiden Forsteinrichtungen.

Wem gehört der Wald?

Unser Wald

Was für Wälder gibt es eigentlich? Sie lassen sich nach ganz unterschiedlichen Kategorien einteilen, zum Beispiel nach den Klimazonen, in denen sie natürlicherweise wachsen. Oder eben auch nach den Besitzverhältnissen. Und die kann man unseren Wäldern unter Umständen sogar ansehen. In den professionell gemanagten Staatswäldern, die dem Bund oder den Ländern gehören, führen im regelmäßigen Abstand von 30 Metern Rückegassen ab von den Haupterschließungswegen. Darauf verkehrt das schwere Gerät aus Harvestern und anderen Vollerntern, die mit ihrem langen Arm die Stämme von der Fläche holen können.

Die Besitzer

In Privatwäldern ist die Erschließung oft ein von den Besitzern vor sich hergeschobenes Problem. Es gibt Kleinwaldprivatbesitz und Großwaldbesitzer, darunter häufig Adelige und neuerdings vermehrt Investoren aus der Wirtschaft, darunter Aldi. Auch die Kirchen halten Waldbesitz und manche Gemeinden und Städte. So genannte Realwälder bilden eine Sonderbesitzform und eine sehr alte; dabei haben Besitzer von agrarischen Hofstellen verbriefte Rechte zur Waldnutzung: Zum Bezug von Brenn- und Bauholz ebenso wie zur Entnahme von Laub und Gras als Einstreu für die Ställe.

„Niemand plündert wegen eines momentanen Trends seinen Wald“, sagt Mayr. Wobei Privatwäldler da mehr Spielräume hätten. Doch die Waldgesetze, die etwa einen Waldfrevel verhindern sollen, gelten auch für sie.

Wenn man seine Kollegen in Weißenhorn auf das Thema Brennholz anspricht, bekommt man erst einmal einen Einführungskurs zum Thema Waldstrategie. Brennholz spielt darin nur insofern eine Rolle, dass es eben anfällt. Sei es bei der „Ernte“ von Bäumen aus dem Altbestand, sei es bei der „Durchforstung“ (Auslichtung) von dichten Jungbeständen. Dabei werden gezielt Jungbäume „entnommen“, damit es die anderen besser haben und auch Arten hochkommen können, die mehr Licht brauchen, langsam wachsen und erwünschter sind: Eichen zum Beispiel.

Rund zehn Kubikmeter Holz dürfen den Wäldern in der Region der beiden Reviere pro Hektar und Jahr entnommen werden, wenn die Nachhaltigkeitsformel Gültigkeit behalten soll. Das ist so viel, wie in dem Zeitraum auf der Fläche mit Altbestand auch wieder nachwächst. Gewähr, dass sie staatlicherseits eingehalten wird, liefert die alle zehn Jahre stattfindende Wald-inventur, nach der gegebenenfalls auch nachjustiert werden kann.

„Unser Spielraum ist allein durch gesetzliche Auflagen stark eingeschränkt“, sagt der Weißenhorner Forstbetriebschef. Anspruch sei kein geringerer, als „vorbildliche Wälder“ zu entwickeln. Im Betrieb läuft seit über drei Jahrzehnten der Waldumbau hin zu klimaresistenteren und stabilen Mischwäldern. Weg von den stark gefährdeten Fichtenmonokulturen, lautete seither die Parole, die heute im Zuge des Klimawandels aktueller denn je ist. Wenigstens fünf Baumarten sollen jetzt auf der Fläche vorkommen und möglichst alle Altersklassen. Die Strategie trägt längst Früchte.

Weiteres Ziel ist ein werthaltiges Holz aus ebenmäßigen und astlosen Stämmen. In den Sägewerken werden daraus Balken, Bretter oder Latten geschnitten, Material für Möbel, Dachstühle und vieles mehr. Zu Brennholz werde allein jenes Material, das für eine höherwertige Nutzung ausscheidet, versichert Eggert. Man kann das im Handel ofenfertig erwerben oder selbst mit Genehmigung und auf Zuteilung im Wald aufarbeiten. Die Zahl derer, die dieses Holz mit eigener Kräfte Arbeit aus dem Wald holen, sei zuletzt auffallenderweise gestiegen.

Laubbäume sind als Quelle für Brennholz ergiebiger als Nadler und für diesen Zweck eindeutig beliebter. Betriebswirtschaftlich fällt dieses ins Segment „Industrieholz“, das eine völlig unterschiedliche Verwendung findet. In der Papier- und Spanplattenindustrie ebenso wie bei der „thermischen Verwertung“.

Sowieso werden bei der Holzverbrennung die Schlünde immer gieriger. Da sind zum einen die privaten Kaminöfen, die das Heizen zu Hause mit der Gemütlichkeitssteigerung verbinden. Dazu kommen aber viele weitere Verbrenner, von Zentralheizungen, die Pellets verschlingen, über Hackschnitzelanlagen für Blockheizkraftwerke bis hin zu Großanlagen im Fernwärmebereich.

Die zur Verfeuerung genutzte Holzmenge habe sich seit 1990 glatt verdreifacht, führt der Bund Naturschutz in Bayern (BUND) an.

Quelle         :        TAZ-online             >>>>>         weiterlesen

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Oben       —     Beseitigung der Fichte am Rande eines Naturschutzgebietes in Form eines Kahlschlags

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Im Zyklus der Klimakrise

Erstellt von Redaktion am 27. Januar 2023

Internationalistische Bewegungen? Klimakrise, Arbeiter*innenklasse und Produktionsmittel

Quelle        :     Berliner Gazette

Von       :         Boris Kagarlitsky

Angesichts “unseres gemeinsamen Feindes” (der Klimakrise) hat das Kapital einen neuen Zyklus der schöpferischen Zerstörung initiiert. Die daraus resultierende Enteignung der Mittelklasse, die zunehmende Ausbeutung der Arbeiter*innen im Namen der “Rettung des Planeten” und die wachsende Belastung des Globalen Südens könnten und sollten neue internationalistische Bewegungen auslösen, argumentiert der marxistische Sozialtheoretiker Boris Kagarlitsky in seinem Beitrag zur BG-Textreihe “Allied Grounds”.

Bereits in den frühen 2000er Jahren wurde die Klimakrise als die größte Herausforderung angesehen, der sich die Menschheit im 21. Jahrhundert stellen müsse. Und die große Mehrheit der Wissenschaftler*innen und Politiker*innen hat die Schlussfolgerung der Forscher*innen unterstützt, die darauf bestehen, dass die massive Nutzung von Kohlenwasserstoffbrennstoffen die Hauptursache für die Erderwärmung sei.

Zwar gibt es in der wissenschaftlichen Gemeinde eine Minderheit, die diese Schlussfolgerung anzweifelt. Der “Klimawandel” findet jedoch so oder so statt. Und es gibt allen Grund, das Problem ernst zu nehmen. Denn selbst wenn wir den Standpunkt der Skeptiker*innen akzeptieren, die auf Ursachen für die Erderwärmung hinweisen, die nichts mit menschlicher Aktivität zu tun haben, wird dadurch das Problem der Umweltverschmutzung und Naturvernutzung ebenso wenig beseitigt wie das Problem der nicht nachhaltigen Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen.

Die Diskussionen über die gesellschaftlich dringenden Veränderungen, die durch die Umwelt- und Klimakrise hervorgerufen werden, sind jedoch schnell in eine Sackgasse geraten: Es geht nicht um sozioökonomische Transformationen, sondern um Technologie und wissenschaftliche Theorien, und sie werden von Laien diskutiert, die wenig bis gar nichts über Wissenschaft und Technologie wissen.

Unabhängig davon, welche Klimatheorien objektiv richtig sind, geht es in jedem Fall darum, die Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft zu verändern. Wie Eve Croeser darlegt, sind linke Aktivist*innen gespalten in diejenigen, die glauben, dass “der Kapitalismus nicht so reformiert werden kann, dass die Klimakrise überwunden wird”, und diejenigen, die gemäßigter sind, die glauben, dass Teilreformen noch möglich sind, und die versuchen, “solche Reformen als Plattform zu nutzen, von der aus radikalere und tiefgreifendere Veränderungen eingeleitet werden können.”

Aber genau das ist die Krux: Das Hauptproblem ist nicht das Klima, sondern die wirtschaftlichen Interessen, die auf die eine oder andere Weise von der Umweltagenda betroffen sind. Unabhängig davon, welche technologischen Entscheidungen getroffen werden, stellt sich die offensichtliche Frage: “Wer wird für das Bankett bezahlen?”

Der Neustart des Kapitalismus

Mitte der 2010er Jahre zeigte der rasche Wandel des vorherrschenden Diskurses von der Leugnung des Klimawandels zu einem Thema der internationalen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs, dass die herrschende Klasse ihre Agenda mehr oder weniger neu ausgerichtet hatte. Der Kern dieses Ansatzes besteht darin, die öffentliche Meinung zugunsten von Maßnahmen zu mobilisieren, die darauf abzielen, Umweltprobleme durch eine drastische Verringerung der Nutzung fossiler Brennstoffe zu lösen, d. h. Probleme im Zusammenhang mit dem strukturellen Umbau der Wirtschaft im Interesse des Unternehmenskapitals zu lösen.

In den 2000er Jahren kam es zu einer allmählichen Abschwächung des Wirtschaftswachstums, einem langsameren Produktivitätswachstum und einer erhöhten Marktvolatilität. All dies zusammengenommen deutet auf die Erschöpfung des bestehenden Entwicklungsmodells hin. Dies bezieht sich sowohl auf die sozioökonomische Politik des Neoliberalismus, die zu einer allmählichen Verengung der Nachfrage und einem Anstieg der Kreditverschuldung von Bevölkerungen aufgrund niedrigerer Löhne geführt hat, als auch auf die Erschöpfung der Möglichkeiten des vorherrschenden produktionstechnischen Modells.

Das Problem, vor dem die politischen und unternehmerischen Vertreter*innen der herrschenden Klasse stehen, ist dies: Sie wollen das Wirtschaftswachstum wieder ankurbeln, ohne die Grundprinzipien des Neoliberalismus zu opfern, insbesondere ohne das Machtgleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital zu verändern. Es ist notwendig, stark in technologische Projekte zu investieren, aber es ist wichtig, dass dies, wo immer möglich, auf Kosten der Gesellschaft und nicht auf Kosten der Unternehmen geschieht. Und es ist auch wichtig, dass das Wachstum der Wirtschaft nicht zu einem starken Anstieg der Löhne und einer Stärkung der Gewerkschaften führt und dass die staatliche Regulierung und Stimulierung der Wirtschaft nicht mit einem System der öffentlichen Kontrolle über die getroffenen Entscheidungen einhergeht.

Die Vorbereitung und Verabschiedung von Beschlüssen muss ein völlig geschlossenes Verfahren bleiben, dessen Sinn nur von Spezialist*innen verstanden wird (eigentlich von Vertreter*innen der herrschenden Klasse, die den Spezialist*innen Aufgaben übertragen), aber gleichzeitig muss die öffentliche Unterstützung für diese Beschlüsse erhalten bleiben und der Prozess selbst als legitim wahrgenommen werden. Die Formulierung eines Ziels, das von der öffentlichen Meinung und sogar von radikalen Systemkritiker*innen unterstützt wird, ist zu diesem Zweck sehr wichtig.

Vergesellschaftung der Kosten

Mit Blick auf die Umweltagenda, wie sie von Greta Tunberg und anderen populären Aktivist*innen präsentiert wird, kommt der Wirtschaftsjournalist Nikolai Protsenko zu dem Schluss, dass diese Bewegung “ganz organisch in die neuen Ziele der Konzerne eingebunden ist”. Die Einführung neuer Technologien, die nicht nur zur Lösung von Umweltproblemen, sondern auch zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums im Rahmen einer solchen Agenda erforderlich sind, soll auf Kosten öffentlicher Mittel und im Interesse des Großkapitals erfolgen. Wie Protsenko feststellt, reduzieren die Öl- und Gaskonzerne bereitwillig und ganz freiwillig ihre Investitionen in rentable Projekte zur Förderung und Raffinierung fossiler Brennstoffe, während sie gleichzeitig enorme staatliche Subventionen für unrentable Programme für saubere Energie fordern.

Wo die Regierungen nicht in der Lage sind, die Last zu tragen, springen die globalen Finanzmärkte ein. So hat sich beispielsweise das 2020 geschaffene Konjunkturprogramm der Europäischen Union verpflichtet, Investitionen in Höhe von 750 Milliarden Euro zu finanzieren, die für die sogenannte Energiewende erforderlich sind, unter der Bedingung, dass die Mittel durch Anleihen auf den internationalen Finanzmärkten beschafft werden. Wie Protsenko anmerkt, hat Greta Tunbergs Generation diese Agenda mit Begeisterung unterstützt, ist aber nicht in die Diskussion über die finanzielle Komponente einbezogen worden und wird am Ende die Rechnung bezahlen müssen.

Es ist kein Zufall, dass die scharfe Hinwendung der herrschenden Kapitalistenklasse zu Klimafragen parallel zur Verschärfung der systemischen Probleme erfolgt. Doch jede Umgestaltung des Systems, selbst wenn sie auf die Erhaltung seiner grundlegenden Parameter abzielt, geht zwangsläufig mit Kämpfen zwischen Interessengruppen einher. Einige Unternehmen und Branchen verlieren an Boden, während andere stärker werden. Der konservative Widerstand gegen die Klimaagenda ist nicht auf die Einschränkungen von Menschen zurückzuführen, die nicht an die einschlägigen Theorien glauben wollen, sondern auf die Bedenken von Unternehmer*innen, die ernsthafte Probleme fürchten oder unnötige Kosten vermeiden wollen.

Je größer jedoch der Widerstand innerhalb der Unternehmen ist, desto logischer wird es, die Probleme auf die breite Bevölkerung abzuwälzen und so den Konflikt zwischen innerhalb der herrschenden Klasse zu entschärfen. Somit setzt die Umweltagenda der Unternehmen nicht zuletzt voraus, dass die Arbeiter*innenklasse Opfer bringt, um die Effizienz des Kapitals zu erhalten. Kurz gesagt: Enteignung der Mittelschicht und verstärkte Ausbeutung der Arbeiter*innen im Namen der “Rettung des Planeten”.

Abwälzung der Kosten auf die Peripherie

Die Länder der kapitalistischen Peripherie, insbesondere diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten die Industrialisierung vorangetrieben haben, erhalten ebenfalls ihren Anteil an der zusätzlichen sozialen und ökonomischen Belastung. Das Wachstum der Produktion in diesen Ländern ist in erster Linie auf Kosten “billiger Arbeitskräfte” und schwacher Umweltvorschriften erfolgt, die die Kosten der Investor*innen stark reduzierten. Gleichzeitig blieb die Abhängigkeit von den Märkten in den Ländern des kapitalistischen Zentrums weitgehend intakt. Der Anstieg der Löhne, verbunden mit den Erfolgen der Industrialisierung, hat die Binnenmärkte der Peripherieländer aber auch Chinas (das allerdings nicht mehr als klassische Peripherie eingestuft werden kann) etwas gestärkt, aber auch die Waren verteuert und die Exportmöglichkeiten verringert, so dass einige Länder des Globalen Südens nun indirekt den Konsum im Westen subventionieren.

Ein wichtiger Aspekt der Dekarbonisierungspolitik ist die Einführung einer Kohlenstoffsteuer bzw. von Strafzöllen auf Waren und Dienstleistungen, die in die Europäische Union importiert werden, abhängig von der Größe ihres Kohlenstoff-Fußabdrucks. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben die westlichen Länder ihr Umweltbewusstsein gestärkt und die Unternehmen in der EU und den USA haben systematisch schmutzige Produktion in ärmere Länder verlagert, die nun auch die Kosten der neuen Klimaagenda tragen müssen. Indirekt kann diese Politik dazu beitragen, dass ein Teil der industriellen Produktion – auf einem neuen technologischen und ökologischen Niveau – in die historisch weiter entwickelten Länder zurückkehrt. In jedem Fall werden die globalen Ungleichheiten reproduziert und verschärft.

“Offensichtlich”, so Protsenko, “reproduziert dieser Ansatz lediglich die übliche Beziehung zwischen dem Zentrum und der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems und spiegelt die Ungleichheit der Chancen im kapitalistischen Akkumulationsprozess wider.”

Ein neuer Zyklus der “schöpferischen Zerstörung”

Unter den neuen Bedingungen, unter denen die westlichen Regierungen den Weg des ökologischen (Klima-)Protektionismus einschlagen, stehen die peripheren Volkswirtschaften vor einem äußerst schwierigen Dilemma. Die Erhaltung externer Märkte kann nur durch die Akzeptanz der neuen Regeln erreicht werden. Das bedeutet, dass Ressourcen, die zur Erhöhung des Lebensstandards der eigenen Bevölkerung und zur Schaffung zumindest von Elementen eines Wohlfahrtsstaates hätten eingesetzt werden können, zur Deckung der Kosten für die Anpassung an die veränderten Bedingungen verwendet werden. Gleichzeitig wird es zu einer teilweisen Rückverlagerung der Produktion in die alten Industrieländer kommen, die über die notwendige Technologie und das Personal verfügen. Dadurch wird sich der Arbeitsmarkt in den peripheren Ländern weiter anspannen.

Natürlich werden die fortschrittliche westliche Öffentlichkeit und die linken Bewegungen fordern, dass die reicheren Länder einen Teil der finanziellen Mittel und der Technologie, die für einen solchen Übergang erforderlich sind, mit den ärmeren Ländern teilen. Und vermutlich werden diese Forderungen nach einigem Ringen teilweise erfüllt werden. Aber erstens werden diese Subventionen nur einen Teil der Kosten abdecken, die der Peripherie auferlegt werden, und zwar in ungleicher Weise, so dass es innerhalb des Globalen Südens Verlierer*innen und Gewinner*innen geben wird, das Kräfteverhältnis sich ändern wird und neue Widersprüche und Konflikte entstehen dürften. Und zweitens wird diese globale Wohltätigkeit wieder aus den Staatshaushalten bezahlt werden. Mit anderen Worten, wieder auf Kosten der Arbeiter*innen, auf Kosten der Gesellschaft.

All dies bedeutet natürlich nicht, dass die Linke die Sorge um die Ökologie aufgeben muss. “Das Problem dabei ist jedoch”, so Protsenko, “dass diese Art von Zielsetzung dem Wesen des Kapitalismus widerspricht, einem dynamischen Nicht-Gleichgewichtssystem, das in ständiger ‘schöpferischer Zerstörung’ begriffen ist und auf dem Prinzip der endlosen Akkumulation beruht, die ungleichmäßig zwischen seinem Zentrum und seiner Peripherie verteilt ist. Die berüchtigte Energiewende ist ein neuer Zyklus der schöpferischen Zerstörung. Um dem Kapitalismus einen neuen Impuls zu geben, muss seine bisherige, auf fossilen Brennstoffen basierende technologische Plattform beseitigt und durch “grüne” Technologien ersetzt werden, wobei alle Verluste routinemäßig vom Staat (und letztlich von Steuerzahler*innen) getragen und die Gewinne von den Unternehmen privatisiert werden.”

Soziale Bewegungen mit Arbeiter*innenbewegungen verbinden

Es sind also die ärmsten und schwächsten Teile der Weltbevölkerung, die nicht nur zu Opfern des strukturellen Umbaus werden, sondern auch als “schuldig” erscheinen, weil sie sich ökologisch unverantwortlich verhalten, während ihr Widerstand als unmoralisch angesehen wird. Die “Gelbwesten-Bewegung” in Frankreich wäre als ein von vielen Symptomen für diese Schieflage zu nennen: Als die Einführung einer weiteren “ökologischen” Steuer auf Kohlenstoffbrennstoffe die Budgets der ärmsten Familien in der Provinz schwer belastete, kam es, wenig überraschend, zu landesweiten Massenprotesten.

Der Umweltdiskurs, wie er von der herrschenden Klasse und den von ihr finanzierten Nichtregierungsorganisationen, die Greta Thunbergs leidenschaftliche Reden freundschaftlich unterstützt haben, gefördert wird, unterstüzt eine Strategie der kapitalistischen Erneuerung, die weit davon entfernt ist, den sozialen Schichten ernsthafte Zugeständnisse zu machen, und stattdessen zu einer noch radikaleren Segregation und Spaltung der Gesellschaft führt, sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene. Ob diese Strategie im Prinzip durchführbar ist, sowohl sozial als auch organisatorisch und technologisch, bleibt eine große Frage. Aber es ist klar, dass die Umweltagenda keine Antwort auf die Krise des Kapitalismus ist, sondern lediglich ein Vorwand für die Entfesselung einer neuen und gewaltsamen Weiterentwicklung des Systems, bei der alle seine Widersprüche in vollem Umfang zutage treten werden.

Ökologische Reformen im Interesse der Mehrheit der Menschheit sind prinzipiell unmöglich, solange die kapitalistische Ordnung so bleibt, wie sie ist. Daher sind die umweltbewussten sozialen Bewegungen der Generation Greta Tunberg gefordert, eine tiefgreifende Neuorientierung vorzunehmen und sich mit den Arbeiter*innenbewegungen im Globalen Norden und im Globalen Süden zu verbinden. Letztlich bedeutet dies den Aufbau neuer internationalistischer Bewegungen, die von der potenziellen Macht derjenigen inspiriert und angetrieben werden, die sich der Produktionsmittel bemächtigen und die kapitalistische Ordnung als solche herausfordern könnten.

Anm.d.Red.: Dieser Essay ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette. Die englische Version ist im Berliner Gazette-Blog auf Mediapart verfügbar. Weitere Informationen über das Projekt “Allied Grounds” finden Sie hier: https://allied-grounds.berlinergazette.de

Copyright | Creative Commons-Lizenz

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Kolumne-La dolce Vita

Erstellt von Redaktion am 25. Januar 2023

Die Grünen haben ihre Ideale längst verraten

Von    :    Amina Aziz

Greta Thunberg lächelt , als drei Po­li­zis­t*in­nen sie letzte Woche bei dem Protest gegen die Abbaggerung des Dorfes Lützerath zur Förderung von Kohle für den Energiekonzern RWE wegtragen.

Sie wirkt ihnen überlegen, auch als die Po­li­zis­t*in­nen sich einige Meter weiter mit ihr fotografieren lassen. Die Staatsgewalt in voller Montur, die Hände so auf Gretas Körper platziert, dass die Aktivistin nicht abhauen kann. Das ist laut Polizei nicht inszeniert, wirkt aber dennoch so, als wollte sie ihren „Fang“ präsentieren.

Als ausführende Gewalt kommt die Polizei ihrem Auftrag nach, den Zugang zur Braunkohle freizuräumen. Ohne die Klimabewegung einzubeziehen, hatten Wirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Klimaschutzministerin Mona Neubaur einen Deal mit RWE ausgehandelt, und die Grünen haben diesem im Rahmen des Braunkohleausstiegs einstimmig im Bundestag zugestimmt. Dagegen ist die Verzögerungstaktik der Klimabewegung in Lützerath harmlos. Denn es steht nichts weniger auf dem Spiel, als die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und die verdammte Energiewende, mit der die Politik nicht hinterherkommt.

Deutschland zählt nach wie vor zu den Ländern, die am meisten Kohle produzieren und CO2 ausstoßen. Ein zügiger Ausbau erneuerbarer Energien ist nicht in Sicht. Einige Grü­nen­an­hän­ge­r*in­nen nehmen an, das würde sich ändern, wenn die Grünen alleinige Regierende wären. Doch das ist ein Trugschluss. So wie es die Aufgabe der Polizei ist, die Interessen des Staates durchzusetzen, ist es das Anliegen des Staates, die Interessen der Wirtschaft nach Profit zu wahren. Dieses Prinzip stellt Profite vor das Wohl von Mensch und Natur, und Parteien können das Prinzip nicht aufheben. Die Grünen haben schon genug Ideale verraten, damit sie regierend bleiben. Selbst wenn die Ökonomie einen grünen Anstrich erhält, wie es die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang im Spiegel verficht, ändert das nichts daran, dass Menschen zugunsten von Gewinnen ausgebeutet werden und Konzerne über unsere Ressourcen entscheiden und nicht wir selbst.

In Bezug auf die Proteste in Lützerath wird von einigen Medien und Po­li­ti­ke­r*in­nen angeprangert, Ak­ti­vis­t*in­nen hätten Steine und Molotowcocktails auf die Polizei geworfen. Dabei ist es heuchlerisch gegenüber den Anliegen der Bewegung auszusparen, dass sich zwei ungleichwertige Geg­ne­r*in­nen gegenüberstehen. Nicht nur ist die Polizei besser geschützt und mit Waffen ausgerüstet, die sie auch eingesetzt hat. Sie steht auch für die Macht des Staates und schützt die der Konzerne. Wer keine Steinwürfe und Sitzblockaden möchte, muss die Politik dazu drängen, den Anliegen der Bewegung endlich entgegenzukommen.

Quelle        ;       TAZ-online         >>>>>       weiterlesen

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Oben     —    Kostüm von Danilo Donati für „Il Casanova“, Film von Federico Fellini en 1976, Schauspieler Donald Sutherland. – Anita Ekberg – Giulietta Massina et Marcello Mastroianni / Kostüme, Accessoires, Dessins, Dekore, Scénarios, Fotografien, Montage, Postproduktion.

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Ende Gelände-Grüne Erfolge

Erstellt von Redaktion am 21. Januar 2023

Ende Gelände – Grüne Erfolge, wohin man schaut

Ende Gelände Orange finger 2020-09-26 78.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von    : DR. Renate Dillmann

Die Sache, um die es geht, ist ein Stück kapitalistischer Alltagspolitik: die per Gesetz verfügte Räumung eines Dorfs für den Braunkohletagebau. Gleichzeitig ist sie ein Beispiel dafür, wie dieser Alltag unter grüner Herrschaft funktioniert. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Note Beeindruckend! Maximale Punktzahl für die Politdarsteller in Grün, die in der Sache kompromisslos das durchsetzen, was der Standort braucht, und es zugleich schaffen, ihre Taten in bester Manier „weißzuwaschen“, so dass die stets großgeschriebenen WERTE noch als Produktivkraft, als „soft power“, beim Baggern und Räumen wirken. Im Einzelnen.

Eine grüne Ministerin

Mona Neubaur ist die erste grüne NRW-Landesministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie. Als solche hat sie die Aufgabe, die benötigte Energie für die Wirtschaft, d.h. vor allem für Industrie, bereit zu stellen. Dafür soll – Klimawandel hin, Umweltschutz her – im rheinischen Revier weiter Braunkohle abgebaggert werden; der „Kohledeal“ vom Oktober 2022 sieht dazu vor, dass das bis 2030 weiter gehen und dafür ein weiteres Dorf, Lützerath, geräumt und abgebaggert wird, weil sich gerade hier die Kohle sehr rentabel gewinnen lässt.1 Nach Auskunft der Regierenden ist das „rechtsstaatlich“ final beschlossen und deshalb umzusetzen, auch wenn eine neue Studie des DIW zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es dafür weder „eine energiepolitische noch eine klimapolitische Rechtfertigung gibt“. So weit, so normal: Man bestellt sich Gutachten, benützt die passenden, ignoriert die unpassenden…

Weil Mona Neubaur aber eine Grüne ist, schafft sie es, die 280 Millionen Tonnen fossiler Brennstoffe, die bis 2030 aus der rheinischen Landschaft gebaggert und anschließend verstromt werden sollen, im Sinne höherer Werte umzudeuten. Ihre Empfehlung an Klimaschützer lautet, die Sache so zu sehen: Man habe hier nicht 280 Millionen Tonnen mehr Braunkohle vor sich, die in den nächsten Jahren verheizt werden und entsprechende CO2-Emissionen verursachen, sondern 280 Millionen Tonnen weniger als ursprünglich mal geplant und deshalb ist das, was da in den nächsten Jahren an Baggern und Verheizen passiert, ein – Zitat Neubaur in der „Welt“ – „großer klimapolitischer Erfolg und auch ein Erfolg der Klimaschutzbewegung.“

So geht der Umgang mit der eigenen Wählerbasis, von der man weiß, dass sie beim Kreuzchenmachen auf was anderes gehofft hat. Großartig, wie die der Sache nach hundertprozentig konträre Praxis ungerührt als Umsetzung der Wahlversprechen zurechtgebogen wird.

Weiter im Text: „Dass die Kohle unterhalb von Lützerath kurzfristig für die Verstromung gebraucht wird, ist schmerzlich, aber auch rechtlich und durch Fachgutachten eindeutig geklärt. Unser Ziel bleibt die Transformation hin zu einer klimaneutralen Produktionsweise, und das ohne Wohlstandsbrüche. (…) Wir müssen den Beschäftigten von RWE Respekt zollen und dafür danken, dass wir in der jetzigen Übergangsphase die notwendigen Stromkapazitäten kurzfristig in den Energiemarkt bekommen!“

Hier kommt die grüne Spezialität mit voller Wucht zum Einsatz: Stets kommt als erstes „die Realität“ mit einem ganz großen „Leider, leider, leider“; nicht selten verbunden mit Seitenhieben auf die vorgefundene, von anderen zu verantwortende „Lage“. Das „schmerzt“ sehr, Zerknirschung, Dackelblick, Stirn in Falten. Es folgt das mit festen Worten vorgetragene Bekenntnis zu den gemeinsamen Fernzielen im Klimaschutz, dem Ideal, dem man weiterhin mit vollem Herzen verpflichtet ist. Dann, wieder relativierend, der „Respekt“ vor den vielen gesellschaftlichen Interessen und Sachzwängen (wie dem „Energiemarkt“), derentwegen man sich nun mal nicht 1:1 durchsetzen könne: „Wohlstandsverluste“ drohen nämlich, als deren Sinnbild in diesem Fall die RWE-Arbeiter mit ihren national wichtigen Arbeitsplätzen aufmarschieren, mit denen indirekt auch noch die „Versorgungskrise“ „dank Putin“ angespielt wird – all das natürlich wesentlich geschickter als über die Gewinne von RWE zu sprechen, die sich laut Oxfam in 2022 verdoppelt haben.

Wer jetzt noch keine Einsicht zeigt und verstockt auf irgendeinem Schnee von gestern besteht, kann nach so viel vorbildlicher PR keine weitere Unterredung erwarten: „Am 12. Januar besetzten Aktivisten das Grünen-Büro in Düsseldorf. Sie wollten ein Gespräch mit NRW–Wirtschaftsministerin Mona Neubaur über ihr Versprechen, dass Lützerath bestehen bleibe, erzwingen. Neubaur erschien nicht, dafür in den frühen Morgenstunden am 13. Januar ein großes Polizeiaufgebot, das das Büro kurzerhand räumte.“ (Terz, Düsseldorfer Stattzeitung, Februarausgabe)

Die grüne Ministerin nimmt also die Hilfe der Polizei in Anspruch, um zu verhindern, dass sie mit den Protestierenden reden muss. Gleichzeitig lässt sie verkünden weiter, „gewaltfreien und kreativen“ Protest unterstützen. Dieser Frau ist offenbar nix zu peinlich (und ihrer Anhängerschaft anscheinend auch nicht). Aber sie muss sich ja auch „zeitgleich um die Zukunftschancen dieser Region kümmern, die zwischen den Hochschulstandorten Aachen, Düsseldorf und Köln mit vielen starken Unternehmen traumhaft gelegen ist.“ Ja klar, liebe Mona, zwischen „Hochschulstandorten“ und „vielen starken Unternehmen“ ist eine Region wirklich traumhaft gelegen, schöner könnte es gar nicht sein!

Ein grüner Polizeichef

Federführend beim Einsatz der Polizei in Lützerath ist Dirk Weinspach, Aachener Polizeipräsident und ebenfalls Grüner. Auch er ist im Herzen selbstverständlich ein Klimaschützer, und zwar einer mit großen Sorgen. Zitat: „Zuallererst ist es mir wichtig festzuhalten, dass ich große Achtung vor dem Einsatz derer habe, die sich an dieser Petition beteiligt haben, vor den über 32.000 Unterstützerinnen und Unterstützern und allen, die sich im Klimaschutz engagieren. Ich teile deren Sorge vor einer weiteren Erderwärmung und vor den Folgen, die es haben wird, wenn es nicht gelingt, das völkerrechtlich vereinbarte 1,5-Grad-Ziel einzuhalten“.

Da aber nicht die Polizei, sondern die zuständigen Behörden die Entscheidungen treffen, muss jetzt eben – wir können es uns schon denken: leider, leider, leider und mit viel „Achtung vor dem Einsatz“ der Klimaschützer! – geräumt werden. „Dabei ist für uns das Wichtigste, dass die Sicherheit aller Beteiligten gewährleistet wird.“ Wenn das Bedauern des Polizeichefs vielleicht sogar ehrlich gemeint war, ist es dieser Satz gewiss nicht. Denn natürlich ist der Zweck des Polizeieinsatzes nicht die Gewährleistung der „Sicherheit aller Beteiligten“, sondern die staatlich verfügte Räumung des Geländes. Und dabei setzt die Polizei die Gewaltmittel ein, die ihr Chef für geboten hält, und kalkuliert damit selbstverständlich auch Verletzungen ein – die in aller staatlichen Nüchternheit so genannten „Kollateralschäden“. So rechnet der grüne Staatsdiener und setzt es dann „professionell“ durch – über die Etappen berichtet anschaulich die Süddeutsche Zeitung.

Zehn bis fünfzehn bürgerkriegsmäßig ausgerüstete Hundertschaften aus 14 Bundesländern räumen dann seit dem Morgen des 11.1. im Schichtbetrieb 24/7 das Dorf. Die Polizei setzt offenbar auf eine riesige zahlenmäßige Überlegenheit, mit der die Besetzer nicht gerechnet haben. Über das Vorgehen berichtet die Düsseldorfer Stattzeitung Terz in ihrer Februarausgabe: „Die Polizeiführung mit ihrer Übermacht an Einsatzkräften hatte jedoch auch ihr Konzept. In kleinen Gruppen sprachen sie einzelne Dorfbesetzer an, klärten sie über die Rechtslage auf und begleiteten sie mit der Drohung, bei Weigerung, das Gelände zu verlassen, Gewalt anzuwenden, hinaus aus dem Dorf.“

Mit anderen Worten: Die Leute, die sich im Dorf aufhalten, werden vor die Wahl gestellt, aufzugeben oder eine Anzeige wegen Landfriedensbruch zu kassieren; wer sich weigert, hat darüber hinaus erst mal mit unmittelbarer Gewaltanwendung durch die massiv ausgerüsteten Polizisten zu rechnen.

Das sieht dann für Dirk Weinspach so aus (Tagesthemen vom 11.1.23): „Überwiegend ist es friedlich verlaufen, über den Tagesverlauf. Darüber bin ich froh und was mich besonders befriedigt, dass über 200 Besetzerinnen und Besetzer das Angebot genutzt haben, hier freiwillig und ohne polizeiliche Maßnahmen den Einsatzraum zu verlassen.“

Der Mann hat Humor. „Friedlich“ und „freiwillig“ – das ist wirklich spaßig angesichts der polizeilichen Machtdemonstration, die er hat auffahren lassen. Der Aufmarsch seiner gesammelten Polizeikräfte zählt für ihn offenbar nicht als „Maßnahme“. Und von Einschüchterung kann bei Tausenden schwer ausgerüsteten Polizisten gegen ein paar Hundert Jugendliche erst recht nicht die Rede sein – so etwas können Grüne nur in den schlimmen „autoritären Regimen“ sehen, aber niemals in unserer bis an die Zähne bewaffneten „wertebasierten“ Demokratie.

Weinspach gibt sich insofern „persönlich sehr befriedigt“ angesichts des Wirkens seiner Deeskalationsstrategie durch eine ungeheure polizeiliche Übermacht, registriert „lediglich“ 124 Festnahmen mit Anzeigen wegen Landfriedensbruch und gibt höchstpersönlich vor den Kameras eine perfekt gegenderte Stellungnahme ab. Das Dorf ist so gut wie geräumt, die Häuser sind schon abgerissen und RWE verhindert mit schnell gebauten Zäunen, dass nochmal jemand aufs Gelände kommt.

Am Samstag verdirbt die Demonstration mit mehr als 35.000 Teilnehmern (die Polizei will allen Ernstes 8.000 gezählt haben! soviel zu Polizeiberichten als „privilegierter Quelle“ für Journalisten) die tolle Bilanz ein wenig. Das macht aber nichts, weil sich daran gleich wieder die gute alte Debatte über die schreckliche „Gewalt“ aufziehen lässt. Damit ist natürlich nicht die Staatsgewalt mit ihren Hundertschaften samt schwerem Gerät gemeint, sondern die „gewaltbereiten Protestierer“, die es gewagt haben, von der vorgeschriebenen Route abzuweichen. Sie „mussten“ mit Polizeiknüppel und Pfefferspray von weiteren Straftaten abgehalten und auch vor Unfällen „an der Abbruchkante“ geschützt werden – in ihrem eigenen Interesse natürlich!

Fazit

Die Staatsgewalt in Grün hat in Lützerath demonstriert, dass sie „es“ kann. Den etwas heiklen Fall dieses „Symbols“ der Klimabewegung, an dem diese zeigen will, wie wenig ernst es Deutschland mit seiner Klimapolitik meint, hat das grüne Duo geschmeidig bewältigt – und das vermutlich durchaus besser als es andere (bei der Klima-Bewegung verhasste) Figuren aus dem liberalen Lager oder von der Christenpartei gekonnt hätten.

Mit ihren ausgereiften PR-Techniken – der schmerzhaften Abwägung von Idealen und Realität, der Äußerung von ganz viel Respekt vor allen betroffenen Interessen, der unverfrorenen Berufung auf das Recht (das sie dauernd ändern) als fixe Größe usw. – beanspruchen die grünen Staatsfunktionäre in von keinem Zweifel angekränkelter Selbstgerechtigkeit, ihre Wählerbasis bei der Stange zu halten.

Sie lassen den Protest gegen die Durchsetzung der von ihnen ausgemachten Staatsnotwendigkeiten gewaltsam wegräumen und fordern gleichzeitig dazu auf, „gewaltfrei und kreativ“ weiter zu protestieren. Wow! – und Frage an die grünen Wähler, auf wie viel dreiste Heuchelei sie auch in Zukunft noch reinfallen wollen…

PS: Die Mainstream-Medien machen sich wie gewohnt zum kompetenten Helfer bei der Sortierung des Klimaprotestes. Sie behandeln die hehren Anliegen der jugendlichen Klimaschützer wesentlich wohlwollender als manch andere Proteste: Klimaschutz, Rettung der Menschheit und des Planeten – das sind Ziele, die in Ordnung gehen und dem deutschen Führungsanspruch gut zu Gesicht stehen. Dass man dafür demonstriert, auch. Spätestens nach der (erlaubten) Demonstration müssen die Protestierer allerdings auch nach Hause gehen und sich den rechtsstaatlich angeordneten Maßnahmen beugen.

Das erwartet man in den deutschen Redaktionen einfach. Wer sich dem nicht beugt und etwa die Klimarettung so ernst nimmt, dass er sich mit erzwungenen Braunkohletagebau unter grüner Regie nicht abfinden will, gehört für sie dann auch sehr schnell zu den „gewaltbereiten Chaoten“, die zurecht die Härte eines Polizeiknüppels oder einer Strafanzeige zu spüren und dann natürlich auch eine ziemlich schlechte Presse bekommen (Tagesthemen vom 11.1.23 / Anne Will vom 15.1.23).

PPS: Die Klimaschützer, die am Samstag noch einmal in großer Zahl demonstriert haben, könnten an Lützerath eine Menge lernen. Über ihre eigene Rolle als Wähler_innen in einer Demokratie zum Beispiel, deren grüne Repräsentanten keinen Zweifel daran lassen, dass sie die deutsche Staatsräson und die Interessen ihrer Profiteure mit aller (Polizei)Gewalt durchzusetzen bereit sind. Darüber, dass grüner Kapitalismus eben grüner Kapitalismus und grüne Herrschaft vor allem Herrschaft in grün ist.

Dafür müssten sie sich allerdings zunächst von ihrem Lieblings-Gedanken verabschieden, dass es sich ein ums andere Mal um staatliches Versagen handelt, wenn ihre Anliegen unter die Räder ihrer geliebten Herrschaft kommen…

1 Der Energiekonzern RWE hat sich auf diesen Vorschlag eingelassen, weil steigende CO2-Preise die Profitabilität bereits vor 2030 gefährden können. https://www.wwf.de/2023/januar/luetzerath-neuer-tiefpunkt-in-sachen-klimaschutz

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Oben      —     Orangener Finger bei Ende Gelände am 26. September 2020.

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Özdemirs Schonkost

Erstellt von Redaktion am 20. Januar 2023

Raus aus der zaghaften Defensive

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Ein Debattenbeitrag von Manfred Kriener

Eine grüne Ernährungspolitik muss endlich ihren Namen verdienen, auch wenn eine starke Lobby dagegenhält. Gesunde Ernährung wurde in Deutschland immer auf das Einkaufsverhalten des Einzelnen abgewälzt.

Fast geräuschlos und stets vorsichtig speist Landwirtschafts- und Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) seine politischen Initiativen in die Ernährungsdebatte ein. Das „Containern“, also das Zurückholen und Verwerten weggeworfener Lebensmittel aus dem großen Müllhaufen des Handels, will er straffrei stellen. Die Polizei solle sich doch lieber um richtige Ver­bre­che­r*in­nen kümmern, meint der Minister. Und wenig später, nachdem Spanien die Mehrwertsteuer auf alle Grundnahrungsmittel gekappt hat, erneuert Özdemir die Forderung, künftig Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte von der Steuer zu befreien. Der Vorstoß passt perfekt zu den gestiegenen Lebensmittelpreisen und zur allgemeinen Inflationsjeremiade.

Der zweite Teil der Botschaft fehlt allerdings: Wenn Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte billiger werden, sollten sich im Gegenzug Fleisch und Milchprodukte verteuern. Im aktuellen Krisentaumel gibt es allerdings mit Ausnahme der Veggie-Hardcore-Initiativen niemanden, der es wagen würde, solche Preisaufschläge auch nur zu thematisieren. Billigfleisch ist gerade jetzt sakrosankt, auch für die Grünen.

Mit seiner Container-Initiative hat der Minister dagegen kaum Widerspruch zu befürchten. Es besteht Einigkeit, dass zu viele Lebensmittel weggeworfen werden. Lebensmittelretter, die in die Container krabbeln, mögen zwar schlecht riechen, haben aber die Sympathien der Gesellschaft auf ihrer Seite. Zumal der allgemeine Irrsinn, Lebensmittel mit angestoßenen Verpackungen, kritischem Haltbarkeitsdatum oder kleinen optischen Schönheitsfehlern zu vernichten, auch bei denen für Kopfschütteln sorgt, die selbst natürlich nur makellose Ware kaufen.

Mülltaucher werden immer wieder kriminalisiert. Diebstahl, Bandendiebstahl, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Einbruch – die Liste ist lang. Versuche, die weggeworfenen Lebensmittel mithilfe der juristischen Vokabel „Eigentumsaufgabe“ als „herrenlos“ zu deklarieren, sind oft vergeblich. Höchste Zeit also, das Containern zu legalisieren und Kooperationen zwischen Handel und Mülltauchern, wie es sie in einigen Städten schon gibt, zu forcieren.

Seht auf die Jugend und lernt aus deren Tugenden

Die Forderung nach einer stärker pflanzenbasierten Nahrung und einer Mehrwertsteuer-Absenkung für Obst und Gemüse dagegen hat reflexartig die Sprechautomaten des Bauernverbands und der Ernährungsindustrie aktiviert. Schon bei der Verabschiedung der Eckpunkte einer eher harmlosen und sehr allgemein formulierten „neuen Ernährungsstrategie für Deutschland“ aus dem Özdemir-Ministerium gifteten die üblichen Verdächtigen. Der Bauernverband warnte vor einer „Diskriminierung von Fleisch und Milch“ – und keiner hat gelacht. Der Koalitionspartner FDP meinte einen erhobenen grünen Zeigefinger zu erkennen. Die Union polterte, die Ernährung tauge nicht als „Schalthebel zum Umbau der Gesellschaft“. Özdemir selbst betont immer wieder ganz brav, er wolle selbstverständlich niemandem vorschreiben, was er zu essen habe.

Das erstaunliche Erregungsniveau, das schon hochvernünftige ernährungspolitische Minimalvorstöße provozieren, lässt Zweifel aufkommen, ob sich in diesem Land jemals eine Ernährungspolitik etablieren kann, die diesen Namen verdient. Bisher gibt es sie nicht. Gesunde und nachhaltige Ernährung wurde in Deutschland immer auf das Einkaufsverhalten des Einzelnen abgewälzt. Der soll, umstellt von Werbelügen, dubiosen Qualitätssiegeln und dem Chemiechinesisch im Kleingedruckten der Verpackungen, in Selbstverantwortung seinen Magen füllen. Das zuständige Ressort hieß denn auch lange ausschließlich Landwirtschaftsministerium und wurde mit Politikern bestückt, die auf der Grünen Woche Bockwurst mit Schnaps kombinierten und Herrenwitze in die Runde warfen à la „Oldenburger Butter / hilft dir auf die Mutter“

Quelle          :         TAZ-online         >>>>>       weiterlesen

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Unten       —     Pauline Brünger und Carla Reemtsma von Fridays For Future sprechen auf einem Traktor bei der Blockade der SPD-Parteizentrale, Berlin, 22.10.21

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Wohin mit dem CO2 ?

Erstellt von Redaktion am 15. Januar 2023

Diese Debatte wird für alle Beteiligten unbequem

Ein Debattenbeitrag von Felix Schenuit

EU und Bundesregierung sehen die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid als Chance. Wer darf im Jahr 2045 noch wie viel emittieren, und wer bezahlt die Investitionen in Lösungen zum nötigen Ausgleich?

Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck sieht CO2 lieber im Boden als in der Atmosphäre. Während seines Norwegen-Besuchs vergangene Woche dokumentierte er damit die Renaissance eines in Deutschland umstrittenen Themas: die Abscheidung und Speicherung von CO2 (Englisch: Carbon Capture and Storage, CCS).

Mit dem Ziel, bis Mitte des Jahrhunderts Treibhausgasneutralität zu erreichen, hat sich in den letzten Jahren ein grundlegender Wandel in der deutschen und europäischen Klimapolitik vollzogen. Dies wirft die politisch unbequeme Frage auf, wie mit den schwer vermeidbaren Emissionen im Industrie-, Landwirtschafts- und Verkehrssektor umgegangen wird. Gerade in einer Zeit, in der die Angst vor einer Deindustrialisierung den politischen Wettbewerb prägt, gewinnt dieses Thema an Brisanz.

Auch deshalb ist gerade viel die Rede von CCS. In Brüssel treibt die Europäische Kommission das Thema mit dem Strategiedokument „Nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe“ und politischen Initiativen voran. Ähnliche Impulse gehen in Deutschland vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aus, das mit dem Evaluierungsbericht zum Kohlenstoffspeichergesetz einen Wandel der deutschen Position zu CCS initiierte. Der Besuch Habecks in Norwegen und die für dieses Jahr geplante Carbon-Management-Strategie sind die nächsten Schritte in der Wiederbelebung des Themas. CCS, das jetzt als ein Bestandteil des Oberbegriffs „Carbon Management“ firmiert, wird an der Schnittstelle von Industrie- und Klimapolitik offensiv angegangen. CCS ist nicht gleich CCS: Es ist Teil unterschiedlicher Prozessketten, deren klimapolitische Funktion vom Ursprung des CO2 abhängt. Die folgende Unterscheidung wird in der Debatte oft vernachlässigt.

Zum einen gibt es Prozessemissionen, die ohne CCS nicht vermieden werden können. Dazu gehören zum Beispiel die Emissionen aus der Zement- und Kalkherstellung. Hier wird unabhängig von der Verbrennung fossiler Brennstoffe CO2 freigesetzt. Auch durch den Umstieg auf erneuerbare Energie könnten diese Emissionen nicht vermieden werden. Diese Prozesse werden nur dann nahezu CO2-neutral, wenn das CO2 abgetrennt und dauerhaft gespeichert wird. Zweitens kann CCS zur Speicherung des bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzten CO2 eingesetzt werden. Im Rahmen der angekündigten Kooperation zwischen Deutschland und Norwegen steht die Anwendung von CCS bei der Nutzung von Erdgas in Prozessketten für „blauen“ Wasserstoff im Vordergrund. Drittens ist CCS Bestandteil verschiedener Negativemissionstechnologien. Ein Beispiel ist die Abscheidung aus der Umgebungsluft (Direct Air Capture) in Kombination mit CCS. Negative Emissionen werden in Zukunft benötigt, um Restemissionen – zum Beispiel aus der Landwirtschaft – auszugleichen und so Netto-null-Emissio­nen im Jahr 2045 und Netto-negativ-Emissionen nach 2050 zu ermöglichen.

Wenn über CCS gesprochen wird, sollten diese drei Bereiche unterschieden werden. Sammelbegriffe wie Carbon Management sind politisch attraktiv. Sie unterschlagen aber die unterschiedlichen Einsatzbereiche, Regulierungen sowie politische Allianzen.

Im Zuge des neuen Vorstoßes der Bundesregierung haben sich einige Umweltverbände dem Thema CCS als Lösung für den Umgang mit den Restemissionen angenähert, andere hingegen lehnen CCS unter Verweis auf mögliche Risiken strikt ab. Wie auch bei politischen Parteien und Ministerien bergen das Thema und der steigende Positionierungsdruck erhebliches Konfliktpotenzial innerhalb und zwischen Organisationen.

Die Debatte wird jedoch für alle Beteiligten unbequem. Auch für die Industrie, die ihre Restemissionen glaubwürdig darlegen muss und so Verteilungsfragen zwischen den Branchen, aber auch innerhalb der Unternehmen klären muss. Wer darf im Jahr 2045 noch wie viel emittieren, und wer bezahlt die Investitionen in Lösungen zum Ausgleich dieser Restemissionen? Diese Frage wird in den kommenden Jahren zu erheblichen politischen Konflikten führen.

Nur wenn es eine offene Debatte darüber gibt, welche Emissionen in Deutschland im Jahr 2045 als unvermeidbar gelten, kann eine glaubwürdige Auseinandersetzung über den Einsatz von Carbon Management erfolgen. Für eine ernsthafte und umfassende Debatte braucht es deshalb eine klare Taxonomie für Restemissionen.

Quelle          :        TAZ-online            >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Demonstranten bei einer Klimademo verlangen Einführung einer CO2-Steuer

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Unten       —       Climate March 0241 – Covered wagon with arrows. „Defend colonialism – Defend CO2 colonialism.“

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Nord-Stream-Anschlag

Erstellt von Redaktion am 15. Januar 2023

Keinerlei Hinweise auf russische Täter

Datei:Nord Stream gas leaks 2022.svg

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Von   :    German Foreign Policy /   

Führende US-Medien und Regierungsbeamte aus Europa äussern erstmals öffentlich Zweifel, dass Russland hinter dem Anschlag steckt.

Drei Monate nach den Anschlägen auf die Erdgas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 weisen zum ersten Mal Mitarbeiter westlicher Regierungen die Behauptung, Russland könne für den Sabotageakt verantwortlich sein, öffentlich zurück. Schon kurz vor den Weihachtsfeiertagen hatte die «Washington Post» berichtet, «zahlreiche» Regierungsmitarbeiter vermuteten «privat», Moskau habe mit den Anschlägen nichts zu tun. Die Zeitung zitierte einen Beamten aus Europa mit der Einschätzung, es gebe «zum gegenwärtigen Zeitpunkt» keinerlei Hinweis auf eine russische Täterschaft. Diese Einschätzung gründe sich, hiess es, auf Gespräche mit 23 Quellen aus Diplomatie und Geheimdiensten.[1]

Ein Beamter aus Westeuropa wird sogar mit der Aussage zitiert: «Die Überlegung, dass Russland es war, hat für mich nie Sinn ergeben.» Wie die «Washington Post» berichtet, beruht die Skepsis nicht bloss darauf, dass an den Tatorten keinerlei Hinweise auf russische Täter gefunden worden seien, sondern auch darauf, dass die gewöhnlich umfassende US-Spionage beim Abhören russischer Stellen bis heute keinerlei Hinweise auf eine Mitwisserschaft aufgespürt habe. Das sei recht ungewöhnlich.

Hohe Reparaturkosten

Wenige Tage später legte die «New York Times» nach. Die Zeitung schrieb, die Nord Stream AG, die die Pipeline Nord Stream 1 betreibe, habe begonnen, die Reparatur der Leitungen in den Blick zu nehmen. Dies habe eine Person mit detaillierter Kenntnis über die Vorgänge berichtet.[2] Zuvor hatte Moskau entsprechende Pläne zwar nicht bestätigt, sie jedoch auch nicht dementiert. Der stellvertretende russische Ministerpräsident Alexander Nowak hatte im Interview mit der russischen Nachrichtenagentur TASS mitgeteilt, Spezialisten stuften die Reparatur als «technisch machbar» ein; unklar sei aber, wie viel sie kosten würde.[3]

Der «New York Times» zufolge beläuft sich eine Schätzung auf rund eine halbe Milliarde US-Dollar. Die Zeitung weist darauf hin, es leuchte nicht wirklich ein, dass Russland eine Erdgasleitung zerstöre, nur um sie anschliessend für hohe Summen wieder instand zu setzen. Dies gelte umso mehr, als Moskau weiterhin Transitgebühren für die noch getätigten Erdgaslieferungen durch Pipelines an Land zahlen müsse – und zwar an den Kriegsgegner, die Ukraine.[4] Hinzu komme, dass Moskau mögliche Gaslieferungen durch die Nord-Stream-Pipelines nun nicht mehr als Lockmittel nutzen könne.

Europas Erdgaslücke

Tatsächlich läge eine solche Nutzung im russischen Interesse. Laut jüngsten Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) stehen die Staaten Europas im nächsten Jahr bzw. im nächsten Winter vor einer Versorgungslücke von rund 30 bis 60 Milliarden Kubikmetern Erdgas; wo diese herkommen sollen, ist völlig unklar.[5] Gedeckt werden könnten sie durch die Pipeline Nord Stream 1, deren Durchleitungsvolumen rund 55 Milliarden Kubikmeter jährlich erreicht. Die «New York Times» zitiert nun einen leitenden Mitarbeiter von Gazprom mit der Äusserung: «Warte bloss einen einzigen kalten Winter ab, und sie werden um unser Gas betteln.»[6] Die Möglichkeit, in einer akuten Notlage doch noch auf die Nord-Stream-Pipelines zurückzugreifen, ist durch die Anschläge zunichte gemacht worden.

Hinzu kommt, dass Branchenexperten es durchaus für möglich halten, dass die Staaten Europas in Zukunft wieder russisches Pipeline-Gas in grösserem Umfang importieren. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, gingen bei einem Fachtreffen, das das Oxford Institute for Energy Studies Anfang Dezember organisiert hatte, nur 40 Prozent aller Anwesenden davon aus, der Ausstieg Europas aus russischem Erdgas werde auf Dauer Bestand haben. 40 Prozent waren vom Gegenteil überzeugt.[7] Der Grund: Ohne kostengünstiges Erdgas könnten zentrale Branchen der europäischen Industrie nicht überleben.

Kanadas Sanktionen erschweren Reparatur

Würde eine Reparatur der Pipeline Nord Stream 1 die Wiederaufnahme der Lieferungen zumindest theoretisch ermöglichen, so hat Kanada entsprechenden Überlegungen Ende 2022 einen weiteren Schlag versetzt: Es hat Sanktionen wieder aktiviert, die es speziell verhindern, eine im kanadischen Montreal überholte Siemens-Turbine, die für den Betrieb von Nord Stream 1 benötigt wird, nach Russland zurückzubringen.[8] Das erhöht den Aufwand für eine Instandsetzung der Erdgasleitung zusätzlich. Hätte Ottawa eine etwaige Reparatur der Pipeline nicht im Blick, ergäbe die Aktivierung der Sanktionen zum Nachteil einer zerstörten Erdgasleitung wenig Sinn.

«Eine plausible Erzählung vorlegen»

Nicht nur in führenden US-Medien wird eine russische Täterschaft mittlerweile als recht unwahrscheinlich eingestuft. Auch «Leute im Berliner Regierungsbetrieb», so wird berichtet, stellten «unter der Hand Fragen …, die für Unruhe in der Nato sorgen könnten»: Hätten nicht «die Ukraine und Polen mit grösstem Nachdruck von Deutschland den Verzicht auf die Nord-Stream-Leitungen gefordert?»[9] Ein nicht namentlich genannter hochrangiger Militärexperte wiederum wird mit der Aussage zitiert, man möge «sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn irgendwann mitten im Krieg herauskäme, dass ein Nato-Staat bei der Bombardierung der umstrittenen Pipeline geholfen oder von entsprechenden Plänen gewusst habe, ohne sie zu verhindern».[10]

Der Druck auf die deutsche Regierung steigt, erste Ergebnisse der Ermittlungen zu den Nord Stream-Anschlägen bekanntzugeben, «weil die wilden Spekulationen in dieser unklaren Situation nicht ungefährlich sind», sagte der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums.[11] Auch der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), verlangt, die Bundesregierung müsse «Transparenz schaffen oder wenigstens eine plausible Erzählung der Ereignisse vom 26. September vorlegen».

Schiffe mit ausgeschaltetem Transponder

Erschwert wird die Angelegenheit durch die exzessive Geheimhaltungspraxis Schwedens, dessen Behörden laut Berichten nicht einmal die verbündeten NATO-Staaten über Resultate ihrer Ermittlungen informieren. Zu den Rätseln um die Anschläge auf die Pipelines gehört nicht zuletzt, woher die beiden grossen Schiffe kamen, die laut Recherchen des Magazins «Wired» in den Tagen unmittelbar vor den Anschlägen nicht weit von den Tatorten kreuzten und dabei ihre Transponder ausgeschaltet hatten.[12] Bemerkenswert ist, dass noch niemand Belege für die Behauptung präsentiert hat, es seien russische Schiffe gewesen. Die Grösse der Schiffe und die Dichte der NATO-Aufklärung in der Ostsee lässt Unkenntnis über das maritime Geschehen unweit der strategisch wichtigen Insel Bornholm als nicht besonders wahrscheinlich erscheinen. Bekannt ist jedoch, dass sich Kriegsschiffe der schwedischen Marine kurz vor dem Tatzeitpunkt gleichfalls in der Nähe der Tatorte aufgehalten hatten. Die schwedische Marine hat dies sogar eingeräumt und als Ursache nicht näher bestimmte Massnahmen der Seeraumüberwachung angegeben.[13] Ob dabei üblicherweise die Transponder ausgeschaltet werden, ist nicht bekannt.

FUSSNOTEN:
[1] Shane Harris, John Hudson, Missy Ryan, Michael Birnbaum: «No conclusive evidence Russia is behind Nord Stream attack». washingtonpost.com, 21.12.2022.
[2] Rebecca R. Ruiz, Justin Scheck: «In Nord Stream Mystery, Baltic Seabed Provides a Nearly Ideal Crime Scene». nytimes.com, 26.12.2022.
[3] Michael Maier: «Nord Stream: Repariert Russland heimlich die Pipeline?» berliner-zeitung.de, 02.01.2023.
[4] Rebecca R. Ruiz, Justin Scheck: «In Nord Stream Mystery, Baltic Seabed Provides a Nearly Ideal Crime Scene». nytimes.com, 26.12.2022.
[5] S. dazu Die Erdgaslücke.
[6] Rebecca R. Ruiz, Justin Scheck: «In Nord Stream Mystery, Baltic Seabed Provides a Nearly Ideal Crime Scene». nytimes.com, 26.12.2022.
[7] Javier Blas: «Can Europe’s Energy Bridge to Russia Ever Be Rebuilt?» bloomberg.com, 12.12.2022.
[8] Darren Major: «Ottawa revokes sanctions waiver on Nord Stream gas turbines». cbc.ca, 14.12.2022.
[9], [10] Daniel Goffart: «Erst bombardieren, dann reparieren?» wiwo.de, 01.01.2023.
[11] Christopher Ziedler: «100 Tage nach den Gaslecks: Rätselraten um die Nord-Stream-Sabotage geht weiter». tagesspiegel.de, 03.01.2023.
[12] «’Dark Ships› Emerge From the Shadows of the Nord Stream Mystery». wired.co.uk, 11.11.2022.
[13] Svenska marinens fartygsrörelser I området: «Inte en slump». svt.se, 03.10.2022.

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Oben      —  Karte der Explosionen, die an den Nord-Stream-Pipelines am 26. September 2022 verursacht wurden.

Verfasser FaktenOhne Voreingenommenheit1      /      FactsWithoutBias1     /

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Mexicos Atomisierte Gewalt

Erstellt von Redaktion am 12. Januar 2023

Mexico – Ein Staat in der Gewalt der Drogen Mafia 

Ciudad.de.Mexiko.Stadt.Distrito.Federal.DF.Paseo.Reforma.Skyline.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Im mexikanischen Bürgerkrieg niederer Intensität verschwimmen die Grenzen zwischen Staat und Drogenkartell zusehends.

Es waren bürgerkriegsartige Zustände, unter denen ein hochrangiges Mitglied des größten Drogenkartells der Welt, des Cártel de Sinaloa, in der Nähe der mexikanischen Stadt Culiacán Anfang Januar verhaftet wurde.1 Die Pistoleros des Kartells setzten hochkalibrige Waffen ein,2 sie errichteten Straßensperren, entzündeten Barrikaden und griffen den Flughafen der ostmexikanischen Stadt an, während die Armee mehrere tausend Mann mobilisierte und Kampfhubschrauber einsetzte,3 um Stellungen des Kartells zu beschießen. Insgesamt 29 Tote, hierunter zehn Militärangehörige und 19 Kartellmitglieder, sind bei den Kämpfen verzeichnet worden,4 die nach der Festnahme von Ovidio Guzmán entbrannten. Ovidio Guzmán ist einer der Söhne des berüchtigten Kartellbosses Joaquín „El Chapo“ Guzmán, unter dessen Führung das Sinaloa-Kartell zu einem milliardenschweren, global illegal operierenden Drogenkonzern aufstieg. „El Chapo“, der mehrmals aus mexikanischen Gefängnissen fliehen konnte, bevor er 2016 abermals verhaftet und an die USA ausgeliefert wurde, verbüßt seit 2017 eine Haftstrafe in einer US-Haftanstalt. Seinem Sohn droht ebenfalls die Auslieferung.

Die New York Times (NYT)5 sah das spektakuläre und blutige Vorgehen der mexikanischen Regierung gegen das Sinaloa-Kartell im Zusammenhang mit der Mexiko-Visite von US-Präsident Joe Biden im Rahmen des Nordamerika-Gipfels Anfang Januar.6 Biden befindet sich in der Frage der Migrationspolitik verstärkt unter dem Druck des rechten Flügels der Republikaner, die dem US-Präsidenten vorwerfen, die Grenze nicht genügend zu „schützen“ – und hierdurch die Verfassung verletzt zu haben.7 Washington könnte somit versuchen, diesen innenpolitischen Druck auf die ungeliebte Administration des populistischen Präsidenten López Obrador8 weiterzureichen. Und die Verhaftung von Guzmán Junior könnte einem Geschenk an Biden im Vorfeld des Nordamerikagipfels gleichkommen.

Es sei ein PR-Sieg für Obrador, wenige Tage vor dem Treffen mit Biden, bemerkte die NYT hierzu. Die Verhaftung gleiche einer „Nachricht an die Vereinigten Staaten, dass Mexiko den Krieg gegen die Drogen fortführt“, so ein Sicherheitsberater gegenüber der US-Zeitung. Doch würde dieser spektakuläre Coup nichts an der Struktur des Sinaloa-Kartell ändern oder gar zu einem Rückgang der Gewalt und des Drogenschmuggels führen. Ovidio sei überdies der „am wenigsten begabte“ der vier Söhne von „El Chapo“, gegen die US-Behörden ermitteln.9 Zudem sollten mit der Verhaftung, die unter massivem Einsatz von Militärpersonal durchgeführt wurde, Lehren gezogen werden aus einer gescheiterten Verhaftung von Ovidio Guzmán vor drei Jahren, als dieser nach der Ingewahrsamnahme wieder freigelassen wurde, nachdem Kartellmitglieder die Polizeikräfte in Culiacán übermannten und mehrere Polizisten als Geiseln nahmen.10

Läuft wie geschmiert

Dabei sind es nicht nur die hohen militärischen und sicherheitspolitischen Risiken für ganze Ortschaften und Regionen, die solche spektakulären Einsätze von Sicherheitskräften gegen Kartellprominenz zu Ausnahmen machen, die weltweit Wellen schlagen. Aufgrund der allgegenwärtigen Korruption im mexikanischen Staatsapparat, der von Informanten der in Geld schwimmenden Kartelle durchsetzt ist, sind verdeckte Operationen gegen die mafiösen Netzwerke kaum realisierbar. Bei einem Volumen von 40 Milliarden Dollar,11 das der US-Drogenmarkt umfassen soll, handelt es sich bei den führenden Kartellen um milliardenschwere Verwilderungsformen von Konzernen, die sich Politiker und Militärs genauso kaufen können, wie modernste Waffen und Kommunikationstechnik. Die Sicarios (Auftragskiller) der Kartelle sind immer besser bezahlt und oftmals besser ausgerüstet als die Polizeikräfte, die gegen sie vorgehen sollen. Mexikos führende Mafiabosse sind zu Milliardären aufgestiegen.

Und die mit Geld geschmierten Tentakel der mafiösen Netzwerke reichen ganz tief in den mexikanischen Staat hinein. Es ist bei solchen Einsätzen gegen die Kartelle so, als ob der korrupte mexikanische Staatsapparat auch gegen sich selbst vorgehen müsste. Für die Drogenbosse sind es die sprichwörtlichen Peanuts, mit denen selbst hochrangige Staatsfunktionäre gekauft werden können. Auf monatlich 250 000 Dollar soll sich die Bestechungssumme belaufen, mit der hochrangige Justizfunktionäre dazu gebracht werden, die Drogengeschäfte zu protegieren. Diese Information stammt aus einem Leak aus den Servern des mexikanischen Verteidigungsministeriums. Aktivisten haben im Herbst 2022 mehrere Terabytes an geheimen Daten des Militärs aus dessen Netzwerk entwendet und veröffentlich. Aus den Dokumenten geht auch hervor, dass mexikanische Militärangehörige mitunter ihre Waffen an die Drogenkonzerne verkaufen und oftmals „geheime Absprachen“ zwischen Kartellmitgliedern und Militärs getroffen werden.12

Bewegungen von Polizeikräften werden den Mafia-Netzwerken von ihren Maulwürfen mitunter im Voraus mitgeteilt. Wobei insbesondere das Sinaloa-Kartell in seiner Aufstiegsphase die Kunst der Bestechung perfektionierte und sich selbst an der konkreten „Bekämpfung“ konkurrierender Drogenbanden beteiligte – in Kooperation mit Polizeikräften und Militär. Vor rund 13 Jahren verstärkten Bundespolizei und Militär in der Grenzstadt Ciudad Juarez ihre Präsenz, im Rahmen des Krieges gegen die Drogen, der schon damals landesweit Tausende von Menschenleben jährlich kostete. Zugleich ging das Sinaloa-Kartell ungestört dazu über, die logistisch wichtige Grenzstadt zu den USA zu übernehmen und die Konkurrenz blutig auszuschalten.13 Das Juarez-Kartell sah sich in einem Zweifrontenkrieg gegen Staatsorgane und Sinaloa-Kartell, wobei Zeugenaussagen den Austausch von Informationen zwischen Armee und Sinaloa-Kartell belegen. Die Drogenhändler gaben Infos an die Polizei weiter, damit diese ihre Konkurrenz verhaften konnte, während das Militär den Killern des Kartells den Aufenthaltsort ihrer „Ziele“ mitteilte.

Selbst wenn die mexikanischen Behörden gegen Drogenhändler vorgehen, so kann der äußere Eindruck durchaus trügen. Die erfolgreiche Bestechungs- und Korruptionstaktik von „El Chapo“, die sein Kartell dominant machte, konnte auch schlicht empirisch verifiziert werden: anhand der Verhaftungszahlen der mexikanischen Behörden, bei denen die Mitglieder des Sinaloa-Kartell unterrepräsentiert waren.14

Zetas – Staatsorgane wechseln die Fronten

Die Grenze zwischen Drogen-Rackets und staatlichen Repressionsorganen verschwimmt in Mexiko zusehends, was Ausdruck der krisenbedingten staatlichen Erosionsprozesse ist. Staatliche Zugriffe auf führende Kartellbosse sind gerade deswegen so riskant, weil innerhalb der morschen staatlichen Strukturen die Grenzen zwischen Racket und Leviathan kaum noch auszumachen sind.

Mit den Zetas ist in Mexiko in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts eine Mafia-Formation entstanden, deren historischer Kern tatsächlich den staatlichen Repressionsorganen entstammte.15 Ende der 90er desertierten Dutzende von Elitesoldaten der Grupo Aeromóvil de Fuerzas Especiales (GAFE), um als Killer und Bodyguards des in Revierkämpfe verwickelten Golf-Kartells zu arbeiten. Diese zu Hitmen mutierten Spezialkräfte, die nun ein Vielfaches ihrer staatlichen Bezüge verdienten, waren mitunter von den USA in Aufstandsbekämpfung und urbaner Kriegsführung ausgebildet worden. Ein Teil des Staatsapparates wechselte schlicht die Front im Drogenkrieg, um sein repressives Know-how im ewigen Bandenkrieg an den Meistbietenden zu verkaufen.

Doch das reichte den ehemaligen GAFE-Spezialkräften, die sich als Zetas bezeichneten, bald nicht mehr – sie machten sich spätestens 2010 in einem blutigen Bandenkrieg vom Golf-Kartell selbstständig.16 Es folgte ein kometenartiger Aufstieg der berüchtigten Los Zetas, die binnen weniger Jahre zur größten kriminellen Organisation Mexikos wurden, um 2012 während eines Dauerkrieges um Transportkorridore für den Drogenschmuggel und Territorien kurzfristig sogar das Sinaloa-Kartell zu überflügeln. Die Zetas – die Gründungsmitglieder nahmen Kampfnamen an, die aus dem letzten Buchstaben des Alphabets und einer die Stellung in der Hierarchie angebenden Zahl (Z1, Z2, etc.) bestanden – setzten faktisch Methoden der „schmutzigen“ Aufstandsbekämpfung ein, um rasch zu expandieren.

Die mörderischen, in der Spätphase des Kalten Krieges in Mittelamerika praktizierten Repressionsmethoden, mit denen linke Guerillabewegungen bekämpft wurden, verselbstständigten sich im Rahmen illegaler Profitmaximierung. Die Zetas setzten auf die militärische Kontrolle ihres Territoriums, um nicht nur den Drogenhandel, sondern alle Formen illegaler Einnahmen (Schutzgeld, Waffenhandel, Prostitution, etc.) zu monopolisieren. Hierbei konnten sie nicht nur wegen ihrer Überlegenheit bei militärischer Organisation, Informationsbeschaffung und Waffentechnik expandieren, sondern gerade durch eine regelrechte Terror- und Massakertaktik. Nicht Bestechung, sondern nackter Terror war das bevorzugte Mittel der Zetas, die öffentlich zur Schau gestellte Exekutionen, Folter, brutale Hinrichtungsmethoden und Massaker an Zivilisten (etwa die Hinrichtung von 72 Migranten 2010)17 im Drogen-Bürgerkrieg Mexikos etablierten.

Atomisierung und Brutalisierung

Der Aufstieg der Zetas führte somit zu einer Brutalisierung des mexikanischen Drogenkrieges, da alle konkurrierenden Kartelle, wollten sie überleben, auf ähnliche Taktiken zurückgreifen mussten. Die staatsterroristischen Repressionsmethoden, entwickelt in den 80ern beim schmutzigen Krieg gegen die Guerillas Mittelamerikas, die von den ehemaligen GAFE-Spezialkräften bei ihrem Kampf um die Drogenmärkte quasi „privatisiert“ wurden, erfuhren ihre Verallgemeinerung durch Nachahmung. Evident wird dies etwa beim Cartel Jalisco New Generation (CJNG).18 Das CNJG weist ebenfalls eine starke paramilitärische Komponente auf, inklusive militärischer Spezialisierung von Sicario-Gruppen, die beim Kampf gegen die Zetas ausgeformt wurde. Der ursprüngliche Name dieses Kartells, dass weitgehend die Struktur und das Vorgehen der Zetas kopierte, lautete „Los Mata Zetas“ – „Diejenigen, die die Zetas töten“.19 CNJG soll inzwischen zur zweitgrößten kriminellen Organisation Mexikos aufgestiegen sein. Paramilitärische Gruppen, die sich ebenfalls als mit Verbindungen zu Sicherheitskräften, die einstmals auszogen, um die Drogenhändler extralegal hinzurichten, sollen mitunter in den Strukturen der Kartelle aufgegangen sein.

Central Nuclear en México

Infolge der Brutalisierung des Drogenkrieges fallen auch immer neue zivilisatorische Schranken, der scheinheilige „Ehrenkodex“ der früheren Kartell-Generationen ist längst Geschichte. Inzwischen kommen selbst Minderjährige, mitunter Kinder, als Sicarios der Kartelle zum Einsatz.20 Die Zahl der Toten in diesem permanenten Bandenkrieg stieg folglich von wenigen Tausend jährlich zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf rund 20 000 im Jahr 2018.21 In den ersten vier Jahren der Präsidentschaft von López Obrador, der auf die Kartelle zugehen und mittels Verhandlungen und Kompromissen die Gewalt eindämmen wollte, sind sogar 140 000 Todesopfer zu beklagen gewesen.22 Ein nicht erklärter, molekularer Bürgerkrieg tobt in Mexiko, mit unklaren, permanent wechselnden Fronten, bei dem immer neue Allianzen geformt werden, während die kriminellen Organisationen selber unbeständig sind, sich in permanentem Wandel befinden, untergehen, spalten, von Veteranen neu gegründet werden, ohne dass eine Hegemonie errichtet werden kann.

Mexikos Drogenkrieg ist das Paradebeispiel für anomische Gewaltherrschaft, die in Wechselwirkung mit staatlicher Erosion in der Systemkrise um sich greift. Die Zetas, die einstmals aufgrund ihrer militärischen Organisation und terroristischer Methoden dominant waren, sind nach internen Spaltungen und äußeren Angriffen nur noch ein Schatten ihrer selbst.23 Und selbst beim mächtigen Sinaloa-Kartell finden permanent Revier- und Machtkämpfe sowie Abspaltungsversuche statt24 – zu viele kriminelle Rackets drängen in den lukrativen Markt, als dass hier eine stabile Machtstruktur entstehen könnte. Es entstehen immer neue Gruppen, was einer Atomisierung der Gewalt gleichkommt.25 Das Elend treibt viele junge Männer trotz der Todesgefahr in den Drogenkrieg. Ein altes Kartellsprichwort sagt: „Lieber ein Jahr als König, als ein Leben als Bettler.“

Extremistischer Kapitalismus und Plünderungsökonomie

Von linksliberaler Seite wird angesichts der monströsen Dimensionen dieses molekularen Bürgerkriegs die weitgehende Legalisierung von Rauschmitteln und ein Ende des US-Kriegs gegen die Drogen gefordert. Die Austrocknung des Absatzmarktes im Norden soll den Kartellen das Rückgrat brechen. Und tatsächlich handelt es sich bei den Kartellen einerseits um eine extremistische Form kapitalistischer Profitjagd, der keinerlei staatliche Grenzen gesetzt werden. Die Drogenbosse Mexikos agieren faktisch als Unternehmer, als Kapitalisten, die Profitmaximierung jenseits jeglicher rechtlichen Schranken betreiben und den barbarischen Kern kapitalistischer Vergesellschaftung offenlegen. Die Trockenlegung ihres milliardenschweren US-Markts durch dessen Legalisierung würde den mexikanischen Mafia-Netzwerken ihre größte Einnahmequelle nehmen. In einem verarmten Land wie Mexiko üben die Drogenmilliarden eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus.

Doch es steht zu befürchten, dass die Drogenbanden und Netzwerke infolge weiterer Mutationen schlicht ihre Geschäftsfelder verlagern würden, wenn Drogen legalisiert werden sollten – die anomische Gewalt wird dem mexikanischen Spätkapitalismus erhalten bleiben, deren Ziele würden sich aber wandeln. Diese Tendenzen sind bereits zu beobachten, da Drogen längst nicht mehr das einzige Geschäftsfeld der Kartelle bilden. Die mörderischen, illegal operierenden Kapitalisten Mexikos haben längst die schwindenden natürlichen Ressourcen als lukrative Einnahmequelle entdeckt. Ein schrankenloser, mafiöser Extraktismus ist die Folge.

Illegaler Holzanbau unter dem Schutz der Maschinengewehre der Sicarios, der Aufbau ökologisch ruinöser Avocado-Plantagen unter Kartellkontrolle und die kaum verhüllte Kooperation zwischen Politik und Kartell – diese destruktiven Umtriebe waren auch in der südmexikanischen Stadt Cherán allgegenwärtig, bevor sich deren indigene Bewohner zum bewaffneten Selbstschutz entschlossen und Mafia wie Polizei und Politiker aus der Stadt vertrieben.26 Ein Bewohner brachte die Stimmung in der Stadtbevölkerung gegenüber Journalisten auf den Punkt: „Wir haben den Behörden, die ja eigentlich für unser Wohl verantwortlich waren, nicht mehr vertraut. Es wurde so viel Holz geraubt, dass ihre Untätigkeit immer mehr Fragen aufwarf. Es gab einen Pakt und viel sprach dafür, dass kriminelle Gruppen und Regierung inzwischen ein und dieselben waren.“

Der extremistische Kapitalismus geht somit in eine ökologische Plünderungsökonomie über, bei der Kartell-Holzfäller wie Heuschrecken eines in seiner Agonie von jeder staatlichen Einschränkung entfesselten Kapitals über letzte ökologische Ressourcen herfallen. Eine Drogenlegalisierung geht nicht weit genug. Das Einzige, was dieser selbstzerstörerischen, verwilderten Form spätkapitalistischer Ausbeutung ein Ende bereiten würde, wäre die emanzipatorische Systemtransformation.

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https://konicz.substack.com/

1 https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/mexiko-el-chapo-sohn-kaempfe-101.html

2 https://twitter.com/justartsndstuff/status/1611082214866837512

3 https://twitter.com/nw3/status/1611488300610605079

4 https://twitter.com/justartsndstuff/status/1611093806794825748

5 https://www.nytimes.com/2023/01/05/world/americas/el-chapo-son-ovidio-guzman-mexico.html?searchResultPosition=1

6 https://www.nbcnews.com/politics/joe-biden/biden-makes-first-trip-president-us-mexico-border-administration-impos-rcna64808

7 https://www.reuters.com/world/americas/biden-visit-mexico-border-push-migrants-republicans-are-his-biggest-wall-2023-01-08/

8 https://www.nzz.ch/international/mexikos-praesident-zieht-mit-tausenden-anhaengern-durch-die-hauptstadt-ld.1714362?reduced=true

9 https://abc7.com/el-chapo-son-sinaloa-cartel-guzman-los-chapitos/11355575/

10 https://www.nytimes.com/2019/10/18/world/americas/mexico-cartel-chapo-son-guzman.html

11 https://www.latimes.com/nation/la-na-el-chapo-money-20190122-story.html

12 https://www.npr.org/2022/10/14/1129001666/data-leak-exposes-mexico-military-corruption-including-collusion-with-drug-carte

13 https://www.npr.org/2010/05/19/126890838/mexicos-drug-war-a-rigged-fight

14 https://www.npr.org/2010/05/19/126906809/mexico-seems-to-favor-sinaloa-cartel-in-drug-war

15 http://www.narconews.com/Issue37/article1305.html

16 https://insightcrime.org/mexico-organized-crime-news/zetas-profile/

17 https://www.theguardian.com/world/2010/aug/25/mexico-massacre-central-american-migrants

18 https://mexiconewsdaily.com/news/jalisco-cartel-presence-28-states/

19 https://insightcrime.org/mexico-organized-crime-news/jalisco-cartel-new-generation/

20 https://www.vice.com/de/article/jgmpmy/mexikanische-kartelle-rekrutieren-jetzt-auch-kinder-als-killer

21 https://justiceinmexico.org/wp-content/uploads/2019/04/Organized-Crime-and-Violence-in-Mexico-2019.pdf

22 https://www.vaticannews.va/en/world/news/2022-12/mexico-homicides-increase-drug-cartels.html

23 https://insightcrime.org/news/analysis/mexico-zetas-criminal-powerhouse-fragmented-remnants/

24 https://themazatlanpost.com/2020/03/30/after-months-of-internal-war-el-mayo-zambada-lost-control-of-the-sinaloa-cartel-to-the-children-of-el-chapo/

25 https://www.bakerinstitute.org/sites/default/files/MEX-doc-Timeline_Cartel_0.pdf

26 https://www.deutschlandfunkkultur.de/drogenkartelle-mexiko-mafia-100.html

https://www.konicz.info/2023/01/11/atomisierte-gewalt/

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Oben      —     Gebäude am Paseo de la Reforma in Colonia Cuauhtémoc und Colonia Juarez in Mexiko-Stadt, Mexiko.

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Klimaterrorismus :

Erstellt von Redaktion am 6. Januar 2023

 Mein Vorschlag für das Unwort des Jahres 2022

Quelle         :     Mitwelt Stiftung Oberrhein

Von      :      Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein

Dass junge, verzweifelte Umweltaktive von Klimakatastrophenverantwortlichen als „Klimaterroristen“, als Mitglieder einer „Klima-RAF“ und „Klima-Chaoten“ bezeichnet und in Präventivhaft genommen werden, ist mehr als ein Skandal. Auch wenn sich über die Aktionsformen streiten lässt: So wie der Begriff des Klimaterroristen bisher verwendet wird, ist dies eine typische, perfekt organisierte Täter-Opfer-Umkehr. Aktivistinnen und Aktivisten machen gewaltfrei auf Missstände aufmerksam und werden dafür kriminalisiert. Wer einmal den Begriff „Klimaterroristen“ bei der Bildsuchfunktion einer Suchmaschine eingibt, sieht, aus welcher Richtung der vergiftete Wind weht. Der rechte Rand der Gesellschaft streut gemeinsam mit rechts-libertären Medien und der BILD-Zeitung Begriffe in die öffentliche Debatte, die an Orwellsches Neusprech erinnern. In dieser Debatte zeigt sich nicht nur Definitionsmacht sondern auch tatsächliche Macht und dies in einer Zeit, in der die erkennbaren Folgen der Klimakatastrophe immer verheerender werden.

Die Umweltbewegung und der nachdenkliche Teil der Gesellschaft müssen endlich wieder die Begriffe zurechtrückenm zurückholen und die tatsächlichen Klimaterroristen benennen:

  • Ist umweltzerstörender Weltraumtourismus „just for fun“ nicht Klimaterror?
  • Der ESSO-Mutterkonzern ExxonMobil zählt mit einem Gewinn von 37,6 Milliarden Dollar in einer einzigen Jahreshälfte des letzten Jahres nicht nur zu den größten Kriegsgewinnlern im Ukraine-Krieg, sondern ist auch Kriegstreiber im Krieg gegen Mensch, Klima und Umwelt. Seit Jahrzehnten finanziert der Konzern Klimawandelleugner und Energiewendegegner. Er ist verantwortlich für Tod und Leid. Zählt ExxonMobil damit nicht zu den tatsächlichen Klimaterroristen?

Ein Versuch, dem Begriff des Klimaterrors wieder seine tatsächliche Bedeutung zurückzugeben, ist mein Wunsch, ihn zum Unwort des Jahres zu erklären.

18.12.2022
Sehr geehrte Damen und Herren
im Auswahlgremium zum Unwort des Jahres,

ich würde Ihnen gerne zwei Begriffe „zur Auswahl“ vorschlagen:
Klimaterrorismus oder Klimaterroristen
Die beiden Begriffe werden aktuell stets im Zusammenhang mit jungen Klimaaktiven genannt. Menschen, die sich für Klimaschutz, für Mensch, Natur und Umwelt engagieren, sollen diskreditiert werden. Wenn Sie einmal bei der Bildsuchfunktion von GOOGLE den Begriff „Klimaterroristen“ eingeben, sehen Sie aus welchen Quellen diese Zuschreibung stammt.

Sie kommt von der AfD, von CDU, CSU und FDP, von Klimawandelleugnern, rechts-libertären Netzwerken und insbesondere auch von der Springer-Presse. Es ist erschreckend, dass in Deutschland die Klimakatastrophenverantwortlichen immer noch die Definitionsmacht haben.

Selbstverständlich gibt es Klimaterrorismus.
Ich meine damit allerdings nicht die jungen Umweltaktiven. Ich denke eher an die Spitzen der großen Öl-, Gas- und Kohlekonzerne und ihre globalen Netzwerke, die seit Jahrzehnten mit gezielter PR, mit Macht und Geld den ihnen bekannten menschengemachten Klimawandel und seine Folgen leugnen, verharmlosen und herunterspielen, und an die bezahlten Mietmäuler dieser Konzerne in Wissenschaft, Politik, Medien, industriegelenkten Initiativen und PR-Agenturen. Ihre Aktivitäten werden millionenfaches Leid und Tod verursachen.

Schon der Hitzesommer 2003, ein Vorgeschmack kommender Hitzesommer, hat ca. 70.000 Tote alleine nur in Europa gefordert.
Aus meiner Sicht spricht dies dafür, einen der beiden Begriffe „Klimaterrorismus oder Klimaterroristen“ zum Unwort des Jahres 2022 zu machen.

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Grüne für CO2-Endlager

Erstellt von Redaktion am 23. Dezember 2022

Kehrtwende von Klimaminister Habeck

Reichstagsgebäude von Westen.jpg

Niemand will doch den Dreck haben! Warum wird nicht der Reichstag Untertunnelt? Wo doch nirgendwo Anders sonst,  die Ursachen und die eventuell entstehenden Nachwirkungen so eng beieinander lägen ? Fahne, Hymne, Adler und-und wer kassierte noch mit aus den politischen Atom-Clan ?? 

Von Bernward Janzing

Wirtschafts- und Klimaminister Habeck denkt über die Verpressung von Kohlendioxid unter der Erde nach. Die FDP applaudiert, Umweltverbände protestieren.

Die Grünen vollziehen eine markante Wende. Lange hatten sie die Abscheidung und Endlagerung von Kohlendioxid vehement abgelehnt. Jetzt zeigt sich Wirtschaftsminister Robert Habeck plötzlich offen für das soge­nannte CCS (Carbon Capture and Storage).

Im Evaluierungsbericht der Bundesregierung zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz heißt es, die Bundesregierung werde „die Ermöglichung der CO2-Speicherung in Deutschland“ prüfen, auch jene „unter dem Meeresboden“. Der Koalitionspartner ist seit Langem für CCS: FDP-Vizefraktionschef Lukas Köhler betonte, nun müssten die rechtlichen Rahmenbedingungen auch für „den Transport und den Export“ von CO2 geschaffen werden. Aktuell ist die Speicherung von CO2 in Deutschland sowohl an Land als auch im Meer unzulässig.

Das könnte sich nun ändern. Im kommenden Jahr will die Bundesregierung eine „Carbon-­Management-Strategie“ erarbeiten, in der CCS und zudem CCU untersucht und am Ende wohl zugelassen werden sollen. Unter CCU (Carbon Capture and Utilization) versteht man die anschließende Verwendung des CO2, zum Beispiel in der Chemieindustrie.

Ein Grund für die neue Stoßrichtung der Bundesregierung könnte in der Erkenntnis liegen, dass sie ihre großen Wasserstoffpläne nur mit dem sogenannten blauen Wasserstoff überhaupt erreichen kann; dieser wird aus Erdgas erzeugt, wobei das entstehende CO2 dann im Untergrund verpresst wird.

„Enormer zusätzlicher Energieaufwand“

Der Einsatz von CCS und CCU bedürfte zahlreicher neuer gesetzlicher Regelungen. Die Bundesregierung spricht unter anderem von einer „Erweiterung der Enteignungsvorschrift“ und davon, dass ein „insti­tu­tio­na­lisiertes Governance“ geschaffen werden müsse, ferner ein „robustes und transparentes System von Monitoring, Reporting and Verification“ – ein großes Geschäft also für Zertifizierungsunternehmen.

Die Kritikpunkte an CCS sind vielfältig. Wiederholt wies das Umweltbundesamt auf den „enormen zusätzlichen Energieaufwand für die Abscheidung, den Transport und die Speicherung“ hin. Der Einsatz der CCS-Technik erhöhe „den Verbrauch der begrenzt verfügbaren fossilen Rohstoffe um bis zu 40 Prozent“.

Radioactive keeper drums.JPG

Unterschiedlich positionieren sich die Umweltverbände. Germanwatch veröffentlichte diese Woche zusammen mit Industrieverbänden, wie etwa der Zementindustrie und der Gas Lobby, ein Positionspapier dazu. Es empfiehlt, „regulatorische Hindernisse für CCS und CCU aus dem Weg zu räumen“, um somit eine „CO2-Offshore-Speicherung in der Nordsee“ zu ermöglichen. Weil „CCS/CCU-Wertschöpfungsketten derzeit wirtschaftlich noch nicht darstellbar“ seien, bedürfe es zudem einer entsprechenden Förderung.

Konträr positioniert sich der Umweltverband BUND. Die Koalition dürfe „den klimaschädlichen Fantasien der Industrie nicht nachgeben“, sagt BUND-Chef Olaf Bandt. Die Meere seien „nicht die Müllhalde der Menschheit“. In den Seegebieten CO2 zu verpressen, könnte zwar profitabel für die Gasindustrie sein, bedrohe aber „den Lebensraum am Meeresboden“.

Risiko Erdbeben

Quelle         :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Radikaler Klimaprotest

Erstellt von Redaktion am 16. Dezember 2022

Warum die »Letzte Generation« toxisch ist – und deshalb gebraucht wird

Die politischen Trolle sollten sich endlich eine Arbeit suchen welche sie beherrschen, aber die finden sie wohl nie!

Eine Kolumne von Sascha Lobo

Die »Letzte Generation« hat Greta als Feindbild der Dieselfraktion abgelöst. Darin liegt eine Chance für mehr Klimaschutz.

Die »Letzte Generation« hat ein wichtiges und Überlebens-relevantes Anliegen – und trotzdem ist sie gesellschaftlich und politisch sehr problematisch. Die wichtigsten Gründe dafür sind die paniktreibende Weltuntergangskommunikation einerseits und ihre toxische Selbstüberhöhung bis hin zum Erlöserkomplex – wer, wenn nicht wir! – andererseits. Und doch wird die »Letzte Generation« dringend gebraucht. Das hört sich mindestens paradox, eventuell sogar spektakulär unsinnig an. Aber es ist in der gegenwärtigen Eskalation der Klimakatastrophe doch folgerichtig.

Schädliche Weltuntergangskommunikation

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Der Schlüssel liegt im Süden

Erstellt von Redaktion am 9. Dezember 2022

Den Kapitalismus abschaffen oder grünes Wachstum fördern?

Ein Debattenbeitrag von Bernward Gesang

Was wir Deutschen gegen die Klimakrise tun können. Können wir im „Norden“ das nachholende Wachstum des „Südens“ ausgleichen? Und wie viel müssten wir schrumpfen?

Das perfide Zusammenwirken von Ökologie und Ökonomie treibt uns in eine beispiellose Krise, auf die es zwei Antworten gibt, die beide völlig unbefriedigend sind: Postwachstumsökonomie (PWÖ) und Green New Deal. Zwei Auswege für eine im Grunde ausweglose Situation, die sich durch unkontrolliertes Wachstum und globalen Kapitalismus ergeben hat: Die Menschheit verbraucht viel mehr, als unsere Erde auf Dauer zu bieten hat. Die Vertreter der PWÖ entgegnen darauf: Schluss mit dem Wachstum, das uns die Krise eingebrockt hat! Nur verändertes Konsumverhalten senkt die Wachstumskurven wirklich. Wir dürfen den Bock des Wachstums nicht zum Gärtner machen und meinen, noch mehr „ergrüntes“ Wachstum würde uns retten.

Genau das meinen Vertreter des Green New Deals. Sie setzen auf nachhaltiges Wachstum: technologische Innovationen und Marktwirtschaft, eventuell gepaart mit gezielten Verboten schädlichen Konsums. Man muss für dieses Modell nicht den Menschen und die Wirtschaft neu erfinden, es nutzt altbekannte Pfade, zum Beispiel den Egoismus des Homo oeconomicus, wenngleich auf lange Sicht.

Dagegen protestieren die Postwachstumsökonomen, nachhaltiges Wachstum sei unmöglich, besonders wegen der bekannten Bumerangeffekte. Diese treten auf, wenn wir beispielsweise ein einzelnes Auto effizienter als zuvor produzieren. Wenn so weniger Sprit pro Fahrt verbraucht wird, wird Auto fahren billiger, weshalb sich der Spritverbrauch der gesamten Flotte trotz sparsamerer einzelner Autos erhöht. Nur wegen dieses Schemas erkläre sich, weshalb unsere Klimagasemissionen auch dann steigen, wenn ein Produkt ökologisch effizienter als sein Vorläufer ist. Vertreter des Green New Deal kontern, dass man solche Entwicklungen durch globale Steuern vermeiden kann. Aber jeder weiß, wie schwer globale Steuern zu erheben sind.

Ulrike Herrmann von der taz hat jüngst den Wachstumsoptimisten die Leviten gelesen. Es werde auch in Zukunft insbesondere in der Technologie zur Speicherung erneuerbarer Energien einen Engpass geben. Es sei ausgeschlossen, jemals genug Ökostrom zu erzeugen, um die Emis­sio­nen auf null zu senken und gleichzeitig die Wirtschaftsleistung weiterhin zu steigern. Weil der Kapitalismus ohne Wachstum nicht funktioniere, lasse sich die Klimakrise nicht lösen, ohne ihn abzuschaffen. Allerdings ist es nicht nötig anzunehmen, dass eine technische Unmöglichkeit an einem bestimmten Punkt das ganze grüne Wachstum dauerhaft aushebelt. Dazu sind unsere Ingenieure doch zu dynamisch. Zudem widerspricht Herrmann überzeugend Studien (etwa von Agora Energiewende), wonach grünes Wachstum billig und sogar ein Geschäft wäre, wenn es erst einmal damit losginge. In der Tat, der Green New Deal scheint größenwahnsinnig, wenn er davon ausgeht, nur fünf- oder zehnfaches Wachstum bringe uns aus der Krise, die wir dem Wachstum verdanken.

Allerdings scheint mir die Alternative, die PWÖ, nicht gleichermaßen kritisch analysiert zu werden. Es gibt ein Recht auf ein würdevolles Leben und eine Wirtschaft ohne Armut. Die Frage ist: Wenn wir global nachholendes Wachstum brauchen, können wir im „Norden“ das nachholende Wachstum des „Südens“ ausgleichen? Wie viel müssten wir schrumpfen? Ich behaupte mal so viel, dass dies keine Akzeptanz bei uns finden würde, selbst wenn man ein Ende von Konsum und Erwerbsarbeit als Befreiung kommunizierte. Das zeigt die manische Diskussion der Energiekrise in diesem Winter, die schlimmstenfalls nur einen Bruchteil der Schrumpfung bedeuten würde, die uns eine PWÖ zumutete.

Zudem braucht der Globale Süden hoch entwickelte Technik, damit er sauberer wachsen kann, als wir es getan haben. Dazu müssen wir innovativ wachsen. Zudem werden manche Länder im Globalen Norden (etwa die USA) genug grüne Energie für sich selbst produzieren können, anders als das energiearme Deutschland. Diese Länder werden niemals auf eine PWÖ umschwenken. Würden wir in Deutschland alleine den Konkurrenznachteil eines Wachstumsstopps in Kauf nehmen? Rea­li­sier­ba­rer als eine völlig neue Wirtschaftsweise scheint es zu sein, die Prioritäten des Klimaschutzes in Deutschland neu zu ordnen.

Quelle         :         TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben       —       Autowrack („VW Käfer“) am Grund des Walchensees

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Eine Welt ohne Lösungen

Erstellt von Redaktion am 6. Dezember 2022

Große Tech-Konzerne ähneln Ozeandampfern: stark und mächtig, doch wenig manövrierfähig.

Ein Debattenbeitrag von Svenja Bergt

Big Tech ist in der Krise, weil ihnen nichts Disruptives mehr einfällt. Zur Abwechslung sollten sie mal Probleme lösen, statt immer neue zu schaffen.

Der Eintritt ins Metaverse ist gerade noch einmal teurer geworden. 1.500 US-Dollar kostet das neueste Modell der Virtual-Reality-Brille, die der Meta-Konzern im Oktober vorgestellt hat. Und eine Virtual-Reality-Brille ist nötig, will man sich im Metaverse bewegen, kommunizieren, spielen, teilhaben. Es geht natürlich auch billiger, ältere Brillenmodelle sind schon ab etwa 400 US-Dollar zu haben. Doch die Illusion, sich in einer realen digitalen Welt zu bewegen, die das Metaverse schaffen soll, ist eben umso erreichbarer, je leichter, bequemer und leistungsfähiger die Brille ist.

Etwa ein Jahr her ist es, dass Facebook-Gründer Mark Zuckerberg das Metaverse als nächstes großes Ding vorgestellt hat. Konsequenterweise ließ er die Ankündigung damals als Avatar performen. Doch weil das gesamte Setting eher wie Second Life anmutete, was so etwas wie der gescheiterte Vorgänger der Metaverse-Idee war, hagelte es damals eher Spott als anerkennendes Kopfnicken. Was seitdem passiert ist (nicht chronologisch): Der Facebook-Konzern hat sich in Meta umbenannt, Elon Musk hat Twitter gekauft und ins Chaos gestürzt, die US-Notenbank hat massiv den Leitzins erhöht, Putin ließ die russische Armee in die Ukraine einmarschieren, in den USA schmieren die Börsenkurse der Tech-Konzerne ab. Die Unternehmen, von Meta bis Amazon, entlassen spontan und reihenweise Mitarbeitende.

Zwischen einigen dieser Ereignisse lassen sich Verbindungslinien ziehen. Etwa zwischen dem steigenden Leitzins und den fallenden Kursen: Werden konventionelle Geldanlagen durch steigende Zinsen wieder interessanter, sind Aktien mit all ihren Risiken eben weniger attraktiv. Die Krise der Tech-Branche ist also nicht nur hausgemacht. Dennoch stellt sich die Frage: Platzt hier gerade eine Blase? Für eine Antwort ist es naturgemäß noch zu früh – aber ist es dennoch Zeit, um eine erste Bilanz des Big-Tech-Business zu ziehen und zu fragen: Wie könnte es nach dieser Krise weitergehen?

Bleiben wir kurz bei Meta. Der neue Name sollte auch ein Signal der Neuerfindung sein: Seht her, wir lassen die Krisen der vergangenen Jahre – unter anderem Probleme mit dem Datenschutz, manipulative Wahlwerbung und Hassreden – hinter uns und stellen uns auf für die Zukunft. Das Signal sollte einerseits an die Ak­tio­nä­r-in­nen gehen, andererseits aber auch an die Öffentlichkeit. Denn zwar hat der Konzern nicht nur das alternde Face­book, sondern auch jüngere Dienste wie Insta­gram und Whatsapp im Portfolio. Doch die weltweit am meisten heruntergeladene App ist mittlerweile Tiktok. In Deutschland nutzen in der Altersgruppe der 16- bis 19-Jährigen knapp drei Viertel die Plattform. Meta hat also ein Nachwuchs­problem. Und es sieht gerade nicht danach aus, als wäre das Metaverse, das Meta zudem nicht exklusiv hat, die Lösung. Das Wall Street Journal berichtete jüngst über interne Dokumente, wonach sich in den virtuellen Meta-Welten gerade einmal 200.000 regelmäßige Be­su­che­r-in­nen aufhalten.

Es ist kein Geheimnis, dass große, etablierte Konzerne eher Ozeandampfern ähneln: stark und mächtig, doch wenig manövrierfähig. In der Wirtschaft geht diese Manövrierfähigkeit aber Hand in Hand mit Innovationskraft. Zumindest wenn man Innovation im Sinne von Disruption versteht, also Erfindungen oder Entwicklungen, die eine Branche oder eine Gesellschaft entscheidend verändern. Die Erfindung des Smartphones war in jüngerer Zeit eine solche Disruption, die Entwicklung von Streamingdiensten oder die Digitalfotografie. Um die mangelnde Disruptionsfähigkeit auszugleichen, greifen die Großen auf bewährt Handlungsmöglichkeiten zurück: Sie kaufen kleine, innovative Unternehmen auf, um deren Wissen und Erfindungen ins eigene Haus zu holen. Als praktischer Nebeneffekt ist damit noch ein potenzieller Konkurrent ausgeschaltet. Meta, damals noch Facebook, hat so in der Vergangenheit Instagram und Whatsapp gekauft.

Doch die Disruptionen der Vergangenheit müssen nicht die der Zukunft sein. Womöglich ist die Krise zum Teil auch auf eine Erkenntnis zurückzuführen, die nach und nach ins Bewusstsein gerät: Die Welt braucht nicht noch eine weitere technische Disruption, die neue Bedürfnisse kreiert und gleichzeitig neue Probleme schafft. Sie braucht Lösungen für echte, aktuelle Probleme.

Denn bislang ist es doch so: Big Tech hat durchaus für Fortschritte gesorgt. Aber mit diesen Fortschritten auch leider immer mehrere neue Probleme geschaffen, die dann ungelöst blieben. Amazon zum Beispiel hat viel für den Verbraucherschutz beim Online-Einkauf getan. Leider auf Kosten von Logistik-Mitarbeiter-innen, kleinen Händlern und der Privatsphäre der Kund-innen. Google hat mit seiner Suchmaschine den Zugang zu Informationen im Netz auf eine neue Stufe gehoben. Und nun ein derart weit verzweigtes Unternehmenskonglomerat, dass digitales Leben, von dem keine Daten an den Konzern fließen, nahezu unmöglich ist. Facebook mit seiner weltweiten Vernetzung von Menschen und dem Potenzial, das sich für Bewegungen ergibt – großartig. Aber die Persönlichkeitsprofile, die massiven Probleme durch algorithmische Entscheidungen, durch Hass und Hetze – ungelöst.

Quelle          :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben     —     Karikatur von Gerhard Mester zum Klimawandel: „Weiter so“

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Schocktherapie for future

Erstellt von Redaktion am 30. November 2022

Was kann ein Klimt-Bild für den Klima-Kollaps?

Ein Schlagloch von Robert Misik

Nur mit gemäßigten Aktionen könne man Mehrheiten gewinnen, wird den Klimaschützern gern vorgehalten. Aber so einfach ist das nicht. Was kann ein Klimt-Bild für den Klima-Kollaps? Diese Kausalfrage drängt sich nicht nur Spießern auf!

Wann die „Gegenwartskunst“ begann, ist umstritten. Gerne wird der abstrakte Expressionismus als Endpunkt der klassischen Moderne markiert und der Beginn der „Gegenwartskunst“ mit dem Jahr 1954, als Jasper Johns mit „Flag“ einen Alltagsgegenstand umformte – die US-Flagge eben. Es war ein erstes Wetterleuchten dessen, was später „Pop Art“ genannt wurde. Manche würden wiederum als erste Ikonen der „Gegenwartskunst“ die Suppendosen-Bilder von Andy Warhol nennen, die einen Konsumgegenstand reproduzierten, den jeder kannte. Jüngst haben Klimaschützer ein Van-Gogh-Bild mit Suppe überschüttet, und der Liebhaber subversiver Selbstreferenzialität in mir hätte natürlich ersehnt, dass Campbell-Suppe über Warhols Campbell-Siebdrucke geschüttet worden wäre. Nun, man kann nicht alles haben.

Dass die radikalen Protestaktionen der Klimaaktivisten nicht nur auf Kunst abzielen, sondern auch Stilmittel avantgardistischer Provokation zitieren (vielleicht nicht mal bewusst), ist ja vielfach bemerkt worden, von der Anti-Kunst des Dadaismus bis über die Schüttbilder von Nitsch, die Übermalungen von Arnulf Rainer oder die Schockstrategien der Aktionskunst. „All art is propaganda“, bemerkte schon George Orwell, und so ist auch jede Zerstörung von Kunst zugleich Kunst und Propaganda. Oder so.

Natürlich kann man gegen die Attacken auf Kunstwerke einiges einwenden, obwohl bisher keine Kunstwerke zerstört werden, sondern vor allem Glasscheiben beschmutzt oder beschädigt wurden, hinter denen sich die Kunstwerke befanden. Ein Einwand wäre: Die Aktionen zwingen Museen, ihre Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen, was nicht nur Geld kostet, sondern Museen zu Hochsicherheitsinstitutionen machen kann, und das macht die Welt bestimmt nicht besser. Auch ist bei Protestaktionen zweifellos empfehlenswert, dass die konkrete Aktion des zivilen Ungehorsams in einem nachvollziehbaren Verhältnis zur Botschaft steht. Man besetzt, wenn man gegen Panzerlieferungen protestiert, ja auch eher Panzerfabriken und nicht die Wohnung von Herrn und Frau Maier. „Was kann ein Klimt-Bild für den Klimakollaps?“, die Frage drängt sich nicht nur Spießern auf, die sowieso keine Protestaktio­nen gut finden würden, also auch nicht, wenn man sich im Morgenverkehr an seinen SUV anklebt. Wenigstens die Spur einer kausalen Assoziationskette kann aber sicher nicht schaden.

Revolution ja, aber schmutzig soll nichts werden. „Extremisten“ und gar „Klimaterroristen“, werden die Aktivisten gescholten, was natürlich Unfug ist. Die Aktionen sind nicht extremistisch, aber sie sind, wie das ein Aktivist nannte, „drastisch“. Das Problem an drastischen Aktionen dieser Art ist, dass sie Mehrheiten abschrecken und womöglich sogar jene gegen die Anliegen der Engagierten aufbringen, die diesen eigentlich mit Sympathie gegenüberstehen.

Aber die eigentlich interessante Streitfrage ist: Sollen Bewegungen, die eine Gesellschaft radikal verändern wollen, eher Aktionen setzen, die von Mehrheiten sofort unterstützt werden können? Oder ist es erfolgversprechender, auf drastische Weise vorzugehen, um einerseits Mehrheiten zu schockieren und andererseits entschlossene Minderheiten zu aktivieren? Auf diese Schlüsselfrage gibt es keine ganz leichte Antwort, gerade wenn man die Lehren der Geschichte berücksichtigt. Engagierte Minderheiten können Gesellschaften oft besser verändern als Warmduscher, die immer die Zustimmung von allen Seiten ersehnen.

Bringen wir etwas Systematik rein: Zunächst einmal kann man natürlich zu bedenken geben, dass die freundliche Art des Aktivismus, wie sie bisher „Fridays for Future“ setzte und etwa Greta Thunberg zu einer globalen Celebrity machte, viel freundlichen Zuspruch und Solidarität erntete, aber nicht die erwünschten Erfolge hatte, nämlich die entschlossene Öko-Wende. Nur ist mit dem Einwand noch nicht gesagt, dass ein radikaleres Vorgehen erfolgreicher gewesen wäre. Höchstwahrscheinlich wäre es noch „erfolgloser“ gewesen, wenn man unter „Erfolg“ klare, messbare Konsequenzen versteht.

Die Gefahr bei radikalen Aktionen ist nicht nur die der „Kriminalisierung“ des Protestes, sondern vor allem die gesellschaftliche Isolation der Engagierten. Die Gefahr beim moderaten Engagement ist allerdings, dass man wegen des Wunsches, anschlussfähig an Mehrheiten zu bleiben, die gesellschaftsverändernden Forderungen und Programmatiken so weich spült, dass am Ende kaum etwas davon übrig bleibt. Oder im schlimmsten Falle, dass man sich an eine imaginierte Mehrheit so anschmiegt, dass man unfähig wird, diese Mehrheit in die eigene Richtung zu verschieben.

Das ist nicht trivial, wie man andauernd vorgeführt bekommt. Quer über den Globus hat in den vergangenen Jahren eine harte Rechte Politik und Diskurse massiv verändert, und zwar nicht, indem sie „gemäßigt“ oder „vernünftig“ vorging, sondern durch den Extremismus und das tägliche Gift der Verrohung, mit dem sie ganze Gesellschaften kontaminiert hat. Trump, Meloni & Co haben ja nicht Erfolg, weil sie sich sanft und schmeichelweich geben, sondern indem sie rabiat und aggressiv agieren, während die Gegenseite eher defensiv und „vernünftig“ ist.

Quelle        :         TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben       —          Die Illustration zeigt zwei Bildrahmen: 1) Einen übergewichtigen Mann, der allein unter der ihn verbrennenden Sonne in einer wüsten Landschaft zwischen Tierknochen und ohne lebende Tiere oder Pflanzen sitzt 2) Ein Paradies mit vielen verschiedenen Tieren und Pflanzen, die in Harmonie mit Menschen leben Die Illustration wurde für eine Ausgabe eines Vegan-Magazins in Österreich gemacht, aber nicht verwendet. Sie zeigt die Probleme, die durch Tierausbeutung verursacht werden. Ergänzend steht am Bild: „Sie habend die Wahl … noch.“

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Unten          —         Fotoaktion des Aufstands der Letzten Generation vor dem Reichstag, Berlin, 02.07.2022

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Verkauf von Transnet BW

Erstellt von Redaktion am 30. November 2022

Blackrock ist interessiert

Hier kann Kretsche unter den Spaziergängern noch eine Grüne Zukunft erkennen !

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Zum 40. Geburtstag der Grünen wusste Winfried Kretschmann noch, dass die unsichtbare Hand des Marktes das Klima nicht rettet. Den Konsequenzen aus dieser Erkenntnis verweigern sich viele Grüne, nicht zuletzt der Ministerpräsident. Deshalb soll jetzt sogar kritische Infrastruktur verscherbelt werden.

Die gute Nachricht zuerst: „Sie können mal sicher sein: Die Chinesen kriegen es nicht.“ Was Regierungschef Kretschmann sonst noch sagte zu dem Plan des landeseigenen Stromanbieters EnBW, 49,9 Prozent des Transportnetzbetreibers TransnetBW zu verkaufen, zeigt nur, in welche Sackgasse er sich beim Ausbau der erneuerbaren Energien manövriert hat. Eigentlich, so Kretschmann, müssten Milliarden rasch in den Ausbau investiert und sehr zügig neue Infrastruktur geschaffen werden. Aber: „Die Alternative zum Verkauf wäre eine Kapitalspritze durch das Land, ich sehe aber nicht, dass diese Alternative haushaltspolitisch möglich wäre.“

Also dürfen – neben der Idee, einen Teil der TransnetBW an die KfW abzutreten, wenn der Preis stimmt – Private ran. Einer der Interessenten für die TransnetBW-Anteile heißt Blackrock. Dabei hat die Hoffnung, Investoren würden die Energiewende wuppen, den Praxistest noch nie bestanden. Nicht im Zeitalter neoliberaler Blütenträume, als gewachsene Strukturen in der Erwartung zerschlagen wurden, dass fragmentierte Geschäftsmodelle und mehr Wettbewerb eine sichere und noch dazu kostengünstige Versorgung bieten können. Schließlich ist das allererste und wichtigste Interesse privater Geldgeber, dass die Rendite stimmt. Zur Zeit zeigt sich auf dem Atlantik, wohin das führt: Dutzende LNG-Tanker dümpeln wie auf Befehl vor sich hin und steuern keinen europäischen Hafen an – in der Hoffnung kapitalistischer Steuermänner auf einen kalten Winter und weiter steigende Preise. Im Netz ist tagesscharf nachzuverfolgen, dass die europäischen Länder keineswegs schon alle über volle Gasspeicher verfügen. Von der fehlenden Solidarität mit anderen Weltgegenden mal ganz abgesehen, die das Flüssiggas sehr gut gebrauchen, aber nicht ausreichend zahlen können.

Für Baden-Württembergs fehlgeleitete Klimapolitik stehen die Kurven, die Kretschmann neuerdings so gerne in die Kameras hält und die zeigen, wie wenig der Ausbau von Windkraft in der Vergangenheit vorangekommen ist. Sie sollen auch illustrieren, wie wenig Schuld seine Landesregierungen seit 2011 daran trage und wie viel der Bund mit seinen Ausschreibungsbedingungen. Der vom Grünen als hauptverantwortlich ins Visier genommene frühere Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will die Kritik allerdings nicht auf sich sitzen lassen, er sieht vielmehr das Land ob der Zuständigkeit für die Genehmigungsverfahren in Mithaftung. So oder so ist es kurzsichtig, vor allem oder sogar allein auf Investoren zu setzen. Die wollen/müssen Geld verdienen.

1.000 Windräder bis 2026: völlig illusionär

Die EnBW, zu mehr als 99 Prozent in der Hand des Landes, des Zweckverbands Oberschwäbische Elektrizitätswerke und mehrerer kommunaler Kleinaktionäre, baut Windkraftanlagen auf der ganzen Welt, die größten offshore gerade in Großbritannien, onshore in der Türkei oder Schweden. Erhebliche Erwartungen werden mit den Ankündigungen einer Wind-Offensive durch die französische Regierung verbunden. Und fünf Räder sind in Weingarten nordöstlich von Karlsruhe geplant, ab 2024 könnten sie etwa 3.400 Haushalte versorgen. Sie wären dann wenigstens ein Teil jener hundert Anlagen jährlich, auf die sich Kretschmann neuerdings sogar im TV-Talk festlegen lässt. Der Koalitionsvertrag von 2021 hatte noch „bis zu tausend“ bis 2026 versprochen – eine inzwischen völlig illusionäre Zielmarke.

Windpark Stötten

Wenn Erneuerbare aber vor allem anderswo ausgebaut werden als zwischen Main und Bodensee, kommt den Netzen erst recht eine besondere Bedeutung zu. TransnetBW, die frühere EnBW Transportnetz AG, betreibt als eines der vier großen Unternehmen der Republik mit rund 1.200 Mitarbeiter:innen mehr als 3.000 Kilometern Hochspannungsleitungen in Baden-Württemberg. „Wir schaffen Verbindungen“, heißt es in einer der vielen Selbstbeschreibungen, „verstehen uns als Teil der Lösung für das Gelingen der Energiewende und bringen Energie von Nord nach Süd.“ Allein bis 2025 sollen zwölf Milliarden Euro investiert werden, darunter sechs Milliarden Euro in den Netzausbau.

Ein bundesweites Vorzeigeprojekt mit Schlüsselfunktion für die Energiewende sind die 700 Kilometer Erdkabel mit dem klingenden Namen „SuedLink“, deren Umsetzung TransnetBW mitverantwortet. Wenn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) über die angeblich so ähnlichen Probleme der Südschiene bramarbasiert, lässt er wissentlich unter den Tisch fallen, wie weit die Planungsfortschritte dank der Strategie der EnBW und TransnetBW in Baden-Württemberg gediehen sind im Vergleich zu Bayern. „Seit 2014 wurden die Leitungen massiv bekämpft“, weiß Ludwig Hartmann, der Grünen-Fraktionschef im Maximilianeum. Söders Vorgänger Horst Seehofer bestritt vor Jahr und Tag sogar ganz schlicht deren Notwendigkeit.

Der Ausbau des Netzes ist den Grünen zu teuer

Über die Bedeutung des heimischen Netzbetreibers ist sich Baden-Württembergs Landesregierung jedenfalls im Klaren. Das Unternehmen trage wesentlich zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit, dem Voranbringen der Energiewende und der Bezahlbarkeit von Strom bei, antwortet Gisela Splett, grüne Staatssekretärin im Finanzministerium, dieser Tage auf eine parlamentarische Anfrage der SPD-Landtagsfraktion. Zum Ausbau des Übertragungsnetzes seien „voraussichtlich sehr signifikante Investitionen zu leisten“, und vor diesem Hintergrund könne „eine potenzielle Transaktion dazu beitragen, die Finanzierung zu gewährleisten“.

Quelle       :        KONTEXT-Wochenzeitung         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —   Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

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Der imperiale Lebensstil

Erstellt von Redaktion am 30. November 2022

Andreas Malm und die Pipeline + Die Superreichen + Der imperiale Lebensstil

Die Lobbyisten und Politischen Pharisäer

Quelle:    Scharf  —  Links

Von :  Udo Hase

Vorwort  —   Wenn wir von Klimagerechtigkeit reden, geht es vielen Linken unausgesprochen in erster Linie um sozial benachteiligte Menschen innerhalb der westlichen Welt. Das ist jedoch nicht mehr als die Fortsetzung der Weltsicht des postkolonialen Kapitals. Besonders beliebt ist diese Sicht bei den s.g. konservativen Linken.

Aber auch außerhalb dieser Kreise gibt es ein paar Lieblingsargumente linker Klimainteressierter, die sich in erster Linie an den hergebrachte Feindbildschablonen orientieren. Klar, das Kapital, die Superreichen, die Konzerne sind richtig benannt. Dabei wird jedoch allzu oft ausgeblendet, dass es in den Industrieländern ohne deutliche Veränderung des imperialen Lebensstiles und der ihn stützenden Narrative vom Wohlstand durch materiellen Verbrauch nicht gehen wird. Ein weiterer Punkt, der bei Linken fast regelhaft auftaucht, ist eine unkritische, dem bürgerlichen Mainstream entnommene Haltung zu den taktischen Notwendigkeiten im aktivistischen Kampf gegen die Verursacher der Klimakatastrophe. Fest steht, die Welt segelt auf Geheiß der vom Kapital korrumpierten Regierungen stabil auf einem 3,5o – 5Celsius – Kurs. Der wird uns nach unendlichem Leid für Milliarden Menschen am Ende alle umbringen. Jetzt radikal im Sinne des Wortes werden und langfristig den Gerechtigkeitsaspekt begreifen und würdigen, dass ist das Gebot der Stunde – auch und vielleicht vor allem für Linke und somit auch für DIE LINKE.

Andreas Malm1 und die Pipeline / Malm im Wortlaut: „Das Problem der Gewalt der Klimakrise ist: Sie geschieht nicht von Angesicht zu Angesicht. Wir werden nie einen achtminütigen Videoclip sehen, wo der Chef einer Ölfirma einen mosambikanischen Bauern erwürgt. Wir haben eine über die Atmosphäre vermittelte Gewalt, und wir sind nach wie vor in dem Denken befangen, dass sich die Verfeuerung von fossilen Brennstoffen in Luft auflöst, folgenlos bleibt, solange wir die Folgen nicht sehen. Und die spielen sich am stärksten fern von den Verursachern ab, im globalen Süden.“

„Bewegungen, die tief verankerte Strukturen verändern wollten, haben in der Geschichte immer eine Komponente der Sachgewalt gehabt: von der Abschaffung der Sklaverei über die Suffragetten bis zu den Kämpfen der Arbeiterklasse im frühen 20. Jahrhundert. Ohne drohende Revolte gibt es selten Reformen.“

Oxfamstudien und die Superreichen / Die Schuld an der globalen Erwärmung ist ungleich verteilt. Zumindest die Superreichen unter der Weltbevölkerung haben wesentlich größeren Anteil am Klimawandel als die Armen. Das geht aus einer Studie der Wohltätigkeitsorganisation Oxfam hervor. Demnach verursacht ein Milliardär „so viel Treibhausgase wie eine Million Menschen aus den ärmeren 90 Prozent der Weltbevölkerung“.

Insgesamt würden die 125 untersuchten Milliardäre für 393 Millionen Tonnen Treibhausgase jährlich sorgen, heißt es im Bericht „Carbon Billionaires: The investment emissions of World’s richest people“, den Oxfam anlässlich der aktuellen UN-Weltklimakonferenz „COP 27“ im ägyptischen Scharm El-Schaich veröffentlicht hat. Das entspreche der Menge, die Frankreich pro Jahr an Treibhausgasen emittiere. „Schon die Emissionen, die Milliardär*innen durch eigenen Konsum mit Privatjets, Superjachten und Luxusvillen verursachen, betragen das Tausendfache der weltweiten pro-Kopf-Emissionen“, sagt Manuel Schmitt, Referent für soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland. „Wenn man sich zudem die Emissionen ansieht, die durch ihre Investitionen mitverursacht werden, sind ihre Treibhausgasemissionen um ein Vielfaches höher“. Sie entsprächen „dem Treibhausgas-Fußabdruck ganzer Länder“, so der Referent.

Das Studienergebnis ist für Oxfam Anlass auch für Kritik und Forderung an die Politik. „Die maßgebliche Rolle extremer sozialer Ungleichheit und insbesondere die enorme Verantwortung der Superreichen für die Klimakrise werden in der Politik kaum berücksichtigt“, so Schmitt. Das müsse sich ändern. „Die Superreichen müssen besteuert und Investitionen so reguliert werden, dass sich Geldanlagen, die den Planeten zerstören, nicht mehr lohnen oder verboten werden. Die Regierungen müssen außerdem Unternehmen zu Rechenschaftspflicht und Transparenz und zur radikalen Reduzierung ihrer Emissionen verpflichten.“ Genaugenommen muss so etwas wie „Superreichtum“ komplett verboten werden.

Die Sache mit den Essgewohnheiten als Exemplar des imperialen Lebensstils 

Dass Fleisch nicht so gut fürs Klima ist, wissen wir bereits. Aber vielleicht macht es die Menüwahl künftig einfacher, zu wissen, wie viel Fleisch denn nicht so gut fürs Klima ist. Das hat der WWF längst ausrechnen lassen und in einer neueren Studie veröffentlicht.

Ihr ernährt euch vegan? Dann braucht ihr im Grunde nicht weiterzulesen, außer ihr benötigt harte Zahlen, um andere zu bekehren. Ihr ernährt euch vegetarisch? Auch ganz gut. Aber nicht einmal das erwarten die Autorinnen und Autoren der WWF Studie. Sie sagen: Wenn alle Flexitarier wären, dann würde das dem Klima schon mal ganz schön helfen. Aber was heißt eigentlich flexitarische Ernährung? Eigentlich nur: Der Verzicht auf tierische Lebensmittel ist die Regel, alles andere Luxus und darf ab und an mal sein. 817 Gramm Fleisch essen die Deutschen in der Woche – also Dinge wie Steaks, Wurst und Parmaschinken. Das wirkt sich allerdings äußerst schlecht aufs Klima aus und verursacht siebzig Prozent der Treibhausgase, die auf die Ernährung zurückzuführen sind. Als flexitarisch wird in der Studie eine Ernährung mit etwa der Hälfte des jetzigen Konsums bezeichnet, 470 Gramm Fleisch pro Monat. Zwei Buletten (Frikadellen, Fleischpflanzerl) und zwei Bratwürste wären das in etwa.

Eine solche Ernährungsform könnte den Ausstoß an ernährungsbedingten Treibhausgasen um 56 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduzieren, also um ganze 27 Prozent. Eine beträchtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass die deutsche Landwirtschaft insgesamt 66 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente2 jährlich ausstößt. Mit einer Umstellung der Ernährung auf flexitarisch würde auch ein deutlich geringerer ernährungsbedingter Platzbedarf in Deutschland einhergehen: Fast 30.000 Quadratkilometer wären das, eine Fläche, etwas größer als Brandenburg.

Neben der Halbierung des Fleischkonsums legt der WWF nahe, mehr Hülsenfrüchte und Nüsse zu essen. Moment mal: Zählt zu den Hülsenfrüchten nicht auch Soja, einer der größten Klimakiller? Ja, allerdings nur, weil 96 Prozent als Tierfutter angebaut werden. „Soja für Tierfutter ist der mit Abstand größte Treiber für Emissionen aus veränderter Landnutzung“, so Tanja Dräger de Teran vom WWF. „Ergo liegt hier auch der effektivste Hebel für den Einstieg in eine Ernährung, die Klima und Biodiversität besser schützt.“

Gefordert wird ein Paradigmenwechsel in der Ernährung: Nicht eine Ernährung mit, sondern eine ohne Fleisch solle als normal gelten. „Beim Catering für Veranstaltungen oder auf Reisen gibt es automatisch ein vegetarisches Menü. Wer Fleisch möchte, kreuzt das extra an“. Ein Umstand, der Menschen mit einer veganen oder vegetarischen Ernährung sicher entgegenkäme.

Empfehlungen für gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit / Für die Studie wurden erstmals die Empfehlungen der Eat-Lancet-Kommission berücksichtigt. Diese Richtlinien wurden von Expertinnen und Experten unterschiedlicher, die Ernährung betreffender Bereiche aus 16 Ländern erstellt und zeigen, wie eine gesunde Ernährung unter Berücksichtigung der globalen Ressourcen und ihrer Grenzen funktionieren kann. Für alle Menschen, also nicht nur für Nordamerikaner, Europäer und andere globale Postkolonisatoren. Hintergrund ist zum Beispiel die oft gestellte Frage, ob der Proteinbedarf des Menschen ohne tierische Ernährung gedeckt werden könne. Die Antwort ist eindeutig: Ja – pflanzliche Proteine (Hülsenfrüchte, Nüsse) sind völlig ausreichend.

Die Studie weist außerdem darauf hin, dass die Auswirkungen unserer Ernährung auf das Klima nicht nur an den Polkappen oder in warmen Gefilden zu spüren sind, sondern auch vor unserer eigenen Haustür. Die Folgen der Dürrejahre 2018 – 2022 hätten nicht nur für erhebliche Ernteausfälle gesorgt, sondern auch in den Folgejahren nachgewirkt. Wenn wir zur Nahrungsproduktion Wasser verbrauchen, ist der Futtermittelanbau ein gigantischer Verschwender.

Kuhfutter statt Kullererbsen / Aber Fleisch hat etwas, was Linsen und Bohnen nicht haben: Nämlich verdammt viel Platzbedarf an den landwirtschaftlich nutzbaren Böden der Erde. Ein großer Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche weltweit wird verwendet, um Lebensmittel aus tierischen Produkten herzustellen – und dazu zählen auch Milchprodukte. 83 Prozent der Flächen sind es zusammen, haben die Forschenden ausgerechnet. Den Rest dürfen sich Getreide, Radieschen, Gurken und Melonen für den menschlichen Verzehr teilen.

Effektive Ernährung mit Erbsen / Es könnte so viel besser sein, dachten sich Forschende der New York University und machten sich dran, zu berechnen, wie viel Fläche denn eigentlich genau auf der Erde zu finden ist, die erheblich effizienter als für Tierprodukte einzusetzen wäre. Denn Nutzfläche ist nicht gleich Nutzfläche. Das Forschungsteam ist davon ausgegangen, dass auf gewonnenen Flächen auch Wald entsteht, der sich wiederum positiv auf das Klima auswirkt. Die Chancen, dass Wald die Flächen besiedelt und sich vermehrt und damit ein nachhaltiges Ökosystem mit sich zieht, sind nicht überall gleich. Gerade in Ländern mit mittlerem und hohem Einkommen, stehen jedoch die Chancen besonders gut. Konkret heißt das: Wir müssten unsere Ernährung umstellen, hin zu pflanzlichen Proteinen, die dramatisch weniger Platz benötigen als der „Umweg“ über die Tierproduktion. Die gewonnenen Flächen müssen wir zu guten Teilen dem Wald zu Verfügung stellen. Uns wird es also an Nährstoffen nicht mangeln, wir würden sie nur effizienter gewinnen und damit einen doppelten Effekt auf das Klima erzielen: Weniger Flächenverbrauch mit höheren Protein- und Kalorienerträgen und Flächen zur Ansiedlung von Wäldern, die das Klima positiv beeinflussen. Von den Methanfürzen der Schweine- und Rindermassen ganz zu schweigen.

Kampf fürs Klima – und gegen Pandemien / Immerhin würde dadurch ein weltweites Potenzial von sieben Millionen Quadratkilometern Wald entstehen. Das ist eine Fläche, die so groß wie Australien ist. Den Berechnungen zu Folge würden dadurch jahrzehntelange Luftverschmutzung sogar rückgängig zu machen sein. Wenn, wie im flexitarischen Szenario, die Nachfrage nach Fleisch drastisch sinken würde – und damit auch der Landbedarf – könnten neun bis 16 Jahre CO2-Emissionen kompensiert werden. Das wäre ein gewaltiger Schritt im Kampf gegen den Klimawandel. Hier geht es vor allem darum, regional zu beurteilen und zu entscheiden, was sinnvoll ist. Es gibt Regionen auf der Welt, in der Tierhaltung kulturell und wirtschaftlich wichtiger ist als in Europa und die Kompensationsmöglichkeiten für diese Veränderungen unterscheiden sich, je nach „Wohlstand“ erheblich.

Also sollten wir uns an unsere eigenen, westlichen Nasen fassen. „Die Wiederherstellung der einheimischen Vegetation auf ertragsarmen landwirtschaftlichen Flächen ist derzeit unsere sicherste Möglichkeit zur Entfernung von CO2“, sagt Helen Harwatt, Co-Autorin der Studie. William Ripple, Mitautor, ergänzt, dass so nicht nur der Klimawandel bekämpft werden könne: „Eine geringere Fleischproduktion wäre auch für die Wasserqualität und -quantität, den Lebensraum der Wildtiere und die Artenvielfalt von großem Vorteil.“

Voraussetzung ist ein Umdenken in der kritiklosen Übernahme hergebrachter Ernährungs- gewohnheiten und die Auseinandersetzung mit der eigenen Fleischlust. Das galt bislang, trotz einer steigenden Zahl von Vegetariern und Veganern als eher aussichtslos. Gerade vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie könnten hier aber die Karten auch neu gemischt werden und mehr Menschen zu einem Umdenken bereit sein, wenn einmal klar gemacht wird, dass exzessiver Fleischkonsum zwangsläufig zu Pandemien führt und weiterhin führen wird. Denn, so die Forschenden, man wisse jetzt, dass intakte Ökosysteme und ausreichende Lebensräume für Wildtiere eine elementare Voraussetzung sind um Pandemien zukünftig zu vermeiden.

1 Andreas Malm (* 1977 in der Gemeinde Mölndal[1]) ist ein schwedischer HumangeographHumanökologe, Politikjournalist und Sachbuchautor. Der promovierte Wissenschaftler lehrt als Senior Lecturer im Master-Studium Humanökologie an der Universität Lund. Als politischer Journalist war er der syndikalistischen Sveriges Arbetares Centralorganisation verbunden und schrieb für die wöchentlich erscheinende anarchosyndikalistische Zeitung Arbetaren, 2010 trat er in die trotzkistische Socialistiska Partiet (SP) ein und begann für deren Wochenzeitung Internationalen zu schreiben. Malm ist zudem Autor des sozialistischen US-amerikanischen Magazins Jacobin. Als Sachbuchautor setzte er sich anfangs kritisch mit der Nahostpolitik auseinander und wandte sich dann dem Zusammenhang von Klimakrise und Kapitalismus zu. Rahel Jaeggi nennt ihn eine prominente Stimme eines erneuerten ökologischen Marxismus. Basierend auf seinem gleichnamigen Buch entstand 2022 der Thriller How to Blow Up a Pipeline, inszeniert von Daniel Goldhaber. Die Uraufführung erfolgte am 10. September 2022 beim Toronto International Film Festival 2022 in der Sektion Platform.

2 Was ist ein CO2-Äquivalent? So bezeichnet man das Treibhauspotenzial – den relativen Beitrag zum Treibhauseffekt, also welche Masse eines oder mehrerer Gase (z.B. Methan durch Rinderhaltung) die Wirkung einer Vergleichsmasse CO2 hat, was den Beitrag zur globalen Erwärmung betrifft.

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Oben      —      Церемония открытия газопровода «Северный поток».

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COP 27 / eine UN Farce

Erstellt von Redaktion am 25. November 2022

Die 636 Lobbyisten der Fossilindustrie wurden unterschätzt

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Von      : Peter Gerber /   

An der Klimakonferenz COP27 bremsten neben China jene, die mit fossilen Energieträgern viel Geld verdienen.

Die neueste Klimakonferenz in Ägypten ging ohne Fortschritte für den Klimaschutz zu Ende. In seiner Spiegel-Kolumne «Im Hintergrund agieren die Saboteure» spürt Kolumnist Christian Stöcker die Verantwortlichen auf. Neben China, das pro Einwohner nach Australien, Kasachstan, Südafrika, Russland und Polen am meisten Kohle fördert, richtet Stöcker den Blick auf folgende Zahl: In Sharm el-Sheikh nahmen 636 Lobbyisten von Öl-, Gas- und Kohlekonzernen teil. Das waren 25 Prozent mehr als im Vorjahr, wie die Umweltorganisation Global Witness errechnete. Sie kritisierte, dass COP27 in diesem Jahr zu einer Lobbying-Veranstaltung wurde. Damit war die fossile Lobby mit mehr Leuten an der Klimakonferenz vertreten als die zehn am meisten vom Klimawandel betroffenen Staaten zusammen.

Einige von ihnen seien sogar Teil der offiziellen Delegationen der Staaten gewesen, hatten also Zutrittsrechte zu Räumlichkeiten, die Medien oder NGOs versperrt blieben. So war etwa der CEO des Ölkonzerns BP, Bernard Looney, als Teil der mauretanischen Delegation nach Sharm el-Sheikh gereist. Insgesamt nahmen rund 4500 Personen an der Konferenz teil.

Der Spiegel-Kolumnist zeigt auf, welche Rolle der Lobbyapparat der Fossilindustrie generell spielt:

  • Einfluss auf Wissenschaft und Forschung: Durch die Fossilbranche finanzierte Forschungsinstitutionen erstellen bezahlte Auftragsstudien. Diese «widerlegen» in schöner Regelmässigkeit die Ergebnisse unabhängiger Institute.
  • Einfluss auf die Justiz: Als «Bürgerklagen» getarnte juristische Einsprachen gegen Grossprojekte zur Erzeugung erneuerbarer Energie. Solche Verhinderungstaktiken werden oft massgeblich durch Öl- und Gaskonzerne und deren Lobbys (mit-)finanziert und organisiert.
  • Einfluss auf die Medien: Die Fossilindustrie bestimmt beispielsweise mittels teurer Inseratekampagnen Medieninhalte mit und manipuliert dadurch die öffentliche Meinungsbildung.
  • Drehtürphänomene: Es bestehen enge personelle Netzwerke zwischen Industrie, Behörden, Politik und Forschung.

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KOMMENTAR

Ohne dieser Auflistung von Lobbying-Strategien ihre Relevanz abzusprechen sei die Bemerkung erlaubt: All dies ist bereits seit langem bekannt und hat wenig mit dem konkreten Anlass des Klimagipfels zu tun. Wirklich interessant wäre es gewesen zu erfahren, wie die Lobbyarbeit an solchen Konferenzen im Detail abläuft. Wer spricht mit wem und welche Vereinbarungen und Partnerschaften werden geschlossen? Welche Gelder fliessen woher und wohin? Klar: Die entscheidenden Gespräche in der Politik finden mehrheitlich hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Journalist/-innen statt und selbstverständlich hat eine Kolumne keinen investigativ-journalistischen Anspruch.

Auch verwendet der Autor den Begriff «Roh-CO2» anstatt von Rohöl und Rohkohle zu reden. Mit der Förderung und dem Verkauf von «Roh-CO2» würden die erwähnten Interessensgruppen der Fossilindustrie viel Geld verdienen. Mit Verlaub: So etwas wie «Roh-CO2» gibt es nicht und kann folglich auch nicht verkauft werden. CO2 entsteht (unter anderem) bei der Verbrennung von kohlenstoffhaltigen Brennstoffen. Dies gilt z.B. auch für Holz (das als nachwachsender Rohstoff als CO2-neutral gilt) und Plastik. Die Umweltschäden unterscheiden sich je nach Energieträger sehr stark. Die Fossilindustrie verdient ihr Geld mit der Förderung und dem Verkauf von fossilen Brennstoffen. CO2 hingegen wird – wenn man so will – im CO2-Zertfikathandel verkauft. Dieses Marktinstrument gilt gemeinhin als Teil der Lösung des Klimaproblems.

Sprachliche Polemik mittels Begriffsneuschöpfungen, die an Fakenews grenzen, ist im Zusammenhang mit der Zerstörung unserer Lebensgrundlage nicht hilfreich. Erst recht nicht, um eine Diskussion zu führen, die auf Lösungsfindung – und nicht auf Spaltung – ausgerichtet ist.

Dabei geht der eigentliche Skandal fast ein wenig unter: Lobbyismus wird immer noch toleriert, ja, er ist legal, obwohl er dem Gemeinwohl zutiefst schadet.

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Förderung von Kohle pro Einwohner © Kohleförderung: energiestatistik.enerdata.net/iea.org. Grafik: GusmoFREIE NUTZUNGSRECHTE

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Grafikquellen        :

Oben      —   נשיא המדינה יצחק הרצוג, נואם במליאה המרכזית בכנס COP27 במצרים. יום שני, י“ג בחשוון תשפ“ב, 7 בנובמבר 2022. קרדיט צילום: חיים צח/לע“מ.

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Ernüchterndes bei COP27

Erstellt von Redaktion am 22. November 2022

Im Hintergrund agieren die Saboteure

Ein geistiger Rein – ganz ohne Durch – fall

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Die Klimakonferenz von Scharm al-Scheich endet mit einer Enttäuschung – und das hat seine Gründe. Es wird Zeit, die Saboteure klar zu benennen. Zumal nachweisbar ist, wie sie agieren.

Die Klimakonferenz in Ägypten ist zu Ende, und das Ergebnis ist durchwachsen. Nach rund zwei Wochen harter Verhandlungen einigten sich die Delegierten auf einen eigenen Finanztopf, aus dem arme Länder einen Ausgleich erhalten sollen für Verluste und Schäden, die durch den Klimawandel entstehen. Doch der Erfolg hat einen hohen Preis: Beim Klimaschutz, also dem Ausstieg aus fossilen Energien und dem Runterfahren von Emissionen, gab es kaum Fortschritte.

Eine entscheidende Rolle bei dieser Konferenz spielte einmal mehr China , dem mittlerweile größten CO₂-Emittenten des Planeten. Doch das Land allein verantwortlich zu machen, das wäre ein weiterer Erfolg für die, die in Wahrheit die größte Schuld tragen.

Ein Hinweis auf die tatsächliche Lage: In Scharm al-Scheich waren 636 Lobbyisten von Öl-, Gas- und Kohlekonzernen  akkreditiert.

Legitime Ziele für die Klimawut

Die anscheinend so komplexe Landschaft der Klimapolitik teilt sich, wenn man von China einmal absieht, in zwei sehr übersichtliche Lager: All diejenigen, die tatsächlich aus fossilen Brennstoffen aussteigen wollen, so schnell wie möglich. Und all diejenigen, die mit der Förderung und dem Verkauf von Roh-CO₂ Geld verdienen, und deren Handlanger in Medien, Politik und Randgebieten der Wissenschaft.

Die letztere Gruppe ist dafür verantwortlich, dass viele Menschen auf diesem Planeten immer noch nicht begriffen haben, wie gefährlich unsere Lage ist.

Wer zahlt, schafft an

Ein paar aktuelle Beispiele: In »Nature Climate Change« erschien kürzlich eine Studie , die nachweist, was passiert, wenn Unternehmen aus der Fossilbranche Energieforschung finanzieren. Forschungszentren, die von der Gasbranche gefördert werden, »bevorzugen in ihren Berichten Erdgas gegenüber erneuerbaren Energien«. Bei tatsächlich unabhängigen, nicht von fossilen Interessensgruppen finanzierten Forschungseinrichtungen, »zeigt sich das gegenteilige Muster, mit einer neutraleren Einstellung zu Erdgas und einer Bevorzugung von Solarenergie und Wasserkraft.«

Mit anderen Worten: Die Fossilbranche kauft sich Ergebnisse, die ihren Interessen dienen sollen. Immer noch.

Sabotage mit allen erdenklichen Mitteln

Waren diese Saboteure auch alle dort – obwohl bei denen alles schon in Trockenen liegt ?

Gleichzeitig sabotieren Vertreter fossiler Interessen weiterhin den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das hat seinen Grund: Erneuerbare Energien sind mittlerweile konkurrenzlos billig. Es ist also im Interesse derer, die weiterhin CO₂ verkaufen wollen, diesen Umstand zu verschleiern oder zumindest seine Umsetzung in politisches und wirtschaftliches Handeln zu verhindern.

Aktuelles Beispiel: In den USA gibt es derzeit diverse Klagen von »Anwohnern« gegen Offshore-Windkraftanlagen. Der Ausbau erneuerbarer Energien soll also mit dem Rechtssystem als Bremsklotz behindert werden. Dieses Vorgehen kennen wir auch aus Deutschland.

In den USA zeigt sich bei genauem Blick ein Muster: Hinter vielen Klagen stecken in Wahrheit Interessenvertreter der Fossilbranchen. Dort klagen »Anwohnergruppen« derzeit aus vielfältigen Gründen gegen Windkraftanlagen auf hoher See: Zum »Schutz der Wale«, weil ein Offshore Windpark angeblich den Immobilienpreisen schade (in Wahrheit tut das die Klimakrise ) oder zugunsten der lokalen Fischereibranche.

Mitfinanziert werden solche Klagen  immer aus der gleichen Richtung: aus der US-Öl- und Gasbranche, beziehungsweise von deren absichtlich undurchsichtigem Geflecht aus »Think Tanks«, »Stiftungen«, »Instituten« und »Fonds«. Oft haben sich die gleichen Gruppen nur wenige Jahre zuvor noch für großzügige Regelungen für Ölforderung  vor der Küste eingesetzt – an den gleichen Stellen, an denen sie Windparks nun angeblich für gefährliche Umweltsünden halten.

Netz aus Tarnorganisationen

Die Szene ist auch international hochgradig vernetzt. Der US-Amerikaner John Droz , der seit mehr als zehn Jahren gegen Solar- und Windenergie agitiert, Zweifel am menschengemachten Klimawandel sät und auch andere in der Kunst der Agitation ausbildet , tritt auch beim Deutschen »EIKE«-Institut auf. Einer Organisation von Klimawandelleugnern- und Abwieglern, der heute zum Glück nur noch die AfD zuhört. Droz ist eine Art Coach für Klimawandelleugner und (dem Anschein nach) Ein-Mann-Lobbyist in einem.

Er behauptet weiterhin, dass Wind- und Sonnenenergie in Wahrheit gar nichts bringen – eine groteske Position angesichts der Tatsache, dass etwa Deutschland mittlerweile fast die Hälfte seiner Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien bestreitet . Ansonsten behauptet er in seinem Newsletter, dass die USA gerade vom Kommunismus überrannt werden, weil die Republikaner bei den Kongresswahlen so schlecht abgeschnitten haben.

Quelle       :          Spiegel-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben     —   IAEA at the United Nations Climate Change Conference 2022 in Sharm El-Sheikh, Egypt. 9 November 2022 Photo Credit: David Nieto / IAEA

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2.) von Oben       —         Церемония открытия газопровода «Северный поток».

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Prima Klima und die Politik?

Erstellt von Redaktion am 20. November 2022

Kein Wetter für Klimaproteste ?

Könnten  diese Sätze von Lindner oder Scholz gesprochen werden?

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Wie die herbstliche Witterung mit der aktuellen Repression gegen die Klimabewegung zusammenhängt. Ein paar Gedanken zur Transformation des Wetters zum politischen Faktor.

Vorbeugende Aufstandsbekämpfung – auf diesen etwas in Vergessenheit geratenen Begriff brachten linke Zusammenhänge in den vergangenen Jahren all die Polizeigesetze, die derzeit gegen Klimaschützer Anwendung finden. 30 Tage Knast müssen 13 Aktivisten der „Letzten Generation“ im sogenannten Präventivgewahrsam erdulden,1 da laut richterlichem Beschluss Gefahr bestehe, dass sie sich erneut an Blockadeaktionen in München beteiligen könnten.

Dass Menschen im Gefängnis „vorbeugend“ landen können, ist eine relativ neue Strafrechtsverschärfung, die erst 2018 im Rahmen des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes im Eilverfahren von der CSU durchgepeitscht worden ist.2 Damals regte sich noch Protest gegen diese polizeistaatlichen Gesetzesverschärfungen, die den bürgerlich-rechtsstaatlichen Grundsatz aushöhlen, wonach Bürger nur für wirklich begangene Straftaten mit Gefängnisstrafen belegt werden können. Etliche zivilgesellschaftliche Organisationen haben damals Verfassungsbeschwerde eingereicht – vergebens.3 Diese Regelung zum Präventivgewahrsam, die ursprünglich aus gutem Grund in dem Strafrecht der BRD nicht vorkam, weckt nämlich schlicht Erinnerungen an die Schutzhaft der Nazis.

In den vergangenen Jahren haben die meisten Bundesländer ähnliche Regelungen eingeführt, die in der geschichtsvergessenen öffentlichen Debatte längst zur „Normalität“ geronnen sind.4 An der aktuellen Repression und Medienkampagne gegen die Blockierer der „Letzten Generation“ kann somit das Ineinandergreifen von Strafrechtsverschärfungen, polizeistaatlichen Tendenzen, schleichendem Demokratieabbau und der Krisenhaftigkeit des Spätkapitalismus studiert werden. Deswegen ist der Begriff der „vorbeugenden Aufstandsbekämpfung“ so passend. Die kapitalistischen Funktionseliten trauten schon vor einer halben Dekade ihrem eigenen System nicht, sie hatten ein schärferes Krisenbewusstsein als weite Teile der krisenblinden deutschen Linken (Der Staatsapparat bildet dabei ein autoritäres und repressives „Krisenbewusstsein“ aus, das ganz auf die Aufrechterhaltung der „öffentlichen Ordnung“ in der Dauerkrise ausgerichtet ist).5

Längst werden weitere Strafrechtsverschärfungen diskutiert. Der Extremismus der Mitte schlägt dabei hohe Wellen.6 Wirtschaftslobbyisten und Politiker der CDU und FDP fordern eine Verallgemeinerung des Vorgehens der bayrischen Justiz, um künftig Klima-Aktivisten generell für 30 Tage im Gewahrsam festhalten zu können.7 Die CSU fabuliert inzwischen von einer „Klima-RAF“,8 während der „freiheitliche“ Justizminister Marco Buschmann (FDP) laut über Gefängnisstrafen für Klimademonstranten nachdenkt.9 Eingebettet sind diese repressiven Vorstöße in eine rechte Medienkampagne, bei der Klimaaktivisten für Verkehrsunfälle in den Staus verantwortlich gemacht werden, bei den Blockadeaktionen entstehenden.10 Hinzu kommen offensiv in den Medien verbreitete Umfragen, laut denen ein Großteil der Bevölkerung die Protestformen der „Letzte Generation“ ablehnt.11

Es handelt sich offensichtlich um eine Kampagne der üblichen rechten Verdächtigen von Springer („Klima-Chaoten!“),12 über CDU/CSU („Fünf Jahre Haft!“) bis zur AfD („Alles verbieten!“) gegen die Klimaschützer,13 die auch schlicht die Gunst der Stunde nutzen, um die Klimabewegung dauerhaft zu schwächen und möglichst rasch dauerhafte Repressionsinstrumente zu etablieren. Die Zeit dafür ist nämlich gerade günstig – denn es ist kalt. Mit der herbstlichen Witterung und dem Krieg in der Ukraine verdrängen die Sorgen um die Heizkosten, um die strauchelnde Wirtschaft die Angst vor der Klimakatastrophe. Der diesjährige Horrorsommer gerät in der Bevölkerung, die dank kulturindustriellen Dauerbombardements ein öffentliches Erinnerungsvermögen von wenigen Wochen hat, schlicht in Vergessenheit. Die Vielfalt der ökologischen, sozialen und politischen Verwerfungen, in denen sich die kapitalistische Systemkrise14 manifestiert, führt schnell zu Orientierungslosigkeit und einem regelrechten „crisis-hopping“, sofern die systemischen Krisenursachen15 ausgeblendet bleiben.

Im letzten Sommer auf der Nordhalbkugel, als die Flüsse Europas trocken lagen, als die Feuer wüteten und als die Hitze immer mehr Todesopfer forderte,16 wäre ein solches Vorgehen gegen die Klimabewegung unmöglich gewesen. Die durch Hetzkampagnen generierten Mehrheiten, die sich nun hinter den Rufen nach härterem Strafen manifestieren, wären schlich nicht zustande gekommen, als die Bundesrepublik unter der inzwischen üblichen sommerlichen Hitzewelle und Feuersaison litt (Der einstmalige „Sommer“). Mit einer Repressionskampagne im November, also in der dunklen Jahreszeit, die früher „Herbst“ hieß, nachdem im Oktober angenehme, weit über den historischen Durchschnittswerten liegende Temperaturen herrschten17, nutzt die Rechte schlicht ein Zeitfenster zur Schaffung neuer, autoritärer Fakten. Die Entdemokratisierung und das Einüben neuer Repressionsmethoden müssen etabliert werden, bevor das nächste Extremwetterereignis, die nächste Hitzewelle und Dürre die Menschen mit aller Macht daran erinnern, dass die Klimakatastrophe weiter munter voranschreitet.

Das Wetter ist somit zu einem politischen Faktor geworden – es bringt schlicht Vorteile, die Witterung bei relevanten Themen zu berücksichtigen. Das liegt vor allem daran, dass die jahrzehntelange Argumentationskette, wonach Klima und Wetter zwei verschiedene Dinge seien, nicht mehr greifen kann. Zu deutlich manifestiert sich die Klimakrise in den konkreten Wetterphänomenen, als dass diese Halbwahrheit, die von Klimaleugnern gerne instrumentalisiert wurde, noch greifen könnte (Kein einziges extremes Wetterereignis weist sich ja selbst als Folge der Klimakrise aus). Die Repression der Klimabewegung muss zu einer Jahreszeit erfolgen, wenn die Bevölkerung sich Sorgen darum macht, wie die Wohnung zu heizen ist, ohne in Privatinsolvenz zu geraten.

Bei diesem politischen Wetter-Kalkül handelt es sich aber um einen objektiv gegebenen Faktor, um einen sich in der voranschreitenden Klimakrise ausformenden politischen Hebel, der auch von progressiven Kräften betätigt werden kann. Die nächste Feuer-, Hitze-, und Dürresaison kommt bestimmt, was auch die inzwischen katastrophale Züge annehmende Klimakrise zwangsläufig ins Zentrum der öffentlichen Debatte rücken wird. Und das werden die Witterungsverhältnisse sein, unter denen die Klimabewegung in die Offensive treten kann, in denen die meisten Menschen, die über keine Klimaanlage verfügen, ganz selbstverständlich viel Verständnis für radikale Protestformen aufbringen werden. Das Wetter ist somit hochpolitisch geworden. Alle werden hiervon reden,18 es in ihr politisches Kalkül und ihre aktivistischen Planungen als wichtigen Faktor aufnehmen. And the joke is on you, liebe 68er samt der anachronistischen, sozialdemokratischen Umverteilungs-Linken.19

Deswegen verfehlen die Verweise auf derzeit schlechte Umfragewerte der Klimabewegung, mit denen linksliberale Medien oder die „Bewegungsmanager“ der Linkspartei20 die Klimablockierer von ihren den alltäglichen kapitalistischen Betriebsablauf störenden Protestformen abbringen wollen, den Kern dieser politischen Wetterdynamik. Das Gerede von dem „Bärendienst“, den die „Letzte Generation“ der Klimapolitik erweisen solle, ist hohl. Die Klimakrise wird gänzlich unbeeindruckt von der Meinung des deutschen Bürgers über das Klima weiter voranschreiten, was auch die Stimmung in der Bevölkerung buchstäblich kippen lassen wird – ähnlich den klimatischen Kipppunkten des globalen Klimasystems. Schon die verheerende Flutkatastrophe in Westdeutschland und Bayern, die die Bundesrepublik 2021 mitten im Wahlkampf traf, kann durchaus als ein politischer Faktor, der den „Grünen“ Auftrieb verschaffte, begriffen werden.21

Die Klimakrise wird bei ihrem Voranschreiten der Klimabewegung weiterhin Zulauf bescheren – und das hat seine simple Ursache vor allem darin, dass der Kapitalismus aufgrund seines Wachstums- und Verwertungszwangs22 schlicht nicht in der Lage ist, die Klimakrise irgendwie zu bewältigen.23 Kapital ist der sich selbst verwertende Wert. Es ist das Geld, das durch Verfeuerung von Energie und Rohstoffen in der Warenproduktion zu mehr Geld werden muss. Es kann sich an nahezu alles anpassen, nur nicht an sich selbst. Deswegen steigen global die CO2-Emissionen weiter an, wobei dieser Emissionsanstieg nur durch Weltwirtschaftskrisen kurzfristig unterbrochen wurde.

Niemand hat doch gesagt, das in den Kinderwagen ein Politiker hätte sitzen können.
Wenn er es denn hätte wollen. Weiter Sooo.

Das Festkleben auf den Straßen, das die „Letzte Generation“ praktiziert, ist eine aus dem Mut der Verzweiflung geborene Protestform, und sie kontrastiert mit der geradezu entwaffnenden politischen Naivität der Gruppe, die schlichte Appelle an die politischen Funktionsträger richtet, die Klimakrise doch zu lösen. Selbst der Verfassungsschutz musste trotz der aktuellen rechten Kampagne schlicht feststellen, dass diese Gruppe nicht „extremistisch“ ist, da sie schlicht „Funktionsträger zum Handeln auffordert“.24 Das Problem bei dieser Herangehensweise besteht aber darin, dass die politischen Funktionsträger aufgrund der obig genannten kapitalistischen Systemwidersprüche nicht in der Lage sind, der Klimakrise sinnvoll zu begegnen.

Ohne Systemtransformation, ohne Überwindung des kapitalistischen Wachstumszwangs ist eine Bekämpfung der Klimakrise unmöglich. Der Kapitalismus ist außerstande, effektive Klimapolitik zu betreiben. Dieser simple, von der Wertkritik seit Jahren thematisierte Zusammenhang hat sich inzwischen bis zur Taz,25 herumgesprochen. Anstatt der Spaltung der Klimabewegung durch Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Protestformen Vorschub zu leisten, käme es somit einerseits darauf an, dieses radikale Krisenbewusstsein in der Klimabewegung zu verallgemeinern, um die Diskrepanz zwischen den radikalen Protestformen mit den naiven Forderungen zu überwinden.

Und andererseits müsste der Fokus progressiver und emanzipatorischer Kräfte auf dem Kampf gegen repressive, postdemokratische Tendenzen in Staat und Politik liegen. Der Kampf um die Aufrechterhaltung der krisenbedingt schrumpfenden demokratischen Manövrierräume ist allein schon deswegen notwendig, damit nicht irgendwann die Suche nach Systemalternativen zur kapitalistischen Dauerkrise als „extremistisch“ eingestuft und mit „Präventivhaft“ bedacht wird. zumindest das Wetter dürfte bei diesem Unterfangen auch künftig leider mitspielen.

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https://www.patreon.com/user?u=57464083

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1 https://www.tag24.de/thema/klimaaktivisten-letzte-generation/letzte-generation-aktivist-im-hungerstreik-er-sitzt-in-praeventivhaft-in-der-jva-muenchen-2665880

2 https://netzpolitik.org/2019/bayerisches-polizeigesetz-19-personen-wochenlang-in-praeventivgewahrsam/

3 https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/baypag

4 https://de.wikipedia.org/wiki/Unterbindungsgewahrsam

5 https://www.konicz.info/2020/12/09/der-linke-bloedheitskoeffizient/

6 https://www.konicz.info/2022/10/27/radikalitaet-vs-extremismus/

7 https://rp-online.de/politik/deutschland/letzte-generation-cdu-wirtschaftsrat-will-30-tage-gewahrsam_aid-79611979

8 https://www.stern.de/politik/heutewichtig/letzte-generation–terroristen-oder-klimaschuetzer—-podcast–heute-wichtig–32900218.html

9 https://www.fr.de/politik/letzte-generation-justizminister-buschmann-denkt-ueber-gefaengnisstrafen-fuer-klimaaktivistinnen-nach-91889060.html

10 https://www.focus.de/politik/deutschland/kommentar-von-hugo-mueller-vogg-die-letzte-generation-hat-eine-grenze-ueberschritten-keine-gnade-mehr_id_174163868.html

11 https://www.rtl.de/cms/letzte-generation-umfrage-zu-klimaprotesten-das-denken-die-deutschen-ueber-den-aktivismus-5015178.html

12 https://www.bild.de/politik/kolumnen/kolumne/abrechnung-mit-letzte-generation-klima-kleber-verachten-die-demokratie-81864598.bild.html

13 https://www.sueddeutsche.de/politik/klimaaktivisten-strafen-bundestag-1.5693799

14 https://konkret-magazin.shop/texte/konkret-texte-shop/66/tomasz-konicz-kapitalkollaps

15 https://www.konicz.info/2022/06/25/schuldenberge-im-klimawandel/

16 https://www.konicz.info/2022/06/21/hitzetod-in-der-klimakrise/

17 https://www.wetter.de/cms/wetter-in-deutschland-oktober-2022-saharaluft-und-spaetsommer-besiegeln-rekord-herbst-5014077.html

18https://de.wikipedia.org/wiki/Alle_reden_vom_Wetter._Wir_nicht.#Sozialistischer_Deutscher_Studentenbund

19 https://www.pinterest.com/pin/670121619528150440/

20 https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/klaus-lederer-kunst-zu-gefaehrden-ist-verantwortungslos-li.282317

21 https://www.kreiszeitung.de/politik/beeinflusst-die-flutkatastrophe-die-bundestagswahl-2021-90885052.html

22 https://www.konicz.info/2018/06/06/kapital-als-klimakiller/

23 https://www.mandelbaum.at/buch.php?id=962

24 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/letzte-generation-verfassungsschutzpraesident-stuft-klimaaktivisten-nicht-als-extremistisch-ein-a-39e52dc0-ef10-4ebd-83f1-9545b669d553

25 https://www.deutschlandfunk.de/ulrike-herrmann-sieht-kapitalismus-am-ende-100.html

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Grafikquellen       :

Oben      —    Karikatur von Gerhard Mester zum Klimawandel

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Träume und Schäume

Erstellt von Redaktion am 15. November 2022

Illusion grünes Wachstum

Ein Debattenbeitrag von Ulrike Herrmann

Ökoenergie wird nicht reichen, um unser Wirtschaftsmodell zu erhalten – Verschwendung ist keine Option mehr. Auch E-Autos wiegen ein bis zwei Tonnen und befördern im Durchschnitt nur 1,3 Insassen – das ist ineffizient. Eine Entgegnung auf Malte Kreutzfeldt. 

Die Energiewende ist angeblich ganz einfach. Man muss nur E-Autos bestellen, die Häuser dämmen und Wärmepumpen einbauen – und schon ist das Klima gerettet. So sieht es jedenfalls sinngemäß unser ehemaliger taz-Kollege Malte Kreutzfeldt, der daher glaubt, dass das „grüne Wachstum“ eine reale Option sei (taz vom 11. 11. 22).

Natürlich wäre es schön, wenn wir unser Leben nicht ändern müssten, sofern wir nur genug Windräder und Solarpaneele installieren. Doch leider ist es eine Illusion, dass der Ökostrom reichen könnte, um ewiges Wachstum zu befeuern.

Indirekt gibt Malte sogar selbst zu, dass er einem Traum anhängt. Denn es fällt auf, dass große Teile der Wirtschaft bei ihm fehlen. Er schreibt über E-Autos, aber nicht über Lkws, Schiffe oder Flugzeuge, die mit Batterien nicht zu betreiben sind. Sie würden synthetische Kraftstoffe benötigen, die nur mit enormen Mengen an Ökostrom herzustellen sind. Malte freut sich über Wärmepumpen, verschweigt aber, dass Neubauten künftig unterbleiben müssen, weil sie Flächen versiegeln und Zement große Mengen an Treibhausgasen erzeugt. Auch zur Industrie sagt Malte nichts, als würden Waren ohne Energie entstehen. Nur die Stahl- und Chemiebranchen streift er kurz, ohne jedoch näher auszuführen, wie immens der Bedarf an Öko-Energie wäre: Allein die Chemieindustrie würde 685 Terawattstunden Strom im Jahr benötigen, wenn sie klimaneutral produzieren soll. Das ist weit mehr, als heute ganz Deutschland an Strom verbraucht.

Malte tut so, als würde die Wirtschaft nur aus Konsumenten bestehen, die sich Wärmepumpen und E-Autos anschaffen. Aber selbst dabei vereinfacht er. E-Autos tanken ja nicht einfach Strom, sondern benötigen große Batterien, die wiederum Energie und Rohstoffe fressen. E-Autos sind zwar klimaneutraler als Diesel- oder Benzinmotoren – aber nicht klimaneutral.

Beim Tunnelblick auf die Antriebsarten wird übersehen, wie ineffizient Autos grundsätzlich sind. Auch E-Autos wiegen ein bis zwei Tonnen und befördern im Durchschnitt nur 1,3 Insassen. Diese Verschwendung wird nicht möglich sein, wenn nur noch Öko-Energie zur Verfügung steht. Alle Klimastudien sind sich daher einig, dass die Zahl der Autos sinken muss. Während heute fast 50 Millionen Pkws durch die Bundesrepublik kurven, sollen es künftig maximal 30 Millionen sein. Dies wäre nicht das Ende der Mobilität. Man kann ja auch Bus fahren – oder sich ein Auto teilen.

Aber es wäre nicht mehr „grünes Wachstum“, sondern „grünes Schrumpfen“, wenn die Pkw-Flotte um 40 Prozent abnehmen soll. Viele Beschäftigte würden ihren Arbeitsplatz verlieren, denn derzeit sind hierzulande etwa 1,75 Millionen direkt oder indirekt für die Automobilindustrie tätig. Man kann die Frage auch anders stellen: Was soll aus Baden-Württemberg werden?

Natürlich entstehen neue Arbeitsplätze, wenn die Wirtschaft klimaneutral werden soll. Windräder installieren sich nicht von selbst, und auch die ökologische Landwirtschaft benötigt mehr Menschen als der heutige industrielle Anbau, der mit seinen Riesenmaschinen den Boden zerstört. Aber diesen Gesamtumbau der Wirtschaft darf man nicht trivialisieren, indem man sich nur auf E-Autos und Wärmepumpen konzentriert.

Es sind die Bürger welche für die Unfähigkeiten der Politiker-innen die Preise zahlen !

Die Energiewende wird zudem erschwert, weil der Solarstrom im Winter weitgehend ausfällt. Auch beim Wind kann es zu Flauten kommen. Ein Blackout muss jedoch unbedingt vermieden werden: Eine Stunde Stromausfall kostet die deutsche Wirtschaft derzeit eine Milliarde Euro.

Die Energiewende kann daher nur funktionieren, wenn gigantische Mengen an Strom gespeichert werden, um im Winter und bei Flauten zur Verfügung zu stehen. Auch dieses Thema kommt bei Malte nur am Rande vor. Lapidar stellt er fest, dass Batterien billiger werden. Aber das macht sie noch nicht billig. IT-Milliardär Bill Gates hat kürzlich vorgerechnet, wie viele Speicher nötig wären, um Tokio auch nur drei Tage lang mit Energie zu versorgen: „Es wären über 14 Millionen Batterien. Das ist mehr Speicherkapazität, als die ganze Welt in einem Jahrzehnt herstellt. Kaufpreis: 400 Milliarden Dollar … Und das wären nur die Anschaffungskosten. Andere Ausgaben wie Installierung und Wartung wären noch gar nicht eingerechnet.“

Zudem eignen sich Batterien nur, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken. Die saisonalen Unterschiede zwischen Sommer und Winter lassen sich damit nicht ausgleichen. Daher wird an „grünem Wasserstoff“ geforscht, der im Sommer aus überschüssigem Solarstrom entstehen soll. Technisch ist Elektrolyse möglich, aber noch sehr teuer. Zudem geht unterwegs sehr viel Energie verloren, weil die Wirkungsgrade beim Wasserstoff so niedrig sind.

Quelle       :           TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben      —     Karikatur von Gerhard Mester zum Thema Energiespeicherung und erneuerbare Energien – Text:Mehr Solarenergie!! /Mehr Windenergie! / („dark flauts“) /Mehr Energiespeicher! –„Dunkelflaute“: „Dunkelflaute“ sind Zeiten, in denen Solar- und Windstrom nicht verfügbar ist.

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Wie im Wettbüro

Erstellt von Redaktion am 12. November 2022

Die Gas- und Strommärkte sind außer Rand und Band. 

So zockten Lobbyisten einst um ihre Pfründe

VON   :       Anja Krüger 

Es wird höchste Zeit, eine neue Ära der Energiepolitik einzuläuten und sich von der Profitlogik der Branche zu verabschieden. Die Energieversorgung ist zu wichtig, um sie Zocker­buden zu überlassen.

Der Stromanbieter hatte extra nochmal Druck gemacht. Das Unternehmen müsse den Vertrag unbedingt an diesem Tag unterschreiben, sonst würde es viel teurer als nötig, drängte er. Das zuständige Vorstandsmitglied setzte alles in Bewegung, damit es gelang – und wünschte sich im Nachhinein, es hätte nicht geklappt. Denn mit der Unterschrift wurde der Anbieter beauftragt, am nächsten Tag den benötigten Strom an der Energiebörse zu kaufen – zu dem dann geltenden Preis. Und das war der Jahreshöchstpreis. Das Unternehmen soll nun statt 100.000 rund 700.000 Euro im Jahr für Strom zahlen. Zwei oder drei Tage später wäre es erheblich billiger gewesen.

Auf dem Energiemarkt geht es mitunter zu wie im Wettbüro. Ob Strom oder Gas – die drastisch gestiegenen Preise verunsichern die Verantwortlichen in Unternehmen genauso wie private Verbraucher:innen, deren Abschlagszahlungen für Strom und Heizwärme drastisch erhöht wurden. Sie fühlen sich einem Markt ausgeliefert, dessen Untiefen sie kaum erkennen können. Gas und Strom sind keine Produkte wie Büromaterial, Milch oder Klopapier, sie sind nicht auf Vorrat lagerbar. Gleichzeitig ist Strom unverzichtbar, für je­de:n Ein­zel­ne:n und für die Gesellschaft als Ganzes. Wer mit Gas kocht oder heizt, ist darauf ebenso angewiesen wie Unternehmen, die es als Rohstoff oder Energieträger brauchen. Der Staat ist dafür verantwortlich, dass die Versorgung gesichert ist. Aber angesichts der Kapriolen auf den Energiemärkten stellt sich die Frage, ob der Staat dem noch gerecht wird. Wenn der Energieeinkauf zum Glücksspiel wird, läuft etwas gewaltig schief.

Die Energiekosten sind schon vor dem Überfall auf die Ukraine stark gestiegen, weil die Wirtschaft auf der ganzen Welt nach der Coronakrise viel schneller und stärker wieder angesprungen ist als erwartet. Nach Beginn des Krieges sind die Preise dann explodiert. Bislang haben sich die wenigsten Privatleute mit den Preisen im Detail beschäftigt. Der Energiemarkt ist auch außerhalb von Krisen extrem schwer zu durchschauen. Nachdem die Bundesregierung auf die Krise reagiert hat und sogenannte Preisbremsen einführen will, gibt es immerhin eine Hausnummer, was künftig ein guter Preis ist: Beim Strom soll die Preisbremse bei 40 Cent pro Kilowattstunde liegen, beim Gas bei 12 Cent pro Kilowattstunde. Der Staat übernimmt bis April 2024 für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs von Privathaushalten und kleineren Firmen die Kosten der Differenz zwischen Preisbremse und Marktpreis. Wer mehr verbraucht, muss dafür den höheren Marktpreis zahlen. So sollen die Bür­ge­r:in­nen zum Energiesparen animiert werden.

Mit Einführung der Preisbremsen wird es drei Gruppen von Ver­brau­che­r:in­nen geben: Erstens die, die damit irgendwie klar kommen. Zweitens jene, die trotz dieser Hilfe aufgrund der hohen Energiepreise vor einem finanziellen Fiasko stehen. Und Drittens gibt es diejenigen, die einen Energieanbieter mit so günstigen Preisen haben, dass bei ihnen nicht gebremst werden muss. Für diesen Kreis ist das Glücksspiel gut ausgegangen. Von Ausnahmen abgesehen werden die meisten dieser Kun­d:in­nen nicht deshalb einen günstigen Anbieter haben, weil sie ihn unter dem Gesichtspunkt einer kommenden Energiekrise ausgesucht haben. In den häufigsten Fällen wird es schlicht Zufall sein. Viele Menschen haben ihren Energieversorgungsvertrag seit vielen Jahren nicht angefasst, auch weil ihnen der Markt mit den unzähligen Anbietern viel zu kompliziert ist.

Diese Intransparenz ist die Geschäftsgrundlage für Vergleichsportale im Internet. Noch vor Kurzem sind Drückerkolonnen etwa in Technikmärkten auf Kun­d:in­nen losgegangen, um sie mit Prämien zu einem Wechsel zu einem Billiganbieter zu bewegen. Für Laien ist kaum zu durchschauen, welche Konsequenzen das haben kann. Überrascht mussten Kun­d:in­nen etwa zur Kenntnis nehmen, dass ihr bisheriger Billiganbieter den Vertrag gekündigt hat und sie nur zu sehr hohen Tarifen einen neuen finden konnten. Billig­anbieter zocken etwa an den Energiebörsen. Ihr Geschäftsmodell ist, auf günstige Preise zu warten und der Konkurrenz mit langfristigen Verträgen und höheren Kosten die Kun­d:in­nen abzujagen. Verspekulieren sie sich, müssen Ver­brau­che­r:in­nen das ausbaden.

Noch vor einem Vierteljahrhundert konnte das nicht passieren. Bis dahin gab es sogenannte Gebietsmonopole für die Energieversorgung. Strom konnten Ver­brau­che­r:in­nen nur über das örtliche Elektrizitätswerk beziehen. Diese Unternehmen, in der Regel die kommunalen Stadtwerke, hatten ein festgelegtes Versorgungsgebiet. Sie stellten Strom entweder selbst her oder bezogen ihn von Großkraftwerken, mit denen sie langfristige Lieferverträge hatten. Die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl brachte 1997 die sogenannte Strommarktliberalisierung auf den Weg, mit der die Monopole durch Märkte ersetzt wurden. Deregulierung und Privatisierung waren seinerzeit – dem neoliberalen Zeitgeist geschuldet – in vielen Branchen auf der Tagesordnung. Das war nicht nur ideologisch motiviert, die Industrie machte Druck. Der Chemiekonzern BASF etwa beschwerte sich bei der EU-Kommission, weil das Unternehmen gezwungen war, den vergleichsweise teuren Strom ihres Versorgers zu zahlen und es nicht den für den Abnehmer billigeren Atomstrom aus Frankreich kaufen konnte. Die Liberalisierung des Gasmarkts erfolgte einige Jahre nach der des Strommarktes. Unzählige Firmen entstanden, die an verschiedensten Stellen der Versorgungskette Geld verdienen. Das Versprechen sinkender Strompreise erfüllte sich auch aufgrund diverser neuer Abgaben für Privathaushalte nicht.

Weil Strom und Gas nicht wie Kartoffeln oder Milch gehandelt werden können, war die Liberalisierung von Anfang an stark reglementiert. Energie kommt über Leitungen ins Haus, und die sind nicht beliebig verlegbar. Deshalb werden die vielen hundert Netzbetreiber gesetzlich dazu gezwungen, die Energie der Konkurrenz durchzulassen – gegen eine Gebühr. Ein komplexes Geflecht von Regeln soll den Wettbewerb und gleichzeitig die Versorgungssicherheit gewährleisten. Das Problem: Auf dem Energiemarkt können sich Angebot und Nachfrage nicht selbst ausbalancieren, denn dann wäre die Versorgungssicherheit in Gefahr. Energieerzeugung muss geplant werden. Wird ein Kraftwerk erst hochgefahren, wenn der Bedarf steigt, ist es zu spät. Stromerzeuger melden deshalb ihre voraussichtliche Produktion bei den Verantwortlichen für das jeweilige Stromnetz an. Ist zum Beispiel wegen starken Windes viel Windenergie zu erwarten, werden Kohle- oder Gaskraftwerke heruntergefahren. Oder es werden Windräder gestoppt, weil es viel Atomstrom gibt.

Quelle       :            TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben      —     Церемония открытия газопровода «Северный поток».

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Der Fluch des Öls :

Erstellt von Redaktion am 7. November 2022

Russlands Petroimperialismus und die (in)humanen Geographien des Krieges

So begann es immer auf der Erde – Plakat «Bald gehört die ganze Welt uns». [Jekaterinburg] :

Quelle        :     Berliner Gazette

Von    :   Oxana Timofeeva

Immer wieder wird Russlands Aggression gegen die Ukraine als “fossiler Krieg” bezeichnet. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Oxana Timofeeva zeigt in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism”, wie das extraktivistische Ökosystem der Erdölindustrie während des Krieges nicht nur aufrechterhalten wird, sondern ihn buchstäblich anheizt.

Eine der Folgen des Krieges, den das Putin-Regime gegen die Ukraine führt, ist das Entstehen eines neuen eisernen Vorhangs zwischen Russland und den europäischen Ländern, der von Visabeschränkungen über Grenzkontrollen bis hin zu Einreiseverboten reicht. Für die Menschen in Russland waren diese Beschränkungen keine große Überraschung: Nach den jüngsten Erfahrungen mit der Quarantänepolitik an den Grenzen während der zwei Jahre andauernden COVID-19-Pandemie war die Gesellschaft auf diese Art von Beschränkungen vorbereitet.

Jetzt, im Nachhinein, sieht die Zeit der Pandemie, in der der internationale Reiseverkehr für Menschen eingeschränkt war, aber für Geld und Waren meist unbegrenzt blieb, wie eine Probe für einen größeren Ausnahmezustand aus. Heute scheinen die wirtschaftlichen und politischen Sanktionen, die als Reaktion auf die militärische Aggression Russlands in der Ukraine eingeführt wurden, nicht nur die Menschen, sondern auch die Geld- und Warenströme zwischen meinem Land und dem Rest der Welt zu beeinträchtigen. Es gibt jedoch etwas, das von dieser Politik fast unberührt bleibt.

Vom Krieg unberührte Pipelines

Es ist viel einfacher, ein Einreiseverbot für Menschen zu verhängen als für Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas. In der Tat diskutieren Beamte in Europa über Möglichkeiten eines Ölembargos und überlegen, wie sie die Rohstoffbeziehungen zu Russland schwächen können. In der Tat wird allgemein dazu aufgerufen, den Verbrauch von Öl und Gas aus Russland zu reduzieren, was dem allgemeinen Drang nach einem Übergang zu erneuerbaren Energiesystemen entspricht, um katastrophale Entwicklungen durch den Klimawandel zu verhindern. Doch die Dinge gehen weiter.

Einer der interessantesten Fälle ist die längste Ölpipeline der Welt, die in Tatarstan beginnt, wo sie Öl von anderen Pipelines aus Westsibirien, dem Ural und dem Kaspischen Meer aufnimmt und es von Russland und Kasachstan durch die Ukraine und Weißrussland nach Europa transportiert. Diese 4.000 km lange Pipeline mit dem Namen “Druschba”, was aus dem Russischen übersetzt “Freundschaft” bedeutet, wurde von 1958 bis 1964 geplant und gebaut, um die Länder des sozialistischen Blocks wie Polen, die Tschechoslowakei, die DDR und Ungarn mit Erdöl aus der Sowjetunion zu versorgen. Heute liefert die “Druschba” Rohöl nach Belarus, Polen, Ungarn, in die Slowakei, die Tschechische Republik und nach Deutschland.

Der südliche Zweig der Pipeline verläuft durch die Ukraine. Abgesehen von kurzen Unterbrechungen wie im August 2022, als die Öllieferungen wegen Schwierigkeiten bei internationalen Banküberweisungen eine Woche lang gestoppt wurden, sind die grundlegenden Vereinbarungen über den Öltransport von Russland nach Europa über die Ukraine während des gesamten Krieges in Kraft und wirksam geblieben. Auch die Infrastruktur ist weiterhin intakt. So fließt das Öl reibungslos durch die Rohre, und das Geld wird pünktlich bezahlt. In der Ukraine brennen Städte, die zivile Infrastruktur und sogar das größte Kernkraftwerk Europas, das Kernkraftwerk Saporischschja, ist in Mitleidenschaft gezogen, aber nicht die Pipelines. Öl fließt von Russland in die Ukraine und dann nach Europa. Hier kommt die Ironie der Namensgebung ins Spiel: eine kapitalistische “Druschba” als Erbe der sozialistischen “Freundschaft” hinter der Bühne des Kriegsschauplatzes, wo Menschen sterben.

Die Politik des Petrostaats

In seinem Buch “Das Böse der Natur: Eine Kulturgeschichte der natürlichen Ressourcen” definiert Alexander Etkind Russland als Petrostaat, wobei er diesen Begriff von Fernando Coronil übernommen hat. Nach Coronil ist ein Petrostaat ein Staat, der sich auf den Ölhandel stütztDas Konzept des Petrostaates steht in engem Zusammenhang mit einem anderen Konzept: dem von Michael Ross eingeführten “Ölfluch”. Ross warf die Frage auf, warum in bestimmten Ländern die Förderung fossiler Brennstoffe statt zu wirtschaftlichem Wachstum zu sozialem, wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Niedergang führt. Die Öleinnahmen versprechen Wohlstand für die Bevölkerung, bringen aber oft nur den Eliten enormen Reichtum, während der Rest immer ärmer wird.

Petrostaaten verfügen über enorme Einkommen, von denen ein Teil unter der Bevölkerung umverteilt werden kann, die somit von der Großzügigkeit der Eliten abhängig ist. Wenn der Großteil des Einkommens aus fossilen Brennstoffen stammt, ist der Staat weder auf Dinge wie Steuern angewiesen, noch muss er Hochtechnologien, Wissenschaft, Bildung, öffentliche Dienstleistungen usw. entwickeln. Das Leben des Staates basiert vollständig auf der brutalen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen.

Coronils Beispiel für einen Petrostaat ist Venezuela. Im Jahr 1938 wurde das Land zum größten Ölexporteur der Welt. Doch anstatt die Wirtschaft zu entwickeln, neue Fabriken und Universitäten zu bauen, verschuldete sich die Regierung wegen der künftigen Ölförderung immer mehr. Schließlich brach die Gesellschaft zusammen. Etkind wiederum schreibt über die späte Sowjetunion, deren Wirtschaft schließlich vollständig auf den Export fossiler Brennstoffe angewiesen war. Wie Oleksiy Radynski in seinem kritischen Bericht über die aktuelle Situation feststellt: “Es ist erwähnenswert, dass Russlands Industrie für fossile Brennstoffe – eine enorme Infrastruktur für die Förderung und den Transport von Öl und Gas, die sich von Sibirien bis nach Westeuropa erstreckt – selbst der Schlüssel zur Auflösung des Sowjetkommunismus und zur Entstehung eines kleptokratischen, extraktivistischen rechtsextremen Regimes in Russland war.

Fossiler Faschismus

Radynsky definiert dieses Regime als fossilen Faschismus. Dieser Begriff wurde von Cara Daggett eingeführt und kürzlich von Andreas Malm und dem Zetkin-Kollektiv in Bezug auf den westlichen Petrokapitalismus weiterentwickelt, aber ich stimme Radynsky zu, dass dieser Begriff voll und ganz auf das Phänomen des Putinismus heute anwendbar ist. Wie sind wir hierher gekommen?

Laut Etkind gibt es Länder mit guten (demokratischen) und schlechten (autoritären) Institutionen. Demokratische Institutionen können verhindern, dass der Staat in die Falle des Ölfluchs tappt. Die meisten autoritären Petrostaaten wiederum zeichnen sich durch große Ungleichheit, übermäßigen Luxuskonsum der Eliten, Korruption, patriarchalische Unterdrückung der Frauen, religiösen Fundamentalismus, mangelnde kulturelle Entwicklung und Bildung, Umweltkatastrophen usw. aus.

Da es an Transparenz und ziviler Kontrolle mangelt, fließt das Ölgeld direkt oder indirekt in die Taschen von Privatpersonen. Eine kleine Gruppe von Machthabern wird immer reicher, aber da die Gesellschaft allmählich zusammenbricht, ziehen sie es vor, ihr “Vermögen” im Ausland zu haben: Sie schicken ihre Kinder auf Universitäten in Europa, den USA oder dem Vereinigten Königreich, kaufen Immobilien in Übersee wie Villen oder Jachten. Infolgedessen fließt das aus dem Ausland erhaltene Ölgeld als privates Kapital derjenigen zurück, die den Staat regieren und nicht daran interessiert sind, in ihrem eigenen Land zu investieren.

Kaiserliche Phantasmen

In der Tat kann diese Situation nicht ewig andauern, und der soziale Antagonismus eskaliert zusammen mit der Zunahme der Ungleichheit. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Situation in der russischen Gesellschaft kurz vor dem Krieg hochexplosiv und nahezu revolutionär war. Es gab riesige Protestkundgebungen, bei denen die Menschen ihre Unzufriedenheit mit Putins Politik, gefälschten Wahlen, Korruption und Polizeigewalt zum Ausdruck brachten. Die Proteste wurden streng unterdrückt, aber die Menschen begannen, die Angst zu verlieren, und jede neue Unterdrückung konnte ein Auslöser für neue Proteste sein. Statt einer Revolution kam es jedoch zum Krieg, und die Politik der herrschenden Klasse nahm rasch eine faschistische Wendung.

Historisch gesehen ist der Faschismus ein Mittel, um den wachsenden sozialen Antagonismus zu neutralisieren, indem er eine nationale Einheit von Unterdrückern und Unterdrückten um einen starken Führer schafft und die Energie der Revolution in militärische Aggression gegen einen äußeren Feind umwandelt. Genau das ist der Fall im heutigen Russland.

Eine weitere Besonderheit Russlands als Petrostaat ist, dass es sich über riesige Gebiete erstreckt und multinational ist: Formal ist es eine Föderation, aber die herrschenden Gruppen betrachten es als ein Imperium. Daher kann man auch von Petroimperialismus sprechen. Imperialistische Phantasien sind einer der Bestandteile historischer faschistischer Ideologien (so war die Idee der Wiederherstellung des großen Reiches der Vergangenheit Teil des Faschismus in Italien und Deutschland im 20.) Auch Russland hat sein imperiales Erbe. Liberale Kritiker des Putin-Regimes neigen zu der Annahme, dass sein politisches Ziel die Wiederherstellung der Sowjetunion ist, aber in Wirklichkeit wird Russlands fossiler Faschismus von dem kapitalistischen kolonialen Traum vom Russischen Reich vor der Oktoberrevolution von 1917 angetrieben. In diesem Sinne können wir in diesem Zusammenhang auch einen anderen Begriff verwenden: Petroimperialismus.

Mein Argument ist, dass die Gründe, warum der Petroimperialismus in Petrofaschismus kollabiert, der externe Aggression und internen Polizeiterror kombiniert, nicht auf schlechte Institutionen und den Mangel an Demokratie in diesem speziellen Land reduziert werden können. Der Fluch des Öls ist ein systemisches Problem des globalen Petrokapitalismus, der die unterschiedlichsten Formen von gegenseitigen Abhängigkeiten und Pipeline-“Freundschaften” hervorbringt. Eine sehr grobe Skizze der (un)menschlichen Geographien des Erdölhandels vor und während des Krieges kann helfen, diese globale Dimension zu erfassen.

Das Ökosystem des Todes

Was allgemein als “russisches Öl” bezeichnet wird, stammt meist aus Sibirien. Diese Region wurde vom 16. bis 18. Jahrhundert in mehreren Schritten vom russischen Reich erobert. Ein Prozess der Stadtentwicklung begann in den 1960er Jahren, als unter den Permafrostschichten riesige Ölfelder entdeckt wurden. Geologen, Ölmänner und Baumeister kamen, und die sowjetischen Industriestädte begannen in Sibirien zu wachsen. Schon lange vorher war die Region von indigenen Völkern bevölkert, deren Vertreter nach und nach verschwinden, weil ihre traditionellen, nachhaltigen Lebensweisen mit der Rohstoffindustrie, die ihre natürliche Umgebung einfach zerstört, unvereinbar sind – und das ist immer noch der Fall. Nicht nur Öl, sondern auch Gas, Diamanten, Gold und andere natürliche Ressourcen werden aus den Gebieten gewonnen, die in den verschiedenen historischen Perioden des russischen Reiches erobert, d. h. kolonisiert wurden.

Zurück zum Öl. Vor Februar 2022, als die russischen Streitkräfte in die Ukraine einmarschierten, floss das Öl von Sibirien und anderen Randgebieten nach Europa (über die Ukraine), während das Geld von Europa nach Moskau und von Moskau zurück nach Europa floss. Nach dem Februar 2022 fließt das Öl immer noch auf demselben oder fast demselben Weg von den Randgebieten nach Europa (über die Ukraine), und das Geld fließt immer noch von Europa nach Moskau. Doch anstatt als privates Kapital und Investitionen der Elite nach Europa zurückzukehren, wird das Ölgeld nun für den Krieg gegen die Ukraine ausgegeben. Was neben dem Öl aus den verschiedenen Regionen Russlands in die Ukraine fließt, sind die lebenden Körper der Menschen, die den größten Teil der Armee bilden. Was zurück nach Sibirien und in andere Regionen geht, ist die so genannte “Fracht 200”: die toten Körper der Soldaten.

So läuft die Maschinerie des Petroimperialismus weiter: Solange Öl gegen Geld getauscht wird, hat dieser bestimmte Petrostaat die Möglichkeit, den Krieg fortzusetzen; aber auch für die anderen Staaten bleibt eine weitere petrofaschistische Wende eine Möglichkeit.

Anm.d.Red: Dieser Text ist ein Beitrag zur “After Extractivism”-Textreihe der Berliner Gazette; seine englische Version ist auf Mediapart verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://after-extractivism.berlinergazette.de

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Grafikquellen     :

Oben       —     Plakat «Bald gehört die ganze Welt uns». [Jekaterinburg] : Ural-Abteilung von ROSTA, [1920]. Farblithographie, 1 Blatt, 35×53 cm

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Krise der Konsum­kathedrale

Erstellt von Redaktion am 6. November 2022

Das heilige Tabu, wonach Wohlstand niemals sinken darf, wird erodieren

Von Nico Paech

Modernes Regieren bedeutet nicht, zu einer Wohlstandsvollkasko degenerieren zu müssen, der überdies jede langfristige materielle Basis fehlt.

Multiple Gegenwartskrisen decken nicht nur aufgestaute Unvereinbarkeiten auf, die sich vorübergehend hinter einer scheinbaren Normalität verbergen ließen. Sie gewähren auch Einblicke in den mentalen Überbau einer auf Sand gebauten Konsumkathedrale. Dafür liefert der Gaspreis-Blues ein mehrstrophiges Schaustück.

Verhöhnte es nicht jeden Sinn für Vorsorge, den Wohnraum innerhalb weniger Jahrzehnte derart expandieren zu lassen, dass seine Beheizung mittels heimischer Energievorräte in weite Ferne rückte? Immerhin hätten die begrenzten Gasvorräte durch Holz, Solarthermie, Geothermie und Nahwärmesysteme ergänzt und Neubau an den Passivhausstandard gebunden werden können.

Aber dies hätte sich nicht mit der Ideologie des Wohnraumangels vertragen, hinter der sich vorwiegend Luxusprobleme verstecken. Etwa das vermeintliche Recht, nach Belieben in jede Metropole ziehen zu können, während anderswo der Wohnraum und ganze Regionen verfallen. Oder ein Überhang an Vermögen, dessen Anlage in Eigentumswohnungen und Häusern keineswegs nur für Eliten lukrativ ist. Jedenfalls hat sich der pro Kopf beanspruchte Wohnraum seit Mitte der 50er Jahre mehr als verdreifacht.

Parteiübergreifende Klimaschutzforderungen, schädliche Handlungen zu verteuern, um Sparanreize zu setzen, entpuppen sich nunmehr als Gewissen beruhigendes Ritual. Denn kaum wird durch äußere Umstände oktroyiert, wovor sich die Politik jahrzehntelang drückt, will eines der reichsten Länder außerstande sein, Energiepreise zu zahlen, die nicht (mehr) auf ökologischem Dumping und einer riskanten Aufgabe ökonomischer Autonomie basieren. Sind die Preise eingedenk der unbestrittenen Logik ökologisch „wahrer“ Kosten derzeit zu hoch oder waren sie vorher zu gering? Dem lässt sich elegant ausweichen, indem auf drohende Armut verwiesen wird, die sich sodann zu einem Schutzschild aufblasen lässt, hinter dem die anderen 85 Prozent ihren Wohlstand ebenso wirksam gegen notwendige Mäßigungen verschanzen können.

Mit der sogenannten „Energiewende“ wurde die Klimarettung bei gleichzeitig wachsendem Komfort versprochen. Wäre dieser grünen Wachstumsutopie auch nur geringer Erfolg beschieden gewesen, müsste sich das in dieser Stunde der energiepolitischen Wahrheit zeigen. Und? Stromimporte, Kohlekraftwerke, schmutzige Geschäfte mit Katar, ökologisch desaströse LNG-Terminals und drei Reserve-AKWs sind nach einem Vierteljahrhundert die Quittung für eine erneuerbare Technologiebrechstange, mit der zwar Landschaften traktiert, aber weder Versorgungssicherheit noch nennenswerte Emissionsminderungen erreicht wurden. Nun wird das Gaspedal der Planierraupe erst recht durchgedrückt, indem geschützte Naturareale geschliffen werden sollen – vom ersten grünen Wirtschaftsminister.

Heizkostenrechnungen bilden das Produkt aus Preis und Menge. Die aufgeregte Blickverengung auf den Preis soll wohl die bequeme, aber ulkige Vorstellung befördern, dass deutsche Haushalte bislang nichts anderes zu tun hatten, als ihre Heizungsanlage, die durchschnittliche Raumtemperatur, das Lüftungsverhalten, den Warmwasserverbrauch, insbesondere die Duschhäufigkeit, den Zustand der Gebäudehülle und – vor allem – eine energiebewusste Kindererziehung derart zu optimieren, dass nun alle Einsparpotenziale ausgeschöpft seien.

Spaß beiseite. Tatsächlich besteht derzeit die Chance, endlich einen realistischen Umgang mit Energie einzuüben. Dazu reicht es nicht, vorhandene Immobilien und das Nutzerverhalten anzupassen, sondern keinen Quadratmeter Fläche mehr durch Wohnraum zu zerstören, der alle Einsparbemühungen auffrisst. Es sagt einiges über die Verfassung einer Gesellschaft aus, dessen Regierung Klimaschutzkompetenz reklamiert, jedoch weiterhin 400.000 neue Wohnungen pro Jahr verspricht.

Wenn das Gas im Winter zwar reicht, sich aber prägnant verteuert, wie viele Haushalte werden dann notleidend? Nichts spräche dagegen, in Einzelfällen Hilfe zu gewähren, sofern diese begründbar ist – aber daran will sich niemand die Finger verbrennen. Denn Wahlen lassen sich nur im Gießkannenmodus gewinnen. Eine Spätmoderne, in der Sparsamkeit und eigenverantwortliche Krisenvorsorge als hinterwäldlerisch diskreditiert sind, begünstigt Lebensmodelle, die finanziell „auf Kante genäht“ sind. Und das gilt nicht nur für die untersten Einkommensklassen.

Datei:Merkel Kohle fertig - Satire.jpg

Halil – Hallo ich lege eine Schüppe Kohlen zu. Dafür verzichten die welche diese Misere verursachenden Politiker-innen,  aber auf nichts. 

Wie hoch ist mittlerweile die als unantastbar verteidigte Ausstattung mit Mobilität, Urlaub, Konsum, Wohnraum, Digitalisierung, Komfort und so weiter, durch die so viel Einkommen ausgeschöpft wird, dass jeder Puffer fehlt? Obendrein wurden mit den materiellen Lebensverhältnissen auch die damit einhergehenden Energieverbräuche angeglichen, und zwar nach oben. Deren Verteuerung trifft auf eine systematisch fragil gewordene Daseinsform, die als sozialer Erfolg gefeiert wird. Konsumgesellschaften haben sich in ein Labyrinth unerfüllbarer Wohlstandsversprechen verrannt. Mit dem Lebensstandard wuchsen die Hilflosigkeit und ein Gegenwartsbewusstsein, das den Staat verantwortlich dafür macht, jedes einmal erreichte Versorgungsplateau zu konservieren – inklusive aller Verteilungsunterschiede, andernfalls würden nur die absolut Bedürftigen unterstützt. Wo findet sich bei Cicero, Hoppes, Locke, Montesquieu oder im Grundgesetz noch gleich die Passage, in der steht, dass moderne Regierungen zu einer Wohlstandsvollkasko degenerieren müssen, der überdies jede langfristige materielle Basis fehlt?

Das heilige Tabu, wonach Wohlstand niemals sinken darf, wird absehbar proaktiv „by design“ oder schicksalhaft „by desaster“ erodieren. Ersteres könnte als dezentraler zivilgesellschaftlicher Prozess oder durch politische Steuerung gestaltet werden. Überzogene Ansprüche lassen sich sozialpolitisch integer zurückbauen, wo maximalen Schäden nur minimale Rechtfertigungsgehalte gegenüber stehen. Fühlen sich Hartz-IV-Bezieher benachteiligt, wenn Kreuzfahren, SUV und anderer Prestige-Konsum abgeschafft würden?

Wer erkrankte oder verhungerte jemals, wenn er/sie nach dem Abi nicht nach Neuseeland flog? Dekadenten Luxus von Grundbedürfnissen zu trennen, wäre zudem ökonomisch effizient. Demnach sind knappe Ressourcen dort einzusetzen, wo ihr Fehlen fatal wäre: Ist die Stromversorgung von Smartphones für Sechsjährige genauso hoch zu bewerten wie die einer Intensivstation?

Quelle         :      TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben     —       Titel:Loo in der Kitchin [sic] oder, High life below stairs / Wooddward del. Cruckshank[sic]sc.Abstrakt/Medium:1 Druck : Radierung, handkoloriert. Eine Gruppe von Dienern versammelte sich in einer gemütlich eingerichteten Küche und ahmte die Manieren, die Sprache und die Laster ihrer Arbeitgeber nach.

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Der Schaden ist angerichtet

Erstellt von Redaktion am 1. November 2022

Harte Bewährungsprobe für die EU

Flag of Europe.svg

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von      :     Markus Mugglin /   

Rekordhohe Gas- und Strompreise wachsen sich zu einer EU-Krise aus. Nationale Alleingänge haben die Lage verschlimmert.

«Wir haben es mit einer Polykrise zu tun. Es brennt an allen Ecken und Enden.» Die Diagnose ist aktueller denn je, obwohl sie Jean-Claude Juncker vor sechs Jahren als damaliger EU-Kommissionspräsident gestellt hatte. Er machte sie unter dem Eindruck von Finanzkrise, Annexion der Krim, Fluchtbewegungen über die Balkan-Route, Brexit und Klimawandel.

Zu Recht sprach Juncker von einer Polykrise. Doch sie war noch vergleichsweise harmlos. Die einzelnen Krisen liessen sich noch gesondert angehen. Heute hingegen passiert alles gleichzeitig. Krieg in Europa, Energiekrise, Inflation, wirtschaftlicher Einbruch, Währungsturbulenzen, Fluchtbewegungen, Klimawandel – sie sind miteinander verknüpft, verstärken sich gegenseitig, verschonen niemanden oder werden niemanden verschonen.

Es läge nahe, dass die EU-Länder gemeinsam reagieren würden. Bei den Wirtschaftssanktionen gegen Russland und den Waffenlieferungen an die Ukraine funktioniert das einigermassen. Gemeinsames Handeln als Reaktion auf die hochgeschossenen Energiepreise und die drohende Knappheit? Fehlanzeige. Wo es den Menschen in Europa am meisten wehtut, agieren die EU-Mitgliedstaaten seit dem Krieg in der Ukraine nach eigenem Gutdünken, ob es den anderen gefällt oder missfällt.

Energiepolitisches Durcheinander und Gegeneinander

Ende September hatten acht Länder einen Energiepreisdeckel eingeführt, doch die Preise und die Ausgestaltung waren sehr verschieden. Mehrere Länder verzichteten auf Preisdeckel, besteuerten aber sogenannte Übergewinne. Mal stellte die Steuer auf die Entwicklung der Umsätze ab, andere Male auf die Übergewinne der Energiekonzerne. Ein halbes Dutzend Länder führte sowohl Preisdeckel als auch Sondersteuern ein. Deutschland hingegen wollte bis Ende September weder Preisdeckel noch Sondersteuer, erwog stattdessen eine sogenannte Umlage, eine zusätzliche Abgabe zugunsten der ins Schlingern geratenen Gasversorgungsunternehmen, was das ohnehin schon teure Gas noch teurer statt billiger gemacht hätte. Dazu kam – wie es «Der Spiegel» nannte – «Deutschlands teure Gashamsterei». Das Land machte sich so zwar schon fast unabhängig von russischem Gas, bescherte aber Europa und der Welt eine massive Verteuerung der Ware.

Die EU-Kommission glänzte durch Abwesenheit. «Neun Monate intensive Debatten führten zu keinem einzigen Gesetzesvorschlag», bilanzierte der Brüsseler Think Tank «Ceps» nüchtern. EU-Ratspräsident Charles Michel reagierte im Spätsommer ungewöhnlich schroff auf das Nichtstun. Er habe die Kommission seit mehreren Monaten aufgefordert, konkrete Vorschläge für einen Preisdeckel und für eine Reform des Strommarkts zu unterbreiten. Es dürfe kein Tag mehr verloren gehen, liess er Ende August seiner Frustration freien Lauf. Der belgische Regierungschef Alexander de Croo äusserte sich «verärgert, dass es so lange gedauert hat, bis die Europäische Kommission endlich verstanden hat, dass sie die Bevölkerung schützen muss». Bereits im März habe er für das Eingreifen der EU plädiert. Der EU-Vertreter in Wien, Martin Selmayr, schob die Schuld hingegen den Mitgliedstaaten zu. Die EU-Kommission habe bereits im März den gemeinsamen Gaseinkauf vorgeschlagen, was die Mitgliedländer aber abgelehnt hätten. Die Länder machten sich gegenseitig Konkurrenz und trieben so die Preise. Erst jetzt sind die EU-Staaten daran, einen gemeinsamen Einkauf von Gas zu organisieren.

Die Schuldzuweisungen eskalierten zuletzt am EU-Gipfeltreffen, als der französische Präsident Emmanuel Macron das Verhalten Deutschlands in der Energiefrage kritisierte: «Ich glaube, es ist nicht gut, weder für Deutschland noch für Europa, wenn sich ein Mitgliedstaat selbst isoliert.»

Der Schaden ist angerichtet

Nun ist der Schaden angerichtet. Die Preise an den Zapfsäulen und fürs Heizen schnellten in die Höhe. Der Gaspreis hatte sich seit Kriegsbeginn vervielfacht und zog den Strompreis mit nach oben, weil dieser vom Höchstpreis an der Börse abhängt. Die massive Teuerung auf den Energieträgern trieb die Inflation an und frisst sich nun in den gesamten Wirtschaftskreislauf ein. Vor Kriegsbeginn betrug sie noch rund fünfeinhalb Prozent. Ende September lag sie mit fast elf Prozent doppelt so hoch.

Aus dem Energieproblem wurde auch ein Inflationsproblem – erstmals seit mehr als 20 Jahren. Die Notenbanken gerieten unter Druck und gaben ihm nach. An hohen Energiepreisen ändert das kurzfristig zwar wenig. Die Intervention wird erst auf mittlere Frist wirken, wenn der bereits eingesetzte und sich weiter verschärfende wirtschaftliche Einbruch die Nachfrage nach Gas, Öl und Strom reduziert haben wird. Wirtschaftlicher Einbruch heisst aber: Unternehmenspleiten, Entlassungen, Verarmung vieler Menschen und die Gefahr, dass Europa gegenüber anderen Weltregionen an Wettbewerbsfähigkeit einbüsst.

Krisenbekämpfung und zugleich Energiewende

Das Energieproblem ist zweifellos komplex, lässt sich nicht einfach entschärfen und schon gar nicht beheben. Mehrere zum Teil widerstrebende Ziele gilt es zu erfüllen:

  • Erstens darf sich Energie nicht so rasch so stark verteuern, damit die Wirtschaft in Gang gehalten werden kann und die Menschen nicht frieren müssen.
  • Zweitens darf Energie nicht zu billig sein, weil sonst der Anreiz zum Sparen klimaschädlicher Energie fehlt, was den Umstieg zu erneuerbaren Energien bremst, statt zu beschleunigen.
  • Drittens gilt es, über Zulagen die ärmsten Bevölkerungsschichten zu unterstützen.
  • Viertens sollen sich die Energiepreise stabil entwickeln ohne extreme Ausschläge nach oben und unten.
  • Fünftens sollen die Staaten Europas ihre nationale Politik koordinieren und sich unterstützend beistehen.

Auf die Ziele sich zu einigen, dürfte noch vergleichsweise einfach sein. Schwierig wird es, wenn es um die Massnahmen geht, um die Ziele zu erreichen.

  • Ist ein Preisdeckel hilfreich, oder führt er zu grösserem Gasverbrauch, wie es in Spanien passiert ist?
  • Soll ein Preisdeckel generell gelten oder nur für einen Grundbedarf an Energie? Sollen «Übergewinne» oder «Zufallsgewinne» über Sondersteuern abgeschöpft werden?
  • Braucht es die Entkoppelung des Strompreises vom preistreibenden Gaspreis, und wie liesse sich das machen?
  • Braucht es eine grundsätzlich neue Energiemarktordnung?
  • Soll die EU anstelle einzelner Länder als Käuferin auftreten, und falls ja, in welchem Umfang?
  • Braucht es einen neuen Ausgleichsfonds zwischen den Ländern, weil sie sehr verschieden stark von der Energiepreiskrise betroffen sind?
  • Wäre es eine Neuauflage des in der Corona-Krise geschaffenen Programms «NextGenerationEU», oder braucht es einen neuen Fonds?

Fragen über Fragen, die verständlich machen mögen, dass die EU vom Ausmass der Krise überfordert wird. Dem Unheil freien Lauf lassen, wie geschehen, ist aber die schlechteste Option. Das scheint nun selbst Deutschland zu erkennen. Lange widersetzte es sich Markteingriffen, plante mit einer sogenannten Gasumlage eine preissteigernde Massnahme, bevor es Ende September umschwenkte und mit einem grossen Unterstützungsfonds die Mitgliedländer überraschte und schockte. Am EU-Gipfeltreffen vom 21. Oktober zeigte sich Deutschland erstmals kompromissbereit.

Erste Kompromisse

Vor dem Kälteeinbruch scheint die EU doch noch einen gemeinsamen Weg zu finden. Am Gipfel hat sie sich auf die grossen Linien gemeinsamer Energiemassnahmen für die Wintermonate verständigt. Gas soll sich künftig in einem noch zu bestimmenden Preis-Korridor bewegen, gegen Preisausschläge soll an den Terminmärkten korrigierend interveniert werden. Die EU soll als Einkäuferin auftreten und so das gegenseitige Hinauftreiben der Preise bremsen. Mit Erdgaslieferanten sollen langfristige Verträge zu fixen Preisen geschlossen werden. Mitgliedstaaten sollen bei der Bewältigung der Krise finanziell unterstützt, die Dekarbonisierung der Energiewirtschaft vorangetrieben werden.

Die Ankündigung der neuen Massnahmen hat die Lage etwas entspannt. Der Börsen-Spotpreis des Gases hat sich gegenüber Ende August halbiert, liegt aber noch immer deutlich über dem Niveau von vor dem Krieg in der Ukraine.

Ob die EU-Länder ohne grossen Schaden über den Winter kommen, bleibt trotzdem ungewiss. Erst recht ungewiss sind die Aussichten über 2023 hinaus. Die Gaslücke könnte sich noch weiter öffnen. Von den jetzt zu über 90 Prozent gefüllten Gasspeichern stammt noch ein grosser Teil aus Russland. Wenn im nächsten Frühjahr die Lager wieder aufzufüllen sind, könnten Lieferungen aus Russland ganz ausfallen. Gas werde auf dem Weltmarkt erneut knapp, warnte die Internationale Energieagentur im jüngsten Quartalsbericht.

Die europäische Wirtschaft konnte ihren Gasverbrauch in den letzten Monaten senken, auf mittlere Frist bleibt sie aber trotzdem noch stark abhängig. Von Stahl über Zement, Düngemittel, Keramik, Papier bis Autofabriken hängen zentrale Pfeiler der Industrie von verkraftbaren Gaspreisen ab. Musste sie vor dem Krieg noch doppelt so viel wie die US-amerikanische Konkurrenz für Gas zahlen, so sind es aktuell zehnmal so viel. Es drohen Unternehmensverlagerungen, wenn es nicht gelingt, die Gaspreise zu senken oder nur langsam steigen zu lassen.

Es steht viel auf dem Spiel. Die Energiekrise und über sie hinaus die Polykrise zu entschärfen, erfordert mehr als nur Sofortmassnahmen. Ob aus der Not die Tugend des schnellen Abschieds von den fossilen Energien erwächst, wird entscheidend sein. Daran wird man die EU messen.

Preisanstieg schon vor dem Ukraine-Krieg

Bereits im Sommer 2021 schnellten die Gas- und Strompreise auf den europäischen Energiemärkten in die Höhe, nachdem sich die Wirtschaft überraschend schnell vom Corona-Einbruch erholt hatte. Mehrere EU-Staaten forderten schon damals die Abschöpfung illegitimer Gewinne und eine Reform des Strommarkts, um die Konsumenten zu schützen.  

Die Energiefrage war am EU-Gipfel im Oktober 2021 Hauptthema. Doch bald folgte Entwarnung. Für Frühjahr 2022 wurde ein starker Preisrückgang prognostiziert. Die Diskussion über eine neue Energiemarktordnung wurde aufgeschoben. Entsprechend unvorbereitet reagierte die EU auf den Preisschock nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine.     

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Oben      —        Die Europaflagge besteht aus einem Kranz aus zwölf goldenen, fünfzackigen, sich nicht berührenden Sternen auf azurblauem Hintergrund. Sie wurde 1955 vom Europarat als dessen Flagge eingeführt und erst 1986 von der Europäischen Gemeinschaft übernommen. Die Zahl der Sterne, zwölf, ist traditionell das Symbol der Vollkommenheit, Vollständigkeit und Einheit. Nur rein zufällig stimmte sie zwischen der Adoption der Flagge durch die EG 1986 bis zur Erweiterung 1995 mit der Zahl der Mitgliedstaaten der EG überein und blieb daher auch danach unverändert.

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Kolumne-Fernsicht-Ostafrika

Erstellt von Redaktion am 22. Oktober 2022

Museveni und Macron, ein Pipeline-Freundespaar

Vogelbeobachtung (8618362879).jpg

Von Joachim Buwembo

Die Beziehungen zwischen Frankreich und Uganda waren in den vergangenen Jahrzehnten nicht weiter bemerkenswert: korrekt, aber kühl. Jetzt wird daraus plötzlich eine heiße Umarmung. Die innige neue Beziehung wird mit ugandischem Öl geölt, im Wortsinne. Aber das Öl sorgt auch für Friktionen – mit der Europäischen Union.

Das liegt an einer Resolution des Europaparlaments vom 14. September, die ein einjähriges Moratorium auf Ostafrikas aktuell größtes Energieprojekt forderte: Die East African Crude Oil Pipeline (EACOP), die Ugandas Rohöl durch ein 1.444 Kilometer langes beheiztes Rohr von den ugandischen Quellen über Tansania zum Indischen Ozean bringen soll, gebaut vom französischen Ölkonzern Total. Uganda und Total sind erbost über die Stellungnahme des EU-Parlaments. Ugandas Präsident Yoweri Museveni wirft den Europäern öffentlich vor, Afrika wie eine Kolonie zu behandeln. Total hat eine Einladung zu einem Auftritt vor dem EU-Parlament abgelehnt und begründet das damit, dass die Einladung nach der Verabschiedung der Resolution erfolgte und damit sinnlos sei.

Der Druck der Klimaaktivisten schmiedet Uganda und Frankreich zusammen.

Nun hat Präsident Museveni seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron nach Uganda eingeladen, um die neue Beziehung weiter zu versüßen. Diese Einladung wurde bekannt, als der scheidende französische Botschafter in Kampala, Jules-Armand Aniambossou, sich von Museveni verabschiedete. Offiziell will man über eine Lösung für die andauernde Instabilität im Osten der Demokratischen Republik Kongo diskutieren. Macron muss sich nun überlegen, ob er das EU-Parlament ärgert und die Einladung annimmt. Es wäre ein historischer Schritt für einen französischen Präsidenten.

2016

Denn die Kühle in Frankreichs Beziehungen zu Uganda ist alt. Sie ist auf Oktober 1990 zurückzuführen, als ruandische Flüchtlinge, die in Ugandas Armee dienten, kollektiv desertierten und in Ruanda einmarschierten. Sie starteten einen fast vierjährigen Krieg, den sie im Juli 1994 gewannen, als sie unter Führung des heutigen ruandischen Präsidenten Paul Kagame Ruandas Hauptstadt Kigali einnahmen und damit dem Genozid ein Ende setzten, der in den Monaten davor in Ruanda eine Million Tote produziert hatte.

Frankreich hat Uganda das nie verziehen, denn mit der Vertreibung des für den Genozid verantwortlichen Regimes aus Kigali wurde auch Frankreich aus dem Herzen Afrikas verjagt. Ruanda hat sich von einer „frankofonen“ in eine „anglofone“ Nation verwandelt, ist der Ostafrikanischen Gemeinschaft beigetreten und sogar dem britisch geführten Commonwealth. Es hat dieses Jahr den seit Langem größten Commonwealth-Staatengipfel ausgerichtet, obwohl es nie eine britische Kolonie gewesen ist. All dies hat Frankreich brüskiert, und Uganda wird dafür verantwortlich gemacht, weil es vor Jahrzehnten zuließ, dass Kagames Rebellen von Uganda aus in Ruanda einmarschierten.

Quelle         :          TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Gaskriese + Milliardenpaket

Erstellt von Redaktion am 14. Oktober 2022

Das falsches Signal an Europa

Das Vorspiel durch politische Ignoranten – Im Endspiel heute, sollen die Bürger-innen die Versäumnisse der Politiker selber tragen. Gleichwohl der Entscheider immer die Verantwortung hat. Aber die Politik war noch nie bereit eine Schuld auf sich zu nehmen.

Ein Debattenbeitrag von Andresen Rasmus und Anton Hofreiter

Der „Doppel Wumms“ ist nötig, darf aber nicht auf Deutschland beschränkt bleiben. Die Bundesregierung muss sich für eine europäische Lösung einsetzen.

Wir stecken jetzt schon knietief in der Krise – in Deutschland und im Rest von Europa. Und der Winter wird hart. Wie hart, weiß keiner so genau. Aber klar ist, aus Russland wird kein Gas mehr fließen. Und mit Importen aus anderen Staaten werden wir es nicht vollständig ersetzen können.

Für uns heißt das, dass wir massiv Gas einsparen müssen – bis zum Ende dieser Heizperiode mindestens 25 Prozent. Ein Kraftakt, den wir nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern schultern können.

Neueste Prognosen zeigen, dass die rückläufige wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland die gesamte Eurozone in die Rezession führen kann. Das provoziert neben weiteren Preissteigerungen auch große soziale Folgen für ganz Europa. Gleichzeitig sind die Preise bereits so stark gestiegen, dass Menschen und Unternehmen dringend Unterstützung benötigen.

Der „Doppelwumms“, wie es der Kanzler so schön ausgedrückt hat, ist daher absolut notwendig. Die Gaspreisbremse ist das richtige Mittel, um die exorbitanten Preisanstiege unter Kontrolle zu bringen und die Menschen mit ihren erschreckend hohen Energierechnungen zu entlasten. Motivation zum Gas- und Stromsparen bietet der Preisdeckel, weil er sich nur auf den Grundbedarf bezieht. Wer verschwenderisch verbraucht, zahlt deutlich mehr als Menschen, die zu fairen Preisen ihren Grundbedarf decken müssen.

Aber wo bleibt der Doppel Wumms für Europa? So wichtig und richtig die Entlastungspakete der Bundesregierung sind, mangelt es einigen in Berlin leider an der europäischen Perspektive. Noch schlimmer: In Brüssel blockierte die Bundesregierung sogar eine gemeinsame Preisdeckelung und gemeinsame Energieeinkäufe.

Als die Spitzen der Ampelregierung ihr 200 Milliarden Euro starkes Hilfspaket am Tag vor dem europäischen Energieministertreffen verkündeten, fielen die Reaktionen auf dem Rest des Kontinents heftig aus. Der Begriff „Germany first“ machte in Brüssel die Runde und die Re­gie­rungs­che­f*in­nen von Finnland, Estland und Polen haben durchaus einen Punkt, wenn sie der Bundesregierung vorwerfen, die europäischen Partner zu übergehen.

Berlin hat die europäischen Auswirkungen des Hilfspakets zu wenig bedacht. Viele Mitgliedstaaten der EU haben bislang Hilfen beschlossen, doch sie alle kommen nicht einmal in die Nähe – von Umfang und Größe – der deutschen 200 Milliarden. Andere europäische Nachbarn können sich Hilfspakete in dieser Größenordnung nicht leisten. Wäre wenigstens der Stabilitäts- und Wachstumspakt schon reformiert, hätten auch andere Länder mehr Spielraum. Die Bundesregierung sendet das falsche Signal an die engsten Verbündeten: Die größte Volkswirtschaft Europas nutzt ihre finanzielle Macht für Maßnahmen auf natio­naler Ebene, während sie notwendige europäische Lösungen verhindert. Die Blockade der Verstetigung des Europäischen Kurz­ar­bei­te­r*in­nen­gelds SURE und ein grüner Investitionsfonds durch das Bundesfinanzministerium sind die jüngsten Beispiele.

Gut gebrüllt Löwe und auf den Parteitag heute singen alle zusammen : „Wir verkaufen unsrer Oma ihr Klein-Häuschen und versaufen auch die erst, zweite … Hypothek.“

Über 50 Prozent der deutschen Exporte gehen in die EU. Es ist also in unserem ureigenen Interesse, auf europäische Lösungen zu setzen. Unsere Wirtschaft ist darauf angewiesen, dass auch bei den Nachbarn die Gaspreise bezahlbar bleiben und ausreichend Gas vorhanden ist. Denn wenn italienische Unternehmen pleitegehen, bekommen auch deutsche Unternehmen große Probleme.

Hinzu kommt, dass ökonomisch starke europäische Staaten wie Deutschland die Preise für Gas auch für die anderen in die Höhe treiben. Weil jedes Land für sich am Markt Gas einkauft, machen sich die Mitgliedstaaten gegenseitig die Preise kaputt – mit schwerwiegenden Folgen für Wirtschaft und Menschen in ganz Europa. Wenn wir den europäischen Binnenmarkt schützen wollen, müssen wir in der Europäischen Union gemeinsam und koordiniert vorgehen.

Angesichts all der milliardenschweren Hilfspakete müssen wir uns klarmachen: Die Zeiten billiger Energie sind vorbei. Einen „Doppel Wumms“ kann es nicht jedes Jahr geben und die Energiekosten werden in den kommenden fünf Jahren in Europa deutlich höher sein als in den USA oder in Asien. Um mit der Konkurrenz auf den anderen Kontinenten mithalten zu können, müssen sich europäische Unternehmen darauf einstellen.

Quelle        :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben      —     Церемония открытия газопровода «Северный поток».

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Das Volk wird geschockt

Erstellt von Redaktion am 12. Oktober 2022

Energienotstand und  den Schockpolitik

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Iwan Nikolajew

  1. Prolog

Bewußt entscheidet sich das deutsche Kapital für eine aggressive Politik, welche die Energieversorgung gefährdet. Der transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland wird auch vom deutschen Imperialismus aktiv befürwortet und ist primär Klassenkampf, denn die Kosten dieses antirussischen Wirtschaftskrieges soll die Arbeiterklasse entrichten.

  1. Die „neue Normalität“ des Notstands

Der Notstand schafft seine eigene, „neue“ Normalität. Seit dem 13. und 17. März 2020 wird die Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum vermittels des „Corona-Notstandes“ an den Notstand überhaupt gewöhnt und damit auf den Verzicht, auf den Verzicht am gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse und auf Verzicht an den vom Proletariat erkämpften Rechten im Kapitalismus. Dies begann langsam und zaghaft mit dem „Corona-Notstand“ und der Ruf nach Verzicht wird in der Ukraine-Krise mit einem möglichen „Energienotstand“ immer lauter. Über eine Strategie der Spannung sollen in der Arbeiterklasse und im Kleinbürgertum Massenängste ausgelöst werden. Es geht darum Panik zu verbreiten und die Schockwirkungen einschneidender Notmaßnahmen schon präventiv zu legitimieren und vorzubereiten. Es werden Gas- und Energiekosten angedroht, die kaum von den Massen zu tragen ist. Die Angst vor der Abschaltung der Energiezufuhr geht in den Massen um, denn die Preise sind jenseits von Gut und Böse. Der bürgerliche Staat hofft dann mit Hilfen und Energierationierungen ein kleineres Übel anzubieten, damit die Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum die deutliche Erhöhung und Rationierung akzeptiert, weil sie sich von noch höheren Preisen fürchtet. Dies gelingt umso leichter, wenn die Arbeiterklasse isoliert, atomisiert ist, wie seit dem „Corona-Notstand“. Die historische Funktion des „Corona-Notstandes“ war es, die Arbeiterklasse und ihre Massenorganisationen zu desorganisieren und zu atomisieren, transparent für eine härtere Stufe des Notstands zu machen. Über den „Corona-Notstand“ lockerte das Kapital die sozialen Beziehungen der Arbeiterklasse auf und bereitete damit eine neue Stufe des Notstands, aber vor allem die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, vor. Die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse durch das Kapital ist die materielle Basis für die Neuzusammensetzung des Kapitals und wird durch den Notstand abgestützt. Im Notstand findet sich dann die Schock-Politik. Das Kapital erklärt ein Ereignis bzw. Zustand, zur existentiellen Gefahr, welcher man nur dann Herr werden kann, wenn man die traditionellen Institutionen und das bisherige alltägliche Verhalten im Sinne eines Notstandsstaates abändert und dies sofort, plötzlich, von einer Stunde auf die nächste Stunde ohne detaillierte Begründung. Der Notstandsstaat schiebt dann die bisherigen bürgerlichen Institutionen zumindest für eine bestimmte Zeit zur Seite und zwingt der Arbeiterklasse einen neuen proletarischen Klassenalltag auf. Im Notstandsstaat gibt es keine ausführliche Begründung, keine demokratische Konsenssuche, kein Ausgleich und kein Gleichgewicht; es gibt nur den Befehl. Nur durch den Befehl der Exekutive soll die existenzielle Gefahr überwunden werden können. Erst nach Überwindung der existentiellen Gefahr kann es wieder für das Kapital eine Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen geben. Ohne die plötzliche existentielle Gefahr, bzw. Schock, keinen Notstand. Der Notstand ist ein „Gegen-Schock“, ein plötzliches Ereignis zur Negation einer plötzlichen Gefahr und potenziert die Schock-Wirkung. Der Schock verdoppelt sich im Notstandsstaat und desorganisiert die Arbeiterklasse. Eine organisierte proletarische Gegenwehr muß schon vorher organisiert sein, ansonsten kann sie im Augenblick des Schocks nicht mehr organisiert werden. Der Schock desorganisiert und atomisiert die Arbeiterklasse tendenziell, zielt auf Lähmung und Handlungsunfähigkeit, zielt auf Blitzkrieg und einem politischen und militärischen Enthauptungsschlag. Mit einem gezielten Schlag gegen politische und soziale Knotenpunkte der Arbeiterklasse wird die Arbeiterklasse als Ganzes entmachtet und entrechtet, denn dann ist ein organisiertes Handeln nicht mehr möglich. Die mächtigste Waffe des Proletariats ist proletarische Organisierung und damit der Klassenkampf. Über eine Schock-Politik versucht die Bourgeoisie diese proletarische Waffe mit einem gezielten Schlag zu zerstören. Das Ziel der bürgerlichen Strategie der Spannung ist es, einen Schock-Moment zu organisieren, hier einen sozioökonomischen Schock, um dann die bisherige neoliberale Zusammensetzung der Arbeiterklasse zu zerstören und eine multipolare, nationalliberale Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse einzuleiten.

Der deutsche Imperialismus provoziert mit seinem transatlantischen Wirtschaftskrieg offen und ganz bewußt das Ende der Energielieferungen (Gas, Öl und Kohle) aus Rußland und damit einen ökonomischen Schock. Eine bürgerliche Einheitsfront von Kapital, aller wesentlichen Parteien (einschließlich der Linkspartei) innerhalb der kollektiven Einheitspartei, aller wesentlichen Verbände und der von der Gewerkschaftsbürokratie beherrschten Gewerkschaften, die bürgerliche „Zivilgesellschaft“ mit samt der „Kulturindustrie“ und den privaten und staatlichen Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) provozieren bewußt einen russischen Abbruch der Rohstofflieferungen, die auch über die Lieferung von Energierohstoffen hinausgehen. Schon jetzt schlägt sich dies in Problemen der Lieferketten und vor allem in einer inflationären Tendenz nieder. Doch der deutsche Imperialismus läßt nicht nach, versucht alle Brücken zum russischen Imperialismus abzubrechen und provoziert eine Energiekrise und damit einen „Energienotstand“. Andere Lösungsmöglichkeiten sind möglich, werden jedoch vom deutschen Imperialismus bewußt ausgeschlagen. Der deutsche Imperialismus setzt bewußt auf eine Eskalation des transatlantischen Wirtschaftskrieges gegen den russischen Imperialismus mit allen Konsequenzen. Einige bürgerliche Ökonomen in Deutschland fordern gar ein „Ultimatum“ an Rußland. Wenn nicht die Gaspreise gesenkt werden, dann sollte Deutschland mit dem Abbruch der Lieferbeziehungen im Gasmarkt drohen bzw. diese Drohung dann realisieren. Jedoch ist Deutschland abhängig von der Lieferung russischer Energierohstoffe. Ein Ultimatum ist die letzte diplomatische Warnung bzw. Forderung vor der Kriegserklärung, d.h. Rußland wird im Bereich des Gasmarktes von Deutschland der Krieg erklärt, den Gas- und Energiekrieg. Immer mehr ist der deutsche Imperialismus bereit, einen Gas-bzw. Rohstoffkrieg mit Rußland zu provozieren und letztlich den Krieg, denn wenn Rußland nun seinerseits die Gaslieferungen abbricht, bricht die Akkumulation des deutschen Kapitals drastisch ein. Dann gäbe es nur noch einen militärischen NATO-Angriff auf Rußland, um sich die strategischen Rohstoffe vermittels offenen Raub anzueignen. Das wäre dann der Beginn des Dritten Weltkrieges. Ein „Gasultimatum“ führt notwendig zum eigentlichen Ultimatum und ist damit eine verdeckte Kriegserklärung an Rußland. Der deutsche Imperialismus ist bereits zum dritten Male bereit, sich seinen „Lebensraum im Osten“ mit offener Gewalt und offenen Terror zu erobern, wenn er mir den Methoden der „friedlichen“ Durchdringung scheitern sollte. Dies setzt dann auch eine „neue Ordnung“ im inneren voraus und ein sozioökonomischer Schock wäre die Initialzündung für die Schaffung einer „neuen Ordnung“. Ein sich eskalierender Wirtschaftskrieg schafft eine neue „gesellschaftliche Ordnung“ im inneren, legt die materielle Basis für eine Kriegswirtschaft und damit für den imperialistischen Krieg, hier konkret wieder gegen Rußland. Der „äußere“ Feind“ ist notwendig für die Beseitigung des „inneren Feindes“, d.h. der proletarischen Massenorganisationen, welche die Interessen der Arbeiterklasse vertreten. Nur durch einen „äußeren Feind“ der als „gemeinsamer Feind“ der „Nation“ ausgegeben wird, kann die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse-Neuzusammensetzung des Kapitals im nationalen Rahmen realisiert werden und dann im zweiten Schritt auf der internationalen Ebene, dem Weltmarktzusammenhang, auch vermittels imperialistischen Krieg. Der Krieg im Kapitalismus ist nur die Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln, mit militärischen Mitteln. Auch der deutsche Imperialismus ist dabei eine Kriegswirtschaft aufzubauen und damit setzt eine Militarisierung der Klassenbeziehungen ein, welche sich konkret in einer Regulation der Klassenverhältnisse durch Rationierung ausdrückt. Das Wertgesetz drückt sich nicht mehr unmittelbar aus, sondern nur noch vermittelt über die militarisierte Intervention des bürgerlichen Staates in die Ökonomie. Über die Intervention des bürgerlichen Staates in die Ökonomie interveniert der bürgerliche Staat gleichzeitig in die Klassenbeziehungen, in die Arbeiterklasse. Durch die bürokratische Fixierung von Zielen und Durchführungsbestimmungen von Seiten des bürgerlichen Staates in die materielle Basis, wird auch die Arbeiterklasse einer Neuzusammensetzung unterzogen.

Mittlerweile traut sich auch das Kapital direkt, ohne Umweg über den bürgerlichen Staat, nach dem Notstand zu rufen. So forderte Ende Juni der Vorsitzende der BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) Rainer Dulger einen „nationalen Notstand“ als Antwort auf die Energiekrise, meinte aber noch konkreter die Arbeitskampfmaßnahmen von verdi in den Seehäfen, denn diese verschärften die Lieferkettenprobleme. Mit dem „nationalen Notstand“ sollten Streiks gebrochen werden, das „Streikrecht“ selbst aber nicht angetastet werden, d.h. das „Streikrecht“ wird nicht abgeschafft, sondern „nur“ für die Zeit des Notstandes suspendiert. Später im August fordert auch Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf bei einem Abbruch der russischen Gaslieferungen einen „nationalen Notstand“ mit Streikverbot. Jedoch nur die verdi-Bürokratie reagierte mit einer scharfen Kritik und der Warnung vor dem autoritären Staat. Die Bürokratien der anderen Einzelgewerkschaften schweigen sich laut aus und auch die DGB-Bürokratie. Diese Reaktionen der Gewerkschaftsbürokratien wundert nicht, denn sie gehen inhaltlich mit dem „nationalen Notstand“ des BDA tendenziell konform, indem sie eine Rationierung des privaten Gasverbrauchs fordern. Der Arbeiterklasse soll nur noch ein bestimmtes Mindestniveau an Gas kostengünstig gewährt werden. Alles, was über dieses Mindestniveau hinausgeht, muß zu hohen Preisen von der Arbeiterklasse gekauft werden. Gleichzeitig verweigern sich die Gewerkschaftsbürokratien den Reallohnverlust durch höhere Lohnforderungen zu kompensieren. Wird dies verweigert, bleibt nur der drastische Reallohnverlust, welcher mit einer gewissen Rationierung des Energieverbrauchs über Kompensationszahlungen abgemildert, aber nicht aufgehoben wird. Das Ziel dieser Rationierung ist es, den Gasverbrauch bzw. den Energieverbrauch der Arbeiterklasse drastisch zu senken, damit die Gas-und Energieversorgung des Kapitals konstant bleiben oder gar ausgebaut werden kann. Eine Umverteilung des Gas-bzw. Energieverbrauchs von der Arbeiterklasse zum Kapital. Jedoch wäre die Rationierung des Energieverbrauchs nur der Auftakt zu einer umfassenden Rationierung und damit der drastischen Absenkung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, vermittels einer Kriegswirtschaft. In Hamburg fordert der Umweltsenator schon jetzt die Rationierung von Warmwasser. Nun heißt es: Kanonen statt Butter. „Nationaler Notstand“ heißt konkret Rationierung der Arbeiterklasse. Immer tiefer sinkt der DGB auf die Stufen einer Arbeitsfront herab, wie einst 1914, wo sich die Gewerkschaftsbürokratie einer Selbstgleichschaltung unterzog bzw. wie 1933, wo eine Selbstgleichschaltung der Gewerkschaftsbürokratie nicht gelang, die Gewerkschaften aber derart zersetzt waren, daß die terroristische Gleichschaltung der Gewerkschaften durch den Faschismus eine Leichtigkeit war. Die historische Mission der Gewerkschaften ist die Verteidigung und Hebung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, aber nicht der „nationale Verzicht“. Damit unterstützt auch die DGB-Bürokratie den deutschen transatlantischen Wirtschaftskrieg gegen Rußland, ein Wirtschaftskrieg, der leicht in den Dritten Weltkrieg umschlagen kann.

Es wird eine politische Spannung aufgebaut, ein Energiemangel, der nur über Rationierung bekämpft werden kann und der bürgerliche Staat bietet sich an diese Rationierung zu übernehmen, denn eine Rationierung direkt über das Wertgesetz sei noch die schlechteste Lösung für die Arbeiterklasse. Ein bestimmtes Quantum Gas/Energie als Mindestleistung wird durch eine Rationierungspolitik der Arbeiterklasse zugeteilt. Will die Arbeiterklasse diese staatliche Reduktion nicht akzeptieren, kann sie über den Markt Energie/Gas zukaufen, was real wegen den hohen Kosten nicht möglich ist. Damit wird die Energiemenge an die Arbeiterklasse reduziert und das Kapital kann sich dann die „frei“ werdende Menge an Energie/Gas einverleiben. Eine Energierationierung wäre der potentielle Einstieg in ein System der umfassenden Rationierung der individuellen und gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeiterklasse. In der Rationierung liegt die Militarisierung der Klassenbeziehungen. Erst der Schock, dann die Rationierung.

Der bürgerliche Staat in Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) garantiert die „nationale Sicherheit“ der Akkumulation. Die Weltmarktkonkurrenz verdoppelt sich in Ökonomie und Politik. Damit verdrängt die „nationale Sicherheit“ die parlamentarisch-demokratische Form bürgerlicher Klassenherrschaft, welche die Form bürgerlicher Klassenherrschaft ist, die die Arbeiterklasse noch am ehesten akzeptieren kann, denn nur dort kann die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft ausgebaut werden, kann die Arbeiterklasse Eroberungen im Kapitalismus machen und verteidigen. Somit ist die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates für die Arbeiterklasse existentiell, nicht aber für das Kapital. Für das Kapital ist die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates austauschbar, zufällig, je nach den Bedürfnissen der Kapitalakkumulation disponibel. Diese Austauschbarkeit der Formen bürgerlicher Klassenherrschaft, welche sich in den historischen Formen des bürgerlichen Staates konkret-spezifisch materialisiert, ist in letzter Instanz vom Klassenkampf abhängig. Auch die herrschende Klasse kann nicht frei die Formen ihrer Klassenherrschaft wählen, sondern diese wird im Klassenkampf konkret bestimmt. Ist die Arbeiterklasse in der Defensive, in die Passivität gedrängt, kann die Bourgeoisie ohne große Rücksicht auf die Arbeiterklasse die Formen ihres Klassenregimes selbst bestimmen und die Intensität der Ausbeutung anziehen. Der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) ist ein Produkt der Defensive der Arbeiterklasse und organisiert sich um die „nationale Sicherheit“.

Nach dem Dogma der „nationalen Sicherheit“ wird die Ausbeutung der Arbeiterklasse neu organisiert. Der Begriff der „nationalen Sicherheit“ setzt eine potentielle Bedrohung derselben voraus, erst, wenn die „nationale Sicherheit“ vermeintlich bedroht wird, wird die „nationale Sicherheit“ betont. Damit setzt der Begriff der „nationalen Sicherheit“ einen Feind voraus. Ohne einen „Feind“ ist die Frage nach der „nationalen Sicherheit“ sinnlos. Die Bourgeoisie erklärt die Arbeiterklasse zum Feind, weil diese sich naturwüchsig ihrer Neuzusammensetzung im Prozeß der Neuzusammensetzung des Kapitals widersetzt. Indem die Bourgeoise die Arbeiterklasse über den Begriff der „nationalen Sicherheit“ zum Feind erklärt, negiert sie die parlamentarisch-demokratischen Formen des bürgerlichen Staates und damit auch alle reformistischen Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus und ebenso jeden historischen Klassenkompromiß. Jede Form eines historischen Klassenkompromisses bedroht dann die „nationale Sicherheit“ der Bourgeoisie, welche vermeint für die „Nation“ zu sprechen. In der „Nation“ ist die Arbeiterklasse nur als Untertan geduldet, sie hat keine Ansprüche zu stellen, sondern zu gehorchen. Nur als Objekt der Ausbeutung, nicht aber als politisches Subjekt der Geschichte ist die Arbeiterklasse geduldet. Damit werden die proletarischen Massenorganisationen zu Feindorganisationen, zu terroristischen Organisationen, zu „Gefahrenquellen für die nationale Sicherheit“ und müssen entweder zerschlagen oder gleichgeschaltet werden. Unter diesem Druck kapituliert die Gewerkschaftsbürokratie, was nicht anders zu erwarten war, denn sie erhofft sich durch diese Kapitulation die organisatorische Existenz zu sichern, kapituliert nicht in dem sie auf ihre Gleichschaltung wartet, sondern organisiert präventiv, im vorauseilenden Gehorsam, ihre Selbstgleichschaltung. Jedoch alle anderen Organisationen, wo sich noch keine Arbeiterbürokratie herausbilden konnte, wählen nicht den Weg der Kapitulation und der bürgerliche Staat in Notstandsform wird mit präventiver Repression vorgehen, wenn es nötig werden sollte, um diese Organisationen zu zerschlagen. Die Gewerkschaftsbürokratie hingegen versucht immer mehr die Gewerkschaften des DGB in den bürgerlichen Staat einzubauen und damit die Gewerkschaften als Arbeitsfront zu organisieren. Unabhängige, freie, autonome Gewerkschaften kann der bürgerliche Staat in Notstandsform nicht akzeptieren. Auch der DGB wird immer mehr zum Sprachrohr des Notstandsstaates, denn ebenso dort findet man eine Propaganda für den Verzicht. Verzicht soll Solidarität sein. Doch gerade die historische Aufgabe der Gewerkschaften ist es, die Arbeiterklasse gegen den Verzicht zusammenzuschließen; eine Solidarität der Arbeiterklasse gegen den Verzicht. Konsequent verweigern die DGB-Gewerkschaften auch eine Politik des inflationären Lohnausgleichs um den Reallohnverlust durch inflationäre Tendenzen auszugleichen und verweisen auf die Politik des bürgerlichen Staates. So wie sich die Gewerkschaftsbürokratie bezüglich der inflationären Tendenzen für nicht zuständig erklärt, weil die „Politik“ diese zu verantworten hat, wird sie sich auch bei deflationären Tendenzen für nicht zuständig erklären, weil „die Politik“ diese zu verantworten hat, d.h. die Gewerkschaftsbürokratie verweigert sich dem politischen Mandat der Gewerkschaften und verhindert eine relative proletarische Gegenmacht. Inflation und Deflation sind politische Größen und keine „technischen Daten“ der Ökonomie. Damit gibt die Gewerkschaftsbürokratie selbst ihre relative Tarifautonomie auf, statt diese gegen den bürgerlichen Staat zu verteidigen und erkennt somit den Notstandsstaat als letzte Entscheidungsinstanz an und damit auch das Dogma der „nationalen Sicherheit“. Das bürgerliche Dogma der „nationalen Sicherheit“ triumphiert über das von der Arbeiterklasse erkämpfte Recht in einer relativen Tarifautonomie gegen das Kapital bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen zu erkämpfen, ohne daß das Kapital offen und ohne weiteres auf die Machtmittel des bürgerlichen Staates zurückgreifen kann. Die Gewerkschaftsbürokratie negiert selbst dieses existentielle Recht der Arbeiterklasse und seiner Gewerkschaften. Im Notstandsstaat steht die „nationale Sicherheit“ des Kapitals absolut über den auch nur reformistischen Klasseninteressen des Proletariats. Jede proletarische Organisation, welche nicht die Hegemonie der „nationalen Sicherheit“ akzeptiert ist für den Notstandsstaat eine Feindorganisation und muß zerstört werden.

Dies beginnt mit der Einführung von Zensurmaßnahmen, deren Ziel es ist, die freie Meinungsbildung im Proletariat im Sinne der „nationalen Sicherheit“ zu regulieren. Es gilt, die proletarische Meinungsbildung im Sinne der „nationalen Sicherheit“ zu manipulieren. Eine offene Diskussion in der Arbeiterklasse versucht die Bourgeoisie zu verhindern, denn sie gefährdet die „nationale Sicherheit“ der Akkumulation von Kapital. Nur eine offene Diskussion im Proletariat schafft die materielle Basis für die proletarische Aktion. Die gegenwärtigen direkten und indirekten Zensurmaßnahmen dienen über die Meinungssteuerung der Verhinderung kollektiver proletarischer Aktion. Es werden von der Bourgeoisie die Meinungsbeiträge selektiert in Meinungsbeiträge, welche die „nationale Sicherheit“ gefährden und Beiträge, welche die „nationale Sicherheit“ nicht gefährden. Diese konkreten Meinungsbeiträge, welche die „nationale Sicherheit“ beeinträchtigen könnten, werden unterdrückt oder manipuliert. Damit werden proletarische Aktionen erschwert, verhindert werden können sie nicht. Die bürgerliche Meinungssteuerung ist auch ein Versuch, die politischen Aktionen der Arbeiterklasse zu steuern, ohne auf offensichtliche Repression zu setzten. Umso tiefer die Große Krise wird, desto mehr reicht die bürgerliche Meinungssteuerung nicht aus. Es muß auf die direkte nackte Repression zurückgegriffen werden.

Wenn der deutsche transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse deutlich gefährdet, wird die Arbeiterklasse die „nationale Sicherheit“ des Kapitals gefährden müssen. Dann steht „proletarische Existenzsicherheit“ gegen „nationale Sicherheit“ des Kapitals. Die sozioökonomische Spannung zwischen den antagonistischen Klassen entlädt sich zuerst in spontanen Revolten, auch in wilden Streiks und der Notstandsstaat versucht schon präventiv, die spontanen Revolten unter Kontrolle zu bekommen. Diese soziale Polarisierung aufgrund der Vertiefung der Großen Krise übersetzt sich in eine politische Polarisierung, wenn die Bourgeoisie eine notstandsgestützte Deflationspolitik realisieren sollte. Mittlerweile befürchtet die deutsche Außenministerin Volksaufstände und das Bundesinnenministerium warnt vor großen Protestwellen, sollte sich die Große Krise in Form einer Energiekrise durch das Ausbleiben von Gaslieferungen aus Rußland darstellen. Der BDA (Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände) ruft nach einem „nationalen Notstand“ und möchte für eine gewisse Zeit das Streikrecht suspendieren, gerade im Hinblick des Streiks der Hafenarbeiter, denn dieser Streik belastet die Lieferketten des deutschen Kapitals. Der bürgerliche Staat geht schon einmal voran und verbietet bis Ende August die Warnstreiks in den Seehäfen und die verdi-Bürokratie akzeptiert dies, anstatt das Streikrecht zu verteidigen, was zum Protest an der Gewerkschaftsbasis führt. Schon bei den Warnstreiks kam es zu Auseinandersetzungen mit Polizeieinheiten. Der „nationale Notstand“ tastet sich langsam voran. Je näher der Energiemangel kommt, desto näher rückt auch der „nationale Notstand“ vor.

Der deutsche Imperialismus ist keine Kolonie des US-Imperialismus. Damit kann die Politik des deutschen Imperialismus nicht auf die Politik des US-Imperialismus reduziert werden, sondern die Politik des deutschen Imperialismus ist primär Ausdruck der Interessenlage des deutschen Kapitals, welche durch die Interessenlage des US-Imperialismus und der anderen transatlantischen Metropolen modifiziert wird. Auch der deutsche Imperialismus hat kein Interesse an einem wiedererstarkten russischen Imperialismus, sondern versucht den russischen Imperialismus in der Position eines bloßen Energie- und Rohstoffproduzenten, maximal einer verlängerten Werkbank für das deutsche Kapital, zu belassen. Da für diese Eindämmungspolitik der deutsche Imperialismus zu schwach ist, bedarf es der Hilfe des US-Imperialismus, welcher die gleichen Interessen gegenüber dem russischen Imperialismus verfolgt, wie auch die anderen transatlantischen Kettenglieder der imperialistischen Kette. Den transatlantischen Kettengliedern der imperialistischen Kette geht es um den wohlfeilen Zugriff auf die strategischen Rohstoffe des russischen Imperialismus und um die Verhinderung des Aufbaus einer hochentwickelten russischen Industrie. Es gibt ein gemeinsames imperialistisches Interesse der transatlantischen Metropolen gegenüber dem russischen Imperialismus und nicht nur das alleinige Interesse des US-Imperialismus. Der Ausbruch des russischen Imperialismus aus dem neoliberalen Weltmarkt ist gleichzeitig auch ein Ausbruch Chinas aus dem denselben, zerbricht den neoliberalen Weltmarkt und gefährdet damit objektiv die Interessen aller transatlantischen Metropolen, gefährdet die „transatlantische nationale Sicherheit“. Der Ukraine-Krieg macht deutlich, daß die Versorgung des transatlantischen Kapitals mit strategischen Rohstoffen nicht mehr gewährleistet ist. Der „Ernstfall“ ist für die transatlantischen Metropolen eingetreten, also das Ereignis, daß unter allen Umständen verhindert werden sollte. Im „Ernstfall“ wird die transatlantische Front in der imperialistischen Kette gegen den russischen Imperialismus besonders deutlich. Nicht die Interessen des US-Imperialismus sind maßgeblich, sondern die Gesamtinteressen der transatlantischen Kettenglieder der imperialistischen Kette. Nur in diesem einen Fall gibt es eine zeitweise eine partielle Interessenidentität zwischen den transatlantischen Metropolen der imperialistischen Kette. Je länger der Ukraine-Krieg andauert, desto mehr zerbricht die zeitweilige und partielle Interessenidentität zwischen den transatlantischen Metropolen, dann sind EU und NATO am russischen Imperialismus gescheitert und jede Metropole wird alleine und/oder mit anderen Metropolen zusammen sich mit dem russischen Imperialismus ins Verhältnis setzen. Auch der deutsche Imperialismus vertritt in letzter Instanz nur seine eigenen Interessen und wird mit dem transatlantischen Scheitern auf den deutschen Sonderweg zurückkehren, sein Mitteleuropa-Konzept wieder revitalisieren.

Die notwendige Zinserhöhung der EZB droht die Euro-Krise wieder aufleben zu lassen und gefährdet damit potentiell die Euro-Zone und auch die EU. Diese Krisentendenz potenziert sich zusätzlich mit dem transatlantischen Wirtschaftskrieg gegen Rußland, welcher dazu führt, daß sich die EU von ihrer Energiezufuhr tendenziell abschneidet bzw. abgeschnitten wird. Es droht ein Energienotstand in der EU und jedes Land wird unter diesen Umständen versuchen, sich zu retten, statt gemeinsam unterzugehen. Mit einer Energiekrise realisiert sich die aufziehende Rezession in der EU rascher und tiefer und die Fliehkräfte innerhalb der EU werden sich früh bemerkbar machen. Die Frage ist offen, ob es dem deutschen Imperialismus gelingt, die EU zusammenzuhalten oder ob der deutsche Imperialismus ein neues (Mittel-) Europa organisieren muß. Der transatlantische Wirtschaftskrieg schlägt als Energie-Krieg auf die EU, auf den deutschen Imperialismus, zurück. Ohne die russischen Energierohstoffe kann das transatlantische Kapital, auch das deutsche Kapital, nicht akkumulieren. Es geht nicht nur um die Verfügbarkeit der russischen Energierohstoffe, sondern auch einen wohlfeilen Preis. Hohe Energiekosten belasten die Akkumulationsrate des transatlantischen und deutschen Kapitals. Vor allem das deutsche Kapital hatte über wohlfreie Preise für Energierohstoffe aufgrund langfristiger Lieferverträge mit den russischen Lieferanten beträchtliche Vorteile in der Weltmarktkonkurrenz. Diese Konkurrenzvorteile hat das deutsche Kapital nun verloren. Die hohen Energiekosten können auch nicht in voller Höhe inflationär an die Kunden weitergegeben werden, da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht ausreicht. Dann bleibt nur der deflationäre Ausweg über Produktionskürzungen wie Produktionseinstellungen und damit Lohnkürzungen und Massenarbeitslosigkeit, was ebenfalls zum drastischen Absinken der gesamtgesellschaftlichen Nachfrage führt. Die Entwertung des Kapitals ist notwendig und alternativlos. Damit treiben die hohen Energiekosten die Entwertung des Kapitals in der allgemeinen Bewegung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate voran. Um diese Überakkumulation von Kapital zu transzendieren, muß das Kapital sich neu zusammensetzen und damit primär die Arbeiterklasse einer Neuzusammensetzung unterziehen. Nur über eine qualitative Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit im Ausbeutungsprozeß, kann einen Aufschwung der Akkumulation herbeiführen. Dies schließt auch die Potentialität eines imperialistischen Krieges mit ein. Läßt sich nicht auf friedlichem Wege eine qualitative Erhöhung der kapitalistischen Produktivkraft der Arbeit realisieren, besteht die Gefahr, daß über den Krieg als Fortsetzung der Weltmarktkonkurrenz mit anderen Mitteln die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse verwirklicht wird. Der imperialistische Raubkrieg als kapitalistische Alternative zur „friedlichen“ Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Die Vorenthaltung der russischen Energierohstoffe durch Rußland kann zu einem militärischen Angriff auf Rußland durch die transatlantischen Metropolen führen und damit auch durch den deutschen Imperialismus. Der deutsche Imperialismus kann die Vorenthaltung der russischen Rohstoffe und vor allem der Energie-Rohstoffe nicht nur als Wirtschaftskrieg, sondern auch als Krieg interpretieren und zum militärischen Angriff ansetzen, wenn er die militärische Kraft hätte. Jedoch ist nur der US-Imperialismus in der Lage, Rußland militärisch zu bedrohen.

Über das „Energiesparen“ kann das deutsche Kapital die Krise nicht überwinden. Jedoch führt das „Energiesparen“ zum „Sparen in der Krise“ und vertieft damit diese. „Sparen“ ist dann kein freiwilliger Akt, sondern, sondern wird der Arbeiterklasse vermittels Wertgesetz und damit auch vermittelt über den bürgerlichen Staat aufgezwungen. Dieses derzeit propagierte „Energiesparen“, bzw. „Sparen“ ist eine ideologische Umschreibung für Verzicht, erfolgt nicht freiwillig, sondern ist vom Kapital erzwungen und wird vermittels des Notstandsstaates realisiert. Die Arbeiterklasse spart nicht, weil sie sparen will, sondern weil sie sparen muß, weil sie vom Kapital zum Sparen gezwungen wird. Eine Deflationspolitik ist eine Sparpolitik und damit ein Angriff auf das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse. Letztlich rationiert der Notstandsstaat. Für den Notstandsstaat wird das „Sparen“ der Arbeiterklasse zu einer Frage von Freund und Feind. Wer spart, wer verzichtet, ist ein „Freund“, wer jedoch sich dem „Sparen“ bzw. dem Verzicht verweigert, ist ein „Feind“, ein „Staatsfeind“. Die Aufgabe des Notstandsstaates ist es, das „Sparen“ bzw. den Verzicht der Arbeiterklasse sicherzustellen und damit zu erzwingen, denn das „Sparen“ bzw. der Verzicht wird zu einer Frage der „Staatstreue,“ der „Loyalität“ zum bürgerlichen Staat und zur bürgerlichen Gesellschaft, bzw. noch ideologischer gefaßt als Frage der „Demokratie“, des „freien Westens“ (Sparen bzw. Verzicht ist Freiheit), der „wehrhaften Demokratie“. In kapitalistischen Krisenzeiten ist das „Sparen“ bzw. der Verzicht der Arbeiterklasse alternativlos. Erst der revolutionäre Bruch mit dem Kapitalismus beendet die Alternativlosigkeit des kapitalistischen „Sparens“ bzw. des Verzichts. In dieser gegenwärtigen Krisensituation ist das „Sparen“ bzw. der Verzicht der Arbeiterklasse für das Kapital eine Frage der „nationalen Sicherheit.“ Wer sich des „Sparens“ und damit des Verzichts verweigert, ist eine „Bedrohung für die „nationale Sicherheit“ und somit ein „Feind“ und muß politisch und notfalls auch physisch liquidiert werden. Wer sich dem „Sparen“ bzw. dem Verzicht verweigert, ist ein Hochverräter in den Augen der Bourgeoisie. Die „neue Normalität“ des Notstandsstaates ist das „Sparen“, das „Verzichten“ der Arbeiterklasse zu Gunsten des Kapitals. Ideologisch soll über das Paradigma des Energiesparens die Deflationspolitik in den Massen, vor allem im Kleinbürgertum, verankert werden. Wenn es gut ist, Energie zu sparen, dann kann ebenfalls nur gut sein, auch bei den Ausgaben etc. zu sparen, d.h. über den Energienotstand und das „Energiesparen“ wird eine Deflationspolitik vorbereitet. Aus dem „Sparen“ überhaupt wird vermittelt über das „Energiesparen“ zum Schutze der Ökologie eine Tugend gemacht und somit ist dann auch eine Austeritätspolitik/Deflationspolitik/Sparpolitik eine Tugend bzw. der Verzicht wird in der tiefen kapitalistischen Krise zur Tugend erklärt, natürlich nur bezüglich der Arbeiterklasse. Die Bourgeoisie verzichtet nicht, sie gewinnt dann den Teil, auf den die Arbeiterklasse verzichtet. Für das Kapital heißt sparen: Kosten sparen, betriebliche und staatliche Ausgaben, Löhne und soziale Transferleistungen zu sparen, d.h. abzusenken. Die Energiekosten der kapitalistischen Produktion zu senken, auch auf Kosten der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Ware Arbeitskraft ist das Ziel und nicht der Schutz der ökologischen Grundlagen der Gesellschaft.

Der Energiemangel des deutschen Kapitals aufgrund des antirussischen Wirtschaftskrieges soll über eine Rationierungspolitik zu Lasten der Arbeiterklasse über den Notstandsstaat reguliert werden. Nicht nur national. Der deutsche Imperialismus versucht EU-weit einen „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ zu organisieren. Die einzelnen EU-Staaten sollen mindestens 15 Prozent an Gas bzw. Energie einsparen, um die Mangellieferungen oder gar den Abbruch der russischen Energielieferungen, vor allem der Gaslieferungen, abzufangen. Jedoch konnte sich die EU nur auf Absichtserklärungen einigen. Verbindliche Zusagen haben die einzelnen EU-Staaten nicht gegeben. Der Versuch des deutschen Imperialismus, die EU geeint in einen Wirtschaftskrieg bzw. gar in einen Krieg, bzw. Dritten Weltkrieg, gegen den russischen Imperialismus zu führen, ist bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt. Dieser angestrebte „Energienotstand“ ist nicht nur eine Waffe im antirussischen Wirtschaftskrieg, sondern ebenso ein Moment der Kriegswirtschaft zur Organisierung des potentiellen Krieges gegen Rußland und damit objektiv des Dritten Weltkrieges. Im „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ wird die Energie, bzw. das Gas, im Sinne des Akkumulationsprozesses rationiert und damit zur Lasten der Arbeiterklasse und zum Wohle der Kriegsvorbereitung des deutschen und transatlantischen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus im Rahmen eines in letzter Instanz notwendigen Dritten Weltkrieges. Dieser Dritte Weltkrieg kann nicht vom Kapitalismus abgewendet werden, sondern nur durch den aktiven Klassenkampf der Arbeiterklasse. Der Kapitalismus ist nicht friedensfähig, sondern nur kriegsfähig. Damit dient der nationale oder EU-weite „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ der imperialistischen Kriegsvorbereitung der transatlantischen Metropolen gegen den russischen Imperialismus im Rahmen eines Dritten Weltkrieges. Im Wirtschaftskrieg wird die Kriegswirtschaft aufgerichtet, welche dann den Krieg, den Dritten Weltkrieg, vorbereitet. Das „Sparen“ bzw. der Verzicht der Arbeiterklasse ermöglicht den antirussischen Wirtschaftskrieg, welcher die Arbeiterklasse hart trifft und bereitet einen potentiellen Dritten Weltkrieg vor. Der proletarische Verzicht des kapitalistischen Verzichts ist die materielle Basis für die Verhinderung eines Dritten Weltkrieges.

Dies Mitteleuropa-Konzept des deutschen Imperialismus verlangt erst einmal im Binnenverhältnis eine neue Formierung der Klassenbeziehungen. Die derzeitige tiefe Krisenphase der Großen Krise zerbricht die Westbindung des deutschen Imperialismus und der deutsche Imperialismus ist auf sich allein gestellt und muß sich in den multipolaren Weltmarkt einordnen, geht auf den deutschen Sonderweg zurück und dies verlangt auch nach der traditionellen militarisierten deutschen Gesellschaft. Der „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ erzwingt eine tendenzielle Kriegsökonomie, welche auf Rationierung des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse beruht. Will die Kriegswirtschaft des deutschen Imperialismus erfolgreich sein, kann sie nicht nur national organisiert sein, sondern muß über die engen nationalen Grenzen hinausgreifen, muß auf Westeuropa zielen. Der deutsche Imperialismus zielt immer auf ein „Mitteleuropa,“ entweder über eine transatlantische EU oder über ein deutsches Mitteleuropa. Um in der Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus zu bestehen, bedarf der deutsche Imperialismus die Ressourcen Westeuropas, muß jetzt gleichzeitig versuchen, das transatlantische Westeuropa notfalls in ein „neues Mitteleuropa“ zu transformieren. Nur dann kann der deutsche Imperialismus in seiner Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus um die Hegemonie in Europa sicherstellen, daß proletarische Revolten in Deutschland in der Defensive verbleiben. Jedoch führt dies zur Schwächung der anderen transatlantischen Metropolen und provoziert dort proletarische Revolten. Das „deutsche Mitteleuropa“ ist in letzter Instanz keine Lösung. Doch andere Lösungen sind im Kapitalismus nicht möglich.

Bisher war der deutsche transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland ein Fehlschlag. Statt den russischen Imperialismus zu ruinieren, ruinierte sich der deutsche Imperialismus selbst. Die Wirtschaftssanktionen befeuerten die schon vorhandenen inflationären Tendenzen und führten zur Inflationierung des Energieverbrauchs und zum Ende der langfristigen Lieferverträge für Energierohstoffe aus Rußland und tangieren somit die Verwertung des deutschen Kapitals, welches nun seine wohlfeile Rohstoffzufuhr von Energierohstoffen verlor. Immer deutlicher holt der russische Imperialismus zum Gegenschlag aus und begrenzt die Gaszufuhr. Der deutsche Imperialismus glaubte in seinem Größenwahn, anderweitig genügend Energierohstoffe auftreiben zu können und so Rußland in die Knie zu zwingen, vermeinte daß die Abhängigkeit Rußlands von Deutschland größer sei, als die Abhängigkeit Deutschlands von Rußland, glaubte, daß die NATO-Ukraine den russischen Imperialismus militärisch schlagen könnte, was dann die Möglichkeit eines Regime-Changes eröffnen würde. Das objektive Kräfteverhältnis zwischen dem deutschen und dem russischen Imperialismus wurde vom deutschen Imperialismus falsch eingeschätzt. In der Ukraine-Frage triumphiert der russische Imperialismus gegenüber dem transatlantischen Imperialismus. Nun ist der transatlantische Imperialismus in der Defensive und damit auch der deutsche Imperialismus.

Im deutschen Kapital geht jetzt die Angst vor einem Gasmangel um und die deutsche Bourgeoisie setzt zur Flucht nach vorn in eine Schock-Politik an. Es ist nun objektiv eine internationale Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse notwendig. Wieder einmal hat sich das deutsche Kapital selbst in die Enge getrieben und sieht sich in die Ecke gedrängt, beginnt wild um sich zu schlagen. Statt eine diplomatische Lösung anzustreben, radikalisiert sich der deutsche Imperialismus. Spricht durch den Mund des Bundeswirtschaftsministers von „keine Kapitulation“ und „wir werden keine weiße Fahne hissen“, wenn es um die sanktionierte Nord Stream II- Pipeline geht. Mit dem Ende der Sanktionen gegen Nord Stream II wäre der Energienotstand über Nacht verschwunden. Jedoch wäre dies auch eine Niederlage des deutschen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus und das weltweite Kräfteverhältnis hätte sich mit dem Scheitern des transatlantischen Wirtschaftskrieges gegen Rußland ebenfalls geändert. Aus diesem Grunde verweigert bisher der deutsche Imperialismus jede Verständigung mit dem russischen Imperialismus; im Gegenteil, je näher die deutsche Niederlage im antirussischen Wirtschaftskrieg, desto mehr radikalisiert sich der deutsche Imperialismus, desto mehr versucht auch der deutsche Imperialismus einen Bruch nach innen, denn ohne einen Bruch mit den bisherigen Klassenverhältnissen kann der russische Imperialismus nicht bezwungen werden. Die Aktivierung der Wehrpflicht wäre nur ein Moment in der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Je mehr der deutsche Imperialismus in seinem Wirtschaftskrieg gegen Rußland in die Defensive gerät, desto mehr radikalisiert er sich gegen den „inneren Feind“, den er mit einer Deflationspoltik und einem Notstandsstaat zu Leibe rückt. Das erste Ziel des deutschen Kapitals ist die Ausschaltung der proletarischen Massenorganisationen als eigenständige, freie, autonome proletarische Organisationen. Dann ist der Weg frei zum zweiten Ziel des deutschen Kapitals, der sozialen und auch wenn nötig, physischen Vernichtung einer vermeintlichen „Überschußbevölkerung“, welche nicht mehr als Ausbeutungsmaterial für den Ausbeutungsprozeß dienen kann. Über die „Vernichtung von Ballstexistenzen hofft das deutsche Kapital Kosten einzusparen, finanzielle Ressourcen zu optimieren, um konkret im Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus zu bestehen. Dazu wird der „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ benötigt. Eine Ware Arbeitskraft, die nicht ausbeutungsfähig ist, nicht als Ausbeutungsmaterial für das Kapital dienen kann, ist für das Kapital „unproduktiv,“ weil unprofitabel und damit „überflüssig“. Die industrielle Reservearmee zeichnet sich eben dadurch aus, daß sie potentiell in der Lage ist, als Ausbeutungsmaterial zu dienen und setzt deshalb objektiv die aktive Arbeiterarmee unter Druck. Eben deshalb ist die Ware Arbeitskraft in der industriellen Reservearmee erhalten und lediglich entwertet. Die Ware Arbeitskraft jedoch, die nicht mehr potentiell als Ware Arbeitskraft zirkulieren kann, ist keine Ware Arbeitskraft mehr, d.h. sie ist dann auch keine entwertete Arbeitskraft mehr, sondern Nicht-Ware-Arbeitskraft und hat damit keine soziale Daseinsberechtigung mehr, d.h. die Nicht-Ware-Arbeitskraft wird asozial, verliert damit weitestgehend die physische Daseinsberechtigung und droht physisch vernichtet zu werden, denn sie produziert für das Kapital nur Kosten, ohne jemals diese ausgleichen zu können. In der gegenwärtigen Phase der Großen Krise kann es geschehen, daß das Kapital sich seiner „Asozialen“ entledigen will. Vor allem dadurch, daß das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau dieser relativen Übervölkerung soweit abgesenkt wird, bis diese verendet, verhungert oder so geschwächt ist, daß Krankheiten sie hinwegrafft. Unter dem Deckmantel eines „Energienotstands“ läßt sich diese Politik geräuschlos realisieren. Der Energiemangel wird vom Kapital so verwaltet, daß der Hauptteil der Energie dem Kapital zufließt, der Mangel wird dann über Rationierung in der aktiven Arbeiterarmee und Teilen der industriellen Reservearmee verteilt, während die relative Übervölkerung keine, oder nur unwesentliche Mengen an Energie erhält. Ohne ausreichende Energie ist die physische Existenz bedroht. Es droht die physische Vernichtung der relativen Übervölkerung, aller Personen, welche für das Kapital kein Ausbeutungsmaterial mehr darstellen. In die Kategorie der relativen Übervölkerung fallen nicht nur Personen, welche soweit vernutzt sind, daß kein Ausbeutungsmaterial mehr darstellen können, sondern auch Personen, welche von der Bourgeoisie als „Gefahr für die nationale Sicherheit“ betrachtet und als „politisch unzuverlässig“ eingestuft wurden. Der „politische Feind“ wird im „sozialen Feind“ aufgelöst. Während der „soziale Feind“ des Kapitals die relative Übervölkerung ist, welche die Kosten für das Kapital in der Großen Krise hochtreibt, ist der „politische Feind“ des Kapitals potentiell als Ware Arbeitskraft im kapitalistischen Ausbeutungsprozeß einsetzbar, wird aber vom Kapital als potentielle Bedrohung der „nationalen Sicherheit“ eingeordnet, wenn die Klasseninteressen des Proletariats vertreten werden. Der „politische Feind“ des Kapitals gilt als „Sicherheitsrisiko“ für die „Betriebs- und Staatssicherheit“ und ist für das Kapital aus Sicht des Kapitals der gefährlichere Feind im Verhältnis zum „sozialen Feind“ des Kapitals, denn nur der „politische Feind“ des Kapitals kann die Einheitsfront mit dem „sozialen Feind“ des Kapitals organisieren, nicht umgekehrt. Aus diesem Grund muß der „politische Feind“ in den „sozialen Feind“ ausgestoßen werden, eine politische Säuberung in Kapital und bürgerlichen Staat stattfinden, damit Kapital und bürgerlicher Staat frei von Einflüssen des „politischen Feindes“ gehalten werden können. Die Waffe Berufsverbot ist dafür eine scharfe Waffe in den Händen der Bourgeoisie. Das Ziel ist die möglichst gemeinsame und gleichzeitige physische Vernichtung des „sozialen“ und „politischen“ Feindes und läßt sich am besten unter der Herrschaft eines Notstandsstaates im Ausnahmezustand realisieren. Der „soziale Feind“ findet seinen „sozialen Tod“ schon vor seinem physischen Tod in dem Ausschluß in die Armut und der „politische Feind“ wird hauptsächlich ebenfalls in die Kategorie des „sozialen Feindes“ gedrängt, damit er in der Armut seinen „sozialen Tod“ stirbt. Nur wenn es unumgänglich ist, der „politische Feind“ sich erfolgreich dem „sozialen Tod“ verweigert, zielt die Bourgeoisie auf den „politischen Tod“ des „politischen Feindes“ durch unverzügliche physische Vernichtung im Rahmen von „Search and destroy“ Aktionen, Such- und Vernichtungsaktionen im Rahmen einer Counterinsurgency-Politik, welche erst im Notstand, im Ausnahmezustand rasch umgesetzt werden kann. Immer ist die direkte Vernichtung des „politischen Feindes“ Ausnahme, denn diese „politischen Aktionen“ verursachen zu viel Öffentlichkeit und kann nur im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) realisiert werden. Die Bourgeoisie präferiert in der parlamentarisch-demokratischen Form bürgerlicher Klassenherrschaft die Auflösung des „politischen Feindes“ im „sozialen Feind,“ zielt auf den physischen Tod, wobei der „soziale Tod“ diesem vorgeschaltet wird. Um den „sozialen Feind“ zu vernichten, muß zuerst der „politische Feind“ vernichtet werden, dies Ziel steuert die Bourgeoisie im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) direkt an, während in parlamentarisch-demokratischen Formen des bürgerlichen Staates die Bourgeoisie das Ziel nur über indirekten Weg erreichen kann. Der „soziale Feind“ wurde durch die Bourgeoisie schon 2003/2004 vermittels des Institutionalisierung des Hartz IV-Systems bestimmt. Die Erwerbslosen der industriellen Reservearmee galten und gelten als „sozialen Feind“, den es zu vernichten gilt, entweder die positive soziale Vernichtung durch die Integration in die aktive Arbeiterarmee oder durch die negative soziale Vernichtung in den „ sozialen Tod“ des Hartz IV-Systems, welcher auch zum physischen Tod führen konnte, dieser ist immer mit einkalkuliert, entweder physischer Tod durch Mangelernährung und Armutskrankheiten oder durch den Selbstmord. Das Hartz IV-System ist strukturell so angelegt, daß es nach dem Leben der Hartz IV-Bezieher trachtet und der Euthanasie die Tore öffnet, auch dann, wenn versucht wird, das Hartz IV-System als „Bürgergeld“ zu modifizieren, Hartz IV bleibt Hartz IV, egal welchen Namen es auf der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse trägt. Und es wurde schon seit Bestehen des Hartz IV-Systems versucht, den „politischen Feind“ in das Hartz IV-System abzuschieben. Hartz IV ist ein Sondersystem, welches gegen die industrielle Reservearmee gerichtet ist und war schon immer der Notstand des Kapitals gegen die industrielle Reservearmee. Schon unter der Form des parlamentarisch-demokratischen Staates bildet sich der Ausnahmezustand aus und war auf die industrielle Reservearmee mehr oder minder beschränkt, bzw. noch auf einige Segmente der Randbelegschaften, soweit sie ihren Niedriglohn mit Hartz IV aufstocken mußten. Über den Notstand droht dieses Sonderrechtssystem Hartz IV nun die gesamte aktive Arbeiterarmee zu erfassen. In diesem Sinn ist der Notstand dann ein „Hartz IV für alle“. Der „Corona-Notstand“ weitete langsam den Notstand von der industriellen Reservearmee auf die Kernbelegschaften der aktiven Arbeiterarmee aus und der „Energienotstand“ verschärft den „Corona-Notstand“ und militarisiert diesen und die Tendenz zur Euthanasie der „Überflüssigen“ wird stärker, vermittelt sich über die steigenden Energiekosten.

Der bürgerliche Staat beginnt „Wärmeinseln“ für die Armutsbevölkerung zu organisieren, welche sich im Winter nicht in ihren Wohnungen erwärmen kann und droht zu Erfrieren. Dann ist dieser Personenkreis real aus seinen Wohnquartieren ausgezogen, zur Semi-Wohnungslosigkeit gezwungen und steht schon fast mit einem Fuß in einem Lagersystem. Dies leistet Tendenzen Vorschub, die Rückkehr in die konkreten Wohnungen zu verhindern, bzw. die Notwendigkeit nach kleineren und günstigeren der Armutsbevölkerung aufzudrängen, bis hin zu Wohngemeinschaften. Eine „Wärmeinsel“ wäre schon die Keimform einer objektiv erzwungenen Wohngemeinschaft der Armut. Wer sich der Neuorientierung in den Quartieren verweigert, wird nach einer gewissen Zeit keinen Platz mehr in einer „Wärmeinsel“ haben und muß droht dann potentiell in seiner Wohnung oder auf der Straße zu erfrieren. Das Aufsuchen einer „Wärmeinsel“ führt die konkret der Armutsbevölkerung vor Augen, daß sie sich ihre bisherigen Quartiere nicht mehr „leisten“ kann. Es ist ohne weiteres möglich, die „Besucher“ einer „Wärminsel“ mit ihren konkreten Daten zu erfassen, ebenso wie es bei einer „Tafel“ (Armenspeisung) geschieht. Der bürgerliche Staat hätte dann die Daten, welche für eine Bekämpfung des „sozialen Feindes“ notwendig wären. Über die Energiekosten bzw. über eine Politik der Energie-Austerität kann eine Selektion von formierter Gesellschaft-Volksgemeinschaft und „sozialem Feind“ vorgenommen werden.

Die Energiesicherheit als materielle Grundlage der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Arbeiterklasse wird in Frage gestellt und interessanterweise ist dies keine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“, wohl aber die Reaktion der Arbeiterklasse auf diesen Angriff auf ihre materielle Existenz soll eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ sein. Der Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Bedrohung der gesellschaftlichen Grundlagen durch das deutsche Kapital ist nichts anderes als Selbstverteidigung und verhindert eine Euthanasie-Politik. Ein „Energienotstand“ eröffnet der Bourgeoisie den Weg, den „politischen Feind“ mit konzentrierter Repression zu bekämpfen und die Hemmschwelle zur physischen Vernichtung des „politischen Feindes“ sinkt. Der bürgerliche Staat in Notstandsform zielt im inneren auf einen Bürgerkrieg der einseitig geführt wird, während im Außenverhältnis auf den imperialistischen Krieg abgezielt wird. Im Ausnahmezustand, im Notstand, ist der bürgerliche Staat von allen demokratisch-sozialen Bindungen befreit, bzw. befreit sich selbst von diesen Regularien, erklärt die Verfassung für nichtig und handelt nur nach der Staatsräson, ist somit ein Machtstaat und kennt nur noch „Freund“ oder „Feind“. Der „Freund“ darf leben, der „Feind“ muß sterben. Der „Feind“ wird im ausentwickelten Notstandsstaat der Todesstrafe in irgendeiner Form zugeführt, der „politische Feind“ unmittelbar durch die repressiven Staatsapparate des bürgerlichen Staates im direkten Einsatz oder durch die Justiz, der „soziale Feind“ durch die naturwüchsige strukturelle Gewalt der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Die Vernichtung des „Feindes“ in der Form des „politischen Feindes“ oder des „sozialen Feindes“ ist das primäre Ziel eines ausentwickelten Notstandsstaates. Damit hätte sich die Staatsräson realisiert, wie auch die Souveränität, denn ein Souverän im Sinn der Bourgeoisie findet sich nur im Ausnahmezustand. Es gilt immer noch der Satz von Carl Schmitt: Souverän ist derjenige, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Die Freund/Feind-Entscheidung ist eine Entscheidung der Bourgeoisie: die herrschende Klasse entscheidet darüber, wer als „Freund“ und wer als „Feind“ zu gelten hat. Neutralität gibt es in der Entscheidung nicht. Wer nicht für die Bourgeoisie ist, ist gegen sie und wird als „Feind“ bekämpft. Die Entscheidung darüber obliegt im Ausnahmezustand allein der herrschenden Klasse, das Verhalten auf diese Entscheidung durch die unterworfenen Klassen hat keinen wesentlichen Einfluß auf die Politik des Ausnahmezustandes. Eine „Freund-Feind“-Entscheidung ist immer eine Entscheidung über „Krieg“ und „Frieden“. Für den „Freund“ den „Frieden“, für den „Feind“ den „Krieg“. Im Ausnahmezustand wird das Recht zum Kriegsrecht. Wer dann „Feind“ ist, wird entrechtet. Kriegsrecht heißt auch Rationierung, Kriegswirtschaft und existiert nur im Kriegsfall. Nur im Ausnahmezustand des Krieges (ob Krieg, ob Bürgerkrieg, ob kriegsähnlicher Zustand) läßt sich ein historischer Bruch über eine Schock-Politik realisieren. Seit dem Jahr 2020, den weltweiten Corona-Notständen, haben die herrschenden Klassen einen kriegsähnlichen Zustand geschaffen und dies war ein Produkt der tiefer liegenden kapitalistischen Verwertungsprobleme. Jedoch ließen sich so die Verwertungsprobleme nicht lösen und eskalierten nun im Ukraine-Krieg, der dann einen offenen weltweiten Kriegszustand hervorbringt, der nach dem Ausnahmezustand ruft. Ohne Krieg, ohne einen Kriegszustand gibt es keinen Ausnahmezustand. Ist der Ausnahmezustand erst offen oder verdeckt verhängt, ist der Krieg tendenziell unvermeidlich, wenn man die Situation dann nur der herrschenden Klasse überläßt. Im Ausnahmezustand wird die Modifikation bürgerlicher Klassenherrschaft durch die Arbeiterklasse ausgeschlossen, d.h. die herrschenden Klasse negiert jede wesentliche Form der Mitbestimmung der unterworfenen Klassen, welche noch in der parlamentarisch-demokratischen Form des bürgerlichen Staates noch gewährleistet ist. Im Ausnahmezustand herrscht die Bourgeoisie direkt und kann nur auf diesem Wege eine Deflationspolitik an der Arbeiterklasse exekutieren, d.h. den „sozialen Feind,“ wie den „politischen Feind“ vernichten. Wer sich dem Sparen und damit der Deflationspolitik verweigert, ist gleichzeitig ein „sozialer Feind“ und ein „politischer Feind,“ welchem über den Ausnahmezustand bzw. Energienotstand der Krieg erklärt wird, d.h. der Ausnahmezustand ist der Bürgerkrieg gegen den „sozialen Feind“, wie dem „politischen Feind“. Unter dem Schutz des Staatsgeheimnisses, wie des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses bestimmt die Bourgeoisie ihren „sozialen Feind“, wie auch den „politischen Feind“.

Immer deutlicher organisiert die Bourgeoise die bürgerliche Gesellschaft als formierte Gesellschaft-Volksgemeinschaft. Als Legitimationsgrundlage dafür dient der Ukraine-Krieg. Der „äußere Feind“ Rußland bedroht die „nationale Sicherheit“ und wer schon eine diplomatische Verständigung anmahnt, wird sofort zum „inneren Feind“, ebenso bei der Ablehnung des Verzichts als zentrale Bürgertugend. Laut BRD- Bundeswirtschaftsminister Habeck wäre die Zurücknahme der antirussischen Sanktionen eine Kapitulation, ebenso die Öffnung von Nord Stream II. Der österreichische Bundeskanzler Van der Bellen denunziert die Gegner des transatlantischen Wirtschaftskrieges als „Kollaborateure“ und fordert eine „Schicksalsgemeinschaft.“ Deutliche Worte aus der Geschichte des deutschen Faschismus und des deutschen Imperialismus überhaupt. Für den österreichischen Bundeskanzler sind Gegner der antirussischen Sanktionen schlicht „Verräter“ bzw. „Hochverräter“ und dies wird traditionellerweise mit dem Tode bestraft. Mit dem Begriff „Schicksalsgemeinschaft“ nimmt der österreichische Bundeskanzler einen positiven Bezug zur faschistischen Volksgemeinschaft. Eindeutig wird von der Bourgeoisie ein „innerer Feind“ konstruiert, indem auch nur Gegner der antirussischen Wirtschaftssanktionen sofort „Extremisten“ und „Hochverräter“ werden. Wer für Entspannungspolitik eintritt und Nord Stream II öffnen möchte, ist dann ein „Volksverräter“ in den Augen der Bourgeoisie und muß aus der „Schicksalsgemeinschaft“ bzw. Volksgemeinschaft ausgestoßen werden, ebenso wer fordert, daß der bürgerliche Staat die Preiserhöhungen auf Energieverbrauch begleichen soll. Massenproteste gegen die hohen Energiepreise, gegen einen „Energienotstand,“ sind in den Augen der Bourgeoisie „Vaterlandsverrat“ und „Kollaboration“ mit dem Feind und sind damit der „innere Feind“, der aus „Schicksalsgemeinschaft“ bzw. Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft als „gemeinschaftsfremd“ ausgestoßen werden muß. Widerstand gegen den „Energienotstand“, gegen die hohen Energiepreise, sind für die Bourgeoisie eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ und werden notfalls mit härtester Repression beantwortet. Wer Widerstand gegen den „Energienotstand“ und gegen die hohen Energiepreise leistet, gilt für die Bourgeoisie als ein „Feind“ der Bundesrepublik Deutschland. Die Gründe für die angebliche „Feindschaft“ bzw. „feindliche Haltung“ der Bundesrepublik Deutschland gegenüber zählen nicht. Wer vom bürgerlichen Staat als „Feind“ bestimmt wurde, ist ein Feind für den bürgerlichen Staat und wird auch als „Feind“ behandelt und vernichtet. Der „Feind“ wird mit einem Sonderrecht, dem „Feindrecht“ behandelt, welches weit über das Strafrecht hinausgeht und ist damit letztlich tendenzielles Kriegsrecht. Dabei entfällt das Recht auf eine objektive Gerichtsverhandlung und Urteil. Das Urteil im Sinne der Staatsräson, bzw. der Staatssicherheit kann geheim ohne den Angeklagten anzuhören gefällt und exekutiert werden. Nach EU-Recht der EU-Grundlagenverträge ist auch eine Todesstrafe möglich, direkt in Folge von Unruhen und Aufständen, aber auch als klassische justizförmige Todesstrafe, d.h. legale und extralegale Todesstrafe im Extremfall des „Ernstfalls“. Der „Ernstfall“ ist immer ein Extremfall, der Ausnahmezustand, der Notstand in seiner höchsten Form der Entwicklung ist der Extremfall par excellance. Im Notstand kann der Ausschluß aus der bürgerlichen Gesellschaft in Form der formierten Gesellschaft-Volksgemeinschaft auch durch die legale oder extra-legale physische Vernichtung sichergestellt werden, wenn der „soziale Tod“ durch Isolation nicht als effektiv angesehen wird. Die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft ist eine „Leistungsgemeinschaft“. Ein „Minderleister“ wird aus der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft ausgeschlossen und konkret erst einmal aus der „Betriebsgemeinschaft“ ausgestoßen. Wer nichts mehr „leistet“ verliert vor allem in einer Epoche des Notstands das Recht auf Leben, d.h. wer nicht mehr als Ausbeutungsmaterial für das Kapital fungieren kann, muß damit rechnen, daß er sein Recht auf Leben verliert. Die Daseinsberechtigung, das Recht auf Leben, ist im Notstandsfall nur dann gegeben, wenn eine Ware Arbeitskraft im kapitalistischen Ausbeutungsprozeß eingesetzt werden kann. Im Notstand gilt die „Triage“-Regelung, welche sich immer am besten Fall orientiert bzw. an der Wiederverwertbarkeit oder Wiederverwendung. Hilfe zur Überbrückung einer Notlage erhalten nur die Personen, welche schnell wieder einer Wiederverwendung zugeführt werden können und nicht dauerhaft ausfallen. Hier fallen dann die geringsten Kosten an. Mit der Schwere des Falls steigen die Kosten an. Je schwerer ein Fall, desto höher die Kosten und die Gefahr der Nicht-Wiederverwendung in der Zukunft, desto mehr sinkt das Interesse des Kapitals an der Wiederherstellung der Ware Arbeitskraft. Die finanziellen Ressourcen werden nur auf die Fälle konzentriert, wo die Wiederherstellung der Ware Arbeitskraft mit geringen Kosten und zeitnah erfolgen kann. Die „Triage“ selektiert also nach „Leistungsfähigkeit.“ Die Ware Arbeitskraft, welche nur eine geringe Leistungsfähigkeit aufweist, erhält keine oder nur geringe Hilfe, um eine Notlage zu überbrücken. Dies Prinzip der „Triage“ kommt aus der Militärmedizin und kolonialisiert im Notstand die gesamte Medizin, wie auch alle anderen gesellschaftlichen Bereiche. Notstand ist „Triage“ und umgekehrt. Die gesellschaftlichen Ressourcen müssen nicht für alle reichen. Opfer sind notwendig. Das Kapital fordert die Arbeiterklasse sich im Dienste der „Nation“ zu opfern bzw. zu akzeptieren, geopfert zu werden. Es breiten sich im Notstand Euthanasie-Tendenzen aus, indem Teilen der Lohnarbeiterklasse sogar das unterste Niveau der physischen Existenz entzogen wird. Nicht umsonst ist Hartz IV als partieller Notstand gegen die industrielle Reservearmee von der Bourgeoisie erschaffen worden. Der Notstandsstaat schützt die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft gegen den „sozialen Feind“ und den „politischen Feind“, während die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft eng mit dem Notstandsstaat zusammenarbeitet und so den Notstandsstaat schützt. Die Armut wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen, sie ist kein Thema mehr; Sozialpolitik zielt nur noch auf die „Leistungsgemeinschaft“. Diese Entwicklung wurde mit dem Sondernotstand gegen die industrielle Reservearmee vermittels Hartz IV organisiert und der „Energienotstand“ versucht diese Entwicklung zu vervollkommnen. Die Verelendung der industriellen Reservearmee und der Randbelegschaften soll auch politisch und sozial isoliert werden, damit jeder gemeinsame Widerstand der Arbeiterklasse präventiv unterbunden werden kann. Über den „Energienotstand“ versucht man die Entpolitisierung der Arbeiterklasse bzw. der gesamten bürgerlichen Gesellschaft voranzutreiben, indem dem man diesen als Sachzwang und damit als alternativlos versucht darzustellen. Rußland würde die Gaszufuhr bei Nord Stream I unterbrechen, verschweigt aber, daß Deutschland Nord Stream II blockiert. Bei Aktivierung von Nord Stream II wäre die Energiekrise sofort zu Ende.

Die Entpolitisierung durch den „Corona-Notstand“ erschwert den Widerstand gegen einen „Energienotstand“. Über die erfolgte Atomisierung zerbrachen die bisherigen Organisationsstrukturen. Ein organisierter Widerstand gegen die Deflationspolitik des „Corona-Notstandes“ fand nicht statt. Über die Ohnmachtserfahrungen zersetzte sich die bisherige politische Zusammensetzung der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums und danach auch die soziale Zusammensetzung von Arbeiterklasse und Kleinbürgertum. Der Schub der Verelendung von Arbeiterklasse und Kleinbürgertum unter dem „Corona-Notstand“ führte zu einem atomisierten Verhalten, welches den Kapitalismus reproduziert. Die Zumutungen des neuen Klassenregimes werden vermehrt mit individueller Aggression gegen alles und jeden, Personen und Sachen, kompensiert. Ein wildes um sich schlagen gewinnt an Raum, denn es fehlt die organisierte politische Kraft, welche die individuelle Aggression aufgrund der Großen Krise negiert, indem diese in eine kollektive politische Aggression gegen das kapitalistische System transformiert wird. Diese Situation verschärft sich mit dem „Energienotstand“. Gelingt keine proletarische Antwort auf den „Energienotstand“, wird dieser als „Sachzwang“ abgearbeitet, dann nimmt die individuelle Aggression gegen Personen und Sachen zu, wie auch gelingt dann auch eine rechte nationalistische Integration in den Kapitalismus, welche die individuelle Aggression in die kollektive Aggression, auf die „Nation“ hin, sublimiert und so das kapitalistische System gegen die Arbeiterklasse stabilisiert. Die Entpolitisierung der Arbeiterklasse legt potentiell die materielle Grundlage für eine rechte nationalistische Politisierung des Kleinbürgertums und zersetzt dann die Arbeiterklasse. Diese „Alternativlosigkeit“ ist ein Ausdruck der Ohnmacht bzw. der Atomisierung der Arbeiterklasse und die ziellose individuelle Gewalt derzeit ist eine individuelle Revolte gegen eben diese „Alternativlosigkeit“ der kapitalistischen Ausbeutung.

Durch die Identitätspolitik wird die „Alternativlosigkeit“ moralistisch, emotional, aufgeladen. Es gibt nur noch die moralischen Kategorien von „Gut“ und „Böse“. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, denn „wir“ sind das „Gute“ und wer gegen das „Gute“ ist, ist für das „Böse“. Differenzierungen gibt es nicht. Nur die Positionen des „transatlantischen Westens“ gelten als gut und sind damit legitimiert. Alle anderen Positionen jenseits des „transatlantischen Westens“ sind nicht legitim und sind verbrecherisch und unterliegen der Repression des bürgerlichen Staates. Auf diese Weise gibt es „Meinungsverbrechen“ unterhalb der Schwelle des Strafrechts, aber auch auf der Schwelle des Strafrechts. Der Buchstabe Z steht in Rußland für den Krieg russischen Krieg gegen die Ukraine. In Deutschland ist der Buchstabe Z als Meinungsäußerung „verboten,“ denn mit ihm soll der „russische Angriffskrieg“ gerechtfertigt werden. Wer nicht die Staatsmeinung meint, ist nach der Position des bürgerlichen Staates nicht legitimiert, diese zu äußern und wird notfalls mit Repression überzogen. Teilweise wurden schon rote Fahnen und die sowjetische Fahne verboten. Das „Gute“ wird alternativlos, die Repression wird ebenfalls „gut“, weil sie das „Gute“ verteidigt und der bürgerliche Staat ist immer auf der Seite des „Guten“. Der bürgerliche Staat wird so ideologisch zum „Freund“ umgedeutet, während Kritik am bürgerlichen Staat „böse“ wird, bzw. eine „feindliche Einstellung zum bürgerlichen Staat und zur bürgerlichen Gesellschaft insgesamt offenbaren soll. Schweigen allein reicht nicht. Immer mehr werden die vereinzelten Klassensubjekte dazu aufgefordert, genötigt, Position in gewissen Fragen zu beziehen und damit implizit die Staatsmeinung zu übernehmen. Damit wird die Loyalität zur bürgerlichen Gesellschaft und zum bürgerlichen Staat bewiesen. Wer die Loyalität verweigert, hat mir Repression zu rechnen, denn er ist ein „Feind“, wenn es um Themen geht, die der bürgerliche Staat als existentiell ansieht. Damit baut sich eine „Alternativlosigkeit“ auf, die individuell mit abweichenden Verhaltensmuster kompensiert, aber eben nicht politisch gekontert wird. Dieses individuelle um sich schlagen reproduziert den Notstandsstaat, denn nur der bürgerliche Staat kann dann sicherstellen, daß der „innere Friede“, der „Landfrieden“ gewahrt bleibt. Der „Feind“ versucht den „Landfrieden“ zu brechen, der bürgerliche Staat, unter Umständen in der Form des Notstandsstaates, versucht den „Landfriedensbruch“ zu verhindern. Die Revolte ist eine vorpolitische Form des Klassenkampfes, sie ist spontan und situativ und unorganisiert, in ihr vermasst sich das atomisierte Kleinbürgertum und die atomisierte Arbeiterklasse, kommt an die Schwelle proletarischer Organisierung. Revolten müssen sich zur Revolution weiterentwickeln oder brechen zusammen. Eine zu große Atomisierung der Arbeiterklasse provoziert Revolten und damit Möglichkeiten proletarischer Organisierung. Gegenwärtig wird das individuelle Handeln durch die Bourgeoisie ideologisch groß hervorgehoben und im abstrakten Widerspruch zum kollektiven Handeln gesetzt. Nur das individuelle Handeln soll spontan und damit „authentisch“ und damit „wirklich“ und „wesentlich“ sein. Dies schließt vor allem Emotionen ein. Emotionen sollen „authentisch“ sein. Mit dieser Irrationalität bleibt die Arbeiterklasse beherrschbar. Doch somit wird die Arbeiterklasse in soziale Atome eingesperrt. Nur über die proletarische Organisierung, über die rationale politische Diskussion kann die Atomisierung der Arbeiterklasse überwunden werden, kann proletarische Gegenmacht gegen den Kapitalismus entstehen. Nur im rationalen kollektiven Handeln der Arbeiterklasse kann das individuelle Handeln der einzelnen Glieder der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums wirksam werden, kann die „Individualität“ ausgelebt werden. Der Kapitalismus versucht die Arbeiterklasse in „Emotionen“ einzusperren und in Irrationalität zu verbannen. Nichts fürchtet die Bourgeoisie mehr als die Rationalität der Arbeiterklasse, die sich im Widerstand gegen die Deflationspolitik des Kapitals realisiert. Dazu wird die Gewerkschaftsbürokratie aktiv werden, und von der bedingungslosen Unterstützung der Deflationspolitik abweichen, um die Kontrolle über die tendenzielle Selbstaktivität der Massen zu übernehmen, welche mit ihren Aktionen die politische und soziale Isolierung durchbrechen, denn diese mehr oder minder spontanen proletarischen Aktionen gefährden die Deflationspolitik des Kapitals, so daß die Deflationspolitik durch die Gewerkschaftsbürokratie modifiziert werden muß, was dem Notstandsstaat seine Arbeit erleichtert. Massenprotest, auch schon in potentieller Form, muß isoliert und entpolitisiert werden, denn nur dann wird die Massenunzufriedenheit durch die Gewerkschaftsbürokratie in unpolitische oder vorpolitische Aktionen kanalisiert und unschädlich gemacht. Auch ein bürgerlicher Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) bedarf einer Massenlegitimation und kann sich nicht nur auf die Repression stützen. Nur eine soziale und politische Massenbasis, aktiv und/oder passiv, ist notwendig, dem bürgerlichen Ausnahmestaat seine Stabilität zu sichern. Gegenwärtig wird versucht, die Stabilität des Notstandes vermittels der Identitätspolitik zu sichern. Die politische und ideologische Aufspaltung der gesellschaftlichen Totalität in verschiedene „Identitäten“ vermittels der „Identitätspolitik“ bereitet den Boden für einen Notstand vor. „Identitätspolitik“ ist nichts anderes als eine Politik unter dem Paradigma des „Teile und herrsche“ und kann über den Notstand abgestützt werden, wenn das Prinzip von „Teile und herrsche“ durch den Massenwiderstand in die Krise gerät, wenn die Massen beginnen sich zu organisieren und nicht mehr spalten zu lassen und die Bourgeoisie keine Ressourcen hat bzw. unwillig ist, diese aufzuwenden, um der Arbeiterklasse entgegenzukommen. Das Kapital versucht in tiefen historischen Krisen, wie in der gegenwärtigen Großen Krise, die Arbeiterklasse repressiv und ideologisch zu desorganisieren. „Identitätspolitik“ ist eine Form des Lobbyismus und richtet sich gegen die Selbstorganisation der Arbeiterklasse, wohl aber auf eine Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie zu Lasten der Arbeiterklasse. Für die Gewährung besonderer Privilegien bezüglich einer ideologisch-materiell konstruierten Identität, verkauft für ein Linsengericht die konkrete soziale Gruppe ihre Interessen an die Bourgeoise, buhlt um die Gunst des Kapitals, statt solidarisch mit der Arbeiterklasse ihre Ziele und Interessen gegen die Bourgeoise durchzusetzen. Die Defensive der Arbeiterklasse macht die Bourgeoisie für das Kleinbürgertum interessanter. Erst die soziale und politische Atomisierung der Arbeiterklasse macht den bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) möglich, wie auch die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, je mehr atomisiert, desto mehr Macht dem bürgerlichen Staat, denn dieser stellt dann die soziale und politische Vermittlung neben dem Wertgesetz her, denn er ist selbst eine konkret-spezifische Form des Wertgesetzes. Die Verselbständigung des bürgerlichen Staates im Verhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft nimmt im Prozeß der sozialen und politischen Atomisierung der Arbeiterklasse zu und dies in der Form der „nationalen Sicherheit.“ Die „Nation“ ist das Endziel der Identitätspolitik und findet sich konkret in einer Politik der „nationalen Sicherheit“ und die Politik der „nationalen Sicherheit“ findet sich konkret in der Politik der „wehrhaften Demokratie“.

Mittlerweile wirbt die Bundeswehr in der Öffentlichkeit mit dem Slogan: „Information ist Sicherheit“. „Information“ ist dann ein Moment der „nationalen Sicherheit“, bzw. der „Staatssicherheit“. „Information“ ist nur dann „Information“, wenn sie staatlich garantiert ist. Alles andere ist „Desinformation“ des „Feindes“ und „Desinformation“ ist eine „Gefahr für die „nationale Sicherheit“. Wer nicht dazu legitimiert ist, Informationen zu verbreiten und es dennoch tut, ist ein „Feind“. Ein „Feind“ wie Assange, der im Hochsicherheitstrakt in Britannien inhaftiert ist und dem die Auslieferung in die USA droht und dort dann eine lebenslängliche Haft oder gar die Todesstrafe, nur weil er Kriegsverbrechen der USA, aber auch Britanniens, öffentlich gemacht hat. Wenn die „Information“ eine Waffe des Militärs gegen den „inneren“ und „äußeren Feind“ wird, dann ist die „Information“ zuerst eine spezifische Ware, die in den Reihen der herrschenden Klasse zirkuliert, geschützt durch das Staatsgeheimnis, geschützt durch das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis und wer dies „Geheimnis“ verletzt ist ein „Spion“, ein „Staatsfeind“. Dies wird eben auch Assange vorgeworfen, konkret die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen und deshalb mußte Edward Snowden auch nach Rußland flüchten, denn gerade Edward Snowden hat sehr viele US-Staatsgeheimnisse, Geheimnisse der NSA und des CIA, veröffentlicht. Deshalb werden Edward Snowden und Julian Assange vom US-Imperialismus und seinen transatlantischen Verbündeten verfolgt. Es geht um die Gleichschaltung oder freiwilligen Gleichschaltung der Medien, denn „Information“ ist nun eine Frage der „nationalen Sicherheit“. Die Medien werden zu Kriegsparteien, die Medienbeschäftigten zu Kombattanten, welche entweder sozial über Berufsverbot entfernt werden müssen oder physisch liquidiert werden, wie es Israel an der Al Dschasira Journalisten Abu Akle, wie auch an anderen ermordeten Medienschaffenden, demonstriert hat. Ein feindlicher Medienschaffender ist ein „Feind“ im Sinne von Kombattant, ob Abu Akle, Edward Snowden oder Julian Assange oder die vielen namenlosen Opfer der Terror des bürgerlichen Staates und die Waffe dieser vermeintlichen Kombattanten soll „Desinformation“ sein. Es bedarf dann keines Gerichtsurteils, wenn jemand als „Kombattant“ eingestuft wird. „Information“ wird zu einem Synonym für „Staatssicherheit“ und „Staatsgeheimnis“ und somit gibt es dann auch „Informationsterrorismus“ oder „Informationsverbrechen“ oder „Informationskriegsführung“, wenn der bürgerliche Staat „Information“ als Waffe einstuft. Die Einstufung von „Information“ als Waffe soll die Kommunikation der Arbeiterklasse und damit ihre Organisierung verhindern und die soziale und politische Atomisierung der Arbeiterklasse festschreiben, die Bourgeoisie zum Sprechen und die Arbeiterklasse zum Schweigen bringen. So kann dann auch schon der Begriff „Corona-Notstand“ oder der Begriff „Energienotstand“ nicht nur ein „Meinungsverbrechen“, sondern gar ein „feindlicher Akt“ sein, der Repression bis hin zur physischen Vernichtung rechtfertigt. Für die Bourgeoisie ist „Information“ Krieg und der Bruch des Staatgeheimnisses wie auch des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, ist ein Angriff auf die „nationale Sicherheit“ des deutschen Kapitals und mit Chance mit zivilen Mitteln begegnet, kann auch eine militärische Antwort erfordern. Hinter dem „Staatsgeheimnis“ und dem „Betriebs- und Geschäftsgeheimnis“ verbirgt sich die Klassenmacht der herrschenden Klasse, die Verfügung über die Produktionsmittel. Die Übergabe der „Information“ an die Bundeswehr zeigt den Grad der inneren Militarisierung des deutschen Imperialismus an, denn der „zivile“ Staat zieht sich zurück, während der „Machtstaat“ mit seinem Kern aus Militär nach vorwärts marschiert. Wenn das Militär die „Information“ kontrollieren soll, wird die „Information“ zur Waffe, zur einer Waffe in der psychologischen Kriegsführung gegen die Arbeiterklasse (der „innere Feind“), wie auch gleichzeitig gegen den Weltmarktkonkurrenten (der „äußere Feind“). Die Medien ordnen sich dann der Notwendigkeit der Psychologischen Kriegsführung gegen die „Feinde“ der „nationalen Sicherheit“ unter. Die Aufgabe der Psychologischen Kriegsführung gegen die Arbeiterklasse ist es, den Notstand, den Ausnahmezustand, in der Arbeiterklasse und im Kleinbürgertum als legitim zu rechtfertigen. Der Notstand, der Ausnahmezustand, seine konzentrierte Repression gegen die Arbeiterklasse muß auch politisch über die Ideologie des Notstands, des Ausnahmezustands, in der Arbeiterklasse und im Kleinbürgertum verankert werden, um jeden Widerstand präventiv zu lähmen bzw. zu verlangsamen. Es wird versucht, den „starken Staat“ als Sozialstaat darzustellen, wobei real der „starke Staat“ die Negation des „Sozialstaats“ ist. Die Ideologie des Notstandsstaates ist die ideologische Repression des Notstandsstaates und stützt dessen physische Repression ab. Das Zentrum der Ideologie des Notstandsstaates ist immer die „Freund-Feind“ Unterscheidung, denn der Notstandsstaat unterscheidet nur nach „Freund“ und „Feind“, einen Staatsbürger kennt er nicht, wie auch keine Neutralität. In dem Begriff der „nationalen Sicherheit“ als zentrale Achse der Ideologie des Notstandsstaates ist die „Freund-Feind-Kennung“ hinterlegt. Die „Information“ als Waffe des Militärs wird zuerst als Zensur eingesetzt. „Feindinformation“ und „Feindsender“ sind zu identifizieren und notfalls physisch auszuschalten, zuvor jedoch sollte alles versucht werden, „Feindnachrichten“ zu unterdrücken und deren Urheber in den „sozialen Tod“ zu selektieren, bevor notfalls die physische Vernichtung erwogen werden muß. Möglichst sollte diese Zensur nicht formal zu erkennen sein. Das Ziel sind nicht so sehr die etablierten Medien, sondern die Massen, welche sich in Selbstaktivität von der Bourgeoisie verselbständigen können. Es gilt die Kommunikation innerhalb der Arbeiterklasse zu stören, die soziale Atomisierung der Arbeiterklasse zu verewigen. Die Zensur ist eine Waffe gegen den „Feind“. Demgegenüber steht die Propaganda für die „freundlichen Ziele“ des deutschen Imperialismus. Wer diese Ziele vertritt ist ein „Freund“ der „Demokratie“. Die Propaganda des deutschen Imperialismus soll die „Identität“ der „Nation“ ausdrücken und dadurch verstärken. Das ist die Seite des „Guten“. Wer diese Errungenschaften des „Guten“ ablehnt, ist ein „Feind“ und seht auf der Seite des „Bösen“. Ein abstrakter Protest gegen die inflationären Tendenzen und die gesamten Krisentendenzen ist vom bürgerlichen Staat erlaubt, was die gleiche politische Wirkung hat wie ein Protest gegen eine Naturkatastrophe, z.B. einem Erdbeben, d.h. keine politische Wirkung. Der abstrakte Protest ist entpolitisierter Protest und im Sinne der Bourgeoisie ein „guter“ Protest. Die Verantwortlichen für die Krise, für den Mißstand, für die katastrophale Politik, darf nicht konkret genannt werden, es dürfen keine konkreten Forderungen an eine konkrete Verantwortlichkeit gestellt werden, denn wäre der Protest in den Augen der Bourgeoisie ein „böser“ Protest. Der entpolitisierte Protest läßt nur Dampf ab und kann schnell kanalisiert werden, er ist ein Bittgesang, ein Flehen, aber kein Einfordern einer Änderung der konkreten Politik des antirussischen Wirtschaftskrieges, welcher hohe materielle Opfer in der Arbeiterklasse zur Folge hat. Die Bourgeoisie läßt den entpolitisierten Protest gewähren, geht aber repressiv gegen den politischen Protest vor. Zuvor wird der politische Protest von der Bourgeoisie als „extremistisch“ (links- und rechtsextremistisch) denunziert und legitimiert dann die Repression gegen den politischen Massenprotest.

Dem deutschen Militär kommt mittlerweile tendenziell das Recht der Entscheidung und der Identifikation zwischen dem „Freund“ als „Guten“ und dem „Feind“ als „Bösem“ zu und entspricht der materiellen Tendenz, unterhalb der formalen Notstandsgesetze den Bundeswehreinsatz im Inneren immer mehr auszuweiten. Dies firmiert dann unter dem Begriff „wehrhafte Demokratie“. Dem Notstand geht es jedoch nur um die Staatsräson, um die Unterordnung aller anderen Interessen unter die kurzfristigen und langfristigen Interessen des bürgerlichen Staates als ideeller Gesamtkapitalist, um die Interessen des herrschenden Blocks an der Macht der herrschenden Klasse. Erst im Notstand kann sich Staatsräson verwirklichen, denn dann haben die repressiven Staatsapparate des bürgerlichen Staates freie Hand. Die Staatsräson ist der Todfeind der Arbeiterklasse.

Im Namen der „nationalen Sicherheit“ wird die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates zerstört und damit auch das parlamentarisch-demokratische Rechtssystem. Im Namen der „nationalen Sicherheit“ bewegt sich der Notstandsstaat außerhalb des demokratisch-parlamentarischen Rechtssystems und setzt sein Sonderrecht im Sinne eines Feindrechts. Recht ist, was der „nationalen Sicherheit“ dient. Was der „nationalen Sicherheit“ dient, kann nicht Unrecht sein. Der „Feind“ ist im Unrecht, weil er „Feind“ ist, weil er die „nationale Sicherheit“ potentiell oder aktuell bedroht. Das Feindrecht ist in letzter Konsequenz Kriegsrecht. Feindrecht ist Gesinnungsrecht. Der bürgerliche Staat in Notstandsform bestimmt die Definition des „Feindes;“ indem er eine bestimmte Gesinnung bestimmt und diese individuellen und kollektiven Klassensubjekten zuordnet. Es wird die politische Gesinnung abgeurteilt, nicht die Tat und es wird schon vor einer Tat die politische Gesinnung abgeurteilt. Es geht um „Search and destroy“-„Suchen und Vernichten“, d.h. es gilt, den „Feind“ zu suchen bzw. zu Identifizieren und dann zu vernichten. Ein Gerichtsverfahren ist nicht mehr notwendig, das Urteil, welches schon vorher durch die vermutete politische Gesinnung vorlag, wird lediglich exekutiert. Ein Notstand radikalisiert sich selbst, verselbständigt sich, denn er hat keine institutionellen Grenzen in sich, da er sich als „alternativlos“ darstellt, als „Freund“, der von „Feinden“ umringt ist. Der Notstand erscheint auf der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als Notstand gegen eine Naturkatastrophe, nicht aber als eine bewußte politische Entscheidung aufgrund politischer und sozialer Entwicklungen. Die ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungen werden als „Naturkatastrophe“ umgedichtet und der Notstand erscheint im Lichte einer angenommenen Katastrophe als alternativlos. Der Notstand legitimiert sich durch den „Sachzwang“, als „unpolitische Sachentscheidung“ und erscheint als eine überparteiliche Einheitsregierung der „nationalen und demokratischen Kräfte“. Jede Opposition wird damit sofort de-legitimiert und zum „Feind“ und „Verräter“ gestempelt. Vom Standpunkt des Notstands kann eine Opposition und erst Recht Massenproteste und Revolten nur irrational sein und erscheinen der Bourgeoisie als Werk von „Extremisten“ aller Art. Als „Extremisten“ gelten alle, welche Forderungen an den bürgerlichen Staat richten. Ein „nicht-extremistischer“ Protest verlegt sich auf das Bitten und Flehen und Anklagen gegen den „äußeren“ und „inneren Feind“ der schuld ist. Die eigene Bourgeoisie wird freigesprochen, sie reagiert nur in der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus Unkenntnis falsch, aber im Grundsatz vor allem gegenüber den „äußeren Feind,“ handelt sie richtig, es müssen nur die kleineren „Fehler“ korrigiert werden. Dies ist die Position der Gewerkschaftsbürokratie und der „Sozialindustrie“. Dieser Protest ist eine Alibiveranstaltung für die Bourgeoisie und ihren antirussischen Wirtschaftskrieg und wird im „Energienotstand“ gern gesehen. Die Bourgeoisie versucht die Massenproteste zu spalten, schon präventiv.

Bevor der deutsche Imperialismus eine diplomatische Verständigung mit Rußland sucht, ruft er eher den „Energienotstand“ aus. Um jeden Preis scheut der deutsche Imperialismus vor einem internationalen Prestigeverlust/Gesichtsverlust zurück und bricht bewußt alle Brücken zum russischen Imperialismus ab, bereitet damit auch den Bruch mit China vor, welcher ebenfalls den deutschen Imperialismus schwer treffen wird, denn der chinesische Markt ist bisher ein zentraler Markt für das deutsche Kapital. Mit den Rußland-Sanktionen zerstört der deutsche Imperialismus seinen zentralen Bezugsmarkt von Rohstoffen einschließlich Energierohstoffen, während mit möglichen China-Sanktionen der zentrale Absatzmarkt des deutschen Kapitals zerstört wäre, wie auch dann die zahlreichen Vorprodukte aus China fehlen würden d.h. die Lieferketten wären total zusammengebrochen. Es wäre ein ökonomischer Doppelschock, der nur über einen offiziellen oder inoffiziellen Notstandsstaat auf kapitalistischer Weise reguliert werden könnte, bzw. der ökonomische Doppelschock würde einen Notstandsstaat zur Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, konkret zur Neuordnung der inneren Klassenverhältnisse, wie zur äußeren Neuordnung Europas nach dem Prinzip einer deutschen Mitteleuropa-Ordnung legitimieren. Die deutsche Bourgeoisie kann ohne weiteres die Brücken hinter sich in Richtung Osten, in Richtung Rußland und China verbrennen, um dann im Innenverhältnis und Außenverhältnis freie Hand zu erhalten, eine neue Ordnung zu etablieren. Diese neue Ordnung läßt sich nur über eine Katastrophe errichten. Ist die neue Ordnung errichtet, kann wieder die Fühlung mit Rußland und China aufnehmen, natürlich auf neuer materieller Grundlage.

Taiwan wird der zentrale Konfliktherd zwischen den transatlantischen Metropolen und China, während die Ukraine der zentrale Konfliktherd zwischen den transatlantischen Metropolen und Rußland ist. Es kommt immer deutlicher zu einem sino-russischen Bündnis, der sich zu einem sino-russischen Block festigen kann und damit den transatlantischen Block in die Defensive bringt, was dort auch zu einer Radikalisierung führt, bevor der transatlantische Block an seinen eigenen Widersprüchen zu Grunde geht und zerbricht. Der Besuch von Frau Pelosi, der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses in den USA ruiniert die Sino-US-amerikanischen Beziehungen und der deutsche Imperialismus steht in Nibelungentreue fest an der Seite des US-Imperialismus und wird deshalb auch ebenfalls die chinesischen Schläge einstecken müssen. China sanktioniert den Sand, den Taiwan für seine Chipproduktion benötigt. Dies trifft dann nicht nur Taiwan, sondern auch die transatlantischen Metropolen, denn Taiwan ist das Zentrum der Chipproduktion. Gleichzeitig beginnt China mit einer tendenziellen Luft- und Seeblockade Taiwan von seinen Lieferbeziehungen abzuschneiden. Gelänge es China Taiwan enger an sich zu binden, so hätte China den Zugriff auf die globale Chipproduktion und würde somit einen weltweit zentralen Industriezweig kontrollieren. Konkret auch aus diesem Grunde der Kampf um Taiwan zwischen China und dem transatlantischen Imperialismus und der Aufbau einer Chip-Industrie in den transatlantischen Metropolen.

Die transatlantischen Metropolen der imperialistischen Kette unterliegen einer Fehleinschätzung, daß noch der neoliberale Weltmarkt existiert, der ihnen tendenzielle Privilegien einräumte. Mittlerweile ist der neoliberale Weltmarkt zusammengebrochen und wurde auf naturwüchsiger Weise vom multipolaren Weltmarkt abgelöst. Dieser multipolare Weltmarkt mit seiner multipolaren Weltordnung jedoch verweigern sich die transatlantischen Metropolen, da sie diese nicht anerkennen wollen, sie glauben immer noch die stärkere Seite zu sein und verkennen und verweigern sich der multipolaren Realität und werden deshalb an der multipolaren Realität scheitern. Statt die multipolare Weltordnung, den multipolaren Weltmarkt zu gestalten, werden die transatlantischen Metropolen vom multipolaren Weltmarkt, von der multipolaren Weltordnung gestaltet. Dabei unterschätzen die transatlantischen Metropolen die multipolare Weltordnung, unterschätzen Rußland und China, was zu großem Verhängnis führen kann. Rußland hat im Ukraine-Krieg bewiesen, daß es auch notfalls im Dritten Weltkrieg um seine Interessen kämpfen wird. China zieht in der Taiwan-Frage seine roten Linien, so wie Rußland zuvor in der Ukraine-Frage seine roten Linien gezogen hat. Doch dies wird wie in der Ukraine-Frage von den transatlantischen Metropolen ignoriert, da man glaubt, daß man in der stärkeren Position ist und China wird keinen Krieg gegen Taiwan wagen. Bis vor kurzem glaubte man auch, daß Rußland es nicht wagen würde, die NATO-Ukraine anzugreifen, denn der NATO-Pakt steht hinter der Ukraine und schreckt Rußland ab. In der Ukraine-Frage haben sich die transatlantischen Metropolen verrechnet und trotz dieser Erfahrung verrechnen sie sich jetzt wieder in der Taiwan-Frage. Die Kriegsgefahr in der Taiwan-Frage ist sehr hoch und wird durch die Ignoranz der transatlantischen Metropolen noch erheblich erhöht. Realitätsverweigerung und Glauben trüben den Blick auf die Realität. Dies bezieht sich nicht nur auf die außenpolitischen Kriegsgefahren, sondern auch auf die tiefe sozioökonomische Krise in den transatlantischen Metropolen selbst, welche zu Massenprotesten und Unruhen führen können. Auch hiervor werden fest die Augen verschlossen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Der russische Imperialismus setzt in seinem Krieg gegen die NATO-Ukraine nicht auf einen Blitzkrieg, sondern geht gemäß der russischen Militärdoktrin langsam, aber gründlich vor, d.h. er setzt nicht auf einen politisch-militärischen Enthauptungsschlag, sondern auf die politische und soziale Umwälzung und damit auf die Zermürbung der NATO-Ukraine. Erst wird der Donbass-Feldzug siegreich beendet, bis die Front in Richtung Westen einschwenkt. Die Zeit spielt für den russischen Imperialismus, ebenso der Raum. Je länger der Krieg dauert, desto stärker wird der russische Imperialismus, militärisch, wie politisch und ökonomisch, während der deutsche Imperialismus immer schwächer wird, vor allem ökonomisch. Der Donbass wurde zum Massengrab des Maidan und des ukrainischen Faschismus, wie aller transatlantischen NATO-Hoffnungen. Je länger der Wirtschaftskrieg anhält, desto stärker wird der russische Imperialismus, denn der soziale und politische Druck in Westeuropa und in Deutschland steigt. Die Ölpreise, Gaspreise, Kohlepreise steigen extrem und finanzieren die Neuausrichtung des russischen Imperialismus nach Osten. Aus diesem Grunde hat der russische Imperialismus keine Eile, den Ukraine-Krieg zu beenden. Mit dem Ende des Krieges würden die Preise wieder auf das Normalniveau fallen. Die ganze Wucht des transatlantischen Wirtschaftskrieges gegen Rußland trifft Westeuropa und damit auch Deutschland, nicht so sehr die USA. Auf diese Weise wird objektiv die Neuausrichtung des deutschen Imperialismus erzwungen. Sieger im Wirtschaftskrieg ist der, welcher die Massen länger zum Verzicht zwingen kann und da ist der russische Imperialismus durch die Subsistenzproduktion des russischen Dorfes ebenfalls im Vorteil.

Die Situation kann sich verselbständigen. Scheitert der deutsche Imperialismus mit seinem antirussischen Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus, muß er das neue Kräfteverhältnis anerkennen und ist objektiv gezwungen, sich neu zu formieren, d.h. der deutsche Imperialismus wird sich radikalisieren und diese Radikalisierung drückt sich in dem Einschwenken auf den deutschen Sonderweg ein. Je länger der transatlantische Wirtschaftskrieg andauert, je mehr drängt der russische Imperialismus objektiv den deutschen Imperialismus auf seinen Sonderweg und damit auf eine Neuordnung Europas, nicht nur Westeuropas. Je länger die Ukraine-Krise andauert, je mehr droht die transatlantische Gemeinschaft zu zerbrechen. Aber auch eine Verhandlungslösung würde die Niederlage des transatlantischen Imperialismus besiegeln und ihn potentiell zerbrechen. Aus diesem Grunde ist auch ein transatlantischer Rückzug unmöglich und es wird bis zur letzten Konsequenz gekämpft. Die Niederlage steht für den transatlantischen Imperialismus schon fest. Diese Niederlage muß der Öffentlichkeit in den USA und Westeuropa aber als Sieg verkauft werden und so hofft der transatlantische Imperialismus auf einen gesichtswahrenden Rückzug. Ob der russische Imperialismus darauf eingeht, ist offen. Nicht die Einbrüche in der Wirtschaftsleistung in einem Wirtschaftskrieg sind entscheidend, sondern Sieger in einem Wirtschaftskrieg ist der, wer die Schäden länger aushält, d.h. die Massen länger zum Verzicht zwingen kann. Da ist der russische Imperialismus im Vorteil, denn die Subsistenzwirtschaft des russischen Dorfes und der Kleinstadt garantieren den längeren Hebel im Wirtschaftskrieg, da die Scheidung von Stadt und Dorf in Rußland bis heute noch nicht realisiert ist. Jedoch der deutsche Imperialismus kann nicht auf die Subsistenzwirtschaft zurückgreifen, dazu ist auch die Fläche Deutschlands zu gering, d.h. die Scheidung von Stadt und Land wurde in Deutschland realisiert. Aus diesem Grund kann der deutsche Imperialismus das materielle Lebensniveau in Deutschland nicht auf die Stufe des materiellen Lebensniveaus in Rußland absenken und verliert notwendig den Wirtschaftskrieg. Sinkt das materielle Lebensniveau in Deutschland sehr stark, drohen Massenproteste und Revolten, da hilft dann auch der Ausnahmezustand nicht.

Während der innere soziale und politische Druck in den transatlantischen Metropolen steigt, herrscht in den herrschenden Klassen der transatlantischen Metropolen eine große Verwirrung und ein beträchtlicher Realitätsverlust, so daß die notwendigen klaren politischen Entscheidungen erst mit großem Zeitverzug gefällt werden. Die Widersprüche in den herrschenden Klassen nehmen zu und lähmen die transatlantischen Metropolen.

Die erste Welle der Schockpolitik stellt die Gasumlage dar, denn sie treibt die inflationären Tendenzen noch weiter an und belastet die Löhne deutlich, führt also zu einem drastischen Absinken des Reallohns. Die Gasumlage ist nicht einheitlich festgelegt und kann sich jederzeit nach unten oder oben ändern, führt also zu einem Zwangssparen und damit zu einem scharfen Einbruch in die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, was zu deflationären Tendenzen führt. Schockpolitik und Kriegswirtschaft hängen eng zusammen. Ein Krieg ist ein Schock für die konkrete bürgerliche Gesellschaft und damit auch für sozioökonomischen Bedingungen. Die sozioökonomischen Bedingungen müssen auf eine Kriegswirtschaft umgestellt werden und dies bedeutet auch Formen von Zwangssparen. Kanonen statt Butter. Der deutsche Imperialismus mit seinem antirussischen Wirtschaftskrieg und seinen Waffenlieferungen an die NATO-Ukraine führt Deutschland in einen unausgesprochenen Kriegszustand, der jederzeit in einen Krieg, Dritten Weltkrieg, eskalieren kann. Hingegen der sogenannte Kalte Krieg war ein Spannungszustand, aber kein unausgesprochener Kriegszustand. Ein unausgesprochener Kriegszustand verlangt nach einer Schock-Politik, verlangt nach einer Kriegswirtschaft, verlangt nach einem Notstand, Ausnahmezustand, denn Krieg ist immer Ausnahmezustand und Notstand. Ein unausgesprochener Kriegszustand verlangt nach einer unausgesprochenen Schock-Politik und Kriegswirtschaft, verlangt nach einem unausgesprochenen Notstand, Ausnahmezustand und damit der Beseitigung demokratisch-parlamentarischer Herrschaftsformen der herrschenden Klasse zugunsten einer Notstandsdiktatur. Die Gasumlage ist ein Moment innerhalb des unausgesprochenen Kriegs- und Ausnahmezustandes, welcher ein totaler Krieg gegen die Arbeiterklasse ist, deren gesellschaftlich notwendiges Reproduktionsniveau drastisch und qualitativ abgesenkt werden soll, d.h. die Gasumlage ist der erste qualitative Schritt in den Energienotstand. Der Verzicht wird mit äußerster Repression erzwungen, wenn es nötig sein sollte. Widerstand gegen die Deflationspolitik ist dann Kollaboration mit dem „Feind“, bzw. „Verrat an der Nation“. Auch im unerklärten Kriegszustand gibt es nur „Freund“ oder „Feind“, aber keine Neutralität. Widerstand gegen die Gasumlage ist dann „Feindhandeln“, ein „Angriff auf die nationale Sicherheit“. Zuerst wird über die hohen Preise ein Verzicht erzwungen, notfalls über Rationierung. Schon im August nennt der nordrhein-westfälische Innenminister mögliche Protestler „Staatsfeinde.“, obwohl noch keine Proteste gegen den Energienotstand und Deflationspolitik stattfinden. Über die Wortwahl versucht der bürgerliche Staat mögliche Massenproteste abzuschrecken. Ein wesentliches Moment der Schock-Politik. Wer von seinen demokratischen Grundrechten auf Protest Gebrauch macht, wird vom bürgerlichen Staat als „Staatsfeind“ bezeichnet. Damit wird den Repressionsapparaten die Carte Blanche ausgeteilt; sie haben das Recht, jede scharfe Gewalt anzuwenden, bis hin zum Bundeswehreinsatz im Inneren. Dies wird indirekt durch Bundeskanzler Scholz bestätigt, wenn er verneint, daß auf Demonstranten geschossen werden könnte („Niemand hat die Absicht, einen Schießbefehl gegen Demonstranten zu geben“ -, Äußerung bei einem Auftritt in Neuruppin am 17.08.2022). Ein Schießbefehl auf Demonstranten ist aus Sicht der historischen Entwicklung der BRD absurd, daß er nicht erwähnt werden bräuchte. Wenn man den Schießbefehl dennoch erwähnt, auch in seiner Negation, dann nur, als Bestätigung für diese Möglichkeit. Zudem kann auch ein Bundeswehreinsatz im Inneren ohne militärischen Schußwaffeneinsatz realisiert werden, dafür aber mit den Waffen der Polizei, Schußwaffen und Schlagstock. Gerade im August werden von der Polizei mehrere unbewaffnete Menschen erschossen. In Britannien in der Ära Thatcher wurde 1984/1985 im Bergarbeiterstreik ebenfalls verdeckt das Militär als Verstärkung der Polizei eingesetzt. Das Militär erhielt Polizeiuniformen und Schlagstöcke und agierte auch verdeckt als kollektiver Streikbrecher, wenn es sein mußte. Vor allem: Bundeskanzler Scholz schließt nur den Schießbefehl der Bundeswehr auf die Demonstranten aus, nicht aber den Bundeswehreinsatz im Inneren unterhalb dieser Schwelle. Durch die Person des Bundeskanzlers Scholz wird die Arbeiterklasse verwarnt. Notfalls wird die Bundeswehr im Inneren eingesetzt. Diese Warnung wird nur diplomatisch in einer Negation verpackt. Der Notstandsstaat setzte auf den präventiven Bürgerkrieg.

Die Gasumlage ist eine Verelendungspolitik gegen die Arbeiterklasse. Bisher wurde Widerstand gegen den Notstandsstaat als tendenziell „rechtsextremistisch“ eingeordnet. Seit den Klimaproteten in Hamburg im August, beginnt man langsam, Klimaproteste als „linksextremistisch“ unterwandert darzustellen. Auf diese Weise versucht der bürgerliche Staat jeden sozialen und politischen Widerstand zu de-legitimieren und die immer mehr zunehmende Gewalt des bürgerlichen Staatsapparates zu legitimieren. Auch große staatliche Gewalt soll legitim sein, wenn es gegen die „inneren Feinde“ geht, denn sie sind „Feinde“ der nationalen Sicherheit. Bei einer deutlichen Verelendungspolitik sind Massenproteste und Revolten nicht zu vermeiden. Es ist derzeit offen, welchen Weg die Bourgeoisie einschlägt. Aber auf jeden Fall versucht der bürgerliche Staat seine Repression gegen über Organisationen und Gruppen zu verstärken, welche auf potentielle Massenproteste und Revolten einflußnehmen könnten, denn nur so könnten potentielle Massenproteste amorph und wirkungslos werden, wenn keine alternative und autonome politische Führung vorhanden ist. Denn dann wären die potentiellen proletarischen Massenproteste im Sinne der Bourgeoisie entpolitisiert und verlaufen sich im Sande. Auf jeden Fall ist die Gasumlage eine offene Kriegserklärung der Bourgeoisie an die Arbeiterklasse. In erster Linie gilt zielt die Repression des bürgerlichen Staates immer auf die Entpolitisierung der Arbeiterklasse. Dies ist die Peitsche. Gleichzeitig wird versucht mit finanziellen Zuwendungen gewisse Folgen des antirussischen Wirtschaftskrieges abzumildern, was aber nur ansatzweise gelingen kann. Die Verluste des antirussischen Wirtschaftskrieges sollen und werden auf die Arbeiterklasse abgewälzt. Es geht nur darum, „guten Willen“ zu zeigen, um dann die Arbeiterklasse die ganzen Lasten des antirussischen Wirtschaftskrieges tragen zu lassen und legitimiert letztlich die Repression des bürgerlichen Staates. Wer nicht mit dem „guten Willen“ der Bourgeoisie zufrieden ist, wer fordert, daß der bürgerliche Staat die hohen Energiekosten vollkommen zu kompensieren hat, ist aus der Sicht der Bourgeoisie ein Staatsfeind und diese berechtigten Forderungen der Arbeiterklasse werden als Anmaßung dargestellt, als „Sachfremd“ und damit als „politisch“. Die finanziellen Zuwendungen an die Arbeiterklasse sind aus Sicht der Bourgeoisie keine „politischen Maßnahmen“, sondern „technokratische“ Maßnahmen, um eine tendenzielle Massenloyalität aufzubauen, d.h. es wird die Akzeptanz technokratischer Krisenpolitik von der Arbeiterklasse erwartet. Wird jedoch die technokratische Krisenpolitik von der Arbeiterklasse negiert, indem diese „politische“ Antikrisenmaßnahmen erwartet, wird die Repression des bürgerlichen Staates auf die organisierten politischen Widerstandkerne in der Arbeiterklasse gerichtet, um sie zu vernichten, bevor sie die Arbeiterklasse als Ganzes politisieren können. Die Bourgeoisie will die Unterpolitisierung der Arbeiterklasse konstant halten, denn nur dann kann der antirussische Wirtschaftskrieg als objektives Mittel zur Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse im internationalen Maßstab realisiert werden. Die historische Funktion des Notstandsstaates ist es, die Entpolitisierung der Arbeiterklasse notfalls mit unbegrenzter physischer Gewalt durchzusetzen. Eine Politisierung der bürgerlichen Gesellschaft ist mit allen Mitteln zu verhindern, denn die bürgerliche Gesellschaft kann nur dann Bestand haben, wenn sie als „Sache“, als „Ding“ von den Massen begriffen wird, nicht aber als daß was sie ist, ein konkret-spezifisches politisches Verhältnis. Das kapitalistische System kann nur „Sachfragen“ und damit „Sachzwänge“ erfolgreich verarbeiten, nicht aber „politische Fragen“. Gelingt es der Arbeiterklasse nicht, seine „politischen Fragen“ auf die Tagesordnung zu setzen, wird das Kapital seine „Sachfragen“ auf die Tagesordnung setzen, unter Umständen in politischer Verkleidung eines „Dritten Weges“ und auf das verzweifelte und wildgewordene Kleinbürgertum gestützt, welches, wenn es sich selbst autonom organisiert, immer auf das Kapital hin ausrichtet und damit die „Sachzwänge“ der kapitalistischen Akkumulation in politischen Formen ausdrückt. Es kommt also auf die proletarische Initiative an. Der Grad der Entpolitisierung der Arbeiterklasse in den transatlantischen Metropolen ist hoch, der neoliberale Kapitalismus hat gute Arbeit geleistet. Dies erschwert eine jetzt objektiv notwendige Offensive der Arbeiterklasse, welche durch die Eskalation der Ukraine-Krise noch weiter geschwächt wird. Das Kleinbürgertum kann die soziale und politische Massenbasis für einen Notstandsstaat darstellen, es kann nur durch eine Offensive der Arbeiterklasse, die das Kleinbürgertum in ein Bündnis mit derselben zwingt, politisch neutralisiert werden. Wenn die Arbeiterklasse sich nicht das Thema der Krise und des „Energienotstandes“ annimmt, wird es das Kleinbürgertum zum Vorteil der Bourgeoisie tun. Die Politisierung der Arbeiterklasse ist eine langfristige Aufgabe. Massenproteste und Revolten geben wichtige Impulse für eine Politisierung der Arbeiterklasse, reichen aber nicht aus, die Offensive der Bourgeoisie sofort zu stoppen. In Krisenzeiten lernt die Arbeiterklasse schnell, aber kann nicht aus dem Stand heraus, über dreißig Jahre der Entpolitisierung durch den neoliberalen Kapitalismus kompensieren. Die herrschende Klasse behält immer noch die weitgehende Kontrolle über die Arbeiterklasse. Zur Re-Politisierung der Arbeiterklasse ist eine revolutionäre Partei notwendig. Spontan gibt es immer Momente der proletarischen Re-Politisierung, doch ohne eine kollektive Verarbeitung dieser Prozesse, fallen sie wieder in sich zusammen. Die Linkspartei, die verdi-Gewerkschaftsbürokratie, der linke Flügel der Sozialdemokratie und der Grünen, wie die kleinbürgerliche „Klimaschutzbewegung“ versuchen schon präventiv aufkommende Proteste zu kontrollieren und wird selbst bei Demonstrationsaufrufen aktiv, um schon von Beginn an mögliche Massenproteste zu kanalisieren und ihnen die Spitze zu nehmen. Je entpolitisierter die Arbeiterklasse durch den vorherigen Neoliberalismus ist, desto leichter kann die Linkspartei die politische Kontrolle über die möglichen Massenproteste gegen die Schock-Politik behalten. Der organisierte Reformismus setzt auf einen „Gaspreisdeckel“. Der bürgerliche Staat soll ein bestimmtes Mindestniveau an Gasbezug garantieren, welches zu einem niedrigen Preis verkauft wird. Wird jedoch dieses Mindestniveau an Gasbezug überschritten, soll der hohe gegenwärtige Preis gezahlt werden. Es geht also nur um eine „soziale Rationierung“, etwas, was es nicht geben kann. Der Mangel an Gas, der Mangel an Energie, bleibt erhalten, er soll nur „gerecht“ verteilt werden. Aber einen Mangel kann man nicht gerecht verteilen. Das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse sinkt dennoch und die Massenproteste werden sich nicht damit zufrieden geben, fordern das Ende des Wirtschaftskrieges und Öffnung von Nord Steam II, denn nur dann bleibt die Energiesicherheit erhalten. Gleichzeitig wird die FDP jede sozialere Lösung verhindern, die Gasrationierung auf die Spitze treiben und ist bereit die Regierung zu sprengen, was zu Neuwahlen führen könnte. Der bürgerliche Staat finanziert sich aus Revenue, muß die Steuern erhöhen und/oder sich verschulden, ist damit auch ein Moment im Akkumulatiosprozeß. Da nicht nur für den Endkunden die Gaspreise bzw. Energiepreise steigen, sondern auch für das Kapital, steht die Akkumulationsbewegung des Kapitals unter Druck und der bürgerliche Staat kann dann nicht ohne weites durch seine Aktionen unabhängig von der Bewegung der Akkumulation eine „soziale Rationierung“ vornehmen. Je länger die Krise andauert, desto mehr und eher wird der Gaspreisdeckel niedrig angesetzt werden müssen und stellt dann nur noch ein Placebo dar. Die Produktion ist entscheidend, nicht die Verteilung. Ein Mangel läßt sich nicht umverteilen, nur anders aufteilen. Ein Mangel bleibt an Mangel und niemals „gerecht“. Über eine Mangelverwaltung läßt sich die Energiekrise nicht aufheben. Es gilt den Mangel aufzuheben und das heißt konkret, daß die Forderung nach Öffnung von Nord Stream II zentral ist. Nur wenn wieder ausreichend Gasfließt, dann, wenn der antirussische Wirtschaftskrieg beendet ist, fallen die aufgeblähten Preise wieder in sich zusammen. Aber eben dies fordert die Linkspartei, wie die Gewerkschaftsbürokratie nicht, sondern nur eine „sozial gerechte Verteilung“ der Kriegskosten für den antirussischen Wirtschaftskrieg, der im Sinne des deutschen Imperialismus weitergeführt werden soll. Auch die Linkspartei und die DGB-Bürokratie verweigern sich einem Frieden mit dem russischen Imperialismus.

Die Diskussion über einen „sozialen Pflichtdienst“ für Männer und Frauen zielt auf die Aktivierung der Wehrpflicht und damit auch auf die Aktivierung des Wehrersatzdienstes bzw. des Zivildienstes, passt sich ein in die Kriegswirtschaft und zielt auch auf die erwartete höhere Rate der Arbeitslosigkeit aufgrund des antirussischen Wirtschaftskrieges, welcher die sich entwickelnde Rezession noch verschärft. Über eine Militarisierung der Ausbeutung soll eine innere Desintegration des deutschen Imperialismus verhindert, wie auch über die Aktivierung der Wehrpflicht die außenpolitische Schlagkraft erhöht werden. Mit dem Scheitern eines vermeintlichen „zivilen“ Wirtschaftskrieges gegen den russischen Imperialismus ist der deutsche Imperialismus gezwungen, den Krieg, bzw. die Kriegsdrohung, in der internationalen Arena offen einzusetzen und muß sich dazu neu organisieren. Die langsam einsetzenden Tendenzen zur Militarisierung zeigen die Niederlage des deutschen Imperialismus im Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus an. Der deutsche Imperialismus ist eben nicht dem russischen Imperialismus überlegen, sondern gar unterlegen, auch im Wirtschaftskrieg. Im militärischen Bereich ist der deutsche Imperialismus dem russischen Imperialismus deutlich unterlegen, wie auch dem US-Imperialismus und den anderen transatlantischen Metropolen. Die Niederlage im Wirtschaftskrieg gegen das russische Kapital führt zur Radikalisierung des deutschen Imperialismus, führt zur Flucht nach vorn. Kurzfristig könnte der deutsche Imperialismus einen Befreiungsschlag versuchen und die sanktionierte Nord-Stream II-Pipeline öffnen. Dann würden die Gaspreise drastisch fallen und der deutsche Imperialismus könnte sich stabilisieren. Gleichzeitig muß der russische Imperialismus auf seine Extra-Profite mit dem Fall der Gaspreise verzichten. Die Situation würde sich normalisieren. Jedoch wäre dies eine Niederlage des transatlantischen deutschen Imperialismus, wie der transatlantischen Metropolen mit dem Zentrum US-Imperialismus im antirussischen Wirtschaftskrieg überhaupt. Doch so ein Szenario brauch Zeit. Es wäre ein mehr oder minder allseitiger imperialistischer Interessenausgleich im Sinne einer multipolaren Weltordnung, welche damit als allgemein anerkannt würde, ein negativer Interessenausgleich, welcher das neue Status quo anerkennt. Eine Anerkenntnis, daß die Ordnung von Jalta und Potsdam beseitigt ist, das Ziehen neuer Interessenssphären und damit die beschleunigte Durchsetzung der De-Globalisierung des Weltmarktes. Statt zusammenwachsen, wie in der Ära des neoliberalen Weltmarktes, zerfällt der Weltmarkt in regionale Segmente. Im besten Fall trennen sich die Wege des deutschen und russischen Imperialismus, wird die ökonomische Trennung vollzogen und beide Imperialismen entwickeln sich unterschiedlich und können auf einer höheren Stufe ihre Interessenssphären abgrenzen. Dies gelänge nur, wenn der deutsche Imperialismus sein Energie-und Rohstoffproblem lösen kann. Doch dies sieht danach nicht aus und der deutsche Imperialismus bleibt auch in Zukunft abhängiger vom russischen Imperialismus als umgekehrt. Aus diesem Grunde ist zu erwarten, daß die aggressive Stoßrichtung des deutschen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus erhalten bleibt, die Formen wechselt und sich gar noch steigert. Die Übermacht des russischen Imperialismus treibt den deutschen Imperialismus in eine Militarisierung nach außen und innen, da die Schwäche des US-Imperialismus eine US-Garantie zugunsten des deutschen Imperialismus zunehmend verunmöglicht. Die deutsche Bourgeoisie wird dann in den deutschen Sonderweg flüchten. Eine Niederlage des deutschen Kapitals im antirussischen Wirtschaftskrieg ist mittelfristig ein Katalysator für die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Der Herbst und Winter 2022/2023 ist die Bewährungsprobe für den deutschen Imperialismus, ob seine Machtprojektionen nach innen und außen realistisch sind oder Ausdruck des abermaligen Größenwahns der deutschen Bourgeoisie. Der deutsche Imperialismus bereitet sich auf Energienotstand und Krieg vor. Die Deutsche Bundesbahn wurde angewiesen, Kohletransporte gegenüber dem Personenverkehr zu priorisieren, d.h. die Kohletransporte haben Vorrang vor den Personenverkehr. Aber vor allem haben Militärtransporte über die Deutsche Bundesbahn die höchste Priorität, noch vor den Kohletransporten zu den Kohlekraftwerken. Die Eisenbahn ist seit ihrem Bestehen schon immer ein zentrales Moment für die Kriegsführung gewesen und ist damit zentral auch zu Beginn des Krieges, im Mobilisierungsfall. Krieg ist Logistik und noch einmal Logistik. Die Kampftruppen können nur Siege erringen, wenn die Logistik funktioniert. Der Troß sichert den Kampftruppen den Sieg. Und die Eisenbahn ist zentral für die Logistik. Aus diesem Grunde muß den Aktionen der Deutschen Bundesbahn große Beachtung geschenkt werden. Gegenwärtig wird die Deutsche Bundesbahn in der ersten Phase eines Notstandsmodus geschaltet und einer inneren Militarisierung unterzogen. Hier kann die Belegschaft der Deutschen Bundesbahn konkret Widerstand leisten. Alle Metropolen gehen langsam immer deutlicher in den Kriegszustand. Rußland hat Regelungen implantiert, daß notfalls das russische Kapital Militäraufträge vorranging bearbeiten muß. Ebenso in China. Es findet eine Konversion von ziviler Produktion zu militärischer Produktion statt. Die transatlantischen Metropolen werden nachziehen müssen, wollen sie sich nicht schwächen und Deutschland setzt am Logistiksektor an. Das Paradigma der „nationalen Sicherheit“ schreibt sich immer tiefer als tendenzielle Kriegswirtschaft in die kapitalistische Produktionssphäre ein. Diese Tendenz zur Kriegswirtschaft begann in der „Corona-Krise“ seit März 2020 und verstärkt sich mit dem der Eskalation der Ukraine-Krise spätestens ab dem 24. Februar 2022, als diese sich zu einem russischen-ukrainischen Krieg auswächst.

Umso länger der Ukraine-Krieg anhält, desto länger hält auch der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg an. Und je länger der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg anhält, wie auch der Ukraine Krieg, der Kriegsverlauf wie der antirussische Wirtschaftskrieg sich negativ auf die transatlantischen Metropolen auswirkt, eine große Massenunzufriedenheit produziert, desto mehr radikalisieren sich die transatlantischen Metropolen nach innen und außen und richten sich immer mehr auf den Krieg, der ein Dritter Weltkrieg wäre, aus. Bisher ist der Ukraine-Krieg ein Stellvertreterkrieg zwischen dem vom US-Imperialismus geführten transatlantischen Lager gegen den russischen Imperialismus und China. Doch dieser Stellvertreterkrieg wächst immer mehr in einen offenen Krieg zwischen Rußland und China auf der einen Seite und den transatlantischen Metropolen auf der anderen Seite aus, denn beide Seiten dürfen diesen Krieg nicht verlieren. In der Ukraine, im Ukraine-Krieg entscheidet sich die Weltgeschichte, entscheidet sich die neue Weltordnung in Form einer neuen Kräftekonstellation. Und im Ukraine-Krieg verliert die transatlantische Seite immer mehr an Boden und die Gefahr besteht dann, daß die USA offen in den Ukraine-Krieg intervenieren und es damit offen zum Krieg gegen Rußland und China kommt. Und dieser Krieg ist ein Dritter Weltkrieg und kein Krieg in der Ukraine. Der Ukraine-Krieg kann nicht in der Ukraine isoliert werden, sondern wächst notwendig über die Ukraine zu einem potentiellen Dritten Weltkrieg heraus, kann sich leicht verselbständigen und kann nicht kontrolliert werden. Der Ukraine-Krieg ist ein Weltordnungskrieg; der Ausgang des Ukraine-Krieges wird die Welt signifikant geändert haben. Es gibt eine Welt vor dem Ukraine-Krieg und eine Welt nach dem Ukraine-Krieg. Ein imperialistischer Interessenausgleich war zu Beginn des Ukraine-Krieges noch leicht möglich, man hätte eine Neutralität festschreiben können und damit wären die Interessen des russischen Imperialismus berücksichtigt worden. Doch dies wäre eine Kapitulation des US-Imperialismus gewesen. Schon lange ist der US-Imperialismus in der Defensive und im August nach der Flucht aus Afghanistan hat er weltweit sein Gesicht verloren. Eine weitere und noch drastische Niederlage kann der US-Imperialismus nicht akzeptieren, wenn er der Hegemon in der imperialistischen Kette sein möchte und damit auch keinen Kompromiß mit dem russischen Imperialismus. Für den US-Imperialismus gibt es nur: „Sieg oder Untergang“. Aus dem Ukraine-Krieg wurde schnell ein Stellvertreter-Krieg, welcher immer droht, zu einem direkten Krieg zwischen den USA und Rußland auszuarten. Ein Zurück zu einem Kompromiß wie zu Beginn des Krieges, ist nicht mehr möglich; die Situation hat sich schon zu sehr verselbständigt. Es bedarf der proletarischen Massenaktion, um den Druck auf die Bourgeoisie zu erhöhen, mit der imperialistischen Kriegspolitik zu brechen. Nach der imperialistischen Logik kann es nur einen Sieger geben und ein Kompromiß zwischen den imperialistischen Mächten ist immer nur dem Druck des Proletariats geschuldet. Der Klassenkampf entscheidet über Krieg und Frieden.

Auch für die Arbeiterklasse wird der Krieg in der Ukraine zu direkten physischen Gefahr, denn da die NATO-Ukraine im konventionellen Krieg unterlegen ist, agiert der US-Imperialismus durch den NATO-Pakt auch mit der Aktivierung von Gladio A und Gladio B-Netzten in Rußland, um den militärischen Druck auf die zusammenbrechende Donbass-Front zu mindern. Auch dies ist psychologische Kriegsführung mit dem Ziel Konfusion zu sähen. Das gleiche Ziel auch in EU-und NATO-Westeuropa. Vor allem die faschistischen ukrainischen Exilstrukturen, die auch nur ein Moment der Gladio-Netze sind und mit den anderen europäischen Gladionetzen, wie auch faschistischen Netzen, d.h. auch den deutschen Netzwerken von Gladio- und Faschismus, verbunden. Diese ukrainischen faschistischen Gladio-Netzwerke haben Waffen und Munition in unbegrenzter Zahl und können diese Waffen auch bedienen. Ihr Ziel ist auch die Arbeiterklasse in Deutschland, wenn sich die Massenunzufriedenheit politisch manifestiert und das Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges, wie des Krieges in der Ukraine einfordert. Die extremen Waffenlieferungen der EU- und NATO-Staaten in die Ukraine waren nicht alle für die Ukraine gedacht. Von dort aus gingen die Waffen in die restliche Welt und auch nach Westen in Richtung Deutschland und Westeuropa. Es können ohne weiteres mit Kriegswaffen Demonstrationen und Kundgebungen in Deutschland angegriffen und diese auch gegen Einzelpersonen eingesetzt werden, wenn diese Einzelpersonen für eine Verständigung mit Rußland eintreten. Attentate in welcher Art auch immer, sind damit potentiell vom ukrainischen Faschismus vorbereitet. Der ukrainische Faschismus ist derzeit in Westeuropa und in den transatlantischen Metropolen (zu denen auch Australien und Neuseeland zählen) die Speerspitze des Faschismus und auch die Speerspitze des NATO Gladio-Netzwerkes und kann jederzeit im Sinne einer psychologischen Kriegsführung auch in Westeuropa gegen das Proletariat und unliebsame Regierungen bzw. unliebsame Opposition eingesetzt werden. Besonders sticht hier die Asow-Organisation hervor, welche mit den staatlichen Repressionsapparaten der NATO-Ukraine zusammengeschlossen wurde und in der Ukraine als Staat im Staat agiert, wie die anderen faschistischen Organisationen in der Ukraine auch. Vor allem diese faschistischen Organisationen wurden vom US-Imperialismus finanziert und ausgebildet und unterstehen in letzter Instanz keinem ukrainischen Kommando, sondern dem US-Kommando und können auch international eingesetzt werden, wie z.B. auch die diversen konterrevolutionären Kuba-Organisationen, welche durch den US-Imperialismus finanziert und ausgebildet, wie auch seit Jahrzehnten international und nicht nur gegen Kuba eingesetzt werden, sondern weltweit und auch innerhalb der USA selbst. Das Ende der NATO-Ukraine ist nicht das Ende des ukrainischen Faschismus und der Feind des ukrainischen Faschismus ist nicht nur der russische Imperialismus und russische Faschismus, sondern vor allem die Arbeiterklasse im allgemeinen, nicht nur die ukrainische oder russische Arbeiterklasse, sondern auch die deutsche multinationale Arbeiterklasse. Der Terror des ukrainischen Faschismus richtet sich überhaupt gegen die proletarischen Massenorganisationen, gegen die internationale Arbeiterbewegung. Das Massaker im Gewerkschaftshaus in Odessa am 02. Mai 2014 ist eine Warnung des Faschismus an die Arbeiterklasse, konkret gegen die internationalen Gewerkschaften und wurde von der Arbeiterklasse noch nicht gesühnt. In den transatlantischen Metropolen wird der Massenmord in Odessa noch gedeckt. Auch dies eine klare Warnung an die Arbeiterklasse, an die Gewerkschaften, an die Gewerkschaftsbürokratie sich zu unterwerfen, ansonsten könnte sich in einem anderen Land auch der 2. Mai 2014 von Odessa wiederholen. Auch die ukrainischen faschistischen Organisationen sind Momente der Herrschaftsreserve des Kapitals und übernehmen die „schmutzige Arbeit“ für die Bourgeoisie, können dann eingesetzt werden, wenn die Arbeiterklasse auch über Streiks ihr gesellschaftliches Reproduktionsniveau verteidigt. Auch der britische Hafenarbeiterstreik im August wäre ein Angriffsziel für den Faschismus, für den ukrainischen Faschismus, denn er verstärkt die Lieferkettenprobleme des Kapitals, nicht nur des britischen Kapitals und schwächt die transatlantischen Metropolen im Verhältnis zum russischen Imperialismus und schwächt damit den transatlantischen Ukraine-Krieg gegen den russischen Imperialismus. Letztlich ist auch der Streik der britischen Hafenarbeiter ein Streik gegen die „nationale Sicherheit“ des britischen Imperialismus, bzw. ein Streik gegen die „nationale Sicherheit“ jeder transatlantischen Metropole, denn es ist durch den Streik nicht nur die britische Lieferkette, sondern alle transatlantischen Lieferketten bedroht und stärkt damit objektiv den russischen Imperialismus im antirussischen Wirtschaftskrieg, auch wenn nicht subjektiv das Ziel des britischen Hafenarbeiterstreiks ist. Über Gladio-Operationen werden nicht nur „feindliche“ Personen oder Organisationen direkt angegriffen, sondern auch Operationen unter falscher Flagge ausgeführt und diese dann bestimmten „ feindlichen“ Personen und/oder Organisationen zu Last gelegt. Das Ziel ist die De-Legitimierung des Massenprotestes vor allem schon präventiv, wenn sich der Massenprotest erst langsam entwickelt. Die De-Legitimierung des Massenprotestes leitet, vermittelt in eben durch die dahinterstehende Strategie der Spannung, in den bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) über. Der bürgerliche Staat soll den Ausnahmezustand ausrufen, um die vermeintlichen Täter, bzw. „Feinde“ zu vernichten. Die vermeintlichen Täter sollen nicht nur Täter sein, sondern „Feinde“, und zwar nur dessen Vorhut. Das Ziel ist nicht so sehr, die vermeintlichen Täter der Gerichtsbarkeit zu überführen, sondern das Signal zu geben, den „Feind“, der größer ist als die vermeintlichen Täter anzugreifen und zu zerstören. Auf diese Weise kam der deutsche Faschismus erst zu vollem Durchbruch (Reichstagsbrand) und der US-Imperialismus nutzt bis heute diese Strategie der Spannung mit wechselnden Erfolg. Die Strategie der Spannung ist keine Wunderwaffe, sondern ein ganz alltägliches und normales Instrument imperialistischer Politik und wird von allen imperialistischen Mächten verwendet. Eine Erfolgsgarantie hat die Strategie der Spannung nicht, entscheidend ist das Kräfteverhältnis der antagonistischen Klassen im Klassenkampf. Hauptsächlich ist die Strategie der Spannung gegen den „inneren Feind“ gerichtet und wird dann Option, wenn die inneren Probleme eskalieren und die Bourgeoisie keinen anderen Weg sieht, als diese inneren Probleme mit einem bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) zu bearbeiten. Die Strategie der Spannung eröffnet den Weg in den Ausnahmezustand, organisiert für diesen die Massenlegitimation.

Das Einschwenken des NATO-Paktes auf Gladio-Operationen ist nicht auf Rußland beschränkt, sondern erstreckt sich notwendig auch auf Westeuropa und damit auch auf Deutschland. Ebenfalls wird der russische Imperialismus auf diese Art des Angriffs mit den gleichen Mitteln reagieren und dies nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Westeuropa und damit auch in Deutschland, wie auch in den USA. Die Politik der Destabilisierung fällt auf den Verursacher zurück, führt damit zu einer weltweiten Destabilisierung und den Ruf nach dem Ausnahmezustand, dem Notstand, um die gesellschaftlichen Strukturen wieder zu stabilisieren. Der US-Imperialismus und sein NATO-Pakt aktiviert eine „Politik der Spannung,“ und visiert den Ausnahmezustand an bzw. den Kriegszustand oder Belagerungszustand, zwingt diese Rationalität objektiv auch Rußland und China auf. Es findet objektiv ein internationaler Wettlauf in den Kriegszustand statt, denn jeder Staat sieht sich von einem anderen Staat von außen und innen bedroht, sieht sich von der Arbeiterklasse bedroht, sieht seine „nationale Sicherheit“ bedroht. Die „nationale Sicherheit“ findet in dem Kriegszustand, Belagerungszustand zu sich selbst. Diese Flucht in die „nationale Sicherheit“ ist das Produkt durch die Destabilisierung des Weltmarktes und der internationalen Beziehungen. Mit dem Versuch der Destabilisierung Rußlands durch Gladio-Operationen kommt es eher zur gegenteiligen Wirkung, zur autoritären Stabilisierung Rußlands und auch zur Radikalisierung des russischen Imperialismus.

Die „nationale Sicherheit“ ist ein Angriff auf die „soziale Sicherheit“ der Arbeiterklasse und damit ist die „nationale Sicherheit“ der große „Feind“ der Arbeiterklasse und muß zerstört werden, denn „nationale Sicherheit“ bedeutet Verzicht für die Arbeiterklasse. Über hohe Energiepreise wird die Arbeiterklasse indirekt zum Verzicht gezwungen. Diese hohen Energiepreise sollen der Preis für die „Energiefreiheit“ sein. Doch dies führt auf Seiten der Arbeiterklasse zu einem großen Energiemangel. Eine „Energiefreiheit“ für die Arbeiterklasse gibt es nicht, nur eine „Energiefreiheit“ für das Kapital und zwar auf Kosten der Arbeiterklasse. Der Energieverzicht der Arbeiterklasse schafft die „Energiefreiheit“ des Kapitals. Wenn die „Energiefreiheit“ des Kapitals die „nationale Sicherheit“ gewährleistet, dann muß der Energiemangel der Arbeiterklasse notfalls repressiv erzwungen werden. Ohne Energie gibt es keine Akkumulation von Kapital. Erneuerbare Energien sind derzeit keine Alternative und werden es vielleicht irgendwann in der Zukunft sein. Aber nicht im Heute und Jetzt. Durch den Boykott der russischen Energierohstoffe gefährdet die deutsche Bourgeoisie selbst ihre „nationale Sicherheit“ und versucht sich an der „sozialen Sicherheit“ der Arbeiterklasse schadlos zu halten. Doch dies wird nicht reichen. Nur durch das erzwungene „Energiesparen“ der Arbeiterklasse läßt sich die Akkumulation von Kapital, die „nationale Sicherheit,“ nicht gewährleisten. Da es keine anderen Lieferanten von Energierohstoffen gibt, die den Energiehunger des deutschen Kapitals decken können, ist der deutsche Imperialismus nicht in der Lage seine „Energiefreiheit“ nur auf sich gestellt durchzusetzen. Der US-Imperialismus ist wankelmütig und vom russischen Imperialismus will das deutsche Kapital seit dem Ukraine-Krieg nichts mehr wissen. Dieser Zustand kann nicht lange ausgehalten werden. Entweder der deutsche Imperialismus wird seine Interessen mit dem russischen Imperialismus ausgleichen oder in alleine bzw. eher in einem Bündnis militärisch angreifen müssen, zum wiederholten Male einen imperialistischen Raubkrieg gegen Rußland beginnen, um in den Genuss der „Energiefreiheit“, bzw. der „nationalen Sicherheit“ zu kommen. Der Expansionsdrang des deutschen Imperialismus nach Osten, nach „neuem Lebensraum“ im Osten, d.h. real nach Energierohstoffen und anderen strategischen Rohstoffen, bleibt existent, egal ob friedlich durch „Durchdringung“ oder offen terroristisch.

Die Politik der „Durchdringung“ ist spätestens mit dem russisch-ukrainischen Krieg fehlgeschlagen, eigentlich schon im Jahr 2014 mit dem gescheiterten Putsch und dem folgenden Bürgerkrieg in der Ukraine. Weißrussland und die Ukraine sollten vom russischen Imperialismus abgespalten werden und all diese Pläne scheiterten am 24. Februar 2022. Über die Abspaltung von Weißrussland und der Ukraine sollten die dortigen strategischen Rohstoffe dem deutschen Imperialismus zu Gute kommen, gleichzeitig wäre der russische Imperialismus durch den Verlust seiner zentralen westlichen Einflußsphäre dem Druck und der „Durchdringung“ des deutschen Imperialismus ausgesetzt. Wer Kiew hat, kann Moskau zwingen. Diese Politik des deutschen Imperialismus ist nun gescheitert. Entweder der deutsche Imperialismus akzeptiert das neue Kräfteverhältnis, oder er muß in den imperialistischen Krieg übergehen. Eine „Energiefreiheit“, d.h. die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus ohne und auch gegen den russischen Imperialismus ist nicht möglich. Der russische Imperialismus orientiert sich seit Februar 2022 deutlich nach Eurasien, weg von Westeuropa und damit gehen die strategischen Rohstoffe nach Osten und nicht nach Westen. Dem deutschen Imperialismus wird damit seine materielle Rohstoffbasis entzogen und damit seine Akkumulationsbasis. Der russische Imperialismus ist für die Expansion des deutschen Imperialismus nach Osten der zentrale Sperrriegel. So ist es um die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus nicht gut bestellt und umso aggressiver nach außen und repressiver nach innen tritt der deutsche Imperialismus auf. Um in Ostasien Fuß zu fassen und China herauszufordern, ist es notwendig, den russischen Imperialismus nach Osten in Richtung Sibirien zurückzudrängen, sich den Kaukasus und Zentralasien als Landbrücke nach China zu unterwerfen und so China zu isolieren. Damit würde man dann auch Rußland von China trennen. Aus diesem Grunde muß zuerst der russische Imperialismus als zentraler Sperrrigel Eurasiens angegriffen werden, erst danach China. Um an die chinesischen Grenzen vorzurücken, muß der russische Imperialismus aus seinem Einflußgebiet im Kaukasus und Zentralasien vertrieben werden, erst dann wäre der Mittlere Osten unter Kontrolle des transatlantischen Imperialismus, wie China nach Westen hin isoliert. Die NATO-Ukraine war dazu das Sprungbrett. Diese aggressive imperialistische Politik steht und fällt mit der Hegemonie des US-Imperialismus. Ist der US-Imperialismus zu schwach, scheitert die diese expansive und aggressive Politik der transatlantischen Metropolen. Die verheerende Niederlage des US-Imperialismus und des transatlantischen Imperialismus in Afghanistan zeigt die Schwäche des US-Imperialismus auf und der russische Imperialismus nutzt die Gunst der Stunde und zerbricht die Einkreisungspolitik gegen Rußland und China und marschiert in die NATO-Ukraine ein. Alle Versuche des transatlantischen Imperialismus zwischen Rußland und China zu spalten scheiterten und führten zu einer engen ökonomischen, militärischen und politischen Zusammenarbeit zwischen Rußland und China. Zusammen sind Rußland und China dem transatlantischen Block überlegen und der transatlantische Block kann höchstens Rußland oder China alleine schlagen, aber nicht beide zusammen. Nun ist der transatlantische Imperialismus objektiv gezwungen, sich gleichzeitig mit dem russischen Imperialismus und China zu konfrontieren. Der Ukraine-Krieg ist lediglich der Anlaß für die notwendige Eskalation zwischen einem transatlantischen Kapitalismus und einem eurasischen Kapitalismus. Der eigentliche Feind des US-Imperialismus ist China, welches immer mehr ökonomisch mit den USA konkurrieren kann, während Rußland im Weltmarkt eine zurückgezogene, peripher autarke Position einnimmt. Jedoch muß der russische Imperialismus China stützen, um nicht der US-Übermacht zu erliegen und China bedarf vor allem militärisch den Schutz des russischen Imperialismus, denn militärisch hat China nicht mit den USA gleichgezogen. Rußland hat China unter dem atomaren Schutzschirm genommen, ansonsten hätte es schon längst einen US-Angriff auf China gegeben. Der US-Imperialismus bedarf einer russischen Neutralität, um einen erfolgreichen Angriffskrieg gegen China zu führen. Mit der russischen Intervention in die Ukraine zerstört Rußland alle US-amerikanischen Hoffnungen auf eine russische Neutralität im Falle eines US-chinesischen Krieges. Jeder US-Angriff auf China würde notwendig in den Dritten Weltkrieg führen. Der Ukraine-Krieg ist nur oberflächlich gesehen ein Krieg um die Ukraine, im Wesen ist der Ukraine-Krieg ein Krieg um einen US-chinesischen Krieg zu verhindern, indem der eurasische Kapitalismus gefestigt wird. Die Ukraine alleine ist eher eine Belastung für den russischen Imperialismus und ein Krieg um die Ukraine sinnlos. Nur im geopolitischen Rahmen erschließt sich die Intention des Ukraine-Krieges. Der multipolare Weltmarkt und die multipolare Weltordnung ist das Ergebnis einer Konfrontation zwischen dem transatlantischen und dem eurasischen Kapitalismus. Nur durch diese Konfrontation zwischen transatlantischen Kapitalismus und eurasischen Kapitalismus kann der multipolare Weltmarkt entstehen. Die Konfrontation zwischen diesen beiden historischen Modellen des Kapitalismus ist unvermeidlich. Für die Arbeiterklasse hat kein historisches Modell des Kapitalismus einen Vorteil; die Arbeiterklasse steht gegen den Kapitalismus in Totalität und damit gegen all seine historischen Formen. Der Feind steht im eigenen Land- der Feind ist die eigene Bourgeoisie. Die erste Phase dieser Konfrontation fand in der „Corona-Krise“ noch in unterentwickelter Form statt. In der „Corona-Krise“ begann sich die imperialistische Kette langsam neu auszurichten. Erst in der Ukraine-Krise brechen die kapitalistischen Widersprüche offen aus. Damit übertrifft der Energienotstand potentiell auch den Corona-Notstand. Der Energienotstand ist der Ernstfall vor dem Ernstfall, der letzte Schritt vor dem Krieg. Für das deutsche Kapital ist die „Energiefreiheit“ auch gleichzeitig die „Rohstofffreiheit“ und beides existiert im Kapitalismus an sich nicht, sondern muß erkämpft werden. Ein Perpetuum mobile existiert nicht. Entweder die Rohstoffe und auch die Energierohstoffe werden durch den Handel organisiert oder aber durch einen imperialistischen Raubkrieg gegen wen auch immer. Nur mit Energie- und/oder Rohstoffeinsparungen läßt sich die Akkumulation nicht organisieren. Der neue Krisenschub führt automatisch zu Energie- und Rohstoffeinsparungen, weil die gesellschaftliche Produktion sinkt und damit wird auch weniger Energie und auch Rohstoffe verbraucht. Diese Art der Einsparung führt dann auch zur Einsparung an Quantität von Ware Arbeitskraft im kapitalistischen Produktionsprozeß, d.h. zur Arbeitslosigkeit. Dann geht die Einsparung wieder zu Lasten der Arbeiterklasse. Diese Art der Energie- und Rohstoffeinsparung illustriert nur die normale Entwertung von Kapital und ist keine Innovation des kapitalistischen Produktionsprozesses. Der deutsche Imperialismus kann nicht ohne Energierohstoffe und Rohstoffe existieren, bzw. kann nicht ohne die russischen Energierohstoffe und andere strategische Rohstoffe existieren; der deutsche Imperialismus einigt sich mit dem russischen Imperialismus oder muß diesen angreifen, um an seine strategischen Rohstoffe zu gelangen. Der russische Imperialismus sitzt am längeren Hebel. Von der Arbeiterklasse und vom russischen Imperialismus fühlt der deutsche Imperialismus seine „nationale Sicherheit“ bedroht und reagiert nach außen und innen immer aggressiver und repressiver. Der deutsche Imperialismus hat sich durch seine verblendete Machtpolitik selbst in die Ecke gedrängt, projiziert jedoch diese Entwicklung als Aggression des „inneren“ und „äußeren Feindes“ und ist bereit, jedes Risiko einzugehen, um den „Feind“ in die Schranken zu weisen, wenn eine andere Form der Verständigung nicht möglich ist. Die derzeitige Zwangslage des deutschen Imperialismus kann sich innerhalb der Bourgeoisie schnell zu einer Schockpolitik verselbständigen, eine Schockpolitik durch eine Flucht nach vorn. Wenn ein gesichtswahrender Rückzug der deutschen Bourgeoisie nicht mehr möglich ist, ist eine Schockpolitik ein Ausweg für das deutsche Kapital und eine Schockpolitik bezieht sich nicht nur auf die inneren Verhältnisse des deutschen Imperialismus, sondern auch auf die äußeren Verhältnisse und schließt den imperialistischen Krieg mit ein. Die „Energiefreiheit“ kann der deutsche Imperialismus nur im Rahmen eines Dritten Weltkrieges oder in einer Kette von imperialistischen Kriegen realisieren und wird damit scheitern oder aber der deutsche Imperialismus gibt die Politik der „Energiefreiheit“ auf, bricht mit der Realitätsverweigerung und kommt in der neuen Realität der multipolaren Weltordnung an, d.h. beendet den antirussischen Wirtschaftskrieg und öffnet die Nord Stream II-Pipeline für das benötigte Gas. Setzt der deutsche Imperialismus seinen antirussischen Wirtschaftskrieg fort, wird er letztlich auch die EU und den NATO-Pakt sprengen, denn die anderen Metropolen der EU und der NATO werden nicht ewig die deutsche Politik mittragen, denn sie fahren dadurch erhebliche Verluste ein. Dann steht der deutsche Imperialismus gegen alle. Innerhalb der EU versucht der deutsche Imperialismus auf die Energieressourcen der anderen Mitgliedsländer zuzugreifen. Der Rest der EU soll verstärkt seinen Energieverbrauch senken und damit objektiv den deutschen Imperialismus unterstützen. Die anderen EU-Länder jedoch haben dem deutschen Imperialismus nur formal zugestimmt, d.h. die EU-Regelungen sind nur bloße Absichtserklärungen und nicht verbindlich. Sollte sich die Krise im Herbst und Winter verschärfen, wird es nur schweren Verteilungskonflikten zwischen den verschiedenen EU-Staaten kommen. Die „Energiefreiheit“ die der deutsche Imperialismus meint, beinhaltet auch den Zugriff auf die Energieressourcen sämtlicher EU-Staaten. Über diesen antirussischen Wirtschaftskrieg versucht der deutsche Imperialismus objektiv seinen bestimmenden Einfluß in der EU zu behaupten und zwingt die anderen EU-Staaten ebenso in einen antirussischen Wirtschaftskrieg. Gelänge es dem deutschen Imperialismus die EU in einen verschärften antirussischen Wirtschaftskrieg zu ziehen oder gar in einem Krieg, der potentiell zu einem Dritten Weltkrieg auswachsen würde, hätte der deutsche Imperialismus innerhalb der EU die Hegemonie errungen, denn nur der Hegemon entscheidet über Krieg und Frieden. Der Ukraine-Krieg geht nicht um die Ukraine, sondern um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette.

Die absehbare Niederlage des transatlantischen Imperialismus in der Ukraine führt nicht zu einer Verständigungslösung mit dem russischen Imperialismus, sondern zur Eröffnung einer zweiten Front gegen China. Der deutsche Imperialismus marschiert in einen antichinesischen Wirtschaftskrieg, obwohl der chinesische Markt noch wichtiger für das deutsche Kapital ist als der russische Markt. Wie im Fall des russischen Marktes soll auch der chinesische Markt diversifiziert werden, damit die Abhängigkeit des deutschen Imperialismus nicht nur vom russischen Imperialismus, sondern auch vom chinesischen Kapitalismus reduziert wird. Nun wird im deutschen Kapital über konkrete Regelungen diskutiert, daß deutsche Investitionen in China vom deutschen bürgerlichen Staat genehmigt werden müssen. Der antirussische Wirtschaftskrieg weitet sich immer weiter zum einem Weltwirtschaftskrieg aus und überschreitet seit September die Grenze vom Wirtschaftskrieg zum Krieg. Mit den Sabotageaktionen von US-Imperialismus und NATO-Pakt an der Nord Stream I und Nordstream II Pipeline wird der potentielle Gasfluß von Rußland nach Deutschland gänzlich unterbrochen. Selbst wenn der deutsche Imperialismus sich mit dem russischen Imperialismus einigen würde, würde kein Gas fließen, solange, bis die Pipelines wieder repariert sind. Der deutsche Imperialismus und der US-Imperialismus ziehen zwar gemeinsam gegen den russischen Imperialismus ins Feld, vertreten aber auch hier ihre eigenen Interessen gegeneinander; die Interessen des US-Imperialismus und die Interessen des deutschen Imperialismus sind nicht deckungsgleich in der Konfrontation mit dem russischen Imperialismus. Immer deutlicher wird, daß der US-Imperialismus sich nicht nur mit dem russischen Imperialismus konfrontiert, sondern auch mit dem deutschen Imperialismus, während der deutsche Imperialismus nur den russischen Imperialismus als Feind einordnet, aber nicht den US-Imperialismus. Der deutsche Imperialismus wird reagieren müssen und wird letztlich mittelfristig gesehen, auf seinen Sonderweg zurückgreifen, will er nicht zwischen dem US-Imperialismus und dem russischen Imperialismus zerrieben werden. Ein Energienotstand wird durch die Angriffe auf Nordstream I und II immer wahrscheinlicher und damit ein neuer Krisenschub in der Akkumulation. Der Angriff auf Nordstream 1 und II ist eine US-amerikanische Kriegserklärung an Deutschland und Rußland, welche jedoch untereinander einen Wirtschaftskrieg führen und kann auch als Kriegserklärung an Rußland führen, da man auch von deutscher Seite Rußland als Saboteur indirekt beschuldigt. Schon deshalb steht drohend der „militärische Notstand“ der Notstandsgesetze potentiell bereit. Aber auch deshalb, um den Energienotstand durchzusetzen, denn ein Akkumulationseinbruch und Revolten gegen eine dann notwendige Rationierungs- und Deflationspolitik, bringt auch die Notstandsgesetze potentiell auf die Tagesordnung. Die Arbeiterklasse steht für die Reparatur und den Neubau der Pipelines Nordstream I und II und für eine enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Rußland von unten zum gegenseitigen Vorteil der deutschen und russischen Arbeiterklasse. Der US-Imperialismus und der britische Imperialismus versuchen die schon bestehenden Gräben zwischen dem deutschen Imperialismus und dem russischen Imperialismus zu vertiefen und damit auch die Gräben zwischen dem russischen Imperialismus und den EU-Metropolen. Es drohen deshalb noch weitere Angriffe auf die Infrastruktur der EU-Staaten von „dritter Seite“, die dem russischen Imperialismus zur Last gelegt werden können und damit die internationale Situation dramatisch in Richtung Dritter Weltkrieg eskalieren können, umso mehr, als der britische Imperialismus verzweifelt versucht sich zu stabilisieren und eine waghalsige Finanzpolitik einschlägt, welche zur Panik auf den Finanzmärkten führte und die britische Zentralbank zwang, zu intervenieren und so den Zusammenbruch von Pensionsfonds verhinderte, was zu einem weltweiten Zusammenbruch des Finanzmarktes wie im September 2008 hätte führen können. So führt die prekäre Lage des britischen Imperialismus zu einer allgemeinen risikoreichen Politik des britischen Imperialismus und vertieft die gegenwärtige Weltkrise. Die gegenwärtige Konjunktur der Klassenkämpfe führt zur Flucht nach vorn in den Krieg. Ebenso vor allem der US-Imperialismus. Auch der US-Imperialismus ist von schweren Klassenkämpfen erschüttert und es droht ein Bürgerkrieg. Deshalb auch hier die Flucht nach vorn in den Krieg, um die inneren Widersprüche nach außen zu kanalisieren. Sollte auch Deutschland in eine vertiefte Spannung herabsinken, wird der deutsche Imperialismus ebenso diese Politik einschlagen und zwar nicht nur gegen den russischen Imperialismus, sondern auch gegen den britischen und US-Imperialismus. Es gilt jetzt vermehrt: Alle gegen alle, jeder gegen jeden. Der drohende Zusammenbruch des fiktiven Kapitals weltweit könnte jederzeit über einen Crash die Akkumulation des Kapitals in den Abgrund reißen und den Weltmarkt zerstören. Vor dem Hintergrund des zerfallenden neoliberalen Weltmarktes ist eine weitere Entwertung des Kapitals notwendig. Die Desorganisation des kapitalistischen Weltsystems ist weit fortgeschritten, die De-Globalisierung hat einen point of no return erreicht und die Arbeiterklasse droht in den kapitalistischen Mahlstrom hereingerissen zu werden. Ein höheres Wesen wird die Arbeiterklasse nicht retten, daß muß sie selber tun und organisierten Widerstand leisten, einen Widerstand organisieren, der auf die Diktatur des Proletariats zielt. Der Kapitalismus befindet sich konkret in seiner Systemkrise, die eine Weltkrise hervorbringt. Es ist eine Frage des Überlebens, jetzt die Systemfrage zu stellen. Es gilt immer noch: Sozialismus oder Barbarei.

  1. Proletarischer Widerstand ist notwendig

-Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, international organisiert und ansetzend an der alltäglichen kollektiven Sabotage der Ausbeutung auch in der „kritischen Infrastruktur.“

– Arbeiterkontrolle über die Produktion

-Aufbau proletarischer Hundertschaften gegen die Repression des bürgerlichen Staates und seiner neofaschistischen Organisationen

-Generalstreik gegen Kriegspolitik und Kriegswirtschaft

Iwan Nikolajew Hamburg, im Oktober 2022 Maulwurf/RS

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Atommüll aus der Schweiz?

Erstellt von Redaktion am 9. Oktober 2022

Das kleine Land und der radioaktive Abfall

Von Gastautor Axel Mayer

Der Schweizer Atommüll soll nahe der deutschen Grenze endgelagert werden. Dass der Standort Nördlich Lägern aus geologischen Gründen gewählt wurde, bezweifelt unser Autor.

Wenn der ägyptische Pharao Cheops vor 4.550 Jahren nicht die berühmte Pyramide gebaut, sondern vier Jahre lang ein AKW betrieben hätte, dann wären neben vielen anderen hochgefährlichen Abfällen auch circa 1.000 Kilogramm Plutonium zusammengekommen. Bei einer Halbwertszeit von 24.110 Jahren (Plutonium 239) wären heute noch circa 877 Kilo vorhanden. Nach zehn Halbwertszeiten, also nach 24.1100 Jahren, müssten immer noch ca. 0,1 Prozent der Ausgangsmenge, also 1 Kilo Plutonium dauerhaft sicher gelagert werden.

Im Gegensatz zur Zeit des ägyptischen Pharaos Cheops sind in den sechs schweizer Atomreaktoren in den letzten Jahrzehnten große Mengen Atommüll angefallen. Jetzt soll dieser, gemeinsam mit anderen Atomabfällen, am Hochrhein endgelagert werden.

In vielen Medien werden bei der Auflistung der Schweizer Reaktoren nur fünf AKW gezählt, streng genommen sind es sechs. Denn das kleine Atomkraftwerk in Lucens wird gerne vergessen, vielleicht weil es heute als Lager für diverse Museen dient. Der Grund: Der schwere Atomunfall in Lucens am 21. Januar 1969. Es gab eine Kernschmelze in dem kleinen Versuchsreaktor, der zum Glück in eine Kaverne eingebaut war. Dieser schwere Atomunfall ist nahezu erfolgreich aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht, im Gegensatz zu den Atomunfällen und Kernschmelzen in Fukushima, Tschernobyl und Harrisburg.

Außerdem gibt es das marode innerschweizer AKW Mühleberg, das im Dezember 2019 abgeschaltet wurde; an der Aare im Kanton Solothurn steht das AKW Gösgen; drei weitere arbeitende Reaktoren stehen in nächster Nähe zur deutschen Grenze am Hochrhein: ein veralteter Siedewasserreaktor (Reaktortyp Fukushima) im neuesten Atomkraftwerk der Schweiz in Leibstadt in der Nähe von Waldshut sowie zwei Reaktoren in Beznau, wovon Beznau 1 das älteste Atomkraftwerk der Welt ist – es ging 1969 in Betrieb.

In der reichen Schweiz steht also ein überalterter, gefährlicher Kraftwerkspark, und die einflussreiche Atomlobby würde die vier in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke gerne 60 Jahre im Betrieb lassen. Das wäre ein hochriskanter Atomversuch auf Kosten der Sicherheit der Menschen in der Schweiz und in Baden-Württemberg.

Die Schweizer Atomindustrie hat das globale Prinzip, nationale Vorteile zu genießen, Risiken aber international zu verteilen, perfektioniert. Ebenfalls an der Grenze befindet sich in Würenlingen das schlecht gesicherte, oberirdische Zwischenlager für den gesamten Atommüll der Schweiz und ein Plasmaofen, in dem verstrahlte Gegenstände verbrannt werden. Und wo soll jetzt der gesamte schweizer Atommüll endgelagert werden? Im Gebiet „Nördlich Lägern“, in nächster Nähe zur badischen Gemeinde Hohentengen.

Die perfekten Durchsetzungsstrategien

Es gibt viele wissenschaftlich begründete Zweifel an der geologischen Qualität des jetzt ausgewählten Endlagerstandorts. Die Akzeptanzbeschaffungs- und Durchsetzungsstrategien allerdings sind perfekt. Die direkte Demokratie der Schweiz bestimmt in vielen Bereichen den öffentlichen Diskurs. Und in den gerade auch in Deutschland so hochgelobten Volksabstimmungen sind „die Spieße häufig ungleich lang“, wie viele Aktive der schweizer Umweltbewegung sagen. Das heißt, dass beispielsweise bei Abstimmungen zum Thema Atomkraft die Befürworterseite mit unglaublich viel Geld in die Abstimmungskämpfe gehen kann.

Auch beim Thema Endlager zeigt sich: Je direkter die Demokratie, desto besser sind die Durchsetzungsstrategien. Die wichtigste Strategie ist die Perfektionierung der Salamitaktik. Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) wurde 1972 gegründet. Damals begann die Debatte um den Atommüll und erst ab dem Jahr 2050 sollen die radioaktiven Abfälle eingelagert werden. Die „Durchsetzungs-Salami“ ist damit 78 Jahre „lang“. Und die Nagra war stets bemüht, viele, viele kleine Scheiben von der Salami abzuschneiden, das heißt unendlich viele kleine Einzelentscheidungen zu treffen, die für die Öffentlichkeit und die Medien nicht spannend und wichtig waren.

Möglichem Widerstand ausweichen, um das Lager durchzusetzen, ist besonders wichtig. In manchen Standortregionen wehrte sich die Bevölkerung. Die Boulevard-Zeitung „Blick“ meldete vor vielen Jahren Ungeheuerliches aus der braven Schweiz: „Da nützen auch 50 Polizisten nichts. Nagra-Mitarbeiter in die Flucht geschlagen“. Im kleinen Ort Ollon, im französischsprachigen Teil der Schweiz, gab es Gorlebener Verhältnisse. Heute sind Protestregionen außen vor und die Menschen werden geschickt grenzüberschreitend gegeneinander ausgespielt. Nicht nur die Geologie steht im Mittelpunkt, sondern auch die politische Durchsetzbarkeit des Lagers.

Die andere Strategie war die Erzeugung der Illusion von Beteiligung. Es gab und gibt eine unglaubliche Vielzahl von Partizipationsveranstaltungen, bei denen die Teilnehmenden regelrecht zerrieben wurden. Die an der Suche nach einem Endlager „beteiligten“ grenzüberschreitenden Bürgerinitiativen am Hochrhein und die Umwelt- und Naturschutzverbände müssen sich fragen lassen, ob sie wirklich nach jeder Wurst schnappen müssen, auf der Partizipation steht. Echte Beteiligung sieht anders aus. Sie muss aber auch eingefordert werden. Der ehrenamtliche Umweltschutz ist hier beim Konflikt mit den PR-Profis immer im Nachteil.

Plötzlich ist Opalinuston supersicher

Beim Gedanken an ein sicheres Endlager in der Schweiz denken die meisten Menschen zuerst an die Alpen, an dieses mächtige Gebirge im Herzen der Schweiz. Doch die Alpen sind geologisch sehr jung und sie heben sich im Schnitt um rund 1,8 Millimeter pro Jahr. Ein solch junges Gebirge hat Risse, Klüfte und Spalten und kommt als atomares Endlager für langlebige hochradioaktive Spaltprodukte nicht infrage. Darum war ein Endlager in tiefen Granitschichten, überdeckt von Sedimenten als zweite Sicherheitsbarriere, das ursprüngliche Konzept der Nagra. Massiver Granit, eingebettet in Opalinuston, wurde lange Jahre als ideale und beste aller Endlagerformationen angepriesen. Doch dann fand sich in der Schweiz, trotz intensiver, teurer Suche, keine geeignete Granitformation im Untergrund.

Nach dem Scheitern der Endlagerpläne im Granit wurden die alten Werbeprospekte eingestampft und ein neues Endlagermedium als wieder einmal ideale Endlagerstätte ins Gespräch gebracht. Aus dem ursprünglich geplanten Endlager im Granit wurde über Nacht die Endlagervariante Sediment. Ein Endlager für die gefährlichsten Gifte der Menschheit soll jetzt auch im Sedimentgestein, im Opalinuston möglich sein. In den alten Nagra-Broschüren war Opalinuston „nur“ als zweite Sicherheitsbarriere vorgesehen. Doch das Gestein bestimmt das Bewusstsein.

Quelle        :          KONTEXT : Wochenzeitung-online          >>>>>         weiterlesen

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„Stummer Frühling 2.0“

Erstellt von Redaktion am 7. Oktober 2022

60 Jahre nach Rachel Carsons Buch „The silent spring“

Sauerkirsche

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Axel Mayer

Vor 60 Jahren, im Spätherbst 1962, wurde in den USA das Buch von Rachel Carson „The silent spring / Der stumme Frühling“ veröffentlicht. Obwohl es weltweit noch keine starke Umweltbewegung gab und die damalige Naturschutzbewegung eher defensiv und konservativ war, wurde es 1962 das meistgelesene Buch in den USA. Die Wissenschaftsjournalistin Rachel Carson zeigte, welche Folgen der Einsatz des Insektenvernichtungsmittels DDT auf die Umwelt hat. Es war ein Weckruf für eine global erwachende Bewegung.

Drastisch und berührend schrieb sie: „Es war einmal eine Stadt im Herzen Amerikas, in der alle Geschöpfe in Harmonie mit ihrer Umwelt zu leben schienen. (…) Die Gegend war berühmt wegen ihrer an Zahl und Arten so reichen Vogelwelt.“
„Dann tauchte überall in der Gegend eine seltsame schleierhafte Seuche auf, und unter ihrem Pesthauch begann sich alles zu verwandeln. (…) Rätselhafte Krankheiten rafften die Kükenscharen dahin, Rinder und Schafe wurden siech und verendeten. Es herrschte eine ungewöhnliche Stille.“

1962 war in den USA, aber auch in Deutschland noch die Zeit der „guten, alten, offenen“ und vor allem sichtbaren Umweltzerstörung und Umweltvergiftung. Flüsse waren stinkende Kloaken, Kinder in der Umgebung von Verbrennungsanlagen litten an Pseudokrupp, in der Umgebung deutscher Bleichemiewerke starben die Kühe an Bleivergiftung. 1957 kam Contergan auf den Markt und die ersten AKW wurden gebaut. Es war die unkritisch-technikbesoffene Nachkriegszeit, in der, trotz des Konzernwissens um die Gefahren, noch hemmungslos Asbest verbaut wurde. Nicht nur mit dem Werbespruch „DDT is good for me-e-e“ wurde für das Insektenvernichtungsmittel DDT geworben.

Doch langsam zeigten sich die negativen Folgen des DDT-Einsatzes, denn auch nützliche Insekten starben massenweise. Das langlebige Gift lagerte sich im Fettgewebe von Tieren ab. Auch ging die Zahl der Vögel zurück. Die Schalen der Vogeleier waren zu dünn und zerbrachen beim Brüten. In Deutschland war ein Aussterben der Wanderfalken zu befürchten. Beim Menschen, am Ende der Nahrungskette, reicherte sich das langlebige Gift in Leber, Nervensystem und Fettgewebe an.

Rachel Carson wurde von der Argrochemielobby massiv und aggressiv angegriffen. Ein Lobbyist der landwirtschaftlichen Chemieindustrie, Robert White-Stevens sagte damals Sätze, die heutigen Umweltaktiven seltsam vertraut vorkommen: „Wenn die Menschen den Lehren von Miss Carson treu folgten, würden wir ins finstere Mittelalter zurückkehren. Krankheiten und Ungeziefer würden die Erde wieder übernehmen.“

Die Zeit war reif für Carsons Buch und für das Wachsen der Umweltbewegung. DDT wurde nach langen Kämpfen verboten und 10 Jahre nach dem Erscheinungstermin entstanden auch in Deutschland, gerade auch am Oberrhein, immer mehr Bürgerinitiativen und aus der konservativen Nur-Naturschutzbewegung wurde eine politischere Umwelt- und Naturschutzbewegung.

Der stumme Frühling 2.0

Während weltweit Medien und die Umweltbewegung an das Erscheinen des wichtigen Buches vor 60 Jahren erinnern, geht eine erschreckende aktuelle Nachricht durch die Medien: „Der jüngste Bericht zur Lage der Weltvögel (State of the World’s Birds 2022) zeichnet das bisher besorgniserregendste Bild für die Zukunft unserer Vogelarten und damit des gesamten Lebens auf Erden. Fast die Hälfte aller Vogelarten ist rückläufig. Jede achte Vogelart ist derzeit vom Aussterben bedroht.

Rachel Carsons Buch und die global wachsende Umweltbewegung waren und sind einerseits eine Erfolgsgeschichte. Luft- und Abwasserreinigungsanlagen wurden gebaut, Kraftwerke entschwefelt, Filter eingebaut, Autos bekamen Katalysatoren, DDT und Asbest wurden in den westlichen Staaten verboten und die kostengünstigen, zukunftsfähigen Energien begannen ihren langsamen Aufschwung. Die (Alb-)Träume der Atomlobbyisten sind nicht nur wegen Tschernobyl und Fukushima, sondern auch ökonomisch ausgeträumt, auch wenn manche PolitikerInnen das noch nicht begriffen haben. Die Produktionsprozesse wurden zumindest in vielen Ländern des Westens sauberer.

Das nur scheinbar unbegrenzte Wachstum brachte mehr Konsum, Handys, Plastik, Müll, Autos, PS, Straßen, SUVs, Rüstung, Flüge, Wohnraum, Agrargifte wie Neonicotinoide, Agrarfabriken, Urlaubsfabriken, Flächenverbrauch, Straßenbau, gigantische Bildschirme, Regenwaldvernichtung für Konsum, energiefressende Bitcoins und mehr soziale Ungleichheit … Die frühen Erfolge gegen die „gute, alte, offene“, sichtbare Umweltverschmutzung wurden und werden schlicht vom unbegrenzten exponentiellen Wuchern des Kleinen aufgefressen und dieses Wachstum bringt der Mehrzahl der Menschen nicht einmal mehr Glück und Zufriedenheit.

Und die alte Vision des stummen Frühlings wird erneut zur globalen Realität. Fünfmal gab es in den vergangenen 540 Millionen Jahren gewaltige Artensterben, zeigen Fossilienfunde. Forscher sehen eine aktuelle, menschengemachte sechste Welle in vollem Gange. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen zur Artenvielfalt sterben bis zu 130 Tier- und Pflanzenarten täglich aus. Andere wissenschaftliche Quellen gehen von einem täglichen Aussterben von 150 Arten aus. Der Mensch im Anthropozän hat auf die Artenvielfalt eine ähnlich verheerende Wirkung wie der große Meteor-Einschlag vor 65 Millionen Jahren.

Datei:SST global Diff2 RCP8.5 Jahr.jpg

In kriegerischen Zeiten versuchen Konzerne, Lobbyisten und PolitikerInnen auch im Umwelt- und Naturschutzbereich das Rad der Geschichte zurückzudrehen und teilweise ist die unkritisch-zerstörerische Technikbesoffenheit der 60 Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Der gelenkte Hass, dem Rachel Carson ausgesetzt war, war nie verschwunden, wie (nicht nur) die perfiden Anzeigenkampagnen gegen Greta Thunberg zeigen. Durchsetzungsstrategien und Greenwash wurden optimiert. Aktuell wird das in der Fast-Nicht-Debatte um die Gefahren eines atomaren Endlagers in der Schweiz sehr deutlich.

Die Kämpfe gegen Klimakatastrophe, Artenausrottung, Atommüllproduktion, Überkonsum, Rohstoffverschwendung, gegen den verheerenden Traum vom unbegrenzten Wachstum und gegen den „stummen Frühling 2.0“ stehen trotz vieler Teilerfolge auch 60 Jahre nach Rachel Carsons wichtigem Buch erst am Anfang.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein (der Autor ist seit 50 Jahren in der Umweltbewegung aktiv und war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer in Freiburg)

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Oben      —    Prunus cerasus

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Unten     —       Änderung der Meeresoberflächentemperatur 2070-2099 im Vergleich zu 1961-1990 nach dem Szenario RCP8.5 in °C

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Visualisiert mit Panoply, Daten nach: CMIP5 simulations of the Max Planck Institute for Meteorology (MPI-M) based on the MPIESM-MR model: The rcp85 experiment, served by ESGF

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Eine Prekäre Solidarität:

Erstellt von Redaktion am 6. Oktober 2022

Europa in der Gaskrise

Noch mehr politische Versager  

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Wissen und Wärmepumpen

Erstellt von Redaktion am 5. Oktober 2022

 Eine Zeitungsschau zur Zeitenwende

Datei:Wärmepumpe.jpg

Ein Schlagloch von Mathias Greffrath

Im Streit um schleppende Transformationen taugen Detailaufnahmen besser zum Verständnis als große Theorien. Einzelheiten sind zum Verständnis von Krisen eigentlich spannender als Leitartikel oder Großgedanken.

Soll man jubeln oder weinen? Fünfzig Jahre nachdem die „Grenzen des Wachstums“ erschienen und Robert Jungk im „Jahrtausendmenschen“ die Werkstätten der Zukunft besich-tigt hatte, erschien am vergangenen Freitag eine Sonderausgabe der FAZ. Groß die Ankündigung: „Wie wir in Zukunft leben wollen.“ Nicht mit Fragezeichen, mit Punkt.

Die Ausgabe ist durchsetzt mit Artikeln über vertikale Agrikultur, innovative Mobilität, Städtebau, Entmüllung des Konsums, Revolutionierung der Logistik, sogar über „Verzicht“. Im Feuilleton plädiert Dietmar Dath für „Hopepunk“ und „Anti-Dystopien. Die Interviewer von Herman Daly, dem Nestor der Steady-State-Economy, geben­ dem Argument, dass unendliches Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist, großen Raum, bedauern fast, dass es kein Gegenkonzept zum Kapitalismus gebe – und setzen dann auf die nicht ausgeschöpften Potenziale eines „Grünen Wachstums“.

Keine Totalwende, nein, aber eine kleine Akzentverschiebung. Strenge Theoretiker werden eh nicht einverstanden sein, etwa Ulrike Herrmann, die in den Blättern (10/22) anhand von Material­strömen vorrechnet, dass eine noch so grüne Technik sich nie weltweit durchsetzen kann. Ihr Vorschlag, wir sollten uns für ein geplantes Gesundschrumpfen an der britischen Kriegs-Planwirtschaft mit ihren Bezugsscheinen und minutiösen Vorgaben orientieren, greift aber zu kurz. Weniger Fleisch, Harz statt Mallorca, das klingt zwar gut, aber welcher parteienparlamentarische Staat könnte so etwas durchsetzen, und welche volkswirtschaftlich programmierten Computer hätten schon durchgerechnet, was die ökonomischen und sozialen Folgen wären.

Mich plagt seit einiger Zeit ein Unbehagen an Theorien mit hohem linken Zustimmungswert, aber zu großer Flughöhe, an deren Ende regelmäßig die Frage „Und wer soll das machen?“ steht, ebenso wie an analytisch noch so triftigen, aber emotional aufgeladenen Predigten, wir müssten nur „die Irrationalität des Ganzen“ und unseren Eigenanteil daran akzeptieren und dann „eine andere Politik etablieren“ (Stephan Lessenich, „Nicht mehr normal“). Das eine haben die meisten längst, für das andere fehlt die Gebrauchs­anweisung. Andererseits sehnt man sich beim Lesen der Zukunfts-FAZ nach einer großen befeuernden Perspektive.

Einen belebenden Ausweg brachte mir die Lektüre von Bernd Ulrichs Porträt der Institution Wirtschaftsministerium in der Zeit (40/22). Der Gang durch die Entscheidungslabyrinthe endet beim Zuständigen für Wärmepumpen, die ja a tempo 12 Millionen Gasheizungen ersetzen sollen. Und es begab sich folgender schöne Dialog, den ich leicht gekürzt hier zitiere:– 2021 wurden nur 150.000 Wärmepumpen verbaut. Seit dem Gaskrieg mit Putin wollen fast alle eine. Das ist doch gut, oder?

– Fast. Die Installateure stellen sich um.

– Und?

– Es gibt zu wenige.

– Warum?

– Weil die Leute auch noch ihre Bäder sanieren wollen zum Beispiel.

– Aber wenn sie weniger sanieren und mehr Wärmepumpen einbauen, dann läuft’s?

– Nicht ganz, es gibt zu wenige.

– Installateure?

– Wärmepumpen.

– Warum?

– Jeder Hersteller hat ein anderes Modell, und die Geräte werden händisch zusammengebaut, da muss erst mal eine industrielle Fertigung her.

– Und dann kann genug produziert werden?

– Wenn es genug Halbleiter gibt.

– Die sind doch gerade knapp.

– Eben.

– Okay, also wenn es die Nachfrage gibt und die Installateure und die Halbleiter und die industrielle Fertigung, dann rollt die Sache?

– Nun, es gibt da noch das Problem mit den Kühlmitteln. Die sind bisher klimawirksam.

– Sie schützen das Klima?

– Sie gefährden es.

– Gibt’s denn da keine Ersatzstoffe?

– Schon.

– Aber?

– Die sind brennbar.

– Ah.

– Wir arbeiten dran.

– Also, wenn es nun die Nachfrage gibt und die Installateure und die industrielle Fertigung und die Halbleiter und die richtigen Kühlmittel, dann können Sie Ihr Ziel erreichen, 1 Million pro Jahr einzubauen?

– Wenn das mit dem Baufenster geklärt ist.

– Baufenster?

– Das ist der Teil eines Grundstücks, der bebaut sein darf.

Einzelheiten sind zum Verständnis von Krisen eigentlich spannender als Leitartikel oder Großgedanken

– Und?

– Ja, die Wärmepumpe muss zum Teil draußen sein. Dann ist sie außerhalb des Baufensters.

– Was macht man da?

– Man muss die Bauordnung ändern.

– Und das machen Sie?

– Nein, es sind Landesbauordnungen.

– Also 16 verschiedene!?

– Ja, 16. Wir sind in konstruktiven Diskussionen mit den Ländern.

– Danke für das Gespräch.

Quelle          :       TAZ-online         >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   

Beschreibung Energiebilanz der Wärmepumpe
Datum
Quelle Quelle: Volker Sperlich: „Übungsaufgaben zur Thermodynamik mit Mathcad“ (2002) Fachbuchverlag Leipzig
Verfasser Volker Sperlich

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Germany Lizenz.

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Unten       —       Värmepump, Thermia Villa Classic 105

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Die Copy-Paste-Propaganda

Erstellt von Redaktion am 5. Oktober 2022

Virale Nord-Stream-Thesen

Nord Stream gasbideak.jpg

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Die prorussische Propagandamaschine läuft nach den Pipelineexplosionen wieder auf Hochtouren. Seltsame Tweets, zehntausendfach geteilte Videos, Stimmen aus AfD und Die Linke, »Fox News« und Putins Kreml im Gleichklang.

Als am Montag bekannt wurde, dass in der Nacht ein Leck in der Gaspipeline Nord Stream 1 entstanden war, waren sich einige gleich sicher: Das war Sabotage. Manche wussten sogar: Das können nur die USA gewesen sein.

Seit Beginn dieser Woche hat sich, passend zu den beispiellosen Pipeline-Attacken, eine beispiellose Propagandakampagne abgespielt, primär in den sozialen Medien. Global, vielsprachig, ohne Atempause.

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KOLUMNE – Der Postprolet

Erstellt von Redaktion am 5. Oktober 2022

Sparmaßnahmen im Zuge der Energiekrise: Heizt du schon?

Kolumne von Volkan Agar

Jüngst bestimmte Corona die öffentliche Debatte. Nun ist es die Angst vor Kälte. Die Mittelschicht identifiziert sich mit den Nöten der Armen.

Mit Neoprenanzug im Schwimmbad. Das klingt schräg, weil das Wellenbad am Berliner Spreewaldplatz nicht die französische Atlantikküste ist und man im Hallenbad nicht surft, sondern Brust schwimmt. Aber die Schwimmbecken in Berlin werden mittlerweile heruntergekühlt und das Tragen von Neopren ist deshalb gestattet.

Gespart wird seit Anfang September auf Basis der Energiesparverordnung auch bei Außenbeleuchtungen, in öffentlichen Gebäuden oder Bürogebäuden, wo weniger geheizt wird. Universitäten kühlen ebenso runter, und manche erwägen laut Spiegel („Droht ein Energie-Shutdown an den Hochschulen?“), die Weihnachtsferien zu verlängern.

Zwar versicherten Berliner Hochschulen, dass sie auch im Winter am Präsenzbetrieb festhalten wollten. Weil ein einziger Autokrat offenbar ähnlich große Macht hat wie eine tödliche Pandemie, lassen sich neue Lockdowns aber nicht ausschließen: Was passiert, wenn runterkühlen nicht mehr reicht? Der Smalltalk der Armen wird so zum Smalltalk der Mittelschicht, „Heizt du schon?“ wird zum neuen „Bist du schon geimpft?“.

Der September fühlt sich an wie ein Februar mit 90 Tagen. Arme Menschen werden ärmer und neue arme Menschen kommen dazu: mehr als 2 Millionen nutzen mittlerweile das Angebot der Tafel, heißt es in einer Meldung, die am gleichen Tag herumgereicht wird wie „DAX-Manager mit fast 25 Prozent Lohn plus“. Zu dieser dunklen Gleichzeitigkeit mischt sich die Angst vor echter Dunkelheit: Seit Tagen erscheinen Artikel und Interviews zum Thema Blackout, einem längeren, großflächigen Stromausfall, der bei einer Überlastung des Stromnetzes eintreten könnte.

Auch wenn Städte wie Berlin oder Potsdam Vorbereitungen treffen, gilt das Szenario als unwahrscheinlich. Weil Rechtsextreme aber niemals genug Weltuntergangsstimmung bekommen können, schüren sie über ihre Kanäle längst Panik. Feuchte Prepperträume mischen sich unter vernünftige Erwägungen.

Noch vor wenigen Monaten bestimmte ein Virus (immer noch anwesend) die öffentliche Debatte, heute ist es die Angst vor Kälte und Dunkelheit. Aber hey, in allem Schlechten steckt bekanntlich auch etwas Gutes: Endlich kann sich die Mittelschicht mit den armen Schluckern identifizieren, die schon vor dem 24. Februar viele Winter das Frieren gefürchtet haben.

Quelle       :        TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Ehemaliger Deutscher Bundeskanzler Gerhard Schröder als Oligarch in Erdöl und Erdgas von russischen Unternehmen Gasprom und Rosneft.

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AKW Saporischschja

Erstellt von Redaktion am 25. September 2022

Raub eines Atomkraftwerks

Ein Debattenbeitrag von Heinz Smital

Die Lage im AKW Saporischschja ist heikel. Personal steht unter Stress, die Stromversorgung ist prekär. Was passiert, wenn Russland die Reaktoren übernimmt?

Niemand zieht beim Bau von Atomkraftwerken in Betracht, dass sie eines Tages in einem Kriegsgebiet stehen könnten. Ein folgenschwerer Fehler, wie wir in der Ukraine sehen: Saporischschja ist nicht dafür ausgelegt, militärischen Angriffen zu widerstehen. Selbst die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA), eigentlich eine Verfechterin der Atomkraft, warnt vor einer nuklearen Katastrophe im größten AKW Europas. Die Vereinten Nationen fordern aufgrund der außerordentlich sensiblen Lage eine entmilitarisierte Zone im und um das Atomkraftwerk. Leider zeichnet sich derzeit keine Lösung der angespannten Lage ab.

Dabei sind Atomkraftwerke völkerrechtlich besonders geschützt. Nach einem Zusatzprotokoll der Genfer Konvention zum Schutz der Bevölkerung bei bewaffneten Konflikten sollten Bauten, von denen eine besondere Gefahr ausgeht – wie Staudämme oder Atomkraftwerke –, in kriegerische Handlungen nicht einbezogen werden. Doch weder die Genfer Konvention noch die dauernde Anwesenheit von IAEA-Inspekteur:innen kann derzeit den weiteren Beschuss des Atomkraftwerks verhindern. Eine Notstandswarte steht nicht mehr der Reaktorsicherheit zur Verfügung, weil dort Militär einquartiert ist.

Besonders kritisch ist, dass die ukrainische Bedienmannschaft einem kaum vorstellbaren Stress ausgesetzt ist. Früher arbeiteten bis zu 11.000 Menschen in dem großen Kraftwerkskomplex, jetzt seien es noch etwa 1.000 ukrainische Mitarbeiter:innen, wird berichtet. Dieser Schwund stellt ein schwerwiegendes Sicherheitsproblem dar. Die uneingeschränkte Einsatzfähigkeit einer Belegschaft eines Atomkraftwerks ist von entscheidender Bedeutung.

Der erste große Kernschmelzunfall in einem großen Atomkraftwerk, der Unfall von Three Mile Island bei Harrisburg 1979, war eskaliert, weil die Bedienmannschaft den Zustand des Reaktors nicht richtig interpretieren konnte. Erst nach Schichtwechsel wurden die Probleme erkannt und richtige Gegenmaßnahmen eingeleitet. Harrisburg war eine Mahnung: Um die vielen Informationen in einer Schaltwarte, auch einander scheinbar widersprechende, korrekt zu lesen, braucht es ein außerordentlich hohes Maß an Konzentration. Wie soll das bei den Umständen, die in Saporischschja herrschen, gewährleistet sein?

Ein AKW braucht auch ausgeschaltet Kühlung

Ein weiteres Problem beim Atomkraftwerk Saporischschja sind die zerstörten Anbindungen an das Stromnetz. Ein Atomkraftwerk muss auch im ausgeschalteten Zustand gekühlt werden und braucht dafür sehr viel Strom, der im Normalbetrieb extern eingespeist wird. Während sich die Kernspaltung per Abschalten stoppen lässt, erzeugen die Spaltbruchstücke allein durch den radioaktiven Zerfall die problematische Nachwärme.

Der radioaktive Zerfall lässt sich nicht beeinflussen; man kann nur warten, bis die Leistung abnimmt – und dabei ständig kühlen. Funktioniert die Kühlung nicht ausreichend, erhitzt sich der Kernbrennstoff. Ab 800 Grad Celsius beginnt ein Oxidationsprozess, bei dem Wasserstoff entsteht. Anders ausgedrückt: Bei Stromausfall und mangelnder Kühlung bildet der Reaktor seinen eigenen Sprengstoff, der zu einer kompletten Zerstörung des Reaktors und großen Freisetzungen von Radioaktivität führen kann.

Damit das AKW die russisch besetzte Krim beliefern kann – denn das scheint das Ziel Russlands zu sein – muss es zunächst vom ukrainischen Netz getrennt werden. Dem kann die Ukraine zu Recht nicht zustimmen. Doch diese Gemengelage ist hochgefährlich. Für einen beschränkten Zeitraum kann ein Reaktor im Inselbetrieb laufen und nur Strom für den Eigenbedarf erzeugen.

Das ist aber wegen der sehr geringen Leistung kein stabiler Zustand. Im Fall der Unterbrechung der Stromversorgung stünde noch Notstromdiesel bereit, der zehn Tage lang die Kühlung aufrechterhalten könnte. Einen Präzedenzfall gibt es dafür nicht. Sind die Tanks der Generatoren leer, würden kurzfristig rund 200 Tonnen Diesel für den Betrieb benötigt, die in den Kriegswirren nicht leicht zu besorgen sind.

Es scheint sich hier um den völkerrechtswidrigen Raub eines Atomkraftwerks zu handeln. Das wirft komplizierte Fragen auf. Was ist, wenn Rosatom den Reaktor komplett übernimmt? Wenn die Stromleitungen ans russische Netz angebunden werden? Welche Rolle nimmt dann die IAEA ein, wenn sie sich „neutral“ verhält und sich allein auf die technische Überprüfung konzentriert? Wird der Raub abgesegnet, wenn die Arbeiten technisch korrekt durchgeführt worden sind?

Quelle       :      TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Größtes Atomkraftwerk Europas; etwa 50 km von der Großstadt Saporischschja entfernt. Bild aus Westen, von der Stadt Nikopol am gegenüberliegenden Ufer des Dnjepr aufgenommen, auf sechs baugleich erscheinende AKW-Blöcke, links Kühltürme, zwei hintereinander stehende Kesselhäuser und zwei 320 m hohe Schlote vom benachbarten Wärmekraftwerk. Die hohen Schornsteine stehen, aus dieser Perspektive gesehen, etwa 2 km hinter (=östlich von) Block 6.

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Erhöhungen bei Strom+Gas

Erstellt von Redaktion am 18. September 2022

Wie Sie mit Ihrem Energieversorger gut durch die kalte Zeit kommen

Eine Kolumne von Hermann-Josef Tenhagen

In diesem Herbst bekommen Verbraucher die Energiekrise hart zu spüren: Anbieter vervielfachen den Preis, besonders für Gas. So können Sie sich wehren – und Alternativen finden.

Jahrelang war es einfach, einen guten und günstigen Strom- oder Gastarif für den eigenen Haushalt zu finden. Aber gerade jetzt, in Zeiten explodierender Energiepreise, wird die Suche zum Abenteuer. Der Anbieter, der gestern noch günstig war, verlangt heute Mondpreise. Deshalb suchen Kunden heute nach Anbietern, deren Preise nur moderat steigen. Mit ein paar Tricks und Kniffen erhöhen Sie die Chancen beträchtlich, besser und günstiger durch diesen schwierigen Winter zu kommen .

Die gute alte Zeit bis 2020

In der guten alten Zeit bis 2020 waren zwei Bestandteile entscheidend für einen guten Strom – und Gastarif. Zum einen ein günstiger Preis für die Kilowattstunde Energie, und zum anderen eine Vertragsgestaltung, die verbraucherfreundlich war – mit Preisgarantien und kurzen Kündigungsfristen. Natürlich waren die Preise niedriger .

Energiehändler. Im Gasmarkt ist das überwiegend getrennt – Deutschland verfügt kaum über eigenes Gas; es muss importiert werden. Der Energiehändler, der in der Vergangenheit etwas auf sich hielt, kaufte mehr oder weniger große Teil des Stroms oder Gases zum Weiterverkauf an die Endkunden mit Festpreisen bei den Erzeugern. Der Rest konnte leicht an der Strom- und Gasbörse in Leipzig gekauft werden – oft zu besonders günstigen Bedingungen .

Die Kauf- und Verkaufsbeziehungen waren und sind für Endkunden undurchsichtig. Wichtig ist den meisten Kunden aber ja ohnehin vor allem der Preis. Vergleichsportale wie Check24 und Verivox ermöglichten den Kunden immerhin, viele Angebote auf diesem immer unübersichtlicher werdenden Markt zu vergleichen und das preiswerteste Angebot zu finden. Bei Finanztip haben wir die besten Angebote aus beiden Portalen sogar in einer gemeinsamen Datenbank zusammenführen können .

Zeitenwende

In diesem Winter ist vieles anders. Die Preise für Strom und Gas waren schon 2021 deutlich angestiegen. Und zwar so deutlich, dass viele Anbieter sich außerstande sahen, noch neue Kunden zu bedienen. Sie machten potenziellen Neukunden einfach keine Angebote mehr. Oft bekamen nur noch Bestandskunden ein Verlängerungsangebot für Strom, vor allem aber für Gas. Und das musste nicht günstig sein.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine verschärfte sich die Situation noch einmal. Vor allem beim Gas. Angesichts der Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas stiegen die Preise an der Börse in Leipzig auf ein Vielfaches, von drei Cent pro kWh im Jahr 2020 auf mehr als 30 Cent. 50 Prozent des in Deutschland verfeuerten Gases stammten aus Russland, sogar zwei Drittel der Gasmenge, die hierzulande 2021 eingeführt wurde. Denn Deutschland war auch der große Gashändler, der zum Beispiel russisches Gas wieder nach Polen verkaufte . Händler, die bei ihrem Geschäftsmodell vor allem auf billiges Gas von der Börse gesetzt hatten, sahen ihre Felle davonschwimmen und versuchten, ihre Kunden mit Mondpreisen loszuwerden.

Großhändler hatten lange dieses Geschäftsmodell: Sie hatten mit Russland langfristige Verträge gemacht und das dort eingekaufte Gas über Jahrzehnte gewinnbringend weiterverkauft. Nun waren sie mit dieser Situation konfrontiert: Einerseits pochten ihre Kunden auf die Verträge mit günstigen Preisen, anderseits pumpte ihr Zulieferer in Russland aber kein oder kaum Gas mehr in die Pipelines. Ersatz an der Börse mit ihren Spekulationspreisen zu besorgen, hätte die Handelskonzerne in den Ruin stürzen können.

Uniper, der größte Gashändler Europas, stand deshalb vor der Pleite, bevor der Staat einstieg. Gazprom Germania, Tochtergesellschaft des russischen Gazprom-Konzerns und Besitzerin des größten deutschen Gasspeichers im niedersächsischen Rehden, wurde von der Ampelregierung unter staatliche Kontrolle gestellt .

Auf dieser Ebene funktionierte der Staat. Und mit einer Gasumlage sollen die Gaskunden für dieses Manöver zahlen, weil der Finanzminister dafür keine Steuergelder zur Verfügung stellen wollte.

Preischaos für Kunden

Jetzt aber bekommen die Kunden in diesem Herbst das Chaos besonders zu spüren. Anbieter vervielfachen den Preis, besonders für Gas, teilweise auch für Strom, und reichen die Spekulationspreise der Börse erbarmungslos an die Kunden weiter. Beim Gas treibt der Mangel den Preis in ungeahnte Höhen. Beim Strom ist es das Marktmodell, das Wind-, Solar-, Atom- und Kohlestromer mit hohen Preisen belohnt – denn den Preis bestimmt immer das teuerste Kraftwerk für alle anderen, und das sind derzeit die Gaskraftwerke, die fast täglich in den Stunden hoher Stromnachfrage produzieren. Morgens, mittags und abends klettern die Strompreise dann auf bis 50, 60 oder sogar 70 Cent pro Kilowattstunde. Die Erzeugung von Strom aus Steinkohle kostet aktuell rund 30 Cent; Atom-, Wind- und Solarstrom sind noch viel günstiger. RWE erhöhte seinen Gewinn im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr von 1,8 auf 2,9 Milliarden Euro .

Privatkunden bekamen Briefe von ihren Anbietern, in denen diese die monatlichen Abschläge für Gas oder Strom von 100 auf 300 Euro oder von 200 auf 600 Euro erhöhten. Noch schlimmer traf es Unternehmen wie Wäschereien  oder Bäckereien, die bislang einen besonders günstigen Preis hatten verhandeln können und nun mit Marktpreisen konfrontiert wurden, die zehnmal so hoch lagen wie zuvor .

So wehren Sie sich

Quelle       :       Spiegel-online         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     [1] Schild, dass auf eine Leitung mit Erdgas hinweist

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Gefahren von AKW Anlagen

Erstellt von Redaktion am 17. September 2022

«Auch ionisierende Niedrigstrahlung stellt ein Risiko dar»

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von        :        Martina Frei /   

Studien zeigen einen Verdacht – Experten bezweifeln ihn. Die WHO ist bei der Forschung zu radioaktiver Strahlung nicht frei.

Im Kernkraftwerk Leibstadt kam es im August 2010 zu einem Unfall. Bei der jährlichen Revision der Anlage arbeitete ein Taucher in den Wasserbecken des Kraftwerks. Am Boden des Beckens lag ein Metallrohr. Er hob es auf und legte es in einen Korb.

Als seine Kollegen den Korb hochzogen und dieser noch rund zwei Meter unter der Wasseroberfläche gewesen sei, ging der Strahlenalarm los. «Hätte man den Korb ganz aus dem Wasser gezogen, hätten alle im Raum eine tödliche ­Dosis erhalten», sagte der Taucher später gegenüber dem «Gesundheitstipp». Der Taucher wurde bei dem Unfall verstrahlt. Seine rechte Hand habe eine Strahlendosis erhalten, die ungefähr 150’000 Röntgenaufnahmen der Brust entsprochen habe, erklärte er.

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) stufte das Vorkommnis als Störfall ein. In die Umgebung ist laut dem Leiter Information des Kernkraftwerks Leibstadt damals keine Radioaktivität gelangt: «Mit dem Ereignis von 2010 war keine zusätzliche Strahlenexposition der lokalen Bevölkerung verbunden. Die in der Umgebung gemessene Strahlung (zu über 99 Prozent natürliche Strahlung) blieb in der ganzen Zeitperiode unverändert und ist tiefer als an vielen anderen Orten der Schweiz.»

Umso mehr verwundert eine Studie des deutschen Mathematikers Hagen Scherb. Sie zeigt nach 2010 eine deutliche Veränderung des Geschlechterverhältnisses von Knaben- zu Mädchengeburten in der Gegend um das Atomkraftwerk Leibstadt. Als Grund vermutet Scherb ionisierende Strahlung.

Ab 2011 gab es mehr neugeborene Knaben

Im Allgemeinen werden 104 bis 106 Knaben pro 100 Mädchen geboren. Dieses Verhältnis ist weltweit recht stabil, und das war auch in der Umgebung von Leibstadt so. Von 2002 bis 2010 betrug das Geschlechterverhältnis von neugeborenen Knaben zu Mädchen in fünf Schweizer Gemeinden im Umkreis von fünf Kilometern um Leibstadt fast 1:1.

Doch das änderte sich nach 2010, wie Scherbs Studie zeigte. «Von 2011 bis 2019 stieg das Geschlechterverhältnis auf über 140 Knaben pro 100 Mädchen. Das ist eine sehr beunruhigende, biologische Veränderung, die genau untersucht werden muss», findet Claudio Knüsli. Knüsli ist Vorstandsmitglied der Schweizer «ÄrztInnen für soziale Verantwortung und zur Verhütung eines Atomkrieges» (PSR/IPPNW) und war bis zu seiner Rente als Internist und Krebsspezialist tätig.

Er hält die plötzliche Veränderung für «brisant». Vermutlich komme es bei weiblichen Föten infolge ionisierender Strahlung eher zu Frühaborten. Ähnliche, aber schwächere Veränderungen beim Verhältnis von neugeborenen Knaben und Mädchen seien beispielsweise nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki in Japan sowie nach dem Unfall im Atomkraftwerk Tschernobyl auch in Russland und Europa beobachtet worden, nicht aber in den USA. «Seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 ‹fehlen› der Schweiz etwa 3’200 neugeborene Mädchen», sagt Knüsli.

«Für den behaupteten Zusammenhang fehlt jegliche Grundlage»

Wie ein Zwischenfall mit einem Taucher mit dem Geschlechterverhältnis bei den Neugeborenen zusammenhängen soll, kann Knüsli nicht erklären. Man wisse nicht genau, was im Rahmen der monatelangen Revision im Sommer und Herbst 2010 in dem AKW Leibstadt passiert sei, sagt er. Es sei bekannt, dass im Rahmen von Revisionen häufig etwas mehr Radioaktivität freigesetzt würde als im durchschnittlichen Jahresverlauf. Offiziell wurde der Störfall als seltenes INES-2-Ereignis eingestuft.

Knüsli verweist auf ein Gutachten, in dem die Hypothese aufgestellt wird, dass sich durch Neutronenstrahlung kurzzeitig radioaktives Argon in der Luft bilden kann, das bei leichtem Wind etwa 40 Kilometer weit verbreitet werden kann. Einer der Autoren dieses Gutachtens ist wiederum Studienautor Hagen Scherb.

Das ENSI weist Vermutungen, dass 2010 mehr passiert sein könnte als «nur» ein Strahlenunfall mit einem Taucher, zurück. «Abgesehen von der Pflicht, so ein Vorkommnis ans ENSI zu melden, messen die Kernkraftwerkbetreiber die Fortluftemissionen kontinuierlich. Alle zehn Minuten werden die Abgaben radioaktiver Stoffe in der Fortluft zusammen mit anderen Anlageparametern auf einen Server des ENSI übermittelt. Dazu kommt, dass das ENSI das sogenannte MADUK-Netz zur Messung der Dosisleistungen um die schweizerischen Kernkraftwerke und das Paul-Scherrer-Institut betreibt. Die Möglichkeit, dass ein Kernkraftwerk eine Abgabe von Radioaktivität in die Umgebung nicht an das ENSI meldet, erachten wir also als ziemlich unwahrscheinlich», sagt der ENSI-Pressesprecher Thomas Thöni. Er hält diese Studie zum veränderten Geschlechterverhältnis in der Umgebung von Leibstadt deshalb für «irreführend».

Ähnlich antwortete der Leiter Information des AKW Leibstadt: Es fehle «jegliche Grundlage für den behaupteten Zusammenhang.» Der damals betroffene Arbeiter antwortet auf Anfrage nicht.

Natürliche Hintergrundstrahlung nicht berücksichtigt

Mehrere von Infosperber angefragte Fachleute (darunter auch solche, die der Atomkraft skeptisch gegenüberstehen) gehen ebenfalls davon aus, dass es heutzutage bemerkt würde, wenn bei einer Revision an einem Atomkraftwerk Radioaktivität austreten würde. Einer bezweifelt, dass es einen Zusammenhang zwischen schwacher radioaktiver Strahlung und dem Geschlechterverhältnis bei den Geburten gebe, möchte sich aber nicht namentlich äussern und verweist an die deutsche «Strahlenschutzkommission» – die jedoch gemäss ihrer Satzung nicht «auf Anfragen Dritter» eingehen kann, wie sie schreibt.

Martin Röösli, Professor für Umweltepidemiologie an der Universität Basel, kritisiert die Studie. Sie sei in einer fachfremden Zeitschrift veröffentlicht worden, damit sei fraglich, ob die Gutachter sie überhaupt fundiert beurteilen konnten. Ausserdem, wendet er ein, seien in der Studie nicht alle Gemeinden im Umkreis von fünf Kilometern ums AKW untersucht worden. Und die natürliche Hintergrundstrahlung, die deutlich mehr ausmache als die ionisierende Strahlung, die vom AKW Leibstadt ausgehe, sei ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Das Resultat, so Röösli, sei vermutlich eher zufällig entstanden. Tatsächlich kommt es in Studien immer wieder vor, dass sich scheinbare Zusammenhänge zeigen, die allein dem Zufall geschuldet sind.

Als Nicht-Beamter die Resultate öffentlich gemacht

Studienautor Hagen Scherb sieht das anders. Er habe alle Schweizer Gemeinden berücksichtigt, da Ortsteile statistisch miterfasst wurden. Der Effekt sei auch auf der (in der Studie nicht berücksichtigten) deutschen Seite erkennbar, aber nicht so stark ausgeprägt wie in der Schweiz. Und für epidemiologische Fragen zu medizinischen Merkmalen sei das «Journal of Womens Health Care and Management» «durchaus einschlägig». Scherb arbeitete bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2018 am Helmholtz Zentrum in München. Jahrzehntelang war der promovierte Mathematiker dort für die statistische Beratung und Auswertung bei tierexperimentellen und umweltepidemiologischen Studien zuständig.

Zehn Jahre nach dem Unfall im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl musste sich Scherb berufsbedingt erstmals mit dem Thema Radioaktivität auseinandersetzen, als zwei andere Münchner Wissenschaftler von einer «signifikanten Zunahme» der Säuglingssterblichkeit in Deutschland nach dem Tschernobyl-Unglück berichteten. Diese Übersterblichkeit bei den Säuglingen veränderte sich parallel zur Konzentration an radioaktivem Cäsium in der Milch und lag in der Grössenordnung der natürlichen Hintergrundstrahlung. Seither beschäftigt sich Scherb mit den möglichen Folgen ionisierender Niedrigstrahlung. Da er – im Gegensatz zu vielen ehemaligen Kollegen – nicht verbeamtet gewesen sei, habe er seine Resultate veröffentlichen können, sagt Scherb.

Diverse Studien zum Geschlechterverhältnis

Etliche Studien hätten bereits Hinweise dafür geliefert, dass es einen Zusammenhang zwischen schwacher radioaktiver Strahlung und dem Geschlechterverhältnis bei Geburten gebe. Davon stammen mehrere von Scherb und seinen Kolleginnen und Kollegen.

  • Nach der Inbetriebnahme eines Forschungsreaktors im deutschen Mainz im Jahr 1992 sank im Jahr darauf im Umkreis von weniger als zehn Kilometern die Zahl der Knabengeburten um etwa vier Prozent, diejenige der Mädchengeburten um circa sechs Prozent. Der Rückgang bei den Mädchengeburten war mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht nur dem Zufall geschuldet, ergab die statistische Berechnung.
  • In Europa gab es nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl im Jahr 1986 eine Trendumkehr zugunsten von Knabengeburten: Aufs Mal stieg das Verhältnis von Knaben- zu Mädchengeburten in verschiedenen Ländern, darunter Deutschland, während es in den Jahren vorher gesunken war. Am stärksten war dieser sprunghafte Anstieg in der damaligen Sowjetunion. In den USA dagegen fand Scherb keine solche Veränderung nach 1986. Selbst die sehr kleine Dosis von 1,02 Millisievert pro Jahr könne das Geschlechterverhältnis beeinflussen, schätzten Scherb und seine Koautorin.
  • Im Umkreis von 35 Kilometern um französische Nuklearanlagen fand Scherbs Team, dass sich das Geschlechterverhältnis bei Neugeborenen ebenfalls zugunsten der Knaben verschob. Demnach «fehlten» in diesen Gegenden statistisch schätzungsweise zwischen 1’499 und 9’982 Mädchengeburten. Insgesamt sind laut Wikipedia in Frankreich seit 1956 mehr als 70 Nuklearanlagen in Betrieb gegangen, an 18 Standorten sind aktuell Reaktoren in Betrieb oder in Revision. Scherbs Team wertete die Bevölkerungsdaten in der Umgebung von 28 Standorten (darunter auch Forschungsreaktoren, Beschleuniger und militärische Anlagen) aus. An einem Standort war eine Atommülldeponie, in der ab Anfang 1992 radioaktive Abfälle gelagert wurden. Doch erst ab dem Jahr 2000 fand Scherbs Team dort eine Veränderung des Geschlechterverhältnisses. Die Wissenschaftler warfen die Frage auf, ob womöglich Ende der 1990er-Jahre dort neutronen-emittierende Stoffe gelagert wurden.
  • Männliche Angestellte der Nuklearanlage im englischen Sellafield hatten mehr männliche Nachkommen als Männer aus derselben Gegend, die nicht dort arbeiteten. Dies galt besonders, wenn die Väter in den 90 Tagen vor der Zeugung des Kindes über zehn Millisievert Strahlung abbekommen hatten. Dass die Sellafield-Arbeiter mehr Söhne bekamen, könnte zum Teil daran gelegen haben, dass sie im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung etwas jünger waren, heisst es in der Studie. Andere Studien, beispielsweise mit Ärzten, die bei der Arbeit Röntgenstrahlung ausgesetzt waren, zeigten teils keine Veränderungen im Geschlechterverhältnis der Nachkommen, teils fanden sie welche oder es gab sogar mehr Mädchen- als Knabengeburten.
  • In Italien kam es etwa um 1970 und 1987 zu mehr Knabengeburten. Hagen Scherb und ein Kollege vermuten als Grund dafür den radioaktiven Fallout nach Atombombenversuchen in den 1960er-Jahren und später den Unfall im Atomkraftwerk Tschernobyl im Jahr 1986.
  • In Dänemark «fehlten» laut Berechnungen Scherbs in den Jahren nach dem Unglück in Tschernobyl circa 500 Knaben- und 1’800 Mädchengeburten. Dies könnte allerdings auch mit anderen Faktoren zusammengehangen haben, beispielsweise mit der Furcht, in dieser Zeit ein Kind zu zeugen, schreibt Scherb selbstkritisch und rät, den Befund vorsichtig zu werten.
  • In Kuba kam es ab 1987 zu einem fast 15 Jahre dauernden Rückgang an Mädchengeburten. Scherb und seine Koautoren vermuten, dass dies mit radioaktiv belasteter Milch und anderen Lebensmitteln zusammenhing, die Kuba in grossen Mengen aus der früheren Sowjetunion importierte. Andere Vermutungen (Folgen der US-Sanktionen und wirtschaftlicher Niedergang oder geschlechtsspezifische Abtreibungen) halten sie für weniger wahrscheinlich.
  • Im japanischen Fukushima und angrenzenden, stärker verstrahlten Präfekturen, verzeichneten die Wissenschaftler1 nach dem Tsunami ab Januar 2012 eine Zunahme der Frühsterblichkeit von Kindern um relativ sieben Prozent, verglichen mit der Zeit davor (absolut gab es einen Anstieg auf circa 0,0141 Prozent). Andere Statistiker berichteten von einer fast elf Prozent höheren Sterblichkeit von Babys in den ersten Lebenswoche. Es kam dort aber bisher nicht zu einer erkennbaren Veränderung beim Geschlechterverhältnis bei den Geburten.

Für Scherb sind diese Indizien ein Zeichen, dass schwache ionisierende Strahlung gesundheitliche Folgen hat und oft die Geburtenrate von Mädchen- und Knaben zu ungunsten der Mädchen beeinflusse.

Schwerer Vorwurf: Zusammenhänge konstruiert

Andere Wissenschaftler dagegen halten einen «Effekt von ionisierender Strahlung auf der Geschlechterverhältnis für nicht hinreichend belegt». Sie verweisen darauf, dass die Effekte, die Scherb findet, mal näher und mal weiter von der Strahlenquelle am stärksten ausgeprägt sind. Oder dass nicht bekannt ist, wie gross die Strahlendosen überhaupt waren. Oder dass Scherb andere Faktoren, die das Geschlechterverhältnis bei den Babys beeinflussen könnten, unbeachtet liess. Dazu zählen unter anderem hormonelle Faktoren, Armut oder in manchen Ländern auch geschlechtsspezifische Abtreibungen.

Zu den bekanntesten Kritikern von Scherb gehört der deutsche Statistiker und Buchautor Walter Krämer. Er warf Scherb und seiner Mitautorin vor, wichtige Punkte, etwa den Einfluss von Röntgenuntersuchungen und medizinischen Bestrahlungen, ausser Acht gelassen zu haben. Der wohl schwerwiegendste Vorwurf: Scherb habe Zusammenhänge konstruiert.

Krämer erhob Scherbs Analyse zu den «verlorenen Mädchen von Gorleben», dem deutschen nuklearen Zwischenlager, im Juni 2012 gar zur unrühmlichen «Unstatistik des Monats».

«Insgesamt macht es für mich einfach keinen Sinn», sagt der Umweltepidemiologe Martin Röösli. «Falls ionisierende Strahlen wirklich das Geschlechterverhältnis bei Neugeborenen beeinflussen würden, dann müsste man zum Beispiel deutliche Variationen bei Geburten in Bergdörfern oder bei Flugbegleiterinnen sehen, weil Personen in der Höhe mehr ionisierenden Strahlen ausgesetzt sind.»

Die Untersuchung des Landesgesundheitsamts bestätigte den Befund

Scherb kontert, dass Geburten in Bergdörfern eben nie untersucht worden seien. Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt habe aber die Befunde zum veränderten Geschlechterverhältnis in der Nähe des nuklearen Zwischenlagers im deutschen Gorleben bestätigt. Das legte er auch in einer Replik auf Krämers «Unstatistik» dar.

Tatsächlich heisst es im besagten Untersuchungsbericht des Niedersächsichen Landesgesundheitsamts: Seit 1996 – also dem Jahr nach der Inbetriebnahme des Atommülllagers – liege «mit hoher statistischer Sicherheit ein verändertes sekundäres Geschlechterverhältnis um das Transportbehälterlager Gorleben vor, jedoch ist eine Diskussion um mögliche Ursachen rein spekulativ.»

Rheinpapier Knapsack02.JPG

Zudem verweist Scherb darauf, dass nach dem Unfall in Tschernobyl mancherorts mehr Kinder mit Trisomie 21 geboren wurden. «Europaweit sind das schätzungsweise einige Zehntausend zusätzliche Menschen mit Trisomie 21», sagt er. In Berlin beispielsweise kam es neun Monate nach dem Unglück in der Ukraine damals zu zwölf anstelle der sonst durchschnittlichen zwei Geburten von Kindern mit Trisomie 21 – allerdings gibt es auch Studien aus anderen Gegenden, in denen es zu keiner Häufung von Trisomie kam. Auch hier muss der Einfluss verschiedener Faktoren berücksichtigt werden.

Säuglingssterblichkeit in der Schweiz stieg plötzlich an

Es sei unmöglich, solche Effekte im Einzelfall zweifelsfrei auf die ionisierende Strahlung oder den Fallout zurückzuführen, sagt Claudio Knüsli. «Aber es gibt inzwischen genügend Hinweise, dass auch eine ionisierende Niedrigstrahlung ein erhöhtes gesundheitliches Risiko darstellt.» Unerklärt geblieben sei zum Beispiel auch, weshalb die Säuglingssterblichkeit in der Schweiz nach 1986, also nach dem Unfall in Tschernobyl, sprunghaft um 16 Prozent angestiegen sei.

Knüsli hegt keinen Zweifel an Hagen Scherbs Befunden. Dennoch wünschte er sich, dass auch andere Forschende das Thema genauer untersuchen würden, «damit es nicht immer so aussieht, als ob nur ein einziges Forschungsteam etwas findet.»

Ab einer Strahlendosis von 100 Millisievert (mSV), bezogen auf das ganze Leben, wird allgemein von einer hohen Dosis ionisierender Strahlung gesprochen. «Die offizielle Version ist, dass unterhalb dieser Dosis keine Strahlenschäden nachgewiesen werden können. Doch diese Grenze ist willkürlich gewählt», sagt Claudio Knüsli.

Forschungsprojekte bei der WHO nur mit dem OK der Atomenergie Agentur

Die Vereinigung «ÄrztInnen für soziale Verantwortung und zur Verhütung eines Atomkrieges» (PSR/IPPNW) betont, dass es bei der ionisierenden Strahlung keine sichere Grenze gebe, unterhalb der keine Schäden zu befürchten seien. Zuletzt tat sie das vergangene Woche in einem Artikel in der «Schweizerischen Ärztezeitung», den der frühere Politiker und Arzt Franco Cavalli mitverfasst hat. «Wir setzen uns seit vier Jahren dafür ein, dass die willkürlich festgelegte Grenze von 100 mSv fallen gelassen wird. Aber es gibt offenbar eine grosse Lobby dagegen», sagt Knüsli.

Angesichts der widersprüchlichen Aussagen hätte mehr Forschung helfen können, um die offenen Fragen zu klären. Doch nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sei diese erst «unkoordiniert» und Jahre später «noch immer inadäquat» gewesen, beschrieb ein Editorialist die Forschung zu den gesundheitlichen Folgen des Reaktorunfalls später im «British Medical Journal». Im Jahr 1990 habe Japan der WHO 20 Millionen Dollar gegeben, damit diese die gesundheitlichen Folgen des Unfalls von Tschernobyl untersuche. «Aber die Ausgaben wurden von einem Beamten kontrolliert, ein grosser Teil der Gelder wurde unangemessen ausgegeben, und es entstand wenig Wertvolles.» Die offensichtliche Führungsrolle bei dieser Forschung käme der Weltgesundheitsorganisation WHO zu, hielt der Editorialist fest.

Doch der WHO seien die Hände gebunden, wenn es um die Erforschung von Strahlenschäden gehe, sagt Knüsli. «Durch einen Vertrag von 1959 ist die Forschung der WHO zu Strahlenkrankheiten massiv behindert, weil sie nur im Einverständnis und unter Kontrolle der Internationalen Atomenergie Agentur IAEA erfolgen darf.»

Kleine Strahlendosen und Krebs bei Kindern

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass auch kleine Strahlendosen mit mehr Krankheitsfällen einhergehen können. Eine Schweizer Studie beispielsweise ergab, dass Kinder, die in einer Umgebung mit ionisierender Strahlung von mindestens 200 Nanosievert pro Stunde (= 0,0002 Millisievert/Stunde) leben, statistisch häufiger an Krebs erkranken, als Kinder, die an Orten mit einer Belastung von weniger als 100 Nanosievert pro Stunde leben. 

In der Umgebung von Schweizer Atomkraftwerken fanden die Wissenschaftler jedoch kaum Hinweise, dass Kinder dort vermehrt an Krebs erkranken – sie konnten dies aber auch nicht sicher ausschliessen, da die Aussagekraft der Studie aufgrund geringer Fallzahlen begrenzt war. Knüsli und Scherb hatten im Vorfeld auf dieses, aus ihrer Sicht vorhersehbare Problem hingewiesen. In Deutschland kam eine Studie im Auftrag des deutschen Bundesamts für Strahlenschutz zum Schluss, dass das Risiko für 0- bis 4-jährige Kinder an Leukämie zu erkranken zunehme, je näher sie an einem Kernkraftwerkstandort wohnen. 

«Es zeigte sich im Nahbereich um deutsche Kernkraftwerke bei Kindern unter 5 Jahren ein signifikant erhöhtes Risiko an Krebs zu erkranken. Dieser Befund beruhte im Wesentlichen auf dem Erkrankungsrisiko für Leukämien, wobei hier das Erkrankungsrisiko in etwa verdoppelt war. In Zahlen bedeutet dies, dass im 5-Kilometer-Umkreis um alle Standorte von Kernkraftwerken in Deutschland im Mittel nicht, wie zu erwarten wäre, etwa 1 Kind pro Jahr erkrankt, sondern dass die Krankheit jedes Jahr bei etwa 2 Kindern diagnostiziert wird», schreibt das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz auf seiner Website. 

Aus den Ergebnissen liessen sich jedoch keine Rückschlüsse ziehen, ob die von den Kernkraftwerken ausgehende Radioaktivität der Grund dafür sei. «Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand ist die resultierende Strahlenbelastung der Bevölkerung allein zu niedrig, um den beobachteten Anstieg des Krebsrisikos zu erklären. […] Es gibt somit derzeit keine plausible Erklärung für den festgestellten Effekt, der über die 24 Jahre Untersuchungszeitraum ein insgesamt konsistentes Bild mit kleinen Schwankungen zeigt», schreibt das Bundesamt für Strahlenschutz

Auch die Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche die Studie zu Atomkraftwerken und Krebs bei Kindern durchführten, wiesen darauf hin, dass Kernkraftwerke im Durchschnitt sehr wenig zur jährlichen Strahlenbelastung der in der Nähe wohnenden Bevölkerung beitragen würden. Die Hauptquellen der ionisierenden Strahlung seien natürliche Strahlenquellen (beispielsweise radon-haltige Luft) und medizinische Untersuchungen.

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1 Einer von Scherbs Ko-Autoren bei dieser Studie war der japanische Kinderarzt Keiji Hayashi. Hayashi gab 2009 den Anstoss, dass unabhängige Wissenschaftler die Wirksamkeit des Grippemittels Tamiflu analysierten. Das Resultat: Die zuvor proklamierte Wirkung von Tamiflu hielt der Überprüfung nicht stand.

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Oben      —   Luftaufnahme: Kühltürme des Kraftwerks Goldenberg, Hürth-Knapsack; links Betonkühlturm (in den 1980ern zum Parkhaus umfunktioniert), dahinter noch 4 (einer davon verdeckt) der alten Kühltürme I–VI, unten Zuckerhutbunker

2.) von Oben     —      Nuclar Power Plant Leibstadt at Rhine River in Aargau, Switzerland, Europe

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Nord-Lägern/Hohentengen

Erstellt von Redaktion am 12. September 2022

Der beste aller schlechten Standorte für ein Atommülllager
der Schweiz?

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Axel Mayer

Die Schweiz will das Endlager für Atommüll an der Grenze zu Deutschland im Gebiet Nördlich Lägern, wenige Kilometer südlich der deutschen Gemeinde Hohentengen bauen. Das teilte der Sprecher der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), Patrick Studer, am 10.9.2022 mit. Die Veröffentlichung erfolgte zeitlich fast parallel zum Erdbeben mit Stärke 4,7 in der französisch-Schweizer Grenzregion. Die jetzige Standortauswahl, für den besten aller schlechten Standorte eines atomaren Endlagers in der Schweiz spricht für eine gewisse Verzweiflung der AKW-Betreiber und der NAGRA und verheißt nichts Gutes. Atommüll, der eine Million Jahre sicher verwahrt werden muss, braucht eine gute Geologie und nicht gute Worthülsen. Die Geologie (und sie alleine zählt!) spricht gegen den Standort Nördlich Lägern

  • Die Opalinustonschichten im Gebiet Nördlich Lägern sind im internationalen Vergleich sehr dünn, auch wenn die NAGRA gerne die darüber und darunter liegenden tonhaltigen Schichten dazurechnet.
  • Am wichtigsten aber: „Der Standort Nördlich Lägern liegt über einem Permo-Karbon-Trog, dessen Bedeutung bisher nicht sauber abgeklärt wurde. Findet man tatsächlich Erdgas in diesem Trog, dürften die Tage eines Endlagers in diesen Gebieten gezählt sein“, sagt der unabhängige Experte Marcos Buser.
  • Hier braucht es weitere, unabhängige Untersuchungen und eine intensive wissenschaftliche Analyse.

Für den Standort gibt es allerdings auch einige Argumente:

  • Im Gebiet „Nördlich Lägern“ rechnet die Schweizer Atomlobby und die NAGRA mit einem geringeren innerschweizer Widerstand als beispielsweise im Weinland.
  • Ein grenznäherer Standort war schwer find bar und die Beteiligung der direkt betroffenen deutschen AnliegerInnen war und ist die mächtig aufgeblasene Illusion von Beteiligung. Was würden die Menschen in der Schweiz sagen, wenn Deutschland seine gesamten atomaren Hochrisiko-Anlagen im Grenzgebiet konzentrieren würde?
  • Ein Teil der Regional- und Kommunalpolitik auf beiden Rheinseiten schaut leider weniger auf die Sicherheit als auf den zu erwartenden großen Geldsegen aus dem Geldsäckel der Atomindustrie. Es ist erschreckend, wie in Demokratien das lang geübte Prinzip der atomaren Käuflichkeit auch von den Medien als Selbstverständlichkeit hingenommen wird.

Der extrem grenznahe Standort entspricht einem alten europäischen Prinzip: Nationale Vorteile werden genossen – Risiken aber international verteilt. Wir Deutschen haben mit unseren politisch gewählten Atommüll-Standorten Gorleben/Morsleben an der ehemals innerdeutschen Grenze, sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Plutonium hat eine längere Halbwertszeit als Nationalstaaten. Bei einem Endlager, das Sicherheit für eine Million Jahre geben soll, muss die Geologie im Vordergrund stehen und nicht die, auch mit viel Geld erkaufte, politische Durchsetzbarkeit.

Radioactive keeper drums.JPG

Die wichtigen offenen Fragen und berechtigten Zweifel im Bereich der Geologie beim Standort Nördlich Lägern müssen jetzt kritisch und vor allem unabhängig und neutral geprüft werden. Hier steht auch das Land Baden-Württemberg in Verantwortung.

Nach dieser schlechten Standortvorentscheidung wachsen allerdings massiv die Zweifel, ob die Schweiz in der Lage ist, den langlebig-hochradioaktiven Müll im eigenen Land zu lagern.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein, (Der Autor war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer und ist Mitglied im Vorstand des Trinationalen Atomschutzverbandes TRAS)

Mehr Infos: https://www.mitwelt.org/atom-muell-info-schweiz-nagra.html

Nachtrag:

Die nachfolgenden Generationen werden uns und unser Zeitalter der Zerstörung und der Gier für unseren Nachlass hassen und verachten. Für die Klimakatastrophe, die Artenausrottung, für Atomwaffen, Rohstoff verschwendenden Überkonsum und Antibiotikaresistenzen… Und für die Produktion und schlechte Lagerung von Atommüll, der noch 33.000 Generationen gefährden wird.

Urheberrecht
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Oben     —     Deutsches Dorf Hohentengen

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Atommüll – Schweiz:

Erstellt von Redaktion am 10. September 2022

Ein Debattenbeitrag aus der Umweltbewegung

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Axel Mayer

Die Schweizer Regierung gibt am 12.9.2022 bekannt, wo das „Endlager“ für atomare Abfälle gebaut werden soll. Zur Auswahl stehen drei Standorte in der Nähe der Grenze zur Hochrhein-Bodensee-Region. Drei Standorte sind im Gespräch: Die Gebiete Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost in den Kantonen Aargau, Zürich und Thurgau.

  • Die kleine Schweiz betreibt heute noch vier (von ehemals fünf) Atomreaktoren, darunter das älteste AKW der Welt in Beznau.
  • Drei dieser AKW stehen nahe an der deutschen Grenze. Dazu kommt das grenznahe, hochgefährliche atomare Zwischenlager mit atomarem Verbrennungsofen in Würenlingen.
  • Auch die jetzt in der Diskussion befindlichen Gebiete Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost in den Kantonen Aargau, Zürich und Thurgau liegen nicht weit von der Grenze entfernt.
  • Die Frage muss erlaubt sein, wie die Schweiz regieren würde, wenn ein Nachbarstaat alle seine atomaren Risiken im Grenzgebiet ballen würde?
  • Es geht nach Betreiber-Schätzungen um rund 9.300 Kubikmeter hochradioaktive Abfälle sowie um rund 56.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle, von denen rund die Hälfte beim Rückbau von Kernkraftwerken anfallen. Dazu kommen rund 16.000 Kubikmeter, die im Bereich Medizin, Industrie und Forschung anfallen. Der Großteil der Radioaktivität findet sich im hochradioaktiven Müll, der eine Million Jahre sicher eingeschlossen werden muss.
  • Weil „wir Menschen zu schlecht sind, um Atommüll dauerhaft oberirdisch zu lagern“, hat die Umweltbewegung zähneknirschend früh die Notwendigkeit eines „möglichst sicheren“ Endlagers akzeptiert.
  • Weil die Umweltbewegung mit dieser ethisch notwendigen Haltung in den Konflikt gegangen ist, wurde sie nach dem Prinzip der Salamitaktik über den Tisch gezogen und in unendlichen „dialogischen Prozessen“ aufgerieben.
  • Die von der Atomindustrie abhängige NAGRA (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) hat die Erzeugung der Illusion von Beteiligung sehr gut gemanagt. Je direkter die Demokratie, desto perfekter die PR- und Durchsetzungsstrategien.
  • Die NAGRA hat geologisch eine seriöse wissenschaftliche Arbeit geliefert. Sie hat aber frühzeitig die Illusion geweckt, die Schweiz wäre in der Lage, hochradioaktiven Müll zu lagern.
  • Die Arbeit der NAGRA war so langwierig und teuer, dass sie heute „too expensive to fail“ ist.
  • Die Schweiz ist ein geologisch sehr aktives Land. Die immer noch wachsenden Alpen kommen für ein atomares Endlager nicht infrage. Die früh angedachte „Granitoption“ war aus geologischen Gründen nicht machbar. Nicht nur die Geologie, sondern auch die politische Akzeptanz scheint leider eine wichtige Rolle bei der Standortauswahl zu spielen.
  • Der jetzt als Enlagerformation gepriesene Opalinuston hat Vor- und Nachteile, kommt theoretisch aber für ein atomares Endlager aber infrage.
  • Offen ist die Frage, ob es noch sinnvoll ist, Atommüll in nur 600 bis 900 Metern Tiefe vergraben. Die Nutzung des Untergrunds wird in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten massiv zunehmen.
  • „Die Standorte Bözberg und Nördlich Lägern liegen über einem Permo-Karbon-Trog, dessen Bedeutung bisher einfach nicht sauber abgeklärt wurde. Findet man tatsächlich Erdgas in diesem Trog, dürften die Tage eines Endlagers in diesen Gebieten gezählt sein“ sagt der unabhängige Experte Marcos Buser
  • Die Opalinustonschichten in der Schweiz sind im internationalen Vergleich sehr dünn, auch wenn die NAGRA gerne die darüber und darunter liegenden tonhaltigen Schichten dazurechnet.
  • Kritische Geologen und Geologinnen weisen auf Schwachstellen der bisherigen Ergebnisse hin. Offen ist die zentrale und entscheidende Frage, ob sich unter den drei vorgeschlagenen Standorten wirklich mindestens einer findet, der den Sicherheitsansprüchen an ein geologisches Tiefenlager für eine Zeitdauer von 1 Million Jahren wirklich genügt.
  • Ein Standort am Rhein muss eine Gefährdung der Unterlieger und der Wasserentnahme aus dem Rhein vermeiden.

Politisch unkorrektes Fazit: Der jetzt am Montag vorgestellte „eine“ Standort für das Endlager muss kritisch und unabhängig geprüft werden. Doch was tun, wenn der beste aller schlechten Schweizer Standorte nicht geeignet ist Atommüll über einen Zeitraum von 33.000 Menschheits-Generationen sicher zu verwahren? Es ist politisch korrekt zu fordern, dass jedes Land, das AKW betreibt, den Atommüll auf eigenem Boden endlagert. Es ist wissenschaftlich korrekt anzunehmen, dass Atommüll eine längere Halbwertszeit hat als Nationalstaaten. Wenn nicht wissenschaftlich einwandfrei nachgewiesen werden kann, dass das Schweizer Endlager den Sicherheitsansprüchen an ein geologisches Tiefenlager für eine Zeitdauer von 1 Million Jahren wirklich genügt, dann müssen internationale Lösungen angedacht werden.

Radioactive keeper drums.JPG

Der Müll sollte in den Kellern ihrer Befürworter endgelagert werden. Kanzlerämter, Bundestag usw.  

Dann muss die Schweiz „Abnehmer“ für den langlebig-hochradioaktiven Müll suchen, dafür aber als Ausgleich große Mengen an leicht- und mittelaktivem Müll importieren. Für die Lagerung von leicht- und mittelaktivem Müll dürfte der Schweizer Opalinuston geeignet sein. Sich mit dem Export des ganzen Atommülls aus der Verantwortung zu stehlen, geht nicht. Die Produktion von hochradioaktivem Atommüll, der 33.000 Menschheitsgenerationen gefährdet, hat Probleme geschaffen, die sich leider mit politischer Korrektheit und dem alten Denken in engen Nationalstaatsgrenzen nicht immer lösen lassen. Wenn die Badewanne überläuft, dann beginnt man nicht mit dem Aufwischen, sondern stellt zuerst die Wasserzufuhr ab. Die weitere Produktion von Atommüll, gerade auch im ältesten AKW der Welt, muss auch in der Schweiz schnell beendet werden.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein, (Der Autor war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer und ist Mitglied im Vorstand des Trinationalen Atomschutzverbandes TRAS)

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Oben     —     Kernreaktoren 1 und 2 von Beznau. (Beznau, Schweiz) Bildnachweis: IAEA

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Kolumne-Wir retten die Welt

Erstellt von Redaktion am 9. September 2022

Die CDU verpasst eine großartige Chance

Datei:120613 Doppelleben Artwork.pdf

Eine Kolumne von Bernhard Pötter

Am Anfang ist das Wort. Also: das Wort Gottes. Der 35. Parteitag der CDU am Wochenende in Hannover beginnt wie gewohnt mit einer ökumenischen Andacht. Das Signal: „Christlich“ steht hier für mehr als das Beten vor dem Frühstücksteller mit Schweinskopfsülze. Gern betonen Merz und Co, man stehe zur religiösen Grundüberzeugung und halte die christlichen Traditionen hoch.

Das kann man machen. Zu diesen 2022 Jahren Tradition aber gehören auch vielfältige Instrumente, um mit Verfehlungen der Vergangenheit umzugehen: Anerkennung eines Fehlers, tätige Reue, aufrichtige Beichte. Und zumindest ihren Priestern und Theologen erlegt die katholische Kirche gern mal ein „Bußschweigen“ auf: Wer also aus Sicht von Rom so richtig Mist gebaut hat, der soll erst mal eine ganze Weile die Klappe halten.

Und hier wird es für die CDU interessant. Denn mit dieser ehrwürdigen Tradition könnte der Parteitag in Hannover ja auch beginnen: Mit einem gemeinsamen Bußschweigen zum Thema Energiekrise. Vorher wäre ein Mea Culpa angebracht: Für 16 Jahre verkorkste Energiepolitik, die uns in die Arme des Kriegsverbrechers Gasputin und an den Rand einer Wirtschaftskrise gebracht haben:

Unter Führung der Union (mit SPD und FDP als braven Oberministranten) hat Deutschland eine energiepolitische Todsünde nach der anderen begangen: zu wenige Häuser, die Energie sparen oder mit Ökostrom heizen, zu wenig Wind- und Solaranlagen, nicht genügend Leitungen, die den Strom dahin bringen, wo er gebraucht wird. Dazu kommt: Der jetzt so gescholtene liberalisierte Strommarkt und die Koppelung der Preise an das teuerste Kraftwerk sind unter ihrer Federführung entstanden. Bayern hat sich geweigert, Stromtrassen zu bauen und Windräder zu errichten, aber dass jetzt dort der Blackout droht, ist für die CSU Schuld des grünen Wirtschaftsministers.

Und als wäre das nicht genug der Irrlehren: Gerade, wo in der Ukraine der nächste Super-GAU droht und Frankreichs marode AKWs unsere Energiekrise richtig heißlaufen lassen, trommelt die CSU für die Wiederauferstehung der Atomkraft – aber ein Endlager darf es natürlich in Bayern nicht geben, Kruzifix!

Von frommer Demut ob ihrer Beschränkungen und bußfertiger Reue ist bei den plötzlich zu Energieexperten mutierten Friedrich Merz, Jens Spahn und Alexander Dobrindt nichts zu spüren. Da herrscht Verdrängen und Verschweigen.

Quelle      :      TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben     —  Plakat „Doppelleben – Der Film“

Verfasser DWolfsperger      /      Quelle    :   Eigene Arbeit      /      Datum    :    1. August 2012

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

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Unten        —     Церемония открытия газопровода «Северный поток».

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Sparen fürs Klima

Erstellt von Redaktion am 1. September 2022

Debatte über Verzicht in der Klimakrise

Datei:20151115 Berlin bei Nacht 15.jpg

Und wo sparen die politischen Schnorrer, welche kaum einen Cent ehrlich verdient haben ?

Von Bernward Gesang

erzicht auf den Energieverbrauch muss nicht immer weh tun. Nur mit Verschwendung aufzuhören, wäre schon ein wesentlicher Schritt.

Die weltpolitische Lage ist wirklich deprimierend. So deprimierend, dass manche Menschen gar keine Nachrichten mehr hören wollen. Dabei entgeht uns, dass bei allen Widrigkeiten nun in die Klimakrise Bewegung kommt. Europa verhandelt über ein ehrgeiziges Klimaschutzpaket, Deutschland hat zwei ehrgeizige Klimaschutzpakete verabschiedet.

Die USA haben immerhin ein großes Klimapaket beschlossen, Australiens Regierung scheint den Ernst der Lage zu erkennen und auch Kolumbien und nach den nächsten Wahlen nimmt vielleicht auch wieder Brasilien den richtigen Kurs auf. Nun könnte man sagen, das reicht alles nicht. Das ist richtig. Aber es ist viel mehr in Bewegung als in den letzten Jahren.

Zudem haben wir jetzt die Chance, Energiesparen als zusätzlichen Hebel für den Klimaschutz zu entdecken und so die Lücke, die die internationalen Bemühungen offenlassen, zu verkleinern. Der unglückselige Krieg in der Ukraine und das Bestreben, Gas aus Russland einzusparen, hilft uns dabei. Es sollte endlich in die Debatte dringen, dass all die Sparmaßnahmen von öffentlicher verordneter und privater freiwilliger Hand auch einen Klimaeffekt haben.

Längst hätte man sie unabhängig von der Gaskrise vorantreiben sollen! Von diesen Gedanken kommt man schnell zu der Forderung, dass diese und noch mehr Maßnahmen dauerhaft unsere Klimapolitik flankieren sollen. Wir brauchen nachts keine beleuchteten öffentlichen Gebäude, während die Straßen völlig menschenleer sind. Bei uns hat sich Wohlstandsspeck eingeschlichen, der neutral betrachtet schlicht Verschwendung ist.

Kostengünstige Sparpotentiale finden

So ist es sehr wohl zumutbar, im Winter einen Pulli mehr anzuziehen, anstatt die Heizung aufzudrehen. Auch die Industrie hat Möglichkeiten, Energie und damit Kosten zu sparen. Schätzungen zufolge ließen sich mindestens 20 Prozent insbesondere bei Druckluft, Pumpen, Ventilatoren und Abwärmenutzung einsparen, wenn allen die richtigen Informationen bekannt wären, die etwa das Umweltbundesamt zusammenstellt.

Und wenn kurzfristige Investitionen für langfristige Gewinnpotenziale genügend gefördert würden. Dass diese Potenziale immer noch brachliegen, ist angesichts der Klimakrise genau so ein Skandal wie die Tatsache, dass es erst eine Gaskrise brauchte, um Einsparungen überhaupt zu diskutieren. Diese Lücken sind nun schleunigst und verbindlich – nicht erst irgendwann und freiwillig – zu schließen. Insofern liegt sogar in der vertrackten Situation eine Chance für die Zukunft.

Es geht nicht um das Sparen, das weh tut, sondern es geht um sparen, das uns kaum etwas kostet oder sich sogar rechnet. Wir sollten uns bemühen, weitere kostengünstige Sparpotenziale ausfindig zu machen und zu verselbstständigen. Völlig unverständlich, warum in der Coronakrise die Wirtschaft plötzlich stillstehen konnte und in der Gaskrise plötzlich von Russland unabhängig werden kann, aber uns die Wälder abbrennen und die Ernten vertrocknen. Warum ist das für das Klima nicht drin?

Scholz schnüffelt nach Gas im Senegal ?

Die beschriebenen Sparmaßnahmen gilt es langfristig zu denken. Dementgegen sollten politische Maßnahmen zur Energieversorgung derzeit stets daraufhin beobachtet werden, dass sie fossile Energien nur kurzfristig anvisieren. Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz im Senegal Gasfelder erschließen will, ist das Irrsinn, denn dieses Gas kommt erst in einigen Jahren, wenn wir es eigentlich nicht mehr brauchen sollten.

Langfristig nur auf Erneuerbare setzen

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Regierung einen heimlichen Rollback veranstaltet, was sich auch durch langfristige Planung für Flüssiggas-Terminals abzeichnet. Wenn man von langfristigen Lieferverträgen der EnBW für 20 Jahre zusätzliche Gaslieferungen liest, erkennt man, dass die Gaskrise und die allseits zu spürende Angst schnell für den großen Reibach missbraucht werden können.

Weil alles wahnsinnig schnell gehen muss, wird vieles durchgewinkt, was Unsinn ist. Es bedarf für Energiesicherheit keiner Absicherung der Erneuerbaren durch Grundlast, die rund um die Uhr verfügbar und etwa wie Atomkraft kaum spontan regulierbar ist. 100 Prozent erneuerbare Energien sind auf Dauer möglich mit den bekannten erneuerbaren Technologien, Speichern und intelligent verschalteten Netzen.

Quelle       :        TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Oben     —  Berlin bei Nacht. Blick vom Europa-Center in westlicher Richtung. Kurfürstendamm (Mitte) und Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz rund um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche November 2015. Der Weihnachtsmarkt ist im Bau. Eröffnungstag war der 23. November.

Verfasser Sebastian Rittau        /       Quelle   : Eigene Arbeit       /    Datum   :  15. November 2015, 00:00:28 Uhr

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 International Lizenz.

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EnBW, LBBW und Flüssiggas

Erstellt von Redaktion am 29. August 2022

Wahnsinnsgeschäfte mit Fracking

Von Jürgen Lessat

Der Karlsruher Energieversorger EnBW kauft in den USA Fracking-Flüssiggas (LNG) in rauen Mengen. Für deren Verschiffung braucht es im fernen Louisiana ein milliardenschweres LNG-Terminal, das die Landesbank Baden-Württemberg mitfinanziert. Unter den Augen der grün geführten Landesregierung torpedieren zwei öffentliche Unternehmen den Klimaschutz.

Mit Sekundenkleber und Bauschaum kleben sich seit Jahresbeginn jugendliche Klimaaktivist:innen auf Straßen fest, um wirksamen Klimaschutz zu erzwingen. Ziviler Ungehorsam, der die Gemüter erhitzt: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte vor gezielten Attacken auf den Energiesektor. „Von Autobahnblockaden halte ich mal gar nichts. Das sind schwere Rechtsverletzungen, die man nicht rechtfertigen kann“, sagte Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Von „Klima-Terrorismus“ spricht gar die konservative FAZ.

Ganz anders sieht dies der UN-Generalsekretär: „Klimaaktivisten werden manchmal als gefährliche Radikale dargestellt. Doch die wirklich gefährlichen Radikalen sind die Länder, die die Produktion fossiler Brennstoffe ausweiten. Investitionen in neue Infrastrukturen für fossile Brennstoffe sind moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn“, twitterte António Guterres Anfang April an seine 1,8 Millionen Follower.

Wenn es nach Guterres geht, treiben diesen Wahnsinn ausgerechnet zwei Konzerne aus Baden-Württemberg voran, die unter Aufsicht der grün geführten Landesregierung von Ministerpräsident Kretschmann stehen: Der Karlsruher Energieversorger EnBW und die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) in Stuttgart.

Die EnBW AG, an der das Land und mehrere oberschwäbische Landkreise die Aktienmehrheit halten, ist über ihre Leipziger Tochtergesellschaft VNG Handel & Vertrieb GmbH (VNG H&V) einer der größten Player auf dem deutschen Gasmarkt. Im ersten Halbjahr 2022 bezog die EnBW nach eigenen Angaben Erdgas im Wesentlichen über Lieferverträge aus Norwegen und Russland sowie vom europäischen Großhandelsmarkt. VNG H&V hielt zwei Gaslieferverträge, die von Liefereinschränkungen aus Russland betroffen sind. Einen weiteren Vertrag mit dem russischen Lieferanten Novatek beendete die EnBW im April „einvernehmlich vorzeitig“. „Nicht nur vor diesem Hintergrund haben wir uns verstärkt bemüht, unsere Bezugsquellen für Gas deutlich zu diversifizieren“, sagt die EnBW.

Neben konventionellem Erdgas versucht der Konzern seitdem an große Mengen LNG zu kommen. Die Buchstaben stehen für Liquefied Natural Gas, übersetzt Flüssiggas. Es soll Europa über den Winter retten, nachdem Russland den Gashahn immer weiter zudreht. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) klapperte dafür die wichtigsten Erdgas-Exportländer ab. In Windeseile organisierte er auch vier schwimmende LNG-Terminals, an denen Tankschiffe Import-Gas in Binnenpipelines einspeisen können. Bereits zum Jahreswechsel sollen die ersten beiden Anlagen in Wilhelmshaven und Brunsbüttel in Betrieb gehen.

Am 16. August sicherten die Energieversorger Uniper, RWE und EnBW Habeck in einem „Memorandum of Understanding“ die Belieferung der beiden Terminals zu. Vorgaben, woher die Konzerne das LNG importieren, gibt es nicht. Mögliche LNG-Lieferungen würden lediglich „politisch flankiert“, hieß es seitens der Regierung auf eine parlamentarische Anfrage. Die EnBW-Pressestelle teilt mit, dass es „für Fragen zur Beschaffung im Kontext dieser noch auszuarbeitenden Verträge noch zu früh“ sei.

Allerdings hat die EnBW bereits im Juni zwei Abnahmeverträge mit dem US-Unternehmen Venture Global LNG abgeschlossen. Das Gesamtvolumen der LNG-Mengen beträgt 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr, die ab 2026 je zur Hälfte aus den Venture Global LNG-Anlagen Plaquemines und Calcasieu Pass 2 bezogen werden. Angeliefert wird das US-Flüssiggas vermutlich über das geplante LNG-Terminal Hanseatic Energy Hub (HEH) in Stade, das ebenfalls in 2026 mit einer jährlichen Kapazität von 12 Milliarden Kubikmetern Gas in Betrieb gehen soll. Diese Menge entspricht rund zehn Prozent des derzeitigen deutschen Bedarfs. Bereits im März hat die EnBW eine entsprechende Absichtserklärung mit dem HEH unterzeichnet, dessen Gesellschafter der belgische Gasinfrastrukturbetreiber Fluxys, der schweizerische Vermögensverwalter Partners Group, der Logistikkonzern Buss-Group des Hamburger Unternehmers Johann Killinger sowie der US-Chemiekonzern Dow sind.

EnBW wird viel mehr Gas importieren als nötig

Auffallend an den Lieferverträgen mit Venture Global LNG ist die lange Vertragsdauer von 20 Jahren: Noch bis ins Jahr 2046 bezieht die EnBW demnach große Mengen fossiles Erdgas, obwohl Deutschland laut Klimaschutzgesetz bis spätestens 2045 klimaneutral sein soll. Baden-Württemberg, das Heimatland des Versorgers, will sogar schon im Jahr 2040 netto keine Treibhausgase mehr emittieren. Klimaschützer:innen kritisieren, dass langfristige LNG-Lieferungen das Pariser Klimaabkommen gefährden. Nach Berechnungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) würden die aktuell geplanten LNG-Terminals hierzulande mit 2,1 Gigatonnen CO2 drei Viertel des Restbudgets aufzehren, das Deutschland zur Einhaltung des Pariser Klimalimits bleibt. „Die geplanten Importkapazitäten sind weit höher als der Anteil russischen Gases, der, wenn überhaupt, ersetzt werden müsste“, kritisiert die DUH. Verschärfend kommt hinzu, dass die LNG-Tanker im EnBW-Auftrag Fracking-Gas herankarren. „Wir haben in den Gesprächen mit Venture Global explizit darauf hingewiesen, dass wir eine Minimierung des Anteils aus unkonventionellem Fracking wünschen und dies unter anderem durch den Einsatz innovativer Technologien von VG erwarten“, teilt ein EnBW-Sprecher auf Anfrage mit. Doch dies dürfte ein frommer Wunsch bleiben.

„Grundsätzlich handelt es sich bei LNG um Erdgas und damit um einen fossilen Brennstoff, der bei seiner Verbrennung CO2-Emissionen freisetzt“, schreibt die EnBW im eigenen Internet-Blog. Zwar würden diese im Vergleich zu anderen fossilen Energieträgern wie Kohle und Erdöl „deutlich geringer und damit klimaschonender“ ausfallen. „Doch ein Problem bei LNG ist, dass die Herstellung von der Reinigung des Rohgases bis zur Verflüssigung, die Kühlung und der Transport bis hin zur Regasifizierung an den LNG-Terminals selbst einen hohen Energiebedarf aufweisen“, heißt es korrekterweise. Damit Erdgas flüssig wird, muss es auf −162 °C abgekühlt werden. Die Kältemaschinen verbrauchen dafür bis zu 25 Prozent des Heizwerts des Erdgases. „Dadurch fallen mehr CO2-Emissionen an als beispielsweise beim Transport über Erdgas-Pipeline“, so der EnBW-Blog.

„Ein weiterer Faktor in der Klimabilanz ist die Herkunft von LNG“, heißt es weiter im Blog. LNG wird hauptsächlich in den USA, Australien und Katar gefördert. Australisches Flüssiggas stammt zum Großteil aus Erdgas, das beim Abbau von Kohle freigesetzt wird. In Katar wird es direkt aus dem Boden unter dem Persischen Golf gewonnen. US-Unternehmen fördern Gas zur Herstellung von LNG vor allem durch Fracking. „Die Methode ist aber mit größeren Auswirkungen auf die Umwelt und Emissionswerten als in Katar oder Australien verbunden“, betont der EnBW-Blog. 2019 ermittelte eine Kurzstudie im Auftrag des Umweltbundesamts, dass im Vergleich zu russischem Pipeline-Gas bei LNG aus den USA die 1,5-fache Menge an Treibhausgasen entsteht.

Beim Fracking eingesetzte Chemikalien sind teils hochgiftig und gefährden Grundwasser und Gesundheit der Bevölkerung. Umweltrelevant ist auch der hohe Wasserverbrauch. Aus aufgegebenen Bohrungen entweicht das besonders klimaschädliche Methan, wie Umweltschützer:innen nachwiesen. Die US-Fracking-Hochburgen in Louisiana und Texas am Golf von Mexico, wo sich Bohrloch an Bohrloch reiht, ähneln Mondlandschaften. Aus all diesen Gründen gibt es im dichtbesiedelten Deutschland ein Fracking-Verbot – das die Ampel-Partei FDP sowie die Springer-Medien „Bild“ und „Welt“ gerade in Frage stellen.

Neben der EnBW sicherten sich auch polnische, spanische, britische, französische und italienische Versorger große Mengen Flüssiggas bei Venture Global LNG. Damit stießen die Konzerne die bislang größte Investition in fossile Energieinfrastruktur weltweit in diesem Jahr an. Der Grund: Das Plaquemines-Terminal muss erst noch gebaut werden. Die Kosten inklusive einer dazugehörigen Pipeline beziffert Venture Global auf 13,2 Milliarden US-Dollar. „Zu den Kreditgebern für die Projektfinanzierung gehören die weltweit führenden Banken auf mehreren Kontinenten“, verkündete das Unternehmen Ende Mai stolz. Geld geben auch hiesige Institute: die Deutsche Bank in Frankfurt und die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) aus Stuttgart.

Die LBBW stellt sich selbst als nachhaltig dar

Für die im öffentlichen Besitz befindliche LBBW – Träger sind das Land Baden-Württemberg, der baden-württembergische Sparkassenverband sowie die Landeshauptstadt Stuttgart – könnte das Engagement noch zum Bumerang werden. Denn gebetsmühlenhaft beteuert die Bank, nachhaltig zu arbeiten. „Die LBBW bekennt sich zu den Social Development Goals der UN sowie zum Pariser Klimaabkommen“, betont sie. „Wir leisten einen aktiven Beitrag für den Übergang von einer treibhausgasintensiven zu einer emissionsarmen Wirtschaftsweise.“ Dazu „richten wir unsere Kredit- und Investmentportfolien entsprechend den Zielen des Pariser Abkommens bis 2050 klimaneutral aus“ – so die allerdings großzügige Einschränkung.

Quelle        :       KONTEXT-Wochenzeitung-online         >>>>>       weiterlesen

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Politik der Dummheit

Erstellt von Redaktion am 26. August 2022

KALIFORNIENS GRÜNE ATOMKRAFTFANS

Von Maxime Robin

In Belgien wird die Laufzeit von AKWs um zehn Jahre verlängert. Die EU adelt neue Atommeiler zu „klimafreundlichen“ Helfern in der Not. Die Klimakrise macht Atomkraft offenbar zur großen Versuchung. Sogar im seismisch gefährdeten Kalifornien kämpfen bekennende Grüne gegen die Stilllegung des letzten AKWs.

Für Umweltschutz sein und Atomenergie gut finden – für Heather Hoff ist das kein Widerspruch. Für sie gehört beides einfach zusammen. Die 43-jährige Mutter fährt leidenschaftlich gern Fahrrad, wandert, besitzt ein gebrauchtes Elektroauto. Und arbeitet als Reaktoroperatorin in der Diablo Canyon Power Plant. Das ist das letzte noch in Betrieb befindliche Atomkraftwerk Kaliforniens, das nach dem Willen der kalifornischen Regierung 2025 vom Netz gehen soll.

Das AKW Diablo Canyon liegt auf halbem Weg zwischen San Francisco und Los Angeles, direkt an der Pazifikküste, inmitten einer friedlichen Landschaft von Hügeln und Tälern, wo braune Kühe weiden. In dieser Postkartenidylle produzieren zwei Reaktoren auf einer Fläche einer großen Farm 10 Prozent des kalifornischen Stroms und mehr als die Hälfte des CO2-neutral produzierten Stroms.

Heather Hoff kämpft für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes – gegen den Willen ihres Arbeitgebers Pacific Gas & Electric (PG&E) – und für die Wiederbelebung der Atomenergie in den USA. Sie sieht sich als „ultimative Umweltschützerin“, auch wenn sie damit einem seit 50 Jahren behaupteten Grundprinzip der Umweltbewegung widerspricht. „Ich könnte nichts Sinnvolleres für die Umwelt tun“, findet sie. „Als Jugendliche wollte ich für die Rettung von Walen kämpfen und für den Erhalt natürlicher Lebensräume. Aber die Unterstützung von Atomkraft bewirkt indirekt dasselbe.“

Wir treffen uns in einer Bar in San Luis Obispo, der dem Atomkraftwerk am nächsten gelegenen Stadt. Hoff trägt einen Anhänger um den Hals, der aus Thorium, einem fluoreszierenden, schwach radioaktiven Metall ist. Auch selbst produzierte Sticker hat sie dabei, die man auf Laptop oder Trinkflasche kleben kann. „I ♥ U235“ steht darauf. Ein anderer Sticker zeigt ein Herz, das von kleinen Elektronen umkreist wird. „Wenn man Atomkraftwerke schließt, werden sie durch fossile Brennstoffe ersetzt. Es hat eine Weile gedauert, zugegeben, bis mir das aufgegangen ist.“

Das AKW in der Teufelsschlucht

2016 stand die Entscheidung über eine Verlängerung der Betriebsgenehmigung für Diablo Canyon an, wie für alle Atomkraftwerke nach 40 Jahren Betrieb. Zur allgemeinen Überraschung einigten sich die Betreiberin PG&E und der Staat Kalifornien auf die Stilllegung. Da in Kalifornien die Regel gilt, dass bei der Stromerzeugung bevorzugt auf erneuerbare Energien zu setzen ist, wären die beiden Reaktoren von Dia­blo Canyon nur die halbe Zeit in Betrieb gewesen. Das aber hätte das Kraftwerk unrentabel gemacht, erklärte die PG&E, die ein privates, börsennotiertes Unternehmen ist.

Nach der Stilllegung von San Onofre 2013 geht mit Diablo Canyon das zweite und letzte kalifornische AKW vom Netz. Damit wird der Anteil von Atomstrom am Strommix des Bundesstaats, der 2013 noch bei 20 Prozent lag, 2025 auf null sinken. Bis dahin sollen die Kapazitäten bei den erneuerbaren Energien verdreifacht werden.

Kalifornien ist die Heimat der überaus umweltschädlichen IT-Branche mit Firmen wie Apple, Google, Meta (früher Facebook) und Uber und sieht sich gern als Avantgarde in Sachen Umweltschutz. In den letzten Jahren hat Kalifornien das Aus für die Atomenergie beschlossen und zugleich das Ziel festgeschrieben, ab 2045 für die Stromerzeugung auf fossile Energien zu verzichten. Das entsprechende Gesetz wurde 2018 verabschiedet; es verbietet zudem ab 2035 den Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, was zu einer massiv steigenden Stromnachfrage führen wird.

Hoff hält die Stilllegung ihres Kraftwerks für absurd, wenn der CO2-Ausstoß sinken soll, also der Strombedarf weiter steigt. Gemeinsam mit einer Kollegin, der Ingenieurin Kristin Zaitz, gründete sie am Earth Day (dem 22. April) 2016 die Organisation „Mothers for Nuclear“. Auf ihrer Website finden sich lauter Fotos von Frauen, die Atomkraft unerlässlich finden – im Kampf gegen die globale Erwärmung und für eine lebenswerte Zukunft ihrer Kinder.

Luftaufnahme aus westlicher Richtung (Pazifik)

Die Teufel Schlucht – (Diabolo Canyon)

Auf der Website werden die Vorteile ausführlich gewürdigt: CO2-freie Energieerzeugung, flexibel steuerbare Kapazitäten, begrenzte Flächennutzung. Das alles würde die Risiken bei Weitem überwiegen, behauptet Hoff penetrant und ereifert sich: „Kaum jemand kämpft für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, Umweltschützer am allerwenigsten. Dabei sollten doch gerade diejenigen, die sich wie wir für den Umweltschutz einsetzen, am ehesten dafür kämpfen.“

Was Sonnen- und Windenergie betrifft, so erkennt Heather Hoff deren Beitrag durchaus an, doch sie allein könnten wegen ihrer geringeren Energiedichte und ihrer ungleichmäßigen Produktion den gegenwärtigen Bedarf nicht decken, und den künftigen erst recht nicht. Die Physikprofessorin Jennifer Klay, eine der Aktivistinnen der Gruppe, sieht das auch so: „Wind- und Solarenergie sind großartig. Aber sie reduzieren die Nutzung fossiler Energieträger nur, wenn der Wind weht und die Sonne scheint; die Kernenergie dagegen kann fossile Brennstoffe rund um die Uhr ersetzen.“

Deshalb hält Klay das Konzept, Diablo Canyon zu schließen und zu versprechen, der Atomstrom sei kurz- bis mittelfristig zu 100 Prozent durch erneuerbare Energien ersetzbar, für magisches Denken. Hoff und ihre Mitstreiterinnen wünschen sich für den kalifornischen Strommix eine „solide nukleare Basis“, die zumindest in den Nebenzeiten den reduzierten Bedarf voll abdecken könnte. Der Rest soll von erneuerbaren Energien kommen: Wasser- und Windkraft, Sonnenenergie und Geothermie.

Als Mothers for Nuclear gegründet wurde – wohlgemerkt ohne Gelder von der Atomlobby –, war Atomstrom in Kalifornien kein Thema. Doch seitdem sind gerade hier die Folgen des Klimawandels in Form von Dürren und Waldbränden zu einer massiven Bedrohung geworden. Die Zweifel wachsen, dass die Abschaltung von Diablo eine gute Idee ist, und plötzlich erfährt die Gruppe viel Unterstützung.

Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Stanford University vom November 2021 wirkte wie eine verspätete Ini­tial­zün­dung. Sie kam zu dem Ergebnis, dass eine Laufzeitverlängerung der kalifornischen Atomkraftwerke um zehn Jahre den CO2-Ausstoß um 10 Prozent senken und damit auch die Abhängigkeit Kaliforniens von Gas reduzieren würde.1 In konkreten Zahlen: Ein Weiterbetrieb von Diablo Canyon bis 2045 würde bis zu 21 Milliarden US-Dollar an Kosten für das Stromnetz einsparen; zugleich könnte man 364 Quadratkilometer Land „retten“, die sonst für die Erzeugung erneuerbarer Energien genutzt werden müssten. Die Studie empfahl außerdem, die Energie von Diablo für den Betrieb einer Entsalzungsanlage zu nutzen, um den chronischen Trinkwassermangel in Kalifornien zu beheben.

Anfang Februar 2022 forderten 75 Wissenschaftler – darunter Steven Chu, Nobelpreisträger für Physik und Obamas Energieminister – in einem offenen Brief an den demokratischen Gouverneur Gavin Newsom, die Laufzeit des Atomkraftwerks zu verlängern. Sie argumentieren, die Bedrohung durch den Klimawandel sei „zu real und zu dringlich, als dass wir vorschnell handeln sollten“. Die Stilllegung von Diablo mache es „viel schwieriger und teurer, das Ziel zu erreichen, bis 2045 eine zu 100 Prozent kohlenstofffreie Stromversorgung zu erreichen“.

Tatsächlich waren nach der Abschaltung des Atomkraftwerks San Onofre im Jahr 2013 die CO2-Emis­sio­nen der kalifornischen Stromerzeuger um 35 Prozent angestiegen. Und da die Wasserkraftwerke wegen der chronischen Dürre weitgehend ausfielen, wurde die Nachfrage vor allem aus gasbetriebenen Kraftwerken gedeckt.2

Wassermangel, Waldbrände, marodes Stromnetz

In Washington gibt es zwar mit dem Nuclear Energy Institute eine Lobby der Stromversorger, die AKWs betreiben. Doch die setzen nicht allein auf die Atom-Karte, sondern zugleich auf Gas- und Kohlekraftwerke. „Ihre Haltung zur Atomenergie ist unklar“, erläutert der Energieexperte Edward Kee.3 Es handle sich weniger um eine schlagkräftigen Lobby als um einen Zusammenschluss von Unternehmen mit unterschiedlichen und manchmal widersprüchlichen Interessen.

Quelle        :         LE MONDE diplomatique-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben     —   Ein Blick auf den Donner Lake vom McClashan Point aus. Der Donner Lake ist ein Süßwassersee im Nordosten Kaliforniens (USA) am Osthang der Sierra Nevada.

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Schlands Energie-Gemeinde

Erstellt von Redaktion am 20. August 2022

Zwischen Reaktor, Gas und Meer

Von Anne Frieda Müller

Lubmin ist klein, aber in aller Munde. Hier enden die Gas-Pipelines. Hier stand mal ein AKW. Und hier soll bald Flüssiggas ankommen.

in dunkelblaues Tor trennt den Lubminer Yachthafen vom Industriehafen. Der 56-jährige Bürgermeister Axel Vogt öffnet es für den grauen Opel von Stefan Barthel. Der parkt direkt hinter dem Baucontainer, in dem Vogt eines seiner Büros unterhält, denn der Bürgermeister leitet auch den Hafen. Die beiden Männer stehen auf Betonboden und präsentieren den Industriehafen. Der gleicht einem Kanal, der in das flache Küstengewässer des Greifswalder Boddens führt.

Dieser Kanal beginnt bei den Lagerhallen um den letzten Reaktor des längst abgeschalteten Atomkraftwerks, das hier bis zur Wende den Strom produzierte. Auf der Uferseite, dort wo die Männer stehen, verlaufen Bahngleise. Auf der anderen Seite liegt ein Schiff. Dort übernachten die Arbeiter der nahen Windparks au hoher See. Hinter dem Schiff schimmern silberne Rohre in der Sonne: Das ist Nord Stream 1, die Gasleitung aus Russland, die derzeit nur zu 20 Prozent ausgelastet ist. Nord Stream 2 befindet sich ein paar hundert Meter hinter den Männern.

An diesem Augustmorgen unterhalten sich Barthel und Vogt über Sport und Energie. Zwischen ihnen liegt ein Altersunterschied von 23 Jahren. Gemeinsam haben sie einige Quadrathlons in der Gegend organisiert. Das sind Triathlons mit zusätzlichem Kanurennen. Das passt gut in die Gegend, denn Lubmin liegt in Mecklenburg-Vorpommern an der Ostsee, am Greifswalder Bodden, zwischen den Inseln Rügen und Usedom. Die Hanse- und Universitätsstadt Greifswald ist eine 30-minütige Autofahrt entfernt. Doch das große Weltinteresse ist auf das Gewässer gerichtet, an dem Barthel und Vogt stehen und reden.

Hier an dem Kanal, am Industriehafen, kommen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Lubmin zusammen. Zu DDR-Zeiten lief in dem Kanal das Kühlwasser des Atomkraftwerks in die Ostsee. Direkt daneben ragen heute die Rohre von Nord Stream 1 und Nord Stream 2 aus der Erde. Sie sind zum Sinnbild geworden für eine verfehlte Energiepolitik, für die gescheiterte Hoffnung, dass Frieden durch Handel zu erreichen ist. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine liegt Nord Stream 2 brach. Und wie lang durch Nord Stream 1 noch russisches Gas fließt, ist mehr als ungewiss.

Seit Kurzem steht fest, dass es in Lubmin trotzdem weitergeht mit dem Gasgeschäft, nur eben nicht mehr mit dem russischen. Zwei Flüssigerdgasterminals sollen hier in der nächsten Zeit entstehen. Eines baut der Bund, das andere ein privater Investor.

Der Bürgermeister setzt auf Wasserstoff

Der parteilose Bürgermeister Axel Vogt sitzt jetzt in dem Baucontainer an einem Besprechungstisch, hinter ihm das Wasser im Hafenbecken. Er glaubt nicht, dass Gas ein zukunftsträchtiges Geschäft für Lubmin wird. „Die Zukunft Lubmins liegt im Wasserstoff“, erklärt Vogt. Hier sei der perfekte Standort, denn mit drei Offshore-Windparks gebe es genug überschüssige erneuerbare Energie, die sich einspeichern lassen könnte.

Die produzierte, aber nicht benutzte Windenergie kann per Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt und gespeichert werden. Bei Bedarf lässt sich dieser Wasserstoff in Energie zurückverwandeln. Wasserstoffstofftechnologie gilt als nachhaltig, aber vor allem als weniger skandalträchtig als der Import von russischem Gas.

Ein politisches Ferkel-Treffen – Putin liefert Gas und die Ferkel die Kohlen

in dunkelblaues Tor trennt den Lubminer Yachthafen vom Industriehafen. Der 56-jährige Bürgermeister Axel Vogt öffnet es für den grauen Opel von Stefan Barthel. Der parkt direkt hinter dem Baucontainer, in dem Vogt eines seiner Büros unterhält, denn der Bürgermeister leitet auch den Hafen. Die beiden Männer stehen auf Betonboden und präsentieren den Industriehafen. Der gleicht einem Kanal, der in das flache Küstengewässer des Greifswalder Boddens führt.

Dieser Kanal beginnt bei den Lagerhallen um den letzten Reaktor des längst abgeschalteten Atomkraftwerks, das hier bis zur Wende den Strom produzierte. Auf der Uferseite, dort wo die Männer stehen, verlaufen Bahngleise. Auf der anderen Seite liegt ein Schiff. Dort übernachten die Arbeiter der nahen Windparks au hoher See. Hinter dem Schiff schimmern silberne Rohre in der Sonne: Das ist Nord Stream 1, die Gasleitung aus Russland, die derzeit nur zu 20 Prozent ausgelastet ist. Nord Stream 2 befindet sich ein paar hundert Meter hinter den Männern.

An diesem Augustmorgen unterhalten sich Barthel und Vogt über Sport und Energie. Zwischen ihnen liegt ein Altersunterschied von 23 Jahren. Gemeinsam haben sie einige Quadrathlons in der Gegend organisiert. Das sind Triathlons mit zusätzlichem Kanurennen. Das passt gut in die Gegend, denn Lubmin liegt in Mecklenburg-Vorpommern an der Ostsee, am Greifswalder Bodden, zwischen den Inseln Rügen und Usedom. Die Hanse- und Universitätsstadt Greifswald ist eine 30-minütige Autofahrt entfernt. Doch das große Weltinteresse ist auf das Gewässer gerichtet, an dem Barthel und Vogt stehen und reden.

Hier an dem Kanal, am Industriehafen, kommen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Lubmin zusammen. Zu DDR-Zeiten lief in dem Kanal das Kühlwasser des Atomkraftwerks in die Ostsee. Direkt daneben ragen heute die Rohre von Nord Stream 1 und Nord Stream 2 aus der Erde. Sie sind zum Sinnbild geworden für eine verfehlte Energiepolitik, für die gescheiterte Hoffnung, dass Frieden durch Handel zu erreichen ist. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine liegt Nord Stream 2 brach. Und wie lang durch Nord Stream 1 noch russisches Gas fließt, ist mehr als ungewiss.

Seit Kurzem steht fest, dass es in Lubmin trotzdem weitergeht mit dem Gasgeschäft, nur eben nicht mehr mit dem russischen. Zwei Flüssigerdgasterminals sollen hier in der nächsten Zeit entstehen. Eines baut der Bund, das andere ein privater Investor.

Der Bürgermeister setzt auf Wasserstoff

Der parteilose Bürgermeister Axel Vogt sitzt jetzt in dem Baucontainer an einem Besprechungstisch, hinter ihm das Wasser im Hafenbecken. Er glaubt nicht, dass Gas ein zukunftsträchtiges Geschäft für Lubmin wird. „Die Zukunft Lubmins liegt im Wasserstoff“, erklärt Vogt. Hier sei der perfekte Standort, denn mit drei Offshore-Windparks gebe es genug überschüssige erneuerbare Energie, die sich einspeichern lassen könnte.

Die produzierte, aber nicht benutzte Windenergie kann per Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt und gespeichert werden. Bei Bedarf lässt sich dieser Wasserstoff in Energie zurückverwandeln. Wasserstoffstofftechnologie gilt als nachhaltig, aber vor allem als weniger skandalträchtig als der Import von russischem Gas.

An Lubmin bestand schon lange internationales Interesse. In Vogts Amtszeit als Bürgermeister zeigte sich das nach dem Reaktorunfall in Fukushima im Jahr 2011, in dessen Folge die Bundesregierung beschloss, aus der Atomenergie auszusteigen. Das AKW in der Kleinstadt ist schon 1990 abgeschaltet worden. Das Zwischenlager ist übrig geblieben. Und das Know-how.

„Die Experten aus Japan, aber auch aus Spanien und Frankreich kamen her, um zu sehen, wie man so ein großes Kernkraftwerk zurückbaut“, erzählt Vogt. Insbesondere die Weiternutzung des Energiestandorts fanden viele spannend. In Lubmin seien viele verschiedene kleine Firmen tätig. Neben dem Energiesektor gibt es noch ein Klärwerk und einen Produzenten für Rapsöl. Der Bürgermeister erklärt: „Wir arbeiten hier granular. Den einen großen Player mit vielen Arbeitsplätzen, den gibt es hier nicht mehr.“ Das Netzwerk am Industriestandort Lubminer Heide funktioniere gut.

Nord Stream und die Lubminer

Was mit Nord Stream dazu kam, was die Bevölkerung und der Bürgermeister von Lubmin bis dato nicht kannten, das waren die Skandale. „Die Leute sind einfach nur noch genervt“, erklärt Vogt die Stimmung im Ort. „Erstens von der politischen Diskussion.“ Nord Stream 1 sei schließlich 2011 fertiggestellt worden und das stolze Projekt der alten Bundesregierung in der Kooperation mit Russland. Für Lubmin hießen das jährlich zwischen 1,5 und 2 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen.

Der Bürgermeister erklärt, warum die Lubminer nicht mehr über Nord Stream reden wollen: „Zweitens waren sie genervt von dem, was die Amerikaner dort angedroht haben.“ In einem Brief forderten US-amerikanische Abgeordnete 2020 den Baustopp von Nord Stream 2. Sie drohten mit Sanktionen gegen den Hafen Sassnitz-Mukran auf Rügen, nicht weit von Lubmin entfernt. „Und drittens“, führt Vogt die Aufzählung zu Ende, „sind die Anwohner natürlich von der Medienpräsenz genervt.“ Im Ort heißt es, zu Energiefragen solle man den Bürgermeister sprechen. Die Menschen haben keine Lust mehr, man will seine Ruhe haben.

In Lubmin hat man Nord Stream 1 und 2 im letzten Jahrzehnt als technische Projekte zur Energieversorgung betrachtet, als Einnahmequelle und als positive wirtschaftliche Entwicklung für das ganze Bundesland. Umso größer ist der Frust, dass Nord Stream 2 nicht in Betrieb genommen wird. „Wir haben das Projekt Nord Stream 1 schon einmal erfolgreich gesehen, da ist es quasi reibungslos gelaufen“, erklärt Vogt. „Sowohl die Planungen als auch die Genehmigungsverfahren, der Bau, Ablauf und die Inbetriebnahme selbst.“ Und nun, da die Gaslieferung durch Nord Stream 1 immer geringer ausfallen und die Menschen in ganz Deutschland die Höhe der Gasrechnungen im kommenden Winter fürchten, wird immer wieder die Forderung laut, Nord Stream 2 wenigstens vorübergehend in Betrieb zu nehmen, zuletzt vom früheren Bundeskanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder.

Schwimmende Terminals für Lubmin

Das lehnt die Bundesregierung strikt ab. Unabhängig von russischem Gas soll in Zukunft geheizt werden. Als Zwischenlösung auf dem Weg dazu gelten LNG-Flüssiggasterminals. LNG steht für Liquified Natural, das heißt verflüssigtes Erdgas. Diese Form von Erdgas soll aus aller Welt nach Deutschland transportiert werden, um hier genutzt werden zu können. Dafür braucht es Terminals in Hafennähe, in denen das Flüssiggas wieder gasförmig gemacht werden kann. Zwei schwimmende Terminals sollen vor Lubmin gebaut werden, ein staatlich gefördertes und eines durch die Privatfirma ReGas.

Die Terminals selbst können nicht direkt vor Lubmin ankern, der Bodden ist hier zu flach. Mit sogenannten Shuttle-Schiffen könnte das flüssige Gas aber von den Ankerplätzen in der Ostsee in den Industriehafen gebracht werden, um hier verflüssigt zu werden. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland Mecklenburg-Vorpommern (BUND) kritisiert dieses Vorhaben im Greifswalder Bodden: „Es kommt zu einem höheren Schiffsaufkommen und damit zu mehr Unterwasserlärm und Sichtstörungen.“ Insbesondere der Schutz von vulnerablen Vogelarten, die hier brüten, wäre durch den Lärm nicht mehr gewehrleistet.

Die LNG-Terminals sollen in Lubmin entstehen, weil hier die notwendige Infrastruktur zur Verteilung des Gases schon vorhanden ist. Hier gibt es die Pipelines OPAL und EUGAL, die in den Süden abgehen, und NEL in den Westen. Das sind die Leitungen, die eigentlich das russische Gas von Nord Stream nach Deutschland und Europa bringen sollen. Diese Infrastruktur könnte nun für LNG genutzt werden. Diese Gasleitungen sind unabhängig von Gazprom und anderem russischen Einfluss.

Die Pipelines gehören Gascade, einer deutschen Firma mit Sitz in Kassel. Bürgermeister Vogt erklärt, warum das geht: „Jede Anlage besteht aus zwei Betriebsteilen, die technisch, wirtschaftlich und rechtlich voneinander getrennt sind und unabhängig voneinander betrieben werden können.“ Der Bürgermeister nimmt sich ein Blatt mit IHL-Aufdruck, der für „Industriehafen Lubmin“ steht, und zeichnet zwei Vierecke auf. Das kleinere ist Nord Stream, das größere Gascade. Dort, wo sich die beiden Vierecke treffen, malt er einen Kreis auf und betont die Grenze: „Hier ist für die Russen Schluss.“ So erklärt Vogt, warum die Infrastruktur auch ohne Nord Stream genutzt werden kann. Das solle aber nur eine Übergangslösung sein.

Vor allem die nächsten Winter sollen die LNG-Terminals überbrücken helfen. Doch noch ist von den Terminals nichts zu sehen im Industriehafen in Lubmin. Der private Investor ReGas hatte geplant, schon am 1. Dezember 2022 in Betrieb zu gehen. Aber noch ist kein Antrag in der Landeshauptstadt Schwerin für das Projekt eingegangen. Und die Prüfung könnte über das Datum hinaus dauern. Die Firma ist außerdem neu im Energiegeschäft. Die beiden Gesellschafter waren eher für Beratertätigkeiten und Immobilien bekannt.

Wieder einmal steht Lubmin also im Mittelpunkt der Energiefragen Deutschlands. Nord Stream war nicht der erste Energiesektor, der Aufmerksamkeit mit sich brachte, und LNG wird nicht der letzte sein. Wenn man Stefan Barthel zuhört, wird klar: Das ist eine lange Geschichte.

Das stillgelegte Atomkraftwerk

Im Jahr 1967 begann der Bau des Atomkraftwerks, 1974 war es schrittweise fertiggestellt. In diesem Jahr kam auch Stefan Barthel nach Lubmin. Der gebürtige Sachse wuchs in Chemnitz auf, beim Sprechen klingt das „ei“ manchmal eher nach Doppel-e.

Bis 1990 war Stefan Barthel Koordin ator für die Instandhaltung. Um sieben Uhr morgens fing die Normalschicht mit einem Rapport über die Wechselsprechanlage an und endete um 15.30 Uhr mit der Vergabe der Tages- oder Schichtaufgaben. Nach der Wende wurden die aktiven Blöcke eins bis vier des AKWs schrittweise vom Netz genommen. Barthel avancierte bis zu seinem Renteneintritt 2006 zum Abteilungsleiter beim Demontageservice.

Er fährt mit seinem grauen Opel zum Informationszentrum des stillgelegten Atomkraftwerks, zeigt auf die Ecke eines Gebäudes und sagt: „Da wo das Fenster nach außen gekippt ist, da war mein letztes Büro.“ Wenn man ihn fragt, was er vom damaligen Abschalten des AKWs hält, sagt er: „Ich stehe hinter der Entscheidung, dass die Blöcke eins bis vier abgeschaltet wurden. Aber dass die fast fertigen Blöcke fünf und sechs nicht in Betrieb gegangen sind, verstehe ich nicht.“

Quelle        :           TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben      —       Blick nach Ostnordosten über Lubmin, das Kernkraftwerk und Usedom

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Gas – Verschwiegenheit

Erstellt von Redaktion am 16. August 2022

Niemand sagt, wie viel Gas Russland vertraglich liefern müsste

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von        :    Urs P. Gasche /   

Gazprom liefert nur 50 oder 20 Prozent der Leitungskapazität. Wichtig aber ist, wie viel Gas der Westen vertraglich gekauft hat.

Viele Medien gaben sich mit der Information zufrieden, dass Russland beziehungsweise der Staatskonzern Gazprom die Gaslieferungen nach Westeuropa auf 50 und jüngstens sogar auf 20 Prozent «des möglichen Umfangs» gedrosselt habe. Kriterium war stets die maximale Gasmenge, die durch die Gasleitungen transportiert werden könnte (gemessen beispielsweise in kWh/d). Viele Zuschauende und Lesende erhielten den Eindruck, Russland habe sich verpflichtet, stets ein technisches Maximum an Erdgas zu exportieren.

Kaum ein Medium stellte die Frage, ob denn Gazprom vertraglich tatsächlich verpflichtet ist, die maximal mögliche Menge an Erdgas an westliche Abnehmer zu verkaufen.

Das ist nicht der Fall.

Es musste auffallen, dass bis vor kurzem weder die deutsche Regierung noch die grossen deutschen Importeure wie Uniper oder RWE den Vorwurf erhoben, Gazprom oder Russland würden Lieferverträge nicht einhalten. Vertragsverletzungen sind sonst stets ein grosses Thema.

Erstmals am 3. August erwähnte Bundeskanzler Olaf Scholz, vor einer reparierten Turbine stehend, eine «Nichteinhaltung der Lieferverträge», für welche keine technischen Gründe geltend gemacht werden könnten. Etliche Medien ergänzten: «Gazprom hatte die Gas-Lieferungen auf inzwischen nur noch 20 Prozent des möglichen Umfangs reduziert und dies mit der fehlenden Turbine begründet.»

Mit diesem Nachsatz erweckten diese Medien den falschen Eindruck, Gazprom sei verpflichtet, die Pipelines voll auszulasten. Diesen Eindruck hatte offensichtlich auch der WDR, der keinen Unterschied machte zwischen «möglichem Umfang» und vertraglichen Verpflichtungen und von «20 Prozent der vereinbarten Menge» redete.

Effektive Vertragsverletzungen

Gazprom verletzte Verträge, weil es an Polen, Bulgarien, Dänemark, Finnland und Holland kein Gas mehr liefert. In den Verträgen ist die Bezahlung in Euro vereinbart. Doch das vom internationalen Devisenverkehr ausgeschlossene Russland verlangte eine Bezahlung in Rubel, was diese Länder nicht akzeptierten. Das hart sanktionierte Russland setzte seine Gasexporte darauf als politisches Druckmittel ein und verweigerte weitere Lieferungen.

Geheimniskrämerei über die vertraglichen Absicherungen

Kein Unternehmen und kein Land ist verpflichtet, mehr Waren zu liefern als vertraglich vereinbart. Falls es beispielsweise in der Schweiz im nächsten Winter zu einer Stromknappheit kommt, können die Schweizer Stromimporteure von Frankreich nicht fordern, über die vertraglich abgesicherten Importe hinaus einfach so viel Strom zu liefern, wie es die Stromnetze erlauben.

Doch ein solcher Anspruch wird zumindest implizit jetzt bei den Gaslieferungen aus Russland erhoben. Entscheidend ist aber, welche Mengen Gas namentlich die großen deutschen Importeure wie Uniper oder RWE und andere europäische Importeure von der Gazprom für den kommenden Winter vertraglich vereinbart haben.

Noch vor gut zehn Jahren waren langfristige Lieferverträge mit einer Laufzeit von bis zu dreißig Jahren üblich. Beim Auslaufen der einzelnen Verträge wurden sie meist erneuert.

Inzwischen haben viele Lieferverträge nach Angaben von Branchen-Insidern eine Laufzeit von nur noch drei Jahren. Es können ausnahmsweise längere Laufzeiten sein oder öfter auch nur ein Jahr oder nur mehrere Monate. Allerdings bietet Gazprom kurzfristige Lieferungen über die sogenannte Electronic Sales Plattform seit Oktober 2021 nicht mehr an. Alle längerfristigen Verträge können beim Auslaufen von beiden Seiten erneuert oder auch nicht erneuert werden.

In den Verträgen sind üblicherweise tägliche Mindest- und Maximalmengen beispielsweise im Laufe eines Winters vereinbart. Von Tag zu Tag können die Abnehmer daher je nach Bedarf unterschiedliche Mengen beziehen.

Regierungen sollten eigentlich über die vertraglich garantierten Gas-Lieferungen Bescheid wissen

Weil es mehrere grosse Importeure gibt und diese eine unterschiedliche Geschäftspolitik verfolgen, ist es nicht so einfach festzustellen, welche Mengen Gas Gazprom vertraglich nach Westeuropa zu liefern verpflichtet ist.

Eigentlich sollten sich wenigstens die Regierungen einen Überblick darüber verschafft haben. Doch dies ist offensichtlich nicht der Fall. Die privaten Gaskonzerne können – weil systemrelevant – bei Problemen darauf zählen, dass der Staat ihnen hilft: So machte die deutsche Regierung Ende Juli 15 Milliarden Euro locker für Kredite und Kapitalbeteiligungen zugunsten des Energiekonzerns Uniper. Aber wenn es darum geht zu wissen, zu welchen Liefermengen sich Gazprom für den nächsten Winter insgesamt vertraglich verpflichtet hat, fordern weder die Bundesregierung noch der Schweizer Bundesrat Transparenz ein.

Es gelte «höchste Vertraulichkeit», erklärte Andrej Pustisek, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule für Technik in Stuttgart. Von «absoluter Verschwiegenheit» sprach ein Insider eines Schweizer Unternehmens, das mit Gas handelt.

Als auch Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich erklärte, «Russland bricht Verträge», liess er offen, welche Lieferverträge er meinte und ob Gazprom nur zwei Prozent der vereinbarten Mengen nicht liefert oder fünfzig Prozent.

Infosperber fragte die grossen deutschen Gas-Importeure Uniper und RWE, in welchem Ausmass Gazprom vereinbarte Lieferverträge nicht einhält und welche Möglichkeiten offenstehen, um bei Verletzungen der Lieferverträge Schadenersatz zu fordern.

Eine Antwort kam lediglich von RWE: «Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir zu einzelnen Verträgen keine Auskünfte geben können.» Jedenfalls muss Gazprom dem RWE-Konzern viel weniger Gas liefern als ursprünglich vereinbart, denn die RWE-Sprecherin fügte bei: «Zu Beginn des Krieges hatten wir insgesamt 15 Terawattstunden bis 2023 unter Vertrag. Jetzt haben wir unser finanzielles Engagement auf weniger als 4 Terawattstunden reduziert.»

Auf die Rückfrage, ob Gazprom einige Lieferverträge nicht einhielt, blieb eine Antwort aus. Bei Uniper war gar nichts darüber zu erfahren.

Heikle Beweislage bei Vertragsverletzungen

Sollte Gazprom einer Vertragspartnerin weniger Gas liefern als vereinbart, kann ein schwieriger Rechtsstreit entstehenDer Grund des Lieferausfalls wird bei der Feststellung von Haftungsansprüchen eine wichtige Rolle spielen. Lieferausfälle aus «technischen» Gründen werden anders bewertet als Lieferausfälle aus «politischen» oder «ökonomischen» Gründen. Deshalb die heftige Auseinandersetzung darüber, ob nun beispielsweise eine revidierte Turbine tatsächlich wegen der Sanktionen nicht früher geliefert werden konnte oder nicht.

Die Gasproleten sehen richtig bekifft aus ihrer Wäsche

Andererseits war es von der EU-Kommission sehr verwegen, als diese am 8. März 2022 mit ihrem Plan «REPowerEU» vorschlug, alternative Gasquellen so stark zu fördern, dass Ende 2022 nur noch ein Drittel so viel Gas aus Russland importiert werden muss wie Ende 2021. Das könnte zu Vertragsverletzungen der westlichen Importeure führen. Denn entweder haben sich europäische Importeure bis Ende 2022 lediglich einen Drittel der früheren Importe vertraglich zugesichert – was fahrlässig wäre – oder die Importeure würden ihre Abnahmeverpflichtungen nicht einhalten und ihrerseits bestehende Verträge verletzen.

Macht eine Seite eine Vertragsverletzung geltend, sind nach Angaben von Professor Andrej Pustisek in der Regel Schiedsgerichtsverfahren vorgesehen, die langwierig sein können. Seit Beginn der Erdgaslieferungen aus der damaligen Sowjetunion nach Europa in den 1970er Jahren wurden die vertraglichen Verpflichtungen (mit nur wenigen Ausnahmen) von allen Seiten immer erfüllt.

Informationsdefizit auch in der Schweiz

In der Schweiz zeigen sich Regierung und Parlament sehr besorgt darüber, ob im kommenden Winterhalbjahr genügend Gas importiert werden kann. Die Schweiz bezieht das russische Erdgas hauptsächlich aus Deutschland.

Wie viel Gasbezüge aus Deutschland, Frankreich und Holland sich Schweizer Importeure – das sind namentlich der Gasverbund MittellandGaznat und Open Energy Platform – für den nächsten Winter vertraglich gesichert haben, weiss der Verband der Schweizerischen Gasindustrie nicht. Der VSG teilte Infosperber mit: «Als Verband sind uns die direkten oder indirekten Handelspartner der Schweizer Gasversorgungsunternehmen nicht bekannt. Ebenfalls nicht bekannt sind uns die Beschaffungsportfolios.»

Offensichtlich weiss es selbst der Bundesrat nicht. Das Bundesamt für Energie verwies Infosperber an die Gasindustrie. Infosperber hakte nach: «Die grossen Importeure geben über ihre Lieferverträge keine Auskunft. Das Departement für Energie UVEK muss doch über die Gesamtheit der vertraglich bereits vereinbarten Importmengen für das nächste Winterhalbjahr Bescheid wissen.» Eine Antwort blieb aus.

Offensichtlich wissen das Departement und der Bundesrat nicht Bescheid. Denn es ist kein Grund ersichtlich, weshalb das UVEK diese Auskunft nicht erteilen könnte.

«Russland liefert weniger Gas als vereinbart»

Am Samstag, 6. August, verbreiteten die SRF-Nachrichten: «Russland liefert Deutschland weniger Gas als vereinbart». Das tönte so, als ob SRF Kenntnis darüber hat, was denn vereinbart ist. Allerdings präzisierte SRF nicht, ob Gazprom 2 Prozent oder 50 Prozent weniger liefert «als vertraglich vereinbart». Deshalb erkundigte sich Infosperber beim SRF, ob denn die Nachrichten- oder Wirtschaftsredaktion Kenntnis darüber haben, wie viel Gas Gazprom laut Lieferverträgen den grossen Abnehmern in Deutschland liefern müsste, und wie viel weniger Gazprom zurzeit liefere.

Doch Fehlanzeige. Darüber weiss auch SRF nicht Bescheid. Die Nachrichten-Redaktionsleitung schrieb Infosperber: «Diese Aussage hätten wir in dieser Absolutheit so nicht machen sollen. Da die Lieferverträge nicht offengelegt werden, sind auch die Mindestliefermengen nicht bekannt.»

Derweil explodieren die Gewinne grosser Erdgas- und Ölkonzerne

Von den stark gestiegenen Gas- und Ölpreisen, welche ärmeren Bevölkerungsgruppen in vielen Ländern enorm zu schaffen machen, profitieren primär die Produzenten, namentlich grosse Energiekonzerne und deren Aktionäre. Im laufenden Jahr könnten grosse Konzerne ihre Nettoeinnahmen verdoppeln, prophezeit die Internationale Energieagentur. Allein die vier grössten Energiekonzerne könnten 240 Milliarden Dollar Gewinn erzielen, wenn man Quartalsangaben von Bloomberg hochrechnet. Einen grossen Teil davon kassieren die Aktionäre. Shell beispielsweise verwendete 50 Prozent des letzten Quartalgewinns und BP rund 40 Prozent für Ausschüttungen und für Rückkäufe eigener Aktien – was die Kurse der an den Börsen verbleibenden Aktien steigen lässt.

Jede Ankündigung von Regierungen, weitere Öl- oder Gasimporte zu unterbinden oder zu reduzieren, treibt die Preise an den Märkten in die Höhe. Professor Andrej Pustisek befürchtet, dass «die hohen und volatilen Preise der Akzeptanz des Energieträgers Erdgas langfristig immens schaden». Bald werde niemand mehr in diesen Energieträger investieren.

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Kolumne-Wir retten die Welt

Erstellt von Redaktion am 12. August 2022

Ab jetzt wird zurückgetreten

Von Bernhard Pötter

Ist es die Hitze, Dürre und die allgemeine Schlappheit? Das Thema dieses Sommers scheint jedenfalls der Rücktritt zu sein. VW-Chef Herbert Diess gibt das Steuer aus der Hand; der nächste Papst redet davon, nicht erst im Himmel in Rente zu gehen; Birgitte Nyborg, die dänische Außenministerin in der Netflix-Serie „Borgen“, denkt gerade über ihr politisches Ende nach; und RBB-Intendantin Patricia Schlesinger tritt als ARD-Chefin und Senderleiterin zurück.

Vielleicht sollten wir so weitermachen. Es gibt jedenfalls noch eine Menge anderer Leute, auf deren Demission wir dringend warten. Weil sie ihre Arbeit nicht tun, ihr Amt beschädigen, unser Geld verprassen oder uns alle immer tiefer in den Mist reiten.

Wo soll man da anfangen? Vielleicht bei Manuela Schwesig, die als Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern mit Gazprom-Geld eine staatliche „Klimastiftung“ aufgebaut hat, um den dreckigen Nord-Stream-Deal mit einem Verbrecherregime grün anzumalen. Oder bei Andreas Scheuer, der offenbar das Parlament belog, trotz Warnungen 500 Millionen Steuergeld versenkt hat, trotzdem bis zum Ende Verkehrsminister bleiben durfte und weiter im von ihm ausgetricksten Bundestag sitzt. Was ist mit Markus Söder, der Bayern in 18 Jahren klimaneutral sehen will, statt Windrädern aber vor allem heiße Luft produziert? Oder mit so ziemlich allen Landwirtschaftsminister-Innen, unter denen die Höfe und Bauern sterben, die Tiere leiden, die Natur verkümmert und nur die fetten Agrarbetriebe gedeihen? Und schließlich: Könnte nicht endlich auch mal Gerhard Schröder vom Amt als Altkanzler zurücktreten?

Diese Blender, alle längst weg vom Fenster – leben aber von den Steuerzahlern !

Aber auch dann bleibt noch viel zu tun. Die EU-Kommission hat die Gelegenheit zum Rücktritt verpasst, als über Jahre der Emissionshandel floppte und 2010 die EU-Ziele zur Rettung der Biodiversität einfach mal verfehlt und um zehn Jahre gestreckt wurden. Der deutsche Nachhaltigkeitsrat zieht immer wieder eine düstere Bilanz des Regierens und Wirtschaftens – von Rücktritten danach keine Spur. Ähnlich geht es den anderen Öko-Warnern aus all den Kommissionen, Runden Tischen und Sachverständigenräten: Die Probleme werden immer besser bekannt und benannt. Konsequenzen für die (nicht) handelnden Personen: keine.

Quelle       :          TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Oben        —        Abendmahl‘ von Arno Funke

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Neue Grüne Handelspolitik

Erstellt von Redaktion am 10. August 2022

Das Ende der globalen Solidarität?

von Sven Hilbig

Anfang Juni konnte die re:publica, die alljährliche Konferenz zu Netzkultur und -politik in Berlin, mit hohem Besuch aufwarten: Erstmals sprach ein Bundeskanzler auf der Konferenz. Und nur wenige Stunden vor Olaf Scholz‘ Auftritt hielt auf gleicher Bühne der Minister für Digitales, Volker Wissing, seine erste programmatische Rede zur Digitalpolitik. Beide betonten die Freiheit im Netz, die es zu schützen gelte, sowie die zunehmende Gefahr des Missbrauchs durch China, Russland und andere autoritäre Staaten. Auch auf der re:publica war die „Zeitenwende“ also allgegenwärtig.

Programmatisch überraschend war das dennoch nicht: Bereits zu Jahresbeginn hatte die Bundesregierung ihr Programm zur deutschen G 7-Präsidentschaft vorgestellt. Dieses betont die Bedeutung demokratischer Prinzipien und universeller Menschenrechte im digitalen Raum. Ziel der Ampelkoalition sei es, sich bei der Festlegung von Standards und Normen stärker im Rahmen der G 7 zu koordinieren und eine globale digitale Ordnung zu entwickeln.

Doch wer den Anspruch erhebt, eine globale Ordnung für die digitale Sphäre zu entwickeln, sollte jenseits der Belange der G 7 auch die Probleme adressieren, die für die Mehrheit der Weltbevölkerung besonders relevant sind: die digitale Kluft, die Macht der Oligopole sowie die umfassende Ausspähung ihrer Kund*innen (Data-Mining).

3,6 Milliarden Menschen verfügen über keinen Internetanschluss, von denen die meisten in Entwicklungs- und Schwellenländern leben. Zugleich hat die Konzentration von Daten, Macht und Profit bei wenigen Digitalkonzernen – zuletzt aufgrund des pandemiebedingten Digitalisierungsschubs – immer weiter zugenommen. Über die Hälfte der Marktanteile der Plattform-Ökonomie entfallen auf die Big Five des Silicon Valley: Google (Alphabet), Amazon, Facebook (Meta Platforms), Apple und Microsoft. Unternehmen aus Afrika und Lateinamerika kommen zusammen auf weniger als zwei Prozent. Gleichzeitig leidet weltweit keine Region so stark unter Data-Mining, fehlendem Rechtsschutz und digitaler Ausbeutung wie der Globale Süden. Nur knapp die Hälfte der afrikanischen Staaten verfügt über ein Datenschutzgesetz. Beim Verbraucherschutz und der Cybersicherheit bestehen ebenfalls erhebliche rechtliche Defizite[1] – ganz zu schweigen von wettbewerbsrechtlichen Regeln zur Verbesserung der wirtschaftlichen Teilhabe an der Daten-Ökonomie.

Wenn der Bundeskanzler in seiner Rede auf der re:publica also fordert, Europa müsse bei der Digitalisierung souveräner und damit unabhängiger vom Silicon Valley werden, dann blieb dabei offen, was dies für den Globalen Süden bedeutet: Haben nicht auch die Menschen in Indien, Uganda und Ecuador ein Anrecht auf digitale Souveränität? Und entscheiden nun sieben Regierungen darüber, welche Standards und Normen als Grundlage einer globalen Ordnung dienen? Doch damit nicht genug. Denn Scholz‘ Top-down-Ansatz bei der Digitalsierung steht geradezu exemplarisch für die grundsätzlichen handelspolitischen Ziele der Ampelkoalition, die globale Solidarität weitgehend vermissen lassen.

»Europa First« – auch in der Handelspolitik

Nur wenige Wochen vor der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO), die vom 12. bis 17. Juni 2022 in Genf stattfand, präsentierten Wirtschaftsminister Robert Habeck und die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, in der „tageszeitung“ ihre Vorstellungen über die Neugestaltung der europäischen Handelsagenda. Profit soll demnach nicht länger der bestimmende Faktor dafür sein, welche Waren von A nach B transportiert werden. Stattdessen sollen künftig Nachhaltigkeit und Fairness die Fahrtrichtung vorgeben. Europa müsse aus den strukturellen Fehlern der Vergangenheit lernen, so die Forderung, und sich bei Handelsabkommen für mehr Transparenz und die Partizipation der europäischen Zivilgesellschaft und des Europaparlaments sowie für eine grundlegende Reform des Investitionsschutzsystems (ISDS) einsetzen.

Die kurz darauf veröffentlichte „Handelsagenda der Ampelkoalition“ deckt sich weitgehend mit den Vorstellungen der Grünen. Damit ist ihre Kritik am Freihandel erfreulicherweise zur offiziellen Politik der Bundesregierung geronnen. Doch die Vorschläge der Grünen bereiten zugleich einiges Unbehagen. Denn interessant ist nicht nur, was gesagt wird, sondern auch, was nicht gesagt wird – mit anderen Worten: welche Interessen adressiert werden und welche nicht.

Denn während in der vorgestellten Handelsagenda viel von Deutschland und Europa die Rede ist, finden die Anliegen der Gesellschaften des Globalen Südens abermals keine Beachtung; Entwicklungsländer werden nur zweimal erwähnt. Aber globale Handelsregeln, die deren Interessen nicht respektieren, können nicht fair sein. Kurzum: Das Papier passt gut in den gegenwärtigen Zeitgeist: „Europa First!“

Wir wollen unsere Atompilze wiederhaben ! Welche politische Aussagen wurden von der Politik nicht gebrochen ?

Ebendiese Form der EU-Handelspolitik steht seit langem in der Kritik. Bemängelt werden sowohl das Agieren der EU bei WTO-Verhandlungen als auch die Ausgestaltung der bilateralen Abkommen. Gerade diese Abkommen führen dazu, dass in Afrika, Südamerika und Südostasien regelmäßig einheimische Produzent*innen, vom kleinbäuerlichen Familienbetrieb bis zum mittelständischen Unternehmen, verdrängt werden. Die Folgen sind der Verlust von Arbeitsplätzen und damit Armut und Hunger.

Die WTO erlaubt der EU auch weiterhin, mit Milliarden Euro ihre Landwirtschaft zu subventionieren. Zugleich wird Indien nur in Ausnahmefällen das Recht eingeräumt, von Bäuer*innen Weizen aufzukaufen, um ihn in Armutsprogrammen zu verteilen. Die asymmetrischen Machtpositionen erlauben es der EU somit, Verträge zum Nachteil der Ökonomien der Entwicklungsländer durchzusetzen. In einem multilateralen Handelssystem, in dem Entscheidungen einstimmig fallen müssen, könnten die Entwicklungsländer ihre Interessen hingegen weitaus besser vertreten, da sie eine gemeinsame Verhandlungsmacht aufbauen könnten.

Tatsächlich fordert Wirtschaftsminister Habeck von der EU ein noch „mutigeres“, zur Not auch unilaterales Voranschreiten in der Handelspolitik, vorzugsweise im transatlantischen Bündnis. Dieser Ansatz ist nicht neu. Bereits die am Ende gescheiterten Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sollten den USA und der EU als Blaupause für die Handelspolitik des 21. Jahrhunderts dienen. Originär an Habecks Vorschlag ist lediglich, dass sich die Grünen ihn zu eigen machen. Der Versuch, außerhalb der WTO globale Standards zu setzen, hat dabei eine geopolitische Stoßrichtung: gegen China.

Quelle        :         Blätter-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben      —     Wahlkampfhöhepunkt Düsseldorf, 2021.09.24

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KOLUMNE * ERNSTHAFT ?

Erstellt von Redaktion am 7. August 2022

Eine Schulddebatte? Bitte schön

Von Ulrike Winkelmann

Wir hatten diese Woche kein Warmwasser. Grund war ein spät entdeckter Rohrbruch, durch den die Gastherme kaputtging. Ärgerlich – aber nun denn, auch ein kleiner Testlauf für den Winter, dachte ich. Wie man sich halt die Dinge immer so schön- beziehungsweise warm redet.

Oder, um den damaligen Chef des Energieunternehmens Wintershall, Rainer Seele, zu zitieren: „Wir produzieren gemeinsam, wir investieren gemeinsam, und wir lernen gemeinsam.“ Er sprach von Gazprom, und zwar 2014, als Russland gerade die Krim besetzte. Die EU überlegte, welche Sanktionen sie gegen Russland verhängen würde, was Seele verhindern wollte. Denn bei der BASF-Tochter Wintershall war man just dabei, seine Öl- und Gasgeschäfte noch enger mit Gazprom zu verschränken.

Der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte Verständnis und fand auch, dass Gas und Öl bei den Sanktionen keine Rolle spielen sollten. Wenig später unterschrieb Gabriel eine staatliche Milliardenbürgschaft, damit Wintershall den mittlerweile berühmt gewordenen Gasspeicher in Rehden, den größten Europas, mit Gazprom gegen Gasfelder in Sibirien tauschen konnte.

So hat es vor wenigen Tagen das Fernsehmagazin „Monitor“ noch einmal wunderbar herausgearbeitet, samt Bild von Gabriels handschriftlichem Vermerk „Ich unterstütze den Antrag“. Aktuell verdient Wintershall – das heute als Wintershall Dea immer noch zu rund drei Vierteln BASF gehört, den Rest hat ein russischer Oligarch – sehr gut mit westsibirischem Gas. Denn, Sie erinnern sich, Gas wird derzeit ausgesprochen teuer verkauft.

Wenn Sie all dies längst wissen, entschuldigen Sie bitte. Mir erschien es zuletzt so, als sprächen wir zu wenig darüber, wie und von wem wir in diese ganze krasse Lage gebracht wurden.

Ulrike Winkelmann - Zukunft des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks (34715387826).jpg

Es reicht halt nicht zu sagen: „Klar ging es da um wirtschaftliche Interessen, ist doch immer so, aber wir haben ja alle profitiert“ – und dann twittern alle weiter ganz aufgeregt über irgendeine unwichtige Einlassung von Sahra Wagenknecht. Es haben eben nicht alle profitiert. Es geht immer um kurzfristige und langfristige Gewinne – oder eben auch Verluste, und siehe da, Stand heute ist beides wieder einmal höchst ungleich verteilt. Außerdem sind Schuldfragen in der Wirtschaftspolitik wichtig. Alles aufs „System“ zu schieben, hilft niemandem außer den AktionärInnen von BASF.

Ich halte es für spektakulär, dass BASF-Chef Martin Brudermüller es wagt, sich seit Kriegsbeginn in Gasdingen als Schutzpatron der deutschen Volkswirtschaft aufzuspielen, nachdem BASF und Wintershall erkennbar die Treiber hinter dem Wahnsinnskonzept waren, die deutsche Energieversorgung von Wladimir Putin abhängig zu machen.

Quelle        :      TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Protest mit einer versuchten Blockade und anschließenden Demonstration im Rahmen der Aktion WintershallMustFall gegen den Gaskonzern Wintershall Dea vor dessen Büro in Berlin am 11. Dezember 2020.

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Energie aus Marokko ?

Erstellt von Redaktion am 5. August 2022

Grün muss souverän sein

Français : Mohammed VI avec George W. Bush. Englisch: Mohammed VI zusammen mit George W. Bush.

Waren nicht die Könige und Kaiser dieser Erde Hauptverantwortlich am Sklaventum, und derer Haltung beteiligt? 

Von Jonas Junack

Marokko verspricht sich vom Export klimaneutraler Energieträger nach Europa Wohlstand. Dabei darf das Land nicht zur Energiekolonie werden.

Die Ära des Kolonialismus ist vorbei!“, rief der marokkanische König Mohammed VI. in seiner Eröffnungsrede der UN-Klimakonferenz 2016 in Marrakesch. Hintergrund der königlichen Euphorie waren die sogenannten Freiheitsenergien, wie Christian Lindner klimaneutrale Energiequellen Jahre später taufen sollte. Der marokkanische König nahm den Begriff schon damals wörtlich. Basis der neuen Unabhängigkeit Marokkos sollte seine Rolle als Top-Exporteur von erneuerbaren Energien werden. Vor allem für Europa.

Schon früh hatten der Monarch und seine Berater erkannt, dass der Wüstenstaat mit seinen hohen Windstärken und den zahlreichen Sonnenstunden ideale Voraussetzungen zur regenerativen Energiegewinnung bietet. Bereits 2009 hatten sie mit der nationalen Energiestrategie die Ära der Erneuerbaren eingeläutet. Mit Blick auf den Meereszugang, die Nähe zum europäischen Kontinent und Löhne in den relevanten Bereichen Transport, Dienstleistungen und Baugewerbe zwischen 360 und 570 Euro im Monat wird klar, weshalb heute auch Deutschland und die EU im Maghrebstaat einen günstigen Energieproduzenten erkennen.

Im Jahr 2020 gipfelte schließlich die Vorfreude des marokkanischen Königs auf eine Zukunft als grüne Energiemacht. Die Bundesregierung und das marokkanische Königshaus beschlossen die „deutsch-marokkanische Kooperation zur Produktion von grünem Wasserstoff“. Bis zu 2 Milliarden Euro will Deutschland im Zuge seiner nationalen Wasserstoffstrategie investieren, um im Gegenzug große Mengen grünen Wasserstoffs aus seinen Partnerstaaten zu importieren. Dieser stellt als Speichermedium und Energieträger ein wichtiges Standbein der EU-Klimaneutralitätsziele für das Jahr 2050 dar. In der Herstellung werden jedoch große Mengen an Solar- oder Windenergie und Wasser benötigt. Zwar wackelte die Energiekooperation der beiden Staaten bereits, weil sich die Bundesregierung kritisch zur marokkanischen Besetzung der Westsahara positionierte, doch die deutschen Bedenken scheinen im Zuge der Energiekrise in den Hintergrund gerückt zu sein.

Es hat etwas Zynisches, dass Sonne und Wind, also eben jene Kräfte, die Marokko als Produktionsstandort für Europas Erneuerbare attraktiv machen, am Rande der Sahara immer häufiger für Wassermangel und Dürreperioden sorgen. Franziska Fabritius von dem Ableger der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rabat verweist darauf, dass schon heute Marokkaner nunmehr unbewohnbare Landstriche verlassen müssen. Damit trotz des Trinkwassermangels genug Süßwasser für die Wasserstoffproduktion zur Verfügung steht, entstehen nun Entsalzungsanlagen entlang der Mittelmeerküste. Das Fraunhofer Institut kritisiert jedoch, dass diese „neben einem hohen Energieaufwand und CO2-Emissionen auch große Mengen an Rückständen“ entstehen lassen.

Auch die Sozialwissenschaftlerin Simone Claar hat Bedenken. An der Universität Kassel forscht sie zu der Frage, wie die „klimapolitische Kluft zwischen Nord- und Südakteuren überwunden werden kann“. Sie treibt die Sorge um, dass Marokko zu einer Energiekolonie Europas wird. Wie Bauke Baumann, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Rabat, erklärt, kritisieren auch marokkanische Zivilorganisationen die staatliche Energiepolitik, weil Megakraftwerke ohne Einbeziehung der lokalen Bevölkerung geplant würden, vor Ort kaum Jobs schafften und große Flächen Land unbenutzbar machten.

Die Befürchtung, dass ein Transfer von Wissen und Technologie ausbleibt und sich die Abhängigkeit Marokkos von den Industrienationen des Globalen Nordens nicht etwa verringert, sondern gar wächst, ist nicht aus der Luft gegriffen. Obwohl das marokkanische Energieministerium als Betreiber immer noch nahezu Monopolist am marokkanischen Energiemarkt ist, stammen Infrastruktur und Technologie fast ausschließlich aus dem Ausland. So zeigt eine Zielmarktanalyse der Deutschen Industrie- und Handelskammer aus dem Jahr 2018, dass acht von zwölf marokkanischen Windparks mit Technik von deutschen Unternehmen wie Enercon, Siemens und seinen Tochterfirmen betrieben werden. Kein einziger von einem marokkanischen Unternehmen.

Quelle          :            TAZ-online          >>>>>       weiterlesen

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Oben     —   Mohammed VI. avec George W. Bush.Englisch: Mohammed VI. zusammen mit George W. Bush.

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Der politische Klimaskandal

Erstellt von Redaktion am 29. Juli 2022

Wir sind nicht vorbereitet

Alle politischen Versager auf einen Blick

Von Yamide Dagnet

Auf der internationalen Bühne spielt die Klimakatastrophe zurzeit nur eine Nebenrolle. Das muss sich ändern: Die Industrienationen sind gefragt.

Von der Coronapandemie über Russlands Krieg in der Ukraine hin zu einer beispiellosen Inflation und drohenden Hungerkatastrophe: Je mehr Krisen auftauchen und die Verantwortlichen in Politik und Medien auf Trab halten, desto stärker rückt das Thema Klimaschutz auf der internationalen Agenda in den Hintergrund. Selbst eingeschworene Klimaaktivisten stehen nun vor der Frage, wie sie weiterhin überzeugend auf die dringend notwendigen Maßnahmen für einen gerechten Umstieg auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft pochen können.

Doch auch wenn Schlagzeilen regelmäßig wechseln und immer neue Krisen erschütternd sind – das Klima sollte nicht auf die lange Bank geschoben werden. Die Klimakrise ist ein Dauerzustand; sie verschärft sich rasant und erfasst alle Bereiche unseres wirtschaftlichen und so­zia­len Lebens. Und aus eben diesem Grund sollten wir die aktuelle Reihe globaler Krisen unter dem Aspekt des Klimas betrachten.

Der Glasgower Klimapakt liegt mittlerweile praktisch am Boden, und es ist klar, dass etwas geschehen muss. Ende Juni hätte der G7-Gipfel in Deutschland eine hervorragende Chance geboten, den Kampf gegen die Klimakatastrophe wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Doch auch hier versagten die weltgrößten Emissionsländer. Sie gaben eine vage Erklärung ab, in der sie versprachen, „zusammenzuarbeiten, um einen sauberen und gerechten Übergang zur Klimaneutralität zu beschleunigen und gleichzeitig die Energiesicherheit zu gewährleisten“.

Tatsächlich aber haben sie sich für den einfachen Weg entschieden, indem sie die Klima­resi­lienz auf die lange Bank schoben und der kurzfristigen Sorge um steigende Ölpreise den Vorrang gaben. Das Resultat liegt auf der Hand: ein Ausbau fossiler Brennstoffe, der steigende Emissionen in den wohlhabenden Staaten und prekäre Verhältnisse in armen Ländern nach sich zieht. Damit nehmen die G7-Staaten in Kauf, dass sich die Lebensumstände all jener verschlechtern, die den Klimarisiken am stärksten ausgesetzt sind – und das nur wenige Monate vor der nächsten UN-Klimakonferenz im ägyptischen Scharm al-Scheich (COP27) im November.

Unsere Verantwortlichen in der Politik dürfen nicht den Kopf in den Sand stecken. Wenn wir die globalen Treibhausgasemissionen nicht jetzt deutlich reduzieren, werden wir nie in der Lage sein, dieses Ziel zu erreichen. Die Dringlichkeit, die in den jüngsten Berichten des Weltklimarats zum Ausdruck kommt, verdeutlicht die Notwendigkeit sofortigen Handelns. Jeden Tag sehen wir in den Nachrichten, wie die Klimakrise die Lebenssituation einiger der am meisten gefährdeten Gemeinschaften der Welt zusehends verschlechtert. Diese Menschen tragen kaum Verantwortung für die Erderhitzung.

Als im April schwere Überschwemmungen und Erdrutsche in Südafrika zum Tod von mindestens 443 Menschen und Vertreibung von mehr als 40.000 führten, erwähnten viele internationale Medien nicht einmal das Wort „Klimawandel“. Derartige Naturkatastrophen ereignen sich indes nicht nur in weit entfernten Ländern. In Deutschland und Belgien richteten im vergangenen Jahr Überschwemmungen verheerende Schäden an, bei denen mindestens 180 Menschen ums Leben kamen; ganze Ortschaften wurden überflutet, Bahngleise weggeschwemmt. In den kommenden Jahren werden wir vermehrt und in beschleunigtem Tempo mit solchen Katastrophen konfrontiert werden – und wir sind überhaupt nicht darauf vorbereitet.

Aktuell stellen wir jedoch fest, dass viele Länder ihren Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung nicht nachkommen – insbesondere diejenigen, von denen man eine Vorreiterrolle erwartet hatte. Laut UN-Generalsekretär António Guterres lügen einige dieser Länder schlichtweg, wenn es darum geht, die angestrebte Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius einzuhalten. Auch das Finanzpaket der G7 greift zu kurz und kommt zu spät, zumal die angekündigten Finanzierungsquellen nicht wirklich als neu zu bezeichnen sind. Solche widersprüchlichen Verhaltensweisen untergraben das Vertrauen und schwächen die zukunftsweisenden Bündnisse zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.

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Oben     —     Gruppenfoto vom 26. Juni 2022

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Blut, Schweiß und Tränen

Erstellt von Redaktion am 28. Juli 2022

Die Durchhalteparolen der Regierung in der „Gaskrise“ wirken hilflos

Wer wollte nur billig und sparen – es waren Freunde von Putin die das taten.

Von Thomas Gesterkamp

Es offenbaren sich soziale Verwerfungen und die Grenzen politischer Moral. In Kriegszeiten werden Satu­riertheit und Bequemlichkeit angeprangert, Weicheier und Warmduscher abgewatscht.

Der Wirtschaftsminister rät, kürzer und weniger zu duschen. Der größte Wohnungskonzern des Landes will die Nachttemperatur absenken, ein anderes Unternehmen stellt den Mietern stundenweise das Heißwasser ab. Kommunen sparen bei den Bädern, und planen für die Zukunft öffentliche „Aufwärmräume“. Eltern sollen ihren Kindern klarmachen, dass demnächst nicht mehr alle Zimmer warm sein können. Der Herbst, so der einhellige Tenor, werde schlimm – und zudem gibt es immer noch eine Pandemie. Kontaktverbote und sogar zugesperrte Schulen sind wieder im Gespräch, werden zumindest „nicht ausgeschlossen“. Die scheinbar alternativlose Kernbotschaft für den Winter lautet überspitzt: Ihr sollt wegen Corona zu Hause bleiben, aber bitte nicht heizen!

Robert Habeck wirbt rhetorisch geschickt für Verständnis, wie ein Neo-Churchill verlangt er „blood, sweat and tears“ in Sachen Energie. Das fügsame Befolgen von Durchhalteappellen wurde in der Pandemie hinreichend verinnerlicht. Die Politik tut das Richtige für euch, wir müssen jetzt alle zusammenstehen! Enorm steigende Wohnkosten oder rationiertes Mehl müsst ihr ertragen – zugunsten der Verteidigung unserer Werte in der Ukraine.

In Zeiten des Krieges werden Saturiertheit und Bequemlichkeit angeprangert, Drückeberger, Weicheier und Warmduscher abgewatscht. Man verfolgt höhere Ziele, preist die Tugend der Genügsamkeit. Wohlstandsverluste sollen klaglos erduldet werden, alle ihr Scherflein beitragen. Christian Lindner fordert mehr Überstunden, Frank-Walter Steinmeier einen Pflichtdienst: dem Staate dienen, am besten beim Militär, sonst wenigstens ein soziales Engagement.

Wie bei Corona wird die Wirtschaft geschont, der Einzelne soll es richten. So privatisiert man die Folgen einer Sanktionspolitik, die auch den Sanktionierenden schadet. Von der Regierung (mit)verursachte Probleme werden den Regierten in die Schuhe geschoben. Die Summe der Zumutungen fördert den Populismus, gefährdet Freiheit und Demokratie. Längst hat die rechte AfD das Wort „Moralpolitik“ für sich entdeckt, entwickelt einen neuen Kampfbegriff – der Kritik von links an deren Inhalten schwieriger macht.

Im Gegensatz zum liberalen Koalitionspartner orientieren sich SPD und Grüne weniger am Individuum als am großen Ganzen. Schon in der Coronakrise misstrauten sie der persönlichen Eigenverantwortung, die etwa die Pandemiepolitik in Schweden leitete. Doch die dringlich eingeforderte Solidarität muss man sich leisten können.

Banknoten der Euro-Serie (2019).jpg

300 Euro Blutgeld schiebt uns die Regierung in die Tasche schieben ?

Rund die Hälfte der deutschen Haushalte heizt mit Gas. Nach den Sommerferien werden die Briefe der Energieversorger keine Verdoppelung, eher eine Verfünffachung oder gar Verzehnfachung des Preises ankündigen, laut düsteren Prognosen. Das von der Regierung zugesagte „Energiegeld“ von einmalig 300 Euro (das auch noch versteuert werden muss) ist der hilflose und völlig unzureichende Versuch einer Kompensation.

Inflation ist das wichtigste (innenpolitische) Thema der nächsten Jahre. Die AfD orientiert sich am französischen Vorbild, Marine Le Pen bestritt ihren Wahlkampf vorwiegend mit der Skandalisierung steigender Preise. Die Massenproteste im globalen Süden, aktuell etwa in Sri Lanka, entzünden sich nicht zufällig am Thema Grundnahrungsmittel. Wie viel für Getreide, Reis oder Brot ausgegeben werden muss, war historisch schon immer der wichtigste Anlass für Aufstände.

Die oft gut verdienende und sorgenfrei lebende grüne Klientel kann sich hohe Energiepreise leisten. Manche ihrer politischen Ver­tre­te­r:in­nen sind sich der gesellschaftlichen Verwerfungen durchaus bewusst; anderen fehlt, wie in oder Pandemie, die Sensibilität für die sozialen Folgen ihrer Politik. Beim Ausstieg aus Stein- und Braunkohle waren die Arbeitsplätze der Kumpel nebensächlich, eine wachsende Abhängigkeit vom Gas wurde in Kauf genommen. Nun soll die Landwirtschaft einen Teil ihrer Flächen nicht mehr beackern dürfen, wegen des Insektensterbens – mitten in einer eskalierenden Hungerkrise im globalen Süden, die zugleich beklagt wird.

Quelle          :        TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —   Zeremonie zur Eröffnung des Benzins Nord Stream. Unter anderem Angela Merkel und Dmitri Medwedew

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Wie die Fliege im Netz:

Erstellt von Redaktion am 17. Juli 2022

Europa und die russische Atomindustrie

Von Dagmar Röhrlich

Inzwischen weiß jeder, wie abhängig Deutschland und Europa von russischem Gas sind – oder auch von russischem Öl oder russischer Kohle. Doch bei Uran denkt kaum jemand über die Herkunft nach. Das allerdings ist ein gravierender Fehler. Denn die Europäische Union bezieht rund 40 Prozent ihres Kernbrennstoffs von Russland und dem eng mit ihm verbündeten Kasachstan, wie Analysen der Nuclear Free Future Foundation und des Bundes für Naturschutz Deutschland sowie des österreichischen Umweltbundesamts darlegen.[1] Obwohl Russland selbst in der Liste der größten Produzenten von Rohuran nur unter „ferner liefen“ auftaucht, kontrolliert es neben den eigenen Minen auch rund ein Fünftel der – weltweit größten – kasachischen Uranproduktion, was das Land auf Platz zwei der Liste katapultiert, stellen die Autoren einer Studie des Columbia University Center on Global Energy Policy fest.[2] Europa, so zeigt sich, ist bei der Atomenergie stark auf Russland und dessen engste Verbündete angewiesen.

„Wir sind bei den Kernkraftwerken und bei der Nukleartechnologie eigentlich noch stärker abhängig von Russland als bei Gas oder bei Öl“, urteilt Anke Herold, wissenschaftliche Geschäftsführerin des Öko-Instituts.[3] Das ist auch der Grund, weshalb dieser Sektor bei den EU-Sanktionen gegen Russlands Energiewirtschaft ausgenommen wurde. „Das Ausmaß der Abhängigkeit zeigt sich darin, dass es fünf Tage nach Beginn der Invasion eine Sondergenehmigung für ein russisches Flugzeug gab, das Atombrennstoff in die Slowakei brachte“, erklärt der in Paris ansässige unabhängige Energie- und Atompolitikanalyst Mycle Schneider.[4] Und so fehlte die Atomsparte selbst im sechsten Sanktionspaket – obwohl das Europaparlament in seiner Resolution zu Sanktionsforderungen eindeutig den Atomsektor mit eingeschlossen hat und trotz eines Vorstoßes des deutschen EU-Botschafters, der allerdings nur von Österreich unterstützt wurde.[5]

Es geht dabei nicht nur um Rohuran, das sich relativ leicht aus anderen Lieferländern beziehen ließe. Viel gravierender ist, dass Russland auch bei der Aufbereitung und Anreicherung von Uran und der Fertigung von Brennelementen führend ist – und hinzu kommen etliche andere Verflechtungen und Abhängigkeiten. So hat niemand mehr Reaktoren errichtet: Von den insgesamt 439 Kernkraftreaktoren, die bei Abschluss der Columbia-Studie in Betrieb waren, stammen 80 aus russischer Produktion, 38 davon liefen in Russland selbst und 42 in anderen Ländern. Allein in der Ukraine gibt es aus Sowjetzeiten noch 15 russische WWER-Anlagen.[6] Solche Reaktoren liefern auch Strom in Indien, Armenien, Bulgarien, der Tschechischen Republik, Finnland, Ungarn und der Slowakei. Und dann sind da vor allem die geplanten oder noch im Bau befindlichen Anlagen in Bangladesch und Indien, in Ungarn, der Slowakei, der Türkei, China, dem Iran und Ägypten.[7] Mit 18 Projekten realisierte Russland vor der Invasion in die Ukraine mehr als ein Drittel aller Neubauten weltweit. Man ist führend beim Bau von AKW in Schwellen- und Entwicklungsländern und der größte Nuklearlieferant für China.[8]

Die Übermacht des Staatskonzerns Rosatom

Es ist ein dichtes Netzwerk, das da über die vergangenen Jahre entstanden ist. Im Zentrum steht der russische Staatskonzern Rosatom, der im internationalen Uran- und Nukleargeschäft eine Spitzenposition innehat. Er ist 2007 vom damaligen und heutigen Präsidenten Wladimir Putin per Gesetz gegründet worden. Derzeit gehören ihm mehr als 350 Unternehmen an, einige sind im Bereich erneuerbarer Energien, die meisten aber im zivilen und militärischen Nuklearsektor tätig: vom Uranbergbau über die Brennstoffproduktion bis hin zu Bau und Betrieb von Kernkraftwerken ist alles vertreten.

Die Abhängigkeit des zivilen europäischen Nuklearsektors ist vielleicht bei den 18 Sowjetreaktoren, die in der EU laufen, am augenfälligsten. Bulgarien, die Slowakei, die Tschechische Republik und Ungarn betreiben zusammen 16 Reaktoren russischer Bauart mit entsprechendem Bedarf für Brennelemente“, erklärt Mycle Schneider. In der Stromerzeugung jener Länder spielen diese Anlagen eine dominierende Rolle. Dazu kommen noch zwei WWER-Anlagen in Finnland. Insgesamt stehen diese AKW für zehn Prozent der europäischen Bruttostromkapazität.[9]

Zwar hat die US-amerikanische Westinghouse Electric Company für modernere Anlagen vom Typ WWER-1000 eine Lösung gefunden, so dass im April dieses Jahres der tschechische Energieversorger CˇEZ mit dem US-Unternehmen und dem französischen Nuklearkonzern Framatome einen langfristigen Liefervertrag über Kernbrennstoffe für diese Kraftwerke am Standort Temelín unterzeichnete. Dort waren die neuen Brennelemente seit 2018 getestet und ihr Einsatz von der Atomaufsicht genehmigt worden.[10] Doch bei den 16 älteren Anlagen vom Typ WWER-440 hängen die Betreiber von Lieferungen der Rosatom-Tochter TWEL ab. Das gilt für die vier Reaktorblöcke im tschechischen Dukovany, vier weitere im slowakischen Bohunice und Mochovce, vier im ungarischen Paks, für den Reaktor im slowenischen Krško, zwei Blöcke im bulgarischen Kosloduj und die beiden im finnischen Loviisa. Die Euratom-Versorgungsagentur ESA beurteilt diese Abhängigkeit schon seit langem kritisch und sieht darin eine „signifikante Verwundbarkeit“.[11]

Die Brennelemente sind jedoch nur ein Glied in der Kette. Selbst wenn bei Westinghouse die derzeit laufenden Entwicklungen für die alten WWER-440-Anlagen erfolgreich abgeschlossen und alle Lieferverträge mit TWEL ausgelaufen sein werden, bedeutet das nicht, dass Russland seine zentrale Position verlöre. Denn die Betreiber der WWER-Kraftwerke müssen bei Instandhaltung, Materialprüfung oder Ersatzteilen mit dem Rosatom-Firmenkonglomerat kooperieren. Ersatzteile anderer Unternehmen können schon deshalb nicht eingebaut werden, weil atomrechtliche Genehmigungsverfahren Jahre dauern. Und dann sind da noch Haftungsfragen, die sich bei Störungen stellen, sobald westliche Firmen Arbeiten in den Reaktoren sowjetischer Bauart übernehmen. Mehr noch: „Rosatom hat sich in der Vergangenheit immer bemüht, Komplettpakete anzubieten“, so Anke Herold vom Öko-Institut. „So betreibt der Konzern Kernkraftwerke in der Slowakei. Da ist die Abhängigkeit natürlich deutlich größer, als wenn man ‚nur‘ die Brennelemente aus Russland bezieht.“

Einfluss bis tief in den westeuropäischen Nuklearsektor

Doch Russlands Einfluss reicht auch tief in den westeuropäischen Nuklearsektor hinein. Frankreich unterhält enge Beziehungen mit russischen Nuklearkonzernen. Das französische Unternehmen Areva beispielsweise kooperiert für die Produktion von Brennelementen für westeuropäische Anlagen mit dem russischen Konzern TWEL. Drei westeuropäische Reaktoren sollen mit Brennelementen aus dieser Zusammenarbeit versorgt werden.[12] Noch im Dezember 2021 hat zudem Framatome ein strategisches Kooperationsabkommen mit Rosatom unterzeichnet.[13] Es liegt derzeit allerdings auf Eis. Auch beim Neubau gibt es intensive Verflechtungen zwischen Rosatom und Unternehmen aus Frankreich, Deutschland, Tschechien oder Ungarn, etwa bei den Projekten Akkuyu in der Türkei, El Daaba in Ägypten oder auch Leningrad II in Russland.[14]

Wohl nur zufällig gescheitert ist der Plan von Framatome und TWEL, in einem Gemeinschaftsunternehmen im niedersächsischen Lingen Brennelemente zu produzieren. Die EU-Kommission hatte dem Kaufvertrag für die Brennelementefabrik bereits zugestimmt. Auch das Bundeskartellamt hatte den Einstieg der Russen genehmigt, doch dann lag dieser beim Wirtschaftsministerium, ohne dass entschieden wurde. Mit Kriegsbeginn zog Rosatom den Antrag zurück.

Quelle      :          Blätter-online        >>>>>         weiterlesen

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Kohle aus Kolumbien

Erstellt von Redaktion am 15. Juli 2022

Kohle aus Kolumbien für die EU – Mine bedroht indigene Dörfer

Cerrejón mine.JPG

Quelle      :        INFOsperber CH.

Susanne Aigner /   

Gigantische Steinkohlemine schädigt die Natur, verursacht Krankheiten und vertreibt die Einheimischen.

Vor rund 40 Jahren begann der multinationale Konzern Glencore mit Sitz in Baar (CH) im Norden Kolumbiens Kohle abzubauen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wuchs die Mine, die von Anwohnern oft auch als «Monster» bezeichnet wird, zu einer gigantischen Kraterlandschaft heran. Inzwischen gilt die Mine, die immer noch von Glencore kontrolliert wird, als grösste Steinkohlemine in Lateinamerika.

In La Guajira gehören etwa 44 Prozent der Bevölkerung zum indigenen Volk der Wayuú.

Seit die Mine existiert, leiden die Indigenen und Afrokolumbianer, die in Dörfern rund um die Mine leben, unter Atemwegserkrankungen und massiven Hautausschlägen. Bagger und Maschinen fressen sich immer weiter ins Land hinein und nähern sich den indigenen Siedlungen. Feinstaub- und Quecksilberemissionen führen zu Krankheiten, sind die Anwohner überzeugt. Vor allem nach den Explosionen ist die Luft angereichert mit Staub, der bei Regen auf die Blätter der Bäume fällt.

Seit Jahren dokumentiert etwa Misael Socarras Ipuana, der mit seiner Familie hier lebt, die über Dörfer hinweg wehenden Staubwolken. Auf den Arm seiner fünfjährigen Tochter sind zahlreiche offenen Wunden zu sehen, ausgelöst durch den Kohlestaub, wie er sagt.

Auch Luz Ángela Uriana ist überzeugt, dass der aufgewirbelte Kohlestaub die Ursache für die Erkrankung ihres Sohnes war, der im Alter von acht Monaten unter Fieber und Atemnot litt. Damals haben die Erschütterungen der Maschinen Risse in den Wänden ihres einstigen Hauses in der Indigenen-Siedlung Provincial verursacht, bis es zusammenbrach.

Rund um die Mine wird immer mehr Natur zerstört. Mehr als ein Dutzend Wasserläufe seien für den Tagebau bereits verlegt oder zerstört worden, erklärt Stephan Suhner von der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ASK). Um an die darunter liegende Kohle zu kommen, leitete das Unternehmen den Arroyo Bruno, einen der wichtigsten Flussläufe der Region, über knapp vier Kilometer um. Seither hat sich die Wasserknappheit vor Ort massiv verschärft. Das zwingt die Anwohner indirekt umzusiedeln.

Mehrere Attentate überlebt

Um die Staubentwicklung zu reduzieren, besprenkele man die Halden mit Wasser, welches zur menschlichen Nutzung ungeeignet sei, behauptet Glencore. Dieses Wasser sei früher sauber gewesen, sagen die Einheimischen. Es gehe nicht nur um ökologische Aspekte, ergänzt Rosa Maria Mateus Parra. Die Anwältin gehört zum kolumbianischen Anwaltskollektiv CAJAR, das die Wayuú unterstützt. In den Flüssen lebe eine der höchsten Gottheiten der Wayúu. Sei der Fluss nicht mehr da, könne die Göttin nicht mehr angerufen werden.

Der immense Wasserverbrauch ist das eine Problem, ein anderes sind die massiven Verschmutzungen. Misael Socarras trägt eine schusssichere Weste, wenn er zum Fluss hinunter geht, in dem er als Kind badete, um dessen Verschmutzungen zu dokumentieren. Dank der Weste überlebte er bereits vier Attentate.

Auch die Aktivistin Ángela Uriana riskiert im Kampf gegen Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen ihr Leben und das ihrer Familie: So fuhren am Abend des 21. Mai 2022 Männer auf Motorrädern bis vor ihr Haus, in dem sie mit ihrem Mann und acht Kindern lebt, und feuerten Schüsse auf das Dach ab. Zum Glück wurde niemand verletzt. Der Minenbetreiber distanzierte sich von dem Anschlag.

Investoren klagen, um eigene Interessen durchzusetzen

Als die Menschen in La Guajira vor einigen Jahren vor dem kolumbianischen Verfassungsgericht klagten, bekamen sie zunächst Recht. Der Fluss müsse in sein ursprüngliches Flussbett zurückgeleitet werden, entschied das Gericht 2017 und begründete dies mit ungeklärten Auswirkungen auf das Klima und die Gesundheit, aber auch mit durch die Verfassung geschützten kulturellen Rechten der indigenen Anwohner. Unternehmen, Behörden und Anwohner sollten eine gemeinsame Lösung finden. El Cerrejón wurde verpflichtet, Übergangsmassnahmen zu ergreifen, um die Gefahr von Umwelt- und Gesundheitsschäden für die Wayuú-Gemeinde Provinzial zu verhindern.

Seither sei wenig passiert, berichtet Luz Ángela Uriana. Stattdessen kämen Vertreter der Mine in die Siedlungen, um nachzufragen, zu welchen Zeiten sie die Sprengungen machen könnten. Entgegen eigenen Behauptungen wurde der Fluss noch immer nicht zurückgeleitet. Trotz allem gibt es unter den Anwohnern auch Befürworter. In einer der ärmsten Regionen Kolumbiens sei El Cerrejón ein wichtiger Arbeitgeber, sagen sie. Viele Dörfer und Geschäfte existierten nur dank der Mine.

Bereits vor dem Urteil wurden die Indigenen massiv unter Druck gesetzt. So drohte der Präsident der Mine mit dem Verlust tausender Arbeitsplätze für den Fall, dass die Mine geschlossen werde. Im Mai 2021 schliesslich verklagte Glencore den kolumbianischen Staat – zum dritten Mal in Folge. Grundlage ist ein Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Kolumbien, das zu Zeiten der Dekolonisierung entstand, als die Industriestaaten des globalen Nordens ihren direkten Zugriff auf die Rohstoffe im globalen Süden in Gefahr sahen. Bereits die Ankündigung einer Klage könne dazu führen, dass Staaten geplante Gesetze nicht vorantreiben, erklärt Rechtsexperte Lukas Schaugg. Damit blockiere der Konzern das Urteil des höchsten Gerichts. Vor allem aber werde verhindert, dass sich Umweltstandards durchsetzen.

Man habe klagen müssen, weil man keine Lösung gefunden habe und der Wert des Arroyo-Bruno-Projektes gesunken sei, begründen Konzernsprecher das Vorgehen.

Abbaugebiet wird vergrößert

Mordanschläge, Vertreibung und Umweltverschmutzung warfen lange kein gutes Bild auf die Kohleunternehmen und ihre deutschen Geschäftspartner. Auch deshalb bezog Deutschland in der Vergangenheit Steinkohle hauptsächlich aus Russland. Bis vor Kurzem betrug die Kohle aus Kolumbien gerade Mal sechs Prozent an deutschen Importen. Nun soll sie die Kohle aus Russland ersetzen. Allein im März wurden 690‘000 Tonnen aus Kolumbien importiert – dreimal so viel wie im Vormonat. Zu den Kunden gehören die deutschen Firmen STEAG und EnBW. Auch Uniper und RWE kaufen Kohle aus Kolumbien, die wahrscheinlich aus eben dieser Mine stammt. Ausser in die EU wird die Kohle in die USA, seit Kurzem auch verstärkt nach China exportiert.

Vor wenigen Wochen telefonierte der deutsche Bundeskanzler mit dem kolumbianischen Präsidenten Iván Duque wegen der Kohle-Importe. Am selben Tag erhielten indigene Gemeinden, die gegen Minenausbau und Flussumleitung geklagt hatten, eine Mail vom kolumbianischen Umweltministerium, in der es ankündigte, das Abbaugebiet vergrössern zu wollen. Wegen des Drucks durch europäische Firmen würden die vorgeschriebenen Emissionswerte inzwischen wieder eingehalten, behauptet ein STEAG-Sprecher. Die Aktivistin Luz Ángela Uriana bezweifelt dies. Vertreter deutscher Unternehmen sollten am besten selbst anreisen und sich vor Ort ein umfassendes Bild machen, fordert sie.

Der kolumbianische Staat sei zu schwach, die gesetzlichen Vorschriften seien zu flexibel und lax, wenn es um Naturzerstörung gehe, erklärt die Anwältin Rosa Maria Mateus Parra. Deutsche Firmen sollten keine Kohle kaufen, die mit Blut und Tränen beschmiert sei. Die Unternehmen sollten die Risiken für Menschenrechte und Umwelt umfassend untersuchen, klare Anforderungen an die Bergbauunternehmen stellen und die entstandenen Schäden wiedergutmachen.

Nach europäischen Standards hätte die Mine vermutlich längst schliessen müssen. Erst im Januar 2022 wurde das «Neue UN-Abkommen über transnationale Konzerne und Menschenrechte» formuliert. Wird es im Ausland nicht durchgesetzt, bleibt es – wie viele andere Beschlüsse dieser Art – ein Papiertiger ohne Konsequenzen.

Die Provinz La Guajira

La Guajira liegt im Norden Kolumbiens, an der Grenze zu Venezuela. Die relativ dünn besiedelte Provinz ragt ins Karibische Meer. Während im Süden Bananen auf relativ fruchtbaren Böden wachsen und Viehzucht betrieben wird, ist es im Norden relativ trocken, bis die Landschaft in eine Wüste übergeht. Die grösste Kohlenmine Lateinamerikas hat eine Fläche von etwa 70‘000 Hektar, das entspricht etwa 98‘000 Fussballfeldern. Mehr als dreissig Millionen Tonnen Kohle pro Jahr werden hier gefördert, 42 Prozent der gesamten Förderung in Kolumbien. Über eine150 Kilometer lange Bahnstrecke wird die Kohle zum Karibikhafen Puerto Bolívar transportiert. Täglich werden rund 50‘000 Tonnen in bis zu 130 Wagen lange Güterzügen zu Hafen transportiert.

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Verordnungen für Bürger?

Erstellt von Redaktion am 13. Juli 2022

Gasnotstand und verordnete Solidarität

Ein Versagen von sich Selbsternannten und bezahlten Nieten!

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      :  Walter Gröh

Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit drohen.  Ab November wird es ernst: Dann wird unser monatlicher Gasverbrauch wieder 2,5 mal so hoch wie jetzt im Sommer [1] und sehr teuer sein.

Der Deutschlandfunk stimmte uns – regierungsnah und pragmatisch – auf die kommenden Härten ein mit seiner Sendung „Mangelware Gas – Deutschland im Energie-Notstand“ [2]Da erfuhr man:

  • Gasverbrauch reduzieren ginge kurzfristig, also für diesen Winter, nur auf zwei Arten 1. Heiztemperaturen senken und
    2. industrielle Produktion zurückfahren.
  • Und der Winter 2023/2024 verspreche (durch Gasknappheit) noch schlimmer zu werden.
  • Und wer wie viel bekommt, sich also wie viel leisten kann, das müsse der Preis entscheiden.

Und Bundeskanzler Scholz warnt: „Wenn plötzlich die Heizrechnung um ein paar hundert Euro steigt – das ist sozialer Sprengstoff.“

Warum das alles?

Da Russland einen „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ (was Kriege, die Staaten beginnen, immer sind) führt, müsse man den Aggressor …

a) bestrafen,
b) von seinen Geldquellen abschneiden, von den Einnahmen aus den Exporten von Kohle, Öl, Gas, Uran,
c) durch einen Handelskrieg zwingen, vielleicht irgendwann mit dem Krieg aufzuhören, wenn er keine Devisen mehr hat.

Oder sollte die Ruinierung der russischen Wirtschaft durch den Handelskrieg gar nicht ein Mittel für Frieden sein, sondern das imperialistische Ziel dieser Politik?

Dumm nur …

a) dass Russland jetzt ungefähr genauso viel einnimmt (oder sogar mehr) als in früheren Jahren: mit geringeren Exportmengen, aber in die Höhe getriebenen Preisen. Der Erdgaspreis betrug auf dem Weltmarkt
– im Juli 2022 8,7 – 5,5 Dollar / MMBTU,
– 2010 – 2021 im Schnitt 3 Dollar. [3]
Andere Rohstoffe verkauft Russland zu Schleuderpreisen.

b) dass Russland, der zweitgrösste Waffenexporteur der Welt, „keine Waffen vom Weltmarkt braucht. [Die Russen] produzieren sie selber. Also sogar wenn sie keine Energieträger mehr verkaufen und keine Dollars mehr einnehmen würden, können sie genauso viele Waffen produzieren wie mit hohen Exporterlösen.“ [4a]

c) dass zwar einige Länder wie Polen, Finnland und die baltischen Staaten ihre russischen Importe seit Kriegsbeginn reduziert haben, aber andere wie China, Indien und EU-Mitglied Frankreich ihre Einkäufe erhöhten und China (mit 12,6 Milliarden Euro in den ersten 100 Tagen des Kriegs), Deutschland (12,1 Mrd. €) und Italien (7,8 Mrd. €) nach wie vor die grössten Importeure russischer Energieträger sind. [5]

d) dass durch einen Totalausfall russischer Gaslieferungen die deutsche Wirtschaftsleistung in den Wintermonaten um einen zweistelligen Prozentwert abstürzen könne, wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag warnt.

Die vom Bund bereitgestellten 15 Milliarden Euro könnten nicht ausreichen, um Gas einzukaufen, um die gesetzlichen Speicherziele für den Oktober und den November zu erreichen, warnt die Bundesnetzagentur. Und Gas-Grossimporteure wie Uniper werden wohl durch Staatshilfen, also letztlich von der Gesellschaft, gerettet werden.

Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit drohen hochzuschnellen, viele drohen weiter zu verarmen, der soziale Frieden, der heute noch so friedlich ist, wäre bedroht.

Möglicherweise schaden also die Handelsboykotte uns Bürgern mehr als dem russischen Aggressor. Daraus ziehen manche den merkwürdigen Schluss, die Bundesregierung sollte den Wirtschaftskrieg intensivieren und „sehr viel schärfere Massnahmen“ anordnen wie einen „Rückzug der westlichen Konzerne aus dem russischen Markt: keine Produktion mehr in Russland, kein Export mehr dorthin. Das dürfte die industrieschwache russische Wirtschaft stark treffen“.

Das ISW München schränkt aber selbst ein, dass das die russische Wirtschaft „auf Dauer als Juniorpartner und Rohstofflieferant an China binden“ würde. [4b]

Was folgt daraus?

Mit Waffenlieferungen und dem Handelsboykott wurde Deutschland Kriegspartei. Die Rhetorik ist klar: Scholz zeigt (ein bisschen) „Solidarität mit der Ukraine – so lange wie es notwendig ist.“

Doch unklar ist das Kriegsziel, und wie „lange es(?) notwendig ist“, und welchen Menschen das nützt. Klar sind ansonsten nur zwei Sachen:

  • dass Deutschland sich damit fest zur sogenannten „Wertegemeinschaft“ unter der Führung der USA bekennt
  • und dass das bei uns vielen teuer zu stehen kommen wird.

Liebe Anhänger der Grünen, die Ihr zu 58 % für einen sofortigen Einfuhrstopp von russischem Erdgas und Öl seid [6]: Ist es Euch das wert, für Habecks & Baerbocks „werteorientierte Aussenpolitik“ diese sozialen Kosten und diese Militarisierung der Politik mitzutragen?

Wenn es nur darum gehen würde, einen „Waffenstillstand jetzt“ zu erreichen, könnte man den gleichnamigen Appell [7] ernsthaft diskutieren. Hier schlagen Augstein, Kluge, Precht, Welzer, Yogeshwar, Zeh u.v.a. vor:

Datei:GasanlandestationKnock retuschiert.jpg

„Der Westen muss sich nach Kräften bemühen, auf die Regierungen Russlands und der Ukraine einzuwirken, die Kampfhandlungen auszusetzen. Wirtschaftliche Sanktionen und militärische Unterstützung müssen in eine politische Strategie eingebunden werden, die auf schrittweise Deeskalation bis hin zum Erreichen einer Waffenruhe gerichtet ist.“[8]

Ist das weltfremd? Auch nicht mehr als der sinnlose Handelsboykott.

Aber die politische Klasse ignoriert diesen Appell weitgehend oder lehnt ihn ohne Argumente ab:.„Grüne reagieren ungehalten auf [den] neuen offenen Brief deutscher Prominenter“. Der Grüne Co-Parteivorsitzender Omid Nouripour:

„Dieser Aufruf stammt von Menschen, die bequem auf der Couch sitzend, wohl angesichts der verstörenden Bilder aus der Ukraine die Geduld verloren haben.“

Doch „Wer Menschenleben schützen will, muss jetzt der Ukraine beistehen.“ [9]

Und „beistehen“ heisst sie kämpfen lassen, und „Dialog und Härte“ (Baerbock) gegenüber Russland und China zeigen. Doch das Problem so einer „werteorientierten Aussenpolitik besteht darin, dass sie im Endeffekt dialogunfähig ist, weil sie politische Interessengegensätze in die Sphäre der Moral verschiebt. Interessengegensätze sind prinzipiell lösbar. Moralische Gegensätze zwischen Gut und Böse sind es nicht.“ [11]

Dagegen ist ein „Waffenstillstand jetzt“ populärer, als in der veröffentlichten Meinung dargestellt: 35 % der Mitte Mai repräsentativ befragten Europäer:innen sind für einen schnellen Friedensschluss, auch wenn das Zugeständnisse der Ukraine voraussetzt. Am stärksten wird diese Forderung in Italien (52 Prozent) und Deutschland (49 Prozent) vertreten. [10]

Wenn es im Winter in unseren Wohnungen kalt wird, kann man das Problem vielleicht mit der Methode Ceausescu lösen. So weit, so verfahren.

Walter Gröh

Fussnoten:

[1] www.bdew.de/service/daten-und-grafiken/monatlicher-erdgasverbrauch-deutschland/

[2] www.deutschlandfunk.de/zur-diskussion-100.html

[3] www.finanzen.net/rohstoffe/erdgas-preis-natural-gas / www.boerse.de/rohstoffe/Erdgaspreis/XD0002745517

[4] www.isw-muenchen.de/2022/07/russland-bestrafen-durch-ein-energie-embargo-keine-gute-idee/

[5] www.zdf.de/nachrichten/politik/oel-gas-export-ukraine-krieg-russland-100.html

[6] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1297309/umfrage/umfrage-zu-einem-importstopp-von-russischen-rohstoffen-nach-parteien/ einen sofortigen Einfuhrstopp russischer Energieträger wollen: SPD-FDP-CDU: 42 %, AfD: 10 %

[7] Appell „Waffenstillstand jetzt!“: www.heise.de/tp/featur?es/Krieg-in-der-Ukraine-Waffenstillstand-jetzt-7158785.html www.zeit.de/2022/27/ukraine-krieg-frieden-waffenstillstand / Ähnlich der Friedensplan des italienischen Aussenministers Luigi Di Maio mit seinen vier Schritten: www.heise.de/tp/features/Russlands-Krieg-gegen-die-Ukraine-Vier-Schritte-nur-zum-Frieden-7132665.html?seite=all [8] www.heise.de/tp/features/Krieg-in-der-Ukraine-Waffenstillstand-jetzt-7158785.html

[9] https://rp-online.de/politik/deutschland/ukraine-krieg-gruene-reagieren-ungehalten-auf-neuen-offenen-brief_aid-72386101 (am 4.7.2022)

[10] https://ecfr.eu/publication/peace-versus-justice-the-coming-european-split-over-the-war-in-ukraine/#the-divided-west-germany-versus-italy

[11] https://jacobin.de/artikel/die-neue-aussenpolitik-ist-selbstgerecht-annalena-baerbock-china-russland-wertegeleitete-aussenpolitik/

Anhang: Bemerkungen zum Krieg

„War on Terror“ = „Krieg gegen den Terror“: der USA seit 11.9.2001

„War on Drugs“ = „Krieg gegen Drogen“: US-Drogenpolitik seit US-Präsident Richard Nixon, 1972

„War on Poverty“ = „Krieg gegen Armut“, US-Präsident Lyndon B. Johnson, 1964

“Frieden ist nicht alles ist. Aber ohne Frieden ist alles nichts.“ Willy Brandt

„Ich mahne unablässig zum Frieden; dieser, auch ein ungerechter, ist besser als der gerechteste Krieg.“ – Cicero, Ad Atticum, VII, XIV, 3

„Nicht, wer zuerst die Waffen ergreift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt.“ – Niccolò Machiavelli, Florentiner Geschichten, VII

„Terrorismus ist der Krieg der Armen und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen.“ – Peter Ustinov, Achtung! Vorurteile, 2003

„Wir sind der Auffassung, dass Kriege nur dann und nur so lange geführt werden können, als die arbeitende Volksmasse sie entweder begeistert mitmacht, weil sie sie für eine gerechte und notwendige Sache hält, oder wenigstens duldend erträgt. Wenn hingegen die grosse Mehrheit des werktätigen Volkes zu der Überzeugung gelangt – und in ihr diese Überzeugung, dieses Bewusstsein zu wecken ist gerade die Aufgabe, die wir Sozialdemokraten uns stellen –, wenn, sage ich, die Mehrheit des Volkes zu der Überzeugung gelangt, dass Kriege eine barbarische, tief unsittliche, reaktionäre und volksfeindliche Erscheinung sind, dann sind die Kriege unmöglich geworden – und mag zunächst der Soldat noch den Befehlen der Obrigkeit Gehorsam leisten!“ – Rosa Luxemburg, Verteidigungsrede am 20. Februar 1914 vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Main).

„Wie man den Krieg führt, das weiss jedermann; wie man den Frieden führt, das weiss kein Mensch. Ihr habt stehende Heere für den Krieg, die jährlich viele Milliarden kosten. Wo habt ihr eure stehenden Heere für den Frieden, die keinen einzigen Para kosten, sondern Millionen einbringen würden?“ – Karl May, Ardistan und Dschinnistan I, 1909, S. 17

„Friede den Hütten! Krieg den Pallästen!“ – Georg Büchner, Der Hessische Landbote, Erste Botschaft. Darmstadt, Juli 1834. Ich bringe den Krieg. Nicht zwischen Volk und Volk: ich habe kein Wort, um meine Verachtung für die fluchwürdige Interessen-Politik europäischer Dynastien auszudrücken, welche aus der Aufreizung zur Selbstsucht Selbst[üb]erhebung der Völker gegen einander ein Prinzip und beinahe eine Pflicht macht.“ – Friedrich Nietzsche, Nachlass, KSA 13: 25

„der Terrorismus ist ein Krieg der Armen und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen. Der Krieg ist kein Mittel im Kampf gegen den Terrorismus.“ – Peter Ustinov britischer Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur 1921 – 2004, 22. April 2003 https://www.welt.de/print-welt/article689952/Der-Krieg-ist-der-Terrorismus-der-Reichen.html

„Ich hab den Krieg verhindern wollen.“ – Georg Elser, deutscher Widerstandskämpfer und Hitler-Attentäter *1903, hingerichtet am 9. April 1945 im KZ Dachau, abgedruckt auf deutscher Sonderbriefmarke zum 100. Geburtstag von Georg Elser aus dem Jahr 2003.

„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Charta der Vereinten Nationen, Kapitel 1, Artikel 2 Absatz 4, von 26. Juni 1945

Der „Krieg der Geknechteten gegen ihre Unterdrücker ist der einzig rechtmässige Krieg in der Geschichte…“ – Karl Marx- , Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 358.,

„In dem Masse, wie die Ausbeutung des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Ausbeutung einer Nation durch die andere aufgehoben. – Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindselige Stellung der Nationen gegeneinander. Karl Marx, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, 479.

„Der internationale Aggressions- und Eroberungskrieg stellt sich nur oberflächlich als Krieg zwischen Staaten dar. Seinem Wesen nach sei er ein Krieg zwischen den herrschenden Klassen verschiedener Staaten, um den Herrschaftsbereich auszudehnen, sei es gegenüber den unterdrückten Klassen zur Verhinderung revolutio0närer Erhebungen oder als nationaler Befreiungskrieg unterdrückter Völker und Klassen gegen die herrschenden Klassen.“ Rezeption von Marx’ und Engels Sicht des Krieges, https://www.lunapark21.net/inhalt-heft-58-weltumordnungen/

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Unten      —      Norsea Gas Terminal (NGT) – Gasanlandestation an der Knock in Emden. Sie empfängt norwegisches Nordseegas und damit einen wesentlichen Teil des deutschen Erdgasimports.

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported Lizenz.
Namensnennung: Frisia Orientalis

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Eine Chance verpasst –

Erstellt von Redaktion am 12. Juli 2022

Verbrauch fossiler Rohstoffe so hoch wie nie

Quelle      :        INFOsperber CH.

Daniela Gschweng /   

Die grüne Revolution nach Covid-19 blieb aus. Aber es gibt Hoffnung – eine wichtige Rolle dabei spielen Städte.

Nach den ersten Lockdowns versprachen Politiker weltweit, die Covid-Krise zu nutzen, um grüne Technologien nach vorne zu bringen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Zwei Jahre später ist klar: «Build Back Better» ist gescheitert. Aber nicht überall.

Das resümiert die Organisation REN21 (Renewable Energy Policy Network for the 21st Century), der mehr als 80 nationale und internationale Organisationen, Industrieverbände, Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und Hochschulen angehören, in ihrem Jahresbericht.

Oder eher: in einem kleinen Buch zum Stand der Dinge bei nachhaltigen Energien. Die Arbeit, an der mehr als 650 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitgewirkt haben, umfasst neben Datenauswertungen und internationaler Expertise viele Fallbeispiele und ist mehr als 300 Seiten lang.

Die guten Neuigkeiten in Kürze:

  • Der Ausbau regenerativer Energiequellen wächst schnell. Noch nie gab es so viel Erneuerbare wie 2021.
  • Mehr als 10 Prozent des weltweiten Strombedarfs werden durch Solar- und Windkraft abgedeckt.
  • Im vergangenen Jahr wurden 366 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien investiert, so viel wie nie zuvor.
  • Auch steigende Preise konnten das grüne Wachstum bisher nicht abbremsen.
  • Wind- und Wasserkraft, Geothermie und Bioenergien spielen eine wachsende Rolle in der öffentlichen Diskussion.
  • Nicht zuletzt aufgrund der russischen Invasion in die Ukraine streben viele Länder verstärkt nach Unabhängigkeit von Kohle, Öl und Gas.

Die schlechten Neuigkeiten:

  • Wir verbrauchen mehr fossile Rohstoffe als jemals zuvor.
  • Seit zehn Jahren stagniert der Anteil Erneuerbarer am Endenergieverbrauch weltweit.
  • «Build Back Better» ist fehlgeschlagen. Der 2021 global wieder steigende Energiebedarf wurde vor allem mit fossilen Rohstoffen aufgefangen, was zwei Milliarden Tonnen CO2-Emissionen (6 Prozent) zusätzlich bedeutete.
  • Öl und Gas dominieren weiter. Neben Fortschritten bei der Stromerzeugung hinkt vor allem der Transport- und Mobilitätssektor hinterher.
  • In fossile Rohstoffe wird weitaus mehr investiert als in Erneuerbare. 2020 wurden weltweit Subventionen von 5900 Milliarden Dollar dafür ausgegeben. Das entspricht 7 Prozent des globalen Bruttosinlandsprodukts (BIP).
  • Die Pariser Klimaziele zu erreichen, wird so schwierig bis unmöglich.

Viele Regierungen wünschen sich derzeit, sie hätten mehr zur Förderung Erneuerbarer getan. «Wir geben weltweit 11 Millionen Dollar pro Minute für die Subventionierung fossiler Brennstoffe aus», zitiert die «BBC» die REN21-Vorsitzende Rana Adib. Obwohl erneuerbare Energien wirtschaftlich durchaus eine Alternative zu fossilen Brennstoffen seien, sei der Markt nicht fair.

Städte treiben die Nachhaltigkeit voran. Zum Beispiel Belgrad. Und Amsterdam und Le Havre und Durban und Essen.

Aber es gibt Hoffnung. In der serbischen Hauptstadt Belgrad zum Beispiel. Die Stadt, in der rund 1,7 Millionen Menschen leben, plante im vergangenen Jahr 5,2 Milliarden Euro ein, um bis 2030 die Luftqualität zu verbessern und CO2-Emissionen zu reduzieren. Mit dem Geld will Belgrad unter anderem Zug- und Tramlinien ausweiten. 1,2 Milliarden Euro sollen helfen, öffentliche und private Fahrzeuge, Busse und Taxis zu elektrifizieren und den Fuss- und Veloverkehr zu fördern. Drei Milliarden Euro sind eingeplant, um Gebäude besser zu isolieren und Heizungsnetze zu verbessern. Die Gasversorgung soll in Zukunft vermehrt aus Erneuerbaren bestehen, die lokal produziert werden. Windparks, Müllverbrennung und Biogas sollen insgesamt rund 170 Megawatt an Strom und Wärme liefern.

Städte sind besonders von der Klimakrise betroffen

Weitere Positivbeispiele sind Helsinki, Durban, Le Havre und Essen. Die Stadt, stellt REN21 fest, ist einer der wichtigsten Akteure der Zukunft, um damit nur eines von sieben Kapiteln herauszugreifen. Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt in Städten. Städte können nachhaltige Entwicklung massgeblich vorantreiben. Wenn es schlecht läuft, könnten sie aber auch zu Katastrophenschauplätzen der Klimakrise werden.

Viele Auswirkungen der Klimakrise wie Luftverschmutzung, Überschwemmungen oder Hitze kommen in Städten zusammen. Dazu müssen sie sich besonders mit Armut und Ungleichheit auseinandersetzen. Etwa eine Milliarde Menschen lebt in städtischen Slums oder in Elendsquartieren an den Rändern grosser Städte.

Der urbane Bedarf an Heizung, Kühlung und Transport wächst ständig, vor allem in Afrika und Asien. Drei Viertel des globalen Endenergieverbrauchs und ein entsprechender Anteil der CO2-Emissionen entfällt auf Städte.

Viele Nachhaltigkeitsprojekte wegen Covid-19 zurückgestellt

Die Lebensqualität der ärmeren Einwohner zu verbessern und dabei nachhaltig zu wirtschaften, ist für viele Städte ein wichtiges Ziel. REN21 führt mehrere Beispiele auf, darunter ein Projekt in Houston, Texas, in dem 5000 einkommensschwache Haushalte neu mit Solarenergie versorgt wurden.

Leider hätten viele Städte Nachhaltigkeitsprojekte während der Pandemie verschoben, schreiben die Autorinnen und Autoren. Während die Steuereinnahmen schrumpften, hatte die Bekämpfung von Covid-19 höhere Priorität, das gelte von Thailand bis Michigan.

Die Stimme der Städte

Änderungen in urbanen Zentren betreffen viele Menschen. 1500 Städte weltweit haben ein nachhaltiges Entwicklungskonzept oder entsprechende politische Ziele. Fast ein Drittel (30 Prozent) der städtischen Bevölkerung lebt in einer davon. 920 Städte in 73 Ländern haben laut REN21 Zielvorgaben für die Nutzung erneuerbarer Energien in wenigstens einem Bereich, 1100 Städte haben angekündigt, dass sie ihre Emissionen auf null reduzieren wollen. Ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept, das Bereiche wie Bau und Transport nicht getrennt voneinander behandelt, haben aber nur wenige.

Städte, finden die Autorinnen und Autoren des «Städte»-Kapitels, sollten dringend mehr gehört werden. Wenn sie genügend Ressourcen haben und nicht durch nationale Gesetze eingeschränkt sind, können sie viel bewirken. Vieles hänge allerdings davon ab, wie viel Spielraum eine Stadt hat. In der globalen Klimadiskussion würden die Städte nur zögerlich abgebildet.

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Oben      —    Solarpark Vollerso op dat Gelänn von de fröhere Raketenstellung

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Technischer Fortschritt

Erstellt von Redaktion am 11. Juli 2022

Fünf wirklich gute Klimanachrichten

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Italien, Spanien und Portugal vertrocknen, Teile Australiens saufen ab, die Alpengletscher verschwinden immer schneller, der Bundeskanzler will mehr Gas fördern – aber es gibt auch gute Nachrichten zur Klimakrise.

Die Nachrichtenlage scheint, was das wichtigste Thema der Menschheitsgeschichte angeht, derzeit apokalyptisch. In Australien ereignet sich gerade die vierte Überflutungskatastrophe in 18 Monaten, Spanien und Portugal sind so trocken, wie sie es seit über 1000 Jahren nicht mehr waren, in den Alpen zerbröseln die Gletscher , Norditalien geht das Wasser aus . Unterdessen will Bundeskanzler Olaf Scholz neue Gasfelder im Senegal erschließen lassen, obwohl der Uno-Generalsekretär immer lauter warnt , dass weitere fossile Entwicklungsprojekte mit allen Klimazielen unvereinbar sind.

Gleichzeitig passieren weltweit aber auch Dinge, die Hoffnung machen. Die Entwicklung von Technologien, die CO2-neutral Energie erzeugen und speichern können, schreitet nämlich weiterhin in rasantem Tempo voran. Auch wenn man bei uns – kapitalen politischen Fehlentscheidungen der vergangenen vier Legislaturperioden sei Dank – im Moment wenig davon merkt.

Hier sind fünf gute Klimanachrichten:

1. Vor allem China baut Windkraft in atemberaubendem Tempo aus

Die auf erneuerbare Energien spezialisierte Agentur Bloomberg NEF prognostiziert , dass allein die Leistung von Offshore-Windkraftanlagen sich weltweit von 2021 bis 2035 verzehnfachen wird, auf dann 504 Gigawatt. Zum Vergleich: Die Gesamtkapazität aller US-amerikanischen Elektrizitätslieferanten liegt derzeit bei etwa 1,1 Terawatt, also etwas mehr als doppelt so hoch. Den bei Weitem größten Anteil an der rasanten Entwicklung von Offshore-Windenergie wird demnach China haben: bis 2030 entfällt der Prognose zufolge mehr als die Hälfte des globalen Wachstums im Bereich Offshore-Energie auf dieses Land. Auch Windenergie an Land wächst dort extrem schnell: Allein in diesem Jahr wird ein Onshore-Kapazitätszuwachs von 50 Gigawatt erwartet. Zu On- und im Meeresboden verankerten Offshore-Windkraftwerken kommen voraussichtlich ab Mitte des Jahrzehnts auch noch vermehrt schwimmende Windkraftanlagen. Bloomberg NEF prognostiziert für diese Art der Energieerzeugung bis 2035 weitere 25 Gigawatt Kapazität.

2. China baut auch Sonnenenergie in atemberaubendem Tempo aus

Auch Solarstromkapazität wächst in China rasant. Dem China Renewable Energy Engineering Institute zufolge kommt in dem Land allein im Jahr 2022 eine Kapazität von 100 Gigawatt dazu . Wenig überraschend: Sieben der zehn größten Hersteller von Fotovoltaikzellen haben ihren Sitz in China , und dort wird auch etwa 80 Prozent allen für Solarzellen nötigen Polysiliziums hergestellt . Auch das ist eine Folge europäischer Regulierungsfehler. Der einzige europäische Polysilizium-Hersteller in den Top 5 ist Wacker Chemie . Insgesamt wird China unterschiedlichen Prognosen zufolge allein in diesem Jahr erneuerbare Energiekapazitäten von 140 bis 154 Gigawatt zubauen. Das ist knapp dreimal so viel wie die gesamte derzeit installierte Fotovoltaik-Kapazität Deutschlands. Zusätzlich. In einem Jahr. Bis 2025 will China laut Fünfjahresplan insgesamt 570 Gigawatt erneuerbare Energiekapazität hinzufügen , also etwa halb so viel wie die Gesamtkapazität aller Kraftwerke der USA. Wenn das so weitergeht, prognostizieren die Fachleute von »Carbon Brief« , könnte China sein Ziel, den Gipfelpunkt seiner CO2-Emissionen zu überschreiten und den Ausstoß dann endlich zu senken, schon früher erreichen als geplant: 2026 statt 2030. Denken Sie daran, wenn Ihnen bei einer Diskussion über Klimathemen jemand mit dem reflexhaften Einwand »aber China« kommt.

3. Gas ist so teuer, dass es sich bald nicht mehr rechnet

4. Es wird bald neue Energie-Supermächte geben

Der Wechsel hin zu erneuerbaren Energien, mit denen man nicht nur Autos laden und Elektrogeräte betreiben, sondern auch Wasserstoff, CO2-neutralen Diesel und sogar Kunststoffe herstellen kann, wird die globale Wirtschaftslandkarte verändern. Australien mit seinen riesigen, sonnendurchfluteten Flächen dürfte am Ende zu den Gewinnern gehören, genauso wie andere Länder, in denen oft die Sonne scheint, sich selten Wolken zeigen, die über hochliegende Gebiete und saubere Luft verfügen. Zu den – theoretischen – Topstandorten für Sonnenstrom  gehören neben Chile, das all diese Voraussetzungen erfüllt, auch Namibia, Jordanien, Ägypten, Jemen, Oman, Saudi-Arabien und viele andere Golfstaaten; aber auch Länder wie Pakistan und Afghanistan oder lateinamerikanische Staaten von Bolivien über Peru bis Argentinien.

Quelle       :          Spiegel-online       >>>>>       weiterlesen

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Oben     —     Parkplatz mit Sonnenkollektoren im Taichung Central Park

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Unten     —       Christian Stöcker (2017)

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Fließgewässer nutzen!

Erstellt von Redaktion am 5. Juli 2022

Förderung erneuerbarer Energien

Würde der Verstand in der Politik so schnell fließen wie das Wasser, wäre dieses Land viel  weiter.  Aber 50 Jahre verpennt – ist auch verschlagen.

Von Bernward Janzing

Die Bundesregierung will der Kleinwasserkraft die Förderung streichen. Der älteste Ökostrom, von dem die Energiewende ausging, steht vor dem Aus.

Es ist – wie so vieles – eine Frage der Abwägung. Auf der einen Seite steht die CO2-neutrale Erzeugung von jährlich 3 Milliarden Kilowattstunden Strom aus kleinen Wasserkraftwerken. Wertvoller Strom, gerade heute. Auf der anderen Seite sind Bauwerke immer ein Eingriff in die Natur. So hat auch jede Anlage an und in einem Fließgewässer zwangsläufig Auswirkungen auf die Ökologie.

Ökologische Abwägungen sind oft nicht trivial. Deshalb führte man lange Zeit Debatten über fachliche Details der Wasserkraft. Darüber, wie gute Konzepte aussehen. Wie klimafreundlich erzeugter Strom mit der Gewässerökologie zusammenfindet. So brachte man durch Auflagen Wasserkraftbetreiber dazu, den ökologischen Zustand an ihren Standorten zu verbessern.

Solche differenzierten Sachdiskussionen will die Bundesregierung jetzt beenden – mit der radikalsten aller Lösungen, nämlich dem grundsätzlichen Ende der sogenannten Kleinwasserkraft. Für Anlagen bis 500 Kilowatt soll es künftig keine Einspeisevergütung mehr geben.

Damit will die Bundesregierung ausgerechnet die älteste aller erneuerbaren Energien im Stromsektor abschießen; Kraftwerken, die mehr als hundert Jahre überlebt haben, droht das Ende. Der große Showdown der Kleinwasserkraft – in dieser Woche vermutlich im Bundestag mit der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG).

Viel bittere Ironie steckt in dieser Geschichte. Ausgerechnet die Kleinwasserkraft war es, von der die deutsche Energiewende ausging. Denn das erste Stromeinspeisungsgesetz – 1991 in Kraft getreten – kam auf Betreiben vor allem bayerischer Wasserkraftwerker zustande. Es sollte die Kleinerzeuger in der damaligen Monopolwelt der Stromwirtschaft durch Mindestvergütungen vor allzu selbstherrlich agierenden Stromkonzernen schützen.

Weil der Gesetzgeber nun gerade dabei war, schrieb er kurzerhand auch für Strom aus anderen erneuerbaren Quellen Mindestvergütungen ins Gesetz – ohne die Konsequenzen auch nur halbwegs zu erahnen. Die waren enorm: Ein Windkraftboom an der Küste machte Deutschland zur weltweit führenden Windkraftnation. Entsprechend wuchs das Selbstbewusstsein der Ökostrom-Verfechter, was sich ab April 2000 im EEG widerspiegelte. Dieses wiederum katapultierte auch den Solarstrom nach vorne. Schmankerl am Rande: Bis 2004 war es die Große Wasserkraft, die im EEG explizit von den Vergütungen ausgeschlossen war.

Diese Geschichte der Kleinwasserkraft muss man kennen, um zu verstehen, dass es bei den kleinen Turbinen um mehr geht als um „nur“ 3 Milliarden Kilowattstunden. Die Kleinwasserkraft ist ein Stück Landesgeschichte. Ein Stück Industriegeschichte. Auch ein Stück Kulturgeschichte. Wer sie abschießt, zerstört vor allem in den südlichen Teilen des Landes ein Stück regionaler Identität.

Spätere Generationen werden einmal  über die Nachkriegspolitik die Köpfe schütteln, wenn sie erfahren, was diesem Land alles entwendet wurde.

Viele Orte in den Mittelgebirgen verdankten zwischen dem Jahr 1900 und dem Ersten Weltkrieg ihren ersten Stromanschluss der heimischen Wasserkraft. Findige Unternehmer bauten Turbinen an den Bächen, versorgten anfangs damit nur ihre eigenen Fabrikhallen, bauten dann aber auch Leitungen zu Nachbarhäusern und wurden so zu regionalen Stromversorgern. Über Jahrzehnte hinweg, mitunter bis in die 1970er Jahre hinein, bekamen Stromkunden ihre Energie von der örtlichen Papier-, Nähseide- oder Zündholzfabrik. Erst dann wurden die Netze in Konzernstrukturen integriert.

Wasserkraft im Jugendstil

Nach wie vor laufen Wasserkraftanlagen in Jugendstilgebäuden. Beim Besuch eines Turbinenhauses kann es passieren, dass man noch ein altes Holzkammrad entdeckt oder auch Armaturen, die ein ganzes Jahrhundert überdauert haben. Zugleich vermitteln die historischen Generatoren samt ihren wuchtig-eleganten Schwungrädern den Eindruck, für die Ewigkeit gebaut worden zu sein.

Damit ist die Kleinwasserkraft nicht nur die älteste, sondern auch die eindrucksvollste Art der Stromerzeugung. Vermutlich muss man selbst einmal in einem der Turbinenräume gestanden haben, um das nachempfinden zu können. Entsprechend entspinnt sich die Debatte über die Wasserkraft nicht stur entlang der Parteigrenzen. Die Konfliktlinie verläuft vielmehr zwischen Großstadt und Landregionen; zwischen dem Flachland und jenen Mittelgebirgen, die über die faszinierendste aller Kraftquellen verfügen, die uns gegeben sind, nämlich ins Tal sprudelnde Bäche. Die Debatte ist daher ein Stück weit auch ein Dissens zwischen Nord und Süd, denn 80 Prozent des deutschen Wasserkraftstroms stammen aus Bayern und Baden-Württemberg.

Quelle       :        TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Oben     —     Wriezener Alte Oder bei Schiffmühle

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Vereint gegen Putin

Erstellt von Redaktion am 5. Juli 2022

Das Wundermittel heißt Energiesparen

Datei:Münster, Albachten, Molchschleuse -- 2015 -- 5454.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von     :  Suitbert Cechura

Ein nationaler Schulterschluss, der keine Interessengegensätze mehr kennen will. Für die Rettung des Klimas und den Erfolg der deutschen Wirtschaft.

Mit einer öffentlichen Erklärung zur Energiesparkampagne des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (Öffentliche Erklärung der Verbände zum Gipfel Energieeffizienz am 10. Juni 2022 anlässlich des Starts der Energiesparkampagne des BMWK) haben sich Politik, Industrie, Mittelstand, Betriebe und Unternehmen, Handwerk, Sozialpartner, Kommunen, Umweltverbände und Verbraucherorganisationen zu Wort gemeldet und so den nationalen Schulterschluss in der Energiefrage demonstriert.

Die Begründungen für diese Aktion fallen jedoch – gerade angesichts der bekannten Unterschiede bei den Interessengruppen – etwas seltsam aus. Dazu hier einige Hinweise.

„Energiesparen für mehr Unabhängigkeit und Klimaschutz“

„Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist die hohe Energieabhängigkeit von Russland in den Fokus gerückt. Ersatz für notwendige Rohstoffe zu beschaffen, die unser Land politisch und energiepolitisch Schritt für Schritt unabhängiger von russischen Energieträgern machen, war in den vergangenen Monaten vordringliche Aufgabe und hat weiterhin Priorität. Klar ist: Es braucht den Abschied von fossilen Energien, um unabhängiger zu werden und die Klimaziele zu erreichen. Deshalb arbeiten wir in Deutschland gemeinsam daran, den Ausbau erneuerbaren Energie zu beschleunigen. Wir wollen zugleich Energie einsparen und effizienter nutzen. Dabei liegt noch ein herausforderndes Stück des Weges vor uns.“ (Erklärung)

Wenn die Autoren der Erklärung die Energieabhängigkeit beschwören, dann wissen sie, dass die Adressaten dieser Erklärung, die verehrten Bürger und Bürgerinnen, gleich ihre Abhängigkeit von den Energiekonzernen vor Augen haben. Otto Normalverbraucher ist allerdings in ganz anderer Art und Weise von der Lieferung der benötigten Energie abhängig als es die meisten Parteien sind, die diese Erklärung abgegeben haben. Während die Politik in der Abhängigkeit von Energielieferungen gleich eine Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit sieht, weil der Handel mit Energieleistungen auch Rücksichtnahme auf die Interessen des Lieferlandes bedeutet, ist der besagte Stoff für die Wirtschaft ein Geschäftsmittel.

Und zwar ist er ein ganz spezielles Mittel, das die Voraussetzung für so gut wie jede Produktion im Lande bildet und an dem in erster Linie der Preis interessiert. Ein hoher Preis ist hier jedoch kein Hindernis, wenn er auf die Kundschaft abgewälzt werden kann. Für die Endverbraucher gibt es diese Möglichkeit nicht; ihre Abhängigkeit von Energielieferungen für Licht und Heizung ist gerade die Basis des Geschäfts der verschiedenen Energiefirmen, die diese Abhängigkeit leidlich auszunutzen wissen, wie die Preise für die betreffenden Produkte gerade zeigen.

Wenn aus der Abhängigkeit sofort eine politische Aufgabe deduziert wird, so betrifft diese den einfachen Bürger nicht, schliesslich ist er kein Akteur in dem ganzen Geschehen, sondern immer nur mit den negativen Folgen der einschlägigen Entscheidungen konfrontiert – nämlich in Form hoher Preise, die seinen Geldbeutel strapazieren.

Dabei wirft die Zielsetzung der Aktion ebenso Fragen auf. Ist doch die Herbeiführung einer Unabhängigkeit von russischer Energielieferung durch erneuerbare Energien ein anderes Ziel als die Verhinderung der Erderwärmung. Dass die beiden Zielsetzungen – anders als die Autoren der Erklärung weismachen wollen – nicht einfach zusammengehen, wird gerade an den praktizierten Massnahmen deutlich. Um unabhängiger von russischen Energielieferungen zu werden, ist ja der verstärkte Einsatz heimischer Braunkohle wieder ein akzeptiertes Mittel, obwohl er alles andere als einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Das fällt ja auch zunehmend den Teilen des Ökoprotests auf, die auf die Grünen im Amt grosse Hoffnungen gesetzt hatten.

Wichtig ist natürlich, dass sich die Effizienz der unterschiedlichen Energien auf recht unterschiedliche Weise bestimmen lässt. Es macht eben einen Unterschied, ob die Angelegenheit physikalisch betrachtet wird – sprich der sachliche Aufwand an Energie für die Herstellung bestimmter Produkte ins Auge gefasst wird – oder ob die Betrachtung ökonomischer Natur ist, die Kostenkalkulation also den Massstab bildet. Dann kann auch viel billige Energie durchaus lohnend sein.

So ist denn auch das Motto der Kampagne des grünen Wirtschaftsministers mit den Sorgenfalten auf der Stirn ziemlich verlogen: „Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz startet im Juni eine Energiespar-Kampagne, die unter dem Motto ‚80 Millionen gemeinsam für den Energiewechsel‘ steht – sie lädt ein, aktiv mitzuarbeiten und kreativ zu sein: Denn jede eingesparte Kilowattstunde Energie leistet einen Beitrag für unsere Unabhängigkeit, senkt den Kostendruck und hilft unsere Klimaziele zu erreichen.“ (Erklärung)

Die Gemeinsamkeit, die der Wirtschaftsminister mit seiner Kampagne beschwört, ist eine von oben verordnete. Was da als Einladung daherkommt, stellt sich für die meisten Menschen als reine Notwendigkeit dar. Schliesslich müssen sie sich einschränken, weil die Kosten für Energie, ob an der Tankstelle oder für Heizung und Strom, steigen. Auch wenn sie noch so kreativ sich einen Pullover überziehen oder vom Auto aufs Fahrrad umsteigen, bleiben sie doch abhängig von den Energiekonzernen und deren Preisgestaltung, zu der die Politik mit ihren Steuersenkungen für die Energiekonzerne diesen alle Freiheiten eingeräumt hat. Auch wird der Kostendruck nicht weniger, wenn man sich einschränkt, hilft die Einschränkung doch gerade, mit dem Kostendruck umzugehen, und schafft diesen nicht aus der Welt.

Damit die Bürger dennoch mitmachen und ihren Einschränkungen die richtige Deutung abgewinnen, melden sich die Unterstützer der Kampagne einzeln zu Wort.

Alle für den Erfolg der Nation

Als erste dürfen die Vertreter von Städten und Kommunen ihren Senf zur Aktion des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima beitragen: „Wir als kommunale Akteure unterstützen die Energiespar-Kampagne. Jede eingesparte Kilowattstunde ist ein echter Beitrag zum Klimaschutz. Städten, Landkreisen und Gemeinden kommt eine Schlüsselrolle zu. Sie sind Vorbild und beraten Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft… Die grossen Potenziale, etwa bei über 180.000 kommunalen Gebäuden, über 2 Millionen kommunalen Wohnungen, bei Strassenbeleuchtungen oder auch im Verkehr müssen gehoben werden.“ (Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städte- und Gemeindebund) Zwar ist es ein offenes Geheimnis, dass die Aktion des Bundesministeriums in erster Linie auf das kurzfristige Einsparen von Energie zielt, um unabhängiger von Gas- und Öllieferungen aus Russland zu werden, dennoch wollen die kommunalen Akteure ihren Beitrag als einen zum Klimaschutz verstanden wissen. Wenn sie auf die Möglichkeiten zum Klimaschutz durch die Sanierung der oft verkommenen öffentlichen Gebäude und Wohnungen verweisen, haben sie keine Angst, sich zu blamieren – schliesslich würde die betreffende Sanierung Jahre dauern und einen Energieeinspareffekt erst in fernerer Zukunft bewirken. Hauptsache, man hat seinen guten nationalen Willen gezeigt.

Was faktisch bleibt, ist die Beratung der Bürger. Denen beim Umgang mit der teurer werdenden Energie und mit einem schrumpfenden Geldbeutel ermunternd zur Seite zu stehen, das sehen die kommunalen Vertreter offenbar als ihre vordringlichste Aufgabe und als ihren positiven Beitrag für die Bürgerschaft in Städten und Gemeinden an.

Direkt angesprochen fühlen sich auch die Handwerker – und das mit Recht: „Wir als Handwerker sind Umsetzer und zugleich Betroffene beim Einsparen von Energie. Wir bauen und installieren das, was in privaten Haushalten und im gewerblichen Bereich eine effiziente Energienutzung möglich macht… es liegt auch im ureigenen Interesse von Handwerksbetrieben, selbst möglichst energieeffizient zu arbeiten“. (Zentralverband des Deutschen Handwerks – ZDH) Die Kampagne des Bundeswirtschaftsministers stellt geradezu eine kostenlose Werbung für die Handwerksbetriebe dar, die mit der Installation von Heizungen und Solardächern ihr Geschäft betreiben. Und da Energieeinsatz Kosten verursacht, ist das Handwerk auch immer bedacht, ihn niedrig zu halten. So kann man sich leichten Herzens der Kampagne des Ministers anschliessen, zeigt sie doch wieder einmal: Handwerk hat goldenen Boden.

Doch nicht nur das Handwerk ist beteiligt, die sogenannten Sozialpartner treten sogar gemeinsam an: „Energieeffizienz ist ein wichtiger Lösungsansatz, um Klimaziele zu erreichen und mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und hochwertigen Arbeitsplätzen zu verbinden. Das gilt umso mehr in Zeiten rasant ansteigender Energiekosten. Wir als Sozialpartner werben daher dafür, weiter in Energieeffizienz zu investieren… Wichtig sind dafür qualifizierte Fachkräfte, finanzielle Anreize und langfristig gesicherte Rahmenbedingungen.“ (Deutscher Gewerkschaftsbund – DGB, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände – BDA).

Zwar geht es in erster Linie um die Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen, aber auch die Sozialpartner wollen das Energiesparen als Beitrag zum Klimaschutz deuten. Sie bringen das vorgeschobene Ziel jedoch gleich in Verbindung damit – und so gleich unter den Vorbehalt –, dass es im Zusammenhang mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und entsprechenden Arbeitsplätzen zu sehen sei. Was nichts anderes bedeutet, als dass Klimaschutz gut und schön ist, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft aber in keiner Weise beeinträchtigen darf, sondern befördern soll.

Dass eine wettbewerbsfähige Wirtschaft gleichzusetzen ist mit hochwertigen Arbeitsplätzen, ist eine Mär, die Gewerkschafter gerne verbreiten. Sie werden dabei auch nicht an den Rationalisierungen der Betriebe irre, die Arbeitsplätze ständig überflüssig machen. Hochwertige Arbeitsplätze sind nach der marktwirtschaftlichen Logik eben solche, die sich für die Unternehmen lohnen – gezahlt in nationalen Betrieben, die möglichst auf dem Weltmarkt den Ton angeben. Dass dies immer auch niedrige Löhne bedeutet, haben die Gewerkschafter der IG Metall gerade wieder in der Stahltarifrunde unterstrichen, in der sie von vornherein auf einen Ausgleich für die Inflation verzichteten und so zur Lohnsenkungen zum Wohle der Stahlindustrie beitrugen (vgl. Die Leistung der deutschen Gewerkschaft in Kriegszeiten.

Schliesslich befindet sich die Stahlindustrie in der Umstellung auf die Direktreduktion durch den Einsatz von Wasserstoff, was zunächst Investitionskosten verlangt, aber für die Zukunft eine kostengünstigere Produktion – auch unter Einsparung von Lohnkosten – erbringen soll. Als Partner der Unternehmen wollen Gewerkschafter somit nichts mehr von einem Gegensatz von Kapital und Arbeit wissen, machen sich vielmehr zu Lobbyisten für die Unternehmen, indem sie zur Absicherung der Gewinne beim Einsatz von energieeffizienten Massnahmen finanzielle Anreize und rentierliche Rahmenbedingungen fordern. Für die Qualifizierung von Fachkräften, also die Sicherung der Nützlichkeit der Arbeitsmannschaft, sehen sich die Gewerkschaften dann selber zuständig und sind dafür auch in Tarifrunden stets zu Lohnverzicht bereit.

Unternehmen können nie genug Bedarf zur Förderung ihres Geschäfts durch die Politik anmelden und so treten sie gleich mehrfach in Erscheinung: „Wir als Industrie stehen für die Wirtschafts- und Innovationskraft Deutschlands. Wir wollen den immer effizienteren Einsatz von Energie als wichtiger Beitrag zu einer modernen, leistungsfähigeren Wirtschaft beschleunigen… Wegen des russischen Krieges in der Ukraine unterstützt die deutsche Industrie nun so rasch wie möglich den Gasverbrauch in der Stromerzeugung zu senken und Kohlekraftwerke schon jetzt aus der Reserve wieder in den Markt zu nehmen, um Gas für den Winter zu speichern.“ (Bundesverband der Deutschen Industrie – BDI)

Unternehmen haben es offenbar nicht nötig, wie andere Interessenvertreter zu heucheln. Sie verweisen schlicht auf ihre Bedeutung in diesem Staat, in dem alles vom Gelingen des Geschäftemachens abhängig gemacht ist. Ihren Erfolg in der Konkurrenz setzen sie daher gleich mit dem Erfolg Deutschlands. Dem hat auch der Einsatz von Energie zu dienen, daran bemisst sich deren Effizienz. Von daher braucht der BDI auch gar nicht gross den Klimaschutz zu bemühen, sondern kann klar zum Ausdruck bringen, dass es bei dieser Kampagne darum nicht geht. Wenn billige Energie gebraucht wird für die deutsche Wirtschaft, dann müssen halt die Braunkohleschlote wieder rauchen.

Die deutsche Wirtschaft besteht aber nicht nur aus der Industrie und so meldet sich auch der Handel zu Wort: „Um noch mehr Einsparungen anzuregen, setzen wir auf Energieeffizienz- und Klimaschutznetzwerke und wollen in den nächsten Jahren weitere 10.000 Energie-Scouts im Rahmen unseres Unternehmensnetzwerkes Klimaschutz ausbilden. Damit können wir den Mut und das Engagement dieser jungen Menschen nutzen, um bisher liegen gebliebene Einsparpotenziale in den Betrieben aufzuspüren und neue, innovative Wege zu gehen. Ganz nebenbei tragen die Jugendlichen das erworbene Knowhow auch in ihr privates Umfeld, und machen Erfolgsprojekte zu einem Baustein mit doppelter Rendite – für den Klimaschutz und für mehr Unabhängigkeit.“ (Deutscher Industrie-und Handelskammertag – DIHK)

Als Unternehmer sehen sich die Verbände angesichts der Kampagne gefordert, ihre Innovationskraft zu zeigen. Die besteht in der Ausbildung von jungen Leuten, die in den Betrieben Energieeinsparpotenziale ausfindig machen sollen, schliesslich ist Energie immer ein wichtiger Kostenfaktor und überflüssige Kosten gilt es zu vermeiden. Zudem lassen sich aus solchen Ideen vielleicht neue Geschäftsmöglichkeiten erschliessen – Erfolgsprojekte, die sich auch mit Unterstützung dieser jungen Menschen im privaten Bereich vermarkten lassen. So können diese Projekte nicht nur für die Unabhängigkeit Deutschland, alias Klimaschutz, sorgen, sondern auch für die Betriebe eine Rendite abwerfen.

Die Wirtschaftszweige, die vom Geschäft mit der Energie leben, dürfen in der Kampagne natürlich nicht fehlen und so reihen sich auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF) und der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) in die Liste der Propagandisten ein.

Es fehlen aber auch nicht die Umweltverbände: „ Wir als Umweltverbände sehen in der absoluten Reduktion des Energieverbrauchs den Schlüssel für ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat unsere Abhängigkeit brutal vor Augen geführt und zwingt uns zum sofortigen Kurswechsel. Als Umweltverbände unterstützen wir alle Bemühungen der Bundesregierung, diesen Kurswechsel zu vollziehen. Nur wenn es uns gelingt, den Energiebedarf dauerhaft drastisch zu senken, können wir als Industrienation Vorbild sein für ein Wohlstandsmodell, das nicht auf Kosten anderer Weltregionen und der Natur wirtschaftet. Dafür braucht es die richtigen politischen Weichenstellungen und einen regulatorischen Rahmen, der Reduktion, Effizienz und Flexibilität belohnt und Ineffizienz und Verschwendung verhindert. Kurzfristig sind wir alle aufgerufen, durch individuelle Verhaltensänderungen den Energieverbrauch drastisch zu senken…“ (Deutscher Naturschutzring – DNR)

Es ist schon interessant, wie die Umweltverbände auf die Zielsetzung des Wirtschafts- und Klimaministers eingehen. Dass es sich bei der Kampagne um eine Massnahme im Wirtschaftskrieg mit Russland handelt, bleibt ihnen nicht verborgen. Offenbar sehen sie in dem Umgang der Politik mit der Reduzierung der Lieferungen aus Russland eine Chance zur Verwirklichung ihres Anliegens, eben des Klimaschutzes. Nur wollen sie nicht zur Kenntnis nehmen, dass es dem Minister nicht um eine absolute Reduktion von Energie geht, er will ja vielmehr sicherstellen, dass der Wirtschaft und den Verbrauchern immer in ausreichender Menge Energie zur Verfügung steht. Die Wirtschaft soll ja weiter wachsen und dazu braucht es auch Bürger, die sich nicht wegen mangelhafter Heizung erkälten und so unbrauchbar werden.

Auch die Behauptung, bei Deutschland handle es sich um ein Wohlstandsmodell, ist eine Schönfärberei sondergleichen. Sie will von der massenhaften Armut im Lande nichts wissen, schliesst sich vielmehr den gängigen Umdeutungen an, dass man es mit massenhaften Einzel- und Sonderfällen zu tun hat.

Dass am deutschen Wesen die Welt genesen soll, wird geteilt. Das weist die Vertreter der Umwelt als stramme Nationalisten aus. Ihr Aufruf zur individuellen Verhaltensänderung – wie das Gürtel-Enger-Schnallen in ihrem Jargon heisst – wird von den Regierenden sicher wohlwollend zur Kenntnis genommen; was aber nicht heisst, dass diese sich damit auch das Anliegen des Naturschutzes zu eigen machen.

Last but not least treten auch noch die Verbraucherschützer auf den Plan: „Wir als Verbraucherschützer helfen Verbraucherinnen und Verbrauchern mit der unabhängigen Energieberatung, Energie und Bares zu sparen und uns unabhängiger von fossiler Energie zu machen… Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele Menschen keinen oder kaum noch Spielraum für Einsparungen haben. Damit die steigenden Energiepreise sie nicht in existentielle Nöte bringen, muss die Politik sie gezielt unterstützen und entlasten.“ (Verbraucherzentrale Bundesverband – vzbv)

Die Tatsache, dass der Verbraucher des systematischen Schutzes bedarf, dementiert eigentlich schon eine weit verbreitete Lobhudelei, der zufolge der Kunde König ist und darüber entscheidet, was wie hergestellt wird – seien es nun Textilien, Lebensmittel oder sonstige Produkte, die es für den Lebensunterhalt braucht. Die Existenz der zahlreichen Verbraucherschutzinstanzen, angefangen von Ministerien bis hin zu einschlägigen Verbänden, zeigt das Gegenteil.

Es ist schon eine seltsame Aktion, die sich die Verbraucherschützer da leisten. Sie beteiligen sich an einem Aufruf an die Bürger, Energie zu sparen, wohl wissend, dass viele dies überhaupt nicht leisten können, weil sie mangels Geld schon an allen möglichen Ecken und Enden sparen müssen. Dann kann sich die Beratung in vielen Fällen offenbar nur darauf beschränken, Trost zu spenden. Es kommt zudem einer Beschönigung gleich, wenn davon die Rede ist, dass viele Menschen erst in Zukunft in existentielle Nöte geraten werden, haben doch diejenigen, von denen die Verbraucherschützer Hilfe erwarten, mit der Festlegung von Grundsicherungs-, Arbeitslosengeld II-Sätzen und ähnlichen Sozialleistungen dafür gesorgt, dass sich viele Menschen beständig in existentiellen Nöten befinden.

Die Adressaten: solidarisch vereinnahmt

Mit der Kampagne der Bundesregierung und den Unterstützungserklärungen der Verbände wendet sich die Bundesregierung an die 80 Millionen Bürger im Lande. Für viele von ihnen haben bereits die Interessenverbände ohne ihr Wissen ihre Solidarität bekundet. Aber alle anderen werden mit der Kampagne vor die Frage gestellt, ob sie sich diesem breiten Bündnis anschliessen oder abseits stehen wollen. Dabei stellt sich die Frage des Energiesparens für die 80 Millionen in ganz unterschiedlicher Art und Weise – je nach Grösse ihres Geldbeutels. Viele werden sich – ganz gleich, was sie von der Kampagne halten – dem Einspargedanken nicht verschliessen können. Und das nicht, weil sie der Aufruf überzeugt hätte. Schliesslich müssen sie sehen, wie sie angesichts der allgemein steigenden Preise nicht nur bei Energie mit ihrem begrenzten Geldbeutel zu Recht kommen. Da braucht es keine Vorschriften durch die Politik, sondern es bleibt ganz ihrer freien Entscheidung überlassen, wo sie auf Dinge verzichten und was sie sich noch leisten wollen und auch können.

Jubel, Trubel, Heiterkeit unter  den politischen Specknacken

Der Verzicht auf Urlaub oder die Fahrt mit dem Auto lässt sich natürlich auch in Kilowattstunden umrechnen und in die Vorstellung übersetzen, der eigene Verzicht würde einem höheren Zwecke dienen. Und traditioneller Weise steht – seit mittlerweile 150 Jahren – eine politische Kraft, nämlich die deutsche Sozialdemokratie den „kleinen Leute“ zur Seite, um ihnen den Respekt der Staatsgewalt für die nimmermüde (und immer wieder aufs Neue geforderte) Verzichtshaltung zu erweisen.

Das Ganze kann auch ein grüner Minister, dessen Ansehen, wie man aus den Meinungsumfragen erfährt, dank des moralischen Rigorismus grüner Kriegstreiberei stark gestiegen ist. Wie die Nachdenkseiten vermerkten hat man hier im Grunde einen „grünen Sarrazin“ vor sich. Der damalige Berliner Finanzsenator Sarrazin hatte ja finanzschwachen Bürgern anlässlich steigender Energiepreise empfohlen, doch einfach die Heizung runterzudrehen und sich einen dicken Pullover anzuziehen, was damals einen Aufschrei in der sozial denkenden Öffentlichkeit verursachte: „Heute wäre Sarrazin voll im Trend, denn wenn es gegen Russland geht, scheint es in der politischen Debatte keine Tabus mehr zu geben.“ (Jens Berger, NDS)

Auf die Freiwilligkeit des Publikums verlässt sich die Politik natürlich nicht. Laut letzten Meldungen prüft die Bundesnetzagentur bereits, ob Vermieter zur Absenkung der Mindesttemperatur in Wohngebäuden verpflichtet werden könnten. Worauf der Deutsche Mieterbund den interessanten Protest einlegte, dass sei grundfalsch, da die Mieter schon allein deshalb auf ihre Energiebilanz achteten, weil sie ihre Energiekosten kaum noch zu schultern vermöchten.

Was auch immer die neue Energiespar-Kampagne bewirkt, sie ist in jedem Fall ein Beitrag zur nationalen Bewusstseinsbildung, also dazu, dass sich die Bürger weiterhin alle Zumutungen gefallen lassen, die für sie aus den Massnahmen der Regierung zur Befeuerung von Krieg und Wirtschaftskrieg gegen Russland resultieren. Wie der Steckrübenwinter im Ersten Weltkrieg und das Winterhilfswerk im Zweiten sind das eben die Momente, wo die Nation zur Hochform aufläuft und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Volksgemeinschaft für jeden hautnah erlebbar wird.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquellen          :

Oben     —       Gas – Pipeline   –  Molchschleuse bei AlbachtenMünsterNordrhein-Westfalen, Deutschland; rechts 380/220-kV-Freileitung Bl. 4307

Verfasser

Dietmar Rabich / Wikimedia Commons / „Münster, Albachten, Molchschleuse — 2015 — 5454″ / CC BY-SA 4.0

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2.) Von Oben      —         Präsentation der MCV-Motivwagen für den de:Mainzer Rosenmontagszug 2015. Der russische Wladimir Wladimirowitsch Putin als „Problembär“ der am Gashahn dreht.

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Politik von Regierungslaien

Erstellt von Redaktion am 28. Juni 2022

Wir müssen aufhören, auf diese Leute zu hören

Einst für Hausmeister studiert, jetzt Finanzen probiert, vom Hausierer dazu promoviert. Politik !

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Christian Lindner klingt derzeit wie der Sprecher eines Automobil-Branchenverbands. Er ist ein Symptom für ein gewaltiges Problem der deutschen Politik: Man hört weiterhin zu oft auf Leute von gestern.

Es ist in dieser Zeit ständiger dramatischer Umbrüche unumgänglich, seinen Blick auf so manches ebenso dramatisch zu verändern. Zum Beispiel den Blick auf die politischen Entscheidungen, die uns in die Lage gebracht haben, in der wir uns gerade befinden. Und den Blick auf die Leute, die uns diese Entscheidungen eingebrockt haben. Die deutsche Gesellschaft hat sich, das muss man leider so hart sagen, viele Jahre lang verladen lassen.

Die Lage ist folgende: Deutschland wird dieses Jahr seine Gasspeicher vermutlich nicht ausreichend füllen können, weil es sich mit einem mordenden, manipulierenden und ständig lügenden Regime eingelassen hat. Und, so hat es Wirtschaftsminister Robert Habeck diese Woche formuliert, »weil wir in Deutschland in den letzten Jahren nicht gut genug waren«. »Die Versäumnisse der letzten Dekade« müssten jetzt im Eiltempo nachgeholt werden.

Die Vernichtung der Zukunftsjobs

»Die Versäumnisse der letzten Dekade«, das klingt immer noch ziemlich abstrakt, also buchstabiere ich mal aus, was Habeck da eigentlich meint: Wir haben uns politisch von Leuten in die falsche Richtung führen lassen, die mit dieser falschen Richtung viel Geld verdient haben. Von den Lobbyverbänden der Kohle-, Öl- und Gasbranchen, von den Lobbyverbänden gewisser Industrien, allen voran der Automobilindustrie.

Die größten und schlimmsten Versäumnisse aber sind:

  • In der Solarbranche beispielsweise arbeiteten in Deutschland  im Jahr 2011 über 156.000 Menschen. Zehn Jahre später, im Jahr 2021, waren es fast 100.000 weniger.
  • In der Windenergiebranche begann die Arbeitsplatzvernichtung erst später, nämlich 2016. Damals arbeiteten in der Branche, on- und offshore zusammengenommen, etwa 167.000 Menschen. 2021 waren es vorläufigen Daten des Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge etwa 37.000 weniger.

Zukunft kaputtreguliert, Vergangenheit subventioniert

Insgesamt ist die Geschichte der Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien hierzulande eine Geschichte des Scheiterns nach hoffnungsvollem Anfang. Zukunftsjobs wurden kaputtreguliert, Vergangenheitsjobs vor jeder sinnvollen Regulierung geschützt und fleißig subventioniert. Dabei war längst klar, dass alle Volkswirtschaften dekarbonisieren müssen, und zwar schleunigst.

Im Jahr 2000, als das Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschiedet wurde, gab es in allen erneuerbaren Energiebranchen Deutschlands – einschließlich Wasserkraft, Geothermie und Biomasse – zusammen knapp 105.000 Arbeitsplätze. Bis 2011 vervierfachte sich diese Zahl fast, auf über 415.000.

Mit Schwarz-Gelb ging’s bergab
Ab da aber ging es bergab, was viel mit den Aktivitäten der FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Philipp Rösler zu tun hat. Dabei sprach gerade Rösler oft und gern davon, dass er den Ausbau der Windenergie »vorantreiben« wollte. Das Gegenteil trat ein. Und die bis dahin boomende heimische Solarbranche wurde, nicht zuletzt durch eine von Rösler und Norbert Röttgen (CDU) durchgesetzte Kürzung der Förderung, fast vollständig vernichtet. Heute könnten wir die damals zerstörten Kapazitäten gut brauchen.

Zur Einordnung: Im Braunkohlebergbau arbeiteten in Deutschland 2011 noch knapp 23.000 Menschen, 2021 waren es noch knapp 18.000. Im Bereich erneuerbare Energien verschwanden im gleichen Zeitraum mehr als 70.000 Arbeitsplätze (zwischenzeitlich waren es sogar mehr als 100.000, aber seit 2019 hat sich die Branche leicht erholt).

Das wahre Erbe der Ära Merkel

Während also ein Häuflein Vergangenheitsarbeitsplätze zugunsten der jährlich milliardenschwere Schäden anrichtenden Erlösmodelle von RWE, Leag und Co. geschützt wurden, radierte man parallel Zehntausende Zukunftsarbeitsplätze, die uns aus der Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas hätten befreien können, aus. Das ist das wahre Erbe der Ära Merkel, so bitter das klingt.

Wie gut stünden wir da, wenn das Wachstum der Erneuerbaren 2011 nicht abgewürgt, sondern weiter gefördert worden wäre! Dann gäbe es heute wohl nicht den massiven Engpass an qualifizierten Handwerkern im Bereich Fotovoltaik, um nur ein Beispiel zu nennen.

Dass derartig absurde, offenkundig realitätsblinde Politik in Deutschland so lange möglich war, ist im Rückblick eigentlich verblüffend. Man kann es aber erklären.

Die Verflechtungen zwischen der Politik und den Branchen, die direkt oder indirekt von der Herstellung von CO₂ aus fossilen Brennstoffen leben, sind umfangreich. Man kannte sich, man schätzte sich, man hörte aufeinander, man erzählte einander die immer gleichen Ausreden. Und verschloss die Augen vor der nahenden Klimakatastrophe und der Abhängigkeit von Autokraten.

Die bemerkenswerte Karriere der Hildegard M.

Die aktuelle Sprecherin des Automobilbranchenverbandes VDA zum Beispiel heißt Hildegard Müller. Sie war für die CDU Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin im Kanzleramt und galt als enge Vertraute von Angela Merkel. Dann wechselte Müller nahtlos zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), und von dort aus wiederum nahtlos in den Vorstand des BDEW-Mitglieds RWE.

Quelle      :         Spiegel-online        >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —      Christian Lindner, Mitglied des Deutschen Bundestages, während einer Plenarsitzung am 11. April 2019 in Berlin.

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Der Krisenimperialismus?

Erstellt von Redaktion am 25. Juni 2022

Und wodurch unterscheidet er sich vom klassischen Imperialismus früherer Epochen?

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Krisenimperialismus ist das staatliche Dominanzstreben – vollzogen mit ökonomischen, politischen oder militärischen Mitteln – in der Epoche der Kontraktion des Verwertungsprozesses des Kapitals. Die Staatsapparate der Zentren des Weltsystems streben hierbei nach Dominanz in einer durch permanente Produktivitätsfortschritte befeuerten Systemkrise, die einerseits, vornehmlich in der Peripherie, Regionen ökonomisch und ökologisch verbrannter Erde produziert, und andererseits das Aufkommen eines neuen Akkumulationsregimes, bei dem massenhaft Lohnarbeit in der Warenproduktion verwertet würde, unmöglich macht. Dieser Krisenprozess geht mit einer schneller als die Weltwirtschaftsleistung steigenden Verschuldung einher und führt zur Ausbildung einer ökonomisch überflüssigen Menschheit, wie es etwa die Flüchtlingskrisen der vergangenen Jahre illustrierten.

Damit ist auch der grundlegende Unterschied zum Imperialismus früherer Epochen benannt, da dieser sich in einer historischen Phase der – von Europa im 16. Jahrhundert ausgehenden – Expansion des Kapitals vollzog, die gerade von der massenmörderischen Ausbeutung von Arbeitskräften angetrieben wurde. Der Raub von Ressourcen – etwa das Gold und Silber Lateinamerikas – und der Aufbau neuer Märkte im globalen Süden – Zuckerrohr, Gewürze, etc. – konnten nur über die massenhafte Verwertung von „Händen“ realisiert werden, die zumeist nur durch Zwangsarbeit realisiert werden konnte. Die Blutspur dieser imperialistischen Expansion des kapitalistischen Weltsystems, das immer neue periphere Regionen oft mit militärischer Gewalt in den Weltmarkt integrierte, reicht von dem Genozid an den Ureinwohnern Latein- und Mittelamerikas, über den atlantischen Dreieckshandel mit afrikanischen Sklaven oder die Auspressung Indiens durch das britische Empire, bis zu den bis zum heutigen Tag nachwirkenden Gräueln des belgischen Imperialismus im Kongo des späten 19. Jahrhunderts, als die Nichterfüllung von Kautschukquoten durch Zwangsarbeiter schwerste Verstümmelungen – etwa das Abhacken von Händen – zur Folge hatten.

Der in letzter Konsequenz militärische Expansionsdrang der imperialistischen Staaten ist dabei Folge des Verwertungszwangs des Kapitals, wobei imperialistische Tendenzen gerade in Reaktion auf die inneren Widersprüche des Verwertungsprozesses an Dynamik gewinnen können: Überakkumulation von anlagesuchendem Kapital, zunehmende soziale Spannungen, die durch Kolonialisierung gemildert werden sollen, oder die Nachfrage des Kapitals nach Rohstoffen und Energieträgern, die nicht im Inland gefördert werden können, verleiten oft diejenigen Staaten, die über ausreichende Machtmittel verfügen, zu entsprechenden Formen imperialistischer Expansion.

Nach dem 20. Jahrhundert, in dem aufgrund des „Kalten Krieges“ eher Praktiken des informellen Imperialismus zur Anwendung gelangten, bei denen mittels ökonomischen Drucks oder geheimdienstlichen Umsturzes abhängige, formell souveräne Regimes in der Peripherie installiert worden sind, nehmen im 21. Jahrhundert in Wechselwirkung mit dem imperialen Abstieg der USA und den zunehmenden staatlichen und sozialen Zerfallstendenzen in der Peripherie wieder Formen direkter imperialistischer Aggression überhand. Dies bringt auch die Gefahr von Großkriegen, geführt zwischen imperialistischen Großmächten, mit sich.

Das kapitalistische Weltsystem war in seiner historischen Expansionsphase durch Hegemonialzyklen geprägt, bei denen eine imperialistische Großmacht eine hegemoniale, von konkurrierenden Mächten zumindest zeitweise tolerierte Stellung erringen konnte. Das 19. Jahrhundert war durch einen britischen, das 20. Jahrhundert durch einen US-amerikanischen Hegemonialzyklus aus industriellem Aufstieg und Niedergang geprägt. Die zunehmenden militärischen Auseinandersetzungen sind Ausdruck des hegemonialen Abstiegs der USA, wobei die sozioökologische Krise des Kapitals die Ausbildung einer neuen Hegemonialmacht verhindert.

China, das sich mit Washington in einem globalen Hegemonialkampf befindet, ist aufgrund der krisenbedingten zunehmenden inneren Verwerfungen (Schulden- und Immobilienkrisen) nicht in der Lage, die USA als „Weltpolizist“ zu beerben. Die gegenwärtige Phase zunehmender militärischer Konflikte stellt somit eine blutige Realsatire des Geredes von der „multipolaren Weltordnung“ dar, die von allen imperialen Konkurrenten der absteigenden USA gefordert wird. Die Systemkrise verhindert die Ausbildung eines Hegemons, wobei viele Staatsapparate sich weiterhin letztendlich vergeblich bemühen, so mächtig wie die USA zu werden – und die Erosion der US-Hegemonie verschafft ihnen den notwendigen Freiraum für eigene militärische Abenteuer. Mehr noch: die zunehmenden inneren Widersprüche lassen den Drang zur imperialen Expansion abermals vermehrt aufkommen (z.B. Russland, Türkei).

Ein zentraler konkreter Unterschied zum imperialen Dominanzstreben früherer Jahrhunderte besteht somit darin, dass die Jagd nach Absatzmärkten und „Händen“, die durch gewaltförmige Integration in den Weltmarkt ausgebeutet werden könnten, nun aufgrund der besagten, systemischen Überproduktionskrise im globalisierten Weltsystem kaum mehr eine Rolle spielt. Der imperialistische Expansionsdrang schlägt im spätkapitalistischen Krisenimperialismus des 21. Jahrhunderts in Abschottungsbemühungen um gegenüber den ökonomisch überflüssigen Massen der Peripherie – sowohl in der „Festung Europa“ wie auch in den USA. Expansion schlägt somit in dieser Hinsicht in Abschottung der Zentren gegenüber der Peripherie um, die auch als Absatzmarkt kaum noch eine Rolle spielt.

Die kollabierte Peripherie mit ihren „Failed States“ spielt nur noch im Rahmen des Extraktionismus eine Rolle als Rohstofflieferant, wobei hier auch auf den Zerfallsformen des „informellen Imperialismus“ des 20. aufgebaut wird, indem – etwa beim Kobaltabbau im Kongo – lokale poststaatliche Machtstrukturen (Milizen, Banden, Sekten, etc.) den Rohstoffabbau in Eigenregie organisieren, um ihn dann über dunkle Kanäle, über Zwischenhändler dem Weltmarkt zuzuführen. Militärisch interagieren die Zentren mit den Regionen „verbrannter Erde“ nur noch im Rahmen von „Weltordnungskriegen“ (Robert Kurz), bei denen die Peripherie entweder durch Staatsbildungsprozesse stabilisiert („Nation Building“) oder zumindest als Störfaktor militärisch ausgeschaltet werden soll. Die globale Drohnenkampagne des ehemaligen „Weltpolizisten“ USA bei dem „Krieg gegen den Terror“, oder die – durchweg gescheiterten – Interventionen des Westens in Afghanistan und Somalia fallen in diese Kategorie des imperialen Windmühlenkampfes der Zentren gegen die sozialen Folgen der – von den Zentren ausgehenden – Systemkrise in der Peripherie.

Somit ist die derzeitige Ära des Krisenimperialismus gekennzeichnet durch die Wechselwirkung zwischen dem staatlichen Dominanzstreben und dem Krisenprozess des Kapitals, welcher eine marktvermittelte, fetischistische Eigendynamik aufweist, die durch die durch die inneren Widersprüche des Kapitals (das sich in der Marktkonkurrenz tendenziell seiner eigenen Substanz, der wertbildenden Arbeit, entledigt) befeuert wird. Die Funktionseliten der Staatsapparate sehen sich den Folgen der Krise, die sich marktvermittelt „hinter dem Rücken der Produzenten“ (Marx) entfaltet, wie einer äußeren, naturwüchsigen Kraft ausgesetzt, obwohl die zunehmenden Widersprüche und Verwerfungen (Verschuldung, soziale Erosion, Wirtschaft- und Umweltkrisen etc.) unbewusstes Produkt der Marktsubjekte in ihrem Streben nach höchstmöglicher Kapitalverwertung sind. Das Kapital hat somit eine Gesellschaftsformation hervorgebracht, die diese blind ablaufende Dynamik nicht unter Kontrolle hat, von ihr letztendlich in den sozialen und ökologischen Kollaps getrieben wird.

Die aus dieser systemischen Überproduktionskrise resultierende, staatliche Krisenkonkurrenz führt folglich zur Ausbildung eines ökonomisch grundierten Imperialismus, der sich um möglichst hohe Handelsüberschüsse bemüht. Mit dem Handelsüberschuss wird die Überproduktionskrise, wie auch der damit einhergehende Verschuldungzwang in Länder exportiert, die immer größere Defizite aufweisen. Die Bundesrepublik war in dieser Hinsicht nach der Euroeinführung besonders erfolgreich. Die politische Dominanz der BRD in der Eurozone resultiert gerade aus den extremen deutschen Handelsüberschüssen zwischen Euroeinführung und Eurokrise, die zur südeuropäischen Schuldenkrise und zur Deindustrialisierung in den Schuldenstaaten führten, während die industrielle Basis der deutschen Exportindustrie intakt blieb. Nach Ausbruch der Eurokrise konnte der deutsche Finanzminister Schäuble die Folgen der geplatzten europäischen Schuldenblasen, die mit deutschen Handelsüberschüssen einhergingen, einseitig während harter politischer Auseinandersetzungen den Krisenstaaten in Form einer strikten Austeritätspolitik oktroyieren, was den ökonomischen Abstand zwischen Berlin und „seiner“ Eurozone vergrößerte – und Deutschlands Führungsanspruch zementierte, während totgesparte Staaten wie Griechenland umfassende Souveränitätsverluste hinnehmen mussten. Der in den letzten Jahren zunehmende Protektionismus, der seit der Trump-Administration offen zutage tritt, stellt gerade eine Reaktion auf diesen krisenbedingten Drang zur Erringung möglicht hoher Handelsüberschüsse dar. Vor den offenen Handelskriegen, die Trump aufgrund der weitgehenden Deindustrialisierung der USA entfachte, versuchten viele Staaten ihre Handelsbilanz durch währungspolitische Abwertungswettläufe zu verbessern.

Der objektive Krisenprozess des Kapitals vollzieht sich somit vermittels entsprechender krisenimperialistischer Auseinandersetzungen der Staatssubjektive – dies, die Exekution der Krisendynamik vermittels ökonomischer, geopolitischer, geheimdienstlicher oder militärischer Machtkämpfe, ist der objektive Kern krisenimperialistischer Praxis. Dies gilt nicht nur in den erodierenden Zentren (etwa in Südeuropa), sondern auch in der Peripherie des Weltsystems, wo der Krisenprozess weiter vorangeschritten ist und die breite soziale Zerrüttung in Staatszerfall übergeht. Die imperialistischen Interventionen in Syrien und Libyen infolge des „Arabischen Frühlings“, wo gescheiterte, zu Kleptokratien verkommene Modernisierungsregimes sich von verzweifelten Aufständen bedroht sahen, machen deutlich, wie krisenbedingte Erschütterungen imperialen Interventionen erst Spielräume eröffnen. Die sozialen Spannungen im postsowjetischen Raum, wo Russlands Hegemonie bis zum Ausbruch des Ukraine-Kriegs rasch erodierte, ließen eine ähnliche Dynamik aus Protest, Aufstand und äußerer Intervention aufkommen. Putins Russland wählte den Angriffskrieg gegen die Ukraine gerade unter dem Eindruck der Aufstände in Belarus und Kasachstan.

Mitunter instrumentalisieren Staaten mit imperialen Ambitionen die Krisenfolgen auch direkt – die islamofaschistische Türkei Erdogans setzte etwa die Fluchtbewegungen in die EU als einen Machthebel ein, um Zugeständnisse und Geld von Brüssel und Berlin zu erpressen. Und auch die imperialistische Expansion in Nordsyrien und im Nordirak wird von Ankara damit begründet, in diesen Regionen künftig Flüchtlinge konzentrieren zu wollen. Der Imperialismus ist somit nicht nur historisch als ein ideologischer wie praktischer Vorläufer faschistischer Exzesse zu betrachten – derselbe Prozess vollzieht sich auch in der gegenwärtigen Systemkrise.

Imperialistisches Dominanzstreben tritt auch in Wechselwirkung mit der ökologischen Krise des Kapitals, das aufgrund seines Wachstumszwangs unfähig ist, eine ressourcen- und klimaschonende Reproduktion der Menschheit zu etablieren. Hierzu zählen etwa die Spannungen im hohen Norden, in der Arktis, wo die rasch abschmelzende Eisdecke neue Schifffahrtswege eröffnet und neue Lagerstätten fossiler Energieträger zugänglich macht – und um deren Abbau sich die Anrainer Russland, USA, Kanada und EU streiten. Auch der Konflikt zwischen Russland und dem Westen um die Ukraine, der 2013 als Kampf konkurrierender Wirtschaftsräume begann (EU und USA gegen Putins angestrebte „Eurasische Union“), weist inzwischen eine klimapolitische Komponente auf. Die Ukraine verfügt über sehr fruchtbare Schwarzerdeböden, die angesichts der sich abzeichnenden, klimatisch bedingten Nahrungsmittelengpässe und kommender Hungerkrisen als geopolitischer Machthebel rasch an Wert gewinnen – Nahrung könnte das Öl des 21. Jahrhunderts werden.

Die Krise treibt somit die spätkapitalistischen Staatsmonster sowohl in ihrer ökonomischen wie ökologischen Dimension in die Konfrontation. Der Krisenimperialismus gleicht somit – um mal im Bild der Klimakrise zu bleiben – einem Verdrängungswettbewerb auf einem abschmelzenden Eisberg, oder dem Kampf auf der untergehenden Titanic. Da die sozioökologische Systemkrise nicht im Rahmen des kapitalistischen Weltsystems gelöst werden kann, hat der Krisenimperialismus seinen Fluchtpunkt in einem Großkrieg, der aufgrund des im Spätkapitalismus akkumulierten Vernichtungspotenzials katastrophale Folgen nach sich ziehen würde. Ohne emanzipatorische Systemtransformation droht der Zivilisationskollaps in Klimakatastrophe und Atomkrieg.

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Grafikquellen      :

Oben     —     Evil Empires Autoaufkleber, siehe John Walker (Programmierer)#Activism.

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Unten       —       Titel: Ein lästiges Ei zum Schlüpfen / J.S. Pughe. Abstract/Medium: 1 Druck : Chromolithographie.

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Gas läuft ohne Moskau

Erstellt von Redaktion am 25. Juni 2022

Der Krieg in der Ukraine ist unsere Sache. 

 Independence ECO Class Tanker

Von  Jan Pfaff aus AUS KLAIPĖDA UND PANEMUNĖ

Lange war Litauen vollkommen abhängig von Gas aus Russland. Doch ein schwer bewachtes Schiff im Hafen der Stadt Klaipėda änderte das

Wenn man Linas Kilda fragt, wann Litauen unabhängig wurde, nennt er zwei Jahreszahlen. 1991 erlangte die ehemalige Sowjetrepublik gegen harten Widerstand Moskaus ihre Selbstständigkeit. „Wir waren danach zwar politisch unabhängig, aber nicht was die Energie betraf“, sagt Kilda. Der junge Staat hing beim Gas an den Pipelines aus Russland, es gab keine anderen Lieferwege.

Der zweite Einschnitt für Kilda ist 2014. Damals nahm die „Independence“ im Ostseehafen Klaipėda ihre Arbeit auf, ein fast 300 Meter langes Schiff, das ein schwimmender Flüssiggasterminal ist. Mit Tankern geliefertes, tiefgekühltes Flüssiggas wird in ihrem Bauch wieder in Gasform verwandelt.

Lange gab es Zweifel, ob die Independence überdimensioniert sei. Flüssiggas galt als teuer, der Prozess als zu aufwendig, die Kapazitäten des Terminals waren oft nur zur Hälfte ausgelastet. Seit Russlands Überfall auf die Ukraine hat sich das schlagartig geändert. Das Schiff ist der Grund, warum Litauen mit seinen 2,8 Millionen Einwohnern Anfang April verkünden konnte, überhaupt kein Gas mehr von Russland zu beziehen. Als erstes EU-Land, das zuvor russischer Gaskunde gewesen war.

Linas Kilda ist gelernter Ingenieur, mittlerweile aber Manager. Seit 2013 arbeitet er für die halbstaatliche Betreiberfirma des Terminals, die selbst kein Flüssiggas kauft, sondern Energieunternehmen die Umwandlung anbietet. Kilda ist ein Mann, der viel lächelt. In einem blauen Anzug steht er an Deck eines kleinen Hochseeboots, das durch den Hafen von Klaipėda tuckert und sich in 20 Meter Abstand langsam an der Independence vorbeischiebt. Er spricht über die Form der Gastanks, den Prozess der Regasifizierung, die Pipelines, die an einer Seite des Schiffs im Wasser verschwinden, dort tief in den Meeresgrund hineingehen und an Land führen.

Zusammen mit seiner Kollegin Jurgita Šilinskaitė-Venslovienė zeigt Kilda an diesem Nachmittag ein paar Journalisten das schwimmende Terminal. Direkt an Bord zu gehen, ist nicht möglich – Sicherheitsgründe. „Sie sehen sie nicht, aber das Schiff wird permanent von Spezialeinheiten bewacht“, sagt Kilda. Die Independence gilt nicht nur in Zeiten des russischen Angriffs auf die Ukraine als strategisch besonders wichtig.

Litauen hat früh gelernt, was Deutschland in diesen Tagen mühsam nachholt, in denen nur noch wenig Gas durch Nord Stream 1 strömt, Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Energiesparen mahnt und Kohlekraftwerke wieder hochfahren will: dass Moskau wirtschaftliche Abhängigkeiten gern als politisches Druckmittel nutzt.

Als Litauen im März 1990 als erste Sowjetrepublik erklärte, unabhängig werden zu wollen, antwortete der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow mit einer Energieblockade. Die Gas- und Öllieferungen wurden drastisch reduziert, vor litauischen Tankstellen bildeten sich lange Schlangen, Menschen froren in ihren Wohnungen. „Wir haben das überlebt, aber es war hart“, sagt Šilinskaitė-Venslovienė. Auf diese Erfahrung kommen sie und Kilda im Gespräch öfter zurück.

Das Verhältnis zwischen Russland und Litauen blieb all die Jahre angespannt. 2004 trat Litauen der EU und der Nato bei. 2008 stoppte Russland erneut Öllieferungen, weil eine litauische Raffinerie an einen polnischen Konzern statt an einen russischen verkauft wurde. Auch beim Gaspreis zeigten sich die Spannungen. „Bevor wir das Flüssiggasterminal hatten, bezahlten wir den höchsten Preis für russisches Gas in ganz Europa“, sagt Šilinskaitė-Venslovienė. Sie spricht viel über Preise, Marktentwicklungen und die Lieferanten von Flüssiggas, Ägypten, Katar, Norwegen und die USA. Mit Blick auf den kommenden Winter und die Gasversorgung der EU warnt sie: „Keiner kann sagen, wie sich das entwickelt. Man weiß nie, was die Russen als Nächstes machen werden.“

Quite summer evening in the port city Klaipeda.jpg

In dieser Woche spitzten sich die Spannungen zwischen den beiden Ländern weiter zu. Russland warf Litauen „offen feindselige“ Beschränkungen des Bahn-Frachtverkehrs in die russische Exklave Kaliningrad vor. Diese liegt von Polen und Litauen umschlossen an der Ostsee, etwa 50 Kilometer von Klaipėda entfernt. Das Kaliningrader Gebiet wird von Russland aus mit Zügen über Litauen versorgt, der Seeweg von Sankt Petersburg aus ist langwieriger und teurer. Militärisch ist Kaliningrad für den Kreml sehr wichtig, die russische Ostseeflotte ist dort stationiert, genauso wie Mittelstreckenraketen.

Die litauische Regierung betonte, dass man mit den Transportbeschränkungen nur beschlossene EU-Sanktionen umsetze. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte dies. Nach Angaben des Kaliningrader Gouverneurs Anton Alichanow sind von den Beschränkungen 40 bis 50 Prozent des Gütertransits zwischen Russland und Kaliningrad betroffen. Unter anderem dürfen nun kein Zement, keine Baumaterialien, Metalle oder Hightechgüter auf dem Landweg in die russische Ostseeregion gebracht werden.

Quelle      :    TAZ-online      >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen

Oben      —       Marinestützpunkt San Diego USS Essex (LHD-2) Familientreffen 2016 Foto: TDelCoro März 4, 2016

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Von Lügen zu Lösungen

Erstellt von Redaktion am 22. Juni 2022

Gespräche über die Klimakrise

Staubsturm in  den USA   – NARA 

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Es ist sehr heiß dieses Wochenende, und den meisten Leuten dämmert mittlerweile auch, warum. Trotzdem passiert zu wenig Klimapolitik. Woran das liegt? Analyse eines Gesprächs mit dem Schornsteinfeger.

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Ihnen, während Sie diese Kolumne lesen, ziemlich warm ist. Und nein, das ist nicht »normal« – Europas Temperaturen liegen vielerorts 12 bis 16 Grad über dem langjährigen Mittelwert  für diese Jahreszeit.

Im US-Staat Kansas liegen derweil Tausende durch zu feuchte Hitze verendete Rinder in der Landschaft herum , in Nebraska gab es diese Woche eine Tornado-»Superzelle« mit Hagelkörnern in der Größe von Tischtennisbällen , lebensbedrohliche Stürme ereigneten sich auch in Indiana  und Wisconsin . Im Yellowstone-Nationalpark und dem Umland in Wyoming  gab es so extreme Überflutungen, dass Brücken weggeschwemmt wurden.

In Teilen Frankreichs wurden Veranstaltungen im Freien und in Räumen ohne Klimatisierung verboten . Mehrere Städte stellen im Freien Nebelmaschinen  auf. Zur Erinnerung: Bestimmte Temperaturen kann ein Mensch, wenn die Luftfeuchtigkeit hoch ist, nicht längere Zeit überleben. Diese Temperatur liegt, wie eine neue Studie zeigt  »deutlich unter 35 Grad Celsius«. Das französische Innenministerium warnte über Twitter, man solle sich »nicht dem Wetter aussetzen«. Mit »Wetter« ist das gemeint, was früher »Sommer« hieß.

In Spanien und Frankreich brennt vielerorts der Wald , weil es nicht nur extrem heiß, sondern auch extrem trocken ist. Das ist übrigens auch ein großes Problem für Frankreichs Atomkraftwerke .

Man darf nie vergessen, dass all das immer noch nur der Beginn ist. Es geht jetzt erst richtig los, es wird vorerst nicht besser, sondern weiterhin schlimmer. Aber wir erzeugen ja, global gesehen, auch weiterhin Jahr für Jahr mehr CO₂, nicht weniger.

Ich habe in dieser Kolumne schon diverse Male darüber geschrieben, dass es einer gewaltigen Zahl von Menschen augenscheinlich weiterhin gelingt, diese äußerst bedrohlichen Fakten weitgehend auszublenden. Ich habe auch schon diverse Male psychologische Erklärungen für diese Blindheit erläutert, und auch, was sich an diesen Faktoren gerade ändert. Aber geht diese Änderung schnell genug?

Alle, mit denen ich in den vergangenen Monaten über dieses Thema gesprochen  habe (es sind ziemlich viele), treibt diese Frage mehr als alles andere um: Fernsehstars und Ökonominnen, 80-jährige Veteranen der Umweltbewegung und 20-jährige Aktivistinnen, Regisseure, Philosophinnen, Journalisten, Studierende. Wie kann es sein, dass die Leute weiterhin so ruhig sind?

Ein erhellendes Gespräch mit dem Kaminkehrer

So bitter das klingt: Viele Menschen haben wohl nach wie vor nicht zu viel Angst vor der Klimakrise, sondern zu wenig. Sonst müssten Wahlergebnisse anders aussehen, politische Debatten anders verlaufen. Sonst müsste einfach mehr passieren, das in die richtige, nicht weiterhin in die falsche Richtung läuft.

Diese Woche hatte ich eine erhellende Konversation mit unserem Schornsteinfeger. Sie hat mich bei dieser Frage ein entscheidendes Stück weitergebracht.

Der Schornsteinfeger ist ein freundlicher Mann mit grauem Schnauzer. Ein zupackender Typ, der sich für Technik interessiert. Er stellte erstaunt fest, dass unser Schornstein ja gar nicht benutzt worden sei. Wir haben einen Holzofen für Notfälle, aber wenn der Strom nicht ausfällt, benutzen wir den auch im Winter nicht. Und unser Haus ist hervorragend gedämmt.

Anschließend sprachen wir über das Wetter. Über die Temperaturen in Frankreich und Spanien, über das bevorstehende Wochenende in Deutschland.

»Nee, das wird auch wieder weniger«

»Das wird jetzt immer schlimmer«, sagte ich. »Nee, das wird auch wieder weniger«, antwortete er, »die Erde wackelt«. Irgendetwas mit der Entfernung zur Sonne. Anschließend verwies er darauf, dass es auf der Erde doch schon immer »CO₂ und Stickstoff« gegeben hätte, und dass auch Vulkane CO₂ ausstießen.

Ich widersprach energisch und hielt ein Kurzreferat über CO₂-Konzentrationen in der Atmosphäre und deren Anstieg in den vergangenen 70 Jahren, über ausgegrabenen, uralten Kohlenstoff, den wir seit 220 Jahren verfeuern, und so weiter. Beim Thema CO₂-Konzentration warf mein Schornsteinfeger die korrekte Maßeinheit »ppm« (parts per million) ein, um mir zu signalisieren, dass ich ihm da nichts Neues erzählte.

Das war der erste Erkenntnismoment des Gesprächs: Der Mann weiß durchaus, was wirklich los ist. Aber er erzählt sich selbst und jedem, der es hören will, lieber eine andere Geschichte.

Warum mir der Gaspreis egal ist

Damit war er bei mir selbstverständlich an der falschen Adresse, aber ich wollte mich auch nicht streiten. Also begann ich, um eine positive Wendung des Gesprächs bemüht, von unserer Erdwärmepumpe und der Fotovoltaikanlage auf unserem Dach zu schwärmen, und von der Tatsache, dass mir persönlich der aktuelle Gaspreis egal sein kann.

»Ja, aber wie viel CO₂ steckt denn in den Solarzellen?«, fragte mein Schornsteinfeger zurück, jetzt augenscheinlich doch an CO₂-Vermeidung interessiert. Ich versicherte ihm, dass Solarzellen sich, entgegen solchen häufig vorgebrachten Einwänden, sehr schnell klimatechnisch amortisieren, hatte aber leider keine Zahl parat.

Mittlerweile habe ich nachgesehen: Einer Studie des Umweltbundesamtes von 2021  zufolge liegt die sogenannte Energy Payback Time einer in Deutschland betriebenen Solaranlage, je nach verwendeter Zellentechnik, zwischen 0,9 und 2,1 Jahren. Spätestens dann ist sie gut fürs Weltklima.

Das Windrad muss 750 Jahre laufen?

Mein Schornsteinfeger ließ aber nicht locker, immer freundlich lächelnd: Ältere Windkraftanlagen, die damals noch aus Aluminium hergestellt worden seien, seien erst nach 750 Jahren klimaneutral, behauptete er. Ich erwiderte, dass ich gerne die Quelle für diese Angabe wüsste, und er murmelte etwas von »Reader’s Digest«.

Er wusste außerdem durchaus, wie sich dann zeigte, dass moderne Windkraftanlagen völlig anders konstruiert werden – aber was ihm zum Thema einfiel, war dann doch diese groteske, in keinem Bezug zur gegenwärtigen Realität stehende Pseudoinformation. In der Psychologie nennt man so etwas »Aufwertung konsonanter Information«. Wie ein Raucher, der einen Raucher kennt, der 90 Jahre alt geworden ist.

Ich verlegte mich auf eine Strategie, die mir in letzter Zeit erfolgversprechend erscheint und wies auf den tatsächlichen Feind in dieser Frage hin: Die Konzerne, die mit fossilen Brennstoffen ihr Geld verdienen und seit Jahrzehnten mit gewaltigen Summen Desinformationskampagnen finanzieren , unter anderem mit dem Ziel, jede Alternative zu ihren Geschäftsmodellen als unmöglich darzustellen.

Jeder der Konzerne gebe Dutzende Millionen pro Jahr für Lobbying aus, ergänzte ich, und das stimmt: Bei BP sind es 53 Millionen Dollar, bei Shell 49, bei ExxonMobil 41 und bei Chevron und Total je 29 Millionen Dollar – pro Jahr. Zusammen also mindestens 200 Millionen Dollar pro Jahr, um effektive Klimagesetzgebung zu verhindern. Das sage übrigens nicht ich, das sagt »Forbes« . Der Schornsteinfeger nickte ernst.

Quelle        :          Spiegel-online           >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     STAUBSTURM – NARA – 544330

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Unten     —       Christian Stöcker (2017)

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Die dreckigste Energie

Erstellt von Redaktion am 16. Juni 2022

Im ENERGIEKRIEG – stehen die Sieger stehen schon fest

Ein solches Trikot, als Nachweis einer Leitung, kann kein Deutscher Politiker vorweisen

Von Mattias Reymond und Pierre Rimbert

Mit tiefer Verbeugung und verlegenem Lächeln bezeugte der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck dem katarischen Scheich Tamim bin Hamad al-Thani am 20. März 2022 seinen Respekt. Es war kein guter Tag für den ökologischen Umbau und die „Diplomatie der Werte“, die dem prominenten Grünen so am Herzen liegen.

Habecks Einknicken vor dem Emir von Katar und tags darauf sein Kotau vor dessen Amtskollegen in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) dienten dem Zweck, klimapolitisch nicht ganz so korrekte Energie einzukaufen: Flüssigerdgas (LNG) als Ersatz für das russische Gas, das bis dato die deutsche Wirtschaft am Laufen gehalten hat. Die Fotos von dieser Visite stehen sinnbildlich für das, was der russische Krieg in der Ukraine und die westlichen Sanktionen gegen Moskau in Europa angerichtet haben. Binnen weniger Wochen hat die Frage der Energiesicherheit die Klimafrage eingeholt und verdrängt.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist die Versorgung mit fossilen Ressourcen für Staaten und Imperien eine so wichtige Frage, dass sie stets bereit waren, ihre Energiesicherheit mit allen Mitteln zu gewährleisten: Sie haben Menschen ausgebeutet, Landschaften um­gestaltet, andere Kontinente kolonisiert, Verbündete zu Vasallen gemacht und Re­gio­nen besiedelt oder entvölkert.

Zwischen 2007 und 2011 war Exxon Mobil die Nummer eins an der Wall Street, zwischenzeitlich abgelöst von Petrochina. Heute jedoch gehört den Ölmultis von den zehn wertvollsten Aktiengesellschaften der Welt nur noch die teilprivatisierte Saudi Aramco. Acht der zehn kapitalstärksten AGs sind Hightech-Giganten.

Das digitale Zeitalter, das seine energieintensive Infrastruktur hinter kleinen Displays verbirgt, und der mühsam vorangehende Umstieg auf erneuerbare Ressourcen haben eine offenkundige Tatsache aus dem Blickfeld gerückt, die Generationen westlicher Staats- und Regierungschefs Kopfschmerzen bereitet hat: Die Souveränität und Macht der Staaten hängt vom Zugang zu Energiequellen ab.

Drei Monate nach dem Beginn der russischen Invasion tobt jenseits der Ukraine eine Schlacht um die Energie, bei der bereits absehbar ist, wer zu den Verlierern und wer zu den Nutznießern zählt. Europa und vor allem Deutschland gehören ohne Zweifel zur ersten Gruppe.

Die EU hat sich seit Kriegsbeginn gleich zwei fahrlässige Entscheidungen geleistet. Zum einen hat man Europas massive Abhängigkeit vom russischen Gas (Anfang 2002: 45 Prozent) und vom russischen Erdöl (27 Prozent) überstürzt statt planvoll reduziert, ohne über eine ähnlich zuverlässige und bezahlbare Ersatzlösung zu verfügen. Am 8. März 2022 präsentierte die Brüsseler Kommission das Programm REPowerEU1 mit dem erklärten Ziel, „Europa deutlich vor 2030

von fossilen Brennstoffen aus Russland unabhängig zu machen“. Konkret sollen die russischen Gaslieferungen, die 2021 noch mehr als die Hälfte aller europäischen Gasimporte ausmachten, bis Ende 2022 um zwei Drittel reduziert werden.

Das Programm REPowerEU enthält zwar reichlich Hinweise auf grünen Wasserstoff, Solarenergie, Windkraft und Biogas, aber im Wesentlichen setzt es auf die Nutzung von flüssigem Erdgas (LNG). Dieser Energieträger, der in LNG-Tankern vor allem von den USA, Australien und Katar exportiert wird, ist heiß begehrt. Ein Drittel des internationalen Handels wird nicht über langfristige Verträge abgewickelt, sondern am Spotmarkt, also gegen Cash. Das heißt: Der Meistbietende bekommt die Tankerladung.

Die moralischen Begründungen, mit denen die EU-Exekutive die Diversifizierung der europäischen Energieversorgung rechtfertigt, machen ähnlich fassungslos wie Habecks nahöstliche Bittstellertour. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte folgende „strategische Überlegungen“ vor: „Als Demokratien wollen wir die Welt von morgen gemeinsam mit Partnern gestalten, die unsere Vorstellungen teilen“. Und nannte dann als Energiepartner der Zukunft – neben den USA – drei weitere Musterdemokratien: Aserbaidschan, Ägypten und Katar.2

Bis nach den Verhandlungen tatsächlich Gaslieferungen erfolgen, werden Monate oder gar Jahre vergehen. Die Exportkapazitäten der USA reichen nicht aus, um das russische Gas zu ersetzen; Katar ist bis 2026 mit den vor allem für Asien bestimmten Lieferungen ausgelastet; Ägypten exportiert zum größten Teil nach China und in die Türkei. Angesichts der instabilen Lage in Libyen und des Algerien–Marokko-Konflikts, der zur Sperrung der Ma­ghreb-­Europa-Gaspipeline führte, ist wohl auch von Nordafrika keine Lösung zu erwarten. Die Konsequenz: Am 27. April lag der Gaspreis in Europa sechsmal höher als ein Jahr zuvor.3

Einen zweiten Fehler begingen die EU-Kommission und Deutschland, als sie entgegen der europäischen Interessen auf die Position Washingtons einschwenkten. Für die USA ist es kein Problem, ein Öl- und Gasembargo gegen Russland zu beschließen, denn sie sind von den Sanktionen nicht betroffen. Es trifft vielmehr nur die Bevölkerung des Alten Kontinents, wenn die russischen Öllieferungen und Raffinerieprodukte bis Ende dieses Jahres auslaufen, wie es die EU-Kommission am 8. März beschlossen hat. Die großen Leidtragenden bei diesem Energiedeal zwischen Brüssel und den USA sind vor allem die einkommensschwachen Schichten.

Die künftigen hohen Brennstoffpreise lassen sich nicht komplett und auf Dauer durch die staatlichen Maßnahmen auffangen, die verhindern sollen, dass europaweit Gelbwesten-Proteste ausbrechen. Auch im Hinblick auf das Ziel, die Energiequellen der EU zu diversifizieren, liegt ein Boykott gegen Moskau nicht im europäischen Interesse. Zudem ist bereits die erste Sollbruchstelle zutage getreten: Im Gegensatz zu Polen und den baltischen Staaten, die ganz auf der Linie Washingtons liegen und fest entschlossen sind, möglichst schnell auf das Öl und Gas zu verzichten, „mit dem Putin seinen Krieg finanziert“, haben Ungarn und die Slowakei beim jüngsten EU-Gipfel Ausnahmeregeln gefordert und durchgesetzt. Sie dürfen, wie auch Tschechien, auf unbestimmte Zeit weiter russisches Öl über die Druschba-Pipeline beziehen.

Alle inneren Widersprüche der europäischen Position bündeln sich im Fall Deutschland. Zur Sicherung seiner Energieversorgung hat Berlin auf billiges Gas, Verträge mit langer Laufzeit und dauerhafte Infrastrukturen wie Nord Stream 1 und 2 gesetzt. Diese Strategie datiert vom Anfang des neuen Jahrtausends. Damals sah die EU in dem geschwächten und gefügigen Russland, das auf kurzem Wege reichlich Öl und Gas liefern konnte, ein handelspolitisches Druckmittel gegenüber Lieferanten in Nordafrika oder im Nahen Osten.

Als Bundeskanzlerin Merkel 2011 beschloss, aus der Atomenergie auszusteigen, wuchs die deutsche Abhängigkeit von russischen Ressourcen, auch wenn sie parallel auf einen schnellen Umstieg auf sogenannte grüne Energieträger setzte. Noch vier Jahre nach der russischen Annexion der Krim widerstand Merkel dem Ansinnen der USA, Nord Stream 2 aufzugeben. Damals verständigten sich Berlin und Moskau darauf, ihre Gasgeschäfte und Infrastrukturen als rein kommerzielles Projekt zu definieren, um es so weit wie möglich vor den Unwägbarkeiten der Weltkonjunktur und der russlandfeindlichen Politik Washingtons zu schützen.

Die harsche Kritik aus den USA, die Beteiligung der Grünen an der neuen Regierungskoalition in Berlin und schließlich der russische Einmarsch in die Ukraine haben diesen Status quo zerschmettert.4 Am 7. Februar 2022 stellte US-Präsident Joe Biden im Beisein von Olaf Scholz klar, dass über die deutsche Energiepolitik in Zukunft in Washington entschieden wird und nicht in Berlin: „Wenn Russland einmarschiert, das heißt Panzer oder Truppen über die Grenze der Ukrai­ne fahren, dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden das beenden.“ Man stelle sich vor, wie das Weiße Haus reagiert hätte, wenn Berlin bei einer Invasion im Irak gedroht hätte, eine großes US-­In­fra­struktur­projekt zu „beenden“.

LNG-Umweltsünden werden verschwiegen

Unter dem Eindruck der Bombardierung Kiews schwenkte Berlin innerhalb weniger Wochen auf die US-Position ein: Ausstieg aus Nord Stream 2, schleunigste Reduzierung der Abhängigkeit vom russischen Gas (von Januar bis April 2022 wurden die Gasimporte bereits von 55 auf etwa 35 Prozent zurückgefahren) bis zur vollständigen Unabhängigkeit Mitte 2024, neue Lieferverträge mit den Niederlanden, Norwegen, den USA, Katar und Polen. Am 1. Mai kündigte die Bundesregierung an, Pachtverträge für vier schwimmende Flüssiggasterminals abzuschließen und zwei weitere LNG-Anlagen zu bauen; am 2. Mai folgte die Zustimmung zu dem von Washington angeregten Ölembargo.

Eine so zentrale Angelegenheit wie die Energiesicherheit von jetzt auf gleich komplett umzukrempeln, müsste jeden Regierungschef, der auf die strategischen Interessen seines Landes bedacht ist, in Angstzustände versetzen. Vor allem, wenn die von den USA versprochenen zusätzlichen LNG-Exporte nach Europa kaum ein Zehntel der bisherigen Importe aus Russland ausgleichen würden und die neuen In­fra­strukturen, die für eine Volumensteigerung benötigt werden, nicht vor 2026 betriebsfertig sein werden.5

Trotz seines Sinneswandels geriet Olaf Scholz massiv unter Beschuss. „Mit seiner Weigerung, die Gaslieferungen aus Russland zu stoppen, macht Deutschland sich de facto mitschuldig am Massenmord“, dozierte Paul Krugman am 7. April in der New York Times. Am 8. April forderte die französische Tageszeitung Le Monde, „mit dem russischen Gas Schluss zu machen“ und dafür auch „Produktionsunterbrechun­gen samt Kurzarbeit, Wegfall von Arbeitsplätzen und höhere Kosten für Hersteller und Verbraucher“ in Kauf zu nehmen.

Hier tritt die Pikanterie des Falls voll zutage: Die in Washington beschlossenen und von Brüssel tapfer mitgetragenen Sanktionen gegen Moskau belasten vor allem die Europäer. Das hat US-Finanzministerin Janet Yellen unverblümt zugegeben: Ein euro­päi­sches Ölembargo gegen Russland werde „einen geringen negativen Effekt auf Russland haben“, aber die Preise in die Höhe treiben, wovon Moskau unmittelbar profitieren werde.6

Grundsätzlich wirft die Neuordnung auf Europas Gasmarkt ein dreifaches Problem auf – wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und ökologisch. Im Gegensatz zum Erdöl ist der LNG-Preis regional unterschiedlich: Im ersten Quartal 2002 wurde 1 Million British Thermal Units (MBTU), was 293 Kilowattstunden entspricht, am US-Spotmarkt mit 7 Dollar, in Europa mit 32,30 und in Asien mit 30,70 Dollar gehandelt.7 Der höchste Preis wurde am 7. März mit 72 Dollar aufgerufen. Europa ist in der misslichen Lage, neue Verträge zu einem Zeitpunkt abschließen zu müssen, in dem die Preise durch die Decke gehen; im Sommer 2020 kostete das Gas nicht einmal 2 Dollar je MBTU.

Ein weiteres Problem ist die Versorgungssicherheit: Im Unterschied zu den mit Russland und Katar geschlossenen Langzeitverträgen, bei denen es sich um verbindliche Zusagen souveräner Staaten handelt, findet der LNG-Handel mit privaten Förderunternehmen der USA auf einem volatilen Markt statt. Die Irrfahrt des Gastankers „British Listener“ lässt ahnen, wie viele schlaflose Nächte auf die EU-Energieminister zukommen. Am 21. März legte der Tanker in Texas vom LNG-Terminal Freeport ab, um durch den Panamakanal Asien anzusteuern. Am 1. April kehrte er wieder um, passierte die Schleusen in entgegengesetzter Richtung und nahm Kurs auf Europa – wo höhere Preise lockten.8

Doch die größte Heuchelei bei der Entkopplung Europas von russischen Öl- und Gaslieferungen betrifft die Umweltpolitik. Bei Produktion und Transport von LNG aus den USA entsteht ein doppelt so großer CO2-Fußabdruck wie beim konventionellen russischen Gas. Ein Beispiel: Für den Transport nach Frankreich fallen 58 statt 23 Gramm CO2 pro Kilowattstunde an.9 Rechnet man die durch Fracking verursachte Umweltzerstörung hinzu, kommt der Fußabdruck des „Freiheitsgases“, das Trump und Biden anpreisen, auf 85 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Das heißt: Während die deutsche Wirtschaft eigentlich immer grüner werden sollte, fällt die CO2-Bilanz des grünen Ministers dank des transatlantischen LNG ausnehmend dreckig aus.

Von der Gewinnung über den Transport bis zum Absatz an die Verbraucher ist der Handel mit fossilen Brennstoffen seit Jahrzehnten vielfach vernetzt. Aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Produzenten- und Verbraucherländern hatten die Marktanbeter prophezeit, dass ein neues Weltzeitalter mit weniger Konflikten anbrechen würde.

Diese Mär haben Henry Farrell und Abraham Newman in ihrem viel beachteten Text „Weaponized Independence“ zerpflückt: Anders als von neoliberaler Seite behauptet, produzieren die vernetzten Strukturen keine fragmentierte und kooperative Welt mit flachen Hierarchien und diffusen Machtverhältnissen: „Im Gegenteil: Letztlich führen sie zu einem spürbaren und dauerhaften Ungleichgewicht.“10

Manche Staaten sind tatsächlich in der Position, die gegenseitige Abhängigkeit als Druckmittel einsetzen zu können – wie etwa die USA mit dem Zahlungssystem Swift oder Russland mit seinem Gas. Schon vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine fürchtete man im Westen, dass Moskau als Erpresser auftreten könnte, wie es dann im auch März geschah, als Putin forderte, Gaslieferungen künftig in Rubeln zu bezahlen.

Im großen Spiel der wechselseitigen Abhängigkeiten sind die USA in einer privilegierten Lage: Während China und Indien immer mehr fossile Brennstoffe importieren müssen, sind die USA inzwischen Selbstversorger (siehe den Artikel auf Seite 16). Diese Position hat der Krieg noch gestärkt, während die private Fracking-Industrie dem angeschlagenen Rivalen Russland das Leben schwermacht.

Am Horizont ziehen indes auch dunkle Wolken auf: Nachdem die Lieferketten schon durch Lockdowns, Logistikchaos, Komponenten- und Rohstoffknappheit zwei Jahre lang gestört waren, gefährdet nun der plötzliche Anstieg der Energiepreise nicht nur den Wohlstand der US-Aktionäre, sondern auch den sozialen Frieden. Zu Beginn der Sommerreisesaison und sechs Monate vor den US-Zwischenwahlen kostet das Benzin an US-Tankstellen doppelt so viel wie 2020: Und der Benzinpreis ist in den USA ein noch brisanteres Thema als in Frankreich. Das Gleiche gilt für die Gaspreise. „Die Regierung muss auf mögliche Kostensteigerungen reagieren, die der rasante Anstieg der Gasexporte für die amerikanischen Familien bedeutet“, forderte im Februar eine Senatoren-Gruppe in einem offenen Brief an die Energieministerin Jennifer Granholm, in dem „Sofortmaßnahmen“ gefordert wurden.

Quelle          :        LE MONDE diplomatique          >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   (Doha – Catar, 28/10/2019) Encontro Privado com Sua Alteza o Xeique Tamim Bin Hamad Al Thani, Emir do Catar Foto: Valdenio Vieira/PR

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von Redaktion am 14. Juni 2022

„Krieg und Frieden“
Begehrte Liter Benzin

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Aus Kiew von Olena Makarenko

Benzin ist schwer erhältlich. Das ist für Zivilisten schon lästig. Für Armee und kritische Infrastruktur aber ist es hochproblematisch.

In welchen Einheiten messen Sie Entfernungen? In Kilometern? In Stunden? Wir messen sie jetzt in Litern. Ich war einen Freund besuchen, außerhalb der Stadt, wir hatten uns lange nicht gesehen. Aber jetzt muss ich schnell zurück – gleich beginnt die ­Sperrstunde. Er möchte wissen, wohin ich fahren müsse – und rechnet nach, ob sein Benzin reicht. Nein, normalerweise würde er das nicht tun. Nur leider könnte das Benzin wirklich nicht reichen.

Ja, Benzin muss man im Voraus besorgen. Tankstellen im ganzen Land verwandeln sich in eine Art „To-go“-Einrichtungen, wie die überall neu entstandenen Coffeeshops. Und um an Benzin zu kommen, muss man sich in lange Schlangen einreihen. Dass es dort überhaupt gerade welches gibt, erkennt man an den langen Warteschlangen. Darüber hinaus ist Benzin auch nicht überall frei verkäuflich. Die Menschen rufen schnell ihre Freunde und Verwandten an, wenn sie sehen, dass es welches gibt. Sie stellen sich füreinander an, haben die Websites von Tankstellen im Blick, abonnieren alle möglichen Telegram-Bots oder Blogs, die sich mit diesem Thema beschäftigen.

Vor einem Monat stand man Tage und Nächte für Benzin an. Während der Sperrstunden ließ man die Autos dort, ging schlafen und kam am Morgen wieder. Ab 5 Uhr stand man Schlange. Aber das ist nicht mal das Schlimmste. Wirklich blöd ist es für diejenigen, die nach langem Warten merken, dass das Benzin genau dann alle ist, wenn sie selber an der Reihe gewesen wären. Und solche Glückspilze gibt es.

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Die Tankstellen sind gezwungen, Beschränkungen einzuführen. Zum Beispiel nicht mehr als 15, 20, 30, 40 Liter pro Person. Über die Qualität des Benzins macht man sich schon lange keine Gedanken mehr, Hauptsache, es gibt überhaupt welches. Über die Folgen, die das für das Auto hat, kann man später immer noch nachdenken. Gerade kostet Benzin 50 bis 55 Griwnja (umgerechnet etwa 1,75 Euro), aber es war auch schon mal doppelt so teuer.

In den Nachrichten sagen sie, dass das bald besser würde. Im Prinzip erzählen sie das aber schon länger. Gäbe es nicht die panischen Wünsche einiger Menschen, möglichst immer vollzutanken, wäre es vielleicht schon früher besser geworden. Sagt man zumindest. Durch den Krieg ist die Ukraine gezwungen, den Markt fast völlig umzustrukturieren. Früher kam Benzin vor allem aus Russland und Belarus. Mit Beginn der Importe aus Europa sind eine Reihe logistischer Probleme entstanden.

Quelle      :       TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —       Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —  The only pedestrians about around 9 a.m. in Kyiv on Feb. 24, 2022, were dog-walkers and people heading out of the city. (Jaimie Dettmer/VOA)

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Preisignorante Ladesäulen

Erstellt von Redaktion am 13. Juni 2022

Der Wert von Strom schwankt durch Wind und Sonne erheblich.

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Von Bernward Janzing

Die Preise bleiben trotzdem gleich und damit das Verbraucherverhalten. Die Chance, durch Verlagerun­­­­­­­­gen der Nachfrage Extrem Belastungen des Systems zu entschärfen, wird verspielt.

Ortstermin am Autobahnkreuz Hilden in Nordrhein-Westfalen, an einem der europaweit größten Ladeparks für Elektroautos. Es ist ein ambitioniertes Projekt, das – nette Anekdote am Rande – von einem regionalen Biobäcker realisiert wurde. Aber um das Projekt selbst soll es hier gar nicht gehen, sondern vielmehr darum, wie sich in Hilden exemplarisch die vielleicht größte Fehlsteuerung der Energiewende offenbart.

Der Wert einer Kilowattstunde Strom schwankt in Deutschland inzwischen erheblich, was sich logisch aus dem steigenden Anteil von Solar- und Windstrom ergibt. Mal ist Strom im Überfluss im Netz, weil gerade eine Sturmfront übers Land zieht oder weil flächendeckend die Sonne auf die Dächer brennt. Wenn dann noch Wochenende ist und die Stromnachfrage gering, kann Strom für Stunden zu einem wertlosen Produkt verkommen.

Zu anderen Zeiten hingegen, wenn Sonne und Wind gleichermaßen fehlen und es zudem auch noch kalt ist in Mitteleuropa, wird die Kilowattstunde Strom sehr wertvoll – schlichte Ökonomie; Angebot und Nachfrage eben. Der Spotmarkt der Strombörse macht diese Wertschwankungen zeitlich hochaufgelöst transparent: Im 15-Minuten-Takt des Intraday-Markts bekommt der Strom jeweils sein aktuelles Preisschild aufgedrückt. Betreiber flexibler Kraftwerke reagieren darauf. Sie erhöhen oder drosseln ihre Produktion entsprechend der Marktsignale und liefern so den Ausgleich, den das Netz für seine physische Stabilität dringend benötigt. So weit, so gut, so eingespielt.

Zugleich aber herrscht im Land eine Praxis, die zu diesem ausgeklügelten System der Stromerzeugung so gar nicht passt. Sie könnte im weiteren Verlauf der Energiewende zu einem handfesten Problem werden. Womit wir wieder in Hilden sind. Betreiber haben hier Dutzende von Ladesäulen für Elektroautos installiert. An manchen können die Fahrzeuge mit einer Leistung von bis zu 250 Kilowatt tanken. Befremdlich jedoch: Für die Kunden ist der Preis zu allen Zeiten gleich – egal, ob die Kilowattstunde im Großhandel gerade 70 Cent kostet, wie schon der Fall, oder ob der Strom zu einem negativen Preis gehandelt wird, was ebenfalls immer wieder vorkommt.

Würden die Verkaufspreise an die Preise der Strombörse gekoppelt, könnte bei hohem Anteil erneuerbarer Energien das Tanken billiger werden. Nur ist das bislang nicht praktikabel. Zwar erklärte das Bundeswirtschaftsministerium, zeitvariable Tarife seien durchaus zulässig – sofern „entsprechend geeignete und konformitätsbewertete Messgeräte“ zur Verfügung stünden. Daran aber hapert es offenbar – an eichrechtlichen Fragen.

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Damit wird eine Absurdität der Energiewende-Wirtschaft deutlich: Während die Stromwirtschaft mit ihren Kraftwerken viel Aufwand betreibt, um die schwankende Erzeugung der Erneuerbaren auszugleichen, bleiben Anreize für Verbraucher, sich im Sinne des Stromnetzes zu verhalten, auf der Strecke. Die Chance, durch Verlagerungen von Nachfrage Extrembelastungen des Stromsystems zu entschärfen, wird damit verspielt. Unverständlich, bei diesen Mengen: Alljährlich könnten durch zeitvariables Laden von Autos 70 Milliarden Kilowattstunden auf solche Termine verschoben werden, zu denen ausreichend Strom vorhanden ist, analysierte jüngst das Öko-Institut.

Das klingt plausibel. Denn wer beobachtet, wie sehr Autofahrer ihr Tankverhalten mitunter danach ausrichten, ob das Benzin gerade ein paar Cent mehr oder weniger kostet, kann sich ausmalen, welche Effekte durch variable Strompreise an der Ladesäule zu erzielen sind. Zumal bei Strom noch weitaus höhere Einsparungen möglich sind als bei Benzin: Faktor fünf zwischen Tiefstpreis und Höchstpreis an der Ladesäule ist durchaus mal drin, wenn man die Preissignale der Börse eins zu eins durchreicht.

Ähnliche Potenziale der Verbrauchsverlagerung ermittelte das Öko-Institut im Wärmesektor. Auch dieser wird das Stromsystem erheblich fordern, wenn die elektrische Wärmepumpe – aktuell als die große Alternative zum Erdgas hochgejubelt – mit Macht in die Häuser einzieht. Die Folgen sind absehbar: Die Spitzenlast im Stromnetz wird an kalten Tagen beachtlich zulegen.

Quelle         :          TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Aral Pulse Ladestation mit Tankstelle im Hintergrund

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Windkraft – Menschenrechte

Erstellt von Redaktion am 11. Juni 2022

Die Versprechen wirtschaftlicher Entwicklungen wurden nicht erfüllt

Protest gegen den Windpark Wolverine.jpg

Von Alejandra Ancheita

Indigene Völker sollten beim Kampf gegen die Erderwärmung einbezogen werden. Stattdessen verlieren sie durch die Errichtung von Windparks Ländereien und Einnahmequellen.

Der Übergang zu Erneuerbaren Energien hat sich als zentraler Beitrag zur Begrenzung der Erderhitzung erwiesen – einer komplexen Krise in vielfältigen Formen und Dimensionen, die sich nicht nur auf den Alltag der Menschen auswirkt, sondern alles Leben auf unserem Planeten gefährdet. Der Wechsel zu nachhaltiger Energiegewinnung ist Teil der Lösung, wenn wir den Klimawandel stoppen wollen.

Auf dem Weg dahin sind indigene Bevölkerungsgruppen und ethnische Minderheiten wichtige Beteiligte, die nicht übersehen werden dürfen. Die Weltbank weist darauf hin, dass die traditionellen indigenen Gebiete, die nur gut 20 Prozent der Erdfläche ausmachen, 80 Prozent der verbliebenen Biodiversität unseres Planeten halten. Außerdem verfügen sie über ein in Jahrtausenden gewachsenes Wissen darüber, wie sie den durch den Klimawandel erzeugten Gefahren begegnen müssen, wie sie sie verringern oder sich an sie anpassen können. Obwohl diese Gruppen also bei der Verteidigung unseres Planeten in vorderster Linie stehen, wurden sie in der Regel von der öffentlichen Debatte über Lösungen ausgeschlossen. Man hat sie stattdessen verfolgt, bedroht und attackiert.

Indigene Gruppen und Ethnien werden insbesondere in Lateinamerika diskriminiert und sind strukturellem Rassismus ausgesetzt. Armut und Ausgrenzung treffen sie ebenso hart wie soziale Ungerechtigkeit. Nach Informationen der Weltbank machen indigene Gruppen nur 6 Prozent der Weltbevölkerung aus, aber 15 Prozent der Menschen, die in extremer Armut leben. Ihre Lebenserwartung liegt um 20 Jahre niedriger als die der nicht-indigenen Bevölkerung, und ihr Zugang zur Justiz und anderen Entscheidungsträgern ist sehr erschwert. Diese Nachteile machen es für sie mühsam, die negativen Auswirkungen des Klimawandels abzuwehren. Sie sind ihnen deshalb stärker ausgesetzt.

Wir konnten diese Trends selbst in der agrarischen und indigenen zapotekischen Gemeinschaft in der Gemeinde Unión Hidalgo (15.000 Ein­wohner*innen) am Isthmus von Te­huan­te­pec im Süden Mexikos beobachten. Der Isthmus ist der wichtigste Standort für die Windenergiegewinnung in ganz Mexiko. Dutzende großer Windenergiefarmen sind bereits aktiv vor Ort. In Unión Hidalgo ist ein Windpark namens „Piedra Larga“ errichtet worden, seine 114 Windturbinen ragen in kaum 500 Meter Abstand von der Gemeinde in den Himmel.

Die Windparks werden als Beitrag zur Energietransformation und als ökonomische Alternative vorgestellt, um die Armut in der Region zu beenden. Tatsächlich wurden sie aber auf sehr fruchtbaren Böden errichtet, was das auf Landwirtschaft und Viehzucht basierende Entwicklungsmodell der zapotekischen Gemeinden zerstörte. Die Windkraftbetreiber behaupten, dass nur 2 Prozent der Gesamtfläche für die Stromgewinnung benötigt werden und die übrigen Flächen anderweitig genutzt werden können. In Wirklichkeit werden beim Bau dieser Anlagen große Gebiete eingezäunt und bewacht. Zutritt ist nicht mehr erlaubt. Die Windparks verletzten die Menschenrechte der indigenen Bevölkerung, darunter ihr Recht auf Selbstbestimmung. Ebenso wenig wurde beachtet, dass indigene Gemeinschaften laut mexikanischem Recht solchen Vorhaben auf ihrem Land vorab, ungehindert und auf der Grundlage vollständiger Informationen auch über die Umwelt folgen zustimmen müssen.

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In Unión Hidalgo haben sich elf Jahre nach dem Bau des ersten Windparks die Versprechen wirtschaftlicher Entwicklung nicht erfüllt. Vielmehr hat sich ein Gefühl der Unsicherheit und der Gewalt entwickelt. Offizielle Daten zeigen, dass 57,6 Prozent der Bevölkerung weiterhin in Armut leben, 35,1 Prozent haben in ihren Häusern keinen Zugang zu grundlegender öffentlicher Versorgung, 37,1 Prozent leben in Ernährungsunsicherheit und 21,4 Prozent haben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Außerdem hat sich die Gewalt innerhalb der indigenen Bevölkerung verschärft, weil Leute mit einem Interesse am Zustandekommen der Projekte die Gemeinden gespalten und deren sozialen Zusammenhalt zerstört haben. Vertreter der Windkraftbetreiber locken mit Stipendien, Jobs oder Aufträgen, wenn sie ihre Anlagen bauen wollen. Die Unternehmen machen solche Versprechungen in der bewussten Absicht, bestimmte Gruppen in der Region des Isthmus gegeneinander auszuspielen. Dabei zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass die Unternehmen ihre Zusagen nicht einhalten, wenn sie die Baugenehmigung erhalten haben.

Nachdem die Kommune Unión Hidalgo 2015 erfahren hatte, dass ein neuer Windpark auf ihrem Territorium errichtet werden sollte, suchte sie die Unterstützung von ProDesc, um den Bau dieses Projekts zu verhindern. Nach monatelangen Recherchen wurde bekannt, dass hinter dem geplanten Windpark eine mexikanische Tochtergesellschaft von Électricité de France (EDF) stand, dem französischen Staatsunternehmen und einem der weltweit größten Energieproduzenten. Dieser große Windpark namens „Gunaa Sicarú“ hätte sich über eine Fläche von mehr als 47 Quadratkilometern erstreckt. Es wäre das größte Windprojekt in Lateinamerika gewesen und hätte den Ort vollständig mit Windturbinen umgeben. Das Unternehmen informierte die Gemeinde jedoch nicht über alle Einzelheiten und den Umfang des Projekts, geschweige denn über dessen ökologische und soziale Auswirkungen.

Quelle         :       TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben       —     Ein lokaler Landbesitzer errichtete dieses Schild, um gegen den Bau eines Windparks im Wolverine Canyon im Bingham County Idaho zu protestieren

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Skandal um Nachhaltigkeit

Erstellt von Redaktion am 6. Juni 2022

Wie wir den Kollaps herbeiwirtschaften

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Wir sollten der Politik keine Entschuldigungen für ihr Versagen bieten, denn sie bekommen trotzdem ihr Gehalt.

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Haben Sie mitbekommen, dass diese Woche gleich zwei gewaltige Umweltskandale in den Nachrichten waren? Oder dass die Uno mittlerweile offen vor einem »globalen Kollaps« warnt? Nein? Das hat seine Gründe.

»Die Erde, die einst so groß schien, muss als so klein erkannt werden, wie sie ist. Wir leben in einem geschlossenen System, wir sind absolut abhängig von der Erde und voneinander, sowohl, was unsere eigenen Leben betrifft als auch für die nachfolgender Generationen.«
Aus der von 2200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterzeichneten Menton-Botschaft von 1972 

Man kann der Menschheit eigentlich nicht vorwerfen, dass sie nicht begriffen hätte, was sie sich selbst und ihrem einzigen Planeten antut. Im Gegenteil. Wir wissen seit mehr als fünfzig Jahren, dass unsere Art, den Planeten zu zerwirtschaften, für die Menschheit nicht langfristig überlebbar ist. Dabei spielte die Klimakrise in der oben zitierten Erklärung von Menton (ein Ort in Frankreich), die im Zusammenhang mit der ersten Uno-Nachhaltigkeitskonferenz der Geschichte vor 50 Jahren veröffentlicht wurde, noch gar keine Rolle.

Darin geht es trotzdem um diverse Probleme, die heute noch drängender, existenzieller sind als damals: Umweltzerstörung, Ressourcenverbrauch, Bevölkerungswachstum und Hunger, Krieg. Die zwei apokalyptischen Reiter der Gegenwart, die permanent zunehmende Erhitzung von Atmosphäre und Ozeanen und das sechste Massenaussterben der Erdgeschichte, hatten die Unterzeichnenden damals noch nicht so klar vor Augen wie wir heute – aber natürlich sind beide direkte Auswirkungen der gleichen menschlichen Misswirtschaft.

Das Bruttoinlandsprodukt ist ein miserables Maß

Bei der genannten Uno-Nachhaltigkeitskonferenz wurde damals, 1972, einiges erreicht : Zum Beispiel wurde die Uno-Umweltorganisation Unep gegründet, die später wiederum eine Rolle bei der Gründung des Weltklimarats IPCC spielte und maßgeblich am Kampf gegen das Ozonloch beteiligt war – ein schönes, Hoffnung machendes Beispiel für die Effektivität realer globaler Kooperation. Außerdem wurden erstmals konkrete Nachhaltigkeitsziele etwa für Biodiversität und gegen Wüstenbildung ins Werk gesetzt.

Bei einer Jubiläumskonferenz diese Woche in Stockholm  sagte Uno-Generalsekretär António Guterres, wir müssten endlich unseren »sinnlosen und selbstmörderischen Krieg gegen die Natur beenden«.

Unglücklicherweise ist die Lage der Menschheit fünfzig Jahre später nämlich nicht besser, sondern weit schlechter als damals. Die Warnungen des im selben Jahr erschienenen Club-of-Rome-Reports »Die Grenzen des Wachstums« verhallten, zumindest auf der politischen und wirtschaftlichen Ebene, weitgehend ungehört. Bis heute streben praktisch alle Nationen auf dem Planeten Erde ein mindestens prozentual konstantes und damit exponentielles, ständig beschleunigtes Wirtschaftswachstum an – gemessen an dem für menschliches Wohlergehen reichlich ungeeigneten Maß »Bruttoinlandsprodukt«. Dass dies kein gutes Maß für eine gute Zukunft ist, hat man sogar bei der Industrieländerorganisation OECD längst erkannt , die einst zur Steigerung des Wirtschaftswachstums gegründet wurde.

Zwei schön-schreckliche Beispiele
Noch mehr auf Wachstum bedacht sind die Unternehmen, die dieses blinde, längst als Irrweg erkannte, völlig undifferenzierte Wirtschaftswachstum tragen. Zwei schön-schreckliche Beispiele lieferte die Nachrichtenlage der vergangenen Tage.

Der gigantische Rohstoffkonzern Glencore, der unter anderem mit Öl handelt, einigte sich mit einem US-Gericht auf einen Vergleich: Glencore wird mehr als eine Milliarde Dollar bezahlen, weil seine Manager in Afrika Millionen von Dollar an Schmiergeldzahlungen verteilt haben, um sich Ölförderrechte zu sichern. Außerdem soll der Konzern Ölpreise manipuliert haben. In Großbritannien und Brasilien stehen weitere Strafen an. Insgesamt hat der Konzern dafür vorsorglich 1,5 Milliarden Dollar beiseitegelegt .

So machen die Konzerne, die den Planeten zugrunde richten, das oft: Sie brechen so lange Gesetze, wie sie damit durchkommen, und wenn es nicht mehr geht, dann kaufen sie sich frei. Um die 1,5 Milliarden Dollar ins Verhältnis zu setzen: Glencore hat seinen Anteilseignern gerade vier Milliarden Dollar als Dividende ausgeschüttet . Der Profit des Konzerns lag 2021 bei über 21 Milliarden Dollar.

Uno-Generalsekretär sieht »Sucht nach fossilen Brennstoffen«

Die zweite Nachricht aus der zurückliegenden Woche, die erstaunlich wenig Wellen geschlagen hat, ist eine große Razzia bei der Fondsgesellschaft DWS , die mehrheitlich der Deutschen Bank gehört. Der Vorwurf lautet, dass man dort das doch immer noch recht harmlos klingende »Greenwashing« betrieben habe: Als nachhaltig deklarierte Investitionsvehikel seien in Wahrheit keineswegs nachhaltig. Dafür, dass an den Vorwürfen etwas dran ist, sprechen zwei Tatsachen: Der erste Hinweis, der zu der Razzia führte, kam von der ehemaligen Nachhaltigkeitsbeauftragten der DWS selbst . Und der Chef der Fondsgesellschaft musste unmittelbar nach der Razzia gehen.

Das alles geschieht vor dem Hintergrund, dass wir mit der Erschließung neuer Ölvorkommen und anderen klimaschädlichen Investitionen dringend aufhören müssten, und zwar sofort. Uno-Generalsekretär António Guterres hat vor ein paar Wochen erst gesagt, die Welt müsse ihre »Sucht nach fossilen Brennstoffen« beenden , Investoren müssten aufhören, entsprechende Projekte zu finanzieren.

Quelle      :         Spiegel-online         >>>>>       weiterlesen

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Oben     —     Cartoon: „Technischer Fortschritt“: Kohlendioxidentfernung (Schlagworte: CO2, Energie, Technologie, Klima)

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Unten     —       Christian Stöcker (2017)

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KOLUMNE * MATERIE

Erstellt von Redaktion am 5. Juni 2022

9-Euro-Ticket? Lieber Lastenrad!

Eine Kolumne von Kersten Augustin

Das 9-Euro-Ticket ist ein schönes Experiment. Aber revolutionieren wird den Verkehr nur das Lastenrad.

Wie sehr kann man sein eigenes Klischee sein? Dieser Herausforderung möchte ich mich in diesem Jahr stellen. Erst habe ich meinen VW-Bus ohne Umweltplakette verkauft, dann habe ich ihn vergangene Woche durch – Achtung, Triggerwarnung! – ein Lastenrad mit Elektromotor ersetzt. Damit fahre ich nun meine Kinder durch Berlin. Und wenn Sie sagen, Papa, mach’ mal Turbo, dann mach’ ich Turbo.

Merken Sie schon, wie sich Ihr Puls beschleunigt? Dann sind Sie nicht allein: Irgendwann ist es Mode geworden, sich über Lastenräder aufzuregen. Zuletzt klang das in der Berliner Zeitung so: Guck mal, der Papa mit den zwei Kindern da, der grinst so arrogant! Wie viel Platz der wegnimmt! Der ist doch voll Prenzlauer Berg! Und im Netz alle so: Haha, genau.

Das Lastenrad hat im Debattenkarussell den Platz eingenommen, den vergangenes Jahr das vermeintlich drohende Verbot des Einfamilienhauses und der Currywurst in der VW-Kantine hatten. Nur dass es diesmal nicht um Ernährung oder Wohnen geht, sondern darum, wie wir uns in der postfossilen Welt bewegen.

Solche Kulturkämpfe sind praktisch: Alle können einmal Dampf ablassen. Ist ja auch nötig, wird ja immer wärmer da draußen. Doch leider werden dabei die materiellen Fragen vermieden. Das Niveau der Lastenrad-Witze ist ungefähr so hoch wie vor zehn Jahren, als Fleischesser noch Witze über Vegetarier machten („Die essen meinem Essen das Essen weg“). Auch denen wurde vorgeworfen, missionarisch zu sein, weil man sonst keine Argumente hatte.

Besser als E-Autos

Es stimmt, beim Fahren auf dem Lastenrad muss man grinsen. Aber das ist nicht überheblich gemeint! Es ist nur der Fahrtwind, der die Mundwinkel verzieht. Und, zugegeben, das Gefühl, Teil der Avantgarde zu sein. Denn ich wage die These, dass das Lastenrad den Verkehr revolutionieren wird. 9-Euro-Ticket, schön und gut, aber eine individualisierte Gesellschaft braucht individuelle Verkehrsmittel.

48 Prozent, also fast die Hälfte der Arbeitnehmer pendelt zur Arbeit weniger als zehn Kilometer. Undenkbar, dass all diese Menschen auf ein Fahrrad ohne Motor, Bus und Bahn umsteigen. Und was das kosten würde! An neuen Schienen, Fahrzeugen, Busfahrern. Auf so einer Strecke ist das Lastenrad schneller als das Auto und der Bus: am Stau vorbei, als Abkürzung durch den Park und kein Stress beim Parken.

Quelle          :       TAZ         >>>>>          weiterlesen

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Unten        —       Mutter mit Bakfiets und zwei Kindern in Den Haag

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Afrobeat -Scholz‘ Afrikareise

Erstellt von Redaktion am 30. Mai 2022

Die toten Babys von Senegal

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Von Dominik Johnson

Deutschland will Erdgas aus Senegal. Dort kollabiert das Gesundheitswesen. Über das Dilemma eines Präsidenten, die richtigen Prioritäten zu setzen.

Gegen 21 Uhr am Abend des 26. Mai brach im Krankenhaus von Ti­va­oua­ne in Senegal ein Feuer aus. Ein Kurzschluss verursachte eine Explosion, die einen Brand auslöste, der sich über die Klimaanlage ausbreitete. Die erst vor einem halben Jahr eröffnete Säuglingsstation ging in Flammen auf, elf Babys verbrannten. Während das Entsetzen in Senegal um sich griff, brach Präsident Macky Sall eine Auslandsreise ab, entließ seinen Gesundheitsminister und verfügte drei Tage Staatstrauer.

Solche Dramen häufen sich in Senegals öffentlichem Gesundheitswesen. Am 25. Mai wurden drei Hebammen zu sechs Monaten Haft auf Bewährung wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt, nachdem sie im April im Krankenhaus von Louga eine Schwangere hatten sterben lassen. Die werdende Mutter war mit Wehen ins Krankenhaus gegangen und hatte um einen Kaiserschnitt gebettelt; das Personal erklärte ihr, sie sei nicht dran; sie wartete 20 Stunden vergeblich, bis sie starb. Ebenfalls am 25. Mai wurde in Kaolack eine Pflegerin dem Richter vorgeführt, die einem Vater einen Karton mit seiner angeblich tot geborenen Tochter überreicht hatte – im Karton fand er ein lebendes Baby, das kurz darauf starb.

Erst nach dem jüngsten Drama reagiert der Präsident entschlossen. Tivaouane ist ein Wallfahrtsort der Tidjane-Bruderschaft, einer der beiden mächtigen islamischen Sufi-Bruderschaften, die den Islam im Senegal prägen. Tidjane-Führer haben empört auf den Vorfall im Krankenhaus reagiert. Kein senegalesischer Politiker kann es sich leisten, die Bruderschaften zu verprellen.

Denn Senegal ist die stabilste Mehrparteiendemokratie Westafrikas, und die öffentliche Debatte zählt hier mehr als anderswo. Aber die senegalesische politische Elite hält sich auch für die klügste des Kontinents, sie liebt wortgewaltige Zukunftsankündigungen und überlässt die Sorgen der Gegenwart den Imamen. Wenn grundlegende Dinge wie etwa eine sorgenfreie Kindsgeburt in ­staatlicher Obhut nicht gewährleistet sind, wendet sich das ganz schnell gegen die Regierenden.

Parlamentswahl könnte wegweisend für Präsidentschaftswahl sein

In Senegal stehen am 31. Juli Parlamentswahlen an. Präsident Macky Sall muss um seine Mehrheit zittern: Bei den letzten Wahlen 2017 holte sein Wahlbündnis Benno Bokk Yakaar (In Hoffnung vereint) nicht einmal 50 Prozent der Stimmen, wenngleich es dank des Wahlsystems mit 125 von 165 Sitzen klar dominierte. Der Präsident, der sich 2012 nur mithilfe von Massenprotesten gegen seinen am Amt klebenden Vorgänger ­Abdoulaye Wade durchsetzen konnte, ist längst selbst Zielscheibe einer aufsässigen Jugend, die kreative neue Formen des Protests erfindet und die etablierte Elite vor sich hertreibt. Ein Oppositionssieg bei der Parlamentswahl 2023 wäre ein Signal für die Präsidentschaftswahl 2024.

Wie praktisch für Macky Sall, dass ihm in diesen turbulenten Zeiten Deutschland Wahlkampfhilfe leistet. Die Bundesregierung hat Senegal zum G7-Gipfel im Juni eingeladen, weil Sall gerade den Vorsitz der Afrikanischen Union innehat, und ihm damit die globale Bühne geöffnet. Bundeskanzler Olaf Scholz besuchte Senegal am 22. Mai als erstes Zielland seiner ersten Afrika-Dienstreise und betonte die Bedeutung der „Partnerschaft“ mit Senegal, die „immer wichtiger“ werde. Dann kündigte er Zusammenarbeit bei der Erdgasförderung an.

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Senegals politische Beobachter wissen genau, dass solche Ankündigungen kein Akt deutscher Selbstlosigkeit sind. Afrika, so die Analyse, muss jetzt offenbar Europa helfen, sich aus der Energieabhängigkeit von Russland zu lösen: mit Erdgas aus dem Meeresboden.

Das hat zwar den Schönheitsfehler, dass Senegal nur wenig Erdgas hat, die Förderung frühestens Ende 2023 beginnt und über die Details Streit mit den Nachbarn herrscht. Doch afrikanische Präsidenten lieben es, wenn europäische Länder an ihre Tür klopfen und Öl und Gas wollen – vor allem solches, das es noch gar nicht gibt. Das ist ein Freibrief für den Machterhalt.

Von Tschad bis Uganda haben in den vergangenen Jahrzehnten Herrscher unter Verweis darauf, dass sie dank ihrer guten internationalen Kontakte ihrem Land demnächst Öl- und Gasreichtum bescheren werden, ihre Zeit an der Staatsspitze erheblich verlängert. Immer steht das Paradies kurz bevor, also nach der nächsten Wahl. Demokratische Machtwechsel in Ländern, die vom Öl- und Gasexport leben, sind äußerst selten. Nigeria, der größte Ölförderer südlich der Sahara, ist die Ausnahme, aber nur dank seiner föderalen Struktur, die allen politischen Lagern Zugang zu den Futtertrögen bewahrt.

Quelle      :        TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben      —     Nationale N2 – route de Saint-Louis – dans le centre de Tivaouane

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Kolumne-Fernsicht-Israel

Erstellt von Redaktion am 28. Mai 2022

Deutschland und Katar – ein delikater Tanz

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Doha – Katar

Von Hagai Dagan

Die neuen Umstände, die der Krieg in der Ukraine schafft, zwingen Deutschland zur Suche nach alternativen Energiequellen. So kam es auch, dass der Emir von Katar, Tamim bin Hamad al-Thani, jüngst Berlin besuchte.

Das kleines Emirat ist kaum so groß wie Schleswig-Holstein, eine Halbinsel im Persischen Golf, überwiegend Wüste, mit einer Gesamtbevölkerung von weniger als 3 Millionen Seelen, von denen nur rund 300.000 BürgerInnen sind. Diese kleine Halbinsel verfügt, wie viele andere Golfstaaten, über riesige Mengen von Öl und Erdgas. Und damit über einen enormen Reichtum und weitreichende wirtschaftliche Macht.

Im Gegensatz zu anderen Golfstaaten, wie Kuwait oder Oman, befindet sich Katar schon seit einigen Jahren auf einem eigenen unabhängigen politischen Weg, ehrgeizig, „frech“, sich nicht von der saudi-arabischen Hegemonie beeinflussen lassend und sogar mit ihr kollidierend. Dieser Kurs führte Katar zum frontalen Zusammenprall mit Ägypten, mit Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten, die einen Boykott gegen das Emirat verhängten, was allerdings misslang. Katar bewies beeindruckende Widerstandsfähigkeit.

Was Saudi-Arabien und die Verbündeten verärgerte, war der komplizierte Alleingang, den Katar im Minenfeld der Regionalpolitik vollführte. Der Flirt mit Iran, die Unterstützung der Hisbollah im Libanon und Bewegungen wie der Hamas in Gaza. Katar ist die Heimat von al-Dschasira, eine Medienmacht, die arabische Regierungen scharf kritisiert und die einerseits den Arabischen Frühling, andererseits radikal islamische Organisationen, wie die Muslimbrüder, unterstützt.

Scheich Tamim bin Hamad Al Thani und Wladimir Putin (2019-06-15) 01.jpg

Da sehen die Russen gleich Zwerge aus.

Al-Dschasira dient erklärtermaßen der Informationsfreiheit und sei komplett unparteiisch. Tatsächlich verfolgt der Sender eine klare Agenda – die des katarischen Regimes: Unterstützung des radikalen Islam, entschlossener Widerstand gegen Israel und den Zionismus sowie Opposition gegen diktatorische Regime wie Ägypten und Saudi-Arabien. Es versteht sich von selbst, dass dieser Widerstand das eigene Regime in Katar, das monarchisch ist, ausnimmt.

Das Emirat nimmt mittels al-Dschasira großen Einfluss auf die Stimmung in der arabischen Welt, auf politische und wirtschaftliche Prozesse. Es scheint, als agiere Katar konsequent nach starrer Agenda, hat aber nicht selten Pragmatismus und Flexibilität durchblicken lassen, wenn es um politische und wirtschaftliche Interessen geht.

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Oben     —    Majlis Al Tawoon Straße – Katar

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Unten     —    Встреча Президента России Владимира Путина с Эмиром Государства Катар Тамимом Бен Хамадом Аль Тани

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Die CO2 – Zertifikate

Erstellt von Redaktion am 20. Mai 2022

CO2-Zertifikate sind für Zwischenhändler eine Goldgrube

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von   :    Daniela Gschweng /   

CO2-Kompensationszahlungen fliessen zu grossen Teilen in die Taschen von Maklern, statt in Umweltprojekte.

Wer in die Ferien fliegt, bezahlt immer öfter ein paar Franken mehr zur Kompensation des verursachten Klimaschadens. Für den Extra-Franken wird dann irgendwo auf der Welt ein Wald gepflanzt oder ein anderes Klimaprojekt umgesetzt.

Das denken zumindest Konsumentinnen und Konsumenten. Teilweise stimmt es auch. Ein grosser Teil des Geldes fliesst jedoch in andere Kanäle. Ob es dort der Umwelt dient, ist unklar.

Die Gewinnspannen für die Zwischenhändler von CO2-Zertifikaten jedenfalls sind hoch. Das berichten das Greenpeace-Medium «Unearthed», und «Source Material» aus einer Partnerrecherche zu den Zertifikaten. Die beiden Medien nutzten Daten von «Allied Offsets», einem Unternehmen, das Daten zu Carbon Offsets sammelt. Sie fanden fast 250 Projekte, bei denen Zwischenhändler CO2-Zertifikate von Umweltprojekten für den dreifachen Preis an Unternehmen weiterveräussert hatten.

Auch MyClimate profitiert

Das Schweizer ETH-Spin-Off MyClimate beispielsweise habe CO2-Zertifikate eines Projekts in Myanmar für 10,70 Dollar gekauft und für mehr als 30 Dollar wieder verkauft. MyClimate beruft sich auf «Marktschwankungen» und eine Absicherung für ein mögliches Fehlschlagen des Mangroven-Projekts.

Das gemeinnützige Unternehmen investierte 2020 laut «Unearthed» den Grossteil der Unternehmensgewinne in einen Investmentfonds. Dieser wird laut MyClimate für weitere Klimamassnahmen genutzt. Denjenigen, die die Zertifikate kauften, ist dabei grösstenteils nicht klar, dass ihr Geld nicht direkt und vollständig zu den bezeichneten Umweltprojekten geht.

Laut den FAQ auf seiner Webpage «garantiert MyClimate, dass mindestens 80 Prozent der Kompensationsgelder für die Klimaschutzprojekte vor Ort verwendet werden. Die restlichen maximal 20 Prozent benötigte die gemeinnützige Stiftung für die Deckung der Verwaltungs- und stiftungsinternen Kosten».

In einem Projekt kamen nur noch 15 Prozent der Kompensation an

Das französische Unternehmen EcoAct ging noch weiter, was durch geleakte E-Mails belegt ist. EcoAct verkaufte im vergangenen Jahr C02-Zertifikate, die ein Projekt im Amazonas ein Jahr zuvor für 2,75 Dollar abgegeben hatte, für 20 Dollar weiter.

Die Umwelt hat von dem schlussendlich bezahlten CO2-Preis oft wenig, der Finanzmarkt dafür umso mehr. Wo die Gewinne von Maklern landen, ist, anders als bei MyClimate, oft nicht dokumentiert.

Zu den Kunden von EcoAct gehören Konzerne wie easyJet, Air France oder Coca-Cola. EcoAct versichert seinen Kunden, dass «normalerweise 85 bis 95 Prozent» des Kaufpreises an das Umweltprojekt gingen. Eine Sprecherin wies den Vorwurf «grosser und unfairer Gewinne» gegenüber «Unearthed» und «Source Material» zurück.

«Wahrscheinlich ist [diese Gewinnspanne] nicht das, was der Kunde im Sinn hatte», sagt Kelsey Perlman, Wald- und Klimaspezialistin bei der Kampagnengruppe Fern. «Unearthed» listet noch weitere Beispiele auf.

Es geht zwar ums Klima – aber auch um viel Geld

Wie undurchsichtig und anfällig für Missbrauch der CO2-Markt ist, hat Infosperber bereits am Beispiel Greenwashing beschrieben («Wie sich Unternehmen Klimaneutralität zusammenkaufen»). Der Markt für CO2-Emissionen sei noch grösstenteils wilder Westen, sagt auch ein PR-Spezialist, den «Unearthed» und «Source Material» befragt haben.

Die Recherche beleuchtet ein dringendes Problem im globalen CO2-Handel: Bei der CO2-Kompensation geht es zwar ums Klima aber eben auch immer mehr ums Geld.

Im vergangenen Jahr seien Kompensationsgeschäfte für schätzungsweise eine Milliarde Dollar getätigt worden. Die Rohstoffgiganten Vitol, Glencore und Trafigura hätten 2021 alle eine Abteilung für den Emissionshandel eröffnet, schreibt «Unearthed». Der Markt ist in grossen Teilen intransparent und wenig reguliert.

Wichtiges Instrument zur Bekämpfung der Klimakrise

Politiker und Umweltverbände betrachten Carbon Offsets oder CO2-Zertifikate als einen der wichtigsten Hebel im Kampf gegen die Klimakrise. Irgendwann, so die Idee dahinter, wird es so teuer werden, Kohlendioxid zu emittieren, dass Klimaschutzmassnahmen günstiger kommen.

Das gilt sowohl für die verpflichtenden Zertifikate für Unternehmen, die einer Art «CO2-Strafe» gleichkommen, wenn diese zu viel CO2 produzieren, wie auch für freiwillig gekaufte. Beide sollen den Klimaschutz voranbringen und beide Arten von Zertifikaten werden auf längere Sicht teurer werden.

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Was CO2-Makler mit dem Geld machen, das sie von Ihren Kunden bekommen, müssen sie nicht öffentlich machen. Wer eine Fluggesellschaft dafür bezahlt, CO2-Kompensation für den Ferienflug zu leisten, investiert so womöglich in Finanzprodukte, die mit Klimaschutz nicht das Geringste zu tun haben.

Mehr Transparenz ist dringend nötig

Darauf vertrauen, dass Geld für Emissionszertifikate tatsächlich Klimaschutzmassnahmen finanziere, könne man derzeit leider nicht, sagt auch Gilles Dufrasne. Dufrasne ist Fachreferent für internationale Klimapolitik bei der gemeinnützigen Organisation «Carbon Market Watch», die den Kompensationssektor beobachtet.

Der Umweltökonom fordert dringend mehr Transparenz im wachsenden Geschäft. «Wenn der Zwischenhändler um ein Vielfaches mehr bekommt als das Unternehmen, das die Klimawirkung erzeugt, läuft etwas sehr falsch», sagt er.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

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Oben     —     Kohlekraftwerk in Datteln: Durch den Emissionshandel wird Kohle weniger wettbewerbsfähig gegenüber CO2-freien Energieträgern.[1]

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Tempolimit für die Bahn

Erstellt von Redaktion am 16. Mai 2022

Klimaschutz und die Bahn

Von Werner Sauerborn und Hendrik Auhagen

Mehr Geld für die Schiene bedeutet nicht automatisch Klimaschutz. Nötig ist ein Paradigmenwechsel weg von der Beton- und Hochgeschwindigkeitsbahn.

Eins scheint bei Umweltbewegten bis in die Klimawissenschaft hinein festzustehen: „Bahn ist ökologisch!“ Da klingt es gerade in diesen Zeiten gut, dass die DB 2022 die Rekordsumme von 13,6 Milliarden Euro, 900 Millionen mehr als im Vorjahr, in Bahnhöfe und Infrastruktur investiert. Wofür genau – erst mal unwichtig. Endlich mal gute Nachrichten von der Bahn: neue Hochgeschwindigkeitszüge und Trassen, die den Flugverkehr unattraktiv machen sollen, Überwindung von Zeit und Raum mit Rennstrecken, Bahnhofsbauten für den Deutschlandtakt, spektakulären Brücken- und Tunnelprojekten.

Mehr Geld für die Schiene gleich mehr Klimaschutz! Diese Gleichung geht nur auf, wenn man in der Klimabilanz der Bahn all das ausblendet, was bei anderen Themen einzurechnen meist Standard, zumindest aber bekannt ist. Nämlich die Modi der Nutzung, die den unmittelbaren Energieverbrauch bestimmen, und die „graue Energie“, das heißt der Energieaufwand und Klima­belastungen aus Vorprodukten, zurückgehend bis zur Rohstoffgewinnung.

Bei jedem Staubsauger gibt es Energieeffizienzklassen, angesichts des explodierenden Einsatzes von Mikrochips und Batterien wird über die problematische Gewinnung von Lithium und Kobalt diskutiert. Bei jedem Auto weiß man, dass der Verbrauch, ob Benzin oder Strom, abhängt von seinem Gewicht, der gefahrenen Geschwindigkeit, und dass bei gleichen Tempi weniger verbraucht wird als bei ständigem Bremsen und Beschleunigen.

Auto ist also nicht gleich Auto, aber Bahn ist gleich Bahn und immer klimafreundlich? Physikalische Basics gelten aber auch bei der Bahn. Bei einer geilen Tempo-300-Sause verdreifacht sich der Energiebedarf beziehungsweise THG-Ausstoß pro Kilometer gegenüber 160 km/h. Auf Extremgeschwindigkeiten ausgelegte Züge müssen schwerer gebaut werden, gewichtsbedingt daher höherer Energieaufwand bei Bau und Betrieb sowie signifikant höherer Verschleiß von Gleisen und Gleisbett.

Tunneldurchfahrten sind energieaufwendiger als Fahrten auf offenem Gelände. Immens der Energieaufwand eines voll besetzten, fast 1.000 Tonnen schweren ICE4 beim Beschleunigen auf seine Höchstgeschwindigkeit.

Eine Studie im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung errechnet, dass der CO2-Ausstoß für den Bau der 30 Tunnel zwischen Köln und Frankfurt bei mehr als 850.000 Tonnen liegt. Mehr Geld für die Schiene bedeutet nicht automatisch mehr Klimaschutz. Nötig ist ein Paradigmenwechsel weg von der Beton- und Hochgeschwindigkeitsbahn.

Der Verkehrswissenschaftler Karlheinz Rößler hat Ähnliches für die in Stuttgart geplanten sogenannten Ergänzungsprojekte ermittelt. Von den Pro­jekt­geg­ne­r*in­nen als „zweites Stuttgart 21“ kritisiert, sollen mit weiteren 47 Kilometern Tunnel inklusive einem zusätzlichen unterirdischen Kopfbahnhof die immer deutlicher zutage tretenden Defizite von Stuttgart 21 behoben werden.

Der aktuelle Rekordhalter V150 der Rad-Schiene-Technik bei einer Geschwindigkeit von rund 574 km/h (2007)

Der Bau allein der geplanten Tunnelstrecken erfordert fast 3,5 Millionen Tonnen Material, im Wesentlichen Stahlbeton für die Tunnelwände, -böden und -decken. In der Klimawährung ausgedrückt: zusätzliche 730.000 Tonnen Treibhausgase, vor allem CO2! Je aufwendiger das Projekt, umso geringer der Klimagewinn.

Ähnlich verheerende Klimabilanzen dürften die vielen bundesweit geplanten Großprojekte der DB aufweisen, wie die Verlegung des Bahnhofs Hamburg-Altona, der Nord-Zulauftunnel zum Brenner-Basistunnel, der Fehmarnbelt-Tunnel durch die Ostsee, der Fernbahntunnel in Frankfurt am Main, der zweite S-Bahn-Tunnel in München.

Zu all diesen Vorhaben gibt es Bürgerinitiativen, die klimaverträglichere Alternativen entwickelt haben. In Stuttgart zum Beispiel das Konversionsprojekt Umstieg 21. Eine ehrliche Klimabilanz würde zeigen, dass der gefahrene Personenkilometer mit dem Auto oder dem Flugzeug weniger klimabelastend ist als ein Kilometer Zugfahrt in diesen Tunnel- und Hochgeschwindigkeitswelten.

Auf jeden Fall verkleinert diese anachronistische Ausbaustrategie den klimapolitischen Systemvorsprung der Schiene gegenüber den Verkehrsträgern Auto und Flugzeug, die ja mit der Verkehrswende zurückgedrängt werden sollen.

Quelle      :          TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Oben     —       Schnellfahrstrecke Hannover–Würzburg

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