DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Archiv für die 'Feuilleton' Kategorie

PRIGOZHIN via PUTIN

Erstellt von Redaktion am 26. Juni 2023

PRIGOZHINS MEUTEREI GEGEN MOSKAU

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

Von der Washington Post angekündigt

Es war ausgerechnet die Washington Post (s.Link), die im Mai behauptete, dass der Inhaber des Söldnerunternehmens, das unter dem Namen „Wagner-Gruppe“ bekannt ist, der aktuellen ukrainischen Regierung strategische Unterlagen der russischen Armee angeboten haben soll. In einem Krieg der Oligarchen – der Chef der Wagner-Gruppe Yevgeny Prigozhin gehört auch zu dieser einflußreichen Gruppe in Russland – spielt Geld nicht nur eine Rolle für den Waffenkauf, sondern auch für die jeweilige Loyalität. Es ist denkbar, dass die Ukraine-Oligarchen Prigozhin einfach genug für den Seitenwechsel geboten haben: Seine Truppe marschiert jetzt gegen Russland.

Kapitalisten kennen kein Vaterland

Schwer vorstellbar ist, dass die russische Regierung die Information ignoriert hat. Doch offenkundig war sie vor der Ankündigung der Washington Post einer Meuterei gegen die russische Militärführung nicht informiert genug, um rechtzeitig vorbeugende Maßnahmen zu treffen. Dieser Mangel wiegt um so schwerer, als Prigozhin seit seinen Sankt Petersburger Tagen in der Umgebung von Wladimir Putin verortet wurde: Er erhielt eine Reihe von Staatsaufträgen, unter anderem lieferte er Essen an die Russische Armee. Die Meuterei Prigozhins bestätigt die marxistische Erkenntnis, dass Kapitalisten kein Vaterland kennen, ihre Heimat ist der Profit. Die Meuterei, da darf man sicher sein, war nicht billig.

Ukraine als Aufmarschgebiet gegen Russland

Bisher gelang es Wladimir Putin, den Ukraine-Krieg unter der Flagge der Nation zu führen. Tatsächlich soll der Krieg die nationalen Interessen sichern. Denn solange es den USA und ihrer NATO gelingt, die Ukraine als Aufmarschgebiet gegen Russland zu formieren, solange ist die internationale Position Russlands erheblich geschwächt. Diese Schwäche würde sich auf Dauer auch auf die russischen Handelsbedingungen auswirken, von der Verteidigungsfähigkeit des Landes ganz zu schweigen.

Vorbereitung eines Putsches gegen die russische Regierung

Prigozhins Meuterei muß als Vorbereitung eines Putsches gegen die russische Regierung gewertet werden. Die erfahrenen britischen Imperialisten lassen Prigoschins Meuterei durch ihr Verteidigungsministerium als „die größte Herausforderung für den russischen Staat in jüngster Zeit“ einschätzen. Wladimir Putin selbst bestätigt diese Wertung, wenn er sagt, der Aufstand sei „genau die Art von Schlag gewesen, der Russland 1917 zugefügt wurde, als das Land den Ersten Weltkrieg führte, aber der Sieg wurde ihm genommen. Intrigen, Streitereien, Politik hinter dem Rücken der Armee und des Volkes führten zum größten Schock: der Zerstörung der Armee und dem Zusammenbruch des Staates, dem Verlust riesiger Gebiete. Am Ende – die Tragödie des Bürgerkriegs.“

Niederlage Russlands wäre ein schwerer Schlag für freie Nationen

In den nächsten Tagen und Wochen wird sich das Schicksal Russlands entscheiden. Und mit ihm die Frage, ob Europa komplett unter die Stiefel der USA gerät. Falls die Russen den Kampf gegen die USA nicht gewinnen würden, kann das auch die Chinesen nicht unberührt lassen: Ein Sieg der USA würde das internationale Kräfteverhältnis zugunsten der westlichen Kräfte verschieben. Für die Handlungsspielräume aller Nationen, die ihre Selbstständigkeit, ihre Freiheit und Unabhängigkeit schätzen, wäre eine Niederlage Russlands ein schwerer Schlag.

https://www.washingtonpost.com/national-security/2023/05/14/prigozhin-wagner-ukraine-leaked-documents/

Urheberrecht

Die durch die Seitenbetreiber erstellten Inhalte und Werke auf diesen Seiten unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung des jeweiligen Autors bzw. Erstellers. Downloads und Kopien dieser Seite sind nur für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch gestattet.

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —       Prime Minister Vladimir Putin looked over the factory’s production chain and was shown new vending machines that accept cards. The factory’s director, Yevgeny Prigozhin, remarked that they are produced by companies that previously manufactured slot machines. „They have been retrofitted,“ Prime Minister Putin said. „It’s very good and useful.“ He asked Leningrad Region Governor Valery Serdyukov whether the parents of school students are satisfied with the meals. The governor replied that it took some time for them to get used to the new meal system but all issues have been resolved and the students are satisfied. Mr Prigozhin said that his factory does not use frozen food products or preservatives. The cost of an adult meal produced by Concord is 32 roubles.

Abgelegt unter Asien, Kriegspolitik, Medien, Positionen | 1 Kommentar »

DIE * WOCHE

Erstellt von Redaktion am 26. Juni 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

U-Boot, Inflation, Yacht-feindliche Orcas: Meeresbiologen vermuten Rache. In den Freibädern gehts wieder rund. Musk will sich mit Zuckerberg kloppen. Und Arme bekommen ein „Stellt euch mal nicht so an“.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Helene Fischer hat Nasenbluten.

Und was wird besser in dieser?

Erste singende KI.

In den Freibädern gibt es mal wieder Schlägereien. Sorgt Claudia Pechstein dort bald für Recht und Ordnung?

Die heißen Tage könnten den polizeilichen Wasserwerfern einen enormen Popularitätsschub bringen. Einfach mal in die schwitzende Masse halten. Vielleicht wäre Schwimmmeister nicht nur ein tolles Wort mit drei M hintereinander, sondern auch eine weitere Option für die Sportförderung: In deutschen Olympiateams arbeiten formal zwei Drittel der Teilnehmenden bei Bundeswehr und Bundespolizei. Wenn der Staat auch die Bademeister noch rekrutiert, bekommen sie eine imponierende Uniform, Übung an der Waffe und im Freibad weht ein Hauch von CDU-Parteitag. Das schreckt ab.

Australien kündigt an, stärker gegen Hassreden auf Twitter vorzugehen. Mehr oder weniger gleichzeitig wollen dessen Besitzer Elon Musk und Meta-CEO Mark Zuckerberg sich zu einem Käfigkampf treffen. Wie lange noch, bis Musk k. o. geht?

„Über­durch­schnitt­lich intelligent, Gruppenwesen und aus Daffke mal was kaputtmachen – hallo Geschwister“

Zerrissene Visitenkarte: Unter Burschenschaftern die Forderung zur scharfen Mensur. In Deutschland dürften die beiden Hochleistungsflegel einander legal blaue Häkchen ins Gesicht metzgern, in Österreich mit einigem Stolz in die Narbe ein Pferdehaar einnähen lassen: Das gibt eine stattliche Wulst. Es sind also noch schöne Stei­gerungen möglich, bis endlich ein demokratisch legitimiertes und kuratiertes Netzwerk entsteht.

Die gefühlte Inflation in Deutschland liegt laut einer Studie des Kreditversicherers Allianz Trade bei 18 Prozent, die tatsächliche bei 6 Prozent. Fühlt sich Ihre Realität eher nach 6 oder 18 an?

Wenn ich das Zwingende und das Häufige – Steuern, Energie, Lebensmittel – bezahlt habe, ist noch ein kleiner, schmelzender Puffer übrig. Wer dagegen dann schon blank ist, empfindet die Inflation höher als wer dann noch reichlich hat. Paradox: Wer viel Geld hat, dem macht viel Geldentwertung wenig. Die allgemeine Inflationsrate ist ein Mittelwert, der finanziell Schwächeren ein herzliches „Stellt euch mal nicht so an“ vorhält. Aus Sicht derer, die sich nicht so anstellen müssen.

Die Orcas spielen vor der spanischen Küste „Schiffe versenken“. Rächt sich jetzt die Tierwelt an uns Menschen?

Meeresbiologen vermuten tatsächlich Rache einer notorischen Gruppe von Schwertwalen, die schon mehrere Boote und dort jeweils das Ruder angegriffen haben. Die Anführerin der Gruppe könnte ein Junges an einem Ruder verloren haben, wird spekuliert. Andere führen Beispiele an, dass Orcas gern spielen – mit Algen, Quallen oder eben mal einem Boot. Überdurchschnittlich intelligent, Gruppenwesen und aus Daffke mal was kaputtmachen – hallo Geschwister.

Deutschland ist im Gleichstellungsranking des Weltwirtschaftsforums von Platz 10 auf Platz 6 vorgerückt. Können wir uns darauf ausruhen?

Wenn wir die Klimakatastrophe lindern und überleben können, winkt deutschen Frauen in weiteren 67 Jahren eine ausgewogene Balance zwischen den Geschlechtern. Vielleicht erklärt das, warum es männerdominierte Parteien mit der Klimapolitik nicht so eilig haben: Lieber versaften als in der Weibertyrannei vegetieren. Deutschlands Verbesserung bezieht sich aus Politik, Bildung und Gesundheitswesen. Das kaschiert Rückschritte in der Wirtschaft. Also der Equal Pay Gap und der Mangel an Frauen in Führungspositionen. Da wir bei den „generations“ eh gerade bei „Z“ angekommen sind, mag man zuversichtlich schauen auf die „Generation Merkels Enkelinnen“.

Die Passagiere des U-Bootes „Titan“ sind wohl tot. Ein Tauchroboter habe Trümmerteile gefunden. Was bedeutet das für die Zukunft des Risikotourismus?

Quelle         :        TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Bearbeitung durch User: Denis_Apel –

Lizenz “Creative Commons“ „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“

Abgelegt unter Feuilleton, International, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Die Letzte Generation

Erstellt von Redaktion am 25. Juni 2023

„Schluss mit der Präventivhaft“

Von    : Herta Däubler-Gmelin als Gastbeitrag

Herta Däubler-Gmelins Expertise ist gefragt: als Vorsitzende der Berliner Kommission „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ ebenso wie zur Kriminalisierung der Letzten Generation. Die Ex-Bundesjustizministerin (SPD) in einem Exklusiv-Beitrag für Kontext.

Die Aktionen der Letzten Generation spalten die Öffentlichkeit. Viele von uns unterstützen ihre Ziele mit gutem Grund: Wir wissen längst, dass nur noch wenig Zeit bleibt, um die Klimakrise nicht vollends zur Klimakatastrophe zu machen. Wir alle sehen auch, dass die Verantwortlichen in Regierungen und Parlamenten die notwendigen Veränderungen zu zögerlich vorantreiben können, weil der Einfluss der Lobby zu stark und die Trägheit vieler Bürgerinnen und Bürger zu groß ist. Viele lassen sich auch allzu gern von populistischen Beschwichtigern einlullen, obwohl wir jeden Tag mehr erleben, dass jedes weitere Verschieben der längst bekannten überfälligen Entscheidungen doppelt kostet und sich rächen wird.

Also: Alle müssen mehr tun, wir müssen unsere gewohnte Lebensweise verändern. Und zwar bald. Darauf muss immer wieder aufmerksam gemacht werden. Durch bessere politische Kommunikation – das ist eine wichtige Aufgabe nicht nur für Politiker:innen und Parteien, sondern auch für Journalisten, die sich heute viel zu viel darauf begrenzen, genüsslich den Streit und die Konflikte in der Regierung zu beschreiben.

Demonstrationen und Aktionen der Zivilgesellschaft gehören dazu. Die gibt es glücklicherweise, und sie sind, ebenso wie Kritik, nicht nur erlaubt, sondern geradezu Bürgerpflicht. Sie können Öffentlichkeit und Druck erzeugen und auf diese Weise mithelfen, die längst als erforderlich erkannten Änderungen gerade noch rechtzeitig genug umzusetzen.

Mehr Kreativität und Hirn

Das muss gelingen. Die Nachdenklichen unter den jungen Leuten wissen, was alle spüren: Heute wird über ihre Zukunft entschieden. Meine Enkelinnen und Enkel und weitere Generationen müssen die Chance bekommen, auch künftig selbstbestimmt in einer Gemeinschaft mit Freiheit, Schutz und Solidarität leben zu können. Das fordern sie in vielen Demonstrationen und Aktionen, von denen die meisten beeindruckend kreativ sind und bemerkenswert wenig über die Stränge schlagen.

Nicht so manche Aktivitäten der Letzten Generation: Deren Aktionen des zivilen Ungehorsams verletzen häufig Vorschriften, auch Gesetze. Das ist ein Problem, ohne Zweifel; in jedem Einzelfall müssen Ziel und Mittel in rechtsstaatlicher Balance stehen. Ihre Klebeaktionen beispielsweise sind ein Grenzfall. Sie nerven nicht nur die für die Trägheit politisch Verantwortlichen, sondern auch viele „normale“ Bürger, die sich ungern behelligen lassen, obwohl auch sie aufgerüttelt werden müssen: Wer, wie ich, im E-Auto in Berlin (nicht in Tübingen, da hat sich OB Palmer vernünftigerweise mit den Aktivisten auseinandergesetzt) mehr als eine Stunde in einem Kleber-Stau stand, hat für den Zorn vieler Aufgestauter durchaus Verständnis. Allerdings bleibt die Frage unbeantwortet, ob die Empörten, die bei solchen Gelegenheiten am liebsten in die Reporter-Mikrofone beißen würden, sich in den heute normalen verkehrsbedingten Staus vergleichbar echauffieren.

Ich finde auch die Farb- oder Kartoffelbreiattacken auf berühmte Museumsbilder und manches andere schlicht blöd und wünsche mir mehr Kreativität und Hirn, um durch bessere Demonstrationsformen die notwendige Klimapolitik im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit zu halten und nicht durch die Aufregung über zweifelhafte Methoden abzulenken. Die Forderung der Letzten Generation nach „Bürgerräten“ halte ich für politisch falsch und für eher naiv. Zwar sehe ich, dass damit die Zuständigkeit der verfassungsgemäß gewählten Parlamente keineswegs verdrängt werden soll. Ich sehe jedoch nicht, warum und wie Bürgerräte eine weniger träge oder weniger durch Lobbyisten beeinflusste Klimapolitik durchsetzen könnten. Vorgeschaltete Beratungen von Bürgerräten würden die Willensbildung nur weiter verlängern. Tempo 30 in Ortschaften und Tempo 100 im Übrigen wäre konsequenter und wirksamer.

Söder sollte besser Bäume umarmen

Söder – Holz zu Holz und Hirn zu Hirn

Kritik ist also nicht nur an der Trägheit der Regierenden und unserer Gesellschaft geboten; ich halte auch die Auseinandersetzung über manche Aktivitäten der Letzten Generation für völlig berechtigt!

Aber ist es deshalb vertretbar oder gar richtig, diese Gruppe als „Terroristen“, „Ökoterroristen“ oder Kriminelle abzustempeln, wie das von besonders prägnanten Lautsprechern der politischen Rechten mittlerweile geschieht? Und ist es zulässig, Mitglieder dieser Gruppe durch Polizei und Justiz entsprechend strafrechtlich zu verfolgen? Klare Antwort: nein, ganz sicher nicht.

Quelle       :          KONTEXT-Wochenzeung-online        >>>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     — Mehr Infos: www.mehr-demokratie.de/erfahrungsbericht-karlsruhe.html

2.) von Oben      —     Der Aufstand der Letzten Generation blockiert Straße am Hauptbahnhof, stehend Lina Eichler, Berlin, 28.01.22

******************************

Unten       —

Letzte Generation Löwenbräukeller Munich Dachauer Strasse 2023-06-12

Abgelegt unter Baden-Württemberg, Medien, Positionen, Überregional, Wirtschaftpolitik | 1 Kommentar »

Down with the Crown

Erstellt von Redaktion am 24. Juni 2023

Graham Smith: Abolish the Monarchy

File:Coronation of Charles III and Camilla - King's Procession (02).jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von       :        Jonathan Eibisch

Ein besserer Verkaufs-Coup hätte Graham Smith für sein erst im Juni erscheinendes Buch Abolish the Monarchy nicht gelingen können.

Der Autor und Initiator einer Kampagne gegen das englische Könighaus wurde beim Protest gegen die Krönung von König Charles verhaftet.

Gewürdigt werde sollte so viel Raffinesse schon, zumal damit einer nach wie vor recht kleinen Protestbewegung gegen die Relikte vormoderner Herrschaft, Beachtung gezollt wird.

Schade allerdings, dass hier vor allem liberale Republikaner die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Viel schöner wäre es doch, wären in der ersten Reihe des Protestes gegen das Könighaus auch ausgewiesene Anarchist*innen. Andererseits haben diese weit weniger Ressourcen zur Selbstinszenierung und widmen sich wohl auch weit basaleren Auswüchsen der Herrschaftsordnung, als der lächerlichen Inszenierung einer vermeintlich guten, traditionell abgesicherten und weisen Führungsriege.

Schade, denn sonst hätte man statt Protest mit Schildern und den Rufen „Not my king“, lieber ein Parallelspektakel aufführen können: Im wahrsten Sinne, Karneval. Allernort wählen die Bewohner*innen jährlich den einfältigste Trottel ihrer Gemeinschaft, dem zugleich die Bauernschläune innewohnt, zum Dorfkönig. Der Ort der souveränen Macht wird entleert und entehrt, wenn das simpelste und närrischste Menschlein auf den Thron gehoben wird und bei Bedarf wieder ausgewechselt werden kann. – Das wäre doch mal eine nette Protestform gewesen, mit der über das Symbolische hinaus vielleicht sogar etwas Chaos hätte gestiftet werden können…

Die Argumentation des Geldes wegen verstehe ich nicht wirklich: Ob die Krönungszeremonie am 06. Mai 100 oder 25 Millionen Pfund gekostet haben soll, welche die steuerzahlenden Bürger*innen aufbringen, während der Hochadel ja ohnehin genug Geld zur Verfügung hat – wen interessiert es? Beziehungsweise, wen wundert es? Wenn es sich um einen echten König handelt, stellt sich doch gar nicht die Frage, ob die Kosten für die Produktion seines imaginären Status als Personifikation eines abstrakten Herrschaftsgefüges vom Volk getragen werden. Der König schöpft Souveränität aus sich selbst heraus, sowie der Adel seinen sozialen Status ja nicht begründen muss, sondern sich auf diesen als unhinterfragbaren Selbstzweck berufen kann. Der König schöpft seine Souveränität aus sich selbst heraus, so wie das Volk seine Souveränität daraus schöpft, den König zu enthaupten.

Und wenn ich hier „König“ sagen, meine ich heruntergebrochen eine, neben neuen dazugekommenen Dynastien, einflussreiche Kaste von privilegierten Reichen. Es wäre längst an der Zeit gewesen, diesen Humbug ihrer alberne Selbstinszenierung in den letzten Jahrzehnten abzuschaffen. Wenn nicht genug verlorene Seelen ihrem romantisch-verkitschtem Affekt folgen und ihrem herangezüchteten Idiotenbewusstsein nachgeben würden. Lieber wollen diese erleben, Teil einer verklärtem Geschichte zu sein, als die Anstrengung aufwenden, ihre Geschichten selbst zu schreiben. Das Volk ist ein jämmerlicher Haufen, dessen Phantasie in Schlaraffenländer abschweift, aber sich kaum vorstellen kann, dass es sich seine Regeln einfach selbst geben könnte. Häufig wollen die Leute ihren König wie ihr Bier, ihren Fussball, ihre Unterhaltung und ihre Kümmerer – ob Pfarrer, Sozialarbeiter, Yogalehrer, Friseur oder Psycho- oder Physiotherapeuten.

Graham Smith: Abolish the Monarchy. Transworld Digital 2023. 261 Seiten. ca. SFr. 12.00.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —        Charles und Camilla während der Krönungszeremonie am 6. Mai 2023.

Author Katie Chan        /       Source    : Own work        /         Date       :      6 May 2023,

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

Abgelegt unter Europa, Kultur, Positionen, Traurige Wahrheiten | Keine Kommentare »

Klimaproduktion Bewegung

Erstellt von Redaktion am 24. Juni 2023

Die Überschneidungen von nomadischem Land und nomadischer Arbeit im Zeitalter des Sesshaftwerdens

undefined

Quelle        :     Berliner Gazette

Von          :       · 20.06.2023

Das Schicksal nomadischer Kulturen offenbart den Geist des (Staats-)Kapitalismus besonders deutlich: Die erzwungene Eingliederung der Nomaden in soziale Strukturen, die die Sesshaftigkeit privilegieren, ist eng mit der Enteignung von Land und Arbeit verbunden. Der zerstörerische Charakter dieses Systems zeigt sich in der Verarmung der ehemaligen Nomaden sowie dem Erosion ihrer Werte und Praktiken, die andere, nachhaltige Formen der Arbeit und der Klimaproduktion ermöglichen würden, wie die Künstlerin und Forscherin Shuree Sarantuya in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe „Allied Grounds“ argumentiert und dabei auf die Kämpfe nomadischer Völker in China, Russland und der Mongolei eingeht.

Die Fabel „Drei kleine Schweinchen“ erzählt die Geschichte von drei Schweinen und einem großen bösen Wolf, der ihre Häuser angreift. Der Wolf zerstört die Häuser der ersten beiden Schweine, die aus Stroh und Stöcken gebaut sind, aber er kann das Haus des dritten Schweins, das aus Ziegeln besteht, nicht zerstören. Die Ideologie, die der Fabel zugrunde liegt, ist glasklar: Sie unterstützt die Standardisierung von Konzepten wie Obdachlosigkeit und entwertet die nomadische Logik, der zufolge Nomaden niemals obdachlos sein können, weil ihr Zuhause immer mit ihnen reist. Darüber hinaus bemäntelt die Ideologie der Fabel das rassische Kapitalozän, das durch die Ausbeutung von Arbeit und Natur als Werkzeuge der Assimilierung die Umwandlung von Weideland in unhaltbare Lebensräume und Industrien ermöglicht hat. So arbeiten Ex-Nomad*innen in großem Umfang in arbeitsintensiven Sektoren wie der mineralgewinnenden Industrie, dem Anbau/Pflanzung und militärischen Diensten, weil sie sich dadurch finanzielle Unabhängigkeit und Integration in eine sesshafte Gesellschaft versprechen.

Dies ist der toxische Rahmen, in dem sich die Kämpfe von noch Nicht-Sesshaften, ethnischen Minderheiten und indigenen Gemeinschaften abspielen. Die letzten nomadischen Völker Süd-, Zentral- und Nordasiens leben heute in Jurten, Tipis oder Holzhütten und nutzen moderne Technologien, um Komfort und Modernität zu erreichen. Diese Techno-Nomaden können mobil und autonom sein, mit ununterbrochenen Verbindungen zur menschlichen und nichtmenschlichen Welt. Die nomadische Landmobilität basiert auf einer geschickten Wahrnehmung der Ökosphäre und ihrer Ressourcen. So gründen nomadische Völker ihre Ehrfurcht (vor bewohnbarem Land) auf ihr Wissen um die Kommunikation zwischen den Arten und eine indigene Wahrnehmung der tiefen Zeit.

Das Nebeneinander von nomadischen und sesshaften Gesellschaften konnte durch die herrschende Klasse instrumentalisiert werden: Erfolgreich konnten immer wieder Ängste vor der „Unmoderne“ geschürt und Assimilationspolitik, Monokulturwirtschaft, Umweltrassismus und neokoloniale Probleme gefördert werden. Wenn wir uns mit den Konflikten der letzten nomadischen oder ehemals nomadischen Völker Chinas, der Mongolei und Russlands befassen, müssen wir ihre komplexe Geschichte der Sesshaftwerdung und Kolonisierung durch kommunistische und sozialistische Bewegungen im letzten Jahrhundert verstehen.

Landverlust und kulturelle Assimilierung in der Inneren Mongolei

Die Innere Mongolei, eine 1947 vom kommunistischen Regime Chinas eingerichtete autonome Region, blickt auf eine lange Geschichte von Konflikten zwischen nomadischen Hirten und sesshaften Bäuer*innen zurück. In diesem Konflikt ist die Enteignung und Einfriedung von Land eng mit kultureller Assimilation verbunden, wie nach der Besatzung durch Japan im Zweiten Weltkrieg deutlich wurde, als die Region zu einem Testgebiet für die Integration von Han-Chinesen und Mongolen wurde.

Die Innere Mongolei ist nicht nur für ihre Viehzucht bekannt, sondern auch für ihre riesigen Kohlevorkommen. Im Jahr 2011 führte die Ausweitung einer Kohlemine auf Weideland zu Protesten und Demonstrationen der Hirten in Bayannuur. Die Frustration und die Angst, ihr Land zu verlieren, motivierten auch 2020 Proteste, als die chinesische Regierung plante, das Weideland in Bairin Left Banner in ein Naturschutzprojekt umzuwandeln.

Später im selben Jahr wurde im Rahmen der „Zweisprachigen Erziehung der zweiten Generation“ der Mongolischunterricht an den Schulen der Inneren Mongolei verboten. Nach Angaben des südmongolischen Menschenrechtsinformationszentrums wird das Verbot im September dieses Jahres in Kraft treten; es verbietet den Lehrer*innen auch die Teilnahme an und die Organisation von Unterricht. Die systematische Assimilierung nomadischer, indigener und ethnischer Minderheiten durch die Auslöschung von Ökosystem und Kultur, vor allem von Sprache und Religion, findet nicht nur in der Inneren Mongolei statt, sondern auch in Gemeinschaften wie den Uiguren (und anderen muslimischen Gemeinschaften) und den Tibetern.

Die Bodendegradation in der Inneren Mongolei ist in erster Linie auf den übermäßigen Ressourcenverbrauch zurückzuführen, der durch immer exzessivere Produktionszyklen verursacht wurde, begleitet von Bevölkerungszuwachs und der Abkehr von der nomadischen Viehwirtschaft. Andererseits hat die Innere Mongolei laut der Bewertung der Landdegradation zwischen 2000 und 2020 eine Netto-Landdegradation von Null erreicht. Untersuchungen über die Auswirkungen des vom Wind verwehten Staubs zeigen, dass die Innere Mongolei über ein Ökosystem verfügt, das die Ausbreitung von Staub verhindert und als ökologische Barriere gegen die Bodendegradation wirkt.

Derweil haben Überkultivierung, Bergbau und Industrialisierung die nomadischen Völker in eine Wettbewerbswirtschaft gedrängt, in der der niedrigste Preis das Rennen macht. Die traditionell abgelegenen Minderheitengruppen sind heute in städtischen Gebieten konzentriert, wo sie aufgrund von Umweltrassismus und erzwungener Integration eine Monowirtschaft betreiben.

Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der postkolonialen Mongolei

Nach dem Ende der Kolonisierung durch die Qing-Dynastie im Jahr 1911 kam die Äußere Mongolei bis zur demokratischen Revolution von 1990 unter sowjetische Kontrolle. Diese friedliche Revolution führte dazu, dass die Mongolei ein Mehrparteiensystem einführte, das die Beteiligung mehrerer politischer Parteien an der Regierung des Landes ermöglichte.

Das unerbittliche Streben nach Akkumulation durch die Oberschicht und die Mächtigen hat jedoch zu einer korrupten Wirtschaft und zur Ausbeutung derjenigen aus der Arbeiter*innenklasse geführt, die von Lohn zu Lohn oder von Schulden zu Schulden leben. Die Produktion von Raum bringt diese Ungleichheiten zum Ausdruck und verschärft sie noch: Während die ländlichen Gebiete außerhalb der Hauptstadt immer noch unterentwickelt sind, abgesehen von einigen wenigen Shangri-La-artigen Gemeinden, die sich um die Rohstoffsektoren herum ansiedeln, ist die Hauptstadt selbst eine neoliberale Mischung aus Jurtensiedlungen und hyperurbanen Gebieten, die einem „umgedrehten Topf“ ähnelt (ein mongolisches Sprichwort, das bedeutet, dass man in der Hölle unter einem riesigen Topf festsitzt).

undefined

Im Dezember 2023 kam es in Ulaanbaatar (Mongolei) zu Protesten gegen die so genannte „Kohlemafia“, die 380.000 Tonnen Kohle für den Export nach China gestohlen hatte. Die Menschen brachten ihre Frustration mit gewalttätigen Ausbrüchen, friedlichen Demonstrationen und Sitzstreiks bei minus 25-30 Grad zum Ausdruck. Sie kritisierten die Staatsbeamt*innen und gaben ihnen die Schuld an der gestohlenen Zukunft der Mongolei.

Während die Menschen in der Mongolei geduldig auf die Verfolgung der Kohlediebe warten, stellt sich eine dringende Frage: Wen machen wir für die Nutzung unethischer fossiler Brennstoffe zur Energieversorgung der größten Umweltverschmutzer*innen der Welt verantwortlich? Im Rahmen des Engagements der Mongolei für die Ziele der nachhaltigen Entwicklung der Vereinten Nationen will das Land bis 2030 eine Milliarde Bäume in von Wüstenbildung betroffenen Regionen pflanzen. Dank der Spende der Unternehmen des Bergbaukonglomerats im Süden der Mongolei sind die Menschen gespannt auf die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten, die das Milliarden-Baum-Projekt mit sich bringen wird.

Einige Gemeinschaften, die sich an den Rhythmus ihrer Umgebung angepasst haben, sehen sich jedoch mit den unbotmäßigen Anforderungen des rassischen Kapitalismus und dem Fehlen einer nachhaltigen Infrastruktur konfrontiert. Auf der Suche nach Stabilität und einem sicheren Einkommen sehen sich viele Ex-Nomad*innen mit der harten Realität der Armut oder sogar einer Rückkehr in die Zeiten der Kolonialherrschaft konfrontiert. Nomadisches Wissen und Traditionen werden als unvereinbar mit einem System angesehen, das Arbeit und Ressourcen in unhaltbarem Maße ausbeutet. Der Zusammenprall zwischen nomadischer Existenz und den Erfordernissen des rassischen Kapitalismus wirft Fragen nach der Vereinbarkeit verschiedener Lebensweisen und der Dringlichkeit des Widerstands gegen ein einzigartiges Arbeits- und Produktivitätsmodell auf.

Koloniales Erbe und Umweltkämpfe in Nordasien

Russlands Kolonisierung Nordasiens nahm im 19. und 20. Jahrhundert ihre endgültige Form an. Nomadische Stämme, die von Jagd, Viehzucht und Fischfang lebten, konnten nun mit Hilfe der Transsibirischen Eisenbahn ihren Übergang zu einer sesshaften Lebensweise durch Bergbau, Metallurgie, Maschinenbau, Holzfällerei und Landwirtschaft finanzieren. Es wurden Institutionen geschaffen, um die lokale Kultur, den Glauben und die Heilpraktiken auszurotten. Gleichzeitig schuf die russische Regierung Schutzgebiete für die indigenen Völker. Die nicht nachhaltigen Methoden der Klimaproduktion führen jedoch zu Umweltkatastrophen, die alle Ökosysteme rund um Nordasien und die arktischen Regionen betreffen.

Die teilweise militärische Mobilisierung der russischen Bevölkerung im Jahr 2022 erforderte hohe Einberufungsquoten in den Reihen ethnischer Minderheiten wie den türkischen, mongolischen, paläo-sibirischen und muslimischen Gemeinschaften. Die autonomen Regionen Russlands setzen sich aus verschiedenen ethnischen Gruppen zusammen, darunter nomadische (halbnomadische) und indigene Völker. In diesen Regionen und Krais gibt es sesshafte Siedlungen, die ein Überbleibsel der sowjetischen Moderne sind. In Gebieten wie Dagestan, Jakutien und Burjatien hat die Kombination aus Kriminalisierung von Kriegsgegnern und wirtschaftlicher Instabilität dazu geführt, dass die meisten Männer vor der Wahl stehen, entweder zu fliehen oder sich dem Militär anzuschließen, um an den laufenden Kriegsanstrengungen teilzunehmen. Diese einheimischen Männer Russlands und ihre Arbeitskraft werden im Zusammenhang mit dem Kriegsdienst geschätzt oder sogar als möglicher Sündenbock benutzt, wenn ein Kriegsverbrechen zu verantworten ist. Die heutigen rassistischen Regierungen und Institutionen, die rassifizierte und oft marginalisierte Gruppen in Kriegen einsetzen, erinnern uns nicht zuletzt daran, dass während des Ersten (und später des Zweiten) Weltkriegs Afroamerikaner im Militär dienten, um als Musterbürger in die Gesellschaft integriert zu werden.

undefined

Es liegt auf der Hand, dass diese Art des Bevölkerungsmanagements auch eng mit der Enteignung und Einhegung von Land verbunden ist – und Russlands aktueller Angriffskrieg erinnert nur allzu deutlich an den Wert, den Land (hier als „Territorium“ valorisiert) seit der Wirtschafts-, Finanz- und Nahrungsmittelkrise von 2007 erlangt hat. Die Quintessenz ist, dass das heutige Wirtschaftswachstum eine homogene Zivilisation begünstigt, die einen immensen Wert auf Arbeitskräfte legt, die bereit sind, sich und/oder ihr Land zu opfern.

Wert aller Wesen, Dinge und Entitäten

Staatliche Rohstoffkonzerne üben einen großen Einfluss auf die so genannten ländlichen Gebiete Nordasiens aus. Eine Verwaltung, die den Wert von unbebautem Land missachtet, hat die Anhäufung von Macht auf Kosten ethnischer Minderheiten, nomadischer Gruppen und indigener Arbeiter*innen durchgesetzt und damit deren Rechte untergraben und ihre Lebensweise bedroht. Untersuchungen am Bolshoe-Toko-See haben ergeben, dass die Spuren der industriellen Tätigkeit selbst in den entlegensten Gebieten Russlands zu finden sind. Die durch kapitalistische Aktivitäten verursachte Umweltzerstörung beeinträchtigt die lokalen Gemeinschaften, die biologische Vielfalt und die langfristige Nachhaltigkeit des Landes. Ohne einheimische Praktiken der Rekultivierung und des ethischen Konsums werden die biotischen und abiotischen Wechselwirkungen irreparabel gestört, sowohl in der menschlichen Zeit als auch in der Zeit der Globalisierung.

Das Streben nach Wirtschaftswachstum, das oft auf Kosten von Randgruppen und der Umwelt geht, ist ein zentrales Politkum, das die zerstörerischen Folgen der Globalisierung und die Erosion kultureller Identitäten aufzeigt, die immer mit alternativen Arbeitsmodellen und dem Umgang mit der Umwelt verbunden sind. Dieser Prozess der Zerstörung und Erosion wird als unvermeidlich dargestellt, auch aufgrund imaginärer äußerer Bedrohungen. Die Geschichte „Die drei kleinen Schweinchen“ ist ein Beispiel für diese Tendenz. Der aggressive Wolf ist das Tier, das eine Gefahr von außen darstellt, nicht von innen. Und wir sollen das instinktive Bedürfnis verspüren, uns vor diesem räuberischen Außenseiter zu schützen, was den Wunsch widerspiegelt, Sicherheit und Schutz in unserem Zuhause zu finden. Aber leben heutzutage nicht sogar Vögel in ihren Vogelhäusern, weil sie ihr Territorium verloren haben und die Städte immer weiter wachsen?

In ehemaligen Nomadenländern und -gemeinschaften betonen kritische politische Stimmen, wie wichtig es ist, alternative Modelle zu begrüßen, die indigenes Wissen, ökologische Nachhaltigkeit, ethisches Ressourcenmanagement und gesellige Arbeitsweisen in den Vordergrund stellen. Indem wir indigene Praktiken der gegenseitigen Fürsorge, der Symbiose und der Regeneration zusammenführen, können wir eine „gaianische“ Ethik der nachhaltigen Arbeit fördern: eine, die die Verbundenheit verschiedener Welten anerkennt und wertschätzt. Um dies zu erreichen, müssen wir transnationale Allianzen bilden, die das vorherrschende Paradigma der Moderne in Frage stellen und die Folgen einer fremdenfeindlichen Politik angehen, die viele Gemeinschaften in eine Grenzsituation gebracht hat. Im unerbittlichen Streben nach Hypermodernität ist es wichtig, innezuhalten und die Integration indigener Perspektiven zu berücksichtigen. Aus einer solchen Haltung heraus können wir uns bemühen, eine neue Beziehung zu unserem Planeten zu entwickeln, indem wir den Wert aller Wesen, Dinge und Entitäten anerkennen und lernen wertzuschätzen. Dies ist eine Aufgabe, die wir alle bewältigen müssen. Denn, wenn wir im Zuge dessen unsere Rolle als Arbeiter*innen neu bewerten, ebnet dies den Weg für eine nachhaltige Klimaproduktion.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Textreihe „Allied Grounds“ der Berliner Gazette; die deutsche Version finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen „Allied Grounds“-Website. Schauen Sie mal rein: https://allied-grounds.berlinergazette.de

Copyright | Creative Commons-Lizenz

Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Unported Lizenzvertrag lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte auf creativecommons.org oder schicken Sie einen Brief an Creative Commons, 171 Second Street, Suite 300, San Francisco, California 94105, USA.

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben       —       Chanten-Mädchen sammeln Beeren; früher nur zum eigenen Verzehr, heute auch zum direkten Verkauf.

Abgelegt unter Asien, Bücher, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Chatkontrolle :

Erstellt von Redaktion am 23. Juni 2023

Was du jetzt dagegen tun kannst

File:Chatkontrolle Chatcontrol Berlin Innenministerium 2022-06-08 01.jpg

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von       :     

Die Kritik an der sogenannten Chatkontrolle reißt nicht ab, doch die Befürworter:innen bleiben stur. Einige Menschen lassen sich davon nicht entmutigen. Wir wollten von ihnen wissen: Wie können sich Interessierte politisch engagieren, um das Überwachungsgesetz zu stoppen?

Eigentlich will die EU-Kommission mit einem Gesetzesvorschlag aus dem letzten Jahr sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Netz bekämpfen. Doch auf der einen Seite zweifeln Expert:innen die Wirksamkeit des Vorschlags an, zum anderen schätzen sie die Pläne als grundrechtswidrig ein. Ein Teil des Vorschlags ist die sogenannte Chatkontrolle: Anbieter von Kommunikations- oder Hostingdiensten sollen auf Anordnung auch die privaten Daten ihrer Nutzenden nach Hinweisen auf mögliches Missbrauchsmaterial oder Grooming scannen. So nennt man es, wenn Erwachsene mit sexuellem Interesse Kontakt an Minderjährige anbahnen.

Seit mehr als einem Jahr bricht die Kritik an den Plänen der EU-Kommission nicht ab, doch die Befürworter:innen bleiben stur. Das ist für Gegner:innen frustrierend. Lässt sich der Kommissionsvorschlag überhaupt noch verändern oder sogar verhindern – und was können Menschen tun, die sich irgendwie engagieren wollen? Wir haben Aktivist:innen gefragt und konkrete Handlungswege aufgeschrieben.

Herausfinden, wo gerade verhandelt wird

Tom Jennissen engagiert sich beim Bündnis „Chatkontrolle stoppen“ und dem Verein Digitale Gesellschaft – und er ist optimistisch. „Wir haben auf jeden Fall noch die Möglichkeit, die Pläne zur Chatkontrolle zu verhindern“, schreibt er auf Anfrage von netzpolitik.org. „Dazu müssen wir jetzt den Druck erhöhen, denn die Zeit bis Ende September wird entscheidend sein.“

Bis Ende September werden die wichtigen Gremien im EU-Parlament ihre Positionen zum Kommissionsentwurf verhandeln. Dort beschäftigt sich federführend der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) mit dem Gesetzentwurf. Außerdem ist der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) relevant. Er hat eine beratende Rolle und will noch vor der parlamentarischen Sommerpause im August seine Position beschließen. LIBE plant, Ende September über die Änderungsanträge aus dem Ausschuss abzustimmen.

Auch Elina Eickstädt engagiert sich bei „Chatkontrolle stoppen“ und ist Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC). Sie empfiehlt: „Vor der Abstimmung wäre es also sehr gut, nochmal dediziert IMCO-Mitglieder anzuschreiben, besonders die von der Fraktion Renew.“ Renew Europe ist eine Fraktion im EU-Parlament, in der unter anderem Abgeordnete der FDP vertreten sind. Während sich deutsche Renew-Abgeordnete wie Moritz Körner gegen die Chatkontrolle einsetzen, sehe das bei den Kolleg:innen aus anderen Mitgliedstaaten anders aus.

Europa-Abgeordnete identifizieren

Ein erster Entwurf für eine IMCO-Stellungnahme des maltesischen Sozialdemokraten Alex Agius Saliba aus dem Februar adressierte bereits viele kritische Punkte zur Chatkontrolle. Er wandte sich gegen die Schwächung verschlüsselter Kommunikation, gegen Alterskontrollen und gegen die Erkennung von Grooming.

Eickstädt schlägt vor: „Man kann deutlich machen, dass einem Bericht nicht zugestimmt werden darf, der nicht den Schutz von verschlüsselter Kommunikation gewährleistet und Aufdeckungsanordnungen in ihrer aktuellen Form unterstützt. Diese müssen immer gezielt und spezifisch sein.“ Sie gibt zu Bedenken: „Wenn der gute Report von Saliba in der Abstimmung scheitert, geht es wieder zum Kommissionstext zurück.“ Es könnte also helfen, die Abgeordneten auf diese oder andere kritische Punkte hinzuweisen.

Im LIBE-Ausschuss sehe es ähnlich aus, auch hier gehören viele Renew-Abgeordneten zu den Wackelkandidat:innen. Außerdem enttäuschte der erste Berichtsentwurf des konservativen Berichterstatters Javier Zarzalejos die Kritiker:innen. Da bis zur geplanten LIBE-Abstimmung am 21. September noch etwas Zeit ist, schlägt Eickstädt vor, sich zunächst auf die Berichterstatter:innen zu konzentrieren.

Für jeden Ausschuss gibt es eine:n Berichterstatter:in, diese Person leitet den Prozess bis zu einer finalen Ausschussposition. Von den anderen Fraktionen gibt es sogenannte Schattenberichterstatter:innen, die jeweils für ihre Fraktionen versuchen, Kompromisse auszuhandeln.

Europa-Abgeordnete kontaktieren

Alle Mitglieder der jeweiligen Ausschüsse sind auf den jeweiligen Ausschussseiten mit Angabe ihrer Fraktion gelistet. Ihre E-Mail-Adressen, Telefon- und Faxnummern erscheinen bei einem Klick auf ihr Foto in der Übersichtsseite.

Einen guten Überblick bietet auch die Seite Parltrack. Hier lassen sich auch leicht die Berichterstatter:innen und Schattenberichterstatter:innen der einzelnen Fraktionen herausfinden.

Falls man Abgeordnete per Telefon kontaktieren will, wird man meist bei ihren Mitarbeitenden landen. Sie sind aber auch gute Gesprächspartner:innen, weil sie die Positionen der Abgeordneten mit vorbereiten. Es ist gut, sich vorher ein paar Punkte zu notieren, die einem besonders wichtig sind. Ein Kontakt per E-Mail ist natürlich auch möglich. Anregungen für eine solche E-Mail gibt das Team von „Chatkontrolle stoppen!“.

Bundestagsabgeordnete ansprechen

Neben der EU spielt auch Deutschland eine wichtige Rolle. „Die deutsche Politik darf sich nicht wegducken“, schreibt Jennissen. „Die Bundesregierung hat sich immer noch nicht durchringen können, ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag als Position für die fast schon beendeten Verhandlungen im Rat festzulegen – das Scannen privater Kommunikation abzulehnen.“ Fast ein Jahr hatte die Bundesregierung über ihre Position zur Chatkontrolle gestritten. Nun lehnt sie zwar das Scannen verschlüsselter Nachrichten ab, bei unverschlüsselten Daten jedoch nicht.

Jennissen kritisiert, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) „weit davon entfernt“ sei, „die Chatkontrolle aktiv abzulehnen oder auch nur die Minimalposition der Bundesregierung zur Ablehnung von Client-Side-Scanning offensiv zu vertreten.“

Dass Faeser selbst zu einer solchen Ablehnung zu bewegen ist, bezweifelt Jennissen. Doch der Bundestag könne noch etwas tun: „Durch eine Erklärung gemäß Artikel 23 Grundgesetz kann er die Bundesregierung auffordern, die Chatkontrolle abzulehnen und diese Position auch aktiv in Brüssel zu vertreten.“

Schon im Dezember hatten FDP und Grüne im Bundestag einen Entwurf für eine solche Stellungnahme erstellt, doch besonders die Innenpolitiker:innen der SPD blockieren das Vorhaben. Die Position scheint sehr festgefahren. Dennoch gehört der Austausch mit Wähler:innen zum Alltag von Bundestagsabgeordneten. Eine Übersicht von Innenpolitiker:innen der SPD-Bundestagsfraktion gibt es auf der Seite zur Arbeitgruppe Inneres.

Mit ausreichend Druck aus dem Bundestag könnte Deutschland seine Position im Rat ändern. „Damit würde eine Sperrminorität im Rat in greifbare Nähe rücken“, schreibt Jennissen. Sperrminorität heißt: Eine Minderheit kann einen Vorschlag im Rat blockieren. Sie lässt sich etwa mit vier Staaten erreichen, die gemeinsam 35 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Mitgliedsländer, die Chatkontrolle kritisch sehen, sind Österreich und die Niederlande. Würden diese gemeinsam mit Deutschland gegen den Entwurf stimmen, bräuchte es nur noch ein weiteres Land.

Protest auf die Straße bringen

Neben der Möglichkeit, Abgeordnete zum Handeln aufzufordern, lässt sich auch noch anders für Aufmerksamkeit sorgen. „Solange es keine klare, ablehnende Position der Bundesregierung gibt, die sich auch in den Verhandlungen niederschlägt, müssen wir den Protest weiter auf die Straße tragen“, schreibt Jennissen. „Öffentliche Proteste und Demos – gerade auch außerhalb Berlins – können den Ampelparteien deutlich machen, dass es keine gute Idee ist, mit dem offenen Bruch eines Versprechens in die Europawahl im nächsten Jahr zu starten.“

Interessierte können dich dabei bestehenden Protesten anschließen oder auch selbst etwas auf die Beine stellen. Beim Organisieren der ersten eigenen Demo oder Kundgebung können vor allem 12 Tipps helfen. „Ohne öffentlichen Druck ist weder von den Abgeordneten noch der Regierung etwas zu erwarten“, schreibt Jennissen.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —       File:Chatkontrolle Chatcontrol Berlin Innenministerium 2022-06-08 01.jpg

Attribution: C.Suthorn / cc-by-sa-4.0 / commons.wikimedia.org

Abgelegt unter Europa, Kultur, Politik und Netz, Positionen | Keine Kommentare »

Auslaufmodell-Greenwash

Erstellt von Redaktion am 23. Juni 2023

Die WM in Katar war nur ein Beispiel unter vielen.

Al Bayt Stadium.jpg

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von          :    Patrik Berlinger /   

Viele Firmen behaupten, klimaneutral zu sein. Statt eigene Emissionen zu reduzieren, setzen sie oft auf Kompensationen im Ausland.

(Red.) Der Autor dieses Gastbeitrags ist verantwortlich für die politische Kommunikation bei Helvetas, einer Organisation der Entwicklungszusammenarbeit. Infosperber publiziert eine aktualisierte Version seines Artikels, der im entwicklungspolitischen Newsletter von Helvetas erschienen ist.  

Vor vier Jahren gab der Bundesrat bekannt, dass die Schweiz ab 2050 «unter dem Strich» keine Treibhausgasemissionen mehr ausstossen soll. Das Volk hat dieses Ziel mit dem deutlichen Ja zum Klimaschutz-Gesetz bestätigt und erste Massnahmen für die Reduktion der Emissionen beschlossen: innovative Unternehmen und Branchen stärken, Gebäude sanieren und Elektroöfen und Ölheizungen ersetzen. Wie die Schweiz allerdings gesamthaft und in allen Sektoren bis zur Mitte des Jahrhunderts auf Netto-Null kommen soll, bleibt Gegenstand politischer Debatten.

Wichtige Anhaltspunkte liefert die «Langfristige Klimastrategie der Schweiz» aus dem Jahr 2021. Die Strategie geht in die richtige Richtung und ist ambitioniert. Und doch reicht es nicht. Denn die Strategie sieht vor, dass für Netto-Null lediglich die Emissionen innerhalb der Schweizer Landesgrenzen berücksichtigt werden. Dies, obwohl bekannt ist, dass zwei Drittel der schweizerischen Emissionen im Ausland entstehen.

Zum anderen sollen CO2-Minderungen in anderen Ländern zugekauft werden. So fördert die Schweiz im Rahmen bilateraler Abkommen Klimaschutz-Projekte in ärmeren Ländern wie Ghana, Peru oder Dominica – und rechnet die erzielten Treibhausgas-Reduktionen dem eigenen nationalen Emissionsreduktionsziel an.

Immer mehr Firmen sind angeblich «klimaneutral» 

Diesen «buchhalterischen Trick», CO2-Emissionen via Klimaschutz in ärmeren Ländern zu kompensieren, wendet die Privatwirtschaft seit Jahren an. Die Versprechen, «klimaneutral» zu wirtschaften, haben allerdings immer absurdere Züge angenommen.

Jüngst behauptete die in Genf ansässige MKS PAMP, die eine Edelmetallraffinerie betreibt, den ersten «klimaneutralen Goldbarren» zu verkaufen. Obschon offensichtlich ist, dass der Abbau des Rohstoffs immense Umweltschäden anrichtet und viel CO2 freisetzt. Gemäss dem Unternehmen ist «klimaneutral» dennoch möglich – dank CO2-Kompensationen im Ausland.

Auch Fliegen geht heute ohne «Flugscham»: Bei der Schweizer Fluggesellschaft Swiss kann der Kunde bei der Reisebuchung für ein paar Franken seinen Flug «ausgleichen» – mittels Nutzung nachhaltiger Treibstoffe (Sustainable Aviation Fuel, SAF) und einem Beitrag an Klimaschutzprojekte. Als kleines Plus gewährt die Swiss dazu «extra Statusmeilen» sowie «flexible Umbuchungsmöglichkeiten». Die SAF-Technologie steckt allerdings in den Anfängen. Das synthetische Kerosin ist erst in sehr geringer Menge verfügbar und teuer. Weltweit liegt der Einsatz von SAF im Promille-Bereich.

Im Dezember behauptete Katar, erstmalig eine «klimaneutrale WM» durchzuführen. Selbstverständlich ist dies unsinnig. Laut Katar und der FIFA wurde zwar von der Bauphase bis zum Abbau des gesamten Wettbewerbs mehr CO2 in die Luft geblasen als jemals zuvor in der Geschichte der WM. Die Organisatoren beteuerten aber, dass sie sämtliche Emissionen durch die Finanzierung ökologisch nachhaltiger Projekte «in der ganzen Welt kompensieren» würden. Bereits im November reichten die Klima-Allianz sowie Verbände aus mehreren europäischen Ländern Beschwerde gegen die FIFA ein. In ihrem Urteil vom 6. Juni unterstützte die schweizerische Lauterkeitskommission die Beschwerdeträger und befand die FIFA wegen Greenwashing für schuldig.

Greenwashing (4157080569).jpg

Schliesslich verkündete St. Moritz diesen Winter stolz, das erste «klimaneutrale Skigebiet» der Schweiz zu sein. Pisten- und Dienstfahrzeuge würden mit CO2-neutralem Diesel fahren. Gebäude und Restaurants würden mit CO2-neutralem Heizöl beheizt. Ein offensichtlicher Fall von Greenwashing, denn die alternativ eingesetzten Treib- und Brennstoffe sparen gerade mal 5 – 8,5 Prozent CO2 ein. Der Rest wird über Klimaschutz-Projekte in Indonesien und Peru «kompensiert». Durch das Schützen der Wälder soll zusätzliches CO2 reduziert werden. Allerdings ist dies laut einem ETH-Forscher und Greenpeace fragwürdig und umstritten.

Probleme mit Ausland-Kompensationen 

Die «Zeit», der «Guardian» und «SourceMaterial» (ein non-profit Zusammenschluss von Journalist:innen) konnte Anfang Jahr nach einer neunmonatigen Recherche zeigen, dass Waldschutz-Projekte in vielen Fällen weniger CO2 binden als versprochen: Hinter mehr als 90 Prozent der CO2-Zertifikate, die Verra (der weltweit führende Zertifizierer von Emissionsgutschriften) auf Projekten zum Schutz von Regenwäldern ausgegeben hatte, standen keine realen Emissionsminderungen. Mit anderen Worten: Millionen von Emissionszertifikate, die es nie hätte geben dürfen, gelangten auf den freien Markt. Firmen wie Gucci, BHP, Shell, Chevron, Disney, Samsung, easyJet oder Leon verliessen sich auf die Regenwald-Zertifikate und polierten damit die CO2-Bilanz ihrer Unternehmen auf.

Inzwischen hat die EU naturbasierte Kompensationen aus dem CO2-Emissionshandel ausgeschlossen. Das hat zwei Gründe: Zum einen muss ein Projekt tatsächlich «zusätzlich» CO2 mindern. Nur wenn ein Waldgebiet ohne ein Schutzprojekt tatsächlich gerodet würde, verhindert ein Schutzprojekt die Emissionen von CO2. Ist das Waldgebiet aber ohnehin geschützt, weil es z.B. in einem staatlichen Naturpark liegt, wird durch ein weiteres Schutzprojekt kaum zusätzliches CO2 eingespart. Anderseits kann nie ausgeschlossen werden, dass der geschützte Wald nicht in zehn oder zwanzig Jahren doch gerodet wird oder einem Brand zum Opfer fällt, wodurch das CO2 dann doch freigesetzt wird.

Selbstverständlich muss die Staatengemeinschaft weiterhin alles dafür tun, um die Regenwälder zu schützen und die weltweite Abholzungsrate zu reduzieren. Ohne dies ist die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens aus dem Jahr 2015 und des 1,5 Grad-Ziels nicht zu machen. Ob freiwillige CO2-Kompensationsprojekte das richtige Instrument sind, ist allerdings mehr als fraglich.

Seit die EU und einige europäische Länder im freiwilligen Emissionshandel mehr Transparenz fordern, bewegt sich nun auch in der Schweiz etwas. Dienstleister wie Climate Partner Switzerland oder MyClimate, die Unternehmen dabei helfen, ihre CO2-Emissionen zu senken, verzichten seit Ende Jahr auf das Label «klimaneutral» und stellen klar, dass die von ihnen unterstützten Projekte lediglich «nachhaltig wirken».

Unternehmen müssen selbst nachhaltigen Wandel vorantreiben 

Zu lange haben es sich viele Firmen einfach gemacht und über billige Zertifikate in CO2-Kompensationsprojekte investiert, anstatt sich auf die Reduktion von Treibhausgasen in ihrem Geschäftsgebaren zu konzentrieren und Geschäftsmodelle zu entwickeln, die auf einen raschen Ausstieg aus den fossilen Energien abzielen.

Unternehmen müssen ihre Klimastrategien überdenken und in erster Linie ihre eigenen betriebsinternen Emissionen und diejenigen entlang ihrer internationalen Wertschöpfungskette reduzieren.

Firmen dürfen darüber hinaus Klimaschutzprojekte im Ausland finanzieren – ja, sie sind dazu sogar eingeladen. Allerdings dürfen sie damit ihre eigene Emissionsbilanz nicht buchhalterisch aufhübschen und ihr Business dadurch besser darstellen als es in Tat und Wahrheit ist.

Konkret wäre es im Fall des Wintersports zum Beispiel zielführender, die Gebäude energetisch zu sanieren und mit Erdwärmepumpen auszustatten, PV-Anlagen zu installieren und den Fahrzeugpark zu elektrifizieren, nachhaltiges Essen in Restaurants anzubieten und Foodwaste zu reduzieren, und die Feriengäste dazu zu bringen, mit dem Zug anzureisen. Der schädliche Luxus-Privatjet-Verkehr ins Oberengadin müsste stark besteuert werden. Das Geld könnte in Klimaschutz in der Schweiz und in ärmeren Ländern investiert werden. «Greenwashing» hingegen können wir uns nicht mehr länger leisten.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Al Bayt Stadium, Al Khor, Qatar

Abgelegt unter International, Kultur, P.Die Grünen, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »

Kolumne-Wir retten die Welt

Erstellt von Redaktion am 23. Juni 2023

Climate change is coming home

Datei:120613 Doppelleben Artwork.pdf

Eine Kolumne von Bernhard Pötter

Ich hänge an unserem alten Opel Zafira. Von der Zweifamilienkutsche mit viel Geschichte und noch mehr Beulen komme ich nicht los. Auch wenn ich die Kiste immer wieder abschaffen wollte, die Verbindung ist sehr schwer zu lösen.

Besonders in diesen Tagen: Da stand die Karre so lange unter den Linden in der Nachbarschaft, dass sie nun völlig verklebt ist. Man kriegt die Tür kaum auf. Danach bekommt man die Hand nicht mehr vom Türgriff weg. Und als unsere Carsharing-Freunde den Zafira durch die Waschstraße fahren wollten, wurden sie wieder weggeschickt: „Kein Wasser da!“

Ich war erschüttert. Es gibt kein Wasser mehr, um Autos zu waschen? Ist denn gar nichts mehr heilig? Könnte man nicht dem Kindergarten gegenüber das Trinkwasser abdrehen? Offenbar erreicht dieser Klimawandel, von dem alle reden, die Menschen, die ihm nie etwas getan haben. Dabei versuchen unsere Regierenden doch seit Jahrzehnten alles, um die klebrigen, hitzigen Fragen von ihren WählerInnen fernzuhalten: „Wir haben das im Griff“, heißt es. „Irgendwer erfindet sicher ein billiges Mittel dagegen. Nichts muss sich ändern, keiner wird was merken.“

Nun aber das: Kein Wasser mehr, um die Greens der Golfplätze grün zu halten. Bier wird teurer, weil Getreide bewässert werden muss. In Frankreich fällt der Atomstrom aus, weil die Flüsse kein Kühlwasser mehr liefern. Bei Stark­regen saufen U-Bahn-Schächte und Autobahntunnel ab. Profi-Fußballer machen Trinkpausen während der Partie. Unsere Zweitwohnungen am Mittelmeer sinken im Wert, weil sie keine Klima(!)anlage haben und es schwieriger wird, den Pool zu füllen. Und wenn die Klimakleber mal verhindert sind, klebt das Wetter selbst die Privatjets auf der aufgeweichten Rollbahn fest.

Bisher wurden nur Öko-Radikalinskis und Grüne abgestraft, wenn sie uns mit diesem Thema zu sehr auf den Wecker gingen. Wer uns das Heizen mit Klimakillern vermiesen will, wird medial und von WählerInnen abgewatscht. Wer Alternativen zur herrschenden Verantwortungslosigkeit fordert, wird als Terrorist behandelt. Aber plötzlich gilt das Ver­ursacherprinzip? Climate change is coming home und bringt die Hitze und das Chaos nicht mehr nur zu den Armen und Schwachen. Sondern auch dahin zurück, wo die Probleme herkommen: auf das Sonnendeck der globalen Arche Noah, in die Luxus-Spas der Spaßgesellschaft.

Quelle       :         TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —  Plakat „Doppelleben – Der Film“

Verfasser DWolfsperger      /      Quelle    :   Eigene Arbeit      /      Datum    :    1. August 2012

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

*****************************

Unten        —       P1000625

Abgelegt unter Feuilleton, Kultur, Schleswig-Holstein, Überregional, Umwelt | Keine Kommentare »

Eure Yachten unser Hitze

Erstellt von Redaktion am 22. Juni 2023

Holstein: Protest im Yachthafen Neustadt

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von     :  pm

Auf den Yachten werden Banner entrollt, auf denen unter anderem zu lesen ist “Euer Luxus = unsere Ernteausfälle” und “Für wen machen Sie Politik, Kanzler Scholz?”

Unterstützer:innen der Letzten Generation protestieren heute morgen im ancora Marina Yachthafen in Neustadt an der Ostsee gegen den zerstörerischen Lebensstil der Superreichen und dem planlosen Zusehen der Bundesregierung dabei. Dafür begaben sie sich an Bord von zwei Yachten, färbten das Wasser mit Hilfe von Uranin giftgrün ein und besprühten die Yachten mittels präparierter Feuerlöscher orange an. Im Anschluss hängten sie Banner auf. Während des Protestes tragen sie Schwimmwesten.

Theodor Schnarr erläutert als ein Sprecher der Letzten Generation, an wen sich die Protestaktion richtet: „Unsere Fragen richten sich an Kanzler Scholz: Was nützen den Reichen und ihren Kindern und Enkelkindern ihre Luxusyachten, wenn sich die Meere in eine stinkende giftgrüne Brühe verwandelt haben? Was nützen ihnen ihre klimatisierten Villen und Bunker in Neuseeland, wenn sie dort in einer Art freiwilligen Verbannung leben? Olaf Scholz, handeln Sie und sorgen Sie mit einer mutigen Politik dafür, dass ein Gesellschaftsrat einberufen wird, der Sie bei der mutigen Entscheidung die Exzess-Emissionen der Reichen zu stoppen unterstützt.“

Die giftgrüne Färbung des Hafenbeckens warnt, dass unsere Meere zu kippen drohen. Wenn die Meere aufgrund der globalen Erwärmung sich weiter erwärmen, versauern sie und vermehrtes Algenwachstum wird das Wasser giftgrün färben. Hierdurch verlieren sie ihre Fähigkeit, CO2 aufzunehmen. Dies ist eine äusserst bedrohliche Veränderung, die todbringende Konsequenzen für das Leben auf der Erde hat. [1] Das bei der heutigen Protestaktion im Hafenbecken eingesetzte Färbemittel Uranin ist eine für Menschen, Tiere und Pflanzen unbedenkliche Substanz. [2]

Der ancora Marina Yachthafen ist mit 1440 Liegeplätzen der grösste private Yachthafen an der Ostsee. Eine Superyacht verursacht mehr CO2 als 600 durchschnittliche Bürger:innen Deutschlands. [3] Des Weiteren zahlt der Handwerker, der seinen Transporter tankt, darauf eine CO² Steuer, Besitzer:innen einer Superyacht nicht.[4]

„Während in Deutschland über die Rationierung von Wasser diskutiert wird und erste Kommunen den Wasserverbrauch ihrer Bürger:innen einschränken mussten [5], während in Indien bereits heute Menschen zu dutzenden Menschen an extrem hohen Temperaturen sterben [6] und auch bei uns mit tausenden Hitzetoten zu rechnen ist [7], geht die Party der Reichen weiter. Wir fragen uns, für wen machen sie eigentlich Politik, Herr Scholz?” erklärt Regina Stephan, warum sie sich an der Protestaktion beteiligt. Sie studiert Medizin und ist nebenbei auf einer Intensivstation tätig.

Weiter sagt sie: „Während die Stadtviertel von Ärmeren und der Mittelschicht überhitzen, können sich die Superreichen in ihre klimatisierten Villen und Yachten schützen. Es könnten so viele Menschenleben gerettet werden, wenn die Regierung jetzt endlich handelt.”

Die Klimaschutzbemühungen der Bundesregierung sind völlig ungenügend und sozial ungerecht. Im Gesellschaftsrat können wir eine gerechte Lösung finden, die für die grosse Mehrheit der Bevölkerung gut ist. Parlament und Regierung sollen anschliessend über die vom Gesellschaftsrat erarbeiteten Massnahmen abstimmen. [7]

Fussnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/klimawandel-ozeankonferenz-warnt-vor-versauerung-der-meere-100.html

[2] www.sigmaaldrich.com/DE/de/sds/sigma/46960

[3] theconversation.com/private-planes-mansions-and-superyachts-what-gives-billionaires-like-musk-and-abramovich-such-a-massive-carbon-footprint-152514

[4] www.tagesschau.de/investigativ/ndr/jachten-treibhausgase-klima-101.html

[5] www.agrarheute.com/management/recht/wassermangel-deutschland-wasser-rationierung-fuer-buerger-bauern-608061

[6] www.sueddeutsche.de/politik/indien-hitze-klimaveraenderung-tote-1.5947316

[7] www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/lauterbach-hitzeschutzplan-100.html

[8] letztegeneration.org/gesellschaftsrat/

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —   blicke auf die schiffe

Abgelegt unter Deutschland_DE, Kultur, Medien, Opposition, Regierungs - Werte, Schleswig-Holstein | Keine Kommentare »

Die Linken Hasenfüße

Erstellt von Redaktion am 21. Juni 2023

Regierungen sind nicht in Stein gemeißelt

Ein Schlagloch von Robert Misik

Progressive Regierungen sollen auf die Meinungen der Mehrheit Rücksicht nehmen, heißt es. Doch die sind nicht in Stein gemeißelt. Wer nur darauf aus ist, in der Bubble der Überzeugten eine Heldin zu sein, tut niemandem einen Gefallen.

Häufig kursieren in den sozialen Medien lustige Memes von der Art: „Viele Zitate im Internet sind erfunden (Julius Cäsar)“. Gut, das ist deutlich erkennbar erfunden, obwohl auch darauf manche Leute reinfallen. Längst tut man sowieso gut daran, allen Zitaten zu misstrauen. Ehrlicherweise muss man aber auch einräumen, dass es nicht das Internet gebraucht hat, um Falschzitate zu verbreiten. Manchmal hilft das Internet sogar, verfestigtes Falschwissen zu untergraben.

Eines meiner Lieblingszitate des großen Ökonomen John Maynard Keynes ist seit vielen Jahren: „Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Und was machen Sie?“ Leider beging ich unlängst den Fehler, die Quelle zu googeln, was in der schockierenden Entdeckung mündete, dass auch das ein Falschzitat ist und nicht von Keynes ist. Sehr verdient um die Enttarnung von Falschzitaten hat sich der Wiener Literaturwissenschaftler und Karl-Kraus-Forscher Gerald Krieghofer gemacht. So fand er für ein kursierendes Zitat des legendären sozialistischen österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky die Ursprungsquelle in einer Ausgabe der Salzburger Nachrichten vom Mai 1976. Der sagte: „Solange ich da bin, wird rechts regiert.“

Kreisky, der eine stark selbstironische Seite hatte, meinte damit: Man dürfe die Leute nicht mit gesellschaftlicher Progressivität, radikalen Plänen und wilder Rhetorik überfordern. Lieber solle man ein gemäßigter Sozialist sein, der dafür Mehrheiten hinter sich versammeln kann, als ein radikaler Sozialist, der wirkungslos bleibt, weil er keine Wahlen gewinnen kann. Damit hat er radikale ökonomische Forderungen seiner linken Parteifreunde gemeint (wie weitgehende Reichensteuern und Verstaatlichungen), aber auch gesellschaftspolitische Modernisierungen wie die Frauen­eman­zi­pation. Kreisky hat beispielsweise die Fristenlösung für den Schwangerschaftsabbruch eingeführt, aber im Grunde musste er von den kämpferischen Frauen in seiner Partei dazu gezwungen werden. Diese und andere progressive Gesetze hatten am Ende viel Unterstützung hinter sich, aber Kreisky hätte damit nicht gerechnet.

Ein bisschen Hasenfuß war er schon. Übrigens nicht viel anders als der legendäre Anführer der italienischen Eurokommunisten, Enrico Berlinguer. Der gewann eine Volksabstimmung über die Fristenlösung, die er eigentlich nicht wollte, weil er sicher war, diese niemals gewinnen zu können. Und das ist nur ein Beispiel einer einstmals sehr umkämpften gesellschaftspolitischen Reform. Man kann hier die vielen anderen Thematiken – Diversität einer Zuwanderergesellschaft, moderne Staatsbürgerschaftsgesetze, LGBTIQ-Rechte – dazu denken. Linke Regierungskunst heißt ja, den Königsweg zwischen ambitionierter Radikalität und beruhigender Mäßigung zu finden, und dieser Königsweg ist leider nicht auf Landkarten verzeichnet. Wenn Robert Habeck anmerkt, wie unlängst beim Kölner Philosophie-Festival, dass Ideen untauglicher Schrott sind, wenn sie so radikal seien, dass sie politisch nichts nützen, dann ist das wie ein moderner Nachklang des Kreisky-Aperçus. Der Realist will seine Ansichten so formulieren, dass sie an die vorherrschenden Meinungen in einer Gesellschaft zumindest anschlussfähig sind.

Völlige Zustimmung, nur gibt es eine kleine Kompliziertheit: „vorherrschende Meinungen“ oder Konventionen sind keine unveränderbaren Konstanten. Je furchtsamer man ist, umso weniger wird man sie vielleicht in eine progressive Richtung verändern. Auch bei Sozialdemokraten gab es in den vergangenen Jahrzehnten starke Stimmen, die drängten, man müsse sich an einen konservativen Zeitgeist anpassen, um stärker zu werden, was aber oft nur dazu geführt hat, dass die Sozialdemokratie schwächer und der rechte Zeitgeist stärker wurde.

Gern wird heute auch angeführt, dass die Progressiven die Wäh­le­r:in­nen mit sozialpolitischen und ökonomischen Themen gewinnen können, sie aber mit zu viel gesellschaftspolitischem Klimbim oder der Thematisierung von Trans-Toiletten abschrecken würden. Oft unterschätzt man jedoch die potenzielle Fortschrittlichkeit einer Gesellschaft, weil man kein präzises Bild vom wirklichen Meinungstohuwabohu der Leute hat. Und außerdem haben wir jetzt schon ein paar Jahre lang die Erfahrung gemacht: Wenn Linke in „die Mitte“ rücken, dann führt das nur dazu, dass sich diese „Mitte“ nach rechts verschiebt.

Quelle          :         TAZ-online          >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      — Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

Abgelegt unter Europa, Medien, Opposition, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Kein Lust auf Nachrichten?

Erstellt von Redaktion am 21. Juni 2023

Medienkonzerne schlagen laut Alarm

undefined

 Bundesvorsitzender des Deutscvhen Jounalistenverbandes ist seit 2015 der Journalist Frank Überall,

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

Der „Reuters Institute Digital News Report“ ist eine hochmögende Einrichtung der Medienkonzerne. Seine Analyse ist weniger Teil der allgemeinen Dauermanipulation, sondern dient eher der nüchterneren Selbsteinschätzung zur Verbesserung der täglichen Bearbeitung des Massen-Bewusstseins. Insofern ist der Report von seltener Ehrlichkeit geprägt. Zwar legt auch diese Arbeit ihre Fragen nicht offen – nur wer die Fragen kennt, kann das Ziel der Befragung genau erkennen – aber weil der Report ein Arbeitsinstrument ist, ist in ihm die Lage der Medien in Deutschland deutlich zu begreifen: Das Vertrauen der Medien-Nutzer in ihre Medienkost ist weiter gesunken. Jeder Zehnte versucht sogar, den Nachrichtenkonsum aktiv zu vermeiden. Noch schlimmer ist dieser Satz des Reports für die Selbsterkenntnis der Manipulationsapparate: „Die Bedeutung Video-getriebener sozialer Netzwerke als Informationsquelle nimmt unterdessen weiter zu“.

Kein Vertrauen in Nachrichten

Nur noch 52 Prozent der erwachsenen Internetnutzer in Deutschland geben an, sehr an Nachrichten interessiert zu sein. Im Vorjahr waren es noch 57 Prozent. Die Frage nach dem WARUM der Nachrichten-Müdigkeit wird von jenem Teil der Studie der öffentlich zugänglich ist nicht beantwortet. Und doch findet sich ein klarer Hinweis in der Arbeit: „Mur 43 Prozent sind der Ansicht, man könne dem Großteil der Nachrichten in der Regel vertrauen. Das sind sieben Prozentpunkte weniger und gleichzeitig der niedrigste Wert, seitdem die Frage 2015 erstmals gestellt wurde“. Nur wer dem Wahrheitsgehalt der Nachrichten vertraut, kann auf Dauer ein Interesse an den Nachrichten haben. Dieses Interesse aber ist die Basis der Steuerungsmöglichkeit des Massen-Bewusstseins.

Alternative Medien ausgeblendet

Während die vorliegende Reuters-Studie die Wirkung der traditionellen Medien relativ kritisch reflektiert, werden die alternativen Medien ausgeblendet. Dass Informationsplattformen wie die „Nachdenkseiten“ oder „apolut“ die wesentlichen Voraussetzungen für die wachsende Distanz zu den üblichen Medien geschaffen haben, will die Reuters-Studie nicht erwähnen und verlegt sich so selbst den Weg zur Erkenntnis der eigenen Lage. Im Handbuch für Ausbildung und Praxis im Hörfunk des Springer-Verlags wird die Nachricht so definiert: „Die Nachricht ist eine direkte, auf das Wesentliche konzentrierte und möglichst objektive Mitteilung über ein neues Ereignis, das für die Öffentlichkeit wichtig und/oder interessant ist. „Neutral, nüchtern, parteilos“, wie das Synonym-Lexikon den Begriff „objektiv“ übersetzt, ist die Mehrheit der Nachrichten nicht.

Keine Rede von Objektivität

Spätestens während der Zeit des Corona-Regimes, als die deutschen Medien Gegenstimmen zum Kurs der Regierung komplett ausblendeten oder diffamierten, kann von Objektivität keine Rede mehr sein. Seit Beginn des Ukrainekriegs wurde diese Gleichschaltung der Mehrheits-Medien fortgesetzt. Von einer offenen, demokratischen Berichterstattung konnte und kann nicht mehr die Rede sein. So muß das das „gesunkene Vertrauen der Medien-Nutzer“ als verständliche Reaktion gewertet werden. Allerdings betreibt die Reuters-Untersuchung keine Ursachen-Forschung. Von den Gründen für das gesunkene Interesse an den Nachrichten ist nicht die Rede. Im Ergebnis dieses offensichtlichen Analyse-Mangels ist eine Änderung der Lage nicht zu erwarten. Man kann und muß sogar unterstellen, dass diese Verweigerung einer Ursachenforschung den Kurs der deutschen Medien eher weiter betoniert.

Gleichtakt von Mehrheitsmedien, Regierung und „YouTube“

An keiner Stelle schreibt die Reuters-Studie über die Löschungen bei „YouTube“. Obwohl die „Bedeutung Video-getriebener sozialer Netzwerke als Informationsquelle“ bei Reuters hervorgehoben wurde, findet die gezielte Zensur bei „YouTube“ nirgends eine Erwähnung. Aber gelöscht wurden genau jene Informationen, die dem Einheitskurs der Medien widersprachen. Zwar fehlt bisher jeder Beweis einer organisierten Zusammenarbeit zwischen Regierung und „YouTube“, aber dieser verschwiegene und verschweigende Gleichtakt von Mehrheitsmedien, Regierung und „YouTube“ kann kein Zufall sein. Gar keine Erwähnung findet die russisch inspirierte Plattform „RT Deutsch“. Die Plattform wird als Feindsender behandelt, so als sei Deutschland bereits offiziell in den Ukraine-Krieg verwickelt. Den Fall „RT Deutsch“ einfach nicht zu erwähnen, ist eine Verweigerung, die Wirklichkeit wahrzunehmen, die vor allem bei einer Medienanalyse mehr als befremdlich ist. Diese Weigerung ist geradezu eine stillschweigende Anerkennung der zentralen Steuerung von Zensur und stellt der Reuters-Studie ein erbärmliches Zeugnis aus.

Kampagne für Medienfreiheit?

Für die alternativen Medien ist die Lage nach der Reuters-Studie eindeutig: Sie wären die Rettung für den verbliebenen Rest von Presse- und Meinungsfreiheit. Wenn sie denn die zunehmend unzufriedeneren Medienkunden erreichen würden. Dem steht ihr mangelnder Bekanntheitsgrad im Wege: Selbst kritische Medienkonsumenten wissen häufig nicht, dass es Alternativen gibt und wo man sie erreichen kann. Es ist an der Zeit für eine gemeinsame Kraftanstrengung aller alternativer Medien, um deren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Es ist an der Zeit für eine Kampagne für Medienfreiheit, die sich nicht im Appell erschöpft.

Die Original Reuters-Studie:
https://leibniz-hbi.de/de/publikationen/reuters-institute-digital-news-report-2022-ergebnisse-fuer-deutschland

Urheberrecht

Die durch die Seitenbetreiber erstellten Inhalte und Werke auf diesen Seiten unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung des jeweiligen Autors bzw. Erstellers. Downloads und Kopien dieser Seite sind nur für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch gestattet.

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —     Frank Überall bei einer Diskussion in Köln-Mülheim (2008)

Abgelegt unter Europa, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Linke wohin des Weges?

Erstellt von Redaktion am 20. Juni 2023

Beitrag zur Wagenknechts – Neue Partei 

Von Wolfgang Gerecht, 19. 06.2023

Von den Super-Politik-Expert-innen ist noch kein konstruktiver Beitrag zur Stärkung der darniederliegenden Partei (Nicht nur im Saarland) zu lesen.

Frau Wißler und Herr Schirdewan könnten, Stand heute, lediglich ein Mitglieder-Rückgang auf ca. 50.000 vermelden. So jedenfalls war es im TAZ-Interview (23.04.23) mit dem (noch) parlamentarischen Geschäftsführer, Korte, unwidersprochen benannt worden. BdZ ließ verlauten, dass die von ihm ermittelten Zahlen sich auf etwa 52.600 belaufen würden.

Wer auch immer näher an der „Wahrheit“ liegt, Frau Wißler hat vor kurzer Zeit trotzig verkündete, es seien schon wieder – nach dem verkündeten Wagenknecht-Aus – die ersten Neueintritte zu vermelden. Wieviele es sein sollen, hat sie vorsorglich noch für sich behalten.

DIE „LINKE“ im Saarland, so wurde im KLH geraunt, soll jetzt gerade noch etwa 1.350 Mitglieder zählen, wobei die Altersstruktur der Mitgliedschaft Sorge bereitet.

Statt dem ausführlichen und sehr zahlreichen Gemecker über das Ehepaar Lafontaine-Wagenknecht, wäre es „zielführender“ wenn die selbsternannten „echten“ LINKEN im DL-Saarland den geschäftsführenden LAVO mit Frau Spaniol an der Spitze und ihren weiblichen Mitstreiter Innen, Neumann, Ensch-Engel, Geißinger und den Herren Mannschatz, Bierth und Neumann tatkräftig vor Ort zu unterstützen, um die Zeit bis zur bevorstehenden Kommunalwahl im Jahr 2024 konstruktiv für ein gutes Ergebnis zu nutzen.

Selbstredend würden die „echten“ LINKEN dadurch auch ein zufriedenstellendes Wahlergebnis bei den gleichzeitig stattfindenden Europawahlen schaffen können. Vielleicht sogar in Konkurrenz zu einer – wenn es sie bis dahin gibt – Wagenknecht-Partei.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       

Politik, News, Bundesparteitag Die Linke: die neu gewählten Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler

Abgelegt unter Berlin, Deutschland_DE, Medien, P. DIE LINKE, Positionen | 10 Kommentare »

DER ROTE FADEN

Erstellt von Redaktion am 20. Juni 2023

Parteienfamilien und andere Inseln

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Nina Apin

Unsere Autorin redet mit fremden, einsamen Menschen. Tage danach beklagt sich ein italienischer Freund auch über Einsamkeit – wegen Berlusconi.

Haben Sie auch nicht gemerkt, oder? Dass gerade die Aktions­woche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ zu Ende ging, meine ich. Sie fand ohne große Öffentlichkeit, von Montag bis Freitag statt, um für das Problem zu sensibilisieren, das laut Bundesfamilienministerium besonders häufig junge Erwachsene und sehr alte Menschen, meist Frauen, betrifft: einen empfundenen Mangel an sozialen Beziehungen zu anderen Menschen.

Von der Website der Aktionswoche geriet ich auf eine Mitmachseite, auf der man einen „Ort der Gemeinsamkeit“ eintragen konnte, um sich einsamen Menschen als Gegenüber zur Verfügung zu stellen. Kurz dachte ich an unseren Küchentisch, der wie geschaffen ist für ausufernde Gespräche und ebenso ausufernde Mahlzeiten – der eben aber auch ein Ort des familiären Chaos ist. Ein Flyer zur Aktionswoche zeigt einen älteren Mann allein beim Essen: „Einsamkeit sitzt mit am Tisch“, so der Slogan.

Ich versuchte mir unseren Küchentisch verwaist vorzustellen, ohne das ganze Gerümpel und das laute Durcheinanderreden drum herum – es gelang mir nicht. Interessant, wie gut Verdrängung funktioniert. Dabei hatte ich mich doch erst letzte Woche mit Kind eins auf Klassenfahrt, Kind zwei und dem Mann ständig auf Achse durchaus mal einsam gefühlt – allerdings nur sehr punktuell, weil es mich eben traurig macht, alleine zu essen.

Echte Einsamkeit aber ist fies, sie macht gleichzeitig mürbe und bedürftig; das merke ich, wenn ich den verwitweten Onkel am Telefon habe oder der alleinstehenden älteren Frau aus der Straße begegne, die nach einem freundlichen „Wie geht’s?“ gar nicht mehr aufhört zu reden.

Klagen über Einsamkeit

Der Mitarbeiter meiner Friseurin hat unlängst gekündigt – er war, so erzählte sie, genervt von den älteren Herrschaften, für die das Waschen, Schneiden, Legen, Föhnen der Höhepunkt ihrer Woche ist. Friseursalons sind auch Orte gegen Einsamkeit, allerdings nur für diejenigen, die es sich leisten können, sie regelmäßig aufzusuchen.

Wer es sich nicht leisten kann, sich temporär auf Inseln der (wenn auch kommerziellen) menschlichen Interaktion zu flüchten, verwelkt in der eigenen Wohnung und lauert auf Kontaktaufnahmen von außen – und sei es nur der Paketbote, der eine Sendung für den Nachbarn dalassen will.

Am Dienstag klagte auch mein ita­lie­ni­scher Freund überraschend über Einsamkeit. Erst war ich etwas besorgt, schließlich entstand unser Kontakt während des ersten Coronalockdowns, als wir, deprimiert und so­zia­ler Kontakte außerhalb der eigenen vier Wände bedürftig, uns regelmäßig digital zu unterhalten anfingen.

Einsam dürfte der Cavaliere nicht gewesen sein

Job verloren? Freundin weg? – Nein, präzisierte er, es sei politische Einsamkeit, die ihn plage. Nicht nur er, ganz Italien fühle sich wie verwaist, nachdem der ewige „Cavaliere“ das Zeitliche gesegnet hatte: „Mein ganzes Leben lang war Silvio Berlusconi immer da“, barmte er. – Ganz Italien in Trauer und Einsamkeit?

Nun ja. Ich erinnerte ihn dezent an das Buch in seinem Rücken, das er mir bei anderer Gelegenheit einmal gezeigt hatte. „L’odore dei soldi“ (Der Geruch des Geldes), das den zweifelhaften Quellen von Berlusconis immensem Reichtum nachspürt, fand 2001 mehr als 300.000 LeserInnen in Italien. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass es Berlusconi nur dank seiner engen Kontakte zur sizilianischen Mafia gelungen sei, seine Firma Fininvest aufzubauen.

Quelle         :         TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

*************************************************

Grafikquellen       :

Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

Abgelegt unter Europa, Feuilleton, Positionen, Schicksale | Keine Kommentare »

Von EU und Staatstrojanern

Erstellt von Redaktion am 19. Juni 2023

Blankoscheck für Geheimdienst-Überwachung der Presse

Logo

Logo von: Komitee zum Schutz von Journalisten 

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von           :    , Harald Schumannon

Ein geplantes Medienfreiheitsgesetz der EU sollte Journalist:innen vor Überwachung schützen. Doch Europas Regierungen planen eine Blankoausnahme für „nationale Sicherheit“, die den Vorschlag praktisch aushöhlen würde.

Kein Journalist darf wegen seiner Arbeit bespitzelt werden. Mit diesem klaren Satz begründete EU-Kommissarin Věra Jourová im vergangenen Herbst ihren Vorschlag für ein Gesetz, das die Pressefreiheit in allen EU-Staaten stärken soll.

Die EU-Kommission reagierte damit auf Enthüllungen über das Ausspähen von Journalist:innen, NGOs und Oppositionspolitiker:innen in mehreren EU-Staaten. In Ungarn ließ die Regierung von Viktor Orban Handys von Reportern hacken, die über Korruptionsvorwürfe berichteten. In Griechenland spionierte die Regierung Journalist:innen aus, die Finanzskandale enthüllten. In Spanien ging es gegen Journalist:innen im Umfeld der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Die Liste lässt sich fortsetzen. Expert:innen warnen, die sich ausbreitende Überwachung von Journalisten sei eine Bedrohung für die Pressefreiheit.

Das Mittel der Wahl bei den Überwachungsaktionen: Staatstrojaner. Berüchtigt ist insbesondere Pegasus, ein Trojaner der israelischen Firma NSO Group, der Handys praktisch unbemerkt infiltrieren kann. Dadurch kann selbst verschlüsselte Kommunikation über Dienste wie WhatsApp oder Signal ausgelesen werden. Journalist:innen, die mit Pegasus oder anderen Trojanern gehackt wurden, müssen die Preisgabe ihrer Quellen fürchten.

Um solchen Übergriffen einen Riegel vorzuschieben, verbietet der Gesetzesvorschlag der Kommission ausdrücklich den Einsatz von Staatstrojanern gegen Journalist:innen. Das Europäische Medienfreiheitsgesetz sollte außerdem jede Form von Überwachung oder Repressalien untersagen, mit denen die Offenlegung journalistischer Quellen erzwungen werden soll.

Doch die EU-Staaten arbeiten hinter verschlossenen Türen an einem Gegenvorschlag, der diese Vorschläge der Kommission praktisch wirkungslos macht. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Recherche von netzpolitik.org mit dem Rechercheteam Investigate Europe.

Frankreich drängte auf Blankoausnahme

Der Rat der EU-Staaten will die Schutzbestimmungen für Journalist:innen durch eine generelle Ausnahme für die „nationale Sicherheit“ aushebeln. Das geht aus einem Textentwurf der schwedischen Ratspräsidentschaft vom 7. Juni hervor, den wir durch eine Informationsfreiheitsanfrage erhielten und im Volltext veröffentlichen. Der Rat geht damit über frühere Vorschläge zur Verwässerung des Textes hinaus, über die wir zuvor berichteten.

Schon der ursprüngliche Vorschlag der Kommission sah vor, dass der Staatstrojaner-Einsatz „im Einzelfall“ aus Gründen der nationalen Sicherheit gerechtfertigt sein soll. Aus dem Einzelfall soll nun eine Blanko-Erlaubnis werden, die nicht nur das Trojaner-Verbot aufweicht, sondern auch das generelle Verbot der Überwachung von Journalist:innen zur Ermittlung ihrer Quellen aushebelt. Außerdem schwächt die Ausnahme das Recht, eine Beschwerde bei einer unabhängige Behörde einzureichen, wie es der ursprüngliche Vorschlag vorgesehen hätte.

Diese Blanko-Ausnahme für „nationale Sicherheit“ in Artikel 4 des Gesetzesentwurfs hat Frankreich durchgesetzt. Unterstützung erhielt die Regierung in Paris dafür auch von Deutschland. Das geht aus einem vertraulichen Drahtbericht der deutschen Ständigen Vertretung in Brüssel hervor, den wir ebenfalls im Volltext veröffentlichen. Den Vorschlag unterstützte demnach außerdem Griechenland, wo die Regierung ihre Überwachungsaktionen gegen Journalist:innen mit Verweis auf die „nationale Sicherheit“ rechtfertigte.

Um den Schutz von Medienschaffenden gibt es nicht nur in der EU Streit. In Deutschland gibt es Verfassungsbeschwerden, weil Journalist:innen und ihre Quellen nicht ausreichend vor Überwachung durch den Bundesnachrichtendienst geschützt seien. Eine davon richtet sich auch explizit gegen Staatstrojanereinsatz, insbesondere weil es für Betroffene besonders schwer ist, sich gerichtlich gegen die heimliche Ausspähung zu wehren.

„Nationale Sicherheit als Vorwand“

Der griechische Journalist Thanasis Koukakis, der mit dem Trojaner Predator gehackt wurde, zeigte sich auf Nachfrage empört über die geplante Verwässerung des EU-Gesetzes. „Mein Fall zeigt deutlich, wie einfach die nationale Sicherheit als Vorwand für Drohungen gegen Journalist:innen und ihre Quellen benutzt werden kann.“ Die französische Journalistin Rosa Moussaoui, die Opfer von Pegasus wurde, kritisierte die Haltung Frankreichs. Eine allgemeine Ausnahme für nationale Sicherheit passe „perfekt zur Politik“ der französischen Regierung, sich nicht um den Quellenschutz zu kümmern.

Ein Sprecher der zuständigen grünen Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, erklärt auf Anfrage, es sei „in keiner Weise“ das Ziel der Bundesregierung, „die Ausspähung von Journalisten zu legalisieren“. Die Ausnahmeregelung zur nationalen Sicherheit im Ratsentwurf soll lediglich sicherstellen, „dass die im Vertrag der Arbeitsweise der Europäischen Union bestimmten Kompetenzen der Mitgliedstaaten im Bereich der nationalen Sicherheit unberührt bleiben.“

Dem hält allerdings der Europäische Journalistenverband entgegen, dass die Blankoausnahme keine Schutzmaßnahmen zur Sicherung von Grundrechten enthalte. Dadurch ignoriere der Rat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der klargestellt habe, dass die nationale Sicherheit die EU-Staaten nicht von ihrer Verpflichtung zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit befreie. Durch die Ausnahme werde das geplante Medienfreiheitsgesetz in eine „leere Hülle verwandelt“. Auch Tom Gibson vom Committee to Protect Journalists warnt, der Rat erteile dadurch „willkürlicher Überwachung durch Länder mit geschwächter Rechtsstaatlichkeit“ seinen Sanktus.

Heftige Kritik gibt an den Plänen der EU-Staaten gibt es aus dem EU-Parlament. Die niederländische Abgeordnete Sophie in ‚t Veld aus der liberalen Fraktion Renew nennt den Ratsvorschlag eine „Katastrophe“. Die SPD-Politikerin Katarina Barley betont, „pauschale Ausnahmen ohne weitere Vorkehrungen gehen gar nicht“.

Der Bedenken zum Trotz planen die EU-Staaten einen Beschluss noch im Juni. Kommt kein entschiedener Widerstand aus dem EU-Parlament, das bislang noch keine eigene Position festgelegt hat, dann könnte das Medienfreiheitsgesetz die Blankoausnahme für Überwachungsmaßnahmen zur „nationalen Sicherheit“ festschreiben. Die Absicht von Kommissarin Jourová, Journalist:innen in ihrer Arbeit vor Überwachung zu schützen, bliebe damit ein frommer Wunsch.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —       Logo     –      Komitee zum Schutz von Journalisten – https://cpj.org/

******************************

Unten         —       Plastische Darstellung des Bundestrojaners vom Chaos Computer Club im Profil. Originalbeschreibung: im Chaos Computer Club Berlin: the Federal Troian Horse

Abgelegt unter Europa, Politik und Netz, Positionen, Religionen | Keine Kommentare »

Die Welt – Finanzkrise

Erstellt von Redaktion am 19. Juni 2023

Die Schuldenkrise wird multipolar

Zunächst gibt es zwischen den 17 betrachteten Staaten bis etwa 1995 noch deutliche Renditeunterschiede, die Bandbreite verringert sich aber zunehmend; um 2000 sind die Renditen fast auf gleicher Höhe, nachdem anschließend einige weitere Staaten aufgenommen werden wird das Spektrum 2002 zunächst wieder etwas weiter, bis schließlich auch diese um das Jahr 2006 in einem ca. 2,5-Prozenzpunkte-Spektrum zwischen 2,5 und 5 Prozent liegen. Ein erstes Auffächern lässt sich nach 2008 zur Finanzkrise feststellen, ab Ende 2009 (Beginn Eurokrise) werden die Differentiale immer größer, wobei insbesondere Griechenland nach oben ausbricht (Spitzenwert knapp unter 30 Prozent); der deutsche Wert unterliegt seit 2008/9 einem Abwärtstrend.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Immer mehr Länder in Lateinamerika, Afrika und Asien sind überschuldet oder stehen sogar vor dem Bankrott. Von dieser Krise ist als Kreditgeber auch China betroffen, das Notkredite vergeben muss, um eigene Banken vor Zahlungsausfällen zu schützen.

Die Zinserhöhungen der westlichen Notenbanken, mit denen diese die hartnäckige Inflation bekämpfen wollen – in den USA liegt der Leitzins mittlerweile bei fünf bis 5,25 Prozent, im Euro-Raum bei 3,75 Prozent –, haben in den USA bereits zum Kollaps von drei Regionalbanken geführt und dämpfen das Wirtschaftswachstum beiderseits des Atlantik. Doch sind diese Turbulenzen nichts im Vergleich zu den Erschütterungen, denen viele wirtschaftlich schwächere Länder ausgesetzt sind. Weil es immer teurer wird, neue Kredite aufzunehmen, fällt es diesen immer schwerer, ihre zumeist in US-Dollar laufenden Auslandsschulden zu bedienen.

Insbesondere in Afrika, Asien, Lateinamerika und dem Nahen Osten finden sich immer mehr Länder in einer klassischen Schuldenfalle wieder, bei der konjunkturelle Stagnation, Rezession und steigende Kreditkosten in eine fatale Wechselwirkung treten. Die Situa­tion wird bereits mit dem »Volcker-Schock« von 1979 verglichen, als der damalige Präsidentder der US-Notenbank, Paul Volcker, die Leitzinsen in den USA auf zeitweise über 20 Prozent anhob, um die langjährige Stagflation zu bekämpfen, was besonders in Ländern in Südamerika und Afrika eine Schuldenkrise auslöste.

Mitte April meldete die Financial Times unter Berufung auf eine Studie der NGO Debt Justice, dass der Auslandsschuldendienst einer Gruppe von 91 der ärmsten Länder der Welt in diesem Jahr durchschnittlich 16 Prozent ihrer staatlichen Einnahmen verschlingen werde, wobei dieser Wert im kommenden Jahr auf 17 Prozent ansteigen dürfte. Zuletzt wurde ein ähnlich hoher Wert 1998 erreicht. Am stärksten betroffen ist demnach Sri Lanka, dessen Schuldendienst in diesem Jahr rund 75 Prozent der prognostizierten Einnahmen entspricht, weswegen die Financial Times erwartet, dass der Inselstaat in diesem Jahr »den Zahlungen nicht nachkommen« werde.

Sambia, das wie Sri Lanka schon im vergangenen Jahr einen Staatsbankrott durchstehen musste, ist ebenfalls akut gefährdet. Ähnlich schlimm sehe es in Pakistan aus, wo in diesem Jahr 47 Prozent der Regierungseinnahmen zur Bedienung von Auslandskrediten aufgewendet werden müssten. Die Folgen für die Bevölkerung sind in diesen und vielen anderen Ländern bereits jetzt dramatisch: Regierungen können beispielsweise Gehälter nicht mehr zahlen oder Importe von Energieträgern oder Nahrungsmitteln nicht finanzieren, der Wertverfall ihrer Währungen verschärft Inflation, Armut und Hunger.

Doch nicht nur die ärmsten Länder sind bedroht. In Argentinien beispielsweise, wo die Zentralbank Geld druckt, um das Haushaltsdefizit zu finanzieren, beträgt die Inflation inzwischen 109 Prozent und droht, in eine destruk­tive Hyperinflation überzugehen. Wie viele andere Krisenstaaten hat Argentinien ein Notprogramm mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abgeschlossen, das Kredite in Höhe von 44 Milliarden US-Dollar im Gegenzug für Austeritätsmaßnahmen vorsieht. Mitte Mai forderte der argentinische Präsident Alberto Fernández angesichts einer dürrebedingten Missernte beim wichtigsten Exportgut Weizen Neuverhandlungen mit dem IWF. Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner nannte das Abkommen gar »skandalös« und einen »Betrug«.

Eine besondere Rolle spielt in der derzeitigen Schuldenkrise China, das in den vergangenen Jahren zu einem der größten weltweiten Kreditgeber aufgestiegen ist. Allein im Rahmen des weltweiten Entwicklungsprogramms der Belt and Road Initiative, auch bekannt als »Neue Seidenstraße«, wurden bis Ende 2021 Kredite und Transaktionen im Umfang von mindestens 838 Milliarden US-Dollar getätigt, um damit zumeist Infrastruktur- und andere Großprojekte in Afrika, Asien und Lateinamerika zu finanzieren. Den Großteil der Kredite vergaben chinesische Banken. China wollte damit die Grundlage für eine künftige wirtschaftliche Hegemonie legen.

Doch inzwischen – nach der Covid-19-Pandemie und der russischen Invasion der Ukraine, dem globalen Inflationsschub und einer Verlangsamung des Wachstums in China selbst – sind chinesische Banken zurückhaltender bei der Vergabe von Krediten in ärmeren Ländern. Einer Studie der Rhodium Group zufolge sind bereits 2021 rund 16 Prozent der aus China im Ausland vergebenen Kredite mit einem Wert von etwa 118 Milliarden US-Dollar vom Zahlungsausfall bedroht gewesen und hätten nachverhandelt werden müssen.

Nur ein Jahr später hat sich die chinesische Auslandsschuldenkrise laut ­einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) bereits stark ausgeweitet. Demnach sollen 2022 schon 60 Prozent der Kredite ausfallgefährdet gewesen sein, so dass Peking an 22 Schuldnerländer 128 Notkredite im Umfang von 240 Milliarden US-Dollar vergeben musste. Hierbei wird den Schuldnerstaaten zumeist nur ein Aufschub gewährt, indem neue Darlehen zur Tilgung fälliger Zahlungen vergeben werden, was eine »Verlängerung von Laufzeiten oder Zahlungszielen« ermögliche; ein Erlass von Schulden finde »nur äußerst selten statt«, so das IfW.

Die meisten dieser Refinanzierungskredite vergab die chinesische Zentralbank, die damit effektiv jene chinesischen Banken rettet, die die Kredite ursprünglich vergeben haben. Die Autoren der IfW-Studie vergleichen das derzeitige Vorgehen Chinas deshalb mit der Vergabe von sogenannten Rettungskrediten an Griechenland und andere südeuropäische Länder während der Euro-Krise, bei der es ebenfalls um die Rettung von Banken ging, denen Zahlungsausfälle drohten.

Krisen- und Überbrückungskredite fließen vor allem an »Länder mit mittlerem Einkommen«, da auf diese 80 Prozent des chinesischen Auslandskreditvolumens entfallen und sie damit »große Bilanzrisiken für chinesische Banken« darstellten, so das IfW. Länder mit niedrigem Einkommen hingegen erhielten kaum Krisenkredite, da deren Staatspleiten den chinesischen Bankensektor kaum gefährden könnten. Die Verzinsung der chinesischen Krisenkredite soll außerdem durchschnittlich fünf Prozent betragen; beim IWF sind zwei Prozent üblich. Zu den Schuldnerstaaten, die mit Krisenkrediten versorgt wurden, zählen Länder wie Sri Lanka, Pakistan, Argentinien, Ägypten, die Türkei und Venezuela.

Das IfW merkte zudem an, dass bei einem Großteil der Rettungskredite die Modalitäten und der Umfang der Kreditprogramme nicht öffentlich zugänglich sind. Dadurch werde insgesamt »die internationale Finanzarchitektur multipolarer, weniger institutionalisiert und weniger transparent«. Diese Intransparenz betreffe auch zuvor von chinesischen Banken vergebene Kredite. Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) zitierte kürzlich in einem ausführlichen Bericht über die Schuldenkrise Ergebnisse einer Untersuchung der Forschungsgruppe Aid Data, die allein bis 2021 chinesische Kredite in Höhe von mindestens 385 Milliarden US-Dollar in 88 Ländern registriert hatte, die »versteckt oder unzureichend dokumentiert« gewesen seien.

Picture of a Greek demonstration in May 2011

100.000 Menschen protestieren in Athen gegen die Sparmaßnahmen ihrer Regierung, 29. Mai 2011

Viele der ärmsten Länder in Afrika oder Asien griffen auf dem Höhepunkt der globalen Liquiditätsblase zwischen 2010 und 2020 gerne auf die chinesischen Gelder zu, um damit Infrastruktur- und Prestigeprojekte zu finanzieren, die sich im gegenwärtigen Krisenschub immer öfter in Investitionsruinen verwandeln. Für diese Länder stellt die Geheimhaltung nun ein ernsthaftes Problem dar, denn im Fall einer Zahlungsunfähigkeit müssen sich die internationalen Gläubiger des betroffenen Lands darüber verständigen, wer in welchem Ausmaß Kredite stundet oder auf Rückzahlungen verzichtet. Westliche Kreditgeber und Institutionen wie der IWF oder die Weltbank verweigern derzeit jedoch in vielen Fällen Notfallprogramme, da die Modali­täten der chinesischen Kreditprogramme unklar seien und sie sich mit China nicht einigen könnten. Einige arme Staaten befänden sich deshalb in einem »Schwebezustand«, schreibt AP, da China nicht bereit sei, Verluste hinzunehmen, während der IWF sich weigere, niedrig verzinste Kredite zu ­gewähren, wenn damit nur chinesische Schulden abgezahlt würden.

Belastet werden die Verhandlungen der Kreditgeber zusätzlich von der sich verschärfenden weltpolitischen Konkurrenz zwischen den westlichen Staaten und China. Die zunehmende Fragmentierung der Weltwirtschaft erschwere es, »Staatsschuldenkrisen zu lösen, besonders, wenn es unter den entscheidenden staatlichen Kreditgebern geopolitische Spaltungen gibt«, warnte die Direktorin des IWF, Kristalina Georgiewa, im Januar.

Die westlichen Staaten hoffen unterdessen, die chinesische Auslandsschuldenkrise nutzen zu können, um den Einfluss, den sich China durch seine Kreditvergabe in vielen Weltregionen aufgebaut hat, wieder zurückzudrängen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte im Mai, für die G7-Staaten und ihre Partner gebe es jetzt eine »günstige Gelegenheit«, nachdem »viele Länder im Globalen Süden schlechte Erfahrungen mit China« gemacht hätten und sich in »Schuldenkrisen« wiederfänden, während Russland nur »Söldner und Waffen« im Angebot habe. Der Westen könne, wenn er schnell agiere, Partnerschaften mit diesen Ländern eingehen, die von beiderseitigem Nutzen wären. Unternehmen und Banken könnten an der Ausarbeitung »umfassender Pakete« beteiligt werden, die auch Teile der Produktionsketten in Entwicklungsländer verlagern würden. Die EU wolle »nicht nur die Extraktion der Rohstoffe, sondern auch deren lokale Weiterverarbeitung und Veredelung« fördern. Von der Leyen spekuliert damit auf ein schlechtes Gedächtnis ihrer potentiellen »Partner« im Globalen Süden, die bereits seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts leidvolle Erfahrungen mit westlichen Kreditprogrammen sammeln konnten.

Erstveröffentlicht unter:  https://jungle.world/artikel/2023/22/die-schuldenkrise-wird-multipolar

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —       Abb. 4| Zinskonvergenz und -divergenz: Renditen 10-jähriger Staatsanleihen von Mitgliedern der Eurozone, 1993–2017 (EZB)

Abgelegt unter Finanzpolitik, International, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

DIE * WOCHE

Erstellt von Redaktion am 19. Juni 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Kirchentag,  Beim RBB wird die neue Intendantin gekürt. Fußball-WM:Trumpgerechte Straftaten. Gegen Donald Trump wird Anklage erhoben. Er gibt sich aber kämpferisch für die US-Präsidentschaftswahl.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Grüne beugen sich dem „Asyl-Kompromiss“.

Und was wird besser in dieser?

Aufgeben heißt jetzt Kompromiss.

Thomas de Maizière forderte auf dem evangelischen Kirchentag von der Generation Z eine göttliche Arbeitswoche à la ‚6 Tage arbeiten, 1 Tag ruhen‘. Wären wir da nicht besser alle katholisch geblieben?

Teile eines de Maizières können immer noch das Publikum verunsichern. Wenn es nicht zu Frommen seiner Work-Live-Balance vorher nach Hause gegangen ist: Die Hälfte der Kirchentagsteilnehmenden war laut Evangelischer Kirche in Deutschland (EKD) unter dreißig. Als AltersInsasse und mentaler Zellennachbar de Maizières möchte ich meinen Millenial-Kindern dazu gratulieren, den Onkel Exminister richtig böse gemacht zu haben. Hie selbstbestimmter Umgang mit Lebenszeit – dort öhmt protestantische Askese aus hugenottischem Offiziersgeschlecht. Well done, Kinder. Wir waren die Generation „Ihr sollt es einmal besser haben“. Ihr seid die Generation „Euer Besser kotzt uns an.“ Bestraft den ungläubigen Thomas! Werdet glücklich!

Donald Trump plädierte im Geheimaktenprozess auf nicht schuldig. Wie beeinflusst der Prozess seine Chancen auf die US-Präsidentschaft.

Das Foto eines Hooligans, der mit Mutti bei Streuselkuchen „Bares für Rares“ guckt, wäre dem schädlicher, als es Trump schadete, wenn er einfach nur weitertrumpt. Anklage wegen Wirtschaftsverbrechen in New York, in Georgia geht’s um Wahlfälschung, dann dräut der Prozess um Schweigegeld an eine Dienstleisterin, 5 Millionen wegen sexuellen Übergriffs musste er schon bezahlen. Allesamt trumpgerechte Straftaten. Er ist der rechte Mann für Leute, die ihr eigenes Elend für eine Lüge des Universums halten. Und da muss er lang.

ARD und ZDF kaufen der Fifa nun doch die TV-Rechte für die Fußball-WM der Frauen ab. Ist der Deal Geldmacherei unter dem Deckmantel der Emanzipation?

Bei der EM 2022 sahen in Deutschland 17,9 Millionen Menschen das Finale England – Deutschland. 64,8 Prozent Marktanteil. Eine eindrucksvolle Manifestation des Grundrechts, die letzten 10 Minuten der Verlängerung an der Eckfahne würdelos dummzudaddeln. Es war ein Tort, doch ich sah es gern, um mir vor der WM der Schande in Katar den Tank vollzumachen und das 220-Millionen-Euro-Debakel der Jungs nicht zu gucken. Deshalb erscheint der „mittlere einstellige Millionenbetrag“, den ARD und ZDF jetzt zahlen, vergleichsweise lächerlich. Auf den zweiten Blick fragt sich, welcher Betrag lächerlicher ist.

Bild ruft zur Massenpanik, weil ein Gesetz aus dem Hause Cem Özdemir angeblich Werbung für Milchprodukte in die Nachtstunden verschieben soll. Kommt nach dem Heizhammer jetzt der Milchmurks?

Die Zuckerhüte von der FDP werden die Kanten des Entwurfs rundschlecken. Dahinter bleibt ein Mysterium: Die TV-Sender haben längst resigniert, unter 30 erreichen sie keine Zuschauenden mehr. Zugleich lobbyieren sie massiv, um Kinderwerbung zu erhalten. Kurz: Die Werbung wandte sich längst an Erwachsene, oder die Sender haben die Werbekunden schon länger reingelegt. Kinder-Überraschung.

Beim RBB ging es vor der In­ten­dan­t:in­nen­wahl am Freitag hoch her. Wie kann der Sender zur Ruhe kommen?

Positiv gesehen: Der RBB ist so pleite – er kann sich keine Gebührensalbe mehr auf allerhand schwärende Wunden schmieren und noch ein paar IntendantInnen verjuxen. Die herkömmlichen Produktionsweisen sind infrage gestellt. Künftig wird es öfters Amateurqualität geben. Die Gremien gehen da seit Jahren voran.

Die Nationale Sicherheitsstrategie wird als abstraktes Dokument mit vagen Wünschen wahrgenommen. Finden Sie auch Konkretes in dem Papier?

Quelle        :        TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Bearbeitung durch User: Denis_Apel –

Lizenz “Creative Commons“ „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“

Abgelegt unter Feuilleton, International, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Linke vor der Spaltung

Erstellt von Redaktion am 18. Juni 2023

Krise bei der Linkspartei

Von Pascal Beucker und Anna Lehmann

Lange hat die Linke gebraucht, um mit Wagenknecht zu brechen. Deren Anhänger werben für die Abspaltung, die anderen rücken zusammen.

Wenigstens ihren Zweckoptimismus hat die Linke noch nicht verloren. „Unser Plan 2025: Comeback einer starken LINKEN“, ist das Strategiepapier überschrieben, das der Bundesvorstand der zerzausten Partei auf seiner letzten Sitzung beschlossen hat. Der erste Satz: „Die LINKE wird dringend gebraucht.“ Der letzte Satz: „Wir ziehen souverän wieder in den Bundestag ein.“ Klingt eigentlich ganz einfach. Allerdings stehen zwischen dem ersten und dem letzten Satz mehr als 9.000 Zeichen – und ein übergroßer Berg an Problemen, die in einem Namen kulminieren: Sahra Wagenknecht.

Die Linke hat lange gebraucht, um zu begreifen, dass es keinen gemeinsamen Weg mit der chronisch quertreibenden Bundestagsabgeordneten und ihren Anhänger:in­nen mehr gibt. Einen letzten Versuch, zu retten, was längst nicht mehr zu retten ist, haben die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan am 25. Mai gestartet.

Da trafen sie sich zu einem vertraulichen Gespräch mit Wagenknecht. Bei dem Treffen, an dem auch die beiden Bundestagsfraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali teilnahmen, stellten sie Wagenknecht ein Ultimatum, zeitnah und öffentlich von Plänen zur Gründung eines konkurrierenden Parteiprojektes Abstand zu nehmen und entsprechende Vorbereitungen umgehend einzustellen.

Nachdem Wagenknecht dazu nicht bereit war, beschloss der Parteivorstand am 10. Juni einstimmig: „Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht.“ Und nicht nur das. Auch alle, die sich am Projekt einer konkurrierenden Partei beteiligten, sollten ihre Mandate zurückgeben.

Heftig empört

Umgehend meldeten sich sechs Bundestagsabgeordnete zu Wort, die dem Wagenknecht-Lager zugerechnet werden, unter anderem Sevim Dagdelen und Klaus Ernst. Niemand bestritt die Vorwürfe des Vorstands in Bezug auf die Pläne zur Gründung eines Konkurrenzprojekts und dass Ressourcen aus für die Linkspartei gewonnenen Mandaten für den Aufbau genutzt werden. Und niemand distanzierte sich von den Spaltungsaktivitäten.

Aber allesamt empörten sie sich heftig darüber, dass der Linken-Vorstand solch eindeutig parteischädigendes Treiben nicht mehr länger hinnehmen will. Mit dem Parteivorstandsbeschluss werde „der Kurs der Parteiführung in Richtung einer bedeutungslosen Sekte noch verschärft“, twitterte Dağdelen.

Die Co-Fraktionsvorsitzende Mohamed Ali schrieb, sie halte den Beschluss „für einen großen Fehler und einer Partei unwürdig, die sich Solidarität und Pluralität auf die Fahnen schreibt“. Damit stellte sie sich gegen Dietmar Bartsch, der am Dienstag überraschend der Parteiführung beipflichtete. „Ich will in großer Klarheit deutlich machen, dass ich es auch als völlig inakzeptabel ansehe, wenn man den Versuch unternimmt, eine neue Partei zu gründen, oder Gespräche führt, eine neue Partei ins Leben zu rufen“, sagte er. Bisher war die Fraktionsspitze stets bemüht, Einigkeit zu vermitteln. Jetzt zeigt der Konflikt, wie blank die Nerven liegen.

Wagenknechts Partei

Selbst Gregor Gysi, der sich lange um Sahra Wagenknecht als Fraktionsmitglied bemühte, geht mittlerweile auf Distanz zu ihr: „Wenn sie eine neue Partei gründet, dann muss sie ihr Mandat niederlegen“, erklärte der frühere Partei- und Fraktionschef am Freitag. „Alles andere wäre unmoralischer Mandatsklau“.

Die Frage, ob Wagenknecht ein Konkurrenzprojekt zur Linken gründet, ist längst keine politische mehr, sondern nur noch eine technische. Und daran lässt die 53-Jährige inzwischen auch selbst keinen Zweifel. Eine Partei, „die dann auch erfolgreich sein soll“, ließe sich „nicht mal eben so“ gründen, bekundete sie am Dienstag in einem Interview mit dem WDR. Viele würden jedoch derzeit versuchen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

„Wenn die Voraussetzungen einer neuen Partei nicht geschaffen werden, dann werde ich mich nach Ende dieser Legislatur ins Privatleben zurückziehen“, sagte sie. „Aber ich müsste damit den Anspruch aufgeben, politisch noch etwas zu verändern, und ich würde mir schon wünschen, ich könnte noch etwas verändern.“

Bunte Westen 03.jpg

Das war der ertse Versuch

Bis spätestens Ende des Jahres will sie sich entscheiden, ob sie den Sprung wagen will. Ein denkbares Szenario ist der Bruch im Oktober nach der Landtagswahl in Hessen, bei der die Links­partei wohl ihre letzte parlamentarische Vertretung in einem westdeutschen Flächenland verlieren wird.

Abspaltungszentrum in Sachsen

Möglich ist auch eine Abspaltung im zeitlichen Umfeld des für Mitte November geplanten Bundesparteitags. Um ein konkurrierendes Wahlbündnis für die Europawahl im Juni 2024 zu schmieden, wäre allerdings auch eine Trennung bis Anfang nächsten Jahres ausreichend.

Für den Bundestagsfraktionschef Bartsch hat die Bewahrung des Fraktionsstatus, der schon beim Abgang von drei Abgeordneten verlustig gehen würde, oberste Priorität. Gleichzeitig ist er alarmiert, denn selbst aus seinem eigenen Landesverband in Mecklenburg-Vorpommern gibt es eindeutige ­Signale, dass es so nicht weitergehen kann. Denn die Abspaltungs­tendenzen sind unübersehbar. Der Spiegel schreibt sogar, es gebe „Screenshots von Mails und SMS aus mehreren ostdeutschen Landesverbänden“, die belegen würden, dass Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen direkt von Wagenknechts engerem Kreis ­angesprochen wurden, ob sie am Konkurrenzprojekt teilnehmen wollten.

Ein Zentrum der Spaltungsaktivitäten ist Sachsen, in den 1990ern und den Nullerjahren eine Hochburg der damaligen PDS. Im größten ostdeutschen Landesverband versucht die Ex-Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann, offensiv Mitglieder aus der Linken für das geplante Konkurrenzprojekt zu gewinnen.

Als die Landesvorsitzenden Susanne Schaper und Stefan Hartmann Wind davon bekamen, schrieben sie Zimmermann einen Brief, baten sie um Stellungnahme und warnten: „Wenn Du Dich weiterhin an der Neugründung einer Partei beteiligen willst, legen wir Dir nahe, unsere Partei zu verlassen.“

Selbst Gregor Gysi geht nun auf Distanz zu Sahra Wagenknecht

Direkt antwortete Zimmermann den Ab­sen­de­r:in­nen nicht. Die Reaktion der 62-jährigen Gewerkschafterin konnten sie stattdessen am Mittwoch in der Chemnitzer Freien Presse lesen. In dem Interview bestritt Zimmermann die Abwerbeversuche keineswegs, vielmehr freute sie sich über den Zuspruch: „Da verkennt die Partei die Lage, wie viele mitgehen werden“, sagte sie. Ansonsten könne sie keine Details nennen, sondern nur sagen, „dass wir vom Wagenknecht-Flügel uns in einem konstruktiven Klärungsprozess befinden“. Alles hänge von Wagenknecht ab. „Ohne sie würde eine Neugründung kaum Sinn machen“, so Zimmermann. „Wir müssen schnell handeln können, sobald die Entscheidung steht.“

Eine solche Wagenknecht-Partei, die sich gesellschafts- und migrationspolitisch rechts und sozialpolitisch links verortet, würde zuvorderst auf Stimmen aus dem Nicht­wäh­le­r:in­nen­spek­trum und auch derzeitiger AfD-­Wäh­le­r:in­nen setzen, wäre aber für die schwer kriselnde Linke gleichwohl existenzbedrohend.

Landesvorstand beriet über Gegenstrategie

Qielle        :          TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

Hier eine Analyse zum Thema vom 15. Junis  2023

Ein Debattenbeitrag von Thorsten Holzhauser

Nationalisten und „Linkskonservative“ – ein Blick ins europäische Ausland gibt eine Ahnung vom Programm einer möglichen neuen Wagenknecht-Partei.

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —       26.06.2019 Für eine soziale Politik Leipzig Der bisher heißeste Tag im Jahr mit Temperaturen um die achtunddreißig Grad Celsius konnte an die 1000 Leipziger*innen nicht davon abhalten, sich auf dem Marktplatz zu versammeln. Die Kundgebung bei der Sahra Wagenknecht zu den Standpunkten sozialer Politik der Bundestagsfraktion Die Linke sprach, wurde musikalisch von der Gruppe Karussell begleitet, welche in Leipzig ein Heimspiel hatten.

Abgelegt unter Medien, P. DIE LINKE, Positionen, Saarland, Überregional | 110 Kommentare »

Ozeanien-vs-Eurasien

Erstellt von Redaktion am 18. Juni 2023

Ozeanien-Eurasien-USA-und-China-im-Konflikt-um-Taiwan

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Angesichts bröckelnder Wirtschaftsmacht geht Washington in der Auseinandersetzung mit China zu einer Strategie bloßer militärischer Dominanz über

Es ist gut möglich, dass rückblickend der Krieg um die Ukraine als erster Akt eines globalen Großkrieges, als bloßes Vorspiel für die in Taiwan drohende militärische Auseinandersetzung zwischen den USA und China angesehen werden wird. Die Spannungen in der Straße von Taiwan scheinen zu einem prekären Dauerzustand zu werden, während der Blutzoll des russischen Angriffskrieges inzwischen in die Hunderttausende geht.

Beide Konflikte können tatsächlich auch als Momente eines globalen Hegemoniekampfes begriffen werden, der zwischen den fragilen Bündnissystemen der absteigenden USA und dem aufstrebenden China geführt wird. Auf der geopolitischen Ebene ließe sich von einem Kampf des von China angeführten Eurasiens gegen das Ozeanien der Vereinigten Staaten sprechen. Washington verfolgt eine Eindämmungsstrategie gegenüber der chinesisch-russischen Allianz, bei der über den Pazifik und Atlantik hinausgreifende Bündnissysteme eine zentrale Rolle spielen. Und Taiwan ist im pazifischen Raum ein essenzieller Baustein dieser Containment-Strategie, bei der Washington bemüht ist, auch Südkorea, Japan, die Philippinen, Vietnam und Australien einzubinden.

Mit dieser Eindämmungsstrategie werden mehrere Ziele verfolgt: Zum einen soll die ungehinderte Formierung der rasch wachsenden chinesischen Militärmacht verhindert werden. Die globale Interventionsfähigkeit bildete die militärische Grundlage der Hegemonie der USA in den Dekaden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Peking forciert derzeit ein gigantisches, rasch voranschreitendes Flottenrüstungsprogramm, um die US-Marine zu überflügeln. Bis 2024 soll die Zahl chinesischer Kampfschiffe von 340 auf rund 400 ansteigen, während die US-Navy nur über knapp 300 Schiffe verfügt. Die Effektivität dieser chinesischen Marinemacht würde aber von US-Stützpunkten unterminiert, die Washington am liebsten in allen Nachbarstaaten Chinas errichten würde, die den Machtzuwachs Pekings mit Unbehagen beobachten.

Andererseits geht es bei diesem Containment auch darum, angesichts der sich zuspitzenden sozioökologischen Krise die ungehinderte Extraktion von Rohstoffen und Energieträgern in der Peripherie des Weltsystems durch Peking zu verunmöglichen. Die militärische Absicherung der Schifffahrtswege ist für China unmöglich, solange Washington Bündnispartner vor der chinesischen Küste hat.

Eskalationsdynamik im Spätkapitalismus

Wo verlaufen die Grenzen Ozeaniens und Eurasiens? Diese geopolitische Frage, die in der Ukraine militärisch ausgefochten wird, stellt sich auch in Taiwan, das Peking als Teil Chinas betrachtet. Der Taiwan-Konflikt ist folglich innerhalb Chinas besonders stark national und ideologisch aufgeladen, während eine überwältigende Mehrheit der Bewohner*innen Taiwans für die Beibehaltung des Status quo oder gar die Unabhängigkeit plädiert. Der Hegemoniekampf zwischen den USA und China ist aber auch ein Kampf um die technologische Dominanz. Washington bemüht sich mit immer weitergehenden Sanktionen, den verbliebenen technologischen Vorsprung gegenüber der Volksrepublik aufrechtzuerhalten. Und Taiwan ist ein wichtiger Standort für IT und Hightech-Produktion. Die wichtigsten Fabrikationsstätten für Computerprozessoren und Chips befinden sich auf der Pazifikinsel. Washington will den Zugriff Pekings auf diese Fertigkeiten verhindern.

Die sich im Pazifik entfaltende Eskalationsdynamik bleibt aber unverständlich, wenn die zunehmenden sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisentendenzen im spätkapitalistischen Weltsystem ausgeblendet bleiben. Es sind die systemischen Krisenprozesse, die sich immer deutlicher abzeichnenden inneren und äußeren Schranken des Kapitals, die die Staaten in die Konfrontation treiben. Auch der Angriff Russlands auf die Ukraine, der einem Akt nackten Wahnsinns gleicht, bleibt unverständlich, wenn die Aufstände in Belarus und Kasachstan kurz zuvor unberücksichtigt bleiben.

Auf globaler Ebene befinden sich die USA in einer ähnlich schwierigen Lage wie Russland in seinem abgetakelten und sozial zerrütteten postsowjetischen Hinterhof. Das jüngste »Bankenbeben« in den Vereinigten Staaten, das durch den Wertverfall von eigentlich als sicher geltenden US-Staatsanleihen ausgelöst wurde, ist Ausdruck der systemischen Sackgasse, in der die um den Dollar als Weltleitwährung zentrierte neoliberale Globalisierung steckt: Dem an seiner Produktivität erstickenden Weltsystem fehlt ein neuer industrieller Leitsektor, in dem massenhaft Lohnarbeit verwertet werden könnte, es läuft auf Pump. Die globale Verschuldung steigt schneller an als die Weltwirtschaftsleistung.

Dieser globale Verschuldungsprozess vollzog sich vermittels immer größerer Spekulationsblasen in der Finanzsphäre, wobei die Globalisierung zur Ausbildung von Defizitkreisläufen führte. Wirtschaftsstandorte mit Exportüberschüssen führten ihre Waren in Defizitländer aus, die immer größere Schuldenberge anhäuften. Die USA und China waren in diesem Prozess eng miteinander verstrickt. Im großen pazifischen Defizitkreislauf konnte China gigantische Exportüberschüsse gegenüber den USA erzielen, um diese sogleich in amerikanische Staatsanleihen zu investieren. Von China wurden über den Pazifik gigantische Warenmengen in die USA befördert, während in die Gegenrichtung US-»Finanzmarktwaren« (zumeist besagte Staatsanleihen) flossen, die China zu einem der größten Gläubiger der USA machten. (Ein ähnliches »Ungleichgewicht« zwischen dem deutschen Zentrum und der südlichen Peripherie prägte auch die Eurozone bis zum Ausbruch der Eurokrise.)

Mit dem Ende des Nachkriegsbooms, der Finanzialisierung und der Durchsetzung des Neoliberalismus wandelte sich somit die ökonomische Grundlage des westlichen Hegemonialsystems, das zuvor von der fordistischen Expansion getragen worden war: Die sich immer weiter verschuldenden USA wurden zum »Schwarzen Loch« des Weltsystems, das die Überschussproduktion exportorientierter Staaten wie China und der BRD aufnahm – um den Preis voranschreitender Deindustrialisierung und Verschuldung im eigenen Land. Ohne den US-Dollar wäre dies nicht möglich gewesen. Der Greenback als Weltleitwährung verschaffte Washington die Option, sich im Wertmaß aller Warendinge zu verschulden, um etwa seine Militärmaschinerie zu finanzieren. Wenn hingegen ein Erdo?an die Geldpresse anwirft, dann wächst einfach die Inflation.

Bürgerliche Krisenpolitik in der Falle

Diese auf Pump laufende globale Finanzblasenökonomie wurde in den letzten Jahrzehnten immer krisenanfälliger. Die Krisenschübe fielen immer heftiger aus, die Aufwendungen der Politik zur Stabilisierung des Systems wurden immer größer, die Abstände zwischen den Krisenschüben immer kürzer. Mit der einsetzenden Inflationsphase scheint die neoliberale Epoche der Krisenverzögerung am Ende zu sein.

Die bürgerliche Krisenpolitik befindet sich in einer Falle: Sie müsste die Zinsen anheben, um die Inflation zu bekämpfen, während sie zugleich die Zinsen senken müsste, um den aufgeblähten Finanzsektor vor dem Kollaps und die gigantischen Schuldenberge vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Die USA sind im Rahmen der kollabierenden Finanzblasenökonomie und der besagten Defizitkreisläufe nicht mehr in der Lage, als »Schwarzes Loch« der Weltwirtschaft zu fungieren, womit das ökonomische Fundament der US-Hegemonie untergraben wird. Mit den zunehmenden Absetzbewegungen vom US-Dollar in der Semiperipherie des Weltsystems, wo etliche Staaten zu bilateralen Zahlungssystemen mit China übergehen, scheint die Zeit des Greenback als Weltleitwährung abzulaufen, was die Vereinigten Staaten zu einem riesigen, militärisch hochgerüsteten Schuldenstaat degradieren würde.

Die einzige Option, die Washington noch bleibt, um das erodierende Bündnissystem des »Westens« aufrechtzuerhalten, ist die der militärischen Dominanz. Das eigentliche Rückgrat der Vormachtstellung der USA wie auch der Stellung des Dollar als Weltleitwährung bildet der US-Militärapparat. Deswegen ist Washington bereit, dem chinesischen Expansionsstreben mit einer Konfrontationsstrategie zu begegnen – solange die militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten noch besteht.

Erstveröffentlicht unter : https://www.akweb.de/ausgaben/693/ozeanien-vs-eurasien-usa-und-china-im-konflikt-um-taiwan/

Tomasz Konicz

Dist Autor und Journalist. Von ihm erschien zuletzt das Buch »Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört«. Mehr Texte und Spendenmöglichkeiten (Patreon) auf konicz.info.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —       The World War II Pacific Theater as it appeared in August, 1942.

Abgelegt unter International, Kriegspolitik, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von Redaktion am 18. Juni 2023

Nach dem Canceln das Comeback

Rote Flagge II.svg

Kolumne von Fatma Aydemir

Kevin Spacey im „Zeit-Magazin“. Wenn sie prominent sind, werden mutmaßliche MeToo-Täter schnell rehabilitiert. Das zeigt nicht nur ein aktuelles Interview mit Kevin Spacey.

Könnte nächsten Monat vielleicht schon das große Comeback-Interview mit Till Lindemann im Zeit-Magazin kommen? Schlagzeile: „Ich dachte, sie wollten es auch … Vielleicht hätte ich sie zuerst wecken sollen.“ Eine Journalistin könnte mit dem Popstar Gassi gehen, einen Kaffee to go in der Hand. Abends ginge man in eine verranzte Kneipe, in der jeder „den Till“ kennt und schätzt.

Von dem Buzz profitieren, den Skandale bringen

Natürlich würde man im Interview nicht über die Vorwürfe sexualisierter Gewalt sprechen, die eine ganze Reihe junger Frauen gegen Lindemann erheben. Man würde behaupten, das liege daran, dass das juristische Verfahren noch läuft, in Wahrheit ginge es darum, dass der Sänger nicht eingeschnappt ist und das Exklusivinterview kurzerhand abbricht, welches online natürlich auf Englisch übersetzt und bitte von allen internationalen Medien zitiert würde.

Lindemann dürfte sicher erzählen, wie schwer die Zeit war, nachdem sein Label bekannt gab, weniger Werbung für seine Platte zu machen, und eine Handvoll Leute sich tatsächlich mit Transpis vor dem ausverkauften Sta­dion­kon­zert trafen, um gegen den Rammstein-Auftritt zu protestieren. Erschütternd. Diese Cancel Culture zerstört doch jeden.

Das ist natürlich alles ausgedacht und rein hypothetisch, ich denke, die meisten Leser_innen verstehen den Zweck eines Konjunktivs. Es sei trotzdem noch mal erwähnt für poten­ziell mitlesende, übereifrige Anwaltskanzleien. Aber nur weil etwas ausgedacht ist, bedeutet das nicht, dass alles daran Humbug ist. Nachdem das Zeit-Magazin im vergangenen Monat ein so unkritisches Interview mit Quentin Tarantino druckte, als sei es 1996, legte das Lifestyleheft diese Woche nach, mit einem exklusiven Interview mit US-Schauspieler Kevin Spacey.

Kevin Spacey, May 2013.jpg

Genau, der Kevin Spacey, dem von mehreren Männern sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigung vorgeworfen werden. In zwei Prozessen wurde er freigesprochen, der dritte steht noch an, in London. Kann man machen, Spacey kurz vor dem wichtigen Prozess auf ein Käffchen zu treffen und das Cover dafür freizuräumen. Aber mit welchem Motiv? „Vielleicht hofft er, dass ein europäisches Medium wie das Zeit-Magazin weniger scharf über ihn berichtet, als es ein amerikanisches Medium tun würde“, mutmaßt der Text jedenfalls über das Motiv des Schauspielers, um dann genau das zu machen: Kuscheln – und zwar mit Ansage.

Am Ende haben alle was davon

Wie schnell mutmaßliche Täter von diesem Kaliber rehabilitiert werden können, zeigt diese Woche auch ein Auftritt von Filmstar Ezra Miller bei einer Filmpremiere in Hollywood. Miller wurde von mehreren Frauen Körperverletzung und Belästigung vorgeworfen. Außerdem steht Miller im Verdacht, eine Art Kult zu unterhalten und vorrangig junge Fans unter Drogen zu setzen.

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>         weiterlesesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Eine wehende rote Fahne

*******************************

Unten      —    Kevin Spacey on the set of House of Cards during Maryland Gov. Martin O’Malley’s visit in 2013.

Abgelegt unter Amerika, Feuilleton, Kriminelles, Positionen | Keine Kommentare »

Die Illusion der Kontrolle

Erstellt von Redaktion am 17. Juni 2023

Die Grünen bezahlen für ihr Ja einen Preis

Bündnis 90 - Die Grünen Logo.svg

Von:      Stefan Reinecke

Der EU-Asylkompromiss führt nicht zu wesentlich weniger Migration, er vermehrt nur das Unglück an den Außengrenzen. Der Kompromiss befeuert die Vorstellung, dass man Migration lenken, berechnen, unterdrücken und einer Kontrolle unterwerfen kann.

Der Mann ließ im Bundestag kein gutes Haar an dem Asylkompromiss. „Anstatt das Asylrecht zu bewahren, soll es nun so weit eingeschränkt werden, dass das einer Abschaffung gleichkommt“, sagte der Bündnisgrüne. Man errichte „Mauern aus Gesetzen und Abkommen“, um sich die Geflüchteten vom Leib zu halten und sie schnell in Drittstaaten zu entsorgen. Wer aus einem Nachbarland kam, hatte kein Recht auf Asyl mehr. Das war ungefähr so, als wenn Irland beschließen würde, dass nur, wer zu Fuß kommt, Asyl beantragen darf.

Diese Szene spielte sich 1993 ab. Konrad Weiß, Abgeordneter von Bündnis 90, redete vergeblich der SPD ins Gewissen. Das Grundgesetz wurde mit SPD-Stimmen geändert.

Der Asylkompromiss vor 30 Jahren und der EU-Asylkompromiss 2023 ähneln sich im manchem. Das Ziel ist: Migranten abschrecken. Dafür werden die Rechte von Asylbewerbern beschnitten, ohne das Asylrecht komplett zu streichen. Auch der Schmierstoff dieser Operation ist ähnlich: Es ist die Konstruktion der sogenannten sicheren Drittstaaten. Ein syrischer Flüchtling, der aus der Türkei in die EU kommt, kann künftig wieder zurückgeschickt werden – auch wenn er in der EU Anrecht auf Asyl hat. Ob und wie oft das passieren wird, ist offen. Aber es ist möglich. Auch die Asylzentren, Kernstück der EU-Reform, folgen einem Vorbild, das 1993 in Deutschland erfunden wurde. Flüchtlinge, die per Flugzeug kommen, landen seitdem nicht in Deutschland, sondern in einer Art Transitraum, in dem die „Fiktion der Nichteinreise“, so der juristische Ausdruck, gilt. Auch in den geplanten EU-Asylzentren finden sich Geflüchtete in einem fiktiven Europa wieder.

Bekannte Argumente, gemischte Gefühle. Das Ganze wirkt wie ein Remake. Nur die Grünen spielen diesmal nicht die tapfere Opposition, sondern die Rolle der SPD. Halb fallen sie, halb zieht es sie hin. Am Ende werden sie wohl, nach ausreichend öffentlich dargebotener Zerknirschung, dem stählernen Gebot der Realpolitik folgen.

Auch wenn die Rhetorik 2023 nicht so aggressiv und fremdenfeindlich klingt wie 1993, tauchen in dem Diskurs ähnlich suggestive Bilder auf. In Talkshows und Bundestagsdebatten werden – mehr oder weniger verklausuliert – drei Erzählungen bedient. Alle drei haben die gleiche Botschaft: Wir müssen uns schützen. Das erste Bild: „Nur ganz wenige Migranten sind Verfolgte. Das Gros sind Wirtschaftsflüchtlinge.“

So ist es nicht – jedenfalls derzeit. Im Jahr 2022 bekamen fast drei Viertel aller Asylsuchenden Schutz und wurden als Verfolgte anerkannt. Nur in 28 Prozent der Fälle wurde der Asylantrag als unbegründet abgelehnt. Trotzdem werden Flüchtlinge generell als Schwindler verdächtigt.

Das zweite Bild: „Die illegalen MigrantInnen kommen nach Deutschland – und arbeiten dann nicht.“ Auch das stimmt so nicht. Es ist kompliziert, die Daten etwas schütter. Aber: Die Lage auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland ist aus demografischen Gründen günstig. Auch Ungelernte werden verzweifelt gesucht. So gehen Experten davon aus, dass trotz Hürden wie der Sprache rund 55 Prozent jener Migranten arbeiten, die 2015/16 nach Deutschland kamen. Tendenz steigend. Die Integration in den Arbeitsmarkt ist aufwendig und kostspielig. Aber Leute, die hier sind, auszubilden ist effektiver, als Arbeitskräfte in der Ferne zu umwerben, die dann lieber nach Kanada gehen. Das Bild vom Flüchtling, der es sich in der sozialen Hängematte bequem macht, ist jedenfalls falsch.

Wer Menschen ausschliesst – sperrt sich selber ein !

Drittens: „Wir müssen an der Grenze durchgreifen und die illegalen Migranten (böse, weil Wirtschaftsflüchtlinge) von den verfolgten Asylsuchenden (nehmen wir auf, weil wir gute Menschen sind) trennen.“ Dieses Bild ist vielleicht das wirksamste. Und abgründigste. Es legt nahe, dass die Politik an der Grenze für Ordnung sorgen kann, wenn sie es nur will. Hart, aber fair. Repressiv, aber gerecht. Man muss nur entschlossen das richtige Anreiz- oder vielmehr Abschreckungssystem etablieren – schon lässt sich globale Migration steuern, und das Problem ist wenn nicht gelöst, so doch entscheidend gemildert. Dieses Bild ist so fatal, weil es eingängig und schwer zu widerlegen ist. Migration ist ein vielschichtiger, komplexer, verwirrender, sich wandelnder Prozess. Gerade deshalb ist es attraktiv, an einfache, gerade Lösungen zu glauben, die man sich nur trauen muss.

Diesem Geist entspricht der EU-Asylkompromiss mit den geplanten haftähnlichen Lagern und verkürzten Verfahren. Er befeuert die Vorstellung, dass man Migration lenken, berechnen, unterdrücken und einer weitgehenden Kontrolle unterwerfen kann.

Doch das wird nicht so sein – und das ist der Unterschied zwischen 1993 und 2023. Deutschland gelang es damals auch mittels Drittstaaten, Zahlen radikal zu senken: von fast einer halben Million im Jahr 1992 auf 19.000 im Jahr 2007. Die Bundesrepublik machte sich einen schlanken Fuß auf Kosten geduldiger Nachbarn. Als 2011 auf Lampedusa Tausende Flüchtlinge ankamen, erklärte CSU-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich in einer bemerkenswerten Mixtur aus Dummheit und Arroganz, das sei Italiens Problem. Das kam 2015/16 als Bumerang zurück.

Die Lage in der EU ist 2023 anders. Denn die dienstbaren Drittstaaten, die Flüchtlinge abwehren, existieren so nicht. Die EU hat zwar moralisch abgründige Deals mit Autokraten in Afrika geschlossen, die rosafarben „Mobilitätspartnerschaften“ getauft wurden. Entwicklungshilfe und Handelsvergünstigungen für Länder wie Ägypten, Marokko und Niger wurden an die Bedingung gekoppelt, Migrantenrouten zu unterbrechen. Die EU hat kreativ ein komplexes Netz entworfen, um zweifelhafte Regime mit Geld dazu zu bringen, Abgeschobene wieder zurückzunehmen.

Staatsgrenzen zeichnen sich nicht mehr, wie der Staatstheoretiker Thomas Hobbes einst schrieb, dadurch aus, dass sie „bewaffnet sind und auf die anliegenden Nachbarn gerichtete Kanonen haben“. Grenzen im globalen Kapitalismus sind flexible, oft nach vorne verlagerte Systeme, mit denen sich die reichen Zentren die Zuwanderung aus den armen Peripherien vom Leib zu halten versuchen. Der Soziologe Steffen Mau hat diese Grenzen mit ausgefeilten Überwachungssystemen und diffusen Rechtsräumen griffig als „Sortiermaschinen“ beschrieben. Sie haben etwas Ausuferndes. Im Vergleich mögen die Grenzen der Ära der klassischen Nationalstaaten mit ihren Schlagbäumen wenn nicht harmlos, so doch verlässlich und übersichtlich erscheinen.

Lesbos refugeecamp - panoramio (2).jpg

Doch so beängstigend diese Sortiermaschinen mitunter wirken – sie sind prekär, anfällig, fragil. Die EU ist auf die politischen Kalküle autokratischer Regime angewiesen. Die EU verfügt nicht über die imperiale Macht, den (nord)afrikanischen Staaten den eigenen Willen zu diktieren. Einzelne europäische Länder haben mehr als 300 Rücknahmeabkommen mit Staaten geschlossen, um Migranten wieder loszuwerden – mit durchwachsenem Erfolg. Fast 80 Prozent der Abschiebebefehle wurden 2021 in der EU nicht umgesetzt. Auch der gerade heftig umworbene tunesische Staatschef hat wenig Neigung, als Europas gekaufter Grenzpolizist zu gelten.

Die Sortiermaschinen funktionieren manchmal, mal stottern sie, mal fallen sie aus, dann laufen sie wieder auf Hochtouren. Migration ist nur bedingt regulierbar. Sogar die repressive Grenze zwischen Mexiko und den USA, an der Trump brutal Tausende Kinder von ihren Eltern trennte, funktioniert – aus US-Sicht – nur wie ein mehr oder weniger guter Filter. Auch unter Joe Biden werden Millionen festgenommen, abgewiesen, abgeschoben. Trotzdem leben in den USA mehr als elf Millionen sogenannte illegale Migranten.

In einem hoch vernetzten, weltumspannenden Markt mit extremem Wohlstandsgefälle, in dem Kapital und Waren, Informationen und Datenströme so frei und schnell wie nie zuvor fließen, ist es ein Kinderglaube, dass man Flüchtlinge nach Belieben stoppen und in brauchbare und lästige aufteilen kann. Im globalen Dorf weiß man auch in Ecuador und Nigeria, welche Migrationsrouten gerade funktionieren.

Die Idee, man werde mit dem EU-Kompromiss nun „die Zahlen in den Griff kriegen“, so CSU-Mann Manfred Weber, hat etwas Einfältiges. Denn wer in Westafrika viel Geld investiert, den Tod in der Sahara und das Ertrinken im Mittelmeer riskiert, sich Schlepperbanden anvertraut, Kriminelle und Frontex einkalkuliert, der wird sich kaum davon abschrecken lassen, dass die EU beschleunigte Verfahren einführt. Dieser Asylkompromiss führt nicht zu wesentlich weniger Migration. Er vermehrt nur das Unglück an den Außengrenzen.

Quelle          :            TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —     Logo of Alliance ’90/The Greens

**************************

Unten       —   Lesbos refugeecamp

Abgelegt unter Europa, Flucht und Zuwanderung, Integration, Kriminelles, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Recherche: Kölner IL-Outing

Erstellt von Redaktion am 17. Juni 2023

Fragen an K3 und an das verkündete Ende der Recherche

People Shadow.JPG

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von     :      K4 Recherche

Wir sind Menschen aus verschiedenen Städten, mit guten Kontakten zu Menschen in Köln, die Zugriff auf einige der Informationen haben, die auch K3 für ihre Untersuchung genutzt hat.

Lange Zeit standen wir der Arbeit von K3 sehr wohlwollend gegenüber. Umso mehr, weil die IL ein Nichtverhalten an den Tag legt, das uns ebenso wütend macht wie K3! Zudem haben wir eine grundsätzliche Kritik an Inhalt und Praxis dieser „postautonomen“ Organisation.In letzter Zeit kommen uns aber auch Zweifel an der Vorgehensweise von K3. Von aussen betrachtet scheint es uns, als ob K3 nun genauso mit Tricks, Halb- und Unwahrheiten zu arbeiten beginnt, wie wir es von Anfang an bei der IL erlebt haben.Anders als K3 halten wir das Schreiben des Anwalts von X., datiert auf den 28.4.2023, für höchst bedeutsam. Hierbei werden wir uns zunächst auf vier Aspekte beschränken:

  • Was ist mit der Sprachnachricht, die „Täterwissen“ offenbart?
  • Doch keine gefälschte Mail mit den zwei Fotos?
  • Doch keine Unkenntnis über korrekte Namensschreibung?
  • Wie viele Personen wussten etwas?

Zu 1. Der Anwalt von X. weist darauf hin, dass C. in einer Sprachnachricht vom 3.1.2022 „Täterwissen“ offenbart habe. Nach den uns vorliegenden Informationen wird die Echtheit dieser von C. an X. übermittelten Sprachnachricht von keiner Seite in Frage gestellt. Der Anwalt von X. führt aus:

K4 Recherche

Nach den bisherigen Darstellungen soll es im Oktober 2021 auf einem Treffen der IL eine Warnung vor C. gegeben haben. Dabei sollen mehrere Namen von FLINTA genannt worden seien. Ein Name war demnach der von X., die weiteren Namen sind nach unserem Kenntnisstand nirgends jemals erwähnt worden.

Wenn C. in der Sprachnachricht jedoch Namen nennt, stellt sich für uns die Frage, woher er diese kennt, wenn die bisherige Darstellung von K3, dass die gesamte Geschichte eine Konstruktion von X. oder der IL sei, korrekt wäre.

Sollte die Darstellung des Anwalts von X. aber der Wahrheit entsprechen, so müsste K3 einräumen, dass Teile der C. belastenden Darstellungen zutreffend sein könnten.

Während wir bislang davon ausgingen, dass C. zu unrecht beschuldigt sein könnte, erschüttert dieser Umstand, der vom Anwalt als „Täterwissen“ eingeordnet wird, unsere Annahme. Hier sehen wir unbedingt Aufklärungsbedarf.

Zu 2) K3 hat in ihren Veröffentlichungen nahegelegt, dass die Mail von JH an X vom 14.01.2022 nicht existieren würde oder manipuliert sei oder keine Fotos als Anhang gehabt habe. Hierzu müssen wir selbstkritisch feststellen, dass diese Position, die wir bisher geglaubt haben, nach dem Schreiben des Anwalts von X, dem der Ausdruck einer Mail mit korrektem Header beigefügt wurde, nicht mehr aufrecht zu erhalten ist.

K4 Recherche

Zu 3)

Wir gingen nach den Veröffentlichungen von K3 bislang davon aus, dass X. keine Kenntnis von der korrekten Schreibweise des Namens von C. habe und ebenso wie JH die falsche Schreibweise mit Q. benutzt. K3 hatte seinerzeit geschrieben:

K4 Recherche

Nun kann der Anwalt von X. jedoch nachweisen, dass X. die korrekte Schreibweise sehr wohl in Kommunikationen benutzte.

K4 Recherche

Die bisherige Darstellung von K3 lässt sich deshalb nicht aufrechterhalten

Zu 4)

Ausweislich des Schreibens des Anwaltes von X., das sich auf beigefügte Kommunikation zwischen X. und C. stützt, wird deutlich, dass C. unterschiedliche Versionen darüber verbreitet, ob er überhaupt mit anderen Menschen über seinen Sex mit X. gesprochen hat bzw. mit wie vielen Menschen:

K4 Recherche

Für uns bleibt die Frage offen, wer im Vorfeld und im Nachgang des Treffens zwischen X. und C. welche konkreten intimen Informationen von C. erhalten hat und an wen diese Informationen weitergegeben wurden. Hinzu kommt, dass der Anwalt von X. geltend macht, dass JH in diesem Zusammenhang Prognosen über das zukünftige Verhalten von C. macht, die sich seiner Ansicht nach bewahrheitet hätten:

K4 Recherche

Wir fragen uns, ob K3 genügend Anstrengungen unternommen hat, um auszuschliessen, dass JH eine der von C. selbst informierten Personen ist.

Alles in allem sind wir verunsichert. Gewissheiten, die wir nach dem Schweigen der IL und den Veröffentlichungen von K3 hatten, existieren nicht mehr. Wir sehen auf ALLEN Seiten den Versuch, selbstkritische Fragen bezüglich diverser Behauptungen, Indizien und Fakten zu vermeiden.

Wir haben hier nur einige wenige Punkte herausgestellt und wir erheben auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wir sind keine Ermittlungsgruppe und in einigen Punkten fehlt uns schlicht die technische Expertise, um qualifizierte Aussagen treffen zu können. Wir halten jedoch anders als K3 die Recherche und die Bewertung derselben nicht für abgeschlossen.

Nachtrag 13. Juni:

Wir sind in den letzten Tagen von verschiedenen Personen und Gruppen angesprochen worden, ob wir an einer Zusammenarbeit interessiert sind. Dafür reicht unser Vertrauen nicht aus und wir sind auch keine klassische Ermittlungsgruppe. Aber wir haben den Anspruch an IL und K3, dass sie ihre Arbeit gründlich und transparent machen. Wir haben einige Punkte genannt, werden jetzt abwarten und uns zu gegebener Zeit wieder melden.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —   I took this photo in March 2003

Abgelegt unter International, Köln, Medien, Politik und Netz, Positionen | 1 Kommentar »

Kolumne FERNSICHT Israel

Erstellt von Redaktion am 17. Juni 2023

Verhängnisvoller Bruderkuss unter Erzfeinden

Vogelbeobachtung (8618362879).jpg

Von Hagan Dagan

Im Nahen Osten wird es nicht langweilig. Während sich die Augen der Welt auf das Drama in der Ukraine richten, verändert sich zwischen dem Mittelmeer und dem Persischen Golf die geopolitische Landkarte.

Iran entwickelt sich Schritt für Schritt zur Atommacht. Aktuell sieht es nicht so aus, als würde das noch jemand verhindern können. Die zweifellos beeindruckenden Operationen des Mossad konnten die iranische Kernentwicklung allenfalls verzögern. Ähnlich auch die Kontrollen der Internationalen Atomenergie-Organisation.

ExpertInnen gehen davon aus, dass Iran in erschreckend kurzer Zeit in der Lage sein wird, eine Atombombe herzustellen. Die USA und Europa streben nach einer Wiederaufnahme der Atomvereinbarungen, und offenbar gibt es an dieser Front einen deutlichen Fortschritt. Wobei Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei jüngst bekanntgab, dass selbst eine Wiederaufnahme der Verhandlungen Iran nicht daran hindern werde, das Atomforschungsprogramm fortzusetzen. Teheran könnte so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: das Ende der wirtschaftlichen Sanktionen und trotzdem Fortschritte auf dem Weg zur Atombombe.

Überraschend kommt das jüngste Kooperationsabkommen zwischen Teheran und Riad. Saudi-Arabien und Iran sind erbitterte Feinde, die um die Vorherrschaft und Einfluss im Nahen Osten ringen. Der Krieg im Jemen – in dem Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi gegen die schiitischen Huthi-Rebellen stützten, die praktisch als ein verlängerter Arm Teherans fungieren – gehört dazu. Saudi-Arabien verhedderte sich in dem Krieg, der Riad Milliarden Dollar kostete und der schwere Schäden unter anderem an der Ölinfrastruktur hinterließ, ohne dass es gelang, die verhältnismäßig überschaubaren gegnerischen Truppen zu schlagen. Ein klares Schwächezeichen. Das andauernde Blutvergießen, gepaart mit der kalten Schulter, die die USA – eigentlich ein Verbündeter – Riad zeigten, brachte den energischen Regierungschef, Kronprinz Mohammed bin ­Salman, zu einer dramatischen Kehrtwende: Er reichte dem Erzfeind die Hand zum Frieden. Inzwischen flirtet bin Salman auch mit den Chinesen. Mit Verpflichtungen zu tra­di­tio­nel­len Bündnissen nimmt es der Kronprinz offensichtlich nicht so genau.

Was den Iran betrifft, so mögen dem Kooperationsabkommen ein langfristiges Kalkül zugrunde liegen oder politische Intrigen. Vermutlich aber war es reiner Pragmatismus. Iran agiert hier nicht aus Verstocktheit und Eifersucht, sondern als ein Land, das Chancen ergreift. Die internationalen Sanktionen haben der Wirtschaft Irans schweren Schaden zugefügt, dazu kommen die inländischen Proteste. Die Annäherung an Saudi-Arabien und in der Folge vielleicht an weitere Golfstaaten stärkt das Land und führt zu mehr Stabilität. Und sie ist eine sicherere Karte, als sich im Krieg gegen die Ukraine an der Seite Russlands zu positionieren.

Quelle         :        TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

Abgelegt unter Amerika, Asien, Kultur, Nah-Ost, Positionen | Keine Kommentare »

Am autoritären Kipppunkt

Erstellt von Redaktion am 16. Juni 2023

Antidemokratische Tendenzen sind auf dem Vormarsch

The Gaza Ghetto

Ein Denattenbeitrag von DANIEL MULLIS und  MAXIMILIAN PICHL und  VANESSA E. THOMPSON

In Deutschland werden autoritäre Ereignisse mehr und die politischen Räume enger. „Law and Order“-Politik hat Hochkonjunktur. Wir müssen jetzt handeln.

Wir machen uns Sorgen. Gesellschaftlich steht viel auf dem Spiel. In Deutschland ähnelt die Situation immer mehr der, die wir seit einiger Zeit in Ungarn, den USA, Indien oder Italien beobachten: autoritäre Kipppunkte werden überschritten. In der Klimaforschung ist ein Kipppunkt ein Moment, an dem – laut Weltklimarat – „eine kritische Grenze“ erreicht wird, „jenseits derer sich ein System umorganisiert“, neue Prozesse sich verfestigen, negative Dynamiken sich beschleunigen. Dies lässt sich auf gesellschaftliche Kipppunkte übertragen. Kipppunkte entstehen nicht zufällig, sie sind das Ergebnis länger zurückliegender destruktiver Prozesse. Im Gegensatz zum Klima sind gesellschaftliche Prozesse nie unumkehrbar. Allerdings sind etablierte Diskurse, Strukturen und Normen oft nicht rückgängig zu machen. Sind autoritäre Kipppunkte überschritten, wird der Boden brüchig, auf dem plurale und demokratische Gesellschaften stehen.

Die autoritären Ereignisse überschlagen sich in einer derart rasanten Geschwindigkeit, dass es kaum möglich ist, Schritt zu halten; stets geht es darum, europäische Privilegien, imperiale Lebensweisen und etablierte Machtstrukturen zu erhalten. Antidemokratische Tendenzen sind auf dem Vormarsch. Die AfD erreicht in Umfragen Spitzenwerte. Und die Ampelregierung hat den gravierendsten Asylrechtsverschärfungen der letzten 30 Jahre zugestimmt. Dabei werden Menschen an den EU-Grenzen seit Jahren systematisch entrechtet und brutal zurückgewiesen.

Rassismus hat in Deutschland Tradition und tödliche Folgen. Jahrelang mordete der NSU ungehindert. Der Rechtsterror von Hanau mit neun Toten steht in dieser Kontinuität. Untersuchungen zeigen, dass Opfer von Polizeigewalt kaum Chancen haben, die Tä­te­r*in­nen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Schwarze Menschen, Mi­gran­t*in­nen und People of Color, besonders arme und geflüchtete Personen sind einer mitunter tödlichen und nur unzureichend aufgearbeiteten Polizeipraxis ausgesetzt, wie zuletzt Mouhamed Dramé in Dortmund.

Dabei werden die politischen Räume enger. Wie in Lützerath bei der Räumung des Klimaprotestes. Verschärft tritt der autoritäre Umgang mit der Letzten Generation zutage. Die Bewegung wird als terroristisch diffamiert und kriminalisiert. Auch die Reaktion des Staates in Leipzig Anfang Juni nach dem Urteil im sogenannten Antifa-Ost-Komplex hat eine neue Dimension erreicht: Der große Polizeikessel und die stadtweiten Versammlungsverbote sind ein Angriff auf die Demokratie. „Law and Order“-Politik hat Hochkonjunktur. Dabei verliert der Staat das rechtsstaatliche Maß. Ein Beispiel sind die selbstverständlicher angewandten Schmerzgriffe der Polizei, die in der Rechtswissenschaft zum Teil als Verstoß gegen das Folterverbot diskutiert werden. Die Zahl der „Einzelfälle“ rechter Netzwerke in Polizei und Bundeswehr ist kaum noch zu überblicken. Kritik an diesen Zuständen führt nicht zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Staatsapparaten und ihren Funktionen im neoliberalen und zunehmend autoritären Kapitalismus, sondern wird diszipliniert und kriminalisiert. Rechtsaußen wird der Kulturkampf gegen feministische Errungenschaften und LGBTIQ+ geschürt. In der Opposition machen sich die Unionsparteien diese Rhetorik zu eigen. Während die extreme Rechte in vielen ostdeutschen Bundesländern faktisch an die Macht strebt, Grundrechte und Schutz Schwarzer Menschen, von Mi­gran­t*in­nen und People of Color, von Jüdinnen und Juden sowie Linken real bedroht sind, wird von bürgerlicher Seite eine „Cancel Culture“ und ein „Wokeism“ als „größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit“ bezeichnet. So CDU-Vorsitzender Friedrich Merz.

Tribute to White Power

Nicht nur hier im Land, nein auch in der EU ziehen Idioten erneut ihre Kreise.

Die Ereignisse sind für sich genommen beängstigend, aber nicht neu. Unsere Sorge vor einem autoritären Kipppunkt wächst jedoch. Denn diese Ereignisse beeinflussen und beschleunigen sich wechselseitig. Das Ganze findet in einer Zeit allgemein erhöhter Unsicherheit statt. Die ökologische Transformation sozial und demokratisch zu gestalten, ist eine enorme Herausforderung. Hinzu kommt der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Zusammen mit der vorhandenen Unzufriedenheit über politische Sprachlosigkeit, Armutsrisiken, Wohnungsnot oder mangelhafte soziale Infrastruktur ergibt sich ein explosives Gefüge. Mit der AfD ist eine Partei in der Lage, diese Stimmungen bundespolitisch aufzufangen. Deutlich treten die Grenzen der neoliberalen Politik und des liberalen Humanismus der vergangenen Jahrzehnte zutage, die keineswegs Antworten auf die soziale Frage, die Klimakatastrophe und globale Fluchtbewegungen liefern. So werden zunehmend im demokratischen Spektrum autoritäre Mechanismen übernommen. Die Rechte wird jedoch nur dann zurückgedrängt, wenn ihre Diskurse geächtet, ihre Ideologie ausgeschlossen und ihre Räume verengt werden. Sie nachzuahmen, ihren Forderungen nachzukommen, stärkt sie, macht ihre Erklärungen plausibel.

Quelle         :           TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —     The Gaza Ghetto

Abgelegt unter Deutschland_DE, Europa, International, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Band „Rammstein“

Erstellt von Redaktion am 16. Juni 2023

Keine Bühne für Rammstein

Wem sind die Flügel wichtig wenn es im Kopf fehlt.

Von    :    Jimmy Bulanik

Die Staatsanwalt Berlin ermittelt in einem Offizialdelikt nach www.gesetze-im-internet.de/stgb/__177.html Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung wegen eines Anfangsverdachtes nach Legalitätsprinzip, § 152, Abs. 2 gegen sechzigjährigen Till Lindemann, der Band „Rammstein“ nach mehrer Strafanzeigen und Strafanträgen wegen in aller in Betracht kommenden Delikten.

Diverse natürliche Personen erheben gänzlich ernste Vorwürfe in der Sache. Für die Staatsanwaltschaft Berlin sind dies Zeuginnen. Es obliegt der Justiz die Stärke dieser Zeuginnen zu bewerten. Aufgrund der Historie, Texte, Videos und Auftritte gibt es keine Zweifel respektive der Geisteshaltung diese Narrative sind.

Die Britta Häfemeier hat auf Campact e.V. eine Petition gestartet. Der Titel lautet, „Keine Bühne für Rammstein“.

Quelle:

weact.campact.de/petitions/keine-buhne-fur-rammstein

An: Iris Spranger (Senatorin für Inneres und Sport), Joe Chialo (Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt), Timo Rohwedder (Geschäftsführer Olympiastadion Berlin GmbH)

Der Rammstein-Sänger Till Lindemann soll junge Frauen bei Konzerten reihenweise und systematisch sexuell missbraucht haben [1].

Die Band lässt sich weiter feiern – momentan ist sie in ganz Europa auf Tour. Mitte Juli kommt Lindemann nach Berlin und spielt an drei ausverkauften Abenden vor 75.000 Menschen im Olympiastadion. Doch solange die Vorwürfe nicht geklärt sind, sind Konzerte der Band kein sicherer Ort für Mädchen und Frauen. Jetzt gilt es zu zeigen, dass Berliner*innen mutmaßlichen Tätern #KeineBühne bieten.

Machtmissbrauch und patriarchale Strukturen in der Medien- und Kulturbranche sind kein Einzelfall. Wir glauben den Opfern von sexualisierter Gewalt – immer und überall!

Das Olympiastadion ist im Besitz des Landes Berlin. Damit ist die rot-schwarze Landesregierung in der Verantwortung: Sie kann sich dafür einsetzen, dass das Olympiastadion die Verträge mit Rammstein kündigt. Die zuständigen Senator*innen Spranger und Chialo müssen jetzt handeln. Die Übergriffe dürfen sich nicht wiederholen. Die Rammstein-Konzerte müssen abgesagt werden! Berlin darf nicht zum Ort für sexuellen Missbrauch werden! Wir feiern keine Täter!

Warum ist das wichtig?
In ganz Europa geht Rammstein auf Tour. In Berlin haben wir gute Chancen, die Konzerte zu stoppen. Denn hier gibt es eine ganz konkrete Handhabe über die Landesregierung. Wenn wir in Berlin Erfolg haben, kann das auch private Betreiber von Eventlocations in anderen Städten unter Druck setzen. Jeder Raum weniger für die Machenschaften von Lindemann zählt!

Es muss endlich Konsequenzen für Täter geben! Es kann nicht sein, dass Till Lindemann sich in Berlin feiern lässt. Ein Rammstein-Konzert ist KEIN SICHERER Ort.

Erstunterzeichner*innen:

Gender Equality Media e.V. – Gegen medialen Sexismus
Kali Feminists – §218 und §219a wegstreiken
KEINE SHOW FÜR TÄTER
Women For Change
Gynformation
Pinkstinks germany e.V

Alle Leserinnen und Leser haben das freie Recht sich mit den Zielen der Petition mittels der Unterzeichnung und Verbreitung zu solidarisieren. Es handelt sich dabei um ein sakrosantes Grundrecht. Nicht jede Gesinnung ist eine legitime Grundlage für ein Geschäftsmodell, die Maximierung von Profit.

Die Solidarität ist eine erstrebenswerte Tugend, welche durch die eigene Zivilcourage mit Leben gefüllt wird.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Rammstein, playing „Engel“ in Mexico City, May/27/2011

Abgelegt unter Berlin, Feuilleton, Positionen, Überregional | Keine Kommentare »

Flimmern + Rauschen

Erstellt von Redaktion am 16. Juni 2023

Verbände für Kopfsalat und Ehrenirgendwas

Eine Kolumne von Steffen Grimberg

Deutschland ist das Land der Verbände. Wer etwas auf sich hält, muss einen gründen. ADAC, VDI, Taubenzüchtende, Fleckviehhaltende, Bobbycar-Sportverband, Deutscher Fußballbund, Verband zum Erhalt des Wunders von Stuttgart, die Liste ist endlos. Mein Lieblingsverband ist ja bekanntlich der BDZV. Das Kürzel steht seit ein paar Jahren für Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger.

Bei Verbänden, zumal solchen mit Landesverbänden, gibt es klassischerweise einen Schweinezyklus. Das gilt auch dann, wenn sie gar nichts mit Landwirtschaft zu tun haben. Mal ist dann ein ganz großer, wichtiger, mächtiger Mensch die Rampensau, und der Rest hat verhältnismäßig wenig zu melden. Wenn die Rampensau zu lange auf dem Eis war oder zu absurde Pirouetten dreht, wird sie abserviert. Dann schlägt die Stunde der Lan­des­fürs­t*in­nen.

Die übernehmen in einem fein austarierten Gleichgewicht des Schreckens die Verbandsführung, bis auch das regelmäßig schiefgeht. Wer gar nicht mehr an die Verbandsspitze passt, wird Ehrenirgendwas für die Visitenkarte. „Also braucht es die Verbände gar nicht so, weil sie ja doch nur das Abbild der Gesellschaft mit ihren niederen Zielen sind“, meint die Mitbewohnerin.

BDZV-Insider*innen können ja die Namen mal zuordnen. Und ja, der große Mensch ist natürlich Mathias Döpfner. Der Springer-Boss hat bis letzten Herbst den BDZV geführt, weshalb die Funke-Mediengruppe aus dem Verband austrat. Und weil der BDZV sich dann demonstrativ von Döpfner abwandte, trat später die Neue Osnabrücker Zeitung aus. „Wir wollen auch weg von diesem Blick der Öffentlichkeit auf eine Person“, hat BDZV-Geschäftsführerin Sigrun Albert der dpa zum Auftakt des BDZV-Digital-Kongresses diese Woche erzählt. Es ginge nicht darum, „einen Star zu haben, der für alle alles bestimmt“.

File:120613 Doppelleben Artwork.pdf

Den Kongress bestimmte dafür das Thema KI, es ging aber auch um ganz reale Fragen. Denn die Presseförderung kommt und kommt nicht. Nicht mal die zuständige Politik ließ sich beim Kongress blicken, wo doch früher die Kanzlerin mitgemacht hat. Und in vielen Verlagshirnen ist jetzt Kopfsalat, weil sie gerade auch nicht mehr wissen, was sie wirklich wollen. Dafür gibt es einen neuen Schlachtruf bei den Zeitungen: „Mehrwertsteuer Null.“

Quelle         :        TAZ-online       >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Floaters caused by retinal detachments

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Deutschland_DE, Feuilleton, Positionen | Keine Kommentare »

Spaltung der Linken

Erstellt von Redaktion am 15. Juni 2023

Sozialismus mit rechtem Code

Maischberger - 2019-11-13-9491.jpg

Ein Debattenbeitrag von Thorsten Holzhauser

Nationalisten und „Linkskonservative“ – ein Blick ins europäische Ausland gibt eine Ahnung vom Programm einer möglichen neuen Wagenknecht-Partei.

Die politische Zukunft von Sahra Wagenknecht ist offen, nach dem jüngsten Beschluss des Linken-Vorstands umso mehr. Und trotzdem zeichnet sich bereits das Programm einer möglichen Wagenknecht-Partei ab. Nimmt man ihre Bücher und Stellungnahmen als Richtschnur, dann setzt Wagenknecht auf eine Mischung aus linken, konservativen und nationalen Positionen: klassische Sozialstaatspolitik; „Friedenspolitik“, die sich ungeachtet von Putins Kriegen um gute Beziehungen zu Russland bemüht; und ein gesellschaftspolitisch konservativer Kurs, der sich nicht mit den Rechten „immer kleinerer und immer skurrilerer Minderheiten“ aufhält, wie Wagenknecht es ebenso plakativ wie polemisch umschreibt. Sie will damit die vermeintlich „normale“ Bevölkerung ansprechen, die sie als Opfer linksliberaler Eliten und ihres Kosmopolitismus sieht.

Ganz neu ist dieser von Wagenknecht selbst als „linkskonservativ“ bezeichnete Politik-Mix nicht. Während europäische Linke und Sozialdemokraten wie aktuell in Österreich darüber streiten, wie viel konservative Rhetorik ihrem Profil guttut, haben sich vielerorts rechte Populisten gezielt sozialdemokratischer Rezepte bedient. Politikerinnen wie Marine Le Pen greifen längst linke Schlagworte in der Wirtschafts- und Sozialpolitik auf und bauen sie zu einem wohlfahrtschauvinistischen Nationalismus um. Sie haben sich so als Anlaufstelle für sozialen Protest und als Sprachrohr jener etabliert, die sich als Inbegriff „des Volkes“ verstehen.

Le Pen ist längst nicht das einzige Beispiel. Besonders verbreitet ist die Melange aus links und rechts, national und sozial, in jenen Ländern Mittel- und Osteuropas, die Wagenknechts Erfahrungen mit einer liberal-kapitalistischen Transformation teilen. In vielen postsozialistischen Gesellschaften war es in den 1990er Jahren unerheblich, ob die Reformer aus dem postkommunistischen oder „bürgerlichen“ Lager stammten – sie betrieben eine Transformationspolitik, die ihren Bevölkerungen mehr Rechte und Freiheiten brachte, aber auch erhebliche soziale Pro­bleme verursachte. In den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger wurde der westliche Liberalismus so zum Inbegriff sozialer, politischer und kultureller Zumutungen – ein Bild, das auch Sahra Wagenknecht gerne zeichnet.

Die Reaktion war nach der Jahrtausendwende ein Comeback antiliberaler Kräfte, die in Form neuer nationalpopulistischer Sammlungsparteien auftraten, vereint hinter einer prominenten Führungspersönlichkeit. Die bekanntesten von ihnen, Viktor Orbán in Ungarn und Jarosław Kaczyński in Polen, haben sich als Antikommunisten hervorgetan, treten aber mit einer ökonomischen Rhetorik auf, die aus dem linken Schulbuch zu stammen scheint. So versprechen sie ihren Bevölkerungen, sie vor ökonomischer Ausbeutung und kulturellen Veränderungen gleichermaßen zu schützen.

Marine Le Pens wohlfahrtschauvinistischer Nationalismus bedient sich linker Schlagworte

Was aber passiert, wenn sich Sozialisten rechter Codes bedienen, zeigt das Beispiel Slowakei. Dort gründete der Postkommunist Robert Fico 1999 eine neue politische Plattform namens „Smer“ (zu deutsch „Richtung“), die sich schnell als maßgebliche Partei links der Mitte etablieren konnte. Mit einer sozialdemokratischen Identität und scharfer Kritik an der Austeritätspolitik der Vorgängerregierungen gewann Fico die slowakische Parlamentswahl 2006 – und regierte fortan, sehr zum Ärger seiner Partner aus der europäischen Sozialdemokratie, im Bündnis mit Nationalisten und Rechtspopulisten.

Giorgia Meloni, Ursula Von der Leyen

Als langjähriger Regierungschef tat sich Fico mit Kritik an der EU und ihrer Russland-Politik hervor, versprach, die Slowakei vor Einwanderung zu schützen, und machte den amerikanischen Unternehmer George Soros als Schuldigen für die politische Instabilität im Land aus. Ganz ähnliche Positionen vertritt die Parteivorsitzende der bulgarischen Sozialisten, Korneliya Ninova. Auch sie verspricht ihren Wählerinnen und Wählern eine Alternative zum liberalen Westen: In der Wirtschaftspolitik will sie zu linken Rezepten zurückkehren, in der Gesellschaftspolitik gegen die „Gender-Ideologie in den Schulen“ kämpfen – und die „Ehre“ Bulgariens vor „fremden Herren“ schützen.

Dass sich Ninova und Fico nicht als Rechte definieren, sondern als Sozialisten und Sozialdemokraten, haben sie mit Sahra Wagenknecht gemein. Ihre Positionen unterscheiden sich in vielem aber kaum von denen ihrer rechtsautoritären Pendants. Dass sich der starke protektive Nationalstaat nur dann aufrechterhalten lässt, wenn er sich auf die Interessen der „normalen“ Bevölkerung konzentriert, gehört zu ihren gemeinsamen Ideen. Mit ihrer Konstruktion einer antiliberalen „Normalität“ tragen sie aber zu einem politischen Diskurs bei, in dem sich Populisten mit autoritär-nationalistischen Parolen und Verschwörungserzählungen gegenseitig zu überbieten versuchen, zulasten gesellschaftlicher Minderheiten und des politischen Klimas.

Quelle         :        TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —    „maischberger. die woche“ am 13. November 2019 in Köln. Produziert vom WDR. Foto: Sahra Wagenknecht, Die Linke (ehemalige Fraktionsvorsitzende)

****************************

2.) von Oben        —       Giorgia Meloni, Ursula Von der Leyen

Abgelegt unter Europa, Flucht und Zuwanderung, Kultur, P. DIE LINKE, P.CDU / CSU | 2 Kommentare »

Tagesschau : Russen jagen

Erstellt von Redaktion am 15. Juni 2023

US-KETTENHUNDE DER ARD

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

Hunde, die an der Kette liegen, sind besonders aggressiv. Sie beissen wild um sich, wenn sie ihr Territorium verteidigen. Die Tagesschau-Redaktion glaubt, dass sie das Deutschländchen verteidigen muß.

Und weil das Ländchen den USA gehört, muss der Feind der USA erst verbellt und dann gebissen werden. Den deutschen Redakteuren hat man lange genug eingeimpft, die Russen seien der Feind der USA und der Deutschen. Deshalb sind sie so besonders verbissen bei der Russenjagd.

Faß den Iwan!

Jüngst erzählte die Tagesschau von der Zerstörung des Kachowka-Staudamms. Mit einer kommentierenden Zwischenüberschrift „Genaue Hintergründe noch unklar“, versucht die Redaktion den Russen die Schuld an der Zerstörung zuzuschieben. „Faß den Iwan!“. Dass die Washington Post Ende Dezember 2022 einen ukrainischen Generalmajor zu Wort kommen ließ, der ungeniert die Zerstörung des Staudamms erwog, war in der Tagesschau nicht zu lesen oder zu hören. Da hat man Beißhemmungen.

Taiwanesische Regierung liegt auch an der Kette

Keine Hemmungen kennt die ARD, wenn sie über die Bedrohung der Volksrepublik China berichtet. Unter der Überschrift „Penghu-Inseln Kriegsspiele, wo Taiwaner Urlaub machen“ breitet man sich zwar über das taiwanesische Militär aus, aber legt einer anonymen Touristin die antirussische Stoßrichtung in den Mund: „Angst, dass es so ausgeht wie in der Ukraine“. Die taiwanesische Regierung liegt auch an der Kette der USA, das schafft Solidar-Effekte.

Kläff, kläff – selten von Verstand begleitet

Dass man sogar von den Kettenfreunden beim SPIEGEL erfahren konnte, dass die USA ihren Militär-Stützpunkt auf Taiwan aufstocken, dass es also die USA sind, die mal wieder die internationalen Spannungen anheizen, das hat die Hundehütte der ARD nicht erreicht. „Kläff, kläff“ ist selten von Verstand begleitet.

Zuschauer machen mit

Auch diese Ausgabe der MACHT-UM-ACHT stützt sich auf eine Vielzahl von
Zuschauer-Zuschriften, die an diese Adresse gesandt wurden:
DIE-MACHT-UM-ACHT@apolut.net Dafür bedankt sich die Redaktion ganz
herzlich.

Hier geht es zum Video:

https://apolut.net/die-macht-um-acht-131/

Urheberrecht

Die durch die Seitenbetreiber erstellten Inhalte und Werke auf diesen Seiten unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung des jeweiligen Autors bzw. Erstellers. Downloads und Kopien dieser Seite sind nur für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch gestattet.

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —     I found this quite amusing, that the guard dog was sitting under the guard dog sign! Black Jacks Cottage, near Harefield, Hillingdon, Greater London. Flickr’s autotags think this is a black bear. GOC Hertfordshire’s walk on 13 June 2015, in and around Rickmansworth and Batchworth Heath in Hertfordshire and Harefield in the London Borough of Hillingdon. Maritn T led this walk of 9.6 miles, with 14 attendees. The purpose of the walk was to have a view of the small part of Hertfordshire countryside that will be affected by the construction of HS2. Please check out the other photos from the walk <a href=“https://www.flickr.com/photos/anemoneprojectors/albums/72157661179076000„>here</a>, or to see my collections, go <a href=“https://www.flickr.com/photos/anemoneprojectors/collections/„>here</a>. For more information on the Gay Outdoor Club, see <a href=“http://www.goc.org.uk“ rel=“nofollow“>www.goc.org.uk</a>.

Abgelegt unter Amerika, Deutschland_DE, Kriegspolitik, Kultur, Medien | Keine Kommentare »

KOLUMNE – NAFRICHTEN

Erstellt von Redaktion am 15. Juni 2023

Es sind doch bloß Bauchschmerzen

Congrès international fasciste de Montreux 1934 (caricature).jpg

Von Mohamed Amjahid

Warum haben so viele deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen immer Bauchschmerzen? Ich kann verstehen, dass man bei Wärmepumpenkompromissen oder Details zur Bahnreform Bauchschmerzen verspürt, wenn man nicht hundert Prozent der eigenen Vorstellungen umsetzen kann. Aber bei der Abschaffung fundamentaler Menschenrechte? Bauchschmerzen? Eigentlich sollte man dabei umfallen und nie wieder aufstehen. Strikt politisch gesprochen, versteht sich. Die EU-Innenminister*innenkonferenz hat vor Kurzem mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems das Recht auf Asyl faktisch abgeschafft. Denn wenn die Reform umgesetzt werden sollte, werden Geflüchtete in Gefängnissen an den EU-Außengrenzen festgehalten. Dort soll ihre Aussicht auf Asyl in einem Turboverfahren innerhalb weniger Wochen geprüft werden. Wer den oberflächlichen Test nicht besteht, soll zurück in einen unsicheren Drittstaat oder ins Ursprungsland abgeschoben werden. Das wird freilich Schutzsuchende nicht daran hindern, Schutz zu suchen, aber Asyl zu beantragen wird in der EU faktisch unmöglich werden.

Die EU hat sich auf einen guten Weg gemacht ? Auf Scholz folgt das Holz ?

Vor allem viele Grüne klagten in den Tagen nach dieser historisch-katastrophalen Entscheidung öffentlichkeitswirksam über Bauchschmerzen. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang schickte einen schmerzvollen Tweet in die Welt hinaus: „Das ist eine verdammt schwierige Entscheidung, die sich niemand leicht gemacht hat. Deshalb habe ich Respekt für alle, die in der Gesamtabwägung zu einem anderen Entschluss gekommen sind als ich.“ Da kommt einem der Magensaft hoch. Schlimme Dinge tun und sich dann öffentlich selbst bemitleiden, darin sind Deutsche erprobt. Es zeigt, dass es jenen Grünen, SPDlern und sogar einigen bei der FDP, die sich als „progressiv“ bezeichnen und die nun mal gerade das Sagen haben, nur um sich selbst geht. Wenn eine Reform so ausgeht, als ob die Union mit der AfD koalieren würde, stimmt etwas grundsätzlich nicht. Eine gute Behandlung gegen solche Schmerzen würde alles infrage stellen: Ernährung, Schlafrhythmus, politische Leitlinien, Kompromissbereitschaft zum Abbau von Menschenrechten.

Quelle        :           TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

 *********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       Caricature de R. Fuzier sur le congrès international fasciste de Montreux. Outre les fascistes italiens en chemise noire, on reconnaît un franciste français et un nazi allemand (en réalité, le parti d‘Hitler n’était pas représenté au congrès).

Abgelegt unter Europa, Flucht und Zuwanderung, Kultur, Medien, P.CDU / CSU | Keine Kommentare »

Wer profitiert davon ?

Erstellt von Redaktion am 14. Juni 2023

Die Macht der künstlichen Intelligenz

Plenarsaal

Ist so viel selbst aufgeblasene Intelligenz nicht schon zu viel für das Volk ?

Ein Schlagloch von Georg Diez

Die Machtfrage wird bei KI zu verengt gestellt. Es geht nicht nur um den technologischen, sondern auch um den ökonomischen Aspekt.

Wir leben in einer propagandistischen Periode. Das heißt, dass das Verhältnis von Wahrheit und Lüge durch die Interessen der Macht gekennzeichnet ist, vor allem derjenigen von Politik und Kapital, und sich stark zur Lüge hin verschiebt. Der Unterschied zum vorangegangenen Regime der Wahrheit besteht darin, dass sich die Wahrheit damals im politisch-medialen Raum in einem elastischeren Verhältnis zur Lüge verhielt. Man nannte das Spin, also den entscheidenden Dreh, der aus der Wahrheit etwas anderes machte als die Wahrheit selbst.

„Die Rente ist sicher“ ist so ein Spin-Satz oder „Merkel rettet Griechenland“ oder auch „Wir schaffen das“: Wahrheit plus Intention plus Interessen gab der Aussage einen Drall, aber die Verbindung zur Wahrheit war, im Unterschied zur Lüge, nicht vollständig gekappt. Ein Beispiel für Propaganda aus den letzten Tagen ist zum Beispiel der Satz von Innenministerin Nancy Faeser von der SPD, wonach die harsche neue EU-Richtlinie zur Migrationspolitik ein „historischer Erfolg“ sei „für den Schutz der Menschenrechte“.

Von ähnlich propagandistischer Qualität ist so gut wie alles, was in den vergangenen Wochen und Monaten von Google, Microsoft oder Sam Altman von OpenAI zum Thema künstliche Intelligenz gesagt wurde – hier warnten Menschen vor den Folgen der Technologie, die sie gerade selbst entwickeln, als hätten sie es nicht selbst in der Hand, diese Technologie so zu gestalten, dass sie nicht gefährlich ist.

Mehr noch, es sind mächtige Privatunternehmen wie Google, die seit Jahren genau die Stimmen stigmatisieren oder aus dem eigenen Unternehmen drängen, die bei der Entwicklung etwa von KI vor Rassismus oder Sexismus warnen – und daraufhin entlassen wurden, Kate Crawford etwa oder Timnit Gebru.

Ungleichheit durch unregulierten Einsatz von KI

Die Straßen sind nicht privat kontrolliert, warum sollte es die Infrastruktur im Digitalen also sein?

Seltsamerweise verbreiten fast alle Medien diese Propaganda ziemlich unhinterfragt und eins zu eins: Wenn sehr viele weiße Männer einen mahnenden Brief unterschreiben und davon raunen, dass die Technologie, noch mal, die sie selbst entwickeln, zur „Auslöschung“ der Menschheit führen könne – und diese Aussage eben nicht nur sci-fi-haft vage und unpräzise ist, sondern vor allem gegenwärtigen Machtmissbrauch genau dieser Firmen verschleiert – etwa in Bezug auf Kooperationen mit dem Militär oder der Überwachungspraxis auch in demokratischen Staaten oder auch mit Blick auf die „Auslöschung“ von Arbeitsplätzen oder die plausible Perspektive exponentiell wachsenden Reichtums verbunden mit massiv zunehmender Ungleichheit durch den unregulierten Einsatz von KI.

Wenn nun etwa Sam Altman einen PR-Blitz mit dem US-amerikanischen Kongress und Ursula von der Leyen und allen möglichen Staatschefs vollführt und davon spricht, dass seine Industrie dringend reguliert werden sollte, dann muss man eigentlich kein Gedankenkünstler oder Hardcore-Marxist sein, um zu vermuten, dass er sicher nicht meint, dass er etwas von der Macht oder dem Einfluss oder dem Gewinnpotenzial der Firma ­OpenAI abgeben will, die er mitbegründet hat.

Aber weil der Diskurs über Digitalisierung im Allgemeinen und künstliche Intelligenz im Speziellen so einseitig und kurzatmig geführt wird, bleiben die Fragen der politischen Ökonomie weitgehend ausgeblendet: Wer profitiert also von „Regulierung“, die ja am Ende doch weitgehend selbst gestaltet sein sollte, so die Logik, und vor allem den technologischen und nicht den ökonomischen Aspekt betrifft.

Technologie nicht von Ökonomie zu trennen

Tatsache ist aber, dass die Technologie nicht von der Ökonomie zu trennen ist. Gefährlich wird die künstliche Intelligenz auf absehbare Zeit vor allem dadurch, dass sie eben kapitalistischen Profitinteressen unterworfen ist: Erst dadurch entsteht die eklatante Intransparenz bei der Entwicklung, das Zukunftsversprechen als „Blackbox“.

Erst dadurch ergeben sich das manipulative Potenzial und die private Kontrolle über einen gewaltigen technologischen Entwicklungssprung, der wie alle technologischen Entwicklungen letztlich eine Form von Infrastruktur annimmt. Die (allermeisten) Straßen sind auch nicht privat kontrolliert, warum sollte es die Infrastruktur im Digitalen also sein?

Die beiden Wirtschaftswissenschaftler Daron Acemoglu und Simon Johnson haben auf diese notwendigen marktwirtschaftlichen Fragen der Regulierung von KI gerade in einem Essay für die New York Times hingewiesen. Letztlich kommen sie zu dem Schluss, dass nicht in erster Linie die Macht von KI, sondern die Macht- und vor allem die Kapitalkonzentration der Firmen wie Microsoft oder Google das drängendste Problem sind.

Höhere Steuern für Google

Quelle       :         TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —     Plenarsaal

Abgelegt unter International, Kriegspolitik, Kultur, Politik und Netz, Positionen | 1 Kommentar »

Solidarität – Julian Assange

Erstellt von Redaktion am 14. Juni 2023

Ein mörderisches System gegen Pressefreiheit und die Dokumentation von Kriegsverbrechen

Demonstration in front of Sydney Town Hall in support of Julian Assange, 2010, December 10

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von               :      Thespina Lazaridu (Free Assange Köln) /

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 479, Mai 2023, www.graswurzel.net

Julian Assange ist der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks. Ihm drohen 175 Jahre Gefängnis für die Veröffentlichung von Dokumenten, die Kriegsverbrechen der US-Armee im Irak dokumentieren. (1)

Julian Assange: „Wir sind nicht in dem Geschäft, um Likes zu sammeln. WikiLeaks macht Dokumente über mächtige Organisationen öffentlich. Für die Mächtigen werden wir immer die Bösen sein.“Seit 2010 ist er seiner Freiheit beraubt. Seit mehr als vier Jahren ist er in Isolationshaft im Londoner Hochsicherheitsknast Belmarsh, eingesperrt und psychischer Folter ausgesetzt.WikiLeaks war eine Antwort auf das globalisierte Vakuum von Verantwortlichkeit und änderte die Spielregeln zugunsten der Gegenwehr von Einzelnen. Die Idee von WikiLeaks ist der freie Zugang zu Informationen, die öffentliche Angelegenheiten betreffen. Auf der Enthüllungsplattform können Dokumente anonym veröffentlicht werden, die durch Geheimhaltung als Verschlusssache, Vertraulichkeit, Zensur oder auf sonstige Weise in ihrer Zugänglichkeit beschränkt sind.

Julian Assange gründete Wiki-Leaks 2006 zusammen mit einer aus Männern und Frauen bestehenden internationalen Gruppe von Dissident:innen, Computerspezialist:innen und Journalist:innen. Immer schon gab es ein Missverhältnis zwischen den traditionellen Machtzentren und deren Kontrolle durch die investigative Berichterstattung. Konsortien, Banken, Regierungen und Geheimdienste steuern zunehmend die Informationsbereitstellung. Die Deutungshoheit über das, was im Interesse der Öffentlichkeit ist, wird zunehmend zu einer rigiden Machtdemonstration.

Die erstaunlichen Sicherheitsvorkehrungen von WikiLeaks garantieren internationalen Hinweisgeber:innen Sicherheit und Anonymität. Diese Whistleblower nutzen die Gelegenheit und geben mehr als zehn Millionen (!) geheimgehaltener Dokumente weiter, u.a. konkrete Nachweise zu Korruption, Umweltverbrechen, Folterungen und Kriegsverbrechen. Jedes einzelne Dokument wird vor der Veröffentlichung auf die Echtheit überprüft.

Ab 2010 intensivierten die US-amerikanische Regierung und ihre Geheimdienste die Anstrengungen, um WikiLeaks auszuschalten. Cloud-Dienste und Konten wurden gesperrt und Internetdomains, mit denen WikiLeaks arbeitete, wurden blockiert. Aber WikiLeaks erfuhr eine breite, auch finanzielle Unterstützung, spiegelte die Daten auf hunderte anderer Server, änderte Domainnamen und veröffentlichte weiter.

Die US-Behörden sahen sich gezwungen ihre Strategie zu ändern. Sie richteten den Fokus auf die Person Julian Assange, statt auf die Plattform WikiLeaks und die Hetzjagd begann. Julian Assange wurde nun zum heissen Eisen für die grossen Medienhäuser, die vorher von seinen Veröffentlichungen profitiert hatten. Sie liessen ihn fallen. Die investigative Presse bemühte sich nicht, die erhobenen Vorwürfe zu untersuchen. Nicht lange nach den Veröffentlichungen der grössten Leaks der US-Militärgeschichte und den Beweisen für Folter und Kriegsverbrechen, wurde Julian Assange der Vergewaltigung bezichtigt.

Zu den erfolgreichsten in Umlauf gesetzten Fake-News des vergangenen Jahrzehntes gehört, wie dank der Untersuchungen von Professor Nils Melzer offenbart wurde, die Erzählung, dass zwei Frauen im August 2010 bei der schwedischen Polizei gegen Julian Assange Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet hätten. Der WikiLeaks-Gründer hätte sich anschliessend durch Flucht nach England der schwedischen Justiz entzogen. Nils Melzer war bis 2022 UNO-Sonderberichterstatter für Folter. Er spricht fliessend Schwedisch und konnte somit alle Originaldokumente lesen.

Eine bizarre Geschichte kurz erzählt:

Eine Frau in Begleitung einer zweiten, erschien bei der Polizei. Die Frau wollte lediglich wissen ob sie, nach einvernehmlichem Sex mit Assange, ihn zu einem AIDS-Test verpflichten kann. Sie bemerkte, dass die Polizei offenbar etwas anderes daraus machen wollte, war schockiert und verliess die Wache. Bereits Stunden später titelte die schwedische Boulevardpresse: „Julian Assange der zweifachen Vergewaltigung beschuldigt“. Einen Tag nach der Einvernahme der ersten Frau bei der Polizei und der Schlagzeile in der Presse, erschien die Begleiterin und bezichtigte Assange, er habe gegen ihren Willen ungeschützten Sex mit ihr gehabt. Nach schwedischen Gesetzen käme das einer Vergewaltigung gleich.

Im Verlauf meldete sich Assange mehrfach bei der Polizei, um Stellung zu nehmen, die hielt ihn hin. Nils Melzer: „Die schwedischen Behörden waren an der Aussage von Assange nie interessiert. Sie liessen ihn ganz gezielt ständig in der Schwebe.“ Auf Assanges Bitte, das Land verlassen zu können, bekam er die schriftliche Einwilligung der Staatsanwaltschaft und reiste weiter nach London. Aber kaum, dass er das Land verliess, wurde ein internationaler Haftbefehl gegen ihn erlassen. Er bot auch in London der schwedischen Justiz weiterhin seine Kooperation an.

Dann bekam er Wind von einem Komplott gegen ihn. Er forderte fortan von der schwedischen Regierung eine diplomatische Zusicherung, dass er nicht weiter an die USA ausgeliefert wird, wenn er in Schweden aussagt. Die Schweden mauerten und die britische Justiz mischte sich ein, um eine Einstellung des Verfahrens zu verhindern. Nils Melzer: „Stellen Sie sich vor, Sie werden neuneinhalb Jahre lang von einem ganzen Staatsapparat und von den Medien mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert, können sich aber nicht verteidigen, weil es gar nie zur Anklage kommt.“ Die grossen Medienhäuser wie die New York Times, der Guardian, der Spiegel und andere, hatten am Honigtopf der WikiLeaks-Informationen partizipiert.

Beispiele für die Aufklärungsarbeit von WikiLeaks

Durch die Arbeit von WikiLeaks wurden unter anderem folgende Informationen veröffentlicht: Korrupte Geschäftspraktiken der Schweizer Bank Julius Baer, Dokumente über die Praktiken der Scientology-Sekte, der Giftmüllskandal der Firma Trafigura, die illegale Rodung des Regenwaldes in Peru durch den norwegischen Ölkonzern Statoil, die enge Verbindung des damaligen französischen Präsidenten Hollande mit der französischen Waffenindustrie.

File:Reporters Sans Frontières manifeste à Londres en Soutien de Julian Assange.jpg

Das Dokument „Black-Shock“ der russischen Zentralbank mit Hinweisen auf den Diebstahl grosser Geldsummen aus dem staatlichen Haushalt. Ebenso E-Mail-Korrespondenzen der russischen Regierung zu geheimen Treffen mit dem Chef des Ölkonzerns BP, die die umstrittene Ölförderung auf der Insel Sakhalin offenlegten. US-Diplomatendepeschen mit Informationen über Korruption und Menschenrechtsverletzungen in Russland und über seine politischen Führer, einschliesslich des Premierministers Putin.

Eine andere grosse Dokumenten-Sammlung enthüllte, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) in grossem Umfang E-Mails, Telefonate und Faxnachrichten von deutschen Bürger:innen ausspionierte und diese Daten mit dem US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst National Security Agency (NSA) teilte.

Für Aufsehen sorgte auch die Dokumentation der TiSA-Leaks zu TTIP, dem transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen USA und der EU. Weitere wichtige Publikationen betrafen die Spionage-Praktiken der CIA (Central Intelligence Agency) und die Verwendung von Hacking-Tools und Malware, um Computer-Systeme in europäischen Botschaften und Konsulaten zu infiltrieren und Daten abzufangen. Dokumente mit Hinweisen auf ein chinesisches Massen-Überwachungssystem zur Unterdrückung von Muslimen in Xinjiang wurden ebenfalls veröffentlicht.

Die „Afghan War Diary“ umfasste ca. 77.000 Afghanistan-Protokolle; Dokumente, die sich auf die Kriege in Afghanistan und im Irak bezogen. Darunter war ein interner Bericht der CIA, der PR-Strategien erörtert, wie in der Bevölkerung Deutschlands und Frankreichs die Akzeptanz für den Einsatz in Afghanistan weiter erhalten werden kann – demnach seien die Rechte afghanischer Frauen ideal, um den Kriegseinsatz in den Augen der Deutschen als human darzustellen. Sie enthalten auch Informationen über die Rolle Grossbritanniens in diesen Konflikten und belegen, dass britische Truppen Zivilist:innen töteten und Gefangene folterten.

Im April 2010 veröffentlichte WikiLeaks das Video „Collateral Murder“ und machte damit Kriegsverbrechen des US-amerikanischen Militärs im Irak bekannt. Das Video ist eine Aufzeichnung aus einem US-Kampfhubschrauber. Es zeigt, wie amerikanische Soldaten grundlos und mit zynischem Eifer auf irakische Zivilist:innen, auch auf bereits Schwerverletzte und Menschen, die zu Hilfe eilen, schiessen. Zwölf Menschen wurden dabei getötet, zwei Kinder schwer verletzt. Zwei der Getöteten waren Journalisten der Agentur Reuters. Die Weltgesellschaft reagierte mit Empörung.

Die „Iraq War Logs“ – tausende Feldberichte von 2004 bis 2009 von US-Soldaten, aus einer Datenbank des Pentagon – wurden öffentlich. Auch die Informationen, dass von den 109.032 irakischen Kriegsopfern 66.081 Zivilist:innen waren, kamen ans Licht. Es handelte sich also keinesfalls um einen „sauberen“ Krieg.

Es gab mehr als 700 Protokolle über das Gefangenen-Lager Guantanamo – Dokumente über Gefangene, die ohne Anklage und ohne Gerichtsverfahren Folter erlitten. Weitere Dokumente folgten, wie zum Beispiel zu undemokratischen Wahlkampftaktiken von Hillary Clinton und dem Betrug des Clinton-Teams an Bernie Sanders während der US-Präsidentschaftskampagne.

Dokumente und Informationen über CIA-Leaks „Vault 7“, ein geheimes CIA-Programm, das zu breiter Überwachung über verschiedene elektronische Geräte wie Smartphones, Fernseher und Computer abzielte, waren das grösste Leak in der Geschichte der CIA.

Alles oben aufgezählte ist nur eine kleine Auswahl der brisanten Informationen von WikiLeaks, die auch Hinweise auf das Schicksal von Julian Assange und seine Verfolgung geben. Julian Assange, der den Mächtigen der Welt die Stirn bot, verblasste hinter dem Bild eines Vergewaltigers. Aber damit war es nicht genug. Weitere Vorwürfe tauchten auf. Das Pentagon behauptete, Assange habe auf WikiLeaks Material veröffentlicht, ohne darin Namen zu schwärzen. Damit habe er Menschen in Gefahr gebracht. Ein damaliger Spiegel-Journalist, der an dem Material mit WikiLeaks arbeitete, belegte, dass zum einen Guardian-Journalisten verantwortlich für die Veröffentlichung waren und, dass zum anderen, Assange als er davon erfuhr, sofort das US-Aussenministerium anrief und warnte. Das Ministerium allerdings reagierte nicht.

Es ist den US-Behörden nicht gelungen, Nachweise für ihre Behauptung zu erbringen. Der Chaos Computer Club (CCC) meldete im Dezember 2022, dass er an hochsensible biometrische Daten von 2.632 afghanischen Personen gelangte. Das US-Militär habe massenhaft Geräte zur biometrischen Erfassung von Menschen in Afghanistan genutzt. Beim Abzug der US-Truppen blieben die Geräte zurück. Einige Geräte „erbeutete“ der CCC bei einem Online-Aktionshaus. Die Daten sind nicht verschlüsselt. Das US Department of Defense wurde informiert, verwies aber bloss an den Hersteller. Wie viele der Geräte den Taliban in die Hände fielen und ihnen eindeutige Personen-Identifikationen ermöglichten, ist nicht bekannt.

Bezüglich der Veröffentlichungen der E-Mails des „Democratic National Congress“ (DNC), die den Betrug des Clinton-Teams an Bernie Sanders offenbarten, wurde WikiLeaks immer wieder vorgeworfen, russischen Propagandazwecken und gezielter Desinformation zu dienen. Dabei hatte selbst der damalige US-Präsident Obama keine Hinweise auf eine Zusammenarbeit von WikiLeaks mit Russland. Inzwischen gehen sogar die US-Behörden davon aus, dass die Dokumente von einer privaten Firma gekommen sind, die für die CIA arbeitete. Ebenso sollen diese Veröffentlichungen für den Wahlsieg Donald Trumps verantwortlich gewesen sein. Dass viele Menschen Hillary Clinton und ihr politisches Lager womöglich auch wegen ihrer korrupten Machenschaften nicht mehr wählten, wird dabei ausser Acht gelassen.

Nach Obama und Trump ist Biden der dritte US-Präsident, der auf eine Auslieferung Assanges besteht. Das erklärte Ziel dürfte ein Schauprozess sein, in dem Assange kaum das Recht zugestanden wird, sich zu verteidigen. Denn die Inhalte, auf die er eingehen müsste, werden selbst vor Gericht weiterhin als Staatsgeheimnisse behandelt.

Nachdem dem Auslieferungsgesuch Schwedens von Grossbritannien zugestimmt wurde, ersuchte Julian Assange 2012 um Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London. Das Asyl wurde ihm gewährt und später wurde ihm auch die ecuadorianische Staatsbürgerschaft zuerkannt. Fortan lebte er sieben Jahre auf winzigem Raum. Er konnte die Botschaft niemals verlassen. Vor dem Gebäude stand Tag und Nacht ein riesiges britisches Polizeiaufgebot, um ihn sofort zu verhaften. Assange wurde kein Tageslicht und auch kein Spaziergang gewährt. Ärztliche Behandlungen waren nur in der Botschaft möglich. Assange veröffentlichte mit WikiLeaks weiter. Internationale Persönlichkeiten aus Politik, Kunst und Presse kamen zu ihm.

Später stellte sich heraus, dass die Sicherheitsfirma, die die Botschaftsüberwachung betreute, heimlich für die CIA arbeitete. Die Räume waren verwanzt. Nicht nur Assange wurde rund um die Uhr ausspioniert, sondern auch alle seine Besucher und Besucherinnen. Die Anwaltsgespräche erfuhren besondere Aufmerksamkeit. Alle gesammelten Daten, inklusive gestohlener Dokumente, wurden an die US-Behörde weitergeleitet. Fast nichts blieb verborgen. UN-Experten kamen 2016 zu dem Schluss, dass Assanges Aufenthalt in der Botschaft einer willkürlichen Verhaftung gleichkomme und er auf freien Fuss gesetzt werden sollte.

Professor Melzers Vorwürfe gegen die Behörden in Schweden, Ecuador, Grossbritannien und den USA sind drastisch. Sie haben „mit ihrer geballten Macht“ aus „einem Mann ein Monster“ gemacht, ist in einem Interview zu lesen (2), und wesentlich umfassender in Melzers sehr empfehlenswertem Buch (3). Die Regierung Ecuadors wechselte und auf Druck der USA wurde Assange in der Botschaft immer restriktiver behandelt. 2019 wurde ihm unrechtmässig die Staatsbürgerschaft über Nacht aberkannt und die britischen Behörden bekamen Zugang.

Am 11. April 2019 wurde Assange verhaftet, gerade als die USA eine Anklageschrift enthüllten, in der Julian Assange eine kriminelle Verschwörung vorgeworfen wurde, die zu „einer der grössten Kompromittierungen von Geheiminformationen in der Geschichte der Vereinigten Staaten“ geführt habe.

Das Auslieferungsgezerre zog sich hin. Assange wurde nach seiner Verhaftung wegen Verstoss gegen Kautionsauflagen, ein Bagatellvergehen, 2019 in den Hochsicherheitsknast Bellmarsh eingesperrt und sitzt seitdem die meiste Zeit in Isolationshaft. 2021 urteilte ein britisches Gericht gegen die Auslieferung, da das Selbstmordrisiko Assanges bei einer Überstellung in unverantwortlichen Masse steigen würde. Assange blieb auch weiterhin in Isolationshaft in Belmarsh, die USA legten erfolgreich Berufung ein.

Sodann entschied der Oberste Gerichtshof Grossbritanniens, dass Assange keine Berufung gegen die Entscheidung der unteren Instanz einlegen könne, da sein Fall „keine vertretbare Rechtsfrage aufwerfe“. Einen Monat später wurde der Auslieferungsantrag der USA formell genehmigt und im nächsten Schritt in die Hände von Innenministerin Priti Patel übergeben, die den Auslieferungsbeschluss unterzeichnete.

Das britische Innenministerium erklärte, die britischen Gerichte hätten nicht feststellen können, dass eine Auslieferung mit Assanges „Menschenrechten, einschliesslich seines Rechts auf ein faires Verfahren und auf freie Meinungsäusserung“ unvereinbar sei. Die Verteidigung Assanges hat Revision eingelegt, eine Entscheidung ob sie angenommen wird, steht seit langer Zeit aus. Die Sprecherin des US-Justizministeriums bestätigte derweil kürzlich, dass die USA ihre Bemühungen um die Auslieferung fortsetzen werden. Soviel zum Überblick, trocken und mit vielen Auslassungen. Hoffentlich aber mit genügend Informationen, die euch neugierig machen.

Wir schreiben über den Fall von Julian Assange, weil wir versuchen, auch über Aktionen darauf aufmerksam zu machen. Warum tun wir das? Weil wir erkannt haben, welche Auswirkungen der politische und juristische Umgang mit Julian Assange auf unser aller Leben und Agieren hat. Julian ist ein Mensch, der systematisch vernichtet wird. Die vielgelobte Achtung der Menschenrechte, grade wieder viel beschworen, gilt nicht für ihn, der unter anderem US-amerikanische Kriegsverbrechen für uns öffentlich gemacht hat. Die Rechtsstaatlichkeit, derer sich demokratische Staaten rühmen und sich dadurch als demokratisch definieren, wird in den Verfahren gegen Assange ausser Kraft gesetzt. Nicht rechtsstaatlich, sondern willkürlich und roh geht die Justiz gegen ihn vor. Er hat niemanden geschont in seinen Veröffentlichungen, auch die Machteliten der sogenannten demokratischen Staaten nicht, inklusive der Presse, die sich vor der Macht wegduckt. Dafür rächen sie sich.

Aber es ist nicht nur Assange, um den es geht. Wir alle sollen an seinem Beispiel sehen, was uns geschieht, wenn wir uns auflehnen. Wir sollen lernen, dass es gesünder für uns ist, möglichst wenig Aufstand zu proben. Es soll eine Lektion in Sachen Wehrlosigkeit sein: „Wen interessiert, was ihr zu sagen habt oder durchsetzen wollt, ihr habt keine Chance; schaut, wie weit wir gehen können.“ Leider schauen viele weg, und lernen zu schweigen. Aber immer mehr und mehr durchschauen diese Machtdemonstration. Unsere Aktionsgruppe Free Assange Köln wird weiterhin hörbar und sichtbar auf Julian Assanges Situation aufmerksam machen; auf unser Recht und auf die Notwendigkeit von freier Information und die Auflehnung gegen Missstände.

Fussnoten:

(1) Vgl. Schwerpunkt GWR 456, Februar 2021: Freiheit für Julian Assange! Über Folter und Willkür westlicher Staatsräson, https://www.graswurzel.net/gwr/2021/02/freiheit-fuer-julian-assange/

(2) https://www.republik.ch/2020/01/31/nils-melzer-spricht-ueber-wikileaks-gruender-julian-assange

(3) Nils Melzer: Der Fall Assange – Geschichte einer Verfolgung, Pieper Verlag. Das Buch erscheint im Juni 2023 auch als Taschenbuch

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —       Demonstration in front of Sydney Town Hall in support of Julian Assange, 2010, December 10

Abgelegt unter International, Kultur, Medien, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Innenministerkonferenz:

Erstellt von Redaktion am 14. Juni 2023

Polizei setzt ohne Rechtsgrundlage Handy-Blitzer ein,
die allen ins Auto filmen und das auswerten

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von         :       

Eine neue Überwachungstechnik im Straßenverkehr deutet sich im bundesweiten Einsatz an. Rheinland-Pfalz geht mit Kamera und Computerauswertung gegen Smartphonenutzer am Steuer vor. Doch ist dieser Eingriff wegen einer Ordnungswidrigkeit gerechtfertigt?

Die Polizei in Rheinland-Pfalz setzt ohne Rechtsgrundlage seit mehr als einem Jahr sogenannte „Handy-Blitzer“ ein, die eine verbotene Nutzung des Smartphones im Straßenverkehr dokumentieren sollen. Dabei wird mit einer Kamera anlasslos in alle vorbeifahrenden Autos hineingefilmt. Eine Software wertet die Aufnahmen aus und speichert dann die Fahrer:innen, die angeblich ihr Smartphone benutzen.

Die Polizei überprüft dann diese maschinell überführten Autofahrer:innen und leitet gegebenenfalls Bußgeldbescheide ein. Bei der Innenministerkonferenz will Rheinland-Pfalz nun diese neue Überwachungstechnik vorstellen, das Land Brandenburg prüft den Einsatz schon jetzt.

In einem Artikel im Spiegel wird die Technik folgendermaßen beschrieben:

Das System, die Monocam, besteht aus einem leistungsfähigen Laptop, einer Kamera und einer KI-gestützten Software, die sogenannte Ablenkungsverstöße voll automatisiert erkennt, also wenn jemand am Steuer ohne Freisprechanlage telefoniert oder in sein Handy tippt. Das Programm wurde vorher mit rund 20.000 Fotos von Fahrzeugführern gefüttert, die das taten. Die Kamera filmt dann den fließenden Verkehr, die Software gleicht das Geschehen auf der Straße mit den Bildern der Handysünder ab. Ist da ein Mobiltelefon im Bereich des Fahrers? Und falls ja, wird es von einer Hand umschlossen? Trifft das zu, signalisiert das Programm einen Treffer. Den schauen sich dann Kontrollkräfte vor Ort an. Am Ende entscheidet immer der Mensch, ob ein Verstoß vorliegt oder nicht.

Keine Rechtsgrundlage

Doch das Verfahren ist derzeit noch umstritten. Laut einem Bericht des ADAC dürfen nach geltender Rechtslage für Verkehrsverstöße verwertbare Foto- und Videoaufnahmen nur bei konkretem Tatverdacht, also nicht verdachtsunabhängig erstellt werden. Genau das passiert aber mit der neuen Überwachungstechnik aus den Niederlanden, bei der alle Autos gleichermaßen und verdachtsunabhängig überwacht werden. Rheinland-Pfalz will deswegen demnächst dafür eine Rechtsgrundlage schaffen.

Juristisch unklar ist auch, ob das bloße in der Hand Halten eines Smartphones ausreicht oder ob das Handy auch bedient werden muss, damit es strafbar ist. Klar ist: Wer kurz auf die Messenger-Nachricht antwortet oder mal eben mit einer Freundin telefoniert, dem drohen 100 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg. Bislang konnte die Polizei diese Art der Verkehrssünder nur überführen, wenn sie es selbst sah und dann einschritt. Mit der neuen Technik dürfte die Zahl der überführten Autofahrer:innen deutlich steigen.

Klar ist allerdings, dass die neuen Blitzer die Dichte der Überwachung im Straßenverkehr weiter erhöhen. Während für den Einsatz der Kennzeichenerfassung enge rechtliche Grenzen gelten und diese Fahndung nur bei schweren Straftaten eingesetzt werden darf, filmt der neue Handy-Blitzer grundrechtsinvasiv ins Auto hinein und wertet dann aus, was wir dort tun. Und das zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit. Hinzu kommen andere Überwachungsmethoden, wie die Section Control, bei der Kennzeichen erfasst werden und auf einer Strecke die Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt wird. Durch all diese Technologien wird das Netz der Überwachung auf den Straßen immer enger – die Überwachung, die in modernen Autos selbst und meist ohne unser Wissen stattfindet mal ganz außen vor.

Digitalcourage warnt vor Ausweitung

Die Datenschützer:innen von Digitalcourage lehnen das Vorhaben ab, so Konstantin Macher, ein Sprecher der Organisation: „Damit wird eine technische Infrastruktur installiert, die sich einfach auf andere Zwecke anpassen lässt.“ Während jetzt noch nach Handys gesucht werde, könnten mit einem Update auch nach anderen Gegenständen gesucht werden. Auch sei, wenn Kameras und „KI“ schon vorhanden seien, die automatisierte Gesichtserkennung nicht weit.

„Es ist besonders problematisch, so einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ohne Rechtsgrundlage umzusetzen. Das macht eine demokratische Kontrolle der eingesetzten Überwachungstechnik schwierig“, so Macher weiter. Man sei zwar dagegen, dass Menschen durch unaufmerksames Fahren andere Menschen gefährden, eine anlasslose Massenüberwachung sei aber keine verhältnismäßige Maßnahme, um dagegen vorzugehen.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —       Automatic Number Plate Recognition (ANPR). ANPR (Automatic Number Plate Recognition) is now the world rage use of this software and camera. Now, parking and highway traffic management have become easier with the ANPR camera and the software. It also knows as license plate recognition(LPR). Now I discuss in detail the ANPR Camera and software. Advantages of ANPR camera and software. 1. Car Parking Management. We can manage our parking system with the ANPR camera when a car came to the front of the camera automatically scan the Number plate or license plate of this car and then store it in the database. 2. Journey Time Analysis. The camera keeps the data of the coming and going of the cars and give you the data when it came and when it goes. 3. Traffic Management An ANPR system can manage traffic also because if any vehicle breaks the rule of traffic then the camera automatically detects the car and keep the data in the case files. It can count the number of cars or vehicles that pass through the ANPR camera.

Abgelegt unter International, Medien, Politik und Netz, Positionen | Keine Kommentare »

KOLUMNE – La dolce Vita

Erstellt von Redaktion am 14. Juni 2023

Wir müssen über Strategien gegen rechts reden

Von    :    Amina Aziz

Letzte Woche hatte ich frei, und um es mit den Rock-Poet*innen der frühen 2000er, „Juli“, zu sagen: Ich hatte eine geile Zeit.

Zurück aus dem Urlaub, merke ich aber, dass er nicht über die Beklemmung hinwegtäuschen kann, die mich einholt, wenn ich an den Zustand der Welt denke. Zugegeben, das hört sich groß an, und der Zustand war ja im Zeitalter des Kapitalismus nie gut. Doch was Rechte und Rechts­ex­tre­mis­t*in­nen alles erreichen, bereitet mir Sorgen.

Die Liste ist lang. Der Westen schottet sich von Flüchtenden ab, vor allem denen, die aufgrund der Klimakrise und prekärer Lebensverhältnisse fliehen. In der EU ist entsprechend das Recht auf Asyl menschenverachtend verwässert worden. Trans Menschen wird unter der verharmlosenden Bezeichnung „Kulturkampf“ ihre Existenz abgesprochen, Gewalt gegen Jü­d*in­nen nimmt zu, die AfD genießt so viel Zustimmung wie nie, die Klimakrise wird nicht effektiv bekämpft, und, und, und.

File:Keine AFD V1.svg

Nicht nur die Blauen, auch die Schwarten müssen versauern !

Die Ampelkoalition hat dem offenbar kaum etwas entgegenzusetzen. Wenn aber auf die Politik im Kampf gegen rechts kein Verlass ist, sie selbst sogar rechte Entscheidungen trifft, müsste die Zivilgesellschaft ran. Die gesellschaftliche Mitte aber stemmt sich nicht so gegen Rechte und Nazis, wie sie es müsste, um sie zu schwächen. Teils ist sie nach rechts offen. Wir leben in Deutschland in Parallelwelten, in denen der öffentliche Diskurs teils von Leuten geprägt wird, die ihr Haus abbezahlt haben und scheinbar keine anderen Sorgen als eine Wärmepumpe haben und sich zu Opfern der Grünen und „Woken“ stilisieren, weil sie sonst keine Hobbys finden, während andere ihre Einkäufe, Miete und Strom nicht zahlen können.

Es ist verständlich, dass die Mitte ein Interesse an der Wahrung ihres Wohlstands hat, aber sie ziemlich unkreativ dabei, dafür zu sorgen, dass das nicht nationalistisch und armenfeindlich passiert. Es wird kaum intellektuell herausfordernd über Strategien gegen rechts diskutiert. Oft gibt es kein Bewusstsein dafür, dass dem Kapitalismus menschenfeindliche Ideologien innewohnen und die Politik gar kein Korrektiv dafür sein kann. Wer über Alternativen nachdenkt, wird schnell anti-intellektuell mit der „Drohkulisse Linksextremismus“ konfrontiert. Dabei wäre eine Debatte um Alternativen hilfreich für das eigene politische Agieren.

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —    Kostüm von Danilo Donati für „Il Casanova“, Film von Federico Fellini en 1976, Schauspieler Donald Sutherland. – Anita Ekberg – Giulietta Massina et Marcello Mastroianni / Kostüme, Accessoires, Dessins, Dekore, Scénarios, Fotografien, Montage, Postproduktion.

Abgelegt unter Feuilleton, P.AfD, P.CDU / CSU, Positionen | Keine Kommentare »

Migration als Erpressung

Erstellt von Redaktion am 13. Juni 2023

„Team Europe“ nutzt Not Tunesiens

Ein Debattenbeitrag von Karim Ei-Gewhary

Was aussieht wie eine Situation, von der beide profitieren, ist de facto eine EU-Politik, die ihre Interessen in der Migrationspolitik durchzusetzt.

Tunesien braucht dringend eine Finanzspritze. Die EU ist bereit, 900 Millionen Euro zu bezahlen, wenn das nordafrikanische Land dafür sorgt, dass von seiner Küste keine Migrationsboote mehr Richtung Europa ablegen. Das hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer Reise nach Tunesien am Wochenende in Aussicht gestellt. Außerdem will die EU ein gutes Wort beim Internationalen Währungsfonds (IWF) einlegen, dass dieser einen 1,9-Milliarden-Dollar Kredit für Tunesien freigibt.

„Die Europäer drehen den Tunesiern den Arm auf den Rücken“, beschreibt das Tunesische Forum für Wirtschaftliche und soziale Rechte den in Aussicht gestellten Deal: Tunesien im Bettlergewand und im Griff der EU. Tunesien hat immer wieder betont, dass es nicht die Rolle des EU-Grenzschützers übernehmen will. Doch es droht der wirtschaftliche Kollaps.

Das Land kann im Moment gerade seinen Schuldendienst schultern. Die Schulden machen fast 80 Prozent des Bruttosozialproduktes aus. Jede Finanzspritze von außen sorgt dafür, dass Tunesien sich gerade so über Wasser hält. Viele Tunesier stehen ökonomisch und sozial mit dem Rücken zur Wand. Vier von zehn Jugendlichen sind arbeitslos. Auch ein Grund, warum unter den Migranten, die sich auf den Weg nach Europa machen, so viele Tunesier sind.

„Team Europe“ nannte von der Leyen sich und ihre nach Tunis mitgereisten EU-Politiker, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, den niederländischen Regierungschef Mark Rutte. Das sollte neuen Schwung symbolisieren. Doch das „Team Europe“ redet bisher meist im Konjunktiv, denn die Inhalte des Deals und die Frage, wie weit die Tunesier mitmachen, sind noch alles andere als klar.

Nicht nur Grenzpolizei spielen

Dennoch sprach die italienische Rechtspolitikerin Meloni von einem „erreichten Meilenstein“. Ihre Vorstellung: Die Tunesier sollen nicht nur Grenzpolizei spielen, sondern auch noch alle Migranten zurücknehmen, die es nach Europa geschafft haben und dort als „illegal“ bewertet wurden – sofern sie auf ihrer Reise von der tunesischen Küste abgelegt haben. Ein alter rechtspopulistischer Traum in Europa: Das Flucht- und Migrationsproblem gegen Cash vollkommen auf Nordafrika abzuwälzen. Nur, dass dort bisher kein Land darauf eingegangen ist.

Wie weit sich Tunesien darauf einlassen wird, hängt nicht nur von seiner ökonomischen Verzweiflung, sondern auch von Präsident Kais Saeid ab. Der hat Ende 2021 das Parlament aufgelöst und regiert das Land inzwischen fast wieder nach dem Handbuch arabischer Autokraten. Zu den Neuwahlen des Parlaments, dessen Rechte er massiv beschnitten hatte, kamen vor ein paar Monaten gerade einmal acht Prozent der Wahlberechtigten zum Urnengang.

Saeid hat ein echtes Legitimationsproblem. Für nächstes Jahr stehen Präsidentenwahlen an; Saied braucht dringend eine Erfolgsgeschichte. Der EU-Deal könnte so eine Geschichte sein.

105 Millionen potenzielle Flüchtlinge

Aber nicht nur die EU verdreht die Arme, auch für Nordafrika steckt hier einiges Erpressungspotenzial. Der ehemalige Militärchef und ägyptische Präsident Abdel Fatah al-Sisi spricht bei Besuchen europäischer Politiker in Kairo immer gerne von angeblich 9 Millionen Migranten und Flüchtlingen in Ägypten und seiner eigenen, 105 Millionen zählenden Bevölkerung, von denen viele aufgrund ihrer ökonomischen Verzweiflung sich ohne Zögern auf den Weg nach Europa machen würden.

Allein diese Andeutungen öffnen den europäischen Geldbeutel. Mit Blick auf den EU-Tunesien-Deal wäre es für Ägypten geradezu ratsam, Migrationsboote in großem Stil von der ägyptischen Küste ablegen zu lassen, um dieses Erpressungspotenzial zu unterstreichen. Das Thema Migration steckt voll politischen Zynismus auf allen Seiten.

Im Fall Tunesiens entbehrt das auch nicht einer gewissen Ironie. Das Land hatte vor zehn Jahren infolge des Arabischen Frühlings als einziges ein demokratisches Experiment gewagt. Damals hätte es dringend eine Art europäischen Marschallplan gebraucht.

Man hätte aus dem Land ein demokratisches Schaufenster mitten in der autokratisch regierten arabischen Welt machen können, ähnlich wie einst Westberlin in Richtung Osten. Es hätte nicht viel gekostet, das kleine Tunesien mit seinen 12 Millionen Einwohnern zu einem demokratischen und wirtschaftlichen Musterland zu machen – zu einem Gegenmodell des vom Militär regierten Ägypten und der zutiefst antidemokratischen Golfmonarchien.

Aber Europa hat Tunesien im Stich gelassen. Außer ein paar Routineentwicklungsprogrammen und ein paar Präferenzen im Handel war da nicht viel. Tunesiens Demokratie ist an der Wirtschaft gescheitert, woraufhin der Möchtegern­auto­krat Saeid an die Macht kam.

Keine Strategie vorhanden

Quelle             :         TAZ-online            >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —   In a debate with Council and Commission on tomorrow’s EU summit, MEPs demanded lower energy prices and allowing Bulgaria and Romania to join the Schengen area. On behalf of the Czech Presidency of the Council, Minister for European Affairs Mikuláš Bek denounced the Russian military’s use of “winter as a weapon” in Ukraine. EU leaders will discuss how to increase collective pressure on Russia to end its war of aggression, he said, and will continue working on a coordinated approach to minimise the social and economic impact of the steep rise in energy prices. Commission President Ursula von der Leyen advocated a determined push forward of the clean transition in Europe. To achieve it, she proposed both increasing public investment and adapting EU rules on how it is spent, including via a sovereignty fund. The EU should also, she said, address the proposed Inflation Reduction Act, though she also stressed that “It is not the time for a trade war.”. President Von der Leyen predicted that “Putin’s war of aggression will fail (…) first, due to the enormous bravery of the Ukrainian people and, second, thanks to the international community’s remarkable unity.” “Let’s stay strong, united,” she concluded. Many MEPs welcomed the use of the rule of law conditionality mechanism and called for an end to the use of unanimity by member states in the Council. They welcomed the Commission President’s proposals for the establishment of a sovereign fund to deal with measures taken by third countries. www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20221209IPR6442… This photo is free to use under Creative Commons license CC-BY-4.0 and must be credited: „CC-BY-4.0: © European Union 2022– Source: EP“. (creativecommons.org/licenses/by/4.0/) No model release form if applicable. For bigger HR files please contact: webcom-flickr(AT)europarl.europa.eu

Abgelegt unter Debatte, Europa, Flucht und Zuwanderung, Medien | Keine Kommentare »

Scientist Rebellion

Erstellt von Redaktion am 13. Juni 2023

Erster Professor wegen Klimaprotest vor Gericht

Blockade Kronprinzenbrücke durch Science Rebellion, Berlin, 06.04.2022 (51990580737).jpg

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Scientist Rebellion

Am 20. Juni 2023 um 9.30 Uhr wird der Klimaprotest von Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim am Amtsgericht Tiergarten, Kirchstraße 6, 10557 Berlin, in einem öffentlichen Gerichtsverfahren verhandelt.

Der Geologie-Professor, der an der Universität Bonn forscht und lehrt, nahm am 06. April 2022 gemeinsam mit elf weiteren Wissenschaftler:innen an der Blockade der Kronprinzenbrücke nahe des Regierungsviertels in Berlin teil. Soweit uns bekannt, handelt es sich im Zuge der immer zahlreicher werdenden Klimaproteste um die erste Gerichtsverhandlung in Deutschland, bei der ein Professor aufgrund seiner Beteiligung angeklagt wird.

Anlass des Protests von Scientist Rebellion war die Veröffentlichung des dritten Teils des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates zwei Tage zuvor. Dieser Bericht machte mehr als deutlich, dass es keinen plausiblen Weg mehr gibt, unter 1,5 °C Erderhitzung zu bleiben. Die Regierungen, inkl. der deutschen, haben damit die sichere Klimazone nicht verteidigt. Prof. Froitzheim, der an der Universität Bonn regelmäßig über die Klimakrise lehrt und eine öffentliche Ringvorlesung zu diesem Thema abhält, sieht seine Beteiligung an Klimaprotest-Aktionen des zivilen Ungehorsams als durch den Klimanotstand gerechtfertigt an, unter anderem zum Schutz seiner drei Enkelkinder. Die Anklage gegen den 65-Jährigen aufgrund seiner friedlichen Straßenblockade lautet auf versuchte Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.

Der Strafprozess fügt sich ein in eine Reihe von Gerichtsverhandlungen wegen Klimaprotesten von Wissenschaftler:innen der Initiative Scientist Rebellion, die seit Februar diesen Jahres laufen. Am 09. Mai stand der promovierte Physiker Dr. Michael Hofmann aufgrund seiner Teilnahme an drei Klimaprotest-Blockaden in Berlin vor Gericht.

„Als Physiker sehe ich die bittere Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen bis 2030 auf Null zu bringen, weil wir in den letzten Jahrzehnten wiederholt unsere Hausaufgaben nicht gemacht haben.“, erklärt Dr. Hofmann. „Ansonsten würden wir das Pariser Klimaschutzabkommen nicht einhalten und Dynamiken in Gang setzen, welche wir später nicht mehr rückgängig machen können.“

Die Richterin sprach Dr. Hofmann in allen Punkten frei. Sie zeigte Verständnis für die Beweggründe des Angeklagten, ging jedoch nicht weiter auf das Thema ein. „Die Grenze zwischen aktivem und passivem Widerstand verschwimmt“, so die Richterin, „wenn leichte Behinderungen durch Ankleben oder Anketten Gewalt darstellen soll. Beides ist in meinen Augen gleichrangig mit wegtragen lassen und damit straffreier, passiver Widerstand.“

Ebenfalls im Mai wurde vor dem Amtsgericht München der Klimaprotest der promovierten Epidemiologin, Ökotrophologin und Mutter zweier Teenager Dr. Cornelia Huth verhandelt, die im Oktober 2022 an einer Straßenblockade von Scientist Rebellion in der Münchner Innenstadt teilgenommen hatte. Das Gericht unterstellte die beiden Beweisanträge zur Gefahr durch die Klimakrise und zur Wirksamkeit von Aktionen zivilen Ungehorsams als wahr. Zudem betonte die Richterin, dass es auf sie Eindruck mache, wenn sich hochgebildete Wissenschaftler:innen an den Klimaprotesten beteiligten. Dennoch sprach sie Frau Dr. Huth und ihre beiden Mitangeklagten Pater Dr. Jörg Alt und Luca Thomas der Nötigung für schuldig und verhängte eine Strafe in Höhe von je 10 Tagessätzen – ein Strafmaß, das deutlich unter der Forderung des Staatsanwaltes lag.

Prof. Froitzheim, Dr. Hofmann und Dr. Huth betonen, dass sie mit ihrem Protest nicht nur auf den rasanten Zusammenbruch eines stabilen Klimas und die nicht annähernd ausreichenden Gegenmaßnahmen der Regierung aufmerksam machen möchten, sondern auch verdeutlichen wollen, dass die Klimaproteste der breiteren Klimabewegung legitim und aufgrund der immer größeren Dringlichkeit und existenziellen Bedrohung sogar erforderlich sind.

Prof. Marco Bohnhoff, Geophysiker am GeoForschungsZentrum Potsdam, sagt dazu: „Es besteht eine überwältigende Einigkeit in der Wissenschaft über die Notwendigkeit, umgehend Maßnahmen zu ergreifen. Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass die Politik nicht verfassungskonform agiert. Dass nun diejenigen, die im Rahmen von zivilem Ungehorsam darauf hinweisen, vor Gericht gestellt werden und im wahrsten Sinn aus dem Verkehr gezogen werden, kann ich nicht gutheißen. Deswegen unterstütze ich meinen Kollegen Prof. Froitzheim und die Aktivist:innen von Scientist Rebellion.“

Die Bonner Geographie-Professorinnen Nadine Marquardt und Lisa Schipper haben einen offenen Brief mit dem Titel „Protest gegen die Klimakrise darf nicht kriminalisiert werden. Solidarität mit Professor Niko Froitzheim“ geschrieben, der bereits von zahlreichen Wissenschaftler:innen aus dem In- und Ausland unterzeichnet wurde.

Direktlink Offener Brief: https://docs.google.com/document/d/1c4Ko0CQC-tLvDptJBzyF1nBaHtWB5vxplYmGdyw5FEg/edit

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —   Blockade Kronprinzenbrücke durch Science Rebellion, Berlin, 06.04.2022

******************************

Unten        —         Aktivist von Scientist Rebellion wird von der Polizei nach Brückenblockade unter Anwendung von Schmerzgriffen abgeführt. Sein nackter Fuß schleift über den Asphalt. Kronprinzenbrücke, Berlin, 06.04.22

Abgelegt unter Berlin, Kultur, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »

Trans im Verteidigungsfall

Erstellt von Redaktion am 12. Juni 2023

Eine Lösung könnte sein, den Kriegsdienst mit der Waffe geschlechtsunabhängig zu gestalten

Ein Debattenbeitrag von Jayrome C. Tobinet

Russlands Krieg gegen die Ukraine wirkt bis in den Referentenentwurf für das neue Selbstbestimmungsgesetz hinein. Leider auch hier natürlich negativ.

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat unerwartete Kollateralschäden. So wurde in den Referentenentwurf für das Selbstbestimmungsgesetz eine wenig diskutierte Regelung aufgenommen: die Diskriminierung von trans Frauen und nichtbinären Menschen im Kriegsfall. Der von der Bundesregierung am 9. Mai 2023 vorgelegte Gesetzentwurf soll es trans, inter und nichtbinären Menschen ermöglichen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ohne psychiatrische Gutachten und langwierige Gerichtsverfahren zu ändern.

Paragraf 9 des Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) sieht vor, dass für die Dauer eines Spannungs- oder Verteidigungsfalles die amtliche Zuordnung zum männlichen Geschlecht bestehen bleibt. Konkret bedeutet das: Eine trans Frau oder eine nichtbinäre Person wird zum „Dienst mit der Waffe“ verpflichtet, wenn sie ihren Geschlechts­eintrag weniger als zwei Monate vor dem Eintritt des Spannungs- oder Verteidigungsfalles geändert hat.

Laut dem Bundesverband Trans* e. V. (BVT*) scheint diese Regelung aus der Befürchtung heraus entstanden zu sein, dass im Spannungs- oder Verteidigungsfall cis Männer eine Änderung ihres Geschlechtseintrags missbrauchen könnten, um sich der Wehrpflicht zu entziehen. Dabei werde jedoch übersehen, dass es in Deutschland das Recht gibt, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern (Art. 4 Abs. 3 GG). Im Jahr 1954, zwischen dem Indochina- und dem Algerienkrieg, schrieb der französische Schriftsteller Boris Vian das Lied „Le Déserteur“, das Wolf Biermann später auf Deutsch sang. In der Zeit der französischen Kolonialkriege hatten Vian und sein Deserteur etwas Heldenhaftes. In einem Angriffskrieg sieht das Bild des Pazifisten zum Teil anders aus. Dennoch ist es, so der BVT*, gesellschaftlich weniger stigmatisierend, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern, als den Geschlechtseintrag zu ändern. Schon aus diesem Grund erscheint es unwahrscheinlich, dass ein Kriegsdienstverweigerer den Weg der Transgeschlechtlichkeit wählt. Sollte es doch einmal eine Ausnahme geben, so wäre dies ein Hinweis darauf, wie schrecklich es für Männer sein kann, sich gezwungen zu sehen, militärisch zu dienen.

Als in der Ukraine bekannt wurde, dass Frauen zum Militärdienst eingezogen werden sollten, war die Empörung groß. Zwar sollten sie nicht an die Front, aber als Ärztinnen und Krankenschwestern sollten sie sich um Verwundete kümmern oder in Berufen einspringen, in denen die Männer wegen des Kriegseinsatzes fehlten – etwa in Bäckereien oder der Buchhaltung. In einer Online-Petition war von „Missbrauch von Frauen“ die Rede. Aber ist es nicht ein queerfeministisches Anliegen, dass alle Geschlechter gleichbehandelt werden?

Zudem ist zu betonen, dass Paragraf 9 SBGG eine Ungleichbehandlung von trans Frauen und nichtbinären Menschen einerseits und trans Männern andererseits darstellt. Im Vergleich zu trans Männern, die ihren Geschlechtseintrag auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall problemlos ändern könnten, würden trans Frauen und nichtbinäre Personen durch die Regelung des Paragrafen 9 benachteiligt. Dies ist eine klare Ungleichbehandlung, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Geschlechter widerspricht.

Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, den Kriegsdienst mit der Waffe geschlechtsunabhängig zu gestalten. Damit würde sich Paragraf 9 erübrigen. Statt nur Personen mit männlichem Geschlechtseintrag zur Landesverteidigung heranzuziehen, könnte die Wehrpflicht auf alle Geschlechter ausgedehnt werden. Dies würde Diskriminierung verhindern und den Gleichbehandlungsgrundsatz stärken. Generell muss sich Deutschland in vielen Bereichen Gedanken darüber machen, wie es mit Menschen umgehen will, deren Geschlechtseintrag divers oder leer ist. Von der Anerkennung der Elternschaft über Regelungen im Sport und im Strafvollzug bis hin zu Quotenregelungen.

Ein Beispiel für eine fortschrittliche Gesetzgebung in diesem Bereich ist Argentinien. Seit 2012 gibt es ein Selbstbestimmungsgesetz, das die Änderung des Geschlechtseintrags ohne ärztliches Gutachten, Hormonbehandlung oder Gerichtsverfahren ermöglicht. Darüber hinaus hat die argentinische Regierung eine Quotenregelung für trans Personen im öffentlichen Dienst ab 2021 eingeführt. Das Gesetz legt eine Mindestquote von einem Prozent der staatlichen Arbeitsplätze für Transvestiten, Transsexuelle und Transgender fest. Um dies zu gewährleisten, müssen alle staatlichen Institutionen, Ministerien und nichtstaatlichen öffentlichen Einrichtungen bei allen regulären Einstellungsverfahren eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen schaffen, die ausschließlich mit Transvestiten, Transsexuellen und Transgendern besetzt werden. Wenn Be­wer­be­r:in­nen keinen Sekundarschulabschluss haben, können sie unter der Bedingung eingestellt werden, dass sie diesen nachholen.

Quelle        :       TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —       On Saturday 21 January 2023, hundreds of protesters marched from Downing Street to Hyde Park to demand real equality for trans people, an end to transphobic violence and an immediate reversal of the UK government’s decision to block Scotland’s progressive Gender Recognition Reform Bill which simplifies the procedure for a trans person to obtain a gender recognition certificate, which until now has been highly „intrusive, medicalised and bureaucratic.“ www.stonewall.org.uk/about-us/news/statement-uk-governmen… The LGBTQ oranisation Stonewall commented – „This is a piece of legislation that simply seeks to make the process for legally recognising a trans man or trans women’s gender more respectful and straightforward. Scotland’s Bill aligns it with leading international practice endorsed by the United Nations and adopted by 30 countries, including Canada, Australia, New Zealand, Irealand and most of the United States of America.“ www.stonewall.org.uk/about-us/news/statement-uk-governmen… The bill had received cross-party support in the Scottish parliament and was supported by 88 members – the overwhelming majority of Scottish MSPs – only 33 voted against and just 4 abstained. The legislation was also clearly within the scope of what the Scottish parliament can legislate according to its devolved powers. However, for the first time ever, the British government used section 35 of the Scotland Act to unilaterally veto the reforms. This photo was used in the following article online – gal-dem.com/finland-gender-recognition-law-trans-scotland…

Abgelegt unter Debatte, International, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

DIE * WOCHE

Erstellt von Redaktion am 12. Juni 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Reichelt, Rammstein, RBB: Zeit, sich zu trennen. Die Linke will ohne Wagenknecht weitermachen. Nazi-Splatter-PornoSchwulst und ein beleidigter Springer Verlag. Der RBB sucht eine neue Intendanz.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Die Logik der Gewalt.

Und was wird nächste Woche besser?

Frieden langsam gern auch unlogisch.

Die geplante Verschärfung des EU-Asylrechts stößt bei vielen Grünen auf Empörung. Wird sich die Ablehnung durchsetzen?

Ausgangsgedanke war, Geflüchtete gerecht über die EU zu verteilen. Ergebnis ist: Es kommen keine mehr rein. Wer das Pech hat, aus einem Land mit niedriger Anerkennungsquote zu fliehen, wird ohne Ansehen der Person zurückgeschickt. Langsam wird’s wohlfeil, stets auf Polen und Ungarn zu zeigen, die ihre Maximalposition durchgesetzt haben. Letztlich hilft es der Ampel, das Thema rechtzeitig vor der Europawahl abzuräumen – hoffen sie. Interessant wäre eine Überprüfung, ob die deutsche Zustimmung mit dem Grundgesetz vereinbar ist: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Fragt uns nicht, wo.“

„Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht“ heißt es in einem am Samstag einstimmig gefassten Beschluss des Parteivorstands. Hat die Linke eine Zukunft?

Kann sein. Vor allem aber: Klammheimlicher Dank von Union, SPD, Grünen und FDP, denen bisher nichts Durchschlagendes gegen die AfD eingefallen ist. Wagenknecht gärt einen trüben Sud aus Sozialismus und Nationalismus. Der modert in umgekehrter Reihenfolge auch bei der Höcke-Mehrheit in der AfD wie früher bei der NPD. Bei den derzeitigen Umfragewerten ist es zu spät, rechte und linke Autoritäre säuberlich in 2 mal 4,9 Prozent zu zerlegen, doch schön wär’s schon. Wagenknechts „Aufstehen“-Initiative war ein organisatorisches Fiasko; eine schwammige Idee ohne Kernaussage: Sahra. Wagenknecht wird nie Knecht wagen, nicht vor einer Idee noch einer Person. Also erst mal abwarten, ob sie Partei kann. Die Linke bangt um jedes Mandat und verliert durch die geplante Wahlrechtsreform den Fraktionsstatus. In der Situation einer Erpressung zu trotzen hat: meinen Respekt.

Die Rammstein-Konzerte laufen in ausverkauften Stadien munter weiter. Nur das Lied „Pussy“ wurde von der Setlist genommen und die Peniskanone ist verschwunden. Muss noch was weg?

Rammstein hat immer den kürzesten Weg zum Skandal gesucht, und nun schaut er mal bei ihnen vorbei. Nazi-Splatter-Porno-Schwulst, aber richtig teuer, bei nicht sonderlich innovativer Musik. Nun gibt es Frauen, die nicht mehr von der Kunstfreiheit gedeckt werden wollen. Wo es bisher bewundernd raunte: „Die sind wirklich so!“, erschaudert es nun: „Die sind wirklich so.“ Vorwürfe gegen die Band – eigentlich erst mal gegen Lindemann und Mitwisser – werden strafrechtlich geprüft. Hoffentlich wird das gerecht aufzuklären sein. Man stolpert aus der medialen Aufregung und staunt: Wäre schön gewesen, wenn’s alles gelogen und nur Geschäftemodell wäre. Vielleicht nehmen viele Fans das mit.

Die am 16. Juni anstehende In­ten­dan­t*in­nen­wahl beim RBB „eskaliert“, schreibt die FAZ. Können Sie die Angelegenheit analysierend deeskalieren?

Interimsintendantin Vernau hat mit harten Einsparungen Teile der Belegschaft verängstigt. Sie möchte weitermachen, dabei aber die Wahl überspringen. Ein Favorit von Belegschaft und Freien wurde vom Rundfunkrat wegen angeblich zu hoher Gehaltswünsche aussortiert. Dazwischen gibt es drei gremiengefällige Kandidatinnen. Ein funktionierendes Aufsichtsgremium müsste einer Intendantin klarmachen, dass es Wahlen gibt – und hat de jure keine Gehaltsverhandlungen zu führen. Dieser Rundfunkrat hingegen schafft es, fünf KandidatInnen zu beschädigen. Falls die „Affäre Schlesinger“ auch ein Gremieninfarkt war, setzen die Nachfolger dort fort.

Zwischen dem Axel-Springer-Verlag und dem ehemaligen Bild-Chef Julian Reichelt hat es am Freitag vor dem Berliner Arbeitsgericht nicht für eine gütliche Einigung gereicht. Überrascht Sie das?

Quelle       :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Bearbeitung durch User: Denis_Apel –

Lizenz “Creative Commons“ „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“

Abgelegt unter Feuilleton, International, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

CDU und Wirtschaft

Erstellt von Redaktion am 11. Juni 2023

Verhindern, verzögern, unterlassen

Wind Turbine der CDU von Merkel

Ein Artikel von Sabine am Orde, Christian Jakob, Nick Reimer und Benno Schirrmeister.

Die CDU ist eng mit der fossilen Industrie verbandelt. 20 Jahre lang blockierten Partei und Lobbyisten gemeinsam die Klimapolitik. Eine taz-Recherche.

s ist ein Dienstag Ende Mai, der Wirtschaftsrat der CDU hat zu seinem alljährlichen Höhepunkt geladen: dem „Wirtschaftstag“. Getagt wird unter riesigen Kronleuchtern im Hotel Marriott, am Rande des Tiergartens im Berliner Regierungsviertel. Vorstandschef*innen, Verbandsfunktionäre, Po­li­ti­ke­r:in­nen und Un­ter­neh­me­r*in­nen sind der Einladung gefolgt.

Gemeinsam mit Astrid Hamker, der Präsidentin des Vereins, zieht der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck in den Saal ein. Die Bild wütet in diesen Tagen fast täglich gegen Habecks „Heiz-Hammer“ – und die Union auch.

Der Applaus der über 2.000 Gäste für Habeck verebbt schnell, es ist ruhig im Saal – und der Weg bis zur Bühne weit. „Sie dürfen auch klatschen“, sagt die Moderatorin beschwörend in die Stille hinein. Dann steht Astrid Hamker, langes blondes Haar, Brille, blaues Kleid, am Redepult, links von ihr sitzt Habeck auf dem Podium, ziemlich einsam an einem langen Tisch.

Hamker ist Gesellschafterin der Osnabrücker Piepenbrock-Gruppe, einem Unternehmen mit über 27.000 MitarbeiterInnen und mehr als 600 Millio­nen Euro Jahresumsatz. Und sie ist Präsidentin des Wirtschaftsrats. Auf der Bühne holt sie jetzt den Holzhammer raus. Spricht von „Ernüchterung, Enttäuschung, Verärgerung“. Die Ampel, vor allem aber Habeck, würde „die Grundlagen unseres Wohlstands demontieren“. Eine „ideologiegetriebene Politik“ betreiben, „die sich einzig und allein dem Klimaschutz, aber nicht dem Wohl der deutschen Wirtschaft verpflichtet fühlt.“ Applaus. So geht es weiter: Atomausstieg, Verbrenner-Aus, Heizungstausch – aus ihrer Sicht macht Habeck alles falsch. Dass 16 Jahre lang die CDU an der Spitze der Regierung stand und manches davon zu verantworten hat – dazu kein Wort.

Die Klimasaboteure

Die Akteure

Das Wissen über die Klimakrise ist da, das gesellschaftliche Bewusstsein auch. Was fehlt, sind Konsequenzen: Politische Entscheidungen, die die nötigen Veränderungen zügig vorantreiben. Für diese Blockade sind nicht „die Verhältnisse“ verantwortlich, es gibt konkret Verantwortliche. Das sind Akteure, die die Interessen klimaschädlicher Industrien vertreten, an diesen verdienen und nötige Veränderungen verhindern oder verschleppen.

Die Serie

In der vom Weltklimastreik am 3. März bis zur COP 28, der Klimakonferenz in Dubai im Dezember, laufenden Serie „Klimasabotage“ fragt die taz: Wer sabotiert die Entscheidungen, die das Klima und unsere Lebensgrundlagen retten? Wer blockiert, was nötig ist – und warum? Wer führt uns in die Krise?

Der Schwerpunkt

Die Schwerpunktseite Klimasabotage auf taz.de versammelt bereits zahlreiche Texte zum Thema. Zuletzt haben wir uns unter anderem der fossilen SPD gewidmet: Das Blockieren von Klimaschutz ist schon in der Struktur der Partei angelegt – durch Verflechtungen mit der Wirtschaft, durch Gewerkschaftsnähe und durch Traditionen.

Während Hamker im Saal des Marriott-Hotels verbal auf ihn eintrümmert, macht sich Habeck Notizen. Als er das Wort erhält, outet Habeck sich als Fan der sozialen Marktwirtschaft, zitiert Norbert Blüm. Die Stärke der sozialen Marktwirtschaft sei die Fähigkeit, Widersprüche zu vereinen. Es ist ein rhetorischer Ritt, der den Wirtschaftsrat bei seinen Wurzeln packt. Habeck fordert „Lauterkeit der Argumente“ und sagt, in der Kritik der letzten Tage, Wochen und Monate sei einiges nicht durchdacht worden – was auch für die Worte der Präsidentin gelte.

Habeck wird mit Applaus verabschiedet. Doch an diesem Tag treffen Welten aufeinander.

In weniger als 22 Jahren soll Deutschland klimaneutral sein, die Auseinandersetzungen darum nehmen an Schärfe zu. Die Grünen verweisen auf „16 Jahre Stillstand“ – die Klimabilanz der Union sei der Grund, dass heute alles schwieriger ist, als es sein könnte.

Die Bewahrung der Schöpfung sei ein „urkonservatives Thema, das sich die Union seit je auf die Fahne geschrieben hat“, heißt es bei der Union gern. Doch der Parteivorsitzende Friedrich Merz findet, Klimaschutz dürfe „nicht verabsolutiert“ werden, während in Kanada die Wälder brennen und Südfrankreich kein Wasser mehr hat. Und das zieht: In der Sonntagsfrage kommt die Union mit 29 Prozent auf Platz 1.

Die Partei verweist gern darauf, dass es die CDUlerin Angela Merkel war, die 1997 als Umweltministerin den Verhandlungen für das Kyoto-Protokoll zum Durchbruch verhalf. Und es war die von ihr geführte Große Koalition, die das Pariser Klimaschutzabkommen 2015 vorantrieb und beschloss – ebenso wie das Klimaschutzgesetz, das CO2-Neutralität bis 2045 vorsieht.

Doch die Bilanz ist eine andere. Ob Kohleausstieg, Verkehrswende, Erneuerbare, Landwirtschaft: Die Union stellte seit 2005 viele der zuständigen Minister *innen – und blockierte den Klimaschutz, verschleppte ihn oder blieb untätig. Und das kommt nicht von ungefähr. Ihre Politik wird seit Jahrzehnten von Menschen mitbestimmt, die Klimaschutz aus wirtschaftlichen Interessen oder ideologischen Gründen sabotieren.

Der Wirtschaftsrat

Der Wirtschaftsrat ist dabei ein wichtiger Akteur. Seine Präsidentin Hamker und Friedrich Merz kennen sich gut. Bevor Merz Parteichef wurde, war er Hamkers Stellvertreter im Wirtschaftsrat und saß im Präsidium. Das aktuelle Ziel der Lobbyorganisation steht ganz im Einklang mit jenem der CDU: das Gebäudeenergiegesetz zu verhindern. „Das Gesetz muss komplett neu geschrieben werden“, sagt Hamker.

Sie betont, dass sich der Wirtschaftsrat zu den Klimazielen bekenne. Doch Klimaschutz und das Wohl der Wirtschaft – aus ihrer Sicht scheinen das gegensätzliche Pole zu sein. Was wohl heißt, dass man die Wirtschaft vor dem Klimaschutz schützen muss. Und genau daran arbeitet der Wirtschaftsrat seit Langem.

Der Wirtschaftsrat ist einflussreich. Er trägt die CDU im Namen, ist aber nicht ans Parteiengesetz gebunden

Er ist eine einflussreiche Lobbyorganisation, mit 12.000 Un­ter­neh­me­r*in­nen als Mitgliedern und in einer merkwürdigen Zwitterposition. Der Wirtschaftsrat trägt die CDU im Namen, ist aber keine Parteiorganisation. Doch Präsidentin Hamker gehört qua Amt dem CDU-Bundesvorstand an. Sie nimmt an dessen Sitzungen teil, hat Rederecht – und kann die Partei direkt beeinflussen.

Der Wirtschaftsrat, ein eingetragener Verein, ist also nicht an das Parteiengesetz und dessen Transparenz­regeln gebunden. Er vermeidet gleichzeitig durch seine Parteinähe das negative Image einer Lobbyorganisation. „Eine problematische Doppelrolle,“ sagt Christina Deckwirth von der NGO Lobbycontrol. Sie hat eine Studie zur Klimapolitik des Wirtschaftsrats erstellt. Ihr Urteil: Der Verein sei ein „besonders starker und einflussreicher Klimaschutz-Bremser“.

Der Rat warnt vor „Aktionismus beim Klimaschutz“. Im September 2021 forderte er gar ein „Verbot von Klimaklagen“ gegen Großkonzerne. Umweltschutzorganisationen versuchen mit solchen Klagen, Konzerne zur Einhaltung der Klimaschutzziele zu zwingen.

Die Fachkommission Energiepolitik des Wirtschaftsrates leitet das Eon-Vorstandsmitglied Patrick Lammers. Im Präsidium und Bundesvorstand sitzen die Auto-, Flugzeug- und Braunkohleindustrie.

2013 nahm der Wirtschaftsrat das Erneuerbare-Energien-Gesetz unter Beschuss und forderte eine Kürzung der Einspeisevergütung für Photovoltaik. 2019, während die schwarz-rote Bundesregierung über das Klimapaket stritt, konnte der Wirtschaftsrat seine Forderung nach „bezahlbarer Energie“ im CDU/CSU-Konzept ‚Klimaeffizientes Deutschland‘ festschreiben. „Der Einsatz des Wirtschaftsrats, dass Unternehmen möglichst wenig für die Energiewende zahlen sollen, kam bei der Union an“, urteilt Lobbycontrol.

Während laut Lobbycontrol andere Verbände Anfang 2020 ihre offiziellen Stellungnahmen zum Kohleausstieg beim Wirtschaftsministerium einreichten, drohte der Wirtschaftsrat direkt beim Minister, bei zu schnellem Ausstieg käme es kostspieligen Klagen. Die Ministeriumsspitzen trafen sich mit den Kohlekraftwerks-Betreibern EnBW, RWE, Uniper, Vattenfall, Steag. Laut Lobbycontrol hatten drei der fünf anwesenden Unternehmen im Jahr 2020 Veranstaltungen des Wirtschaftsrats gesponsert, an denen auch der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier und sein Staatssekretär Andreas Feicht teilnahmen. Am Ende, so Lobbycontrol, wurde ein Kohleausstiegsgesetz beschlossen, das „deutliche Zugeständnisse“ für neuere Steinkohlekraftwerke enthielt – unter anderem eine „Härtefallregelung“.

Doch was Sabotage wirksamen Klimaschutzes angeht, ist der Wirtschaftsrat bei Weitem nicht der einzige Akteur in der Union.

Das Bermudadreieck

Als Bermudadreieck der Energiewende in der Welt der CDU galten lange drei Politiker, die teils eng mit dem Wirtschaftsrat verbunden sind: Carsten Linnemann, Thomas Bareiß und Joachim Pfeiffer. Jede klimapolitische Idee, jedes Bemühen um substanziellen Klimaschutz, das in der Vergangenheit zwischen diese einflussreichen Unionspolitiker geriet, ging dort irgendwie verloren. Eine CO2-Steuer, Sektoren-Einsparziele, die Klimaabgabe für die Braunkohle, ein deutsches Klimaschutzgesetz – die drei CDUler wussten die Vorschläge stets zu verhindern oder zumindest zu verzögern.

Bermuda Triangle

Da ist zunächst Carsten Linnemann, der von 2013 bis 2021 Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), des Wirtschaftsflügels der CDU, war: Diese zählt 25.000 Mitglieder und bezeichnet sich selbst als „einflussreichster parteipolitischer Wirtschaftsverband in Deutschland“. Im Grundsatzprogramm der MIT, das Linnemann mitformulierte, heißt es: „Das Fördersystem für erneuerbare Energien gefährdet die Netzstabilität und verteuert den Strom in unzumutbarem Maße.“ Wegen der hohen Strompreise drohe die De-Industrialisierung Deutschlands nicht, „sie findet statt“.

Carsten Linnemann war aber nicht nur Chef dieser Parteivereinigung, seit 2009 ist er auch Abgeordneter und seit 2013 Bundesvorstand der CDU. Das ist praktisch, denn dadurch konnte er in die Politik der Union das einspeisen, was seine Organisation fordert: weniger erneuerbare Energie. Als Bundestagsabgeordneter hat sich Linnemann jahrelang für Abstandsregeln in der Windkraft starkgemacht. 2020 sagte er: „Ich sehe die Abstandsregeln als Chance, das Thema zu befrieden.“ Ein Kilometer zwischen Windrad und nächstem Haus sorgte vielerorts dafür, dass Projekte nicht gebaut werden konnten. Es war eine der wirksamsten Bremsen für den Ausbau der Windenergie in Deutschland. Linnemann hatte im MIT-Grundsatzprogramm argumentiert, dass Klimaschutz „nicht durch Planwirtschaft, Dirigismus und Verbote“ zu erreichen sei. 2022 wurde er stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU. Aktuell leitet er die Kommission für ein neues Grundsatzprogramm der Partei.

Der zweite im christdemokratischen Bermudadreieck ist Thomas Bareiß, von 2010 bis 2018 zuständig für Energiepolitik in der Unionsfraktion. Danach war er bis 2021 parlamentarischer Staatssekretär bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und auch dort zuständig für die Energiepolitik. Greenpeace listet im „Schwarzbuch Klimabremser“ Bareiß’ politisches Wirken seit 2005 auf und kommt zu dem Schluss, er habe „maßgeblich dafür sorgt, dass die Erneuerbaren Energien ausgebremst werden und die Bundesregierung ihre Klimaziele verpasst“.

Ohne Erdgas sei die Energieversorgung „nicht denkbar“, Gas „unverzichtbar“, sagte Bareiß 2019 in einer Publikation des Lobbyverbands „Zukunft Gas“, in dem Energiekonzerne wie Shell, Total, Wintershall Dea oder die Gazprom-Tochter Wingas Mitglied sind. Bareiß saß bis zu seiner Berufung als Staatssekretär 2018 dort im Beirat. Und bis 2021 war er Vorsitzender des „Beirats Energie“ der Lobbyorganisation „Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen“, in dem die Gas- und Braunkohleindustrie sitzt. Heute unterstützt Bareiß als verkehrspolitischer Sprecher der Union die Bemühungen der FDP gegen das Verbrenner-Aus.

Joachim Pfeiffer ist die dritte Koordinate im Bermudadreieck der Energiewende. Wie kaum ein anderer prägte der Betriebswirt aus dem schwäbischen Waiblingen die Klimapolitik der Union, zuletzt bis 2021 als wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Als Mitglied des Wirtschaftsausschusses schrieb der heute 56-Jährige die energiepolitische Gesetzgebung im Bundestag mit. Pfeiffer nannte Klimaschutz „Ersatzreligion“, die Debatte über die Erderhitzung „alarmistisch“, die Photovoltaikbranche bezeichnete er als „Solarmafia“, Klimaschützer wie die Deutsche Umwelthilfe als „semi-kriminelle Vereinigung“. Die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kyoto-Protokoll war für ihn eine „gezielte Deindustrialisierung Deutschlands“.

Deutsche Technologie zur Kohleverstromung hingegen könne „helfen, das Klima zu schützen“ – wer sich über solche Aussagen wundert, muss wissen, dass Pfeiffer langjähriges Mitglied im Beirat der Hitachi Power Europe GmbH saß. Der japanische Kraftwerkkonzern Hitachi lieferte 2009 unter anderem Kessel und Dampfturbine für das neue Kohlekraftwerk in Duisburg-Walsum. Pfeiffer war auch bis Ende 2014 Mitglied im Aufsichtsrat des Kraftwerk-Dienstleisters Kofler Energies Power AG und verdiente dort bis zu 30.000 Euro jährlich hinzu. Zudem war Pfeiffer Mitglied im Aufsichtsrat eines kanadischen Ölmultis. Dieses Mandat legte er Ende 2020 nieder.

In Groko-Zeiten waren fast alle klimapolitisch wichtigen Posten „vom Wirtschaftsflügel besetzt“, schreibt Greenpeace: „Wirtschaftsliberale, die im Klimaschutz vor allem Wettbewerbsnachteile sehen.“

Das hatte Folgen.

Die Merkeljahre

Die skandinavischen Länder fingen an, Wärmepumpen zu installieren, als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde. Heute heizen dort bis zu 60 Prozent aller Haushalte mit einer Wärmepumpe – in Deutschland sind es 2,8 Prozent. Zu Beginn von Merkels Amtszeit stieß der deutsche Verkehr etwa 150 Millionen Tonnen CO2 im Jahr aus – 2021 war es fast exakt genauso viel. Japan drückte die Verkehrsemissionen in derselben Zeit um ein Drittel. In Merkels Amtszeit ging der jährliche Zubau der Solarenergie-Leistung von 46 Prozent im Jahr 2005 auf 9,6 Prozent im Jahr 2021 zurück. Dazwischen lag ein einzigartiger Abbau der Förderung erneuerbarer Energien, inklusive massenhafter Firmenpleiten.

Er „gebe zu, dass wir in den letzten Jahren auch Fehler gemacht und zu spät gehandelt haben“, sagte der Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier in einem Interview zur Klimabilanz schon im Jahr 2020. Doch viele andere in der Partei wollen diese Verantwortung bis heute nicht anerkennen. Lieber giften sie gegen das Heizungsgesetz der Ampel. Die Union verspricht den Menschen, ihnen die vermeintlichen Zumutungen des Klimaschutzes zu ersparen – und hat damit Erfolg. In Berlin stellt sie nach einem Anti-Verkehrswende-Wahlkampf den Bürgermeister – und der will Präventivhaft für Klimakleber und hält den Ausbau der Autobahn A 100 mitten durch die Stadt für „ganz entscheidend“.

Aus alldem ergibt sich das Bild einer Partei, die nie Programm-, sondern immer in erster Linie Machtpartei war. Deshalb hat sie bis heute statt einem echten Klimaschutzprogramm vor allem technokratische Luftschlösser und einen unerschütterlichen Glauben an den Markt, der das Klima schon retten werde, wenn man nur die richtigen Anreize setze.

Und deshalb kann sie auch der Versuchung nicht widerstehen, mit populistischem Klimaschutzbashing die Macht zurückzuerlangen. Nicht einfacher macht es der CDU ihr rechter Rand, für den Klimaschutz vor allem ein weiteres Feld im Kulturkampf ist. Dass aus den Reihen der Partei Habecks Heizungsgesetz als „Energie-Stasi“ attackiert wird, ist da nur folgerichtig.

Die grüne Union

Quelle           :          TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —     Wind turbine made of wood, Suetschach, municipality of Feistritz im Rosental, Carinthia, Austria, EU

*****************************

Unten         —       Map of Flight 19 „navigation problem #1“ route. 12345 flight path, yellow triangle bombing to excercise target at Hens and Chickens Soal.

Abgelegt unter Medien, P.CDU / CSU, Positionen, Regierung | 1 Kommentar »

Wann ist sein Papagei dran?

Erstellt von Redaktion am 11. Juni 2023

PREIS FÜR HABECKS KATZE

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

Am Rande der Hannover Messe wurde der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit einem Preis für die Energiewende ausgezeichnet. Der wurde ihm von seinem Bruder Hinrich überreicht. Hinrich ist nicht nur Habecks Bruder, sondern auch Chef der Wirtschaftsförderung Schleswig-Holstein. Die Wirtschaftsförderung wird von der Landesregierung Schleswig-Holstein finanziert und gesteuert.

Prinzip der Allparteien-Koalition

Wer die Tatsache, dass eine Landesregierung einem Bundesminister publikumswirksam einen Preis zuschanzt, für politischen Inzest hält, der versteht das Prinzip der deutschen Allparteien-Koalition nicht: Alle, die da mitmachen, sind preiswert zu korrumpieren. Dieser oder jener mit noch einem teuren Amt, andere mit einem fadenscheinigen Preis – bezahlt wird die komplette Kirmes vom Steuerzahler.

Wappentier ist die Blindekuh

Wie immer geht es um das Wichtigkeits-Karussell: Du findest mich gut, dann finde ich dich gut, später finden wir vielleicht auch einen guten Grund – die Geschlossenheit. Wer geschlossen ist, der macht kein Fass auf, der schließt vor jedem auftauchenden Polit-Verbrechen die Augen. Das Wappentier ist die Blindekuh, die Flagge besteht aus Löchern, die Hymne beginnt mit „Einigkeit“. „Recht und Freiheit“ sind aus Gründen der Koalitionsdisziplin gestrichen.

Keine Blutschande sondern Reinzucht

Dass der Bruder dem Bruder einen Preis zuschiebt, ist keine Blutschande sondern Reinzucht: Nur wer sich familiär im Kreise dreht, hält sich rein. Das wussten schon die alten Ägypter. Dort machte es der Bruder mit der Schwester. In Deutschland treibt es der Bruder mit dem Bruder: Platz da für neue Geschlechter ist ein grünes Prinzip.

Nur der Bruder ist kein Luder

Das Habeck- Prinzip „Nur der Bruder ist kein Luder“ ist so hermetisch, dass keinerlei Alternative möglich ist. Da bleibt die grüne Fahne hoch und die Reihen sind fest geschlossen. Wer aus der Reihe tanzt, wird zur Tarantella nicht unter drei Runden verurteilt.

Grüne Massensuggestion

Die Tanzopfer leiden unter Tarantismus, einer psychischen Erkrankung in Verbindung mit Massensuggestion. Wer diese Krankheit erwischt, der hält GRÜN für die Farbe der Hoffnung, Deutschland für eine Demokratie und seine Medien für vielfältig.

Eau de Robert bei Douglas

Noch ist das Höchstmaß an Geschlossenheit nicht erreicht. Erst wenn Habecks Katze den Grammy für ihr Maunzen bekommen hat, wenn sein Papagei mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wurde und sein Schweiß als Eau de Robert bei Douglas Höchstpreise erzielt, ist die Zeit für das Vierte Reich gekommen. Jenes Reich, in dem die Schließer die Macht übernommen haben und die Ketten als Schmuck für alle gelten.

Urheberrecht

Die durch die Seitenbetreiber erstellten Inhalte und Werke auf diesen Seiten unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung des jeweiligen Autors bzw. Erstellers. Downloads und Kopien dieser Seite sind nur für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch gestattet.

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —   Hauskatze, langhaarig, weiß mit braun-grauen Tigerflecken

Abgelegt unter Bundestag, Kultur, P.Die Grünen, Positionen, Wirtschaftpolitik | 1 Kommentar »

KOLUMNE * ERNSTHAFT ?

Erstellt von Redaktion am 11. Juni 2023

Tiefere Stimme, höhere Position

Eine Kolumne von Ulrike Winkelmann

Was könnte Annalena Baerbock erreichen mit dem Organ eines Sigmar Gabriel? Vielleicht gleicht KI ja bald die vokale Geschlechterungerechtigkeit aus.

Mein Respekt vor Politikerinnen, die von gängigen Körpernormen deutlich abweichen, ist parteiübergreifend. Das gilt umso mehr, da jede Häme im Internet millionenfach vervielfältigt und auch verewigt wird.

Die Mechanismen, die greifen, wenn eine gar-nicht-normschöne Frau die politische Bühne betritt, wurden schon oft beschrieben. Ich behaupte aber, dass sich – vermutlich gerade wegen der Spottlawinen in den sozialen Medien – der moralische Standard eher gefestigt hat, dass man Leute grundsätzlich nicht nach ihrem Äußeren zu bewerten hat. Noch nicht einmal Frauen in der Politik. Dieses Gebot gilt, selbst wenn es im Alltag gern und geifernd unterlaufen wird.

Was mich allerdings zunehmend wundert, ist, wie wenig über Stimmen geredet wird. Jeder weiß, dass Stimmen angenehm und unangenehm sein können. Tiefe Stimmen werden lieber gehört als hohe. Tiefen Stimmen wird mehr Autorität zugerechnet. Solche Gefühle und Reflexe entstehen in Millisekunden, ihnen ist mit Vernunft und Werten schwer beizukommen.

Doch statt dabei den Urskandal – dass Männer demnach einen ewigen Vorteil gegenüber Frauen haben – zu thematisieren, scheinen Stimmlagen die freimütige Urteilsfindung über Politikerinnen eher zu begünstigen: „Ich kann der nicht zuhören.“

Die Menopause als politische Chance

Dabei sind Stimmen erst einmal das Produkt längerer oder kürzerer Stimmbänder und insofern ein Körpermerkmal wie dünnes, glanzloses Haar. Während jedoch die Auseinandersetzungen etwa über Angela Merkels Frisur inzwischen Regale füllen würden, ist die Rolle ihrer Stimme bisher wenig beschrieben.

Ulrike-winkelmann-2013.jpg

Ein Sprachwirkungsforscher erklärte unlängst in dieser Zeitung, Merkels Stimme sei lange als „Kleinmädchenstimme“ bezeichnet worden, bis sie sich 2005 und 2006 durch die Menopause „deutlich abgesenkt“ habe (zur Erinnerung: Merkel wurde 2005 zur Kanzlerin gewählt). Erst von da an, so der Forscher, seien ihre Beliebtheitswerte gestiegen. Gleiches gelte für die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher.

Über Thatcher und die Frage, ob sie einen „Voice Coach“ beschäftigte, findet sich tatsächlich einige Literatur. Die vierte Staffel von „The Crown“ war der britischen Presse zuletzt Anlass für detaillierte Erörterungen, ob die Darstellerin Gillian Anderson den Thatcher-Sound richtig hinbekommen habe. Als unstrittig gilt dabei, dass Thatcher erst aufstieg, als sie ihre Stimme auf wählbares Niveau gesenkt hatte.

Nun machen zwei Regierungschefinnen noch keine Statistik. Doch möchte ich es gern als Fortschritt würdigen, dass Politikerinnen seit Thatcher und Merkel auch mit Stimmen vorwärtskommen, die wenig Souveränitätsmerkmale aufweisen.

Frauen müssen wohl kompensieren

Quelle            :       TAZ-online          >>>>>          weiterlesen 

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —       Wilhelm Busch: Lehrer Lämpel (aus Max und Moritz)

Abgelegt unter Feuilleton, P.Die Grünen, P.SPD, Positionen | Keine Kommentare »

Flüchtende suchen Zuflucht

Erstellt von Redaktion am 10. Juni 2023

Flüchtlinge gelten als Feinde unseres Wohlstands

undefined

Wird hier aus der EU – Ein- oder Ausgeschlossen  ?

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von      :     Heribert Prantl / 08  

Der Migrationsdruck wird ein grosses Thema dieses Jahrhunderts. Das Schicksal zweier Kontinente wird sich darin entscheiden.

Es gibt Interviews, die man nicht vergisst. Ein knappes Jahr nach der Änderung des Asylgrundrechts im Jahr 1993 habe ich mit dem damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) ein Gespräch darüber geführt, was diese Grundgesetzänderung bewirkt habe.  Kanther äusserte sich hochzufrieden. Wir sprachen auch über den Brandanschlag von Solingen: Drei Tage nach der Asyl-Abstimmung im Bundestag waren bei einem Brandanschlag fünf türkische Frauen und Mädchen von Rechtsextremisten ermordet worden. Den entsetzen Kommentar dazu konnte man damals auf eine Hauswand gesprüht lesen: „Erst stirbt das Recht, dann stirbt der Mensch“. Kanther sah das anders. Er sagte: „Jetzt kommen nicht mehr 30’000, sondern 10’000 Flüchtlinge (im Monat. Red.). Das ist immerhin etwas, dieses Ergebnis bestätigt die Richtigkeit unserer Politik. Es wäre nicht erzielbar gewesen ohne die öffentliche Auseinandersetzung – die natürlich auch Hitzegrade erzeugt hat.“ Er sagte tatsächlich „Hitzegrade“!

Zwanzig Jahre lang hatte der Asylstreit bis dahin gedauert. 1973 war im Bundestag zum ersten Mal von Asylmissbrauch die Rede gewesen. Die Debatte darüber hatte sich in den späten Achtzigerjahren ins Orgiastische gesteigert. Über den Artikel 16 des Grundgesetzes wurde geredet, als wäre er der Hort von Pest und Cholera. Der sogenannte Asylstreit hat das politische Klima in Deutschland verändert wie kaum eine andere Auseinandersetzung in der Geschichte der Bundesrepublik.

Was Fliehkraft bedeutet

Davon handelt mein kürzlicher SZ-Plus-Text („Asylbetrüger … sind nicht Flüchtlinge, die Schutz vor Verfolgung und Hilfe in der Not suchen – sondern die Politiker, die ihnen Schutz und Hilfe verweigern“).  Er zeichnet den Weg nach von der deutschen Grundgesetzänderung im Jahr 1993 zu den EU-Elendslagern von heute und zu den Plänen für die „Festung Europa“, die nun bei der bevorstehenden EU-Ratssitzung verabschiedet werden sollen.

50 Jahre Asylstreit insgesamt. Die Flüchtlinge gelten als Feinde des Wohlstandes. Die EU schützt sich vor ihnen wie vor Straftätern. Sie werden betrachtet wie Einbrecher, weil sie einbrechen wollen in das Paradies Europa. Man fürchtet sie wegen ihrer Zahl und sieht in ihnen so eine Art kriminelle Vereinigung. Deswegen wird aus dem „Raum des Rechts, der Sicherheit und der Freiheit“, wie sich Europa selbst nennt, die Festung Europa.

Die Flüchtlinge, die vor dieser Festung ankommen, sind geflüchtet, weil sie eine Zukunft haben wollen. Sie sind jung, weil nur junge Menschen die Fliehkraft haben, die man als Flüchtender braucht. TV und Internet locken noch in dreckigsten Ecken der Elendesviertel mit Bildern aus der Welt des Überflusses. Noch bleibt der allergrösste Teil der Menschen, die wegen Krieg, Klimawandel und bitterer Not ihre Heimat verlassen, in der Welt, die man die dritte und vierte nennt. Mehr und mehr aber drängen sie an die Schaufenster, hinter denen die Reichen der Erde sitzen.

2017-01-09-Heribert Prantl -hart aber fair-9637.jpg

Der Druck vor den Schaufenstern wird stärker werden. Ob uns diese Migration passt, ist nicht mehr die Frage. Die Frage ist, wie man damit umgeht, wie man sie gestaltet. Migration fragt nicht danach, ob die Deutschen ihr Grundgesetz geändert haben und womöglich noch einmal ändern wollen. Sie fragt nicht danach, ob die EU-Staaten sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention hinausschleichen. Die Migration ist da und der Migrationsdruck wird ein ganz grosses Thema dieses Jahrhunderts sein. Und das Schicksal zweier Kontinente wird sich darin entscheiden, ob der europäischen Politik etwas anderes einfällt als Abriegelung und Mobilmachung gegen Flüchtlinge.

Seit 1992, seit den „Londoner Entschliessungen“ zur Ablehnung von Asylanträgen hat sich EU-Konferenz um EU-Konferenz mit den Bauplänen für die Festung Europa befasst; das Projekt lief immer unter dem Namen „Harmonisierung des Asylrechts“.  Nun, bei der bevorstehenden EU-Ratssitzung in ein paar Tagen, sollen die Pläne fertiggestellt werden. Es sind keine guten Pläne. Es gibt eine Formel, die eine Schlüsselformel für gute, für bessere Pläne sein könnte: „Asyl ist für Menschen, die uns brauchen. Einwanderung ist für die Menschen, die wir brauchen.“ Es ist dies, es wäre dies der Grundgedanke für eine gute europäische Migrationspolitik. Es braucht eine respektierte Autorität, die sie propagiert.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Grenzpatrouille an der Anlage

Abgelegt unter Europa, Flucht und Zuwanderung, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Die bunte Linke

Erstellt von Redaktion am 10. Juni 2023

Zu Ramstein, Lafontaine und DIE „LINKE“ imBund und Saarland

Ein Kommentar von Wolfgang Gerecht,

Die Bewegungs-Linken und Regierungs-Sozialisten im Partei-Vorstand mit den beiden Vorsitzenden weigern sich schon seit der BTW vom 26.09.2021 eine Analyse der verheerenden Wahlniederlage zu erstellen. An der Spitze der Verweigerer, die Spitzen-Kandidatin Frau Wißler, die damals als Wahlziel 10% angegeben hat.

Wir alle wissen, es wurden klägliche 4,9%. Die aktuellen Umfragewerte pendeln seitdem zwischen 5% und 4%.

Herr Schirdewan schwadroniert mit einer „Beschwerde“ über Frau Wagenknecht, dass deren Verhalten eine „Respektlosigkeit“ gegenüber den Mitgliedern sei, die sich täglich für deren Inhalte einsetzten.

Ein sich „tägliches Einsetzen für n e b u l ö s e „Inhalte“ ist ein Mißbrauch des Vertrauens von „gutgläubigen“ Mitgliedern. Dass die Partei unter Vorsitz von Wißler und den Thüringern Hennig-Wellsow und Schirdewan sage und schreibe, 6.467 Mitglieder in nur e i n e m Jahr (2022) verloren hat, davon ist von Herrn Schirdewan n i c h t s zu hören.

„Respektlosigkeit“ gegenüber den Mitgliedern kann sich der „Bewegungsorientierte und Mit-Regierende“ Partei-Vorstand wirklich auf seine „Fahne“ schreiben.

Auch auf dem Internet-Blog „Demokratisch-Links“ der vorwiegend von wirklichen und vermeintlichen „echten“ Linken aus dem Saarland besucht und kommentiert wird, gibt es nichts Wichtigeres in der saarländische (kleinen) Welt, als sich an Frau Wagenknecht und deren Herrn Lafontaine abzuarbeiten.

Der geplante Auftritt von Herrn Lafontaine am 24.06.2023 in Ramstein (www.stoppramstein.de) wird sogar von dem saarländischen Bundestagsabgeordneten, Herrn Lutze, mit 10 von ihm gespendeten Frei (Fahr) Karten gefördert. Das bedeutet, dass Herr Lutze, einen diesbezüglichen übergeordneten politischen Blick für das Anliegen, welches in Ramstein öffentlich vertreten wird, hat.

Er steht sicherlich außer jedem Verdacht ein (persönlicher) Anhänger von Herrn Lafontaine zu sein. Also, was soll das „Gemecker“ der „Kritiker Innen“ über den OLAF-Auftritt in Ramstein?

Fotos von Mitfahrer Innen an den Saarland-Haltestellen zu machen und die Anregung „Tomaten zu sammeln“ zeigt das politische Niveau dieser Kommentatoren und nebenbei derer (demokratischen) Charakter-Eigenschaften. Das sich ständig wiederholende Meckern über Frau Wagenknecht und deren angeblich NRW (BTW)-Wahlergebnis, führt doch auch nicht weiter.

Sinnvoller für die selbsternannten „echten“ LINKEN im DL-Saarland wäre es doch, den geschäftsführenden LAVO mit Frau Spaniol an der
Spitze und ihren weiblichen Mitstreiter Innen, Neumann, Ensch-Engel, Geißinger und den Herren Mannschatz, Bierth und Neumann tatkräftig vor Ort zu unterstützen, um die Zeit bis zur bevorstehenden Kommunalwahl im Jahr 2024 konstruktiv für ein gutes Ergebnis zu nutzen.

Ausweislich der vielen Fotos mit den entsprechenden Erläuterungen auf https://dielinkesaar.de/index.php?id=Blog zeigt doch die umfangreiche und ständige Aktivität der saarländischen Parteiführung
in Sachen Präsenz in der „Öffentlichkeit“, bei den Wahlberechtigten.

Bleibt noch anzumerken, dass auch die Vorsitzende der SAAR-LINKEN selbst über „ihren“ Kreisverband Saar-Pfalz für „Stopp Ramstein“ für die Busmitfahrt mobilisiert. Ein vorbildliches Verhalten für eine konkrete „Bündnis-Politik“, indem sich DIE „LINKE“ Saarpfalz mit „attac“-Gruppe „Untere Saar“ zusammentut.

https://www.merkur.de/politik/moegliche-wagenknecht-partei-so-reagiert-die-linke-zr-92323097.html
Mögliche Wagenknecht-Partei? So reagiert die Linke.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —    Foto: Martin Heinlein

Abgelegt unter Berlin, Medien, P. DIE LINKE, Überregional | 1 Kommentar »

Kolumne-Fernsicht-Japan

Erstellt von Redaktion am 10. Juni 2023

Die Abtreibungspille in Japan ist nur ein Teilerfolg

Vogelbeobachtung (8618362879).jpg

Von  : Priyanka Borpujari

Welches Land ist wirklich fortschrittlich, wenn es darum geht, Frauen zu erlauben, über ihren eigenen Körper zu entscheiden? Dass ich hier von „erlauben“ spreche, sagt ja schon alles:

In Japan wurde nun, nach jahrzehntelangen Kampagnen, jetzt ein Medikament zugelassen, das den Abbruch einer Schwangerschaft in frühem Stadium herbeiführt. Japan ist eines der wirtschaftlich fortgeschrittensten Länder der Erde. Wenn es um sichere Methoden zur Beendigung einer Schwangerschaft geht, hinkt es aber ziemlich hinterher. Bisher sind dort nur Abtreibungen mittels gynäkologischem Eingriff erlaubt, und das auch nur, wenn der Ehemann oder Partner zustimmt.

Die USA drohen ja schon länger mit dem Streit um das Medikament Mifepriston weiter in viktorianische Verhältnisse zurückzudriften. Und auch in Japan können die Pillen mit Mifepriston und Misoprostol erst nach einer ärztlichen Konsultation erworben und eingenommen werden, sie kosten umgerechnet 570 Euro. Ein gynäkologischer Eingriff kostet mindestens ebenso viel. Und, wenig überraschend, die Krankenkasse in Japan übernimmt die Kosten nicht.

Doch selbst bis hierher war es ein mühsamer Weg: 12.000 Stellungnahmen wurden online gesammelt, bevor das Gesundheitsministerium aktiv wurde. Und auch jetzt ist noch nicht klar, ab wann die Abtreibungspille verfügbar sein wird. Das japanische Gesetz zu Schwangerschaften verlangt, dass der Partner einer Abtreibung zustimmen muss, es sei denn, er ist unbekannt oder kann seine Haltung nicht mitteilen. Das gilt auch bei einem medikamentösen Abbruch. Selbst unverheiratete Frauen müssen die Zustimmung eines Mannes vorweisen – so patriarchal ist die japanische Gesellschaft geprägt.

In Japan fordern viele auch einen besseren Zugang zu einer Verhütung durch die „Pille danach“. Vor ihrer Verabreichung ist bisher die Zustimmung eines Arztes nötig, und sie muss vor den Augen eines Apothekers eingenommen werden.

Es gibt bis heute kaum ein Land, in dem nicht versucht wird, Kontrolle über die Körper von Frauen und ihre Reproduktionsfähigkeit auszuüben. In Irland, wo ich lebe, wurden Schwangerschaftsabbrüche erst vor fünf Jahren gesetzlich zugelassen. Protestiert wird aber weiter: Weil sie nur bis 12 Wochen nach der Empfängnis erlaubt sind. Außerdem müssen drei Tage zwischen der Genehmigung durch einen Arzt und dem Eingriff selbst verstreichen. Im Notfall müssen Frauen für eine Abtreibung weiterhin per Flugzeug in ein anderes Land reisen.

Andererseits ist in Indien, dem Land meiner Geburt, Abtreibung bis zur 20. Schwangerschaftswoche erlaubt, was unter besonderen Umständen bis zur 24. Woche verlängert werden kann. Doch noch ist nicht dafür gesorgt, dass alle Frauen ausreichend über Wege und Mittel informiert sind, um eine Schwangerschaft abbrechen zu können.

Quelle         :         TAZ-online           >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

Abgelegt unter Asien, Kultur, Opposition, Positionen | Keine Kommentare »

Kleinlaute Ratlosigkeit

Erstellt von Redaktion am 9. Juni 2023

Beim Kirchentag darf die Nakba-Ausstellung nicht gezeigt werden.

Ein Debattenbeitrag von Wolfgang Benz

Aber nicht jeder Zweifel an der israelischen Besatzungspolitik ist antisemitisch. Die Weigerung, Probleme zu benennen, schafft sie nicht aus der Welt, sondern verstetigt sie, statt sie zu lösen.

Eine Zensur findet nicht statt – dieser Satz steht im Grundgesetz, der die Meinungsfreiheit aller Bürger garantiert. Zensur als staatliche Maßnahme, mit der Inhalt, politische Tendenz, gesellschaftliche Konformität geprüft und dann genehmigt oder verboten werden, gibt es tatsächlich nicht. Ein anderer Brauch bürgert sich jedoch stattdessen ein. Zu charakterisieren wäre er als stillschweigende Behinderung oder Unterbindung unerwünschter Debatten aus Konfliktscheu, aus kleinlauter Ratlosigkeit, aus Realitätsverweigerung oder Feigheit. Die Probleme existieren weiter, die Weigerung, sie zu erkennen und zu benennen, schafft sie nicht aus der Welt, sondern verstetigt sie, statt sie zu lösen oder auch nur zu verstehen.

Nun wurde die sogenannte Nakba-Ausstellung vom Bannstrahl der Verantwortungsträger des derzeit laufenden Evangelischen Kirchentags in Nürnberg als Maßnahme vorauseilenden Missionseifers getroffen. Die Organisatoren der Ausstellung dürfen zwar wie bisher ihren Stand auf dem „Markt der Möglichkeiten“ errichten, aber mit der ausdrücklichen Auflage, die Ausstellung nicht zu zeigen.

Die Nakba-Ausstellung, konzipiert vom Verein „Flüchtlingskinder im Libanon e. V.“, kuratiert und organisiert von Ingrid Rumpf, gefördert vom Evangelischen Entwicklungsdienst e. V. und der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg, wurde begrüßt und gelobt von Wissenschaftlern und Sachkundigen. In Deutschland geriet die Ausstellung ins Visier obrigkeitlichen Argwohns, nachdem sie eineinhalb Jahrzehnte lang gefördert worden war. Denunziert wurde sie schon lange zuvor von jenen, die mit viel Emotion unterwegs sind, um vermeintliches Unheil durch Zensur – nein: durch Unterbinden der Diskussion über das Problem – zu verhindern.

Das Wort Nakba (Zerstörung, Unglück, Katastrophe) umschreibt die Erfahrung des Heimatverlustes palästinensischer Familien anlässlich der Staatsgründung Israels 1948. Flucht und Vertreibung waren am Ende des Zweiten Weltkriegs auch ein deutsches Thema. Integration war von den Besatzungsmächten geboten und in beiden deutschen Staaten in erstaunlich kurzer Zeit erreicht.

Den Flüchtlingen und Vertriebenen aus Palästina war ein ärgeres Schicksal beschieden: Der Unterschied besteht darin, dass ein großer Teil der mehr als 700.000 Palästinenser, die in der Nakba ihre Heimat verloren, zum Generationen dauernden Lagerleben verurteilt war. Sie werden als Faustpfand und Drohpotenzial gegen Israel missbraucht, wo ihre Forderung nach Rückkehr zu Recht Furcht und Schrecken verbreitet. Den Palästinensern, die durch die Gründung Israels ihre Heimat verloren, wird 75 Jahre später immer noch das Minimum, die trauernde Erinnerung daran, verweigert. An die Nakba zu erinnern bedeutet, sich in Konfliktzonen zu begeben. Aus unterschiedlichen Gründen ist sie in Israel nicht Bestandteil der Erinnerungspolitik und in Deutschland wenn nicht völlig unbekannt, dann als vermutete Parteinahme für Palästina und Affront gegen Israel stigmatisiert. Das erfahren auch die wenigen, die über den historischen Sachverhalt informieren wollen, auf Schritt und Tritt.

Waren es nicht immer die fanatischen Religionsführer und Politiker dieser Welt, welche von Beginn der Menschheit an für die Kriege zeichneten ? Wenn der Verstand im Nebulösen verschwindet versagt die Humanität.

Die Ausstellung ist notwendig als Denkanstoß, und sie ist entgegen kleinmütiger Anfeindung seit 2008 mit Erfolg unterwegs. Bald erreicht sie die 200. Station. Auf dem Ökumenischen Kirchentag in München (2010), den Evangelischen Kirchentagen in Hamburg (2013), Stuttgart (2015), Berlin (2017), Dortmund (2019) wurde sie gezeigt. Sie stand in Straßburg im Europaparlament und in Genf im Haus der Vereinten Nationen.

Nicht jeder Zweifel am Ziel Jahrzehnte währender Besatzungspolitik, nicht jeder Hinweis auf das Völkerrecht, nicht jede Kritik an politischen Aktivitäten des Staates Israel ist Ausdruck judenfeindlicher Gesinnung oder eines rabiaten Antisemitismus. Angriffe aus dem besetzten Gebiet gegen israelische Bürger finden bei keinem vernünftigen Menschen Beifall, und judenfeindliche Hassparolen auf Palästinenserdemonstrationen in Deutschland sind abscheulich und unerträglich. Aber Mitleid mit dem Schicksal palästinensischer Kinder ist nicht gleichbedeutend mit Liebesentzug für den Staat, in dem Juden eine sichere Heimat haben sollen. Solidarität mit Israel ist schon aus Scham über die deutsche Schuld selbstverständliche deutsche Staatsräson.

Ignorieren und verhindern, dass auch über anderes Leid als das der Juden gesprochen wird, so der Publizist Micha Brumlik, birgt die Gefahr, dass israelbezogener Antisemitismus, der Aufklärung entzogen, „erst recht verstärkt wird: indem man dem Kirchentag und seinen auch jüdischen Teilnehmern nun leicht vorwerfen kann, die Wahrheit zu verschweigen.“

Quelle      :            TAZ-online         >>>>>      weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —       The war of Independence. Arab People fleeing from their galilee villages as israeli troops approach (30/10/1948). תושבים ערבים במנוסה מכפרם לאחר הכניסה של הכוחות הישראלים לשטח

Abgelegt unter Bücher, Debatte, International, Nah-Ost, Regierung, Religionen | Keine Kommentare »

Netz: PROGRESSIVE LINKE

Erstellt von Redaktion am 9. Juni 2023

Krise der Partei DIE LINKE gemeinsam überwinden

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Netzwerk Progressive LINKE

Start der Unterschriftensammlung:  2 Anträge an den Bundesparteitag der Partei – DIE LINKE

Gestern, am 07.06.2023, hat das Netzwerk PROGRESSIVE LINKE für Mitglieder der Partei – DIE LINKE –  eine Unterschriftensammlung für zwei Anträge an den Bundesparteitag im November 2023 gestartet. Diese Anträge wurden am 03.06.2023 auf einem Treffen des Netzwerks Progressive Linke von ca. 50 Mitgliedern der Partei einstimmig beschlossen, unter ihnen waren neben Mitgliedern aus der Parteibasis auch Landesprecher:innen, Bundes- und Landtagsabgeordnete.

Beide Anträge (siehe Anlage) thematisieren kritisch die aktuelle Lage der Partei und fordern Parteivorstand, Bundestagsfraktion und Landesverbände auf, ihrer existenziellen Krise energisch entgegenzutreten.

Es ist geplant, die Unterschriften bis zum Ende der Antragsfrist des Bundesparteitages zu sammeln und sie dann entsprechend der Geschäftsordnung in die Tagesordnung einzubringen.

Wir sagen: Eine Überwindung der tiefen Krise der Partei ist noch immer möglich. Es geht uns nicht um neue Formelkompromisse zur Überdeckung vorhandener Gegensätze, es geht um Klarheit für den künftigen Weg der Partei. Neben den beiden hier genannten Anträgen wird das Netzwerk der Partei wie auch der Öffentlichkeit weitere inhaltliche Angebote u.a. zur Sozial- und Europapolitik unterbreiten.

Berlin, 8. Juni 2023

https://www.progressive-linke.org/

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —    Foto: DIE LINKE NRW / Irina Neszeri

Abgelegt unter Deutschland_DE, Medien, P. DIE LINKE, Positionen | 1 Kommentar »

Flimmern + Rauschen

Erstellt von Redaktion am 9. Juni 2023

Die Öffentlich-Rechtlichen machen sich plötzlich locker

Eine Kolumne von Steffen Grimberg

Die Plüschmaus patrouillierte über die Digitalmesse re:publica. Ansonsten waren die Öffentlich-Rechtlichen aber offen für digitale Tranformation.

„Re:­pu­bli­ca 23: Weniger Katzenbilder, mehr Hiobs­botschaften“, titelte die Berliner Zeitung zum alljährlichen Hochamt der Digitalcommunity, das diese Woche über die Bühne ging. Das versprühte ein Gefühl von „Die fetten Jahre sind vorbei“. Gut, re:­pu­bli­ca-Mitgründer Markus Beckedahl gab in seiner Rede zur Lage der Digitalnation schonungslose Einblicke in die Abgründe eines der reichsten Länder.

Pro Jahr geht es digital gerade mal ein paar Meter Glasfaserkabel weiter. Dafür öffnet Deutschland zum „Ausgleich“ seinen geheimen Diensten fürs Datensaugen immer weiter Tür und Tor. Aber es gab auch beruhigende Nachrichten! ChatGPT kann Wörter raten, manchmal sogar mit Zusammenhang. Mehr aber nicht. Journalismus wird also nicht überflüssig, und ob bei dem ganzen Spaß wirklich wenigstens bessere Überschriften rauskommen, bleibt abzuwarten.

So richtig fett haben dafür endlich die Öffentlich-Rechtlichen die re:­pu­bli­ca für sich entdeckt. Also nicht nur Arte, die wegen der französischen Rechtslage digital eh schon immer mehr durften und praktisch von Anfang an dabei sind. Auch ARD und ZDF waren mit gut gemachten Ständen und vor allem eigenen Programmstrecken präsent. Und während frühere ARD-Vorsitzende als leichte Fremdkörper durch die Hallen geschleift wurden, kam Kai Gniffke im coolen schwarzen T-Shirt und sah überhaupt nicht nach ARD-Vorsitzendem aus.

Übung im Dialog führen

Was ja dringend in dem Laden mit seinen ganzen Anstalten, Arbeitsgruppen, Kommissionen, GSEAs (Gemeinsame Einrichtung ARD), neuen Kompetenzzentren und vor allem Befindlichkeiten dringend gebraucht wird, hat hier locker-flockig funktioniert. Es geht um einen unbürokratischen Dialog aller auf Augenhöhe.

Und das Führen dieses Dialogs muss nicht nur mit den ÖRR-Konsument*innen und Beitragszahlenden gelernt werden, sondern er findet offenbar auch intern immer noch viel zu wenig statt. „Na, dafür muss ja erst noch ein Konzept für internen Dia­log in der ARD-ZDF-Medienakademie entworfen und mit allen abgestimmt werden“, meint die Mitbewohnerin.

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Floaters caused by retinal detachments

Abgelegt unter Deutschland_DE, Kultur, Medien, Politik und Netz, Positionen | Keine Kommentare »

Technologieoffenheit FDP

Erstellt von Redaktion am 8. Juni 2023

Warten auf unrealistische Lösungen

undefined

Von Bernhard Pötter

In den Debatten über Heizung und E-Fuels blockiert die FDP. Ihr Argument: Technik und Markt würden das Problem lösen. Experten sehen das anders.

Die Liberalen können noch überraschen. „Es gibt keine blockierende FDP“, sagt der klimapolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Lukas Köhler, wenn man ihn auf die Debatte in der Ampelkoalition rund um Energie und Klimaschutz anspricht.

Die Liberalen sagen von sich, sie seien das Korrektiv für Marktwirtschaft und Technologieoffenheit in der Regierung, „Blockieren hieße, dass wir ohne Bedingungen sagen, es darf nichts kommen. Das machen wir nicht“, so Köhler. „Nach dieser abwegigen Logik müsste man daher auch immer, wenn die Grünen nicht zu hundert Prozent unsere Vorschläge teilen, sagen: Die Grünen blockieren ein Gesetz.“

Der allgemeine Eindruck ist derzeit ein anderer. Demnach sagen die Liberalen zu den Plänen des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck zur Energiewende konstant Njet, verzögern oder stellen unannehmbare Forderungen. Habeck ist beim Thema Heizungsgesetz inzwischen so geladen, dass er der FDP Wortbruch vorwirft. Was ist also dran an diesen verschiedenen Sichtweisen? Hat die FDP gute fachliche Argumente, die Grünen zu bremsen?

Es begann im Februar mit dem Streit über die E-Fuels: FDP-Verkehrsminister Volker Wissing legte sein Veto gegen eine EU-Regelung ein, die die Zulassung von Verbrennerautos nach 2035 untersagte. Parteifreund Köhler steht zu dem dann gefundenen Kompromiss. Er sagt: „Wir widersprechen der Prämisse, dass E-Fuels in der Zukunft global gesehen teuer und knapp sein werden. Jeder Versuch, die Zukunft der Märkte vorherzusagen, ist in der Vergangenheit gescheitert.“

Champagner der Energiewende

Im Prinzip, so Köhler, seien E-Fuels einfach herzustellen. Er kann sich andererseits „nicht vorstellen“, wie die weltweit 1,3 Milliarden Autos rechtzeitig für die Klimaziele des Pariser Abkommens von E-Autos ersetzt werden. Auch weil unklar sei, wo der ganze grüne Strom dafür herkommen soll.

Experten halten E-Fuels für den „Champagner der Energiewende“ – Köhler sagt: „Absoluter Quatsch!“ Dagegen zeigen Kalkulationen von Agora Verkehrswende, der Bundesregierung und der EU-Kommission, dass E-Fuels bisher drei- bis fünfmal so teuer wie E-Mobilität sind und dass E-Autos fünfmal so effizient die Energie einsetzen wie ­E-Fuels.

Gibt es sie, würden sie für die Industrie oder den Flugverkehr gebraucht, wo es keine E-Alternativen gibt, das sagt auch offiziell das FDP-geführte Forschungsministerium. Deshalb seien diese Treibstoffe knapp und teuer, jedenfalls bis Grünstrom im Übermaß vorhanden ist.

Wasserstoff nur die Ausnahme

Die FDP vertraut da auf den Markt: Der habe es auch geschafft, durch explodierende Nachfrage die Preise durch „Skaleneffekte“ massiv zu senken – beim Solarstrom etwa sind deshalb weltweit in den letzten Jahren die Preise um 80 Prozent gesunken. Aber selbst dann, so Wasserstoffexperte Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, blieben die Treibstoffe „auf absehbare Zeit knapp und vergleichsweise teuer. Eine Wette darauf, dass es anders kommt, als die Wissenschaft berechnet, ist keine robuste Strategie.“

Ähnlich bei dem Streit fossile Heizungen im „Gebäudeenergie-Gesetz“. Für Habecks Ministerium ist die Heizung auf Basis von grünem Strom über die Wärmepumpe die Regel, nur in Ausnahmefällen sollen Holzpellets oder grüner Wasserstoff zum Tragen kommen.

Die FDP aber sieht Wasserstoff nicht als knappes Gut, „bei der großen Nachfrage in den Industrieländern und der Zahlungsbereitschaft wird das Angebot in den nächsten Jahren massiv zunehmen“, ist sich Köhler sicher. „Das ist kein Hexenwerk“, er setze darauf, dass klimaneutraler Wasserstoff „sehr günstig werden wird“. Auch hier sieht allerdings das Forschungsministerium „bereits heute effizientere Alternativen“ beim Heizen als Wasserstoff.

Emissionen verschieben

Beispiel Tempolimit: Die FDP glaubt nicht, dass sich durch langsameres Fahren der Verkehr verringern oder verlagern würde. Eine Studie des Umweltbundesamts, die deutliche CO₂-Reduktion durch das Tempolimit im Straßenverkehr errechnete, konterte die FDP-Fraktion mit einer umstrittenen „Kurzstudie“. Auch Köhler hält eine Reihe der Annahmen aus der Studie für fragwürdig. Den Verdacht eines Gefälligkeitsgutachtens wies das Amt empört zurück.

Streitpunkt Klimaschutzgesetz (KSG): Die FDP hat erreicht, dass darin die scharfen Sektorziele aufgeweicht werden, nach denen die betroffenen Ressorts wie Verkehr und Gebäude jährlich CO₂-Minderungen nachweisen müssen. Weil das CO₂-Gesamtbudget aber sinkt, müssen andere Bereiche wie Industrie oder Kraftwerke mehr einsparen, wenn etwa der Verkehr seine Ziele nicht erreicht.

Nur Intelligenz geht in der Politik freiwillig ! Dummheit sitzt Probleme aus.

Wie soll das gehen? „Es gibt diese Flexibilitäten zwischen den Sektoren“, ist sich Köhler sicher. „In den letzten beiden Jahren haben wir die Klimaziele eingehalten, weil Industrie und Energie weniger emittiert haben als geplant. Wir verschieben die Emissionen ja jetzt schon: Mehr Elektroautos und mehr elektrische Wärmepumpen bewegen die Emissionen von Verkehr und Gebäuden hin zu den Kraftwerken.“ Diese aber unterliegen dem Emissionshandel – also müssten sie laut FDP wie geplant sinken.

Allerdings: Die Verschiebung der Emissionen durch E-Autos und Wärmepumpen (und dadurch deutlich sinkende Emissionen bei Verkehr und Gebäuden) ist derzeit in der Statistik noch kaum sichtbar. Auch hier geht die FDP eine Wette darauf ein, dass die Situation in der Zukunft besser ist, als es sich derzeit abzeichnet.

Der Glaube an die Kernfusion

Am deutlichsten wird diese Begeisterung für die Technik wohl beim Beispiel Kernfusion. Zum Erstaunen vieler Fachleute erklärte FDP-Bildungsministerin Martina Stark-Watzinger Ende 2022, sie hoffe auf Strom aus der Kernfusion in einem Zeitraum von „ich sag mal zehn Jahren, es kann auch etwas länger dauern“. Das widerspricht selbst den optimistischsten Planungen der Kernfusionsfans in der EU: Eine „kommerzielle Stromproduktion“, die zu den Klimaschutzzielen beitragen könne, sei „erst nach 2050 denkbar“, heißt es von der EU-Kommission, die das Projekt unterstützt.

Köhler verteidigt seine Parteifreundin Stark-Watzinger: „Als Liberale blicken wir optimistisch auf den technologischen Fortschritt. Und als liberale Forschungsministerin blickt sie daher genau mit diesem Optimismus auf die Schaffenskraft von Menschen und Unternehmen.“ Für ihn sind die Milliardensummen, die aus der Privatwirtschaft in den letzten Jahren in Start-ups zur Fusionstechnik fließen, ein Hinweis darauf, dass an der Kernfusion etwas dran ist. Als seien nicht schon früher Milliardensummen von Wagniskapital für technologische Blütenträume verbrannt worden.

Quelle        :           TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben       —   Zusammenbruch des Verkehrsflusses

Abgelegt unter Deutschland_DE, Kultur, P.FDP, Regierung | Keine Kommentare »

Eine neue Öko Klasse?

Erstellt von Redaktion am 8. Juni 2023

Militante Diplomatie, epistemische Gerechtigkeit und die Rechte der Natur

undefined

Quelle        :     Berliner Gazette

Von                  :       · 07.06.2023

Stürme und Fluten, die auf den Klimawandel zurückgehen, können als Ausdruck einer revoltierenden Natur gelesen werden – eines Widerstands gegen die Zurichtung durch den Kapitalismus, der die Klima- und Umweltkrisen verursacht und regelrechtproduziert. Die Natur als Subjekt anzuerkennen (was indigene Völker traditionsgemäß tun), bedeutet nicht zuletzt ihr auch einen eigenen Rechtsstatus zuzuweisen (was häufig als Erfindung der westlichen Umweltbewegung gefeiert wird). Eine neue ökologische Klasse könnte dann entstehen, wenn solche Widersprüche in den Kämpfen der Unterjochten produktiv werden, wie der Autor und Theatermacher Kevin Rittberger in seinem Beitrag zeigt.

Am Anfang von Bruno Latours und Nikolaj Schulz’ „Zur Entstehung einer ökologischen Klasse“ wird erklärt, was es mit dem Untertitel „Ein Memorandum“ auf sich hat. „Merkbuch, in dem man festhält, woran man sich erinnern will.“ Das Memorandum erschien kurz nach Latours Tod. Und ähnlich einem anderen großen Kritiker der Moderne, Günther Anders, hat auch Latours Spätwerk die Notwendigkeit einer radikalen Transformation unterstrichen. Die „politische Ökologie“, an der der Soziologe und Philosoph bis zuletzt gearbeitet hat, ist nämlich der „Name einer Kriegszone“ und es war unzweifelhaft, dass der u.a. durch „Carbon Bombs“ unter Beschuss stehende Planet unbedingt verteidigt werden muss.

Ein Memorandum ist auch noch etwas zweites, nämlich ein Schriftstück, das ein Diplomat einer Regierung zukommen lässt, um den Standpunkt seiner eigenen Regierung darzulegen. Nun ging es Latour nicht ausschließlich um die Regierbarkeit des Nur-Menschlichen. Latours Diplomat*innen reagieren auch auf den immensen Übersetzungsbedarf zwischen nicht-menschlichen und menschlichen Akteur*innen. Und so bleibt es auch nicht bei ästhetisierenden Vorschlägen, wie sie etwa in der zeitgenössischen Kunst im Umlauf sind (hier sei nur Una Chaudhuris „interspecies diplomacies in anthropocentric waters“ erwähnt).

Latour/Schulz suchen einer ökologischen Klasse in ihrer Entstehung dergestalt zur Seite zu stehen, dass sich die richtigen „politischen Hebel“ finden lassen – jenseits der „Modernisierungsfront“, wozu auch der um Ölheizungswechselfristen, Kohleausstieg vorziehende und Emissionshandel bemühte, grüne Kapitalismus dieser Tage zweifellos gerechnet werden muss. Deshalb, weil es Latour/Schulz ums Ganze geht und die Suche nach der ökologischen Klasse auch die nach einem „militärischen Ethos“ ist, ist die Denkschrift auch ein Manifest geworden. Der gemeinsame Nenner einer ökologischen Klasse bleibt zwar unklar, auch werden Fragen ihrer Organisation ausgespart, die abschließende Frage zielt jedoch ins Herz gegenwärtiger Debatten: „Worin besteht die affektivste und effektivste Ausrüstung für ökologische ‘Kriege‘?“ Und wie gelingt es jenen Diplomat*innen, den „Widersinn der Ökonomisierung“ in einen Widerstand gegen die Ökonomisierung zu übersetzen?

Handlungen im Verzug

Die Gegenwart des Klimaaktivismus ist die Gegenwart „diplomatischer Schlachten“. Klimaktionen müssen heute angesichts der Gefahren einer fortschreitenden Unbewohnbarkeit der Erde und voranschreitender Verarmung, angesichts von rapide wachsender Klimaflucht und Ressourcenkriegen zunächst für die von der real-existierenden kapitalistischen Gegenwart betäubten Ohren rechtsstaatlich organisierter demokratischer Staaten übersetzt werden. Wir leben in einer „globalen Gefahrengemeinschaft“ (Jens Kersten) und diplomatische Schlachten sind Schlachten in fluiden Übergangszonen des Rechts, in denen mehr und mehr unklar wird, welche nationalen, internationalen, bilateralen Rechtssysteme und Abkommen wann greifen, wie sie aneinander vorbei oder ineinander wirken, wie ihnen von Seiten der Politik Einhalt geboten werden kann, wann sie von klimaaktivistischen Handlungen, die immer schon als Handlungen im Verzug wirken, aber auch von sich häufenden klimakatastrophalen Ereignissen erschüttert und zur Neujustierung gezwungen werden.

Der mühsame Ausstieg aus der EU Energiecharta, der endlich möglich erscheint, zeigt etwa, dass die Politik allmählich reagiert. Wie Klaus Dörre dargelegt hat, ist die ökonomisch-ökologische Zangenkrise aber nach wie vor wirksam (Dörre, 2021). Das Beispiel RWE im Rheinischen Revier und LEAG in Ostdeutschland zeigt gerade, dass auch Betriebsräte und Arbeiter*innen an der Verlängerung der Kohleförderung interessiert sind. Und auch in der Automobilindustrie kann nicht davon ausgegangen werden, dass Arbeiter*innen die „neosozialistische Option“ (Dörre) ziehen werden. Das alte Kampflied „Alle Räder stehen still/ Wenn dein starker Arm es will“ ist nunmehr der Ruf der antikapitalistischen Klimabewegung und es ist noch nicht ausgemacht, wie die unteren Klassen der Lohnarbeitenden, Prekarisierten, Papierlosen und Geflüchteten darin einstimmen. Muss die ökologische Klasse auf Industriearbeiter*innen folglich weitestgehend verzichten, da die sozialdemokratischen Parteien ihr traditionelles Klientel nicht an rechtsextreme Parteien verlieren wollen? Können ökologische Klassenkämpfe sich von den alten, allzu häufig national eingehegten Klassenkompromissen emanzipieren?

Ein Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021 war für Klimaaktivist*innen eigentlich wegweisend. Hier wurde eine „intertemporale Freiheitssicherung“ benannt, die durch den Gesetzgeber gewährleistet sein muss. Das Urteil beinhaltete die Warnung, dass die Gegenwart die schiere Möglichkeit aufbraucht, dass künftige Gesellschaften überhaupt noch freiheitlich organisiert werden können. Jens Kersten, Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der LMU München, macht seit dem Urteil jedoch erhebliche Versäumnisse aus: „Wenn Klimaaktivist*innen nun protestieren, müsste der Verfassungsstaat als Rechtsstaat dies bei der Frage der rechtlichen Bewertung von Protestaktionen zumindest berücksichtigen. Dass er dies – bis auf ganz wenige Ausnahmefälle (AG Flensburg) – aber gerade nicht tut, zeigt wiederum, dass seitens der staatlichen Institutionen der Wille besteht, dass der Protest gegen die ökologische Entwicklung schlicht nicht in der Öffentlichkeit sichtbar sein soll.“

Zum Schaden kommt noch der Spott, wenn die Selbstjustiz wutentbrannter Autofahrer*innen mediale Akzeptanz und Legitimation erfährt. Zudem wird die aus dem Urteil ableitbare ultimative Handlungsnotwendigkeit täglich im Säurebad parteipolitischer Kompromisslogiken aufgelöst. Die Proteste von Klimaschützer*innen drohen kriminalisiert zu werden, während die Regierungsvernunft allzu pragmatisch ausfällt. Schließlich muss der UN-Generalsekretär einschreiten, um darauf hinzuweisen, dass Klimaaktivist*innen geschützt werden müssen. Aber dem gesamten politischen Zirkus fehlt der Kompass, den Latour/Schulz und vor ihnen schon viele Aktivist*innen des globalen Südens anders ausgerichtet haben: „Die Welt, von der man lebt, mit der zur Deckung zu bringen, in der man lebt.“

Juristische Waffengleichheit“

„Das ökologische Grundgesetz“ (Kersten, 2022) sieht in seiner gründlichen, revolutionär zu nennenden Überarbeitung des deutschen Grundgesetzes vor, den Anthropozentrismus zu bändigen. Rechtspersonen, zu denen bisher erwachsene Menschen, Kinder, aber auch Vereine und kapitalistische Unternehmen gerechnet wurden, sollen sich ihre Rechtssubjektivität künftig mit mehr-als-menschlichen Lebewesen und Ökosystemen teilen. Das oben erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts würde an die Legislative zurückgebunden und der Staat als alleiniger Beschützer der Natur um ein nunmehr pluraleres Feld an Rechtspersonen verstärkt, die ihre Rechte künftig selbst einklagen können sollen. Die neue Verfassung sähe vor, „juristische Waffengleichheit“ zwischen anthropozentrischen und ökozentrischen Interessen herzustellen.

Übersetzen müssen ökologische Diplomat*innen zunächst zwischen Menschen, denn Menschen sind angesichts der gewaltigen Zerstörung der „Bewohnbarkeitsbedingungen des Planeten“, so Latour/Schulz, „unvorbereitet, mittellos, übungslos“. Übersetzt werden müssen jedoch auch die Rechte der Mehr-als-Menschlichen, die in der Geschichte des Liberalismus, aber auch in der Geschichte des Marxismus wenig bedacht wurden (Fahim Amir, 2018). Latour/Schulz wählen Begriffe aus der marxistischen Denktradition als Übersetzungsbeschleuniger, versäumen es aber auch nicht, auf Mängel hinzuweisen: „Die Analyse in Begriffen der ökologischen Klasse bleibt materialistisch, aber sie muss sich anderen Phänomenen als der alleinigen Produktion und der alleinigen Reproduktion ausschließlich der Menschen zuwenden.“

Mit dem Atomkraft- und Fortschrittkritiker Günther Anders ließe sich ergänzen, dass die Aneignung der Produktionsmittel ohne den umfassenden Rückbau der Produktivkraft-Technologien nur Teil des Problems wäre, nicht aber Teil der Lösung (Christian Dries, 2023). Noch nie wurden kapitalistische Produktionsmittel von sozialistischen Regierungen in Kollektivbesitz genommen, um die Produktion zurückzufahren und den dafür notwendigen Exktraktivismus zu stoppen. Sylvia Winter hat im Rekurs auf marxistische Revolutionen klar gestellt, dass der eine, alle einigende Befreiungsschlag nicht mehr zu erhoffen ist:

„As many of us were to do for many years, including Marxist feminists, we would attempt to theoretically fit all our existentially experienced issues – in my case, that to which we give the name of race – onto the Procrustean bed of Marx’ mode of economic production paradigm (.)… The idea was that once this was done (an exploitation system transformed into a new socialist mode of production) everything else would follow – including our collective human emancipation from what is, for Marxism, merely our present law-likely generated superstructural relations of production! (…) This change was to automatically follow! It didn’t, of course.“ (Wynter, 2015)

Wie könnte folglich ein „verwilderter Marxismus“ (Amir) aussehen, der die Menschlichen und Mehr-als-Menschlichen als Teil der ökologischen Klasse gleichermaßen aktiviert? Wie könnte ein dekolonial motiviertes Verlernen westlich-moderner Epistemologien Diplomat*innen einer ökologischen Klasse damit betreuen, das eigene Wissen permanent zu hinterfragen, damit sich „problematische Dichotomien“ nicht wiederholen: „subject / object, observer / observed, nature / culture, male / female, materiality / discourse, matter / meaning, ontology / epistemology“ (Karen Barad, 2015).

Epistemologische Gerechtigkeit

Der Natur Rechtssubjektivität zu verleihen und Ökosystemen vor Gericht eine Stimme zuzuerkennen, würde bedeuten, dass Natur nicht mehr objektiviert und dem Schutz des Staates oder dem paternalistischen Greenwashing von Unternehmen überlassen würde. So könnten künftig auch hierzulande Wälder, Moore, Meere, Pilzsysteme, Ökosysteme usw. klagen – wie dies gegenwärtig besonders in Ecuador und Kolumbien Normalität geworden ist. In Kerstens Entwurf gibt es aber auch noch weitere Hebel: Ein veränderter Eigentumstitel etwa, der den Eigentumsinhalt neu bestimmt und die Kohle unter Lüzerath und dem Hambaches Forst ferner nicht mehr dem Eigentum von RWE zurechnen würde.

Der Diskurs um die Rechte der Natur am Beispiel Ecuador zeigt auch, was passiert, wenn der moderne, europäische Verfassungsstaat auf vormoderne, indigene Kosmologien trifft. Denn es geht auch um epistemologische Gerechtigkeit. Jeder Prozess beinhaltet die Möglichkeit der erneuten Aushandlung von anthropozentrischen und ökozentrischen Interessen und damit auch von westlichen und indigenen Wissenssystemen. Diese „Rechtshybridität“ erhält nun immer mehr Einzug auch in die innereuropäische Diskussion um die Rechte der Natur (Andreas Gutmann, 2021). Und „juristische Waffengleichheit“ bedeutet auch nicht, dass die Natur immer gewinnen wird. Denn, darauf hat bereits Walter Rodney in den 1970er Jahren hingewiesen, ganze Länder drohten um des Naturschutzes willen in „Tierschutz-Republiken“ umgewandelt zu werden: „Es wurden alle Anstrengungen unternommen, um Touristen anzulocken, die sich Tiere ansehen wollten, die einen höheren Stellenwert als die Menschen hatten“ (Rodney, 1972).

Damals wie heute kann weißer Ökozentrismus auch bedeuten, Indigene von ihrem Land zu vertreiben und „Schutzgebiete“ für Biodiversität einzurichten, wobei den Investor*innen des globalen Nordens allzu oft in neokolonialer Manier vorbehalten bleibt, die Einhegungen zu gestalten und innerhalb der Schutzgebiete doch noch Konzessionen für den Rohstoffabbau zu erwerben (Aby Sène-Harper, 2023). Naturschutzpolitik geht dann häufig auch mit einem repressiven Strafrechtssystem einher und korrumpiert damit die Idee der Rechte der Natur, die mit der Souveränität indigener und lokaler Gemeinschaften einhergehen muss. Die Rechte der Natur brauchen folglich auch die Anbindung an rechtlich geschützte Commons, die ihre Regeln weder vom Staat, noch von der Privatwirtschaft erhalten.

Die Skripte der gegenwärtigen diplomatischen Schlachten kommen Palimpsesten gleich: Unter den abgekratzten Schichten der gegenwärtigen Rechtssprechung, die dringend überarbeitet werden muss, wirkt ein älteres und gleichzeitig mit mehr Zukunft versehenes Zeitmaß, das mit Anthropozän nur unzureichend beschrieben werden kann. Ältere Epistemologien kommen zum Vorschein und greifen in neue onto-epistemologische Versuche, die westliche Moderne mit ihren Glaubenssätzen abzulösen (Denise Ferreira da Silva, 2022). Latours Frage „Warum versuchen wir nicht, eine freundlichere Kosmologie zu entwerfen und zwar durch unsere Praktiken?“ bleibt für die Entstehung einer pluralen ökologischen Klasse die entscheidende.

Anm.d.Red.: Der Autor dieses Beitrags führte im im Rahmen des BG-Schwerpunkts „After Extractivism“ ein Gespräch mit Fabian Flues.

Copyright | Creative Commons-Lizenz

Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Unported Lizenzvertrag lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte auf creativecommons.org oder schicken Sie einen Brief an Creative Commons, 171 Second Street, Suite 300, San Francisco, California 94105, USA.

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben       —       Überschwemmte Gebiete auf der linken Seite des Dnepr

Abgelegt unter International, Medien, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »

Ein patriotisches Bekenntnis

Erstellt von Redaktion am 8. Juni 2023

Der Beitrag von Kirche und Staatsreligion zur herrschenden Kriegsmoral

undefined

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von               :      Manfred Henleon

Anlässlich der Verleihung des Karlspreises 2023 an den ukrainischen Oberbefehlshaber und dem ihm unterstehenden ukrainischen Volk für seinen Opfergang im übergeordneten NATO-Interesse, sehen sich Kirche und herrschende Staatsreligion aufgefordert, auch ihrerseits einen unbedingt offensiv-konstruktiven Beitrag zur herrschenden Kriegsmoral und Kriegspropaganda zu leisten.

1. Ein patriotisches Bekenntnis

Dies gemäss kirchlich-religiöser Tradition in Form einer Predigt und in Gestalt eines kirchlichen Würdenträgers, eines Bischofs. Eines Bischofs, der „bewusst als Angehöriger meines Volkes…als Deutscher“1 spricht. Das patriotisch-parteiliche Bekenntnis von Kirche und etablierter Staatsreligion zur demokratisch herrschenden „weltlichen Obrigkeit“ und ihrer jeweiligen Staatsräson ist erstens verlangt und zweitens Grundlage der staatlich erlaubten und gebotenen Freiheit der religiösen Verkündung und Betätigung.

Drittens gebietet das religiöse Selbstverständnis von sich aus, dem Bösen und Sündhaften entgegen zu treten. Diesen drei Maximen entsprechend haben Vatikan, Kirche und Staatsreligion seit jeher, von einigen wenigen und insofern harmlosen Abweichlern abgesehen, jede Gewalttat und Schlächterei ihres irdischen Oberhirten und Herren befürwortet und den kirchlich-religiösen Segen einschliesslich der Sieges-Hoffnung für das eigene Allgemeinwohl erteilt: sei es durch affirmatives Schweigen oder gleich als offensiv-militantes Bekenntnis zur herrschenden Kriegsmoral. Die hat heute dieses Gesicht:

Mit dem Ukrainekrieg und der von ihm – angeblich sachzwangmässig – ausgelösten »Zeitenwende« hat sich in Kürze eine Kriegsmoral durchgesetzt, die die neuen Zeiten beinahe euphorisch als Beendigung der westlichen Agonie des Zauderns und Zögerns begrüsst. Militarisierung, erfolgreiche Kriegsführung, innere Feindbekämpfung und eine unverbrüchliche Partnerschaft mit den Freiheitskämpfern der Ukraine geben den Ton an und abweichende Meinungen werden immer weniger toleriert. (N.Wohlfahrt/J.Schillo,2023)2

Die kirchlich-religiöse Befürwortung der jeweils geltenden Kriegsmoral, Kriegspropaganda und eines geplanten oder laufenden Krieges ist zwar im Westen nichts Neues. Wie sich gegenwärtig das militant-gewaltbereite, religiöse deutsche Bekenntnis in seiner Predigt und Fürbitte für den Sieg über Russland unter Indienstnahme der ukrainischen Bevölkerung vorträgt und begründet, ist einer kurzen, näheren Betrachtung würdig.

2. Der Krieg als anthropologische Verharmlosung

Dass die demokratische Obrigkeit jederzeit gewaltbereites Subjekt und Veranstalter des Krieges und der damit angeordneten Gewalttat und Schlächterei mithilfe modernster Waffengattungen um des Kriegsziels und Sieges willen ist, ist ein unangenehmer Sachverhalt und wirft kein gutes Licht auf dieses zu jeglicher Gewaltanwendung bereite politische Subjekt. Dieser Sachverhalt bedarf einer grundsätzlichen Umdeutung und kirchlich-religiösen Ermahnung:

„die Gewalttätigkeit des Menschen hat ihren Ursprung nicht etwa in der Religion selbst, sondern im Herzen des Menschen. Gewalt entsteht immer zuerst in unserem eigenen Denken, Sinnen und Trachten.“

Entschuldigt und aus der Schusslinie genommen sind somit Religion und Staat: Erstere in neuerer Geschichte als Befürwortung und Seligsprechung staatlicher und kriegerischer Gewalt, Letzterer als Urheber und Autor der diversen Schlachtfelder und des Abschlachtens. Die „Gewalttätigkeit“, die in uns allen lauert, bricht sich einfach, grundlos und unberechenbar ab und zu Bahn und ergibt dies moralisch und menschlich-human nicht hinzunehmende Resultat:

Und wie der Krieg so alle Gewaltausbrüche Einzelner oder im Kollektiv spontan oder als organisierter Mob auf der Strasse oder in Hooligan-Fan-Gruppen im Sport oder in netzwerkartig organisierter Kriminalität.

Dergestalt die staatliche Gewaltbereitschaft zum Krieg und die demokratisch organisierten Kriege in eine anthropologische Natureigenschaft urmenschlicher Böswilligkeit verharmlost und entpolitisiert, ruft, sehnt sich nach einer überlegenen ordnenden Gewalt, die der böswilligen menschlichen Gewalt, dem „dauernden Drang zur Selbstgerechtigkeit, denn das ist die Quelle aller Gewalt im Herzen des Menschen: die isolierte Selbstbezogenheit“ Einhalt gebietet.

3. Gewalt und Krieg – Höhepunkt der abendländischen Zivilisation und Menschlichkeit

Gottlob, aber keineswegs zufällig, steht die Errettung der Menschlichkeit und Menschheit gegenüber ihrer eigenen böswilligen, anthropologisch verankerten Gewaltbereitschaft längst vor der Tür; und tritt als zivilisatorischer Höhepunkt dem urzeitlich-paläogenetischen Willen zur Gewaltbereitschaft entschieden gewaltbereit entgegen:

Jahrtausende unserer europäischen Geschichte hat es gebraucht, bis wir das strikte Gewaltmonopol des Staates erreicht hatten. Zu dieser zivilisatorischen Errungenschaft gehört es, dass ausschliesslich Polizeikräfte und das Militär Gewalt einsetzen dürfen, dies aber wiederum nur im Rahmen des Rechtsstaates zur Sicherung und Durchsetzung des Rechts im Inneren und zur Verteidigung der staatlichen Sicherheit nach aussen im Rahmen des Völkerrechts.

File:2022 Aachen, Centre Charlemagne (53).jpg

Die als offensiv-konstruktiver Beitrag zur herrschenden Kriegsmoral und Kriegspropaganda vorgetragene Predigt und Fürbitte seitens der Kirche und Staatsreligion feiert die deutsch-europäische und westliche staatliche Gewalt mit ihren Kriegen als eine „zivilisatorische Errungenschaft“, die „wir“, als der europäische, also der vorbildlichste Teil der Menschheit, „uns“ gegeben haben. Die Rechtfertigung und Lobpreisung dieser „zivilisatorischen Errungenschaft“ machen andererseits einige Auslassungen in der historischen Erinnerungsarbeit notwendig: Kriegsführung nach dem Prinzip Shock and Awe („Angst und Entsetzen“), hie und da ein kleiner Wort- und Völkerrechtsbruch, hie und da ein Krieg auch ohne UN-Mandat, hie und da Erschaffung von und Kooperation mit Diktaturen, „Autokratien“ und ähnlichen „Werte-Partnern“, inklusive Folter und eigenen Foltergefängnissen, natürlich blacksites – und dergleichen mehr. Solche Erinnerungen vertragen sich nicht gut mit der herrschenden Kriegsmoral und Kriegspropaganda.

Und kommen sie doch zur Sprache so ist ausgemacht, dass sie der russischen Fehl- und Desinformation, Faktenfälschung, Putinversteherei und Putin-Parteinahme im ausschliesslich russisch geführten Informationskrieg entspringen. Gleichermassen und insbesondere gilt dies der 30-jährigen Vorgeschichte und gegenwärtigen Geschichte zum Krieg in der Ukraine: Vorgeschichte und gegenwärtige Geschichte sind öffentlich so zubereitet, dass die kriegsmoralisch und kriegspropagandistisch relevante Frage von Schuld und Bösartigkeit, von Unschuld und Gutwilligkeit, von Aggression und Verteidigung, von Täter und Opfer keine öffentliche Frage mehr ist. Die Rollenverteilung ist auch für Kirche und Staatsreligion geklärt, denn: „Es gilt das gesprochene Wort“.

Die auf diese Weise moralisch bereinigte westliche Gewaltbereitschaft und Gewalt ist nur gerecht: Im Krieg des Westens gegen die Russische Föderation mittels des ukrainischen Territoriums und der ukrainischen Bevölkerung erweisen sich kontinuierlich eskalierende Waffenlieferungen, die Aufherrschung eines gnadenlosen Stellungs-, Graben- und Zermürbungskrieges bis hin zur Hinterlassenschaft einer ruinierten, gegebenenfalls auch atomar verseuchten Ukraine3 als gerechter Krieg (bellum justum). Der erteilt seinen kriegsmoralischen Segen dem demokratisch ohnehin beschlossenen Krieg (jus ad bellum) gegen Russland einschliesslich der Beachtung des humanitären Rechts im Krieg (jus in bello). In dem zählt ausschliesslich der kompromisslose militärische und weltpolitische Sieg über Russland. Und da geht es um nichts Höheres als:

„Das weit verbreitete Wort ist wahr: Krieg ist eine Niederlage der Menschlichkeit.“

Und, wie bekannt, sind Kriege zur Verteidigung der Wahrheit, der Menschheit und der Menschlichkeit gegen das Unwahre und Unmenschliche die rücksichtslosesten und grausamst geführten Kriege. Dieser „zivilisatorischen Errungenschaft“ des Westens und der NATO nach sieht die Ukraine gegenwärtig aus.

In der kriegsmoralischen und kriegspropagandistisch öffentlich erzeugten Betrachtungsweise stellt die weltweit agierende, kriegsträchtige, NATO-bewaffnete europäische Friedensordnung die „Höhe der Zivilisationsgeschichte der Menschheit“ dar. Diese Friedensordnung hat es neben ihren in aller Handlungsfreiheit veranstalteten zahllosen Kriegen zur faktischen Eingemeindung der Ukraine in die NATO und in das Projekt der endgültigen Herabstufung oder Zerstörung Russlands mittels des Krieges in der Ukraine gebracht. Diese „grossen zivilisatorische Errungenschaft der Menschheit“ gilt es mit aller gebotenen Gewalt zu verteidigen. Will heissen, zu ihrem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

4. Das ukrainische Erfolgsmodell – zivilisatorisches Schutzschild gegen das Böse

Das westliche Angebot an die Ukraine, sich im Krieg gegen Russland zu bewähren und in diesem westlicherseits ihm angetragenen Überlebenskampf seine Staats- und Nationenwerdung als antirussischer NATO-Frontstaat zur Vollendung zu bringen, lässt sich die ukrainische Führung nicht zweimal sagen. Mittels Eingemeindung in EU und NATO sich einen rein ukrainischen Erfolgsweg zu eröffnen und sicherzustellen, um innerhalb uns ausserhalb der EU ein respektables aussenpolitisches Gewicht zu erlangen, ist längst ukrainische Staatsräson und geht konform mit dem westlichen Kriegsziel der Benutzung der Ukraine als Waffe zur weltpolitischen Zurückstufung oder definitiven Zerstörung Russlands. Dementsprechend herrscht Einigkeit in der Bestimmung des gegenwärtigen, realen Hauptfeindes – als Verkörperung des Aggressiven und Emanation des Bösen schlechthin: kriegsmoralisch, kriegspropagandistisch und kirchlich-religiös gewendet. In ukrainischen Worten:
Ukraine is now the wall that protects European civilization, so it is in the interests of Western partners to provide the Armed Forces of Ukraine with as many modern weapons as possible. We tell them [NATO] that even after the victory, Russia will not change immediately… This means that we are the eastern shield of European civilization that continues to defend European civilization. We are the wall, as the famous TV series [Game of Thrones] shows, on which we stand and hold the defense and will continue to do so.4

Kein Wunder also, dass sich die anthropologische Natureigenschaft urmenschlicher Böswilligkeit wie von selbst gegenwärtig in Russland Bahn bricht. Wie Zeitenwende und Kriegsmoral gebieten, offenbart sich, wie kann es anders sein, der „dauernden Drang zur Selbstgerechtigkeit…die isolierte Selbstbezogenheit..“ in Russland: „Das sage ich bewusst als Angehöriger meines Volkes.“ Dem so eindeutig identifizierten Bösen mit dem seiner Natur entsprechenden „verbrecherischen Angriffskrieg“ nicht entschlossen und mit aller Gewalt entgegenzutreten, bedeutete:

Ihn zu akzeptieren oder gar akzeptabel machen zu wollen durch beschwichtigendes oder wahrheitswidriges Appeasement, verletzt und verlässt die Höhe der Zivilisationsgeschichte Europas und der Europäischen Einigung.

5. Das Evangelium der Zeitenwende

„Das Geheimnis der Göttlichen Dreifaltigkeit“ in Form der bischöflich-religiöse Segnung, Feier und Verherrlichung westlicher „Gewalt als Mittel der Politik“ stellt klar, dass die demokratisch geläuterte Staatsreligion, „hier insbesondere die christliche“, keinesfalls „immer neu aus der Betrachtung der Heiligen Schrift“ als Quelle ihre geistliche Inspiration gewinnt. Vielmehr und ganz im Gleichklang mit seinem irdischen Herren, liefert das Gebot „Haltet Christus heilig in euren Herzen als euren einzigen Herrn!“ mit seinem kriegsmoralisch-patriotischen Bekenntnis einen konstruktiv-militant gemeinten Beitrag dazu, dem ukrainischen und NATO-Kriegsziel rückhaltlos zuzustimmen und jeglichen pazifistischen Anflug als „beschwichtigendes oder wahrheitswidriges Appeasement“ moralisch herabzusetzen und zu exkommunizieren.

Sosehr sich die etablierte Staatsreligion vorbehaltlos für „die Verbindung der Religion mit der Gewalt“ ausspricht hinsichtlich der heute gültigen, produktiven Arbeitsteilung „Nur der Staat trägt das Schwert, nicht aber die Religion!“; und in dem Sinn „Staat, Nation und Kirche eins werden“, sowenig kann davon die Rede sein: „Das Reich Christi ist nicht von dieser Welt.“ Mehr Weltgebundenheit des Reiches Christi in der gegenwärtigen Zeitenwende-Zivilisation, da Staat, Nation und Kirche einschliesslich der medialen Öffentlichkeit sich hinsichtlich des Hauptfeindes einig sind und „keine kritisch-konstruktive Distanz mehr zueinander wahren“, ist schwer vorstellbar.

Die exklusive Quelle auch der geistlich-religiösen Inspiration ist die weltpolitische Zurückstufung oder Zerstörung Russlands. Darin ist das Evangelium der Zeitenwende zusammengefasst. In dem Sinn das Gebet und die Fürbitte: „…möchte ich auch als Deutscher die Verleihung des Karlspreises an Präsident Selenskyj und an das ukrainische Volk heute ausdrücklich begrüssen!… Amen.“

Fussnoten:

1 Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser am Sechsten Sonntag der Osterzeit, 14. Mai 2023, in der Hohen Domkirche in Aachen, unter: https://www.karlspreis.de/Portals/0/pdf/Predigt-von-Bischof-Dr_-Helmut-Dieser-vor-Verleihung-des-Karlspreises-2023.pdf?ver=2023-05-15-170109-080; soweit nicht anders vermerkt entstammen alle folgenden Zitate dieser bischöflichen Predigt.

2 Norbert Wohlfahrt/Johannes Schillo Die deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch Lektionen in patriotischem Denken über »westliche Werte«, Berlin, 2023: 125.

3 Zumindest verseucht durch panzerbrechende, abgereichtere Uranmunition, die die USA und der NATO-Westen ab 1990 auf ihren diversen Kriegsschauplätzen zum Einsatz gebracht haben; und zwar: 1990/1991 im Golfkrieg gegen den Irak, 1992-1995 in Bosnien/Herzegowina, 1999 in Kosovo/Serbien/Montenegro, 2003 im Golfkrieg gegen den Irak, in Syrien ab 2011. vgl. dazu: https://www.truppendienst.com/themen/beitraege/artikel/uran-munition-sondermuell-auf-dem-gefechtsfeld Die britische Entscheidung, der Ukraine panzerbrechende DU-Munition zu liefern bereichert die Welt nebst einem Balkan- und Golfkriegsyndrom demnächst wohl um ein Ukrianesyndrom; vgl. dazu: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/krieg-britische-regierung-will-uranmunition-an-ukraine-liefern-trotz-gefahr-fuer-leben-und-gesundheit-li.337209; und: https://www.infosperber.ch/politik/welt/england-liefert-der-ukraine-munition-mit-abgereichertem-uran/

4 So der ehemalige ukrainische Verteidigungsminister Reznikow am 24.4.2023, unter: https://www.ukrinform.net/rubric-polytics/3702002-ukraine-is-shield-that-protects-european-civilization-reznikov.html; ssowie unter: https://twitter.com/ZentraleV/status/1612014109473521664

Quellen:

Norbert Wohlfahrt/Johannes Schillo, Die deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch Lektionen in patriotischem Denken über »westliche Werte«, Berlin, 2023 vgl. auch unter:

Internetquellen:

Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser am Sechsten Sonntag der Osterzeit, 14. Mai 2023, in der Hohen Domkirche in Aachen, unter: https://www.karlspreis.de/Portals/0/pdf/Predigt-von-Bischof-Dr_-Helmut-Dieser-vor-Verleihung-des-Karlspreises-2023.pdf?ver=2023-05-15-170109-080;

Berliner Zeitung, 19.4.2023: Uranmunition in der Ukraine – trotz Gefahr für Leben und Gesundheit? https://www.berliner-zeitung.de/open-source/krieg-britische-regierung-will-uranmunition-an-ukraine-liefern-trotz-gefahr-fuer-leben-und-gesundheit-li.337209; und: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/krieg-britische-regierung-will-uranmunition-an-ukraine-liefern-trotz-gefahr-fuer-leben-und-gesundheit-li.337209 Infospreber, 25.5.2023: England liefert der Ukraine Munition mit abgereichertem Uran https://www.infosperber.ch/politik/welt/england-liefert-der-ukraine-munition-mit-abgereichertem-uran/

Ehemaliger ukrainischer Verteidigungsminister Reznikow, 28.4.2023: https://www.ukrinform.net/rubric-polytics/3702002-ukraine-is-shield-that-protects-european-civilization-reznikov.html; sowie unter: https://twitter.com/ZentraleV/status/1612014109473521664https://www.ukrinform.net/rubric-polytics/3702002-ukraine-is-shield-that-protects-european-civilization-reznikov.html

Abgelegt unter Bayern, Opposition, Positionen, Religionen, Überregional | Keine Kommentare »

Blast from the Past

Erstellt von Redaktion am 8. Juni 2023

Vom SS-Schergen zum Fernsehstar

Die königliche Familie Juni 2013.JPG

Von Karina Urbach

Reinhard Spitzy war in den 1990er Jahren ein Zeitzeugenstar. In den 50ern kehrte der Ex-SS-Mann aus Südamerika nach Österreich zurück.

Der SS-Hauptsturmführer Reinhard Spitzy war in den 1990er Jahren ein Zeitzeugenstar. In deutschen und internationalen TV-Dokumentationen tauchte Spitzy (1912–2010) als gefragter Experte für alles Braune auf.

Seine Markenzeichen: österreichische Joppe, Charakterkopf und immer ein leicht spöttisches Lächeln im kantigen Gesicht. Wobei nie ganz klar war, wen er hier spöttisch anlächelte – den übereifrigen Interviewer, die faszinierten Zuschauer oder seine toten Opfer?

Spitzy war ein charmantes Monster, das mit animalisch sicherem Instinkt wusste, was das Publikum wollte. Über den „Anschluss“ seiner Heimat Österreich ans „Deutsche Reich“ verkündete er: „Ich war im sechsten Wagen hinter Hitler und hatte Tränen in den Augen.“ Und auf die Frage, warum die Nazis Juden hassten: „Jeder Anwalt war Jude.“

Natürlich kannte Spitzy auch die besten Herrenwitze über das „Flitscherl“ Eva Braun. Er war immer und überall dabei gewesen. Auf das Cover seiner Memoiren setzte er einen authentischen Schnappschuss vom Münchner Abkommen 1938, bei dem er zwischen Hitler und Chamberlain als neugieriges Groupie hervorlugt.

Amoralischer Influencer

Seine Erinnerungen und die Fernsehsendungen machten ihn zum amoralischsten Influencer der 1980er und 1990er Jahre. Seine Botschaft lautete: Demokratien boten keine Lösungen, ich wurde deshalb ein illegaler Nationalsozialist in Österreich. Es war alles eine große Hetz. Leider gab es halt auch ein paar Ausrutscher.

Der größte „Ausrutscher“ war in Spitzys Augen sein erster Chef, Außenminister Joachim von Ribbentrop. Ihm sympathischere Vorgesetzte fand er dann beim Reichssicherheitshauptamt. Walter Schellenberg entsandte ihn in die Spionagehochburg Spanien, wo er mit dem SD-Mann Prinz Max Egon zu Hohenlohe-Langenburg (1897–1968) ein Dream-Team bildete.

File:Bundesarchiv Bild 183-R69173, Münchener Abkommen, Staatschefs.jpg

Eine von Spitzys größten Begabungen war es, nach 1945 seine kriminellen Freunde zu Wohltätern der Menschheit zu stilisieren. Max Hohenlohe kam bei ihm besonders gut weg: „Gestützt auf seine Stellung, verzweigte internationale Verbindungen und finanzielle Unabhängigkeit, beschäftigte sich Max Hohenlohe gerne mit der Außenpolitik, wie dies seit dem Mittelalter in seiner Familie Tradition war.“

In Wirklichkeit hatte diese „Beschäftigung mit der Außenpolitik“ eine sehr finstere Seite. Generationen von Hohenlohes hatten als Fürstenberater gedient, und Max diente jetzt dem neuen Fürsten Hitler. Hinter den Kulissen agierte er besonders effektiv in der Sudetenkrise. Die Briten hielten ihn für ihren Vermittler und fanden später heraus, dass Hohenlohe aufgrund seines „verdeckten Einsatz für die Nazis“ mit dem Vorstandssitz des tschechischen Munitionsherstellers Škoda in Brünn belohnt worden war.

Nach Kriegsausbruch arbeitete Hohenlohe für Göring an Desinformationskampagnen, wechselte später zu Himmler, und am Ende versuchte er es auch noch bei den Amerikanern (die die Geldanlagen seiner schwerreichen mexikanischen Ehefrau verwalteten).

Als „innerer Widerständler“ ausgegeben

Spitzy bewunderte die Agilität seines hochadeligen Freundes und lernte viel von ihm. Gegen Kriegsende gab auch er sich als „innerer Widerständler“ aus, aber dummerweise stand er auf einer alliierten Fahndungsliste und musste untertauchen. Die katholische Kirche und sein Kumpel Hohenlohe halfen ihm 1946 aus dem Schlamassel: „Wir saßen gerade beim Pfarrer, zu Abend“, schrieb Spitzy in seinen Memoiren, „als ein Postbote ihm ein Telegramm von Max Hohenlohe aus Madrid brachte … Dies war der vereinbarte Code und hieß, ich müsse augenblicklich untertauchen.“

Spitzy bekam genug Geld zugesteckt, um die Adolf-Eichmann-Reiseroute nach Argentinien zu nehmen. Das Familienmotto Max Hohenlohes lautete „ex flammis orior“ (ich werde mich aus den Flammen erheben), und genau das schafften er und sein Freund Spitzy in den 1950er Jahren wieder.

Quelle        :         TAZ-online           >>>>>        weiterlesen 

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —    Die königliche Familie beobachtet das Vorbeifliegen, Trooping the Colour Juni 2013

Abgelegt unter Bücher, Deutschland_DE, Kriegspolitik, Kultur | Keine Kommentare »

Ohnmacht durch KI

Erstellt von Redaktion am 7. Juni 2023

Es geht um Grundfragen: Wer wollen wir sein?

Ein Schlagloch von Matthias Greffrath

Künstliche Intelligenz dürfte die Menschheit schneller verändern als die Entdeckung des Feuers. Während Kulturkritiker und Soziologen versuchen zu begreifen, was da geschieht, werden die Claims gesteckt.

Natürlich habe auch ich Chat-GPT ausprobiert. Am schönsten war es, als ich den Rhein eine Laudatio auf Heinrich Heine habe halten lassen: „In den Tiefen meiner Fluten formten sich seine Gedanken, seine Inspiration und seine künstlerische Leidenschaft. Ich hatte das Privileg, seine Wiege zu sein, seine musikalische Begleitung während seiner Jugendjahre entlang meiner Ufer … Aber Heine sah mich nicht nur als romantische Kulisse, sondern auch als Symbol für politische Macht und soziale Konflikte.“ Wow!

Die Freude an solchen unterhaltsamen Spielchen, mit denen man viel Zeit verdaddeln kann, verging mir, als ich das Video einer Sitzung des US-Senats ansah. Der Vorsitzende, Senator Richard Blumenthal, umriss in einer einleitenden, pointierten Rede einige der Probleme der künstlichen Intelligenz. Er tat es mit ruhiger Stimme – und mit geschlossenem Mund. Denn er hatte Chat-GPT um diese Einleitung gebeten, und die Stimme hatte das Computerprogramm aus dem Rohmateral früherer Senatssitzungen geklont.

„Stellen Sie sich vor“, sagte Blumenthal, „ich hätte das Programm gebeten, mit meiner Stimme die Kapitulation der Ukraine zu fordern oder Putin zu unterstützen …“ Seine Konsequenz: Wir sollten nicht noch einmal den Zeitpunkt für wirksame Kontrollen verpassen, wie bei Social Media. Und Sam Altman, der Erfinder von Chat-GPT, bat die Regierung um eine Agentur zur Regulierung der Technik.

Das zweite Erlebnis, nicht weniger spooky: der Auftritt von Sascha Lobo auf der OMR („Online Marketing Rockstars“)-Konferenz von 70.000 Influencern und Online-Marketeers in Hamburg. Auch Lobo konnte sich den Klon-Trick mit einem Grußwort von Olaf Scholz nicht verkneifen, aber dann war, eine halbe Stunde lang, seine gemäßigt hysterisierte Botschaft an die Gemeinde: Ihr wart die Pioniere der Social Media, ihr müsst jetzt die Entwicklung vorantreiben, KI in jeden Winkel bringen, damit „Deutschland auch noch in zwanzig Jahren ein reiches Land“ ist.

Jeder hat persönlichen KI-Influencer

Lobo mokierte sich über die Bedenkenträger, die mit den Fakes und Bots das Ende der Demokratie, gar der Zivilisation kommen sehen, und blickte in eine lichte Zukunft, in der jeder seinen persönlichen KI-Influencer hat, eine „Person“, die das Intervall zwischen Wunsch und Bestellung radikal verkürzen könnte. Die Chinesen seien uns weit voraus, auch weil sie „großartige, fantastische“ Datenmengen aus den privatesten Chatbots ihrer Bürger abgreifen können, was hierzulande „manche Menschen ein bisschen verstört“.

Plenarsaal

Hat nicht heute schon Jeder der hier sitzenden mehrt Influenz-er als Finger an den Händen ?

Und deshalb: Gehet raus und überzeugt die Menschen, das zu beschleunigen, was ihr gerade mal ein wenig und sie noch gar nicht verstehen. Die Versammlung der kapitalistischen Zukunftsfreunde; die Furcht von Politikern vor einer Entkernung demokratischer Verfahren; die Angst von Militärs vor dem automatisierten Drohnenkrieg; die Verschärfung von Wahn und Fake in den Social Media – all das füttert meine Ohnmachtsgefühle.

Und ich bin umgeben von Menschen, denen es auch so oder ähnlich geht, und das sind nicht nur Rentner. Viele, die sowohl mit der Technik wie mit den Regulierungsversuchen vertrauter sind als ich, sind überzeugt, dass die Schwelle, über die „wir“, die Menschheit also, in globaler Gleichzeitigkeit gehen, ungefähr die Größenordnung des Übergangs zur Alphabetisierung, wenn nicht gar zur Sesshaftigkeit hat, nur nicht so allmählich wie die Ausbreitung von Feuer, Schrift und Webstuhl.

Und während Kulturkritiker und Soziologen noch versuchen zu begreifen, was da geschieht, werden die Claims gesteckt: in der globalen Privatisierung der digitalen Infrastrukturen, im „Chip War“ zwischen den beiden Supermächten. Die KI-Revolution ist global, sie erfordert eine globale Kontrolle – der Satz ist wirkungsloser als die Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz. Europa humpelt hinterher, auch das ist ein Allgemeinplatz ohne Folgen. Belastbare Ahnungen vom Umfang kommender Arbeitslosigkeiten gibt es so wenig wie Ideen über ihre Kompensation.

Womöglich hilft Hölderlin

Politische Metaphysiker halten sich an Hölderlin: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Ja, es stimmt: Eine Bewirtschaftung der Erde für 10 Milliarden Menschen, die noch ein paar Schmetterlinge und Urwälder übrig lässt, werden wir nur mit viel KI hinkriegen, mit smarten Gesellschaften, mit kollektiver Verhaltenssteuerung durch jede Menge Apps auf jeder der Milliarden Smartphones und Smart Watches auf Erden. Rückwärts nimmer und vorwärts im Nebel; wenn’s gut geht, mit politischen und nicht nur profitorientierten Lotsen.

Quelle        :          TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —   Prompt: „1990s home movie footage of iridescent artificial intelligence carnival“ via Midjourney v4

Abgelegt unter Bundestag, Deutschland_DE, Kultur, Positionen | 1 Kommentar »

Der Mehrweg-Verhinderer:

Erstellt von Redaktion am 7. Juni 2023

McDonald’s’ EU-Lobbying

undefined

Quelle      :        INFOsperber CH.

Daniela Gschweng /   

Die EU sagt Einwegverpackungen den Kampf an. McDonald’s wehrt sich vehement – unter anderem mit einer fragwürdigen Studie.

Littering, Müllexporte, To-Go-Welle, Online-Bestellungen – das Problem hat viele Namen. Europa produziert zu viel Müll. Viel zu viel. Vor allem eine Sorte Müll ist stossend: Jeder Einwohner der EU verursacht pro Jahr 180 Kilogramm Verpackungsmüll.

Zwei Fünftel des in der EU verwendeten Plastiks und die Hälfte des verwendeten Papiers sind für Verpackungen vorgesehen. EU-Einwohner werfen jedes Jahr 14 Millionen Tonnen Plastikverpackungen weg.

Die EU auf dem langen Weg zum Mehrweg

Die EU versucht seit Jahren, diesen Müll durch Recycling und Kreislaufwirtschaft zu reduzieren. Seit Januar 2023 gilt beispielsweise in Deutschland die Mehrwegpflicht: Jedes Restaurant, das To-Go-Lebensmittel anbietet, muss auch Mehrwegverpackungen anbieten. Die Einführung läuft zwar harzig, aber immerhin. Bisher wird gegen Verstösse kaum durchgegriffen.

Ab 2030 will die Europäische Union Einwegverpackungen in Restaurants und Cafés verbieten und den Anteil der Mehrweg-Lösungen im Take-Away auf 10 Prozent erhöhen.

Die umfangreichste Lobbyarbeit, die jemals im EU-Parlament beobachtet wurde

Das klingt nicht nach einer bahnbrechenden Umwälzung. Dennoch stösst das Gesetzesvorhaben bei den Anbietern auf heftigen Widerstand. Besonders vehement wehrt sich die Fast-Food-Kette McDonald’s.

McDonald’s produziert weltweit eine Million Tonnen Verpackungsmüll pro Jahr. Nach einer Recherche des Umweltmediums «DeSmog» betreibt das Unternehmen die umfangreichste Lobbyarbeit, die jemals im Europäischen Parlament beobachtet wurde, um das Gesetz zu verhindern oder seine Einführung hinauszuzögern.

So beschreibt es Jean-Pierre Schweitzer, stellvertretender Politikmanager für Kreislaufwirtschaft beim Europäischen Umweltbüro (EEB). Gegenüber «DeSmog» bezeichnet er das Gesetz als das «am stärksten lobbyierte Dossier, das viele Menschen im [EU-]Parlament je erlebt haben».

Zusammen mit einer Reihe von Verpackungsherstellern und Handelsverbänden wandte sich die Fast-Food-Kette Ende April schriftlich an die europäischen Entscheidungsträger. Die Gruppe forderte, den Gesetzgebungsprozess für wiederverwendbare Verpackungen in Europa zu pausieren.

Die Forderung folgte dem zunehmendem Druck aus der Branche im vergangenen Jahr. Seit Juni 2022 hätten McDonald’s und andere einschlägige Interessengruppen drei Studien finanziert, zwei Websites eingerichtet und mehrere Artikel gesponsert, zählt «DeSmog» auf. Das Gesetzesvorhaben wird darin mit der Behauptung angegriffen, es würde die europäischen Netto-Null-Ziele untergraben.

Was es mit der Kearney-Studie auf sich hat

Einer im Februar 2023 veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung Kearney, die McDonald’s finanziert hatte, folgte ein Lobbying-Sturm im EU-Parlament. Vertreter der Verpackungsindustrie trafen sich im Februar 177 Mal mit EU-Abgeordneten. Während des gesamten vorangegangenen Jahres habe es 112 Treffen gegeben.

Aktivisten und auch einige Akademiker beschuldigen McDonald’s, mit der Studie «No Silver Bullet» wissenschaftlich zweifelhafte Fakten zu veröffentlichen.

Die Zahl, die angeblich alles ändert

Wie so oft geht es dabei um Details. Die Kearney-Studie nimmt an, dass Mehrweggeschirr drei Mal wiederverwendet wird. Kearney bezieht sich dabei auf «Pilot-Daten» von McDonald’s aus mehreren europäischen Ländern. Eine bei weitem zu pessimistische Annahme, sagen die Kritisierenden. Eine im März veröffentlichte Studie in den USA kam zu dem Ergebnis, dass sich die Klimaschädlichkeit eines Behälters um über 50 Prozent reduziert, wenn dieser 20 Mal verwendet wird statt nur einmal.

Ebenfalls im März 2023 finanzierte McDonald’s einen Sponsored-Content-Artikel in «Politico EU». In diesem behauptet der Konzern ebenfalls, dass «Mehrwegverpackungen kontraproduktiv für die Ziele des Green Deal sind». Im bekannten Brussels Playbook-Newsletter des gleichen Mediums wird McDonald’s zitiert mit «Die Treibhausgasemissionen würden um bis zu 50 Prozent beim Essen im Restaurant und um 260 Prozent im Take-Away steigen, wenn Europa auf Mehrwegverpackungen umsteigen würde.»

Die Europäische Kommission geht im Gegenteil davon aus, dass das geplante Mehrweggesetz den CO2-Ausstoss bis 2030 um 23 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren kann. Die Kommission schätzt ausserdem, dass das neue Verpackungsgesetz die Kosten für Umweltschäden bis 2030 um 6,4 Milliarden Euro senken und zu Einsparungen von über 45 Milliarden Euro führen könnte.

undefined

Judith Hilton, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Verpackungs-Recycling an der Universität Portsmouth, sagt zu «DeSmog»: «Die grössten Emissionen entstehen bei der Gewinnung und Produktion [von Plastikverpackungen aus Rohstoffen]. Alles, was in diesem Bereich reduziert wird, wird einen gewaltigen Unterschied in Bezug auf Emissionen, Toxizität und Schäden für die lokale Bevölkerung machen.»

Warum die Branche keine wiederverwendbaren Verpackungen will

Bleibt die Frage, warum sich McDonald’s und andere Fast-Food-Ketten mit so grossem Aufwand gegen ein Gesetz wehren, das mit 10 Prozent Mehrweg-Anteil im Take-Away binnen sieben Jahren nicht einmal besonders ambitioniert ist.

Dass McDonald’s und andere Fast-Food-Riesen wandlungsfähig sind, haben sie mehrmals bewiesen. Machte der Burgerbrater einst Werbung für sein Rindfleisch, gibt es inzwischen McPlant-Patties und -Nuggets, Holzlöffel und Pappstrohhalme. Die einst in Styropor-Verpackungen erhältlichen Burger kommen mittlerweile in einer beschichteten Pappbox. Wobei auch die Beschichtung problematisch ist, weil sie potenziell gesundheitsgefährdende Chemikalien enthält (Infosperber berichtete).

Die Kearney-Studie warnt davor, dass die Umstellung auf Mehrweg-Geschirr zwischen 2 und 20 Milliarden Euro an Anfangsinvestitionen kosten könnte. Allein in Deutschland machte McDonalds im vergangenen Jahr geschätzte 4,2 Milliarden Euro Umsatz.

«In vielen Fällen verkaufen Unternehmen die Verpackung und nicht den Inhalt.»

Judith Hilton, Spezialistin für Verpackungs-Recycling, Universität Portsmouth

Die Rücklaufquote von Mehrwegverpackungen lässt sich erhöhen, wenn alle Restaurants dieselbe Verpackung verwenden. Das haben andere Verpackungsformen und -modelle wie das deutsche Dosenpfand gezeigt.

Standardisierung geht allerdings zu Lasten eines individuellen Markenauftritts. Bei sonst grösstenteils austauschbaren Produkten ist die Verpackung ein wichtiger Werbeträger. «In vielen Fällen verkaufen die Unternehmen die Verpackungen und nicht den Inhalt», sagt die Verpackungsspezialistin Hilton. Hamburger von Burger King würden dann schlimmstenfalls gleich verpackt wie solche des Konkurrenten McDonald’s. Oder noch schlimmer: Ein Kunde käme mit einer Burger-King-Schachtel vorbei, um sich einen Big Mac abzuholen.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —   Filiale in Zell am See

Abgelegt unter Europa, Kriminelles, Medien, Positionen | 1 Kommentar »

Poetical – Correctness

Erstellt von Redaktion am 7. Juni 2023

Die Politik pflegt AfD – Wählende wie eine Schafherde

Kolumne von Lin Hierse

Es geht wieder los. Deshalb schreibe ich jetzt etwas Ähnliches wie vor vier Wochen. Es ist wieder zu lesen, dass man schockiert ist von 18 Prozent.

Dass Po­pu­lis­t*in­nen eben von Krisen profitieren, weil sie falsche Versprechungen machen, weil sie Sündenböcke finden, ohne Rücksicht auf lebensbedrohliche Verluste, weil sie vermeintlich einfache Antworten hinhalten in ihren ausgestreckten Händen auf irgendwelchen Kleinstadtmarktplätzen, um die sich seit Jahren niemand schert.

Es sind jetzt wieder die anderen Schuld, die „schwache und beständig streitende Regierung“, so Friedrich Merz. Seine Partei hingegen habe mit der AfD „nichts zu tun“. Als hätte er nie von „kleinen Paschas“ gesprochen, als hätte die CDU keine Vornamen abfragen wollen, als hätte der Bautzener Landrat keinem AfD-Antrag zugestimmt, als setze man Rechtsextremismus nicht regelmäßig mit Linksextremismus gleich, als forderte man nicht mehr Flaggen und Nationalhymnen, als hätte man nichts am Hut mit einem Altkanzler, der weder nach Mölln noch nach Solingen fuhr.

„Wir haben mit diesen Leuten nichts zu tun“, ist leicht behauptet. Aber dieses Land hat mit diesen Leuten alles zu tun. Das deutsche Naziproblem, die anhaltende Rechtsweitoffenheit, wird hier hausgemacht, nicht nur von Konservativen. Die Große Koalition hat ein Heimatministerium gegründet, die Grünen haben die Offenlegung der NSU-Akten blockiert, ein FDPler hat sich in Thüringen mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Und für die wachsende soziale Ungleichheit sind alle Parteien verantwortlich.

Es macht die Sache nicht besser, dass rund zwei Drittel der 18 Prozent sagen, sie würden nicht aus Überzeugung AfD wählen, sondern aus Enttäuschung über die anderen Parteien. Ich bin auch oft enttäuscht. Aber Rechtsradikale wählt nur, wer ihre Agenda unterstützt, wer sie gefährlich unterschätzt oder glaubt, sich gar nicht erst informieren zu müssen. Das könnten Po­li­ti­ke­r*in­nen häufiger in Kameras sagen, auch wenn es nur verbale Grenzen zieht.

Quelle         :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben       —         Binnen-i-radfahrerinnen   Straßenschild „Ende der Bus- und Fahrradstrecke“ Schlagworte: Politische Korrektheit, Binnen-I Ort: Linz, Österreich Datum: 2005-01-15

Unten       —     AfD-Bundestagsfraktion, während einer Plenarsitzung im Bundestag am 11. April 2019 in Berlin.

Abgelegt unter Berlin, Feuilleton, P.AfD, Positionen, Überregional | Keine Kommentare »

Die große Kränkung

Erstellt von Redaktion am 6. Juni 2023

Den Mut, für die Pflege mehr Geld zu fordern, wird die Ampel in dieser Legislatur wohl nicht mehr haben

Krankenschwester Haeuslich0.jpg

Ein Debattenbeitrag von Barbara Dribbusch

In der Pflege erleben wir die Grenzen der Solidarität im Sozialstaat. Das Pflegerisiko wird individualisiert. Wer betroffen ist, muss improvisieren.

Die Überschriften sagen schon einiges: „Pflege-Reform schrumpft Löhne und Renten“, titelte die Zeitung B. Z., und die Bild warnte: „Lauterbachs Pflegeplan: So schrumpft IHR Gehalt ab Juli“. Die Titel bezogen sich auf das kürzlich verabschiedete sogenannte Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG). Damit werden die Beiträge zur Pflegeversicherung erhöht, um ein paar Verbesserungen zu finanzieren und dem steigenden Finanzbedarf in der Pflege Rechnung zu tragen.

Die Beitragserhöhung beträgt 0,35 Prozentpunkte vom Bruttolohn, gestaffelt nach der Kinderzahl, beziehungweise 0,6 Prozentpunkte mehr für Kinderlose. Wobei Ar­beit­neh­me­r und Arbeitgeber davon jeweils die Hälfte zahlen. Dass solche Erhöhungen schon den öffentlichen Unmut anstacheln, zeigt, wie es um die Pflege steht: Die solidarische Absicherung des Pflegerisikos kippt.

Die Pflege entwickelt sich in einer Gesellschaft der Langlebigen zum schwarzen Loch im Sozialstaat. Es gibt von der Sozialversicherung oder vom Staat immer zu wenig Geld für die Betroffenen und die Pflegekräfte. Die Erhöhungen für Pflegeleistungen um 5 Prozent im ersten und 4,5 Prozent im zweiten Jahr durch das PUEG, nach vielen Jahren der Stagnation, decken nicht mal die Inflation ab. Aber die Einzahlungsbereitschaft der Bür­ge­r:in­nen für die Pflegekasse ist eben auch sehr begrenzt und die Ar­beit­ge­be­r:in­nen klagen über die steigenden Sozialversicherungsbeiträge. Würde von den Steu­er­zah­le­r:in­nen auch noch eine Art „Pflege-Soli“ eingefordert, wäre das Gejammer groß.

Stattdessen wurde das Pflegerisiko schon in den letzten Jahren still und leise zunehmend privatisiert. Die Eigenanteile beim Pflegeheimaufenthalt liegen inzwischen im Schnitt bei 2.400 Euro im Monat. Wer die ambulanten Dienste der Sozialstationen in Anspruch nimmt, muss ebenfalls mehr aus eigener Tasche zuzahlen. Von Pa­tientenschutzorganisationen, wie der Biva, hört man, dass es in den Pflegehaushalten zu Unterversorgungen kommt. Das liegt am Personalmangel bei den ambulanten Diensten, aber eben auch am fehlenden Geld der Betroffenen für die Eigenanteile. Sie wollen im Alter nicht zum Sozialamt gehen, um dort „Hilfe zur Pflege“ zu beantragen.

In den sozialen Netzwerken der Pflegekräfte liest man Debatten, ob und wie die sogenannte „Doppel Inko“, also das hautschädigende Übereinanderziehen von zwei Windeln bei Inkontinenz, in Ordnung ist, wenn es der Hochbetagte selbst so wünscht, um Anfahrten und Kosten für die Pflegedienste zu sparen. Das menschenwürdige „Ausscheidungsmanagement“ (heißt wirklich so) ist eine der größten Herausforderungen für den Sozialstaat.

Die drei von der Ampel ?

Dabei kann es jeden treffen. JedeR dritte 80- bis 85-Jährige wird pflegebedürftig, jeder Siebte in dieser Altersgruppe wird dement. Wir haben nicht die lebenslange Kontrolle über Körper und Verstand. Diese Kränkung muss man akzeptieren.

Angesichts der Pflegemisere kann man natürlich versuchen, Schuldige zu benennen: Die Politik ist schuld, der Gesundheitsminister, der Finanzminister, die Pflegeheimbetreiber! Diese Schuldzuweisungen mögen zum Teil ihre Berechtigung haben, aber sie lösen das Problem nicht. In einer Gesellschaft der Langlebigen ist das Thema Pflege zu groß, um es mal eben mit einer Reform bewältigen zu können. Demografisch bedingt gibt es mehr Pflegebedürftige und weniger Pflegekräfte, das verschärft den Mangel.

Wir werden mit Unzulänglichkeiten, mit einem gewissen Mangel leben müssen, wir werden mehr improvisieren und uns von Regeln verabschieden müssen. In den Heimen zeichnet sich ab, dass man mehr mit Hilfskräften arbeitet. Mehr Assistenzkräfte in Heimen schlägt auch die sogenannte Rothgang-Studie vor, Taktgeber für die künftige Personalbemessung. Einige Pflegehilfskräfte werden vielleicht nicht besonders gut Deutsch sprechen können, man wird deren Sprachunterricht mehr auf den konkreten Bedarf in der Alltagspflege ausrichten müssen.

Pflegebedürftige aus der Mittelschicht werden mehr Geld von ihrem Vermögen, von ihren Immobilien für die Pflege aufwenden müssen, auch wenn das neue Pflegegesetz die Zuschüsse zu Heimaufenthalten aus der Sozialkasse etwas verbessert.

In den Haushalten wird die Pflege individueller gestaltet werden. Manche Ba­by­boo­me­r:in­nen können ein Lied davon singen, wie die Betreuung für die bedürftigen Eltern zusammengestückelt wird aus Hilfe durch die Kinder, Schwarzarbeit, womöglich halblegaler osteuropäischer Pflegehilfskraft und dem Personal der Sozialstationen.

Quelle      :         TAZ-online            >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —     Schwester Janine aus Gelsenkirchen.

Abgelegt unter Berlin, Debatte, Gesundheitspolitik, Kultur, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Als Akt der Erniedrigung

Erstellt von Redaktion am 6. Juni 2023

Wehrbeauftragte will Musterung zurück

Sehen – Messen – Fühlen – Das war so zu Kaisers Zeiten und auch unter König Adolf –
Alles ganz Deutsch eben.

Von   :   Gereon Asmuth

Eva Högl will die Musterung zurück, um Nachwuchs für die Bundeswehr zu gewinnen. Da stellt sich die Frage: Hamse überhaupt gedient, Frau Högl.

Das Ende war dann wirklich ein Witz. Die Fahne hinter den drei Typen in Uniform – obwohl, trugen die wirklich alle Uniform? Ich weiß es nicht mehr so genau –, jedenfalls dieser schwarz-rot-goldene Stoff da an der fahlgrünen Wand hatte tatsächlich: einen Flicken. Rechts unten im güldenen Bereich war das Hoheitssymbol der Bundesrepublik offensichtlich mal eingerissen gewesen. Und ich konnte die Augen nicht abwenden.

Nicht als der eine der drei fragte, ob ich wirklich meinen gerade erst gestellten Antrag auf Kriegsdienstverweigerung aufrechterhalten wollte. Nicht als er mir mitteilte, dass ich „T4“ sei, also zurückgestellt für ein Jahr, erstmal wegen einer Schraube im Fuß (Sport ist Mord, Sportunterricht ist Mordunterricht – aber das nur am Rande). Und auch nicht, als ich dann gehen durfte.

Diese Erinnerungen an meine erste Musterung Mitte der 80er Jahre kommen plötzlich wieder hoch. Denn Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Bundestags, hat vorgeschlagen, dieses einst prägende Event wieder als Erlebnisstation für alle jungen Erwachsenen zu etablieren.

Weil die Bundeswehr Schwierigkeiten hat, junge Menschen für die Truppe zu begeistern, würde sie gern „einen gesamten Jahrgang junger Leute für die Bundeswehr zur Musterung einladen.“ Nicht nur die Jungs, auch die Mädels. Und die als geeignet Eingestuften sollten sich dann anschließend dafür entscheiden können, ob sie zum Bund wollen. Oder sich anderswo engagieren.

„Hamse überhaupt gedient, Frau Högl!“

Bei Högl angebracht wär angesichts ihres Mustervorschlags der Klassiker aller blöden Fragen, den man dereinst als junger Mann immer wieder von alten, häufig versoffenen, in jedem Fall verbraucht wirkenden „echten“ Männern zu hören bekam. „Hamse überhaupt gedient!“ Ja, mit Ausrufezeichen am Ende, nicht mit Fragezeichen. Denn es war keine Frage, es war ein Runtermachen im Befehlston.

Aber zurück zum Thema. „Hamse überhaupt gedient, Frau Högl!“

Offensichtlich nicht. Denn sonst wäre Eva Högl ja auch mal gemustert worden und dann wüsste die Wehrbeauftragte, dass es nichts Dümmeres gibt, als zu versuchen, junge Menschen per Musterung für den Dienst an der Waffe … äh, an der Gemeinschaft zu begeistern.

Die Musterung, so wie sie nahezu alle 18-Jährigen bis zur Abschaffung der Wehrpflicht im Jahr 2011 erleben mussten, hatte nichts Aufbauendes, Begeisterndes. Im Gegenteil. Sie war eine reine Fleischbeschau. Ist der Mann groß genug? Zu groß? Zu klein? Zu dick? Zu dünn? Hat er genügend Finger für den Abzug? Hat er zwei Augen zum Zielen? Zwei Füße zum Marschieren? Zwei Ohren zum Befehlebefolgen?

Es ging dabei aber keineswegs um die tatsächliche Eignung. Stark Kurzsichtige wie ich galten zum Beispiel locker auch für eine Ausbildung zum Scharfschützen als qualifiziert. Man hatte – offensichtlich mangels Masse – die Tauglichkeitskriterien so weit runtergeschraubt, bis die Quoten wieder stimmten. Wäre ich tatsächlich im Schützengraben gelandet und hätte in der Hektik meine Brille verloren, hätte ich aus Selbstschutzgründen jeden erschießen müssen, der sich mir nähert. Egal ob Feind oder Kamerad. Zum Glück für die Bundeswehr hab ich dann aber Zivildienst geleistet.

Zum probeweisen Panzerfahren verpflichten

Vor allem ginge es bei der Musterung nicht um den Charakter. Wo käme man auch hin, wenn Charakter beim Militär eine Rolle spielte? Es spielte keine Rolle, ob jemand was im Kopf hat. Es zählte nur der Körper. Und seine Klassifizierung.

Hose runter, nach vorne bücken und dann fummelt irgend so ein Bundeswehrarsch in deinem Po rum. Es war ein Akt der Erniedrigung der gerade aufstrebenden Jugend.

Quelle     :         TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     „Gruss von der Musterung“. Postkarte aus dem Verlag A. Franz, Leipzig

Abgelegt unter Deutschland_DE, Feuilleton, Kriegspolitik, P.SPD, Positionen | Keine Kommentare »

Zerrissene Pässe

Erstellt von Redaktion am 5. Juni 2023

Afrobeat: – Warlords in Sudan

Sunset Khartoum.jpg

Kolumne von Dominic Johnson

In Sudan zerlegen mächtige Warlords ihr Land wie in Somalia vor über dreißig Jahren. Von internationaler Seite werden Fehler von damals wiederholt.

 Afrikas neuere Geschichte kennt ein immer wiederkehrendes Bild: Jubelnde Rebellen ziehen siegreich in eine erobere Hauptstadt ein. Gewehrfeuer rattert, nichts funktioniert, aber in den Augen der Kämpfer blitzt Stolz über diesen kurzen Moment der Anarchie, in dem alles Bestehende und Bedrückende verdampft und alle Möglichkeiten einer lichten Zukunft offen erscheinen.

Begleitet wird das manchmal von einem nicht minder vertrauten Phänomen: das weiße Ausland packt panisch die Koffer und flieht. Villen werden verriegelt, ausländische Vertretungen geschlossen, Flaggen eingeholt, Dokumente verbrannt, Flugzeuge bestiegen. Für die fliehenden Weißen ist ihr vertrautes Gastland plötzlich fremd.

Als 1990 und 1991 kurz nacheinander Liberia und Somalia in den Sog von Bürgerkrieg und Diktatorensturz gerieten, gab es in den beiden Hauptstädten Monrovia und Mogadischu beide Phänomene. Mit den Militäroperationen „Sharp Edge“ und „Eastern Exit“ holten US-Marines Ausländer außer Landes. Liberianische und somalische Rebellenvertreter malten derweil mit leuchtenden Augen Bilder einer besseren Zukunft, ganz losgelöst vom Chaos auf der Straße.

Der britische Kriegsreporter Aidan Hartley schildert in seinen Memoiren „The Zanzibar Chest“ eindrücklich die Januartage 1991 in Mogadischu, als junge Kämpfer mit Kalaschnikows ihren Staat abräumten. Einmal meint er knöchelhoch durch trockenes Laub zu laufen – es sind Geldscheine, die Rebellen jubelnd aus der Zentralbank auf die Straße kübeln. Auf anderen Straßen lagen derweil verwesende Leichen.

Sinnbild eines gescheiterten Staates

Rebellenchef Ali Mahdi, der damals als Präsident in die „Villa Somalia“ einzog, ist tot. Ebenso sein Widersacher Farah Aidid, der damals erst Siad Barre jagte und dann die Macht verlangte, worauf ein neuer Krieg folgte, den nicht einmal eine US-Militärintervention beenden konnte. So wurde Somalia zum Sinnbild eines gescheiterten Staates.

International werden Generäle zu Gesprächspartnern erklärt. Plötzlich sind sie Todesbringer. Das waren sie vorher schon

Den einzigen funktionierenden Staat errichtete damals die „Somali National Movement“ (SNM), die für die Wiederherstellung des ehemaligen Britisch-Somalilands als eigener Staat kämpfte. Ihre per Volksabstimmung bestätigte „Republik Somaliland“ wird bis heute von kaum einem Land der Welt anerkannt. In Mogadischu ist Somaliland nicht Partei, also zählt es international nicht.

Dauerkrieg um eine Hauptstadt erlebt heute Sudan. Wie einst die Kriege um Mogadischu, Tripoli und Monrovia wird auch der Krieg um Khartum ohne jede Rücksicht auf die Menschen ausgetragen. Aber nicht Rebellen verwüsten die Hauptstadt, sondern der Staat selbst: Staats- und Armeechef Abdelfattah al-Burhan kämpft gegen seinen bisherigen Stellvertreter und Chef der paramilitärischen RSF (Rapid Support Forces), Hamdan Daglo Hametti. Es gab zwar zuvor einen Diktatorensturz – aber nicht Rebellen setzten 2019 Omar Hassan al-Bashir ab, sondern das eigene Militär. Nun kämpfen die Generäle um die Macht. Und während Khartum brennt, holten noch im April westliche Interventionskräfte, auch aus Deutschland, ihre Landsleute aus Sudan und schlossen ihre Botschaften.

undefined

Bevor Somalia 1991 in Flammen aufging, wäre es möglich gewesen, mit zivilen Kräften eine Neugründung des Staatswesens zu diskutieren und einen Ausweg aus dem Krieg zu entwickeln. Damals war die Welt aber gerade mit dem US-Golfkrieg zur Befreiung des von Irak besetzten Kuwait abgelenkt. Man ignorierte Somalia und als es zu spät war, drängte man Mogadischus Warlords zu Friedensprozessen, die sie nie ernst nahmen.

2023 geht Sudan in Flammen auf, und auch heute ist die Welt abgelenkt, diesmal von Russlands Krieg in der Ukraine. Es wäre auch in Sudan möglich gewesen, mit den zivilen Kräften des Landes eine demokratische Neuordnung auf den Weg zu bringen. Stattdessen wurden international Generäle zu Gesprächspartnern erklärt. Plötzlich sind sie Todesbringer. Das waren sie vorher schon, aber nur für Sudanesen, also zählte das international nicht.

Es gibt ein besonders bedrückendes Bild aus jenen Tagen im April: Weiße Kinder in Sommerkleidung zerreißen Dokumente und stopfen die Fetzen in einen schwarzen Müllsack. Eines der Dokumente, das ist deutlich zu sehen, ist ein Reisepass der Republik Sudan. In einer Plastikschale liegen weitere. Ein Kind reißt gerade aus einem die Seiten heraus. Der Müllbeutel ist bereits gut gefüllt. Die Szene spielt auf dem Gelände der französischen Botschaft in Khartum kurz vor der Evakuierung.

Jeder zerrissene Pass ein Todesurteil

Es handelt sich um Pässe, die Sudanesen für einen Visumsantrag eingereicht hatten. Die Franzosen flogen aus. Die Pässe in ihrer Obhut durften sie nicht zurücklassen. Sie nahmen sie aber auch nicht mit. Sie vernichteten sie. Konkret durften die Kinder des entsandten Botschaftspersonals sie zerreißen – die perfekte Lektion für europäische Diplomatenzöglinge über Respekt.

Quelle        :        TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Sunset in Khartoum, Sudan

Abgelegt unter Afrika, Kriegspolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Die Letzte Generation

Erstellt von Redaktion am 5. Juni 2023

Als ein Lehrstück zum Umgang mit Kritikern

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von                 :          Suitbert Cechura

Kritik mundtot machen – dafür braucht es keine Autokratie, das kann jeder Rechtsstaat.

Dass in anderen Staaten Kritiker der Regierung schikaniert werden, ist regelmäßig Thema der hiesigen Öffentlichkeit: nämlich als Ausweis der mangelnden Rechtsstaatlichkeit anderswo, wenn nicht gar der vollendeten Gewaltherrschaft, die bekanntlich bei den Autokraten zuhause ist. Dabei zielt die Beweisführung immer auf Staaten, die sich deutschen Anliegen verschließen und ihre Interessen „gegen uns“ geltend machen. Jetzt hat der deutsche Staat aber einmal mehr gezeigt, dass er im Umgang mit Kritikern nicht weniger zimperlich ist:

„Bei Tagesanbruch am Mittwoch haben bayrische Strafermittler eine riesige Ausforschungsaktion gestartet, einen Lausch-, Späh- und Wühlangriff mit bundesweiten Ausmaßen. Sie haben Wohnungen aufbrechen lassen, sie haben mit Taschenlampen ins Privateste hineinleuchten lassen, in Schlafzimmer, in Schränke, und sie haben den Menschen, die da im Pyjama vor ihnen standen, zu verstehen gegeben, dass in ihre Privatsphäre eingedrungen wurde und Telefongespräche womöglich mitgehört und abgespeichert wurden.“ (Ronen Steinke, SZ 25.5.2023)

Gegen die Gruppe Letzte Generation werden jetzt alle Register staatlicher Einschüchterung und Terrorisierung aufgefahren, wobei abgeklärte Journalisten gleich erkennen, dass hier mit ungewöhnlicher Robustheit und einer Strapazierung rechtsstaatlicher Regeln ein Exempel statuiert werden soll: „Es ist eine Ermittlungsaktion, die so brachial ist, dass ihre Unverhältnismäßigkeit ins Auge sticht.“ (Steinke, SZ)

Da fragt sich doch glatt, in welchem Verhältnis denn staatliche Gewalt im Umgang mit Kritikern stehen darf, so dass auch Vertreter der Mainstream-Medien aus der Abteilung liberale Bedenkenträger zufrieden sind.

Harmloser Protest?

Von professionellen Kommentatoren wird gerne auf die Harmlosigkeit der Kritik verwiesen, die von der Gruppe Letzte Generation kommt. Sie mahne doch bloß die Einhaltung der Vereinbarungen und Absichtserklärungen der Politiker an, die im Pariser Abkommen eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad beschlossen und in vielen Erklärungen einen Zeitplan verkündet haben, in dessen Rahmen der CO2-Ausstoß reduziert und fossile Brennstoffe ersetzt werden sollen.

Die Kritik der Letzten Generation entzündet sich also an dem Missverhältnis zwischen offiziellen Versprechen und den realen Taten. Worauf die Kritik stößt, ist also nichts Ungewöhnliches. Politiker kennen eben viele wichtige Ziele neben dem Kampf gegen den Klimawandel, so dass sich die Bestrebungen in Sachen Klimaschutz an anderen Aufgaben zu relativieren haben. So verlangt gerade der Wirtschaftskrieg mit Russland, dass zur Versorgung der deutschen Wirtschaft mit billigem Strom der Braunkohleabbau weiter betrieben und die Braunkohlekraftwerke hochgefahren werden, womit sich der CO2-Ausstoß wieder erhöht.

Die konkreten Maßnahmen, die im Bund oder im Land NRW gerade von der grünen Ökopartei mitgetragen, ja forciert werden, machen gleichzeitig deutlich, wie Klimaschutz, den ja alle anstreben, von Seiten der Regierenden verstanden wird. Die Maßnahmen sollen Deutschland bei der Energieversorgung durch Windkraft und Sonnenenergie von anderen Ländern unabhängig und die eigene Wirtschaft zu einem maßgeblichen Exporteur der entsprechenden Technologien machen, so dass die anderen letztendlich in Abhängigkeit geraten. Dieses Ziel bzw. die dazu erforderlichen Umrüstungs- und Transformations-Maßnahmen erscheinen vielen Kritikern – nicht nur in der Letzten Generation – als eine einzige Inkonsequenz in Sachen Klimaschutz.

Insofern sind diejenigen, die der Politik der regierenden Parteien ihre früheren Versprechungen vorhalten und auf deren unbedingte Einlösung drängen, einerseits naiv. Denn sie glauben wirklich, dass es der Politik umstandslos um die Rettung des Planeten ginge und nicht um die Stärkung Deutschlands in der Welt. Und sie liefern einen nicht zu unterschätzenden Vertrauensbeweis für Scholz, Habeck und Co. ab. Andrerseits ist diese Sorte Kritik für die Regierenden lästig, hält sie ihnen doch immer wieder ihre eigenen hehren Ziele vor und untergräbt so den Glauben an ihre Tatkraft und Entschlossenheit. Damit – mit der Beschädigung des kostbarsten politischen Guts, der Glaubwürdigkeit – handeln sich die Kritiker die Gegnerschaft der Regierenden ein.

Die Reaktion der Parteien aller Couleur bis hin zu den Fridays for Future (die sich ja auch als Anwalt des Klimas verstehen) war eine Methodenkritik. Man teile zwar das Ziel der Klimarettung, wurde behauptet, aber die Methoden dieser Gruppe würden nicht dazu beitragen, Unterstützer für das wichtige Anliegen zu finden: „Ich verstehe das Anliegen, ich teile aber nicht die Aktionsform“ (Britta Haßelman, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, SZ, 24.5.2023).

Währenddessen erklärt der Kanzler die Gruppe für „völlig bekloppt“ (SZ, 24.5.2023), weil deren Aktionen den Klimaschutz nicht voranbringen würden. Eine Kritik, die sowohl heuchlerisch als auch verfehlt war und ist: Mit der Behauptung, die Methoden der Straßenblockaden und Schmieraktionen wären kontraproduktiv für die Werbung von Unterstützern für die gemeinsame Sache, die vorangebracht werden soll, wird unterstellt, was gerade nicht der Fall ist, dass es nämlich allen gleichermaßen um die Realisierung der Klimaschutzziele geht. Dabei machen doch die Regierenden gerade deutlich, dass sie andere Prioritäten kennen – siehe die Braunekohleverstromung oder die Nutzung des umweltschädlichen LNG, aber auch die gigantische Umweltverschmutzung durch Aufrüstung und Krieg –, die auf ihrer Agenda ganz oben stehen und mit Milliarden und Abermilliarden zu finanzieren sind.

Verfehlt ist die Kritik deshalb, weil es der Letzten Generation nicht mehr darum geht, aufzuzeigen, dass Klimaschutz notwendig ist. Ihre Aktivisten unterstellen vielmehr im Prinzip bereits die gelaufene Diskussion um die Notwendigkeit der Begrenzung der Erderwärmung – als einen Konsens, der eigentlich allen klar ist. Sie fordern die Konsequenzen aus dieser Diskussion ein. Im Gegensatz zu den Fridays for Future, die mit ihren Schulstreiks auf das Problem der Klimaveränderung hinweisen und die Menschen aufrütteln wollten, um dahin zu kommen, dass sich alle in ihrem Konsumverhalten ändern (so zumindest der Mainstream dieses Protestes und sein Verständnis von „system change“), macht die Letzte Generation einen Unterschied zwischen den Machern der Politik, die alles Wesentliche bestimmen, und den Bürgern, die dazu aufgefordert sind, die Machthaber zur Einhaltung ihrer Versprechen zu zwingen.

Meinungsfreiheit am Limit

Mit ihren Aktionen will die Letzte Generation auf das Missverhältnis zwischen dem Pariser Abkommen inklusive Bundesverfassungsgerichtsurteil, das die Politik auf die Sicherung der Zukunft der jungen Generation verpflichtet hat, und den Taten der Politik hinweisen; die Politiker sollen damit zum Handeln in die entsprechende Richtung, in die sie ja selber gehen wollen, bewegt werden. Mit der Störung des Straßenverkehrs und den Farbaktionen geben sie sich im Gegensatz zu üblichen Demonstrationen nicht damit zufrieden, bloß ihre Unzufriedenheit mit der Politik kundzutun und dann wieder nach Hause zu gehen. Die Störungen sollen über eine unverbindliche Meinungsäußerung hinausgehen, indem sie zur Störung des Alltags werden, auf die die Politik reagieren muss.

Damit überschreitet die Letzte Generation aber die Grenzen der Meinungsfreiheit, nämlich das Recht, das Bürgern zwar erlaubt, ihre Kritik zu äußern, das aber die Kritiker auch dazu verpflichtet, Abstand davon zu nehmen, ihre Kritik durchsetzen zu wollen, in dem Fall also einen buchstäblichen „Druck der Straße“ aufzubauen. Das wäre schließlich eine Einschränkung der Freiheit der Politik, die uneingeschränkt von irgendwelchen Kritikern ihre Entscheidungen nicht nur fällt, sondern auch durchsetzt. Mit ihrem Drängen auf eine andere Politik verstößt die Letzte Generation somit gegen dieses Gebot und begeht einen Rechtsverstoß. Ihre Aktivisten werden daher nicht nur von der Straße gelöst und weggeschleppt, sondern auch bestraft:

„Freiheitsstrafen ohne Bewährung, Präventionshaft, kriminelle Vereinigung – der Staat packt seine Instrumente aus, um den radikalen Protest von der Straße zu räumen.“ (Wolfgang Janisch, SZ, 23.5.2023)

Bei aller Klage über das Vorgehen der Politik und Justiz, weiß auch hier der rechtlich geschulte Journalist, wo die Ursache des Übels anzusiedeln ist: „ Der ‚Letzten Generation‘ gelingt es gerade, Politik und Justiz zur wütenden Überreaktion zu provozieren. So etwas hat dem Staat noch nie gutgetan.“ (Janisch, SZ) Und um letzteren sorgt sich schließlich ein verantwortungsvoller Journalist, der genau weiß, dass sich der Staat einen solchen Protest auf Dauer nicht gefallen lassen darf, und der deshalb einmal das ganze Menschheitsanliegen beiseite lässt und sich in Stilkritik ergeht.

Dass die Letzte Generation Rechtsverstöße begeht und daher bestraft gehört, darin sind sich Politiker wie Medienvertreter einig. Diskussionen beziehen sich dann auf die Einstufung des Rechtsvergehens und auf die Frage, ob man ihm mildernde Umstände zugestehen kann:

„Gerichte verbieten ja nicht jegliche Verkehrsbehinderung – symbolische, kurzfristige Blockaden werden als kommunikativer Akt hingenommen. Wenn die Kleber die Grenzen überschreiten, dann müssen sie mit (Geld-)Strafen wegen Nötigung rechnen; sie wissen was sie tun.“(Janisch, SZ)

Während die einen von Nötigung reden, sprechen die anderen von krimineller Vereinigung. So CSU-Dobrindt: „Eindeutig eine kriminelle Vereinigung“ (Tagesspiegel, 28.5.2023) Der Staat verfügt im Umgang mit Kritikern offenbar über einen großen Interpretations- und Handlungsspielraum, wie sich ja gleichzeitig am Dresdener Antifa-Prozess ablesen lässt, wo ein militanter „Kampf gegen rechts“ (sonst ein ehrenwerter Titel, den das Innenministerium für sich in Anspruch nimmt) auch als Werk einer kriminellen Vereinigung eingestuft wurde.

„Es liest sich wie die Chronik einer unaufhaltsamen Eskalation. Wurde anfangs noch diskutiert, ob die Verkehrsblockaden der ‚Letzten Generation‘ aus Gründen des Klimaschutzes wirklich eine strafbare Nötigung seien, sind nun bereits die ersten Aktivisten zu Gefängnisstrafen ohne Bewährung verurteilt worden. Und inzwischen hält sich hartnäckig die Diskussion, ob man noch einen Schritt weiter gehen sollte. Ob die Klimaschützer als ‚kriminelle Vereinigung‘ einzustufen seien. Bisher ist das freilich eine Sondermeinung im Land Brandenburg…“ (SZ, 20./21.5.2023)

Eskalation ist kein Prozess, der von alleine in Gang kommt. Da muss es schon Leute geben, die eskalieren, auch wenn das liberale Blatt aus München keine Personen kennen will und zum unpersönlichen „man“ greift, das da die Verschärfung diskutiert. Und offenbar gibt es auch hierzulande willfährige Richter, die die Intentionen dieser Diskussion gleich in Urteile umsetzen:

„In München hat man daran gezweifelt, in Stuttgart hat der Generalstaatsanwalt sogar offen kein Geheimnis daraus gemacht, dass er das Vorpreschen der Neuruppiner Juristenkollegen für abenteuerlich halte. Für überzogen. Jetzt aber haben sich in München die Strafverfolger aus der Deckung bewegt und sich erstmals der Position der bislang allein auf weiter Flur stehenden Brandenburger angeschlossen.“ (SZ, 25.5.2023)

Ein Meinungsumschwung, der bekanntlich in eine Razzia gegen die Letzte Generation mündete. Und während private Meinungsänderungen im Wesentlichen folgenlos bleiben, ist dies bei staatlichen Meinungsänderungen nicht der Fall. Wer da meinungsbildend tätig ist, ist auch kein Geheimnis, schließlich sind die Strafverfolgungsbehörden weisungsgebunden. Meist braucht es keine Weisung, weil karrierebewusste Juristen mitbekommen, was die politische Obrigkeit von ihnen erwartet. Schließlich war es ja Herr Dobrindt, der den Vorwurf der kriminellen Vereinigung erhob, und die Frau Ministerin des Innern und der Heimat, Nancy Faser (SPD), betonte, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen dürfe (Die Zeit, 24.5.2023). Das war nichts anderes als ein Aufruf zum Einsatz von Gewalt gegen diese Gruppe.

§ 129 – Protest als Straftat

Mit dem Paragraphen 129 Strafgesetzbuch hat sich der Staat eine Rechtsgrundlage geschaffen, mit der er sehr frei mit unliebsamen Bürgern umgehen kann. Schließlich ist es die Politik, die bestimmt, was Recht ist und was nicht. Sie gibt den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten die Maßstäbe vor, nach denen diese handeln und urteilen sollen. Strafbar macht sich, wer einer Gruppe angehört oder diese unterstützt, die strafbare Handlungen begeht. Dabei hat der Staat sich frei davon gemacht, dem Einzelnen irgendwelche Tatbeteiligung nachzuweisen. Es reicht, dass er irgendwie dazu gehört oder irgendwie unterstützt. Dann drohen Freiheitsstrafen:

„Mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht ist. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.“ (§ 129 Strafgesetzbuch – StGB).

Mit der Ermittlung, die jetzt gemäß diesem Paragraphen läuft, wird behauptet, der Gruppe Letzte Generation ginge es nicht um den Klimaschutz, sondern um die Begehung von Straftaten – ganz so, als ob die Störungen des Straßenverkehrs Selbstzweck wären. Die Aktion gegen die Gruppe zeigt aber auch, dass es gar keine Verurteilung braucht, um sie politisch zu erledigen. Es reicht ein Anfangsverdacht:

„Die bayrischen Terrorermittler leiten ihren Verdacht nun aus der Finanzierung der Gruppe und ihren Aktionen her. Die Fahnder werfen den Beschuldigten vor, eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die ‚Letzte Generation‘ organisiert zu haben.“ (SZ, 25.5.2023)

Konsequenz war die Beschlagnahme der Konten der Organisation, die Sperrung der Website und die Anklage auch von Mitgliedern, die sich nicht an Aktivitäten beteiligt hatten. Zudem setzte die Staatsanwaltschaft eine Drohung ins Netz: „Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!“ (SZ, 26.5.2023)

Auch wenn diese Drohung bald zurückgezogen wurde, steht sie im Raum und dokumentiert den Versuch, der Letzten Generation die finanzielle Unterstützung abzuschneiden. Mit der Beschlagnahme der Konten, Rechner und Akten, der finanziellen Austrocknung soll der Gruppe verunmöglicht werden, ihre politischen Aktivitäten aufrecht zu erhalten. Schließlich wird ihr damit die materielle Grundlage bestritten, Geld für Räume, Materialien usw. weggenommen. Und das für die Dauer der Ermittlungen. Das veranlasste einen Frankfurter Strafrechtsprofessor zu der Aussage: „Das ist ein klarer Einschüchterungsversuch. Rechtlich funktioniert das leider.“ (Matthias Jahn, SZ 26.5.2023)

Dabei ist Einschüchterungsversuch eine harmlose Umschreibung für das, was da mit den Kritikern der aktuellen Klimapolitik geschieht, schließlich wird ihnen physisch und materiell die Grundlage ihrer politischen Arbeit bestritten, sie persönlich werden mit Gefängnisstrafen bedroht und ihre bürgerliche Existenz vollends ruiniert. Das Ganze zeigt Wirkung, auch ohne Prozess und förmlich erhobene Anklage; das eilt jetzt auch gar nicht. Schließlich ist von Seiten der Politik erreicht, was sie wollte, und da spielt es keine Rolle mehr, ob es später einmal zu einer Verurteilung kommt oder nicht.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —       Aktivistinnen vom Aufstand der letzten Generation isuchen den Klimakanzler Olaf Scholz bei einer Ölaktion vor dem Bundeskanzleramt, Berlin, 09.07.22 Activists from the last generation uprising in Chancellor Olaf Scholz costumes spill oil in front of the Federal Chancellery

Abgelegt unter APO, Deutschland_DE, Feuilleton, Positionen | 1 Kommentar »

DIE * WOCHE

Erstellt von Redaktion am 5. Juni 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Kriegsgewöhnung mit Eva Högel, Lina E. und Bundeswehr: Selbstgetöpferter Tyrannenmord. Wer immer nur hören möchte, was er in seiner schmutzigen Seele eh schon geahnt hat, der wählt halt AfD – und hört dumpf weiter Rammstein.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Ukraine: Die Gewöhnung.

Und was wird nächste Woche besser?

Keine Gewöhnung an Gewöhnung.

Im Deutschlandtrend erreicht die AfD bei der Sonntagsfrage einen neuen Höchstwert, 18 Prozent. Damit liegt sie nun mit der SPD gleichauf. Ist die Ampel daran schuld?

Unschuldiger als die AfD kann man an ihrem Erfolg nicht sein. Nicht der Euro, Migration, Corona oder irgendwelche trendig braunen Accessoires beflügeln ihre Umfragen. „Die da oben können es nicht, und das aus bösem Willen“ hat auf ehemaligem DDR-Staatsgebiet eine gewisse Tradition – und klingt aktuell nach einer Selbstauskunft der Ampelmänner. Wer immer hören möchte, dass Habeck alles vergeigt, die FDP alles blockiert und Scholz alles laufen lässt, kann sich diese News beim Originalerzeuger abholen. Die Ampel – das Factory Outlet für Ampelstress. In uns schlummert mehr vordemokratische Sehnsucht nach dem, „der mal auf den Tisch haut“, als in dem, der mal auf den Tisch haut.

Haben Sie gerade noch Fragen an Robert Habeck?

Hm. „Wie wär’s mit Landwirtschaft?“ Das hat er gelernt in Schleswig-Holstein, auch Energiewende und Umwelt. Im Bund stapelt er auf die skurrile Gas­umlage eine Vetternwirtschaft-Affäre und ein Heizungsgesetz, das zunehmend an ein Schwarzes Loch erinnert: Wer zu nah dran kommt, den verschlingt’s. Habeck hat es meisterlich verstanden, sich beliebt zu machen. Nun kommt Stufe zwei: das Gegenteil überleben.

Lina E. wurde am Mittwoch zu 5 Jahren und 3 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Sind wir die Sorge Linksextremismus jetzt los?

Wer mit dem Hammer auf politische Gegner eintrümmert, ist nicht links oder rechts, sondern in erster Linie kriminell. Wir sind noch ein gutes Stück weit weg vom selbstgetöpferten Tyrannenmord und täten gut daran, jedwede politische Ummäntelung roher Gewalt nicht zu hoch zu heben. Die Taten müssen uns nicht sympathischer sein als die irgend eines Fußball-Hooligans, der seinen Gewaltfetisch halt mit einer anderen Ausrede auslebt.

Das deutsche Bildungssystem steckt in der Dauerkrise. Nun fordern Gewerkschaften und Bildungsverbände ein Sondervermögen von mindestens 100 Milliarden Euro. Wäre da die Forderung „Reiche Eltern für alle“ nicht am Ende realistischer?

Wenn das Schulsystem schon nicht funktioniert, kann es mit weiteren 100 Milliarden noch viel schöner nicht funktionieren – klar. Andere forderten bereits ein Sondervermögen Wohnen und eines für Bahn und Klima. Viel mehr als die Gesten kommt beim Modeartikel Sondervermögen nicht herum. Das deutsche Schulsystem selektiert statt zu fördern, man möchte sich nicht ausmalen, wie es jetzt noch 100 Milliarden besser selektiert.

SPD-Politikerin Eva Högel schlägt als Wehrbeauftragte eine Rückkehr zur Musterung vor, für alle Geschlechter. Bei Eignung sollen die jungen Menschen selbst entscheiden, ob sie sich „engagieren“ wollen. Wie würden Sie sich aktuell entscheiden?

Quelle     :         TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Bearbeitung durch User: Denis_Apel –

Lizenz “Creative Commons“ „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“

Abgelegt unter Feuilleton, International, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Das Symptom Kemmerich

Erstellt von Redaktion am 4. Juni 2023

Die FDP blutet nach rechts aus 

Bernd Höcle gratuöiert Thomas Kemmerich am 05. Februar  2020 

VON JASMIN KALARICKAL, –  MICHAEL BARTSCH  – UND –  GARETH JOSWIG

Vor drei Jahren ließ sich FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten wählen. Heute argumentieren manche in der FDP populistisch gegen das Heizungsgesetz und bedienen rechte Narrative. Wie wird sich die Partei in Zukunft positionieren?

Wenn die Temperaturen sich langsam regulieren im politischen Heizungskeller, dann kann es sein, dass Wolfgang Kubicki kommt und den Regler hochdreht. Seit Wochen streitet die Ampel erbittert über das Gesetz mit dem ­sperrigen Namen Gebäudeenergiegesetz, das nach und nach Gas- und Ölheizungen durch klimafreundliche Alternativen ersetzen soll. Prominente Gegner: FDP-Vize Wolfgang Kubicki, bekannt für seine lockere Zunge, und FDP-Politiker Frank Schäffler, bekannt als Eurokritiker und einst bekennender Klimaskeptiker.

Es gibt berechtigte Kritik an dem Gesetzentwurf. Aber es gibt auch Leute, die unter dem Vorwand der Kritik das Gesetz grundsätzlich torpedieren wollen. Schäffler nannte das Heizungsgesetz eine „Atombombe“. Er war es auch, der auf dem letzten Parteitag einen Dringlichkeitsantrag gegen „die falsche Klima- und Energiepolitik der Grünen“ einbrachte, der auf breite Zustimmung stieß. Von ihm und Kubicki stammen auch die berüchtigten 101 Fragen zum Gesetz, von deren Existenz man über Bild erfuhr. Lange war nicht klar, ob es sie wirklich gibt und ob das Ganze von der Fraktion abgesegnet war.

Offiziell kamen 77 Fragen im Wirtschafts- und im Bauministerium an, die inzwischen brav abgearbeitet wurden. Aber Kubicki will immer noch alle 101, teils absurde Fragen beantwortet haben. Zum Beispiel, in wie vielen Mehrfamilienhäusern der Dachstuhl als Wäschetrocknungsraum genutzt wird. Nun sprechen Kubicki und Schäffler nicht für die gesamte FDP-Fraktion, aber sie haben Rückhalt und bestimmen zunehmend den Ton.

Kubicki ist kein populistischer Hinterbänkler, der den Wirtschaftsminister aus Versehen mal mit Putin vergleicht und später um Entschuldigung bittet. Er ist Parteivize und Bundestagsvizepräsident – und äußerst beliebt bei der Basis. Er und Schäffler richten sich an ein gewisses Spektrum: Klimaskeptiker, Coronaleugner, Putin-Freunde, den Stammtisch, der gegen den linken Zeitgeist wettert. Grünen-Bashing inklusive.

Die Frage ist: Wie sehr wird das den künftigen Kurs, die Rhetorik der FDP bestimmen? Und das Regierungshandeln? In Umfragen steht die FDP derzeit bei 7 Prozent. Die Blockaden und die PR-Nummer mit den Fragen haben ihr nicht geschadet. FDP-Chef Christian Lindner arbeite für ein „nicht­linkes Deutschland“, sagte er jüngst auf dem FDP-Bundesparteitag. Aber was heißt „nichtlinks“? Liberal? Konservativ? Rechts?

Am ersten Tag des Parteitags geht FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Rednerpult. Er spricht über die Stärkung des deutschen Mittelstands und fehlende Fachkräfte. „Die alleinige Lösung ist auch nicht, sie nur per Zuwanderung aus dem Ausland zu gewinnen“, sagt er. Dann erzählt er eine Anekdote eines Bekannten, der am Flughafen Frankfurt 90 Minuten auf seinen Koffer warten musste. Dieser habe gesagt: „Wir haben in Deutschland keinen mehr, der einen Koffer schleppt, aber alle Beauftragtenstellen für Gleichberechtigung und solche Dinge“ seien besetzt.

Man muss sich die Botschaft schon mühsam zusammenreimen. Dürfen im Weltbild von Thomas Kemmerich ausländische Arbeitskräfte nur Koffer schleppen? Der Applaus ist bescheiden. Gegen Ende der Rede blickt er zum Parteichef Christian Lindner, der mit einem Teil des Präsidiums auf der Bühne sitzt. Er bedankt sich per Du, dass die Schuldenbremse steht. Als Kemmerich die Bühne verlässt, klatscht niemand vom Präsidium.

Es sind diese Feinheiten im Umgang, die zeigen, dass es sich bei Thomas Kemmerich nicht um irgendwen handelt, sondern um den Mann, der eine Regierungskrise in Thüringen ausgelöst hat. Der Handschlag am 5. Februar 2020 zwischen ihm und dem rechtsextremen AfD-Politiker Björn Höcke ist ein Bild, das in die Geschichte der Bundesrepublik eingegangen ist: Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte Kemmerichs Wahl mit AfD-Stimmen „unverzeihlich“. FDP-Vize Wolfgang Kubicki gratulierte zunächst, das sei „ein großartiger Erfolg“, ruderte aber wieder zurück. FDP-Chef Christian Lindner wirkte wie ein Getriebener. Schließlich musste Kemmerich zurücktreten. Die Parteispitze entzog ihm jede weitere Unterstützung.

Heute, drei Krisen später, wirkt die Causa Kemmerich wie eine Anekdote aus der Mottenkiste. Aber das ist sie nicht. Kemmerich bezeichnet die AfD zwar als „Feind“ und schließt jegliche Zusammenarbeit aus. Aber politische Mehrheiten mit Stimmen der AfD zu erreichen, findet er legitim. „Natürlich werben wir in den Parlamenten für unsere Anträge und unsere Überzeugungen. Wenn die AfD am Ende zustimmt, dann werde ich mich nicht von meiner politischen Überzeugung abbringen lassen“, sagt er am Rande des Bundesparteitags.

Hauptsache, gegen links

Thomas Kemmerich, der immer noch gern Visitenkarten als „Ministerpräsident a. D“ verteilt, ist in Thüringen politisch erstaunlich unbeschadet aus dieser Geschichte hervorgegangen. Auf den AfD-Trick eines Scheinkandidaten sei er nicht vorbereitet gewesen, sagt er bei einem Treffen in Erfurt. „In wenigen Sekundenbruchteilen“ habe er eine Entscheidung treffen müssen: die Wahl annehmen oder ablehnen. Also alles ein Versehen?

Nur wenige Monate nach dem Eklat, während der Pandemie im Mai 2020 trat Kemmerich auf einer Demo gegen Coronaschutzmaßnahmen in Gera auf. Mit dabei: Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger und AfD-Spitzenpersonal. Für Kemmerich eine Veranstaltung von „mehreren Hundert Bürgerlichen“, er verweist darauf, dass auch der Thüringer Innenstaatssekretär den Großteil der Demonstranten dem bürgerlichen Spektrum zuordnete. „Auf dem Markt war nicht zu erkennen, wer da noch mit auftaucht.“ Noch so ein Versehen.

Kemmerich genießt Rückhalt in seinem Thüringer Landesverband. Im Oktober 2022 wurde er erneut mit 87 Prozent zum Landesvorsitzenden gewählt. Bei der anstehenden Wahl 2024 will er wieder Spitzendkandidat werden. Er begründete das mit seiner Bekanntheit.

Der Thüringer SPD-Fraktionschef Matthias Hey spricht vom „stramm konservativ geführten Laden von Kemmerich“. Mit ihren vier Stimmen hätte die FDP im Landtag etwa bei Haushaltsberatungen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung zur Mehrheit verhelfen können, wie das die CDU punktuell tut. Das aber verweigere die Thüringer FDP wegen ihrer Linken-Aversion hartnäckig. Wer die Thüringer FDP verstehen will, muss nur in den Leitantrag des jüngsten Landesparteitags schauen. Da wird eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen, ebenso mit der Linkspartei. Der Hauptfeind steht für den gebürtigen Westdeutschen Kemmerich unübersehbar links. Ohne jede Differenzierung gilt ihm die Linke als SED-Nachfolgepartei. Man kann den Handschlag mit Höcke auch so interpretieren: lieber rechts als links. Martin Debes, der ein Buch über die Thüringer Regierungskrise geschrieben hat, kritisiert eine mangelnde Aufarbeitung der Thüringer FDP. Stattdessen stehe „sie in tumbem Trotz zu Kemmerich“. Gerade in Parlamenten, in denen die AfD stark sei, müsse bei allem dringend nötigen politischen Wettbewerb ein Grundkonsens der Demokraten herrschen, meint Debes. Leider werde diese staatspolitische Verantwortung oft zitiert, aber seltener danach gehandelt.

Bei der Wahl im Herbst 2024 könnte die AfD in Thüringen stärkste Kraft werden. Bei der FDP ist unklar, ob sie den Einzug in den Landtag schafft. Doch ein Spitzenkandidat namens Kemmerich würde die Bundes-FDP in Erklärungsnot bringen.

Kemmerich ist jedoch kein reines Thüringenproblem. Es geht um die Frage, wie man strategisch weitermachen will mit einer AfD im Umfragehoch. Harte Abgrenzung oder verbale Annäherung? Das Erstarken der AfD bringt vor allem konservative Parteien in die Bredouille. Punkten will man offenbar nicht links der Mitte. Aber rechts der Mitte sieht man Platz. Kemmerich ist mehr als nur ein Ausrutscher in der Geschichte. Kemmerich ist ein Symptom eines Richtungskampfes, der sich auch beim Heizungsgesetz beobachten lässt. Wo und wie lassen sich Unterstützer*in­nen gewinnen? Die FDP mit ihrer kleinen Stammwählerschaft will unterschiedliche Wählermilieus binden.

In der FDP-Bundestagsfraktion gründete sich 2020 nach dem Dammbruch in Thüringen eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Umgang mit der AfD beschäftigte. Es ging darum, wie man den Rechtspopulisten im parlamentarischen Raum begegnen will, und um langfristige Strategien. Leiter dieser Arbeitsgruppe war Benjamin Strasser, der heute parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium ist. Strasser will auf Nachfrage nicht mit der taz reden. Die Arbeit sei mit einem internen Abschlussbericht beendet, die Gruppe gebe es nicht mehr, teilt sein Pressesprecher mit.

Unter anderem gehörte Marie-Agnes Strack-Zimmermann dieser Gruppe an. Im Gegensatz zu Lindner und Kubicki hatte sie sich von Anfang an deutlich von Kemmerich distanziert. „Meine Haltung hat sich nicht verändert“, erklärt sie. Sie verweist auf den Beschluss des FDP-Präsidiums, der besagt, dass eine Spitzenkandidatur von Kemmerich finanziell und organisatorisch nicht unterstützt wird. Doch die Landesverbände seien „frei in ihrer Entscheidung, wen sie zu Wahlen aufstellen“, sagt Strack-Zimmermann. Kemmerich aber hofft auf Unterstützung der Bundespartei. Er sieht den Beschluss des Präsidiums als verjährt an. Mehr noch: Er behauptet, er sei „in Gesprächen mit Christian Lindner und dem Bundespräsidium“. Das Verhältnis zu Lindner sei „professionell entspannt“.

Kubicki ist kein Hinterbänkler, der Habeck aus versehen mit Putun vergleicht

Die Bundespartei weist diese Erzählung zurück. „Es finden keine Gespräche zwischen Thomas Kemmerich und dem Präsidium der FDP statt“, heißt es auf Nachfrage. Zudem wird betont, der Beschluss des FDP-Präsidiums vom 9. Oktober 2020 gelte. Ebenso der Beschluss des Bundesvorstandes der FDP vom 7. Februar 2020 mit dem Titel „Brandmauer gegen die AfD“. Darin heißt es, die Partei lehne es auf allen Ebenen ab, „mit der AfD zusammenzuarbeiten oder eine Abhängigkeit von der AfD in Kauf zu nehmen“.

Doch trotz der offiziellen Beschlusslage gibt es vor allem auf kommunaler Ebene ähnlich wie bei der CDU immer wieder Übernahmen von AfD-Themen und auch direkte Zusammenarbeit: Erst am 16. März 2023 stimmten CDU und FDP im Stadtrat Stralsund für den AfD-Antrag „Gendern konsequent unterbinden – Kommunikation in regelkonformer Sprache“. In der Hamburger Bürgerschaft hat die FDP vor 2020 zehnmal für AfD-Anträge gestimmt. In Thüringen wählten CDU und FDP im Saale-Holz-Kreis einen AfD-Kandidaten, der zuvor beim rechtsextremen Thügida aufgetreten war, in einen überregionalen Zweckverband. Rechtsextremismusexperten beklagen, dass man durch die Übernahmen rassistischer Narrative zur Flüchtlingspolitik oder durch AfD-Themen letztlich den Resonanzraum der extremen Rechten vergrößere und dem Original mehr Stimmen verschaffe.

Quelle        :         TAZ-online            >>>>>       weiterlesen 

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Thüringer Landtag, Wahl des Ministerpräsidenten: Björn Höcke (AfD, Fraktionsvorsitzender und Landessprecher der AfD Thüringen) gratuliert Thomas L. Kemmerich (FDP, Landes- und Fraktionsvorsitzender in Thüringen) zur Wahl

Abgelegt unter Deutschland_DE, Medien, P.AfD, P.FDP, Positionen | 1 Kommentar »

Rezzo Schlauch sagt Maßlos

Erstellt von Redaktion am 4. Juni 2023

Die Justiz gegen die Letzte Generation

Von Gastautor Rezzo Schlauch

Rezzo Schlauch, Rechtsanwalt und Grüner seit mehr als 40 Jahren, ist kein Fan der Letzten Generation. Aber die Einstufung als kriminelle Vereinigung und Gefängnis fürs Festkleben hält er für einen Skandal. Vor allem verglichen mit den Strafen, die Betrüger von Autokonzernen für Milliarden-Schäden an der Gesellschaft kassieren.

Im nachfolgenden Beitrag geht es mir nicht um die Frage, ob die Straßenblockaden mit Ankleben der Letzten Generation eine strafbare Nötigung nach §240 Strafgesetzbuch (StGB) sind oder nicht. Es geht auch nicht um die Sinnhaftigkeit dieser Aktionen (ich persönlich halte diese im politischen Kampf gegen den Klimawandel für kontraproduktiv). Es geht ausschließlich um die in den vergangenen Wochen gegen die Klima-Aktivisten eingeleiteten Strafverfolgungsmaßnahmen und um einzelne völlig überzogene Urteile.

Ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB der brandenburgischen Staatsanwaltschaft in Neuruppin war seit Dezember 2022, mithin über fünf Monate, ein Solitär in der Strafverfolgung gegen die Klima-Aktivisten. Und konnte deshalb auf das Konto eines möglicherweise politisch übermotivierten Provinzstaatsanwaltes gebucht werden.

Dies umso mehr, als gewichtige Staatsanwaltschaften wie die Generalstaatsanwaltschaften Stuttgart und Berlin und auch andere Staatsanwaltschaften bundesweit dieser Auffassung nicht gefolgt sind. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat sogar die Strafanzeige eines eifernden CDU-Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung mit ausführlicher Begründung abgewiesen. Unter anderem mit der Feststellung, es fehle der Letzten Generation am erforderlichen Gewicht.

Rechtsstaatliche Sicherungen durchgebrannt

Dann aber, fünf Monate nach diesem Auftakt, holte die Generalstaatsanwaltschaft München den ganz großen Knüppel aus dem Sack der Strafprozessordnung. Sie beauftragte zusammen mit dem LKA die „Bayrische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus“, um eine großangelegte Aktion gegen die Letzte Generation durchzuführen. 170 martialisch uniformierte und schwer bewaffnete Polizisten durchsuchten 15 Wohnungen in sieben Bundesländern und beschlagnahmten Dokumente, Konten und Vermögensgegenstände.

Parallel dazu wurde die Webseite der Letzten Generation gekapert, auf das bayrische LKA umgeleitet und der unzweideutige Hinweis platziert, bei der Letzten Generation handele es sich um eine kriminelle Vereinigung nach §129 StGB. Zudem wurde vor Spenden gewarnt, dies stelle ebenfalls eine strafbare Unterstützung einer kriminellen Vereinigung dar. Auch wenn die Generalstaatsanwaltschaft später zurückruderte, den Eintrag korrigierte und lediglich von einem Anfangsverdacht sprach: Dieses skandalöse Vorgehen zeigt, dass den staatsanwaltlichen Akteuren im Verbund mit der Antiterror-Abteilung des LKA sämtliche juristische und rechtsstaatliche Sicherungen durchgebrannt sind und sie sich im rechtsfreien und damit rechtswidrigen Raum bewegten.

Zum Vorliegen des Tatbestands einer kriminellen Vereinigung, die man gemeinhin mit der Mafia oder gewalttätigen rechtsradikalen Gruppierungen assoziiert, bedarf es zweier grundlegender Voraussetzungen. Nämlich: Zum einen müssen sich Menschen zusammenschließen mit dem vorrangigen Zweck, Straftaten zu begehen. Zum anderen muss von ihnen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wie der BGH es formuliert hat.

Die Letzte Generation hat sich zusammengeschlossen, um der Regierung in Sachen Klimaschutz ihre Defizite und ihre Langsamkeit aufzuzeigen und ihr Beine zu machen. Mit Forderungen unter anderem nach einem Tempolimit und einem bundesweit gültigen 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Verkehr.

Dazu führt sie Gespräche mit Politikern, mit Bürgermeistern und Ministern, beispielsweise mit Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Sie organisiert Veranstaltungen, ihre Sprecher treten in Talkshows auf. Und ja, sie begehen auch Straftaten, wenn man Straßenblockaden mit oder ohne Ankleben als strafbare Nötigung bewertet, wie es bislang in der Mehrheit der Urteile geschieht.

Es gehört schon eine massiv von politischen Interessen geleitete Interpretation dazu und hat wenig mit einer nüchternen juristischen Auslegung des Straftatbestands zu tun, wenn dieses Bündel von Zielen, Zwecken und unterschiedlichen Aktivitäten der Klima-Aktivisten als Zusammenschluss mit dem vorrangigen Zweck zur Begehung von Straftaten eingeordnet wird, um eine kriminelle Vereinigung zu konstruieren.

49 Stunden im Stau – ohne Blockaden

Noch abwegiger wird es, wenn aus der Tatsache, dass eine überschaubare Anzahl von Autofahrern für eine überschaubare Zeitdauer durch die Blockaden gezwungen wird im Stau zu stehen, eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Ordnung abgeleitet wird. Der durchschnittliche Autofahrer steht bundesweit 30 Stunden, in Berlin 40 und in München 49 Stunden im Jahr im Stau. Ohne jede Behinderung durch Klima-Aktivisten, allein durch das normale Verkehrsaufkommen, Baustellen, Unfälle und so weiter.

Quelle       :           KONTEXT-Wochenzeitung-online         >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Aufstand der Letzten Generation Aalen 2023-03-13

Abgelegt unter APO, Deutschland_DE, Kultur, Positionen, Regierungs - Werte | Keine Kommentare »

Deutschland-Show 2023:

Erstellt von Redaktion am 4. Juni 2023

Von Klums ’freiwilligen Slips’ und Högls ’freiwilliger Musterung’

Heidi Klum wird gemustert wo Eva Högl (SPD) noch versucht herum zu Schustern

Ein Kommentar von Dr. Nikolaus Götz

Sind sie nicht wundervoll, diese alten Ideen aus der Mottenkiste der Wehrmacht des Dritten Reiches? ’Männer’ und heute im Rahmen der Gleichberechtigung auch ’Frauen’ sollen sich „freiwillig“ zur ’Musterung’ (1) melden! Gerne soll auch die Arbeitskraft von Jugendlichen generell wieder wie bei den Sklaven der Antike oder auf den Plantagen der amerikanischen Südstaaten kostenlos (?) zur Verfügung stehen, meint denn die Wehrbeauftragte der BRD Frau (sic.) Eva Högl (SPD). Solche dümmlich-politische Rhetorik passt nach den beiden Jahren der so schrecklich tödlich wütenden Corona-Pandemie in den Ungeist des Jahres 2023 mit der sozialen Ausbeutung und der medial gestützten Staatskassenplünderung in Kriegshysterie! Anstatt sich den Aufgaben des weitergehenden Ausbaues eines modernen europaweiten Staatswesen zu stellen und dabei Reformen im Energiesektor, im Umweltschutzbereich, im Transportwesen, im Krankenhausausbau oder generell im Sozialsektor usw. für alle Bundesbürger anzugehen, betreiben nun im beginnenden politischen Sommerloch von 2023 gewisse Regierende im Dreierpack scheinbar eher den Rückgriff in das „Politikarsenal der Steinzeit“.

Eine „freiwillige Musterung“ für jedermann fordert die SPD, vielmehr deren Wehrbeauftragte. Hier wird doch eher wohl – von dieser deutschen „Vertreter-Partei der Arbeiterklasse“ – eine kostenlose medizinische Vorsorgeuntersuchung für Heranwachsende gefordert! Eine solche freiwillige Körperuntersuchung genießen bisher nur alle Deutsche im Rentenalter. Bestimmt will Frau Högl eine ’Lücke’ bei den Untersuchungen der körperlichen Vorsorge schließen und die Medien haben wie immer „nix versteh!“ Von der deutschen Wehrbeauftragten ist doch bei der Formulierung der „freiwilligen Musterung“ nicht dieser bekannte, unwürdige ’Blick ins Arschloch’ der ’Jungs’ gemeint, gar um etwa ’Schwule’ vorab auszusortieren? Nein, nein: dieser Vorwurf gegen die einstige Männergesellschaft der ’Bundes-Wehr-Macht’, wurde so nur unter der Hand kolportiert! Der übliche medizinische ’Kontrollblick in den After’ dient allein, um Hämorrhoiden im Frühstadium zu erkennen. Der ’freiwillige Blick’ bei den weiblichen Kandidatinnen in die Ober- wie Unterleibsregion wird bestimmt zu einem erneuten Anstieg der Prozesse wegen „sexueller Belästigung“ vielleicht gar möglicher „Vergewaltigung“ führen und die bekanntermaßen diesbezüglich unbeschäftigte Justiz mit der genüsslichen Erforschung intimer Details der ’freiwilligen Musterung’ erfreuen. Bestimmt wurde dieser weibliche Aspekt bei der Erfassung der ’human resource’ von Frau Musterung vorab schon eingeplant. Und so schließt sich der alte Kreis der Zusammenarbeit von Militär und Justiz in der Bundesrepublik Deutschland wieder und der Traum von Altkanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt, „Von Deutschland soll nie wieder Krieg ausgehen!“, zerschellt an der deutschen Staatsrealität des wohl alsbald kommenden „freiwilligen“ Militäreinsatzes zum „Brunnenbohren“ in der Ukraine!

Doch die totale Unsinnigkeit des aktuellen Vorschlages dem ’Militär’ menschliches Kanonenfutter zuzuführen (Wir! Dienen! Deutschland!) ist bei Betrachtung moderner robotergesteuerter Angriffstechnologien und Drohnen direkt einsehbar. Sinnführend für diesen echt genialen Vorschlag ist eher der Gedanke, damit das mediale Sommerloch 2023 zu füllen. Gleichzeitig werden so die zahlreichen Meldungen wie die sachgerechte Kommentierung der Massenmedien über die aktuelle Unterwäschewerbung von Heidi Klum verdrängt (2). ’Deutschland’ sucht im Sommer 2023 bundesweit nicht nur den passenden freiwilligen Frauenslip der Marke Calzedonia (3), sondern mit Frau Högl endlich auch die „freiwillige Musterung“. Für unsere volksnahen TV-Produzenten wäre mit der „Freiwilligen Musterung“ eine originelle Showidee zu den langweiligen Sendungen wie ’Trödeltrupp’ oder ’Naked Island’ gefunden. Na denn ’ran ihr Boys und Girls! Meldet Euch! Die todbringenden ’Abenteuer’ bei der Bundeswehr locken schon!

undefined

Dr. Eva Högl –  SPD angetren zur Musterung beim Kriegsminister

Anmerkungen:

1 Die ’Musterung’ (Sprachgebrauch in der BRD) ist eine Untersuchung der körperlichen und geistigen Eignung einer Person für den Dienst beim Militär. Der Imperativ „Haben sie gedient!“ war somit im deutschen, autoritären Staat über Jahrhunderte hinweg auch die Frage nach der körperlichen Gesundheit eines Mannes und damit auch für die Fähigkeit seiner Verheiratung (Siehe auch: Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick, 1931: de.wikipedia.org/wiki/ Carl_Zuckmayer).

2 Siehe zur Werbung beispielsweise: www1.wdr.de/nachrichten /heidi-klum-leni-unterwaesche-werbung-diskussion-100.html; www.bild.de/unterhaltung/leu- te/leute /heidi-klum-und-leni-klum-stress-wegen-dieses-dessous-fotos-83799602.bild.html.

3 „Bei Calzedonia findest Du alle aktuellen Bademode Trends der Sommersaison und kannst alle Blicke auf Dich ziehen.“ Siehe: www.calzedonia.com/de/damen/bikinis_und_bademode. Bedauerlicher Weise wurden die Werbeträger auch Angriffsziel sexualverklemmter Fundamentalisten („Wie wieder Heidi Klum“) besonders auch in türkisch-arabischen Wohngegenden der Großstädte mit Sprühkommentaren in arabischen Schriftzeichen (!), weswegen gerade diese Werbekampagne ihr Werbeziel voll erreicht hat.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       Mural Heidi Klum near Hermannplatz in Berlin

Abgelegt unter Deutschland_DE, Feuilleton, Kultur, P.SPD, Positionen | 1 Kommentar »

KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von Redaktion am 4. Juni 2023

Journalismus und sexualisierte Gewalt: – Das Wagnis, zu sprechen

Rote Flagge II.svg

Kolumne von Fatma Aydemir

Wer über prominente Männer und sexualisierte Gewalt berichtet, erntet Hass. Nicht die Fälle gelten als das Problem, sondern das Schreiben darüber.

Die unangenehmsten Reaktionen kommen immer zum Thema sexualisierte Gewalt. Egal, ob es sich um Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber prominenten Männern handelt oder um den Umgang mit dem Thema Konsens und Sex in der linken Szene: Wer als Journalist_in über diese Fälle berichtet, sei es auch nur im Konjunktiv oder anonymisiert, wird mit so vielen und teilweise so hässlichen Zuschriften überhäuft, dass er_sie (meistens sie) es sich in der Folge dreimal überlegen wird, ob ein Artikel die Kopfschmerzen, die bereits vorprogrammiert sind, wert ist.

Je reicher der mutmaßliche Täter, desto schneller flattert dann auch die Post von dessen Anwälten herein. Aber verwundernd ist doch viel eher, wie Unbeteiligte häufig Partei ergreifen für Beschuldigte, als sei nicht die Allgegenwärtigkeit sexualisierter Gewalt das Problem, sondern das Sprechen und Schreiben darüber.

Natürlich geht es auch immer um das juristische Problem der Verdachtsberichterstattung. Beweislage und Zeug_innenaussagen müssen geprüft, Beschuldigte konfrontiert werden, um mit journalistischer Neutralität über solche Fälle berichten zu können. Wie aber steht es um die Kolumnenform oder den Meinungsbeitrag? Diese Formate leben ja nicht von investigativen Ansprüchen und Objektivität, sondern davon, Debatten, die sowieso in der Welt sind, genauer anzuschauen und zu bewerten. Sie wollen parteiisch sein, das ist in ihrem Kern angelegt. Und man kann durchaus eine Haltung formulieren, ohne falsche Tatsachen zu behaupten. Das ist ja das Interessante an Fällen von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch: Sie sind niemals Einzelfälle, wir alle sind in irgendeiner Weise in sie verwickelt. Die Frage ist nur, inwieweit wir bereit sind, uns damit auseinanderzusetzen.

Wenn es nach den Anwälten der Beschuldigten, aber auch nach den fleißigen Leser_innen und Kommentator_innen solcher Beiträge ginge, sollte man Vorwürfe sexualisierter Gewalt gar nicht erst öffentlich thematisieren dürfen, bis ein gerichtliches Urteil vorliegt. Das ist aus vielerlei Hinsicht völlig absurd, denn selten kommt es überhaupt zu einem Gerichtsverfahren, und noch viel seltener gibt es eine Beweislage, die es dem Gericht ermöglichen würde, einen Täter zu verurteilen. Was Berichterstattung aber möglich macht, gerade wenn es um prominente Beschuldigte geht: Es kommen neue Betroffene hinzu, die sich bislang nicht getraut hatten, über ihre Erfahrungen zu sprechen.

undefined

Scham überwinden

Weil ihr Umfeld ihnen vielleicht einredete, sie seien selbst schuld, wenn sie sich auf Aftershowpartys mit Rockstars herumtrieben. Weil sie sich vielleicht schämten, mit dieser Geschichte öffentlich assoziiert zu werden. Weil sie bereits wissen, dass niemand ihnen glauben wird. In den meisten Fällen aber ist es schlicht das Unsichtbarbleiben der Systematik dahinter: Niemand ahnt, dass auf jedem Konzert dieser hypothetischen Band jungen Mädchen K.O.-Tropfen verabreicht werden und sie schlicht nicht in der Lage sind, Einvernehmen zu formulieren, wenn der Frontsänger der hypothetischen Band sich ihnen sexuell nähert. Niemand weiß, dass sie sehr viele sind, bis auf Social Media erste Erfahrungsberichte auftauchen und Journalist_innen das Thema aufgreifen und nach weiteren Betroffenen recherchieren.

Quelle       :        TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Eine wehende rote Fahne

*******************************

Unten      —      Injektionsfläschchen mit Ketamin

Abgelegt unter Feuilleton, Kriminelles, Positionen, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Leerstelle im Ost-Diskurs

Erstellt von Redaktion am 3. Juni 2023

Darf man über die DDR Gutes schreiben?

Von     :  Gunnar Hinck

Die Aufregung um zwei Bücher zeigt: Zwischen Lebenserinnerungen und Diktaturbedingungen klafft bis heute eine Lücke. Wer in einem FDJ-Ferienlager seine erste Liebe kennengelernt hat, dem ist es egal, dass die FDJ eine De-facto-Zwangsorganisation war.

Zwei Dinge lassen sich aus dem Erfolg der Bücher herauslesen: Offizielle Reden zum Einheitsfeiertag 3. Oktober sind für alle, denen staatstragende Symbolik egal ist, sinnlos. Debatten werden nicht durch routinierte Redenschreiber-Texte ausgelöst, sondern durch Bücher, und das ist erst einmal eine gute Nachricht. Zweitens: Obwohl – oder weil – es inzwischen regalmeterweise wissenschaftliche Literatur über die DDR und die Nachwendezeit gibt, herrscht offenbar weiter großer Gesprächsbedarf über den Arbeiter-und-Bauern-Staat und die Folgen der Wiedervereinigung.

Die beiden Bücher sind erfolgreich, gerade weil sie nicht differenzieren. Oschmann schreibt wie jemand, der sich nach einer langjährigen Beziehung trennt und im Trennungsgespräch wie ein Buchhalter die Verfehlungen des anderen der letzten Jahrzehnte auflistet. Die aufgestaute Kränkung muss raus, und sie hangelt sich oftmals ziemlich kleinlich von Banalität zu Banalität, um etwas Größeres auszudrücken: Du hast mich schwer enttäuscht und meine Bedürfnisse nicht ernst genommen. In seinem Fall ist der Ex-Partner die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft.

Eine Kostprobe: „Als Franziska Giffey 2018 zur Familienministerin ernannt wurde, besaß die ARD-Journalistin Pinar Atalay zur Hauptsendezeit doch tatsächlich die Dreistigkeit, Frau Giffey als ‚Quoten-Politikerin‘ zu bezeichnen und sie zu fragen, ob sie nicht allein deshalb Ministerin geworden sei, weil sie aus dem Osten stamme.“ Zur Hauptsendezeit! Wer in ostdeutschen Kleingärten unterwegs ist oder sich in Kantinen ostdeutscher Betriebe setzt, bekommt eine Ahnung davon, dass Gespräche im Osten über den Westen oft ziemlich genau so ablaufen, zumindest bei den Älteren.

Katja Hoyers Buch kommt im Gewand einer neutralen Chronik mit einigen pflichtschuldigen Schlenkern zu Menschenrechtsverletzungen der DDR und privaten Erinnerungen von Zeitzeugen daher. Gewissenhaft notiert sie in einer seitenlangen Passage über Jeanshosen: „Die Marke ‚Wisent‘ wurde im VEB Bekleidungswerke Templin hergestellt, etwa eine Stunde nördlich von Berlin.“ Das Buch erfüllt die Sehnsucht eines Publikums, dass das Leben in der DDR endlich „sachlich“, wie es oft heißt, dargestellt wird. Es ist ein Geschenkbuch, ein Dia-Abend für die ganze Familie – weißt du noch? Man konnte ganz gut leben in der DDR, ist die Botschaft des Buches.

Der Erfolg weist auf eine Leerstelle im Ost-Diskurs hin. Es ist bisher nicht gelungen, die Lücke zwischen individuellen Lebenserfahrungen und dem Rahmen, den die Diktatur bildete, zu schließen. Die an sich banale Aussage, dass es in der DDR auch privates Glück und private Erfolgsgeschichten gab, wird von der offiziellen Gedenkarbeit und der Forschung geradezu zwanghaft verknüpft mit einem großen „Aber“: Es gab flächendeckende Kitas und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen? Ja, aber das wurde nur gemacht, weil der SED-Staat Frauen als Arbeitskräfte brauchte. Der Wohnraum war billig? Ja, aber es gab Wohnungsnot und den Verfall der Altbauten. Das Problem dabei ist: So funktioniert privates Erinnern nicht. Der Mensch erinnert sich an das Positive, selektiv, aus einem einfachen Grund: Man möchte große Teile des eigenen Lebens von anderen nicht als entwertet, da in einer Diktatur verbracht, beurteilt sehen. Wer in einem FDJ-Ferienlager seine erste Liebe kennengelernt hat, dem ist es egal, dass die FDJ eine De-facto-Zwangsorganisation des Staates war.

Erinnerungen sind zudem selbstredend unterschiedlich. Wer in einem Chemiekombinat seine Gesundheit ruiniert hat oder in Stasi-Haft saß, hat eine andere Erinnerung an die DDR als derjenige, der als politisch Angepasster oder Überzeugter ein kommodes Leben im Partei- oder Staatsapparat zubrachte. Oder sich als Vertreterin der sogenannten technischen Intelligenz, als Ingenieurin etwa, von der Politik, so gut es ging, fernhalten konnte, aber in ihrer Arbeit Sinn und Bestätigung sah.

Die Relativierung, die besonders Katja Hoyer vorgeworfen wird, betreiben auch ihre Kritiker. Alles individuell positiv Erfahrene wird mit dem Label „aber Diktatur“ versehen. Das liegt darin, dass das offizielle DDR-Erinnerungs-Business einerseits von westdeutschen, politisch eher konservativ geprägten Historikern und andererseits von Bürgerrechtsbewegungsveteranen, die sich aus verständlichen Gründen ihre Deutung der DDR nicht nehmen lassen wollen, nahezu monopolisiert wird. Eine eher zweifelhafte Rolle nimmt dabei die „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ ein, deren geförderte Forschungsvorhaben immer kleinteiliger werden. Überraschende, frische Sichtweisen auf die DDR sind in diesem hermetisch abgeriegelten, sich selbst bestätigenden Milieu nicht möglich; neue und überraschende Fragen werden nicht gestellt.

So wird die DDR bislang immer nur vom Endpunkt ihres Scheiterns aus betrachtet. Interessanter wäre es, nach über 30 Jahren zu fragen: Warum war die DDR eigentlich so relativ lange stabil? Warum kam es, ganz anders als im Nachbarland Polen, von 1954 bis 1988 zu keinen Aufständen mehr? An der staatlichen Repression allein kann es nicht gelegen haben, die in Polen genauso massiv war.

Es ist Zeit, die komplexen Dynamiken von Repression, Alltagswiderstand, Anpassung, einem im Vergleich zu den sozialistischen Bruderstaaten relativ guten Sozialstandard und hoher sozialer Mobilität zu erforschen. Die DDR war ein Gefängnis für sehr viele, aber wer aus sogenannten einfachen Verhältnissen kam, mitmachte und funktionierte, konnte Karrierewege einschlagen, die ihm in der frühen Bundesrepublik wahrscheinlich verwehrt geblieben wären. Was die Funktionseliten in Kombinaten, SED-Kreisleitungen, Armee und Universitäten angeht, war die DDR tatsächlich ein Arbeiterstaat – es dominierten solche mit Kleine-Leute-Hintergrund.

Plötzlich konnten Landarbeitersöhne Generäle werden. Die Kehrseite war selbstverständlich die Diskriminierung sogenannter bürgerlicher Familien. Aber festzuhalten ist, dass doch einige Hunderttausend, so zynisch es klingt, von der Diktatur des Proletariats karrieremäßig profitiert haben. Die DDR hat viele Karrierewege und Lebensträume zerstört, aber sie funktionierte auch als Fahrstuhl nach oben für andere.

Es ist kein Zufall, dass Dirk Oschmann, wie er im Buch mehrmals betont, ein Arbeitersohn ist, der in der DDR studieren konnte. Katja Hoyer war erst vier Jahre alt, als die Mauer fiel, aber die Küchentischgespräche mit ihren Eltern – Mutter Lehrerin, Vater ehemaliger NVA-Offizier – dürften sie geprägt haben. Denn gerade solche, die in sogenannten staatsnahen Berufen arbeiteten, haben das Ende der DDR oftmals als beruflichen Abstieg erlebt. Erinnerung setzt sich generationsübergreifend fort.

Vieles ist bislang ungeklärt, auch was die Nachwendezeit angeht. Was genau und warum ist es schiefgelaufen nach 1989? Dabei ginge es um zentrale Fragen: warum die Existenzangst nach der Wende flächendeckend so groß war, obwohl der bundesdeutsche Vor-Hartz-IV-Sozialstaat gut ausgestattet war. Warum das Verhältnis zwischen den neuen Firmenchefs, Behördenleitern und Politikern, die nach 1990 zu Zehntausenden aus dem Westen kamen, und den Ostdeutschen so asymmetrisch, in der Tendenz ein Herr-und-Diener-Verhältnis war.

Warum die Protest-Energie, die Selbstermächtigung von 1989, so schnell in Resignation umschlug. Warum die vielfältigen Demonstrationen der frühen neunziger Jahre, die teilweise wilden und politischen Streiks gegen die Privatisierungs- und Schließungspolitik der Treuhandanstalt, so schnell erstarben – und was dabei eigentlich die Rolle der personell westlich dominierten Gewerkschaftsspitzen in den neuen Ländern war, die aus politischen Gründen gegen Massenstreiks waren.

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —     For documentary purposes the German Federal Archive often retained the original image captions, which may be erroneous, biased, obsolete or politically extreme. ADN- Kluge 28.5.90 Leipzig: Demonstration- Hunderte Bürger waren dem Aufruf des Neuen Forums zu einer Demonstration gegen die Politik von Innenminister Peter-Michael Diestel (DSU) gefolgt. Auf der Kundgebung vor der Leipziger Oper forderten sie die konsequente Aufdeckung aller Machenschaften der ehemaligen Staatssicherheit.

Abgelegt unter Berlin, Bücher, Deutschland_DE, Mensch, Positionen | Keine Kommentare »

Fallbeispiele der Dissidenz

Erstellt von Redaktion am 3. Juni 2023

„Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch“

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von         :    Frank Bernhardt / Johannes Schillo

„Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“ (A. Baerbock). Mit dieser krassen Aussage sorgte die deutsche Aussenministerin im Januar für etwas Aufsehen – gilt doch bei dem andauernden Stellvertreterkrieg des Westens gegen die russische Militärmacht nach wie vor als Dogma der deutschen Politik: Wir sind keine Kriegspartei! Als die russische Seite sich über den neuen Klartext beklagte, folgte die Klarstellung aus Berlin. Demnach geht es um die Gesinnung, die für uns und den versammelten Wertewesten zur verbindlichen, nicht hinterfragbaren Norm geworden ist, denn Putin, die Verkörperung des Bösen, hat die Ukraine grundlos angegriffen, so dass wir als die Guten dagegen halten müssen. Wobei die Vertreter der „regelbasierten Weltordnung“ in diesem Moment von ihren eigenen Angriffskriegen nichts mehr wissen wollen…Moralisch gesehen befinden wir uns also eindeutig im Krieg mit Russland. Und es gibt jetzt hierzulande wieder eine Obrigkeit, die keine Parteien und keinen Widerspruch im Volk mehr kennen will und die den entsprechenden Patriotismus einfordert – zur Zeit eben „nur“ als die richtige Gesinnung, da ja der Krieg bisher „from behind“ geführt wird und bislang noch kein deutscher Soldat an dem fürchterlichen Gemetzel auf ukrainischem Boden beteiligt ist (bis auf die Freiwilligen aus dem rechten Umfeld, die dort gegen das Böse kämpfen). Ein „proletarisches Einverständnis“ mit der Herbeiführung der neuen Weltkriegslage ist dabei inbegriffen – von einer Arbeiter- oder Gewerkschaftsbewegung, die sich aus einem internationalistischen Geist den nationalen Kriegsherren entgegenstellt, ist weit und breit nichts zu bemerken.

Bedenken jedweder Art fallen vielmehr unter den Generalverdacht, die politisch erklärte Feindschaft zu Putin zu unterlaufen. Da ist man schnell „Putin-Freund“, vielleicht sogar Wehrkraftzersetzer, hat jedenfalls nichts mehr zu melden, da man nicht umstandslos für das Gute Partei ergreift. So die Kritik der neuen Flugschrift „Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch“ von Norbert Wohlfahrt und Johannes Schillo, die Ende Mai beim VSA-Verlag erschienen ist. Parteinahme für den gerechten Krieg, so führt die Schrift aus, ist nicht hinterfragbar, ja selbst ein Hauch von pazifistischer Dissidenz nicht mehr tolerierbar. Im öffentlichen Diskurs ist seit der „Zeitenwende“ vielmehr das Bekenntnis zur antirussischen Linie Zulassungsbedingung. Mit Ablehnung, Distanz oder „Kriegsmüdigkeit“ (Baerbock) hat Schluss zu sein.

Zur Zielsetzung der neuen Publikation hier ein Gespräch zwischen den beiden Gewerkschaftskollegen Frank Bernhardt (GEW) und Johannes Schillo (Verdi), dem Ko-Autor der Publikation.

Fallbeispiele der Dissidenz

Bernhardt: Was zur Zeit an Formierung der Öffentlichkeit und der Meinungsbildung in Deutschland stattfindet, was z.B. heutzutage wissenschaftlich untragbar ist, war ja im Overton-Magazin schon mehrfach Thema. Aber auf Wissenschaft, Medien und Bildungsbetrieb ist das ja nicht beschränkt. So wird etwa der Friedensbewegung des „Hamburger Forums“ der Zugang zu Gewerkschaftsräumen erschwert, sie müssen zukünftig ihr Konzept einreichen; wenn es nicht abgelehnt wird, können sie die Räume zahlungspflichtig buchen. Dann die Meldung vom Frühjahr: Der DGB und Linke marschieren erstmals beim Hamburger Ostermarsch nicht mit (ndr.de, 3.4.23). Ein Jahr zuvor hatte es dazu noch den DGB-Aufruf „Nie wieder Krieg“ gegeben.

Und der Vertreter der „freien Wissenschaft“, der Hamburger Uni-Präsident Prof. Heekeren, versagt auf Anraten des Verfassungsschutzes dem ASTA kurzfristig die Räumlichkeiten für eine internationale Konferenz „Die kapitalistische Moderne herausfordern – wir wollen unsere Welt zurück“, die früher in der Uni stattfinden durfte. Der neue Zeitgeist duldet auch hier keine Kritik!

Du hast dazu ja schon einiges publiziert. Dabei kam auch zur Sprache, dass der legendäre öffentliche Diskurs, der die hiesige Demokratie auszeichnen soll, von vornherein seine Staatsverbundenheit kennt – Kritik ist im Grundsätzlichen nur als konstruktive statthaft – und die damit gegebenen Imperative befolgt, dass so gesehen die Dissidenz einer Gegenöffentlichkeit nichts Neues ist. Was will die Flugschrift, an der Du mitgewirkt hast, dazu im Einzelnen beitragen? Schillo: Zunächst einmal macht sie Fälle namhaft – ähnlich wie die, die Du gerade aus Hamburg genannt hast –, wo es in der Öffentlichkeit zu Ausgrenzung kommt. Da gibt es etwa das Beispiel der Bonner Politik-Professorin Guérot.

Sie hat 2022 zusammen mit einem Wissenschaftler einen Essay über das Versagen Europas angesichts der aktuellen Kriegslage veröffentlicht, worauf eine regelrechte Kampagne gegen sie auf Touren kam, an der sich die Medien, aber auch Universitätskollegen, Studenten und schliesslich die Universitätsleitung beteiligten.

Die Unwissenschaftlichkeit des Essays „Endspiel Europa“ soll darin bestehen – so kann man die Vorwürfe auf den Punkt bringen –, dass er einem alten Europa-Ideal huldigt und nicht dem aktuellen Nato-Narrativ folgt. Mittlerweile hat das Bonner Uni-Rektorat Guérot gekündigt und sie hat sich auf ein Arbeitsgerichtsverfahren eingelassen, bei dem es um die Höhe einer Abfindung geht, weil alles andere wohl ein langwieriger, eher aussichtsloser Kampf um ihre Rehabilitierung gewesen wäre.

Interessant ist hier, dass dieser Akt der Zensur keiner sein soll. Vielmehr wird er als Strafe für unwissenschaftliches Arbeiten dargestellt, da die Politologin in ihren Streitschriften zu Europa (oder vorher zu Demokratiedefiziten der Pandemiebekämpfung) hier und da bei der Berufung auf wissenschaftliche Autoritäten die Anführungszeichen samt Quellenangaben vergessen habe. Schaut man sich die Beispiele an, stellt man schnell fest, dass es um absolute Lappalien geht.

KrKW (innen).JPG

Innenraum eines Krankentransportwagens der Bundeswehr in Breitenburg

Selbst der namhafte Plagiatsforscher Stefan Weber musste das in seinem Telepolis-Beitrag, der die akademischen Sünden Guérots bekannt machen wollte, zugeben. Es seien auch schon andere Wissenschaftler über Plagiate in ihren Arbeiten gestolpert, räumte er ein, aber es „ist in den seltensten Fällen so, dass Wissenschaftler genuin wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens berufliche Nachteile haben“. Und man merkt dem Mann die Bauchschmerzen an, mit denen er die politische Einflussnahme auf diese – angeblich – rein innerwissenschaftliche Kontroverse registriert. Dazu habe ich ja auch einen Kommentar „Der Fall Guérot II“ beigesteuert.

Bernhardt: Wie ist der aktuelle Stand in dieser Sache? Ist das damit erledigt, geht das so einfach über die Bühne? Schillo: Ende April sollte ein Gütetermin zum Arbeitsgerichtsverfahren stattfinden, der aber zu keiner Einigung führte. Für die Uni ist die Sache klar, Guérot „habe sich während ihrer Dienstzeit an der Universität des Plagiats schuldig gemacht. Die zuständigen Gremien hätten den Sachverhalt geprüft und sähen ihn als erwiesen an“. Der Bonner Richter stellte jedoch fest, „dass es sich nicht um klassische wissenschaftliche, sondern populärwissenschaftliche Werke handele. Die Frage ist nun, inwiefern auch hier die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens gelten.“ (FAZ, 3.5.23)

Vor dem Arbeitsgericht demonstrierten übrigens zwei Dutzend Studenten und Studentinnen, die der ASTA unter der Parole „Kein Platz für Verschwörungsideologien – Keine Professur für Guérot“ mobilisiert hatte. Wesentlich mehr Personen – zumeist aus der Friedensbewegung – protestierten allerdings gegen die Kampagne der Bonner Uni. Dort soll übrigens im Wintersemester eine Vorlesungsreihe stattfinden, die sich mit dem „Fall“ auseinandersetzt. Man darf gespannt sein, ob und in welcher Form das zustande kommt. Zum aktuellen Stand der Dinge hat sich Guérot jetzt auch in einem Interview bei Telepolis geäussert.

Patriotische Moral

Bernhardt: Solche Zensurmassnahmen sind bisher doch eher Einzelfälle (wie man etwa auch an den Beispielen Krone-Schmalz oder Baab sehen kann). Das soll nun nicht verharmlost werden, nur muss man doch festhalten, dass sich die Experten – ob sie jetzt aus dem Medien- oder dem Wissenschaftsbetrieb kommen – ziemlich einig sind, wenn es um die Gültigkeit des so genannten NATO-Narrativs geht. Von einer grossartigen Spaltung der Öffentlichkeit, von einem Niedermachen minoritärer Meinungen auf breiter Front oder von einer systematischen Praxis staatlicher Eingriffe ist doch bis auf die angesprochen Fälle wenig zu sehen.

undefined

Friedensbewegter Protest ist auch in Gewerkschaftskreisen-Kreisen weiterhin zulässig. Zum Antikriegstag hiess es vom DGB: „Die Waffen müssen endlich schweigen!“ (Aufruf „Für den Frieden“, 1.9.22). Der DGB HH hält zu Themen wie Aufrüstung und Lieferung schwerer Waffen eine „breite und offene Debatte“ für „notwendig“ (Aufruf „Gegen den Krieg“, 24.3.23). In der Bildungsgewerkschaft GEW, z.B. im Landesverband Hamburg, wo ich als Personalrat tätig war und mich weiterhin an Debatten beteilige, war man seit Jahren auf Anti-Kriegskurs. Das alte Motto der GEW „Gegen die Militarisierung des Bildungswesens!“ wurde nicht gecancelt. „Waffen schaffen keinen Frieden“ (gew.de, 28.3.22) – auch mehr davon nicht. Denn „Mehr Waffen bedeuten mehr Blutvergiessen“ (wienerzeitung.at, 17.6.22), so ein Mitglied der ukrainischen Friedensbewegung. Aber es gibt seitdem Nadelstiche, die die Arbeit der Friedensbewegung erschweren bzw. verhindern sollen – mit dem Hinweis z.B., es mangele an Abgrenzung gegenüber den Rechten in der Kriegsfrage.

Im Grundsätzlichen wurden Positionen beibehalten: „Krieg als schulisches Thema gehört in die Hand der dafür ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen, zum Beispiel in der politischen Bildung“ (welt.de, 9.3.22), so A. Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied der GEW Bund. Dazu seien Fachleute in den Schulen vorhanden, um Ängste und Nöte junger Menschen altersangemessen zu besprechen. Gegen die verstärkt erhobene Forderung „Bundeswehr in die Schulen!“ sah auch die GEW die Gefahr, dass die Offiziere letztlich unwillkürlich Werbung für den Soldatenberuf machen. „Durch die Präsenz von Militär an Schulen sollen die Kinder und Eltern an die Normalität des Krieges gewöhnt und die Schüler_innen als neue Soldat_innen geworben werden“, so wurde das Bündnis „Schule ohne Militär“ auf welt.de zitiert.

Schillo: Das stimmt, es ist nicht so, als wären „von oben“ administrativ und repressiv widerspenstige Volksmeinungen auf Linie und Organisationen wie die Interessenvertretungen der Arbeiter, die ja laut DGB-Aufruf die Hauptleidtragenden von Kriegen sind, zur Räson gebracht worden. Ich habe in meinem Text zur proletarischen Einverständniserklärung die Parallele zum Jahr 1914, zum Beginn des Ersten Weltkriegs, gezogen, als sich die Arbeiterbewegung, die ursprünglich mit einem internationalistischen Programm angetreten war, umstandslos zur Nation bekannte.

Mit der von Kanzler Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ ist jetzt in Deutschland auch eine „Gesinnungswende“ erfolgt, die in ihrer raschen, flächendeckenden Umsetzung zwar atemberaubend ist, die aber mit dem Umbruch von damals, als das Zeitalter der Weltkriege begann, nicht zu vergleichen ist. Seit dieser Zeit sind ja die (ehemaligen) Arbeiterparteien oder die Gewerkschaften als nationale Ressource in die Grossmachtkonkurrenz, die ihre Kriegsherren austragen, fest eingebaut. Die patriotische Moral, die auf politische Ansage mit den jeweiligen Freund- und Feindbildern der Nation vertraut gemacht wird, ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Das versuchen wir in unserer Flugschrift zum Thema zu machen, auch mit kritischen Überlegungen dazu, wie überhaupt die moralische Deutung der in- wie ausländischen Konkurrenzlagen funktioniert – und wie sie an der Sache vorbei geht.

Bernhardt: Die Zustimmung zu nationalen Feindbildern kann ich bestätigen. Der DGB Hamburg wendet sich in seinem diesjährigen Aufruf „Gegen den Krieg“ ausdrücklich nur gegen den „Angriffskrieg Russlands“, er beklagt die vielen Opfer auf der ukrainischen Seite, verliert über das verheizte Menschenmaterial auf der anderen Seite kein Wort. Im April folgt der DGB-Aufruf zu den Ostermärschen „Gegen Unterdrückung, Gewalt und Krieg!“. Wie im Aufruf zum Antikriegstag 2022 werden die Kriege weltweit angesprochen und trotz dieser Leitparole nimmt der DGB Partei für den Stellvertreterkrieg des Westens – also für eine Art der Kriegsbeteiligung, die das gegenseitige Abschlachten verlängert, die Milliarden kostet, wobei Deutschland als Hauptsponsor in der EU für die Tötungsmaterialien im Krieg und für den Unterhalt des maroden ukrainischen Staates aufkommt. Dazu gesellen sich die Kosten des Wirtschaftskriegs, der viele Menschen an der „Heimatfront“ durch die Energiekrise, durch die unverschämten Preiserhöhungen in Not bringt. Warum wird der Zusammenhang zwischen dem Krieg der konkurrierenden Staaten und ihren kapitalistischen Ökonomien schlicht ignoriert?

Schillo: Wie gesagt, wenn solche Konflikte aus dem Blickwinkel einer gefestigten patriotischen Moral betrachtet werden, findet eine Verschiebung statt. Dann kann z.B., das greifen wir im Buch am Beispiel der Osteuropaforschung auf, auch das sonst verpönte Schlagwort Imperialismus wieder zu Ehren kommen, nämlich als zusätzliche Charakterisierung der puren Bösartigkeit des Putin‘schen Regimes.

Der Imperialismusbegriff zielt der Sache nach auf die weltweit ausgreifenden kapitalistischen Benutzungs- und Abhängigkeitsverhältnisse, in denen die konkurrierenden Staaten immer wieder mit der Frage konfrontierte werden, ob sie ihre Gegensätze noch aushalten wollen oder zu anderen Mitteln greifen müssen. In der gültigen Weltordnung, die von den USA – nach ihrer eigenen Wahrnehmung: die einzig verbliebene Supermacht – bestimmt wird, ist der Gewalteinsatz zur eigenen Reichtumsmehrung untersagt; in der ökonomischen Konkurrenz sollen die Nationen ihr Mittel suchen.

Wo aber dessen Einsatz zu Erfolgen führt, die die überkommene Hierarchie der Staatenwelt in Frage stellen – siehe den Aufstieg der VR China zur Weltwirtschaftsmacht –, oder wo sich ein (schlimmstenfalls atomar unterlegter) Grossmachtanspruch zu Wort meldet – siehe die Russische Föderation mir ihren eigenen Vorstellungen einer europäischen Sicherheitsordnung –, muss gegen die Störer mit Gewalt vorgegangen werden. Das hat die US-Führungsmacht in endlosen Gemetzeln mal mit, mal ohne ihre NATO-Gefolgschaft, mal mit, mal ohne völkerrechtliche Legitimation durchexerziert. Und dafür ist in Osteuropa nach dem Ende des Ostblock, anknüpfend an den früheren „Rüstungswettlauf“, den Gorbatschow verloren gegeben hatte, eine gigantische NATO-Front aufgebaut und scharf gemacht worden – wobei diese Mal, was natürlich stimmt, der Russe zuerst geschossen hat (wenn man einmal den achtjährigen Bürgerkrieg in der Ukraine seit 2014 beiseite lässt).

Doch soll man deshalb in der Rivalität der Grossmächte Partei ergreifen? In einem Konflikt, der bis zur atomaren Apokalypse eskalieren kann und in dem wie eh und je das Fussvolk der Kapitalstandorte für die Durchsetzung seiner Kriegsherren sein Leben opfern muss? Für Patrioten ist dies eine Konsequenz, die sie zwar erschreckt oder beunruhigt, Einzelne sogar in Dissidenz treibt, die aber im Paket mit drin ist, wenn man in einer rundum freiheitlichen und zur Verteidigung ihrer Werte bereiten Nation leben will (bei Putin soll es natürlich pure Gewaltherrschaft sein, die ihm das Kanonenfutter zur Verfügung stellt). Wir versuchen daher in unserer Flugschrift vor allem dieses bemerkenswerte Gebilde einer patriotischen Moral, das für die meisten Insassen eines nationalen Gewaltzusammenhangs als Selbstverständlichkeit gilt, auf den Prüfstand zu stellen.

Einige Anregungen zu deren Kritik – fussend auf den Grundsatzüberlegungen der VSA-Flugschrift – sind jetzt auch auf der IVA-Website erschienen. Angegriffen werden dort grundsätzlich die moralischen Deutungen, mit denen die Parteigänger einer Konkurrenzgesellschaft ihre Lebensschicksale bewältigen. Sie tun dies, bevor nationale Feindbilder ins Spiel kommen, in der alltäglichen Unterordnung unter einen Rechtszustand, der ihnen die Freiheit der Interessenverfolgung gewährt. Sie überhöhen die Gebote des Staates zu sittlichen Massstäben, deren Befolgung zu allseitiger Harmonie führen müsste – wobei dann erst in einem zweiten Schritt das Ausland oder die Ausländer ins Visier der Menschen guten Willens geraten, wenn diese die bösen Kräfte auf dem Globus dingfest machen.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —        Die Aufklärungsdrohne PD-100 von Prox Dynamics als „Nano UAS“ im Dienst der Spezialkräfte des Heeres.

Author    ; Boevaya mashina          /        Source    :    Own work         /      Date      :      17 August 2019

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

*******************************

2.) von Oben       —     Innenraum eines Krankentransportwagens der Bundeswehr in Breitenburg

Abgelegt unter Bücher, Deutschland_DE, Kriegspolitik, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Kolumne * FERNSICHT Polen

Erstellt von Redaktion am 3. Juni 2023

Rückenwind für die polnische Opposition: Lex Tusk

Vogelbeobachtung (8618362879).jpg

Von  :  Karolina Wigura und Jaroslaw Kuisz

Als wir jung waren, fiel der Kommunismus in Polen und der öffentliche Raum begann sofort sich zu verändern. Die alten kommunistischen Denkmäler wurden abgerissen.

Manchmal nahmen die Einheimischen ein Stück des einen oder anderen Monuments mit, so wie manche es mit der Berliner Mauer taten. Und dann begann man, neue Denkmäler zu errichten von den Helden, die nach dem Kommunismus in der kollektiven Vorstellung der Polen lebten.

So gibt es in Warschau heute Denkmäler für Józef Piłsudski, Roman Dmowski und Wincenty Witos, die Polen nach 1918 aufgebaut haben. Wie schade, dass nur Witos ein echter Demokrat war. Piłsudski war der Urheber des Staatsstreichs von 1926, nach dem Polen zu einer Autokratie wurde, und Dmowski ein überzeugter Nationalist. Für die Polen aber, die sich von der sowjetischen Besatzung lösten, gaben nicht ihre politischen Ansichten, den Ausschlag, sondern die Tatsache, dass sie einen unabhängigen Staat aufbauten.

Paradoxerweise war es Witos, der 1931 unter dem Vorwand verhaftet wurde, er habe einen Staatsstreich vorbereitet, was offensichtlich nicht stimmte. Tatsächlich ist die Bereitschaft, politische Gegner zu verhaften, bis heute ein wichtiger Bestandteil der polnischen politischen Kultur.

Ein beunruhigendes Echo des Unrechts, das an Witos begangen wurde, ist die Kommission zur Untersuchung des russischen Einflusses. Ihre Gründung wurde diese Woche im Eiltempo von Staatspräsident Andrzej Duda unterzeichnet. Es handelt sich um ein verfassungswidriges Gremium, das buchstäblich jede Person vorladen und für unbestimmte Zeit aus dem öffentlichen Leben verbannen kann.

Kritiker bezeichnen es nicht umsonst als „Lex Tusk“, nach Donald Tusk, ehemals Vorsitzender des Europäischen Rates. Es ist kein Geheimnis, dass PiS-Chef Jarosław Kaczyński vor den anstehenden Parlamentswahlen in Polen einen unbequemen Konkurrenten loswerden möchte. Die PiS suggeriert seit Jahren, dass Tusk als Ministerpräsident von Wladimir Putins Russland abhängig sei, ja sogar, dass er und der russische Präsident die Smolensk-Katastrophe 2010 vorbereitet hätten, bei der der damalige Präsident Lech Kaczyński ums Leben kam.

Im Jahr 2023 bietet der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine reichlich Anlass, sich im politischen Alltag vor allem auf die Sicherheit zu konzentrieren. Kürzlich wurde entdeckt, dass im Herzen des Landes, in der Nähe der Stadt Bydgoszcz, im Dezember eine russische Rakete niederging. Sechs Monate lang erfuhr niemand etwas davon, und als die Sache doch bekannt wurde, kam die Forderung nach Rücktritten in der Regierung auf. Nichts dergleichen geschah. Stattdessen wurde die „Lex Tusk“ in Kraft gesetzt. Die geopolitische Gefahr ist unbestreitbar, und die Regierung ist damit beschäftigt, die Polarisierung zu schüren.

Quelle      :          TAZ-online            >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

Abgelegt unter Europa, Feuilleton, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Planetarische Bündnispolitik

Erstellt von Redaktion am 2. Juni 2023

Notizen zur Überwindung der imperialen Lebensweise

undefined

Karikaturistische Darstellung der Bündnispolitik Bismarcks: Alle Großmächte sind mit Deutschland verbunden, nur Frankreich (verkörpert durch Marianne) bleibt außen vor.

Quelle        :     Berliner Gazette

Von                  :            —      ALLIED GROUNDS

Verbindungen zwischen Umwelt- und Arbeitskämpfen herzustellen und zu politisieren, bedeutet nicht zuletzt den Zusammenhang zwischen den ökologischen Katastrophen und den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen, die sie ausgelöst haben, wiederherzustellen. Eine Weiterentwicklung existierender intersektionaler Ansätze im Zeichen planetarischer Bündnispolitik und solidarischer Arbeitsteilung ist dafür grundlegend, wie Autor und Aktivist Alexander Behr in seinem Beitrag zur BG-Textreihe “Allied Grounds” argumentiert.

Der Begriff der imperialen Produktions- und Lebensweise (Brand/Wissen) besagt im Wesentlichen, dass die meisten Menschen im globalen Norden, also in den reichen, westlichen Industrienationen, sowie eine wachsende Anzahl von Menschen in den sogenannten Schwellenländern auf Kosten des größten Teils der Menschheit sowie auf Kosten des Klimas und der Umwelt leben. Die imperiale Lebensweise produziert und festigt zudem die wachsende Ungleichheit innerhalb der Länder des globalen Nordens.

Um ihr entgegenzutreten, sollten verschiedene emanzipatorische Strategien produktiv zusammenwirken. Oder anders formuliert: Wir sollten zu einer solidarischen Arbeitsteilung finden. Basisbewegungen, fortschrittliche Zivilgesellschaft und NGOs, Gewerkschaften, linke religiöse Communities, Journalist*innen, Kulturschaffende, Aktive an Universitäten und in progressiven Parteien können – bei aller Unterschiedlichkeit in der Wahl der Methoden und Ansätze – Synergien entwickeln und verlässliche Austausch- und Aktionsstrukturen schaffen. Dies ist oft unbequem und bringt häufig Konflikte mit sich. Doch gerade in der produktiven Austragung dieser Konflikte steckt großes Potenzial.

Durch erfolgreiche Kämpfe im globalen Norden können die Handlungsspielräume im globalen Süden vergrößert werden. Der Sozialwissenschaftler Ingar Solty argumentiert etwa, dass Klassenkampf im globalen Norden den Freihandels- und Imperialismusdruck nach außen verringert. Dazu gehören zum Beispiel die erfolgreiche Verteidigung des Sozialstaats, jede Mindestlohnerhöhung und jede erfolgreiche Tarifauseinandersetzung. Sie sind laut Solty strukturell antiimperialistisch, weil sie überschüssiges Kapital binden, Exportorientierung verringern und den Ländern im globalen Süden so mehr Luft zum Atmen lassen. In diesem Sinne müsste laut Solty ein neuer Antiimperialismus auch Formen der De-Globalisierung (Walden Bello) und des aufgeklärten Protektionismus (Hans-Jürgen Urban) einbeziehen. Solty gibt zwar zu bedenken, dass ein solches Reformprogramm den Kapitalismus erst einmal nicht überwindet. Im Gegenteil: es stabilisiere ihn womöglich in gewisser Weise. Doch als konfliktorientiertes, antineoliberales Programm verbessert es die Kampfposition der sozial-ökologischen Bewegungen für darüberhinausgehende antikapitalistische Strategien.

Eine solidarische Arbeitsteilung in Prozessen transnationaler Organisierung kann auch bedeuten, dass Organisationen im globalen Norden materielle und symbolische Ressourcen denjenigen Aktivist*innen im globalen Süden zur Verfügung stellen, die darauf keinen Zugriff haben.

Bewegungspolitische Crossovers

Solidarische Arbeitsteilung bedeutet darüber hinaus, dass verschiedene auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität ausgerichtete Kämpfe kombiniert und nicht nach ihrer vermeintlichen Wichtigkeit „hierarchisiert“ werden. Martin Birkner, Leiter der Buchreihe Kritik & Utopie beim Wiener Mandelbaum Verlag, ruft in Erinnerung, dass der Begriff der Multitude, der zu Beginn der

Nullerjahre viel diskutiert wurde, dafür wichtige Denkimpulse geben kann: „Für heutige Auseinandersetzungen lässt sich mit dem Begriff der Multitude eine Form der Kollektivität denken, die gerade nicht auf eine Vereinheitlichung ihrer internen Differenzen abzielt, sondern vielmehr auf deren Anerkennung. Erst durch diese Anerkennung lässt sich politische Gemeinsamkeit und in Folge eine gemeinsame Strategie entwickeln.“

Eine Politik der Multitude, so Birkner, „überschreitet zunächst den scheinbaren Antagonismus zwischen Interessen- und Identitätspolitik. (…) In der unaufhebbaren Verbundenheit von (ökonomischer) Ausbeutung und (‚kultureller‘) Unterdrückung findet eine Politik der Multitude die Kraft ihrer Radikalität.“ Wichtig ist also stets, in den verschiedenen sozialen und ökologischen Kämpfen Synergien zu suchen und sie nicht gegeneinander auszuspielen.

Ein sehr erfolgreiches und immer wieder zitiertes Beispiel für diese spektrenübergreifende Solidarität ist die Unterstützung eines Bergarbeiterstreiks in Großbritannien im Jahr 1984 durch queere Aktivist*innen der LGSM (Lesbians and Gays Support Miners). Die Trennung zwischen Klassen- und Identitätspolitik wurde hier praktisch überwunden. Die LGSM sammelte Geld und besuchte die Streikenden in der südwalisischen Ortschaft Onllwyn. Ihr Einsatz bewegte die britische Gewerkschaft der Bergarbeiter anschließend dazu, sich stärker für die Rechte von Queers einzusetzen, und hatte zur Folge, dass sexuelle Gleichberechtigung Teil des Labour-Parteiprogramms wurde. Der Film „Pride“ aus dem Jahr 2014 wurde 30 Jahre nach der Solidaritätsaktion zu einem großen Kinoerfolg. Die verfilmte Geschichte von LGSM hat heute eine neue Organisation inspiriert, nämlich die Lesbians and Gays Support the Migrants. Sie sammelt nicht nur Geld für migrantische Projekte, sondern hat sich auch einen Namen mit spektakulären Solidaritätsaktionen gemacht, nicht zuletzt durch die Blockade eines Flugzeugs im Sommer 2018, mit dem Geflüchtete abgeschoben werden sollten.

Diese bewegungspolitischen Crossovers sind gelebte Solidarität. Wie im genannten Beispiel können sie dafür sorgen, dass sich die Arbeiter*innenbewegung nicht nur um das Widerspruchsfeld zwischen Arbeit und Kapital kümmert. Darüber hinaus können sie verhindern, dass Bewegungen für die Rechte von LGBTIQA*-Personen vom viel zitierten „progressiven Neoliberalismus“ (Nancy Fraser) vereinnahmt werden. Dauerhafte und vitale Verbindungen zur Arbeiter*innenbewegung und zu globalen Solidaritätsbewegungen betten die eigenen Forderungen in einen größeren Kontext ein, der für die Verwirklichung der Ziele entscheidend sein kann.

Im besten Fall ermöglicht diese Zusammenarbeit, dass die unterschiedlichen Szenen und Milieus aufeinander zugehen und etwaige Vorbehalte und Ressentiments entschärfen und abbauen. Dass dies nicht immer konfliktfrei ist, versteht sich von selbst, ist aber kein Grund, es nicht zu tun. Oder wie es Naomi Klein mit Blick auf die notwendige intersektionale Orientierung der Klimabewegung formuliert: „Über lange Zeit hinweg wurde uns eine Politik präsentiert, die die ökologischen Katastrophen von den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen trennte, die sie überhaupt ausgelöst hatten.“ Doch Rassismus und Sexismus, kapitalistische Ausbeutung, Armut sowie Zerstörung der Biodiversität und des Klimas sind laut Naomi Klein keine entkoppelten Ereignisse, sondern unserem System inhärente Strukturkomponenten – sie bedingen einander. Die Suche nach Alternativen kann nur erfolgreich sein, wenn sie diesem Umstand Rechnung trägt.

Naomi Klein  -Großer, friedlicher Protest am und auf dem Römerberg in Frankfurt:

Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel für solidarische Arbeitsteilung und Bewegungs-Crossover beschreibt Friederike Habermann in ihrem Porträt der mit 54.000 Mitgliedern äußerst starken Postgewerkschaft CUPW (Canadian Union of Postal Workers): Es handelt sich um eine Gewerkschaft, die sich „seit Jahrzehnten mit den Marginalisierten dieser Welt verbündet, erschwingliche Kinderbetreuungsstätten mitträgt, am Nationalfeiertag eine indigene Flagge hisst, schon mal das Bankenzentrum Torontos besetzt hat, bereits vor Jahren dafür streikte, zum Transformationstool in eine ‚klimaneutrale sozioökonomische Struktur, die niemanden zurücklässt‘, zu werden, und für die die Bevölkerung die Streikposten übernimmt. (…) Die CUPW strebt eine Wirtschaft mit 100 Prozent erneuerbarer Energie an, die aber auch Ungleichheiten abbaut und die Communities in die Lage versetzt, sich besser zu organisieren und Veränderungen vorzunehmen.“ Die Gewerkschaft unterstützt auch die Proteste der indigenen Wet’suwet’en, die Anfang 2020 ihr traditionelles Gebiet im Norden von British Columbia wieder besetzt hatten, um die geplante Coastal-GasLink-Pipeline, die Erdgas aus dem nordöstlichen Teil der Provinz quer durch ihr Territorium an die Küste transportieren soll, zu verhindern.

Um noch einmal auf die streikenden Minenarbeiter in England zurückzukommen: Zwischen 1992 und 1995, mitten im Jugoslawienkrieg, organisierten britische Aktivist*innen Hilfskonvois in die Stadt Tuzla, die im heutigen Bosnien und Herzegowina liegt. Die Konvois waren nicht als humanitäre Hilfe gedacht, sondern als ein Versuch, die lokalen Arbeiter*innen zu unterstützen: Denn viele von ihnen weigerten sich, sich aufgrund der ihnen zugeschriebenen ethnischen Zugehörigkeit gegeneinander aufhetzen zu lassen. Tuzla liegt in einem Bergbaugebiet mit einer langen Geschichte des Arbeiter*innenwiderstands, die bis zum Bergarbeiterstreik von 1922 zurückreicht. In den Jahren 1984 und 1985 hatten die Bergarbeiter der Region einen Tageslohn pro Monat an ihre streikenden britischen Kolleg*innen gespendet. 1992 reagierten die britischen Bergarbeiter auf einen Appell, die Solidarität von damals zu erwidern.

Nicht immer gelingen solche solidarischen Bezugnahmen. Sie sind in der Regel höchst voraussetzungsvoll und erfordern beharrliche und geduldige Bündnisarbeit. Manchmal bedarf es auch schlicht eines guten Moments. Immer wieder nach solidarischen Verknüpfungspunkten zu suchen ermöglicht aber den Blick über den Tellerrand und stärkt die eigene Bewegung.

Solidarische Arbeitsteilung bedeutet auch, dass die unterschiedlichen Akteur*innen innerhalb der jeweiligen Bewegungen ihren je spezifischen Zugang zu unterschiedlichen Milieus nutzen sollten. Wichtig sind offene Kommunikationskorridore und Gesprächsräume, die sich beispielsweise durch gemeinsame Konferenzen, Aktionen, Camps oder Demonstrationen herstellen und verstetigen lassen.

Ein Beispiel dafür war das erste Klima- und antirassistische „Doppelcamp“, das im Sommer 2008 in Hamburg stattfand und an dessen Aktionen sich mehr als 2.500 Menschen beteiligten. Das Aktionscamp kombinierte zum ersten Mal bewusst klimapolitische und antirassistische Forderungen und brachte dadurch verschiedene Akteur*innen aus unterschiedlichen aktivistischen Milieus zusammen. Zu den gemeinsam durchgeführten Aktionen gehörten die Abriegelung der Zufahrtsstraßen zum Hamburger Flughafen, die Besetzung der Baustelle des Kohlekraftwerks Moorburg oder die Blockade eines Supermarkts in der Hamburger Innenstadt. Motto des Camps war: „Für ein ganz anderes Klima – globale soziale Rechte für alle!“ Seither hat sich vieles weiterentwickelt.

Vielfältige Bündnisse sind entstanden und Slogans wie „Antifa for Future“ oder „Burn borders not coal“ haben sich etabliert – diese Brückenschläge spiegeln die notwendige Verschränkung von Klimabewegungen und antifaschistischen bzw. antirassistischen Kämpfen wider. Solidarische Arbeitsteilung zwischen unterschiedlichen Protestmilieus findet auch bei Aktionen gegen Straßen- oder Kraftwerksbau statt, etwa wenn lokale Bürger*inneninitiativen mit autonomen Gruppen und NGOs zusammentreffen. Obwohl sich die Organisations- und entsprechenden Umgangsformen deutlich voneinander unterscheiden, können sich gerade dadurch produktive Ergänzungen ergeben. Denn auch hier können die Fähigkeiten und Ressourcen der unterschiedlichen Akteur*innen Türen zu unterschiedlichen Milieus öffnen.

Transnationale Solidarität

Die Aufgabe radikaler Solidaritätsarbeit besteht vor allem auch darin, mit denjenigen solidarisch zu sein, die in ihren sozial-ökologischen Auseinandersetzungen am meisten aufs Spiel setzen. Was die Kämpfe für Klimagerechtigkeit anbelangt, so riskieren Aktivist*innen in Indien, Brasilien oder Indonesien weit mehr, wenn sie auf die Straße gehen oder Aktionen zivilen Ungehorsams durchführen, als Aktivist*innen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz.

Mit ihren spezifischen Privilegien, dem Zugang zu Medien, Bildungseinrichtungen und mächtigen politischen Institutionen, mit finanzieller Unterstützung und vielem mehr können Aktivist*innen im globalen Norden dabei helfen, sie zu verteidigen. Sie können ihre Kämpfe an die Öffentlichkeit bringen, Übersetzungsarbeit leisten und Ressourcen dorthin leiten, wo sie gebraucht werden. Wenn es nötig ist, müssen sie dafür sorgen, dass Aktivist*innen Zuflucht finden und Asyl erhalten. Das bedeutet auch, den Kampf gegen die Umwelt- und Klimakatastrophe nicht mehr abstrakt als „Kampf für die Zukunft“ zu bestimmen, sondern als den gegenwärtigen Überlebenskampf, der er für viele Menschen schon lange ist. Kampagnen wie „Shell must fall“ liefern konkrete Ansatzpunkte, wie globale Solidarität aussehen könnte.

Drei Namen von Aktivist*innen, die ihren Einsatz für den Schutz der Biodiversität, des Klimas und für soziale Gerechtigkeit mit ihrem Leben bezahlt haben, seien hier stellvertretend genannt: Berta Cáceres aus Honduras, Vorkämpferin für die Rechte von Indigenen und den Erhalt der Umwelt, Marielle Franco, feministische Stadträtin in Rio de Janeiro, und Paulo Paulino Guajajara, ebenfalls aus Brasilien und Umweltaktivist im Bundesstaat Maranhão. Globale Solidarität heißt, dass wir das Andenken an sie hochhalten, Straßen und Plätze nach ihnen benennen und dafür sorgen, dass sie Eingang in die Geschichtsbücher und Unterrichtsmaterialien in den Schulen finden. Globale Solidarität heißt aber auch, unsere Kämpfe in dem Bewusstsein zu führen, dass die mutigen Aktionen zahlloser Aktivist*innen, die ihr Engagement ebenfalls mit ihrem Leben bezahlt haben, einer breiten Öffentlichkeit niemals bekannt geworden sind.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist ein Beitrag zur “Allied Grounds”-Textreihe der Berliner Gazette; die englische Fassung finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “Allied Grounds”-Website. Schauen Sie mal hier: https://allied-grounds.berlinergazette.de

Copyright | Creative Commons-Lizenz

Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Unported Lizenzvertrag lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte auf creativecommons.org oder schicken Sie einen Brief an Creative Commons, 171 Second Street, Suite 300, San Francisco, California 94105, USA.

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben       —     Karikaturistische Darstellung der Bündnispolitik Bismarcks: Alle Großmächte sind mit Deutschland verbunden, nur Frankreich (verkörpert durch Marianne) bleibt außen vor.

Abgelegt unter Europa, Medien, Opposition, Positionen | Keine Kommentare »

Macht + Gewalt – ohne

Erstellt von Redaktion am 2. Juni 2023

Die «letzte Generation» und ihre Verfolger

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von      :     Heribert Prantl /   

Es ist eine kriminelle Vereinigung, behauptet die Münchner Staatsanwaltschaft. Warum das zwar nicht kriminell, aber falsch ist.

Wäre dies hier das Skript für ein politisches Kabarett, dann würde ich jetzt fragen, ob die Generalstaatsanwaltschaft in München eine kriminelle Vereinigung ist, weil sie die „Letzte Generation“ auf ziemlich abenteuerliche Weise als kriminelle Vereinigung verfolgt. Für solche Kalauer aber ist die Sache zu ernst. Beide Seiten machen Fehler: Die Klimaschützer machen kleine Fehler, weil sie mit ihren Klebeaktionen da und dort die Grenze zur Strafbarkeit überschreiten. Und die Strafverfolger machen grosse Fehler, weil sie auf die Klebeaktionen völlig unverhältnismässig reagieren. Sie treiben die Klimaschützer in eine Ecke, in die sie nicht gehören. Beides ist unklug, beides schadet der jeweiligen Sache, ist also dumm; aber Dummheit ist nicht kriminell.

Polit-populistische Aktionen im juristischen Gewand

Es ist gewiss so: Wer, wie die Klimaschützer, zivilen Widerstand leistet, darf das Strafrecht nicht fürchten; das lehrt die Erfahrung. Wer aber das Strafrecht nutzt, um die Widerständler pauschal zu kriminalisieren und sich populistisch zu profilieren, der hat den Wert der Demonstrationsfreiheit nicht verstanden; das lehrt das Verfassungsrecht. Darf ich Sie an dieser Stelle fragen, worüber Sie sich mehr aufregen: Über die nervigen Protestaktionen der Klimaschützer – oder über die Einschüchterungsaktionen der Münchner Generalstaatsanwaltschaft gegen die „Letzte Generation“? Die Münchner Strafverfolger beschuldigen diese Klimaschützer als „kriminelle Vereinigung“. Kriminelle Vereinigungen sind, so steht es im Strafgesetz, Vereinigungen „deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen“. In ganz Deutschland haben die Strafverfolger mit diesem seltsamen Vorwurf Razzien veranstaltet, Webseiten gesperrt und Konten beschlagnahmt, sie haben einen sogenannten Vermögensarrest durchgeführt, also die Gelder eingefroren – gerade so, als handele es sich bei den Klimaschützern um geldwaschende russische Oligarchen, die auf der EU-Sanktionsliste stehen. War das rechtmässig? War das eine polit-populistische Aktion im juristischen Gewand?

2017-01-09-Heribert Prantl -hart aber fair-9637.jpg

So ein Verdacht liegt sehr nahe: Es handelt sich um einen juristisch verbrämten Populismus. Unter anderem und besonders lautstark hatte die CSU nach strafrechtlichen Massnahmen gerufen – und: voilà! Die Staatsanwaltschaften in Deutschland sind nicht unabhängig von den Regierungen, sondern weisungsgebunden, sie sind nicht Judikative, sie sind Exekutive.  Daran hat sich nichts geändert, obwohl der Europäische Gerichtshof die politische Weisungsgebundenheit der deutschen Staatsanwaltschaft schon vor Jahren massiv kritisierte. Es ist so: Sie verdankt ihr Leben „dem Bedürfnis der Regierung, sich jederzeit Einfluss auf die Strafrechtspflege zu sichern“.  So schrieb das die Juristenzeitung schon zur Weimarer Zeit. Das ist bis heute so geblieben. Die einschlägigen Fälle sind selten, aber dann brisant – so wie gegen die Klimaschützer. Davon handelt mein heutiger SZ-Plus-Text.

Ich fürchte, es ist so: Die Gegner der Klimaschützer radikalisieren sich selbst in einer Weise, wie sie es den Klimaschützern vorwerfen.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Blockade der A100 durch den Aufstand der Letzten Generation, Berlin, 29.06.2022

Abgelegt unter Deutschland_DE, Justiz-Kommentare, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Flimmern + Rauschen

Erstellt von Redaktion am 2. Juni 2023

Den neuen heißen Scheiß verteidigen – das funkt

Eine Kolumne von Steffen Grimberg

Die Otto-Brenner-Stiftung (OBS) versteht sich ja als so eine Art „STRG_F“ des Medienbetriebs. Ihre Studien zu Redaktionen, medialen Spielarten und der Welt der Öffentlichkeit sind eintauchend und aufdeckend. Nah und journalistisch. Ehrlich und empathisch. Von daher ist es eine lustige Quadratur des Kreises, dass sich die gewerkschaftsnahe Truppe jetzt mit „STRG_F“ beschäftigt hat.

Genauer gesagt geht es um die teilinvestigativen Reporter*innen- und Presenterformate bei funk, also auch um „reporter“, „follow me.reports“ und „Die Frage“. Sie haben Erfolg, heimsen Grimme- und andere Preise ein und sind – schlimm. Das suggeriert jedenfalls der schön zugespitzte Studientitel „Journalistische Grenzgänger. Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren“. Wie immer im Leben muss aber nichts so heiß gegessen werden, wie es gekocht oder gepressemeldet wird. Denn in Wirklichkeit ist die Studie des Journalistikprofessors Janis Brinkmann von der für innovativ-praxisnahe Ansätze bekannten Hochschule Mittweida (Offenlegung: Wir kennen uns und ich find die gut) eine Verteidigung der funk-Formate.

undefined

Denn funk wird ja vorgeworfen, es verschmutze „die mentale Psyche und Gesundheit“ (Wolfgang M. Schmitt) bzw. dort würde „Vielfalt zur Einfalt“ verdichtet (Neue Zürcher Zeitung). Das ist allerdings das gleiche Missverständnis, das schon ein gewisser Sokratoteles mit der Jugend hatte. funk hat eine andere Zielgruppe, genauer gesagt junge Menschen. Und funk, bzw. die von Brinkmann akribisch untersuchten Formate, sind junger Journalismus bzw. „New Journalism“, wie es in der Studie heißt.

Der bricht nun „mit vielen klassischen journalistischen Normen und setzt statt auf nüchterne Information radikal auf Subjektivität, Personalisierung und Emotionen“, so Brinkmann. „Den neuen heißen Scheiß verteidigen, weil die Formate eigentlich durch das Prüfregister gefallen sind“, meint die Mitbewohnerin. „Aber auch nur, weil das Prüfregister veraltet klassisch journalistisch, das Neue aber leider geil ist; und einer muss die Brücke wohl schlagen.“

Quelle         :       TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Floaters caused by retinal detachments

Abgelegt unter Deutschland_DE, Feuilleton, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Wahlen in der Türkei

Erstellt von Redaktion am 1. Juni 2023

Urnengang im Kartenhaus

Ein Debattenbeitrag von Cem-Odos Güler

Erdoğan hat ein fragiles Finanzsystem mit starken Abhängigkeiten geschaffen. Die wirtschaftliche Dauerkrise erhöht auch den Druck auf die Demokratie.

Recep Tayyip Erdoğan dürfte in einem Punkt richtiger liegen, als er selbst denken mag. Als der türkische Präsident in der Nacht zu Montag seinen Wahlsieg verkündete, sagte er, seine Mitbürger hätten bei der Abstimmung „ihren Willen an den Urnen verteidigt“. Immer wieder hat er in seiner Kampagne den demokratischen Willen der Türkei betont, und man muss sagen, dass er recht behalten hat – entgegen seiner eigenen Politik, die Opposition im Land systematisch zu schwächen.

Es scheint paradox: In der Türkei wählt eine Mehrheit erneut Erdoğan, einen religiös-nationalistischen Präsidenten, der das Land zuletzt in eine massive Wirtschaftskrise geführt hat. Der Oppositionskandidat Kemal Kılıçdaroğlu kämpft sich auf 48 Prozent der Stimmen. Das ist angesichts der geschwächten Rechtsstaatlichkeit in der Türkei und einer massiven Denunziationskampagne gegen ihn ein Erfolg.

Genau hierin zeigt sich auch der demokratische Wille in der Türkei, den Erdoğan eigentlich meinen sollte: Trotz ihrer systematischen Benachteiligung ist die Opposition der Regierung bei einer Wahl so gefährlich geworden wie in den vergangenen 20 Jahren nicht. Das ist angesichts der hohen Erwartungen, die durch Prognosen über einen Sieg der Opposition beflügelt wurden, zwar ein schwacher Trost für die Menschen in der Türkei. Doch die demokratischen Institu­tio­nen im Land haben sich als bemerkenswert resilient erwiesen.

Das zeigt sich an der hohen Wahlbeteiligung mit über 86 Prozent am 14. Mai und noch 84 Prozent bei der Stichwahl am Sonntag. Die Be­ob­ach­te­r*in­nen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bezeichneten die Wahlen als „gut organisiert“. Kritik äußerte die Organisation dagegen wiederholt an den ungleichen Wettbewerbsbedingungen und „einem ungerechtfertigten Vorteil des Amtsinhabers“ etwa wegen einer klaren Benachteiligung der Opposition in den Medien des Landes und „den anhaltenden Beschränkungen der Meinungsfreiheit“.

Wahlbetrug unwahrscheinlich

Trotzdem haben auch die Oppositionsparteien bis zuletzt keinen Einspruch gegen das Wahl­ergebnis erhoben. Die CHP von Kemal Kılıçdaroğlu hatte nach eigenen Angaben anderthalb Jahre an der Wahlvorbereitung gearbeitet und dabei auch die parteiinterne Wahlbeobachtungsmission massiv verstärkt. Im Vorfeld der Stichwahlen bezeichnete die CHP ihre Anstrengungen diesbezüglich als „sehr erfolgreich“. Man muss davon ausgehen, dass die Türkei wirklich so abgestimmt hat, wie es das Ergebnis zeigt.

Der Alltag in der Türkei wird derzeit von einer massiven Wirtschaftskrise bestimmt, für deren Fortgang viele Menschen im Land Erdoğan verantwortlich machen, darunter durchaus auch seine eigenen Wähler*innen. Nach seiner Wiederwahl verlor die türkische Lira erneut an Kraft: Der Wechselkurs zum Euro liegt bei inzwischen etwa 22 zu 1, noch 2017 waren 4 Lira etwa 1 Euro wert.

Wer Schulden im Ausland hat, und das trifft auf die privatwirtschaftlichen Unternehmen in der Türkei in großem Maße zu, muss diese Verbindlichkeiten immer teurer bezahlen. Mit schuldenfinanzierten Ausgaben wird die Wirtschaftsleistung weiter aufrechterhalten. Erdoğan übt dafür auch Druck auf die Zentralbank aus, damit sie den Leitzins niedrig hält und Unternehmen günstige Kredite aufnehmen können.

Die Auswirkungen dieser Geldpolitik sind in der Türkei überall zu spüren: an dem Run auf Sachwerte, an den massiven Preissteigerungen bei Immobilien, an den stark gestiegenen Lebensmittelpreisen. Die Inflation vernichtet die Kaufkraft der Menschen, dennoch wird die Konjunktur des Landes durch ein massives Kreditprogramm weiter aufgeheizt. Die National-Religiösen haben in der Türkei ein fragiles Kartenhaus geschaffen, das bei dem leisesten Stoß in sich zusammenzufallen droht.

Erdoğan hat sich unentbehrlich gemacht

Was passiert, wenn die Nachfrage vollends einbricht? Was passiert, wenn die Vereinigten Arabischen Emirate als einer der größten Gläubiger der Türkei ihre Kreditvergabe überdenken? Erdoğan hat sich in dieser fragilen Wirtschaftsordnung unentbehrlich gemacht: Er verteilt die auf Pump finanzierten Konjunkturgewinne in Form von Mindestlohnsteigerungen und Rentenerhöhungen. Diese Geldspritzen verpuffen wegen der Inflationsrate zwar direkt wieder, schaffen aber kurzzeitige Linderungen, die besonders vor den Wahlen auf Zuspruch stoßen.

Quelle      :         TAZ-online          >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       Recep Tayyip Erdoğan, Angela Merkel, Rita Süssmuth, Halil Akkanat

****************************

Unten     —   https://twitter.com/Smiley007de

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte   

Abgelegt unter Asien, Debatte, Deutschland_DE, Kultur | 2 Kommentare »

DER ROTE FADEN

Erstellt von Redaktion am 1. Juni 2023

Habeck, Discounter und Klimaaktivismus: – Letzte Generation Aldi

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Silke Mertins

Der Discounter hat die Lösung zum schnellen Energiesparen für jeden Haushalt: Ein Balkonkraftwerk im Montageset. Kann das die Wogen in der Ampel glätten?

Die Minderjährige, die zu meiner Hausgemeinschaft gehört, findet mich distanzlos. Ich stelle hierzu fest: Es stimmt. Man kann schließlich nicht jedes Mal fragen, bevor man mal schnell eine kleine Umarmung braucht. So ging es auch dem Mann, der sich diese Woche in Frankfurt unbemerkt in den Konvoi des Bundeskanzlers einreihte und Olaf Scholz nach dem Aussteigen am Flughafen „überraschend innig“ umarmte, wie es aus Regierungskreisen hieß.

Überraschend ist der Vorfall gleich in mehrfacher Hinsicht. Erstens: Jemand möchte Olaf Scholz umarmen. Zweitens: Olaf Scholz wird tatsächlich noch erkannt, obwohl er sich beim Regieren vorzugsweise unsichtbar macht. Drittens: Typisch deutsch wäre unter Männern eigentlich ein herzlicher Händedruck oder dieses eine Umarmung andeutende Schultergeklopfe gewesen. Aber wer weiß heute schon noch, was typisch deutsch ist?

Neulich sagte mir ein junger Syrer, typisch deutsch sei für ihn, dass die Züge nie pünktlich seien. Er will jetzt für ein Auto sparen. Innige Umarmungen jedenfalls finden in der Bundesregierung nur noch in „Game of Thrones“-Manier statt: um das Messer leichter in den Brustkorb des anderen rammen zu können. Bei den Liberalen sitzt die Klinge besonders locker. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck möchte eigentlich Finanzminister Christian Lindner nicht einmal mehr mit spitzen Fingern die Hand geben.

Könnte ja sein, dass der FDP-Mann ihn blitzschnell an sich zieht für eine möglicherweise unangenehme Umarmung. Doch Lindner und seine Getreuen haben auch andere Methoden. Sie müssen als Jugendliche am selben Kurs teilgenommen haben wie die Minderjährige: „Zehn Wege, Absprachen zu unterlaufen“. Man kann zum Beispiel durch endlose Fragen die Dinge in die Länge ziehen.

Mit Aldi verschwägert?

Muss etwa der Hund auch dann ausgeführt werden, wenn man gerade vom Leben sehr erschöpft ist, ein sehr wichtiges Telefongespräch mit einem sehr netten Jungen führt oder man nicht weiß, was man anziehen soll? In Habecks Fall ziehen die Liberalen den Prozess mit über hundert Fragen zum geplanten Gebäudeenergiegesetz in die Länge. Rechtfertigen neue Umstände nicht auch einen Wortbruch?

Wie hätten die Liberalen denn wissen sollen, dass der Klimawandel tatsächlich konkretes Handeln erfordert und wir deshalb jetzt alle viel mehr über Wärmepumpen wissen, als wir jemals wissen wollten? CO2-reduzierte Heizmethoden werden aller Voraussicht nach so stark subventioniert, dass sie kaum teurer sind als konventionelle Heizungsanlagen.

Aber hey, das ist unglaublich schwer zu verstehen. Und überhaupt: Wo steht eigentlich, dass man Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts einhalten muss? Es hat 2021 festgelegt, dass das bisherige Klimaschutzgesetz nicht weit genug geht und die Freiheit der jungen Generation gefährdet. Aber die FDP hat da noch so viele Fragen an das Verfassungsgericht, mindestens hundert.

Außerdem stellt sich die Frage, ob einer von Habecks Staatssekretären oder er selbst vielleicht mit dem Aldi-Konzern verschwägert oder durch Trauzeugerei verbunden ist. Aldi Nord bietet nämlich ab Juni ein „Balkonkraftwerk“ zum Discountpreis an. Letzte Generation Aldi. Gut, dass Christian Lindner nicht bei Discountern einkauft und die woke Unterwanderung der Wirtschaft mit Technologien, die irgendwie nicht technologieoffen sind, nur aus der Ferne mitansehen muss.

Quelle        :       TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

*************************************************

Grafikquellen       :

Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

Abgelegt unter Feuilleton, Kultur, Positionen, Regierung, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Die German Angst

Erstellt von Redaktion am 31. Mai 2023

 Erst die German Angst macht die USA stark 

undefined

Ein Schlagloch von Jagoda Marinic

Mevlüde Genc hat gelehrt, dass Hass als Reaktion auf Hass keine Lösung ist. Im politischen Alltag findet sich aber weiter das alte Spiel mit Stereotypen.

Diese Woche gedachten geschichtsbewusste Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik der fünf Menschen, die vor 30 Jahren rechtsradikalen Anschlägen zum Opfer fielen: Hülya Genç, Saime Genç, Hatice Genç, Gürsün İnce und Gülüstan Öztürk. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte die Ereignisse „Terror“. Und: „Dieser rechte Terror ist verantwortlich für die Toten in Solingen.“

Wichtiger als die Worte aller Präsidenten in dieser Sache waren für mich immer die Worte von Mevlüde Genç, hinterbliebene Mutter dreier Kinder, die nicht einmal Zeit zu trauern hatte: „In der Nacht habe ich geweint. Aber am Tag habe ich meinen überlebenden Kindern ins Gesicht lächeln müssen, um dafür zu sorgen, dass der Hass nicht Eingang findet in ihre Herzen.“

Bis heute halte ich bei diesem Satz die Luft an. Wichtiger als ihre Wut und ihre Trauer war es, dass ihre Kinder nicht von demselben Hass erfüllt werden wie die Mörder ihrer toten Kinder. Versöhnung war ihre lebenslange Botschaft: „Seid vernünftig. Weder Geschrei noch Bösartigkeit haben einen Sinn. […] Nur wenn sich alle gut verstehen und mit Toleranz begegnen, kann der Mensch ein glückliches Leben leben.“ Mevlüde Genc lebte „when they go low, we go high“ – lange vor Michelle Obama. Auch die Familie von George Floyd forderte von den Menschen, die sich gegen Rassismus einsetzen, für ihre Community zu arbeiten, statt diese mit ihrer – wenngleich gerechten – Wut zu zersetzen.

Die Hinterbliebenen und ihr Anspruch an uns Mithinterbliebene im gesellschaftlichen Sinn sollten unser Kompass sein: Menschenrechte einfordern, Behörden zur Aufklärung verpflichten, wo sie Menschen wie Menschen zweiter Klasse behandeln, aber den Hass nicht einsickern lassen in den Körper, das Geschrei in sich drosseln, bis man sein Anliegen so vorbringen kann, dass man einander hört. Mevlüde Gençs Wunsch, ihre Kinder vor dem Hass in sich zu schützen, war auch der Wunsch, dass die deutsche Gesellschaft sich nicht in ihrem Hass verlieren möge. Weder jene, die gute Gründe hätten zu hassen, noch jene, die sich für ihre Menschenfeindlichkeit die schlechten Gründe selbst liefern.

Nach solchen Gedenkfeiern die Frage: Was haben wir wirklich gelernt? Verdammt sich die deutsche Gesellschaft selbst dazu, mit diesem ewigen Hass umgehen zu müssen? Seit einigen Jahren wird der Kampf auch in deutschen Parlamenten gekämpft, nichts von dem Erinnern hat uns immunisiert. Es diskutieren gerade wieder viele – oder besser schreien und streiten –, wie sich die hohen Umfragewerte der AfD eher erklären lassen (aus sich selbst heraus scheint das wohl für die meisten nicht begründbar zu sein). Die einen sehen in der CDU/CSU und ihrem postmerkelschen Spiel mit dem rechten Rand den Dammbruch: Hier normalisiert eine Partei der Mitte den Tabubruch als Taktik: etwa wenn Friedrich Merz bei ukrainischen Kriegsflüchtlingen von „Sozialtourismus“ spricht und erst nach öffentlicher Empörung zurückrudert. Die Silvesterkrawalle in Berlin und eine unsägliche Berliner Wahlkampfdebatte im Anschluss, die geprägt war durch rassistische Klischees, die ihren Teil dazu beitrug, Kai Wegner von der CDU das Bürgermeisteramt zu sichern.

In Deutschland lassen sich mit rassistischen Parolen immer noch ein paar Prozentpunkte mehr holen, zumal in schwierigen Zeiten. Die CDU/CSU muss es schaffen, das Konservative in der Mitte zu halten, sie muss den Rand nach rechts schließen, eindeutige Botschaften senden, wo demokratischer Boden verlassen wird und Menschenfeindlichkeit beginnt. Das musste Markus Söder in Bayern schmerzhaft lernen; es wäre dumm, wenn Merz in diesem Fall nichts vom Bayernkönig Söder lernt. Söders Kampagne, mit der er damals sowohl Merkel als auch die humanitären Helfer der Asylsuchenden angriff, zahlte sich nur für den rechten Rand aus, nicht für ihn.

Auch die Grünen tragen ihren Teil bei, weil sie als selbsterklärte Klima- und Zukunftspartei die German Angst nicht mitdenkt. Große Teile der Deutschen haben Angst, zu kurz zu kommen. Manchmal wirkt das lächerlich, in manchen Bereichen jedoch lässt sich die Prekarisierung bis in die Mitte der Gesellschaft belegen.

Doch es ist momentan nicht nur die German Angst; auch in Spanien verlor die sozialistische Partei bei den Kommunalwahlen, sodass der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez nun Neuwahlen ansetzt. Linke machen oft den Fehler, in Zeiten der Macht auf eine Art durchzuregieren, dass sie schneller abgewählt werden, als sie Wandel bringen können. In Spanien wartet Isabel Diaz Ayuso von der Konservativen Volkspartei auf ihre Chance, manche nennen sie den spanischen Trump.

Quelle        :            TAZ-online        >>>>>      weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —     Abbildung in Charles Darwins Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren

Abgelegt unter Amerika, Deutschland_DE, Feuilleton, Mensch, Positionen | Keine Kommentare »

Das Ende des Kapitalismus

Erstellt von Redaktion am 31. Mai 2023

Funktionsweise und Abschaffung

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      :      Gerd Stange

Das Buch von Ulrike Herrmann mit diesem Titel macht Hoffnung, denn es trifft auf grosses Interesse. Leider ist ihre Analyse unzulänglich, auch wenn sie sich auf Karl Marx beruft.

Die Produktion braucht:1. Menschen
2. Natur (Boden, Rohstoffe)
Sie sind die einzigen Quellen von Reichtum. Für den Produktionsprozess brauchen wir ausser Menschen und Natur noch 3. Produktionsmittel
3.1. Boden
3.2. Gebäude
3.3. Arbeitsmittel und Maschinen

Voraussetzungen für kapitalistische Produktion sind zusätzlich

4. Privateigentum an Produktionsmitteln
5. Bürgerliche Freiheit : Mittellose freie Arbeitskräfte
6. Marktwirtschaft
7. Reichtum und Armut: Ursprüngliche Akkumulation
8. Konkurrenz um Profit

In der Feudalgesellschaft am Ende des Mittelalters beruhte die Herrschaft des Adels auf nackter physischer Gewalt. Der Ritter war der Reiter mit Dolch, Schwert und Lanze. Ihm beiseite stand die geistige Macht der Kirche mit ihrem Geheimwissen (Bibel auf Latein) und dem Analphabetismus der Landbevölkerung. Die arbeitende Bevölkerung waren Leibeigene oder Sklaven.

Ausser den Produktionsmitteln Boden und Gebäuden musste der Kapitalist also genügend Geld haben, um sich die Produktionsmittel zu kaufen oder zu mieten. Im letzteren Fall musste er kreditwürdig sein, also genügend Geld zur Absicherung haben. Das bedeutet heute: Sein monatlicher Überschuss muss dauerhaft das Dreifache seines Darlehens betragen, sonst gibt die Bank keinen Kredit.

Seit Abschaffung der Leibeigenschaft und der Sklaverei muss die Arbeitskraft gemietet werden. Dafür mussten die Menschen befreit werden und mittellos sein. Die formale Freiheit warf sie auf den Arbeitsmarkt, denn gleichzeitig wurde das Land, von dem sie bis dahin gelebt hatten, privatisiert. Die gemeinschaftliche Verfügung über den Boden (Allmende) wurde mit Gewalt beseitigt und war ein entscheidender Schritt der ursprünglichen Akkumulation, der zuerst in der feudalen englischen Gesellschaft geschah (vor dem Kapitalismus). Freiheit und Mittellosigkeit bedeutet bis heute weiterhin Arbeitszwang, auch wenn die körperliche Arbeit überwiegend von Ausländern oder im Ausland gemacht wird.

Das machte es damals den Kapitalisten möglich und macht es heute immer noch, nicht die geleistete Arbeit zu bezahlen, sondern den Lebensunterhalt − wie in anderen Gesellschaften den Sklaven oderLeibeigenen. Die Länge und Intensität der Arbeit bestimmt das Kapital. Durch die gewerkschaftliche Organisierung wurde der tödlichen Ausbeutung im Raubtierkapitalismus eine Grenze gesetzt, aber auch die gebildeteren Mittelschichten übersehen, dass sie ihre Arbeit nur notwendigerweise machen. Die Identifikation mit dem Beruf (Frage: „Was bist du? Ich meine: von Beruf?“ täuscht darüber hinweg, dass erst im Rentenalter die Freiheit beginnt, falls das Rentenalter erreicht wird und die Rente zum Leben reicht.

Die Arbeitszeit ist nicht bestimmend für die Bezahlung, sondern ihr Wert, der sich nach den Kosten des Lebensunterhaltes der „Besitzer“ der Arbeitskraft richtet. Früher war das klassisch eine Arbeiterfamilie. Heute kann sich der Kapitalismus nicht mehr leisten, auch noch die Frau des Arbeiters zu bezahlen, weil sie eine billigere „Ressource“ in vielen Bereichen ist, wo die Männer ungeübt sind.

Der Gewinn des Kapitalisten entsteht daraus, dass er die geleistete Arbeit nicht bezahlt, sondern nur die Miete der Arbeitskraft.

Kredit ist keine Voraussetzung für den Kapitalismus, sondern ein teures Accessoire, das es schon lange zuvor gab, wie Ulrike Herrmann gut beschreibt. Geld kann nur zu Kapital werden, wenn es die Voraussetzungen erfüllt und in die Produktion gesteckt wird. Und Kredit kann es nur geben, wenn schon Kapital vorhanden ist. Deshalb ist Finanzkapital kein Kapital im Sinne des Kapitalismus, denn es bestand schon vor ihm. Es gehört zur Voraussetzung der ursprünglichen Akkumulation von Reichtum. Anders gesagt: Der Feudalismus ist nicht abgeschafft. Der Adel hat nicht nur Schlösser und Geld, sondern auch Wälder, Bodenschätze und einen Hang zum Militär, wo er im 2. Weltkrieg eine grosse Rolle spielte. Durch den Schutz des Privateigentums ist sein Weiterbestand gesichert.

Das Finanzkapital wächst in der Regel auch dann, wenn es nicht in Kapitalunternehmen angelegt wird, aber es ist verwundbarer, es kann durch Inflation oder staatliches Handeln wertlos gemacht werden. Seitdem Geld an keine Materie mehr gebunden ist, kann es nach Belieben auf und abgewertet werden und sehr flüchtig sein. Geldvermögen können innerhalb von Minuten vernichtet werden.

Kapitalismus ist also, dass Geld mit den oben genannten Produktionsmitteln in die Herstellung von Waren gesteckt wird. Dabei interessiert der Kapitalismus sich nicht ernsthaft für den Gebrauchswert (China macht es besonders deutlich), sondern nur für den Tauschwert der Produkte. Er will sie als Ware verkaufen, mehr nicht. Zu seinen Voraussetzungen zählen also frei Märkte ohne Beschränkungen. Die liberalen Parteien, die für bürgerliche Freiheit kämpfen, haben also auch noch den freien Markt im Forderungskatalog. Sie haben die Globalisierung vorangetrieben – insbesondere für die nationalen Monopole, die auf den Weltmarkt angewiesen sind. Zölle sind eine Reduzierung des Gewinns.

Konkurrenz

Sie ist der Motor und das Verhängnis kapitalistischer Produktion. Die Aussicht auf Profit kurbelt die Produktion an, solange die Nachfrage wächst. Am Ende bleiben die Waren mit der geringsten Profitspanne unverkäufliche und einige Wettbewerber scheiden in der Krise aus. Arbeitskräfte werden entlassen, technische Neuerungen entwickelt, so dass die verbleibenden Konkurrenten profitabler mit weniger Menschen weitermachen können. Dieser Prozess hat in einigen Branchen (von der Automobilindustrie bis zur Agrikultur) zur Einführung von Robotern und Monopolähnlichen Strukturen auf Weltniveau geführt.

Die Planwirtschaft hat seit 1918 in zahlreichen Ländern immer wieder gezeigt, dass sie dem Kapitalismus unterlegen ist, weil sie das Konkurrenzprinzip aufgibt und die gesellschaftlichen Bedürfnisse von oben bestimmt. Zuletzt hat die VR China ihren Kurs gewechselt und den Kapitalismus zugelassen, bevor sie den USA unterlegen und untergegangen wäre. Mit dem Einzug des Kapitalismus kam es dort schliesslich auch zu einer Überproduktions und Gesundheitskrise trotz Planwirtschaft.

Entstehung von Profit

Wert Wenn alle Produktionsmittel gekauft sind und die Arbeit gemacht ist, ergeben sich zwei Werte des Produktes. Der erste ist der Gebrauchswert, der nicht quantitativ zu bemessen ist, weil er die Qualität des Produktes für den Gebrauch meint. Für den Tausch jedoch, also den Verkauf als Ware erhält das Produkt einen Tauschwert, der den eigentlichen Wert des Produktes übersteigt, weil der Kapitalist einen Profit aufschlägt. Sonst würde er sich nicht auf diesen Prozess einlassen. So wird aus dem Tauschwert der Preis. Der ganze Produktionsprozess könnte also ohne den Kapitalisten billiger sein, zumal er in der Regel die Produktionsleitung nicht selbst macht. Facebook sähe anders aus, wenn kein Zuckerberg mehr Hass predigen würde, weil Hass den optimalen Profit bringt, und wäre preiswerter. Der Einsatz von Geld in die Produktion hat zwei Stellschrauben:

1. Wert der Ware Arbeitskraft
2. Einsatz von Technik

Bei gleichem Stand der Technik kann nur durch Verbilligung der Arbeitskraft ein höherer Preis erzielt werden. Das hat die Auslagerung vieler Industriezweige nach Asien gezeigt. Aber irgendwann ist das ausgereizt. Also gibt es einen immanenten Druck, Arbeitskraft durch Technik zu ersetzen, die Produktionssteigerung möglich macht und damit den Tauschwert senkt. Dieser Druck hat letztlich zur Roboterisierung der Produktion geführt. Der Mensch in der Produktion wird abgeschafft und hört auf, neben der Natur eine Quelle des Reichtums zu sein.

Krisen

Es gibt Wirtschafts und FinanzKrisen.

Jede Wirtschaftskrise ist eine Überproduktionskrise und eliminiert alle Unternehmen, die nicht auf dem technischen Stand sind oder zwingt sie zur weiteren Technisierung. Zugleich entlässt sie die überflüssig werdenden Arbeitskräfte und erzeugt Arbeitslosigkeit bei den Menschen. Jede Wirtschaftskrise bedeutet Produktionsrückgang, Entwertung und Vernichtung von Gebrauchswerten.

2008ff war eine Wirtschaftskrise, die durch Überproduktion entstanden ist. Vor allem Wohnraum in den USA, aber auch Automobile weltweit. Die Bankpleite von Lehmann Brothers hätte vermieden werden können, das war anscheinend nicht gewollt.

Die Überproduktion in der ökonomischen Krise ist systemimmanent, weil jedes einzelne Kapitalunternehmen maximalen Absatz sucht und es dafür keine Grenze gibt, denn die Konkurrenz würde sonst obsiegen. Der Raubbau an der Natur ist also ebenso zwangsläufig wie die Vernichtung von Gebrauchswerten durch Überproduktion. Diesen Wettkampf verlieren die Unternehmen, die den geringsten Profit erwirtschaften, so dass eine Kapitalkonzentration Richtung Monopol zwangsläufig ist. Am deutlichsten in der Luftfahrt und der Automobilindustrie zu sehen. Weitermachen dürfen die Firmen mit der grössten Gewinnspanne (Beispiel: Tesla). Wenn die Roboterisierung in allen Produktionsbereichen durchgesetzt sein wird, steht eine immer grössere Menschenmasse weltweit ohne Einkommen da, was die Migrationsströme und Verteilungskriege brutal verschärft. Für 8 Milliarden Menschen ist Flucht und Krieg keine Lösung. Das ist aber die logische Folge von Roboterisierung und Einsparung von Arbeitskräften. Vorübergehend wird der Profit für Musk & Co steigen, weil er Arbeitskräfte eingespart hat. Aber wenn alle Konkurrenten nachziehen und automatisieren, gibt es nichts mehr zu sparen für ExtraProfite.

Finanzkrisen hingegen sind Spekulationsfolgen, die wie in einem riesigen Casino die Geldbesitzer beschäftigen. Sie sind die Folge von Geldreichtum und können durch Geldentwertung gelöst werden. Finanzkrisen ziehen nicht zwangsläufig Wirtschaftskrisen nach sich, weil sie nur Geld entwerten, kein Kapital. Sie betreffen nur die mit Finanzen.

Abschaffung des Kapitalismus

Die Abschaffung des Kapitalismus kann nur gelingen, wenn seine Voraussetzungen und darüber hinaus seine Funktionsprinzipien abgeschafft werden.

Funktionsweise des Kapitalismus

Kapital ist Geld, das in die Produktion von Gebrauchswerten investiert wird, damit es mehr Geld wird. Es geht ihm ausschliesslich um Quantität, weil es selbst nur Quantität ist. Wachstum ist seine Zauberformel. Deswegen muss das Bruttosozialprodukt selbst dann immer wachsen, wenn ein Land im Überfluss schwimmt. In kaum einem Land ist der Wachstumsdruck höher als in der Schweiz.

Der kapitalistische Produzent ist also nur so weit an der Qualität des Gebrauchswerts seines Produktes interessiert, als er es auf dem Markt in Warenform verkaufen will. Für ihn ist es eine TauschwertProduktion zwecks Gewinnerzielung. Der Gewinn entsteht dadurch, dass er sich die Arbeit bezahlen lässt, die seine Arbeitskräfte in der Produktion hineingesteckt haben. Das ist seine einzige Stellschraube, denn der Stundenlohn verschleiert, dass nur ein Bruchteil des Wertzuwachses durch Arbeit bezahlt wird.

Schon lange ist die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse nicht mehr das Ziel, denn das wäre erreichbar, jedoch würde es Stillstand bedeuten. Stattdessen müssen ständig neue Bedürfnisse kreiert werden, um die Produktion am Laufen zu halten. Die Ausgaben für Werbung sind zu lästigen, aber notwendigen Kosten der Produktion geworden. Es gibt einen Überfluss an Überflüssigem und trotzdem nicht das Notwendige für alle. Eine Abkehr vom Kurzlebigen, Nutzlosen und Überflüssigen ist Voraussetzung für eine Gebrauchswertproduktion:

Die quantitative Tauschwertproduktion muss in eine qualitative Gebrauchswertproduktion verändert werden. Das Sozialprodukt darf nicht mehr am Tauschwert der Waren (folglich dem Preis) gemessen werden. Bestimmendes Kriterium für die Produktion muss die Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse durch entsprechend gebrauchsorientierte Waren sein. Den Gebrauchswert kann man nicht messen, nur erfragen und ständig verbessern: den Nährwert von Nahrungsmitteln, die Haltbarkeit von Kleidung, die Umweltverträglichkeit…

Für eine Gebrauchswertorientierung bedarf es gesellschaftlicher Diskussionsprozesse, also einer Neuerfindung und Erweiterung der Demokratie. In diesem Bereich könnten soziale Medien ihrem Namen gerecht werden. Keine Planwirtschaft von oben kann ernsthaft die Bedürfnisse bestimmen. Sie hat in England im Krieg funktioniert, weil es eine nationale Angelegenheit war, in der es um das Überleben ging.

In einer nachkapitalistischen Gesellschaft muss sich unser ausbeuterisches Verhältnis zur Umwelt verändern, das den Menschen und die Natur gleichermassen unterwirft, missbraucht, vernichtet, mit Krieg und Forstwirtschaft die Erde verwüstet, mit Verkehrsmitteln und Agroindustrie uns die Luft zum Atmen nimmt. Es geht nicht darum, einen bestimmten erreichten Standard zu bewahren, sondern unser Verhalten und die Verhältnisse zu verändern. Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung, die sich die Natur zum eigenen Nutzen unterwerfen soll. Er muss sich als Teil der Natur begreifen, die dabei ist, sich massiv gegen sein Schmarotzertum zu wehren. Es ist Konsens in der Wissenschaft, dass die Pandemien weiter zunehmen werden, und sie betreffen vor allem die sogenannte zivilisierte Welt.

Vergesellschaftung der Produktionsmittel: Die Enteignung zum Wohle der Gemeinschaft ist im Grundgesetz enthalten. Sie müsste ersatzlos sein, denn dieses Privateigentum basiert historisch auf Raub oder anderer gewaltsamer Aneignung. Das gilt insbesondere für adligen Grossgrundbesitz (zum Teil aus dem Mittelalter) und für Kolonien, in denen viele Bodenschätze Westeuropas lagern.

Geldreichtum müsste begrenzt und von einer Währungsreform begleitet werden, um die extreme Ungleichheit nicht fortzusetzen.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —   Alleestraße 144 in Bochum

Abgelegt unter International, Positionen, Regierung, Religionen, Umwelt | Keine Kommentare »

Mit Mut: „Letzte Generation“

Erstellt von Redaktion am 31. Mai 2023

Solidarität mit der Letzten Generation

Wo denn sonst könnte ein „Demokratisch“ sich nennender Staat, schöner seine politische Unfähigkeit unter Beweis stellen ? Er hat doch nicht einmal seine eigene Gewalt unter Kontrolle.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Hans Christoph Stoodt

Die Razzien gegen die Aktivisten von „Letzte Generation“ zeigen einmal mehr, wo sich Staat und Justiz derzeit positionieren.

Razzien gibt es nicht wegen des sehr wahrscheinlichen Bruchs der Verfassung und ihres Artikels 20a GG im Rahmen der derzeitigen Verkehrs- oder Energiepolitik.

Kein Manager irgendeiner der betrügerischen Autofirmen, die im Zusammenhang der „Dieselgate“-Affäre nicht etwa, wie es verharmlosend hieß, „geschummelt“, sondern wissentlich und mit voller Profitabsicht Menschen und Mitwelt massiv geschädigt haben, wurde in der heute zu erlebenden Art und Weise drangsaliert, Razzien gibt es auch nicht gegen die RWE-Manager, die Landesregierungen von NRW und anderen Bundesländern, die ebenfalls wissentlich für das Profitinteresse großer Energiekonzerne riesige und nicht wieder gut zu machende Schäden angerichtet haben, auch nicht gegen die Autobahn-GmBH, die DEGES und die schwarzgrüne Landesregierung von Hessen, die beim Bau der A49 mitverantwortlich für die nun zu befürchtende Trinkwasservergiftung mit krebserzeugenden Rückständen der Sprengstoffproduktion bei Stadtallendorf für die frühere Nazi-Wehrmacht ist, und von der sie seit Jahren wissen konnten.

Nein. Razzien gibt es gegen Menschen, die mit fast schon religiösem und oft genug auch verzweilfeltem Eifer die Gewaltfreiheit ihrer Aktionen Zivilen Ungehorsams betonen und penibel praktizieren, auch wenn sie von wütenden Autofahrer:innen getreten, geschlagen, beschimpft, bespuckt, angezeigt wurden. Solch ein Verhalten soll den Tatbestand der Bildung einer „Kriminellen Vereinigung“ erfüllen.

Die Flut der Anzeigen von in ihrer Mobilitäts-Freiheit sich eingeschränkt fühlenden Büger:innen hat nun, so hört man es aus München, zu den heutigen Razzien gegen „Letzte Generation“ geführt.
Gegen sie wird als mögliche „kriminelle Vereinigung“ ermittelt.

Das ist bodenlos, absurd, das ist staatliche Gewalt. Das ist zutiefst irrational – denn kein Milligramm CO2 weniger wird durch diese Aktion in die Atmosphäre gegast, nichts ändert sich in der Sache, um die es geht, zum Besseren. Das ist die in der Klimafrage in Wahrheit hilflos mit ihren Machtmitteln fuchtelnde Demonstration eines um sich schlagenden Staats, der diejenigen bestraft, die ihn, leider wohl allzu illusionär, an seine Amtspflichten erinnern.

File:Letzte Generation Friedlicher Protestmarsch 04 2023 Berlin.jpg

Ich möchte, anstatt vieles andere zu zitieren, einfach nur daran erinnern, daß der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau, Pfarrer Dr. Volker Jung, vor nicht allzulanger Zeit seine Solidarität mit „letzte generation“ bekundet und sie ausdrücklich gegen Kriminalisierungsversuche in Schutz genommen hat (https://www.ekhn.de/aktuell/detailmagazin/news/tempolimit-kirchenpraesident-drueckt-fuers-klima-auf-die-bremse.html).

Es bedarf schon eines CSU-Verständnisses von Christentum und Schöpfung, staatliche Machtmittel im heute zu erlebenden Ausmaß gegen Klimagerechtigkeitsaktivist:innen in Marsch zu setzen.

Alle, die die Hoffnung auf eine Welt nicht aufgegeben haben, in der soziale Gerechtigkeit, Frieden und ein rationaler, zukunftsfähiger Umgang mit den natürlichen Grundlagen der menschlichen Zivilisation als Möglichkeit in Blick und Reichweite bleiben, sind aufgerufen, sich lautstark und deutlich mit „Letzte Generation“ zu solidarisieren – völlig gleichgültig, ob man mit dieser oder jener Aktion der Gruppe voll und ganz einverstanden ist.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —       Caris und Solvig, zwei Mütter vom Aufstand der Letzten Generation, haben sich im Naturkundemuseum festgeklebt. Caris hat einen Sohn und Solvig vier Kinder. Hier löst die Polizei den Kleber. Ein Knochen des Sauriers, ein Imitat, ist abgebrochen. Berlin, 30.10.22

Abgelegt unter Berlin, Feuilleton, Innere Sicherheit, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Kolumne-La dolce Vita

Erstellt von Redaktion am 31. Mai 2023

Kümmert euch um das Problem selbst!

Aber Pollitiker haben noch nicht einmal das gelernt und sind auf ihre Knüppelbarden angewiesen.

Von    :    Amina Aziz

Debatte über Rassismus in der Polizei. – Nach der Kritik der Dozentin Bahar Aslan am Rassismus in der Polizei diskutieren alle über die Art der Diskussion – doch viel zu selten über die Sache.

Als Horst Seehofer vor zwei Jahren Hengameh Yaghoobifarah mit einer Anzeige gedroht hat, habe ich ihm Yaghoobifarahs Roman „Ministerium der Träume“ geschickt. Es war unfassbar für mich, dass ein deutscher Innenminister so gegen ihm unliebsame Jour­na­lis­t*in­nen vorgehen will.

Jetzt wurde mal wieder durch eine rassifizierte Person eine Polizeidebatte ausgelöst. Bahar Aslan hat als Dozentin für interkulturelle Kompetenz bei der Polizei in einem Tweet vom „braunen Dreck bei den Sicherheitsbehörden“ gesprochen und ist ihren Job los. Dagegen klagt sie. Aus Solidarität mit ihr haben Hunderte einen offenen Brief unterzeichnet.

Während es in anderen Ländern völlig normal ist, auf Polizei und Politik zu schimpfen, verzeiht man in Deutschland so eine Wortwahl nicht. Der Ton macht die Musik und ist bisweilen wichtiger als das Anliegen. Die Anfeindungen gegen Aslan sind nur ein Beispiel für eine intolerante Rechte, die alles noch so Banale zum Anlass nimmt, ihren Rassismus so auszuleben, dass migrantische Personen gecancelt werden und eine Öffentlichkeit glauben gemacht wird, dass so eine Aussage tatsächlich schlimm sei.

Die Debatte, die das entfachte, ist gesellschaftspolitisch und intellektuell armselig. Das liegt auch an dem offenen Brief. Darin wird sich von der Wortwahl Aslans distanziert. Dieser Wortwahl stehen die im Brief selbst erwähnten Beamten gegenüber, die Nazis sind, aber nicht beleidigt werden sollen. Wo kämen wir da hin, Nazis zu beleidigen?

Der Streit um den Knochen?

Der Brief beginnt mit dem Satz: „Wir stehen hinter der Polizei.“ Es ist erschreckend, wie viele Menschen diese Aussage unterzeichnet haben, als ob es der einzige Weg ist, Solidarität mit Aslan zu äußern. Es gibt keinen Grund, hinter einer Staatsgewalt zu stehen.

Als seien migrantische Cops cooler

In Brief und Debatte werden auch weder die Opfer von Polizeigewalt erwähnt, noch problematisiert man Antirasissmus-Workshops bei der Polizei. Als ob es eine rassimussensible Polizei geben könnte und migrantische Cops cooler wären.

Der Brief zeigt, dass die Kritik an der Polizei, die seit dem Mord an George Floyd und der Debatte mit Seehofer geäußert wurde, in der Breite nicht angekommen ist.

Stattdessen wird über die Art und Weise diskutiert, wie man Kritik äußern sollte. Als wäre dieses Land Herr von Knigge persönlich und nicht eins, über dessen Bevölkerung es Studien zu ihrem autoritären Charakter gibt.

Quelle      :    TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —    Kostüm von Danilo Donati für „Il Casanova“, Film von Federico Fellini en 1976, Schauspieler Donald Sutherland. – Anita Ekberg – Giulietta Massina et Marcello Mastroianni / Kostüme, Accessoires, Dessins, Dekore, Scénarios, Fotografien, Montage, Postproduktion.

Abgelegt unter Deutschland_DE, Innere Sicherheit, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Ohne Bündnispartner

Erstellt von Redaktion am 30. Mai 2023

Wahlniederlage der griechischen Syriza

Ein Debattenbeitrag von Ferry Batzoglou

Eine einsame Partei in Athen. – Die linke Syriza hat versäumt, für die Zeit nach der Wahl eine Koalition vorzubereiten. Hinzu kommt, dass die Gesellschaft zutiefst konservativ ist.

Schock, Trauer, Enttäuschung. Die radikal-linke Partei Syriza unter Ex-Premier Alexis Tsipras, die einst einen rasanten Aufstieg von einer Kleinpartei zur Regierungspartei schaffte, verlor bei den Parlamentswahlen am 21. Mai in Griechenland ein Drittel ihrer Wähler. Ein Desaster, eine Schmach.

Fast 41 Prozent stimmten für den Wahlsieger, die konservative Nea Dimokratia (ND). Die seit 2019 allein regierende ND legte im Vergleich zu ihrem letzten Wahltriumph um einen Prozentpunkt zu, Syriza verlor hingegen fulminante 11,5 Prozentpunkte.

Die ND hat jedoch ihr Ziel verfehlt, weiter allein zu regieren. Daher werden die Griechen am 25. Juni wieder wählen. ND-Premierminister Kyriakos Mitsotakis setzt beim nächsten Urnengang auf ein Mandate-Bonus von bis zu 50 Mandaten für den Erstplatzierten, der früher bei Wahlen bereits galt und im Juni erneut. So will Mitsotakis am Zepter in Athen bleiben.

Weshalb triumphierte die ND? Wieso ging Syriza krachend unter? Zum Verhängnis wurde Syriza in erster Linie, dass sie im Wahlkampf keine Bündnispartner präsentieren konnte. Gebetsmühlenartig sprach sich Parteichef und Ex-Premier Alexis Tsipras vor der Wahl für die Bildung einer Koalitionsregierung „der fortschrittlichen Kräfte“ aus. Sein Lieblingspartner: die Pasok. Doch die Sozialdemokraten wollten nicht. Ebenso fiel für Tsipras die linke Mera25 unter dem Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis als potenzieller Koalitionspartner aus. Pudelwohl fühlt sich ferner die Kommunistische Partei (KKE) in der Rolle der ewigen Opposition.

Ein selbstgesetztes Ende

Mitsotakis setzt auf den „Trickle-down-Effekt“, der in der Mittelschicht aber kaum angekommen ist

Sachthemen traten bei der Wahlentscheidung in den Hintergrund. Dabei sprach Syrizas Regierungsprogramm mit seinen Kernzielen „Erhöhung der Löhne und Gehälter“, „Senkung der Preise“, „Regelung der Privatschulden“ und „Demokratie überall“ durchaus die breite Bevölkerung an. Das trat im öffentlichen Diskurs jedoch völlig in den Hintergrund. Wegen der koalitionsstrategisch schwierigen Situation für Syriza wollten die Wähler folgerichtig nur eines: die Regierbarkeit in Griechenland. ND bot dies, Syriza nicht.

Den Todesstoß versetzte sich Syriza selbst. Vier Tage vor der Wahl verschreckte eine Äußerung des früheren Syriza-Arbeits- und Sozialministers Georgios Katrougalos die Wähler. Er sinnierte über höhere Sozialbeiträge für Freiberufler. Er hatte sie 2016 exorbitant erhöht, die Regierung Mitsotakis hatte sie wieder gesenkt.

Ein „Eigentor in letzter Minute“, wie Politanalysten in Athen unisono befanden. Die Freiberufler, Bauern und sogar Jungwähler votierten in Scharen für die ND. Ferner konnte die ND einen großen Teil der rechtsextremen Wähler für sich gewinnen. Die ND profitierte dabei von dem von ihr initiierten Wahlausschluss der rechtsradikalen Partei Ellines. Enttäuschte Syriza-Anhänger blieben zudem der Wahl fern: Die Wahlbeteiligung lag bei nur 61 Prozent.

Die Jubelarien über die ND in deutschen Medien indes sind mit Vorsicht zu genießen. „Griechische Wiedergeburt“ schrieb die FAZ, und das Handelsblatt meinte: „Premier Mitsotakis hat gezeigt, dass Fiskaldisziplin auf lange Sicht wachstumsfördernd sein kann. Das einstige Krisenland steht so stabil da wie lange nicht.“

Das ist eine schöne Erzählung, sie ist aber leider falsch. Wer genauer hinschaut, sieht, dass es mit der vermeintlichen Erfolgsstory mit der Handschrift von Mitsotakis nicht so weit her ist.

Das Post-Corona-Wachstum in Hellas, auf das die Mitsotakis-Fans gerne verweisen, folgte einem brutalen ökonomischen Einbruch von 9 Prozent im Coronajahr 2020. Von 2020 bis 2022 wuchs die griechische Wirtschaft in Summe nur um 5,2 Prozent. Die ohnehin exorbitant hohe griechische Staatsschuld kletterte in der Ära Mitsotakis auf ein Allzeithoch von 401,5 Milliarden Euro. Dies sind genau 45 Milliarden Euro mehr als zu Beginn der Regierung Mitsotakis. Es gab unter Mitsotakis schlicht keinen Sparkurs in Athen, sondern neue Schulden.

Starker Reallohnverlust in Griechenland

Die Arbeitslosenrate sank zwar von 17,3 Prozent 2019 auf 12,4 Prozent im Jahr 2022. Der Rückgang geht aber maßgeblich auf die Schaffung von schlecht bezahlten Teilzeitjobs zurück: Hellas ist zu einem Land der billigen Arbeit verkommen. Das gilt in großen Teilen auch für Vollzeitjobs: Ein Paar mit zwei Kindern brachte 2021 im Schnitt 33.044 Euro netto nach Hause, so wenig wie 2003 und gut 20.000 Euro weniger als der EU-Durchschnitt (53.397 Euro). Mitsotakis setzt auf den neoliberalen „Trickle-down-Effekt“, der in der Mittelschicht aber bislang kaum angekommen ist.

Quelle         :         TAZ-online         >>>>>      weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Alexis Tsipras während der Münchener Sicherheitskonferenz 2019

Abgelegt unter Europa, Medien, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Podemos kämpft + verliert

Erstellt von Redaktion am 30. Mai 2023

Spanien wählt gegen den Separatismus

Reparto de concejales en la Elecciones municipales de 2023 en Alcalá de Henares (Comunidad de Madrid – España):   PSOE: 11 concejales   PP: 11 concejales   Vox: 3 concejales   Más Madrid-Verdes Equo: 2 concejales.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Siegfried Buttenmüller

In Spanien fanden am Pfingstsonntag 2023 Kommunalwahlen und zugleich Wahlen zu den meisten Parlamenten der autonomen Regionen (Bundesländern) statt.

Den vorläufigen Ergebnissen nach haben die separatistischen Parteien überall erheblich an Einfluss und Stimmen verloren. Erheblich gewonnen haben die konservativen und republikanischen Parteien, die vor allem den Erhalt des Spanischen Staates proklamierten. Die Autonomen Provinzen waren unter starkem Einfluss der Separatisten und Lokalchauvinisten unter anderem so weit gegangen, lokale Dialekte und Sprachen als Amtssprachen einzuführen und den spanischen Staat in Frage zu stellen. Wobei Sie ebenfalls konservative und neoliberaler Richtung sind und entsprechende Politik gemacht haben, aber eben nur in Abgrenzung und Ablehnung zum spanischen Staat.

Seit den „Erfolgen“ der Separatisten bei den letzten Regionalwahlen hat sich der Wind allerdings stark gegen den Separatismus gedreht. Man hat den Niedergang von Großbritannien durch den sogenannten Brexit vor der Haustüre, aber auch Syrien, wo es den reaktionären Kräften gelungen war die Menschen in den Provinzen gegeneinander aufzuhetzen und in den verheerenden Bürgerkrieg zu treiben. Auch die Sowjetunion und vor allem Jugoslawien sind Beispiele wie verheerend sich der Separatismus auf die Lebensbedingungen der Menschen auswirkt.

Die Angst vieler Menschen vor einem Zerfall des spanischen Staates hat die sehr gute Sachpolitik, von Podemos vor allem, überlagert. Podemos tritt für Basisdemokratie, Komunalismus, soziale, demokratische und umweltgerechte Politik ein, was nichts mit dem Separatismus und Lokalchauvinismus gemein hat. Der Wahlkampf von Podemos war mit geringen Mitteln aber bestens geplant und vorbereitet gewesen, so dass die Organisation einen großen Kampf geliefert hat und hierdurch gestärkt worden ist. Die überall vorhandene Korruption wurde überall radikal angeprangert, in der Hauptstadt Madrid etwa durch ein Plakat das 5 Stockwerke eines Hauses und die Breite des Hauses groß war. T-Shirts mit dem Abdruck eben dieses Plakates, das den Bruder der Madrider Regionalpräsidentin Ayuso zeigt, dem in der Pandemie Hunderttausende Euro Gewinn zugeschanzt worden waren. Auch die Kriminalität und Korruption des Königshauses wird von Podemos hart angeprangert und eine Volksabstimmung zur Abschaffung der Monarchie gefordert. Außerdem tritt Podemos für radikale Sozialreformen ein, etwa wie das Recht auf eine eigene Wohnung und auf genügend und Bedingungslose Einkommen, Nulltarif im öffentlichen Personenverkehr sowie für radikale Maßnahmen zum Schutz der Umwelt, um die Trockenheit, Dürre, Wassermangel und gefährliche Hitzewellen einzudämmen. Auf Kommunaler Ebene hat Podemos versucht das alles umzusetzen und dafür auch außerparlamentarisch mobilisiert. So konnten Räumungen von Wohnungen oder Stromsperren durch die reaktionären Regionalregierungen und ihre Mossos (Landespolizei) durch Massenmobilisierungen verhindert werden.

Zudem konnte Podemos kompetente und fähige Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl aufstellen. In Madrid kämpfte etwa der bekannte Spitzensportler Roberto Sotomayor immer schlagfertig an der Spitze der Liste für den Stadtrat. Für das Regionalparlament Madrid hatte Podemos die junge Aktivistin aus sozialen Bewegungen, praktizierende Menschenrechtsanwältin und studierte Verwaltungsspezialistin Alejandra Jacinto als Spitzenkandidatin und Regionalpräsidentin aufgestellt, die an vorderster Front für die Menschen und das Programm von Podemos stritt.

Ebenso mutig und Entschieden wurde in den Provinzen für die Menschen und radikale Reformen gestritten. In der autonomen Region Murcia etwa unter Maria Marin, in Valencia Pilar Lima und Hector Illueca, um nur einige wenige von den unzähligen Podemos Aktivisten vor Ort zu nennen. Die Frauenbewegung, unter Führung der unermüdlich kämpfenden Podemos Ministerin Irene Montero, steht hinter Podemos sowie auch die stärker werdende antifaschistische Bewegung. Außerdem schaltete sich der Programmsekretär Pablo Echenique immer wieder effektiv in die Debatten und Diskussionen ein. Allgemein höchste Anerkennung wurde auch der Generalsekretärin von Podemos und Sozialministerin Ione Belarra zuteil, die für die sehr gute Planung und Durchführung der Wahlkämpfe hauptverantwortlich war und auch stets in vorderster Front war. Nicht zu vergessen natürlich auch Pablo Iglesias, der mit seinen Internetkanälen wie Canal Red als Medialer Leuchtturm von Podemos gilt und in den Wahlkämpfen ebenso stets präsent gewesen ist.

Podemos hat mehrere und kleinere Bündnispartner, unter anderem Izquierda Unida (Vereinigte Linke) und Alianza Verde (Ökosozialisten) und trat in der Regel in Listengemeinschaften mit diesen an.

Trotz alledem hat Podemos die Wahlziele nicht erreicht, wofür es andere Gründe gibt. Zum einen sind natürlich die TV und Printmedien zu nennen, die meist unter Kontrolle der Konservativen und der „Sozialistischen“ Partei stehen oder noch schlimmer zu Rechten Medienkonzernen wie der von Berlusconie gehören und Podemos entweder ignorieren oder primitive Lügen und Fälschungen verbreiten. Zum Anderen hat der Bündnispartner Izquierda Unida auch Probleme mit seiner eigenen Arbeitsministerin Yolanda Diaz, die im Parlament schon mal mit Konservativen und Faschisten gegen die Linken stimmt und auch öffentlich mit diesen einen herzlichen Umgang pflegt. Außerdem hat sich Diaz von Unidas Podemos distanziert und wirbt im Wahlkampf für ein „neues Bündnis“ Namens Sumar, das eine deutliche Abkehr von der Linken Podemos darstellt. Sie beleidigte auch öffentlich die Spitzenkandidatin Pilar Lima in Valencia, als Sie sich für den Amtsinhaber und gegen sie aussprach und damit an die extreme Medienhetze gegen Pilar Lima anknüpfte.

Der Hintergrund des ganzen ist die ökonomische Entwicklung Spaniens, die sozusagen von einem lang anhaltenden Aufschwung seit der Ära des faschistischen Diktators Franco 1975 geprägt ist. Das einstmals rückständige Land hat Jahrzehnte starkes Wachstum beim Tourismus, der Agrarproduktion, der Industrie, dem Bausektor mit den größten Baukonzernen Europas und vor allem dem Finanzsektor mit gleich 4 der größten Banken Europas, hinter sich.

Von diesem extremen „Wachstum“ haben größere Teile der Mittel und Oberschichten profitiert, die sich aber nun vor allem durch separatistische Kleinstaaterei einerseits aber auch durch Podemos und Verbündete eingeschränkt und bedroht sehen, deren Programm und Gesetze eben auf mehr soziale Gleichheit, mehr Demokratie und Basisdemokratie, mehr Schutz der Umwelt, mehr Rechte für Frauen und Minderheiten, abzielen.

Momentan wird behauptet das der spanische Bankensektor stabil sei doch ist mit einem platzen dieser riesigen Blasen spätestens nach den Parlamentswahlen gegen Ende des Jahres und nächstes Jahr zu rechnen, was das Land und ganz Europa erschüttern wird. Podemos und die anderen Linken müssen sich auf dieses Szenario vorbereiten und ein Übergangsprogramm zur gänzlichen Ersetzung und Überwindung des zusammenbrechenden kapitalistischen Wirtschaftssystems in die Diskussion bringen.

Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren. Podemos hat sehr gut gekämpft und mit diesem Kampf die Grundlage für zukünftige Siege der spanischen Linken für die Menschen geschaffen.

https://www.antikapitalist.eu/

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —   Reparto de concejales en la Elecciones municipales de 2023 en Alcalá de Henares (Comunidad de Madrid – España):   PSOE: 11 concejales   PP: 11 concejales   Vox: 3 concejales   Más Madrid-Verdes Equo: 2 concejales.

Abgelegt unter Europa, Medien, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

DIE * WOCHE

Erstellt von Redaktion am 30. Mai 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

BVB, Verfassungsschutz und Netflix:Vaterländische Flatulenz.Nemand fragt, wer künftig Scholz umarmt. Erdbeeren haben mehr Vitamin C als Orangen. Und dann wären da noch die Borussen.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Die 96. Minute im Westfalenstadion.

Und was wird besser in dieser?

Wir können schweigen.

Unser Inlandsgeheimdienst nennt sich Verfassungsschutz. Wie könnten wir Personenschützer nennen, die dafür verantwortlich sind, dass sich in Frankfurt ein Autofahrer mit seinem Privatwagen dem Konvoi von Bundeskanzler Olaf Scholz anschließen und diesen auf dem Rollfeld umarmen konnte?

Tendenziell arbeitslos. Die Behördenchefs bis rauf zur Innenministerin kündigen Konsequenzen an, also bei der Bundespolizei, zuständig für den Flughafen, und beim BKA, zuständig für die Bodyguards. Irgendwer hat nicht in den Rückspiegel geschaut, jemand anderes die Nummernschilder nicht kontrolliert. Aber niemand fragt, wer künftig Scholz umarmt und ihm einen guten Tag wünscht. Traurig.

Account-Teilen wird teurer. Netflix will seine Umsatzeinbrüche mit Zusatzkosten für Nut­ze­r*in­nen ausgleichen. Gehen Sie da mit?

Klassiker. Der Dealer gibt den ersten Schuss umsonst, und hängt man dran, wird’s teuer. Interessant, dass ein Standard-Abo plus 1 Gast haarscharf bei der öffentlich-rechtlichen Haushaltsgebühr landet, ein komfortableres Angebot deutlich drüber. Klar, Netflix ist kein Zwang, doch was alles gegen die ÖR-Gebühr polemisiert wird, läuft in diesem Vergleich schwungvoll ins Leere. Fernsehen kostet, Punkt. In den frühen TV-Jahren rüstete man sich mit Bier und Kartoffelsalat, um Nachbarn zu überfallen, die bereits ein Empfangsgerät hatten. Das hatte eine sehr vorübergehende soziale Wirkung. Mein Schwager könnte damit handeln inzwischen.

CDU und CSU möchten ein „Bundesprogramm Patriotismus“ einführen, das die Sichtbarkeit nationaler Symbole im öffentlichen Raum und den 3. Oktober als „verbindenden nationalen Erlebnismoment“ stärken soll. Ein Ziel: das „Integrationspotential“ von Patriotismus nutzen. Kann das funktionieren?

Ein auch in dieser Höhe verdientes 3 zu 0 gegen England; ein ausnahmsweise mal authentischer deutscher Beitrag zum ESC und ein paar pünktliche ICEs: Das täte mehr Wirkung als der 60er-Jahre-Souvenirshop von Friedrich Merz. Kohls 3. Oktober wie auch der zufällige 23. Mai als Verfassungstag sind nicht durchblutet, ein deutscher Schicksalstag wäre eher der 9. November. Kernsatz der vaterländischen Flatulenz ist die Warnung, das schlaaandige Potenzial „keinesfalls den gesellschaftlichen Rändern zu überlassen“. Hinterm patriotischen Schaum dräut Angst vor AfD und Linksnationalen wie Wagenknecht. Patriotismus entsteht, wenn es so okay läuft, dass man keinen braucht.

Ist es Ihnen noch wichtig zu wissen, wer nun die Nord-Stream-Gaspipeline hat explodieren lassen?

Ja, wegen des Schwejk-Faktors. „Nach dem Krieg um halb sechs“ treffen sich alle Überlebenden im Wirtshaus und finden, Nord Stream war eigentlich eine gute Idee. Geboren in der Ära Jelzin, dessen knallkorrupte Oligarchie auch von den USA durchgefüttert wurde, auch mit klarem Blick auf gute Geschäfte mit russischem Gas und Öl. Nach Putin mag das dann wieder so sein. Regime-Change in Moskau ist ein Ziel der aktuellen Choreo, und ob nun westliche, russische, ukrainische Täter es waren: Es wird eine fein absurde Pointe werden, wenn es je rauskommt. So schimpft der Rohrspatz.

Orangensaft wird immer teurer. Grund dafür sind schlechte Ernten in Brasilien, wo 90 Prozent der Orangen für Säfte angebaut werden. Auf welches Produkt auf O-Saft-Basis können Sie diesen Sommer verzichten?

Quelle        :         TAZ-online        >>>>>      weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Bearbeitung durch User: Denis_Apel –

Lizenz “Creative Commons“ „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“

Abgelegt unter Feuilleton, Integration, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

FREIRAUM FÜR PROJEKTE

Erstellt von Redaktion am 29. Mai 2023

Hausdurchsuchung im Projekthaus Amsel44 in Wolfsburg

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von      :     Von Amsel 44

Die Repressionswelle gegen die Klimabewegung geht weiter. Am Donnerstag hat die Polizei in Wolfsburg das Offene Projekthaus Amsel 44 in Abwesenheit durchsucht. Laut einer Nachfrage der Lokalpresse bei der Polizei Wolfsburg begründet sich die Maßnahme auf Ermittlungenverfahren wegen mutmaßlicher Graffitis in Wolfsburg und die mutmaßliche Nutzung eines VW-Logos auf einem Flyer.

Sascha Bachmann, Aktivist aus dem Projekthauses Amsel 44, sagt: „Solch grundrechtsverletzende und unverhältnismäßige Maßnahmen wegen Lappalien zeigen ganz klar, dass es nicht um Strafverfolgung, sondern um gezielte Ausschnüffelung, Ausforschung und Einschüchterung von Klimainitiativen geht.“

Seit fast einem Jahr organisieren Aktivist*innen in und um Wolfsburg eine spektakuläre Kampagne mit dem Ziel, Wolfsburg zu einer Verkehrswendestadt umzubauen und das Volkswagen-Stammwerk zu einem gemeinwohlorientierten Kollektivbetrieb umzubauen, in dem Straßenbahnen produziert werden. Das ist dem wirtschaftlich-staatlichen Komplex offenbar ein Dorn im Auge.

„Der Volkswagen-Konzern dominiert die Region Südostniedersachsen, die Stadt Wolfsburg fungiert als Bettvorleger des Konzerns, Polizei und Justiz agieren – wie man an der Durchsuchung sieht – als verlängerter Arm des Autoherstellers. Diese Aktion zeigt wieder wie wichtig es ist, den Filz zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Volkswagen zu entflechten, die momentan einer mafiösen Struktur näher kommen als einem demokratischen Staatsapparat“, so Sascha Bachmann.

Die Hausdurchsuchung reiht sich in die unverhältnismäßigen Repressionen der letzten Wochen ein. „Klimaaktivisten – angeführt von der moralischen Stimme junger Menschen – haben ihre Ziele auch in den dunkelsten Tagen weiter verfolgt. Sie müssen geschützt werden und wir brauchen sie jetzt mehr denn je«, sagte der Sprecher von Uno-Generalsekretär António Guterres, Stephane Dujarric, in New York angesichts der Versuche des deutschen Staates, Umweltschutzorganisationen zu kriminalisieren.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —     Wolfsburg

Abgelegt unter APO, Deutschland_DE, Medien, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »

Städteumbau in Spanien

Erstellt von Redaktion am 29. Mai 2023

Auf heißen Sohlen in Madrid

Puerta del Sol (Madrid) 17.jpg

Kolomne Stadtgespräch von Reiner Wandler aus Madrid

Ein zentraler Platz der Hauptstadt ist wohl zur teuersten Bratpfanne Spaniens geworden. Schatten gibt es keinen mehr. Über eine heiße Diskussion.

Die Puerta del Sol – das „Sonnentor“ – ist der zentrale Platz Madrids. Hier befindet sich die Turmuhr, die im spanischen Fernsehen alljährlich das neue Jahr einläutet, hier ist der Kilometer null des radialen spanischen Straßennetzes.

Jetzt sorgt der Platz für Diskussionen. Denn seit über einem Jahr lässt der konservative Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida die 12.000 Quadratmeter große Fläche umbauen.

Brunnen und Kioske wurden entfernt, eine Statue an den Rand versetzt. So entstand eine riesige, mit Granitplatten gepflasterte Freifläche, ohne Bäume, ohne Sonnenschutz. Als Sitzgelegenheiten wurden ein paar Granitblöcke aufgestellt. Und selbst der Eingang zur Metro, der früher etwas Schatten bot, ist jetzt mit Glas überdeckt.

„Die Sonne brennt“, erklärt Miguel, der im spärlichen Schatten einer Werbetafel Schutz vor der Hitze sucht. Der junge Mann schlägt die Zeit vor einem Vorstellungsgespräch tot. „So lange bauen sie hier schon. Für das?“, wundert er sich.

„Sterben oder Einkaufen“

Auch Akram, Arabistikprofessor an der Universität Granada, kann es kaum glauben. Der Mann, der vor 40 Jahren aus Nordirak nach Spanien kam, hat sich in den Eingang eines Buchladens gedrückt. Als „aggressiv, unfreundlich, ja unmenschlich“ bezeichnet er die neue Puerta del Sol. „Sol“, wie der Platz nur genannt wird, kennt er seit Langem, die Arbeit führt ihn oft nach Madrid. „Ein Platz ist ein Ort zum Verweilen, um sich mit Leuten zu treffen – und nicht das hier“, meint Akram.

Nicht alle sehen das so. „Schatten, Bäume, wozu?“, fragt der Rentner Juan, der mit seiner Frau über die „Sol“ eilt. „Dieser Platz ist nicht zum Verweilen da, sondern ein Durchgangsort“, sagt er. So begründet auch die Stadtverwaltung die Baumaßnahmen.

Die angrenzenden Fußgängerzonen hingegen werden im Sommer mit riesigen Markisen abgedeckt. In allen Läden und Kneipen laufen bereits jetzt im Mai pausenlos die Klimaanlagen. „Sterben oder Einkaufen“ – so fassen Kommentare in den sozialen Netzwerken die beiden Alternativen für Passanten zusammen.

Fast nur Touristen halten sich in der prallen Sonne der Puerta del Sol auf – während die meisten Einheimischen den Platz nur rasch überqueren oder sich an eine der schattenspendenden Hauswände stellen. Carmen ist eine der wenigen Ausnahmen. Mit einer Sonnenbrille auf der Nase steht sie mitten in der Hitze. „Mir gefällt ‚Sol‘ so, ich kann sehen, wohin ich gehe, ich mag offene Plätze“, sagt die Rentnerin. Nach der Hitze gefragt, winkt sie ab. „Daran sind wir gewöhnt!“

„Offen“, das ist ein weiteres Argument, mit dem die Stadtverwaltung den umstrittenen Umbau begründet. Der Platz sei damit sicherer und von der Polizei überall einsehbar. „Außerdem haben wir keine Bäume gepflanzt, weil dies vom Amt für Kulturerbe nicht genehmigt wurde“, erklärt Rentner Julian und zeigt, dass er die mediale Debatte verfolgt hat.

Der ehemalige Bankangestellte ist extra gekommen, um zu sehen, wie die letzten Arbeiten vorangehen. „Zehn Millionen haben sie ausgegeben. Ich verstehe nicht, wofür“, sagt er. Die Opposition im Stadtrat hat eine Antwort: „Die teuerste Bratpfanne Spaniens“ nennen sie die „Sol“. Bereits Ende April heizten sich die Granit-Bodenplatten auf bis zu 50 Grad auf. Rentner Julian hingegen gefällt zwar „der offene Blick auf all die alten Gebäude“. Aber mit vielen Details ist er nicht einverstanden. Die neuen gläsernen Kioske seien einfach „nichtssagend“. Und die Granitblöcke zum Sitzen sind ohne Schatten unnütz, findet der alte Mann.

Quelle       ;        TAZ-online         >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       Partial view of Puerta del Sol (square) in Madrid (Spain). Background: Real Casa de Correos.

Abgelegt unter Europa, Medien, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »

Die ungleichen Partner

Erstellt von Redaktion am 28. Mai 2023

Der Krieg hat China und Russland zusammenrücken lassen.

VON    :       SUSANNE WEIGELIN-SCHWIEDRZIK

Doch unter der Oberfläche zeigen sich grundverschiedene Weltbilder. Europa sollte die strategischen Chancen nutzen. In der Volksrepublik China wird interessengeleitet entschieden. Radikale Kehrtwendungen sind jederzeit möglich.

Am 10. und 11. Mai 2023 fanden in Wien unter strenger Geheimhaltung Gespräche zwischen dem amerikanischen Sicherheitsberater Jake Sullivan und dem für internationale Fragen zuständigen Mitglied des Politbüros der KP Chinas, Wang Yi, statt. Sullivan und Wang Yi redeten an diesen beiden Tagen insgesamt über acht Stunden miteinander. Chinesischen Berichten zufolge hat Wang Yi das Angebot wiederholt, ein Entgleisen der Konkurrenz zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten in einen offenen Konflikt zu vermeiden – anknüpfend an die zwischen Xi Jinping und Präsident Biden getroffenen Vereinbarungen in Bali.

Seit dem Zwischenfall um den „Spionageballon“ im Februar 2023 waren die Gesprächskanäle zwischen den USA und der Volksrepublik China eingefroren. Die chinesische Seite betrachtete den Abschuss des Ballons als völlig unangemessen: Er zeige, dass Washington in einer Krisensituation nicht bereit sei, mit China einen Weg zu beschreiten, der rational, angemessen und lösungsorientiert sei. Mehrere Versuche der amerikanischen Seite, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, scheiterten, bis schließlich Anfang Mai der amerikanische Botschafter in Peking von Außenminister Qin Gang empfangen wurde.

Peking lässt Washington zappeln, denn in Peking meint man zu wissen, warum US-Außenminister Antony Blinken so dringend mit der chinesischen Seite verhandeln möchte: China soll helfen, die große Verlegenheit, in der die Biden-Regierung steckt, zumindest abzuschwächen, auf keinen Fall aber zu verschärfen. Es ist die lodernde Finanzkrise in den USA und – damit verbunden – das schwindende internationale Vertrauen in den US-Dollar als Leitwährung.

In Peking weiß man, dass man hier einen wichtigen Hebel in der Hand hält. Wenn man sich nur genügend Zeit lässt, werden die USA nicht anders können, als ihre Politik gegenüber China zu ändern. Die Tatsache, dass seit geraumer Zeit allenthalben US-amerikanische Staatsanleihen verkauft werden, bereitet der Regierung Biden erhebliche Probleme und erschüttert das amerikanische Finanzsystem. Sollte China aus seinen immer noch großen Beständen weiter amerikanische Staatsanleihen verkaufen und seine Dollarreserven schneller als bisher abstoßen, würde dies die Krise in den USA erheblich verschärfen und gleichzeitig die schwelende Vertrauenskrise gegenüber dem Dollar als internationale Leitwährung vertiefen. Andersherum würde ein Verzicht auf weitere Veräußerungen von US-Staatsanleihen oder der Ankauf weiterer Staatsanleihen die Situation in den USA entspannen. Blinken wollte deshalb bereits im Februar nach China reisen, aber seit dem Abschuss des chinesischen Ballons klopft er vergeblich an die Türen des chinesischen Außenministeriums.

File:The President of Russia arrived in China on a state visit. 02.jpg

In der Zwischenzeit hat sich Peking an Moskau angenähert. Chinas Staatsführung sieht sich offenbar gezwungen, von der Wunschvorstellung einer einvernehmlichen Lösung mit den USA, ja einer erhofften geteilten Verantwortung bei der Führung der Welt Abstand zu nehmen. Die logische Konsequenz waren Xi Jinpings Reise nach Moskau und seine offen bekundete Freundschaft mit Wladimir Putin, der sich als Bewunderer des chinesischen Entwicklungsmodells bereitwillig den wirtschaftlichen Plänen öffnete, die Xi Jinping im Gepäck hatte.

China fühlt sich vom Westen, insbesondere von den USA, bedroht und bereitet sich auf eine früher oder später einsetzende – und von beiden Seiten betriebene – Abkoppelung seiner Wirtschaft vom Westen vor. Die vielen Projekte, die im Zuge der „Neuen Seidenstraße“ entstanden sind, haben Chinas Einfluss auf den Globalen Süden vermehrt, aber wirtschaftlich nur bedingt einen positiven Effekt gehabt. Nun stellt man sich in Peking vor, dass Russland nicht nur viele der Rohstoffe liefern wird, die man für die chinesische Wirtschaft benötigt. China kann sich auch als Modernisierungsmotor in Russland betätigen. So, wie das Engagement der europäischen, japanischen und amerikanischen Wirtschaft seinerzeit nicht nur China, sondern auch den jeweiligen Ländern genutzt hat, so soll Chinas Engagement für die Modernisierung Russlands der chinesischen Wirtschaft einen neuen Wachstumsschub ermöglichen.

Chinas neue Allianz mit Russland hat also nichts mit ideologischer Übereinstimmung zu tun. Ganz im Gegenteil zu dem, was man in Brüssel und Berlin wertegeleitete Außenpolitik nennt, wird in China interessengeleitet entschieden. Radikale Kehrtwendungen sind jederzeit möglich. Chinas Eintreten dafür, dass der Ukrainekrieg so schnell wie möglich endet, ist auch in diesem Sinne zu verstehen. Sein sogenannter Friedensplan ist deshalb auch eine Interessenbekundung: Nur wenn der Krieg baldmöglichst endet, kann China damit beginnen, seine Modernisierungspläne für Russland umzusetzen.

Auch befürchtet es bei einem längeren Krieg, dass die bisherige Resilienz des wirtschaftlichen und politischen Systems in Russland ausgelaugt wird und Russland womöglich in eine Systemkrise hineinschlittert. Diese wäre für China höchst bedrohlich, würde doch ein mögliches Auseinanderbrechen Russlands dem Westen die Möglichkeit eröffnen, durch seinen Einfluss auf die dann eventuell entstehenden Staaten in der russischen Peripherie bis an die chinesische Nordgrenze vorzustoßen. Xi Jinping hat seit dem letzten KP-Parteitag wiederholt Reden gehalten, in denen er von der „Einkreisung“ Chinas durch den Westen gesprochen hat: ein Horrorszenario für die chinesische Führung, die in Xinjiang, Tibet, Hongkong und Taiwan Destabilisierungsversuche des Westens zu erkennen meint. Aus chinesischer Sicht ist es also dringend geboten, Russland so weit zu unterstützen, dass es nicht auseinanderbricht.

Aber klar ist: Strategisch sind Russland und China nur bedingt auf einer Linie. Sie sind sich einig in ihrer Gegnerschaft zu den USA und ihrer Forderung nach einer sogenannten Demokratisierung des Systems der internationalen Beziehungen. In der Frage der zukünftigen Weltordnung sprechen beide von „Multipolarität“. Doch zeigt sich, dass ihre Vorgangsweise nicht wirklich abgestimmt ist. Während sich Chinas KP die Führung in der Welt am liebsten mit den USA teilen würde – und die wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen so weit wie möglich aufrechterhalten möchte –, meldet Wladimir Putin mit dem Angriff auf die Ukraine den Anspruch Russlands an, als Dritter im Bunde Weltmacht zu sein.

Putin macht immer wieder deutlich, dass man die Weltordnung grundsätzlich infrage stellen muss. Er agiert als klassischer Revisionist und betont stärker als Xi Jinping die Notwendigkeit der Neuordnung der Welt im Sinne der Multipolarität. Auch an der Frage der Stationierung von Atomwaffen gibt es deutlich Unterschiede in der Haltung Pekings und Moskaus. Während Xi Jinping bei seinem letzten Besuch in Moskau meinte, sich mit Putin darauf geeinigt zu haben, dass keinerlei Nuklearwaffen außerhalb des jeweils eigenen Landes stationiert werden dürften, veranlasste Putin einen Tag nach der Abreise Xis, dass auf dem Boden von Belarus ein Raketensystem stationiert werde, das mit Nuklearwaffen bestückt werden kann.

Anders sieht das Kalkül der politischen Führung Chinas aus. Sie sieht die Möglichkeit und Notwendigkeit, das System der internationalen Beziehungen schrittweise von innen her umzugestalten. Dabei stört Russlands revisionistischer Eifer, und der Krieg in der Ukraine hat in diesem Sinne China einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Chinas schöne neue Welt ist eine Welt, in der die USA China als Weltmacht auf Augenhöhe anerkennen und sich die Welt mit China teilen. Der Westpazifik wird von China kontrolliert und damit der gesamte Warenverkehr zwischen Asien, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Europa. Den Ostpazifik dürfen die USA beherrschen. In allen anderen Teilen der Welt gibt es in diesem Szenario lebhafte Konkurrenz, die von den beiden Supermächten so weit kontrolliert werden muss, dass diese nicht in eine kriegerische Auseinandersetzung ausartet. In dieser Zukunftsvision hat Russland keine Weltmachtfunktion. Es wird in den zweiten Rang eingeordnet – dort, wo man auch Europa, Japan und Indien sieht.

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       After Russian-Chinese talks

*******************************
Unten      —       Председателем КНР Си Цзиньпином.

Abgelegt unter Asien, Kultur, Positionen, Wirtschaftpolitik | 1 Kommentar »

Die Visionen eines Arzt

Erstellt von Redaktion am 28. Mai 2023

Deutscher Ärztechef liest Karl Lauterbach die Leviten

undefined

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von          :      Red. /   

Klaus Reinhardt frotzelte, der Gesundheitsminister soll «mit seinen Visionen zum Arzt gehen». Sein Tun sei demokratiegefährdend.

upg. Die deutsche Bundesregierung habe in den letzten vier Jahren nicht weniger als 264 gesundheitspolitische Verordnungen erlassen, zu denen die Bundesärzteschaft Stellung nehmen konnte. Das erklärte Ärztepräsident Klaus Reinhardt am deutschen Ärztetag. Das Ministerium habe der Ärzteorganisation und anderen Lobbys zusätzlich zahlreiche Positionspapiere ebenfalls zur Stellungnahme unterbreitet.

Die demokratische Ordnung sei dabei manchmal nicht eingehalten worden, ja Karl Lauterbachs Handeln sei «demokratiegefährdend». Der Präsident der Bundesärztekammer nannte beispielhaft die extrem kurzen Fristen, die Lauterbach für eine Stellungnahme gewährte:

  • Eine Verordnung zugestellt am 21.11.2022 um 11.00 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 21.11.2022 bis 19.00 Uhr.
  • Andere Verordnung zugestellt am 24.6.2022 um 13.45 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 24.6.2022 bis 18.00 Uhr.
  • Weitere Verordnung zugestellt am 9.3.2023 um 01.08 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 9.3.2023 bis 10.00 Uhr.

Es gebe noch viele solche Beispiele, sagte Ärztechef Klaus Reinhardt.

Lauterbach habe zwar viele Visionen, meinte Reinhardt. Aber wie schon Helmut Schmidt gesagt habe: «Wer Visionen hat, soll mit seinen Visionen zum Arzt gehen.»

Der Präsident der deutschen Ärzteschaft erntete eine Standing Ovation. Auch der heftig kritisierte Lauterbach applaudierte verhalten.

«Seien Sie nicht eingeschnappt», erwiderte Gesundheitsminister Lauterbach am Schluss seiner anschliessenden Rede: «Wir werden die Baustellen gemeinsam anpacken.» Für seine geplanten grundlegenden Reformen werde er mit allen Kreisen zusammenarbeiten und alle guten Vorschläge aufnehmen.

Bei seiner Problemanalyse nahm es Lauterbach – wie schon öfter in der Vergangenheit – mit den Fakten nicht so genau. So behauptete er, die anderen Länder Europas würden den Pharmafirmen höhere Medikamentenpreise zahlen als Deutschland, und begründete damit die Engpässe bei bestimmten Arzneien in Deutschland. Tatsächlich zahlen die Krankenkassen in praktisch allen Ländern Europas mit Ausnahme der Schweiz den Pharmafirmen tiefere Preise als in Deutschland.

YouTube 

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Klaus Reinhardt (2019)

Abgelegt unter Bildung, Gesundheitspolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

KOLUMNE Cash & Crash

Erstellt von Redaktion am 28. Mai 2023

Börse und Realität entkoppeln sich

Von Ulrike Herrmann

DAX feiert Rekordhoch. – Während die Wirtschaft schwächelt, ist an den Börsen Party. Anleger fühlen sich immer reicher, doch das ist eine Illusion.

Der deutsche Aktienindex DAX hat einen neuen Rekord gefeiert: Am Freitag nach Christi Himmelfahrt stieg er auf 16.331 Punkte. Inzwischen bröckeln die Kurse zwar etwas, aber seit Jahresanfang hat der Index um fast 16 Prozent zugelegt.

Dieser Anstieg mutet etwas seltsam an, denn die deutsche Wirtschaft schwächelt derzeit. 2023 dürfte das Wachstum bei ganzen 0,4 Prozent liegen, wie die Bundesregierung schätzt. Die Unternehmen machen also keine höheren Umsätze, aber ihr Aktienwert explodiert. Wie passt das zusammen?

Was wie ein Gegensatz aussieht, ist keiner. Die Anleger interessieren sich nur am Rande für die Firmenerträge, haben sie doch längst ein neues Angstthema entdeckt: die Inflation. Die Geldentwertung dürfte in der Eurozone in diesem Jahr bei 5,8 Prozent liegen, prognostiziert die EU-Kommission.

Aus der Sicht der Anleger ist klar: Nichts ist so schlimm, wie sein Geld auf den Konten verschimmeln zu lassen und beim Wertverlust zuzusehen. Die Zinsen sind zwar gestiegen, gleichen aber die Inflation bei Weitem nicht aus. Also rein in die Aktien! Dort besteht zumindest die Hoffnung, dass die Kurse zulegen und die Geldentwertung mehr als kompensieren.

Börsenkurse aufzupumpen ist ziemlich einfach

Allerdings kann die Inflationsangst nur zum Teil erklären, warum die Kurse nach oben schießen. Denn die Inflationsraten sind erst ab 2021 nennenswert gestiegen, aber die Börsenkurse legen schon seit 2009 zu. Seit der letzten Finanzkrise pumpt sich also wieder eine Aktienblase auf.

File:Ulrike Herrmann W71 01.jpg

Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich der DAX mehr als verdoppelt. Die Realwirtschaft ist in dieser Zeit keineswegs um mehr als 100 Prozent gewachsen, sondern nur um schlappe 12 Prozent. Die Börsen haben sich von der echten Welt komplett entkoppelt und mit der Realität nichts mehr zu tun.

Börsenkurse aufzupumpen ist nämlich ziemlich einfach. Es ist nur relativ wenig zusätzliches Kapital nötig, um den DAX nach oben zu treiben, weil es zu einem ewigen Kreislauf des Geldes kommt. Der Zusammenhang ist schlicht: Wenn jemand eine Aktie kaufen will, muss ein anderer sie verkaufen.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>      weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Left: „Um, gee… how many people came up trying to pass off little scribbled notes saying, „I.O.U. $3.00. Sincerely, Jon Doe?!“ Well, at least I thought it was funny.

Abgelegt unter Finanzpolitik, International, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Die »Zukunftskoalition« ?

Erstellt von Redaktion am 27. Mai 2023

Bis zur Kenntlichkeit entstellt

Von Albrecht von Lucke

Manche Gesichter werden im Streit bis zur Kenntlichkeit entstellt. Bei Koalitionen gilt das gleiche in Krisen. Wenn daher eines Tages gefragt werden sollte, wann aus der angeblichen Zukunftskoalition eine Koalition der Vergangenheit geworden ist, dann dürften die nächtelangen Koalitionsausschusssitzungen von Ende März 2023 dabei eine ganz entscheidende Rolle spielen.

Wer noch irgendeinen Zweifel daran hatte, wie die Machtverhältnisse in dieser Koalition wirklich aussehen, ist seitdem eines Schlechteren belehrt. Die von der FDP kreierte Vorstellung, hier stünden zwei Linksparteien gegen sie, den letzten Hort der bürgerlichen Vernunft, entpuppte sich endgültig als Chimäre: Faktisch agieren zwei Parteien, nämlich FDP und SPD, strikt in Verteidigung der materiellen Gegenwartsinteressen, während die Grünen versuchen, auch die Interessen der zukünftigen Generationen zu vertreten – genau wie es das Bundesverfassungsgericht jeder Regierung mit seinem historischen Urteil vom März 2021 ins Stammbuch geschrieben hat.

Das Dilemma der Grünen wie der Klimabewegung: Die ganz jungen wie die kommenden Generationen haben bei Wahlen keine Stimme. Dadurch gibt es eine strukturelle Dominanz der Älteren und ihrer Interessen. Dieses Dilemma wird noch dadurch verstärkt, dass die Grünen strategisch ungeschickt agierten und zudem ihre Gesetzesvorhaben immer wieder frühzeitig an die Medien durchgestochen wurden – insbesondere der nur halbfertige Entwurf zum Einbau von Wärmepumpen.

Zum ersten Mal wurde hier dramatisch deutlich, dass die Transformation keineswegs eine reine Gewinnangelegenheit für alle sein wird, sondern dass viele Bürgerinnen und Bürger erhebliche Opfer für das Gemeinwohl werden bringen müssen. Opfer, die nun ganz ausschließlich dem grünen Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck angelastet werden. Die Konsequenz ist ein massiver Backlash – zulasten der ökologischen Anliegen wie auch der grünen Partei, der sich auch in den Ergebnissen der schon heute historisch zu nennenden Koalitionsausschusssitzungen manifestierte.

Offensichtlich waren die grünen Änderungswünsche vom Kanzleramt gar nicht mehr berücksichtigt und eingearbeitet worden, weshalb das Papier letztlich erst nach Verhandlungen von 30 Stunden beschlossen werden konnte.[1] Mit dennoch fatalen Folgen: Ausgerechnet beim Verkehrssektor wird nun nicht mehr Jahr für Jahr geprüft, wieviel CO2 er eingespart hat, wie noch im alten, bereits zu schwachen Klimagesetz der großen Koalition vorgesehen. Damit wäre das von der FDP verantwortete Verkehrsministerium von der Pflicht für ein Sofortprogramm zum Klimaschutz befreit und die Einhaltung der Zielvorgaben für 2030 in weite Ferne gerückt.

Hier zeigte sich einmal mehr: In dieser Koalition wedelt der Schwanz mit dem Hund. Obwohl die FDP prozentual klar der schwächste Koalitionspartner ist, gibt sie in der Regierung allzu oft den Ton an. Und zwar dank bewusster Duldung des Kanzlers: Von einem „sehr, sehr, sehr guten Ergebnis“ sprach denn auch Olaf Scholz. Aus rein parteitaktischer Perspektive ist dies auch durchaus der Fall: Der Kanzler braucht aus zwei Gründen eine starke FDP – erstens, um damit CDU/CSU zu schwächen, und zweitens, weil nur eine zufriedene FDP ihm 2025 die Chance auf eine zweite Ampel-Legislatur eröffnet. Dagegen hat er weit weniger Interesse an starken Grünen, die ihm als Führungspartei der linken Mitte Konkurrenz machen könnten.

Nach dieser ur-neoliberalen Devise – „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“ – kann jedoch keine Koalition auf Dauer funktionieren. Derzeit existiert in der Ampel keinerlei Vorstellung, wie sich die Zukunft gemeinsam gestalten lässt. Und, fataler noch, die FDP sieht sich in ihrer rein destruktiven Logik nach diesem Koalitionsausschuss noch bestärkt. Folgerichtig hat FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner bereits die nächste Oppositionsoption in der Regierung ausgemacht und per Twitter das Ende „der Zeit der reinen Verteilungspolitik in unserem Land“ verkündet.[2]

Anstatt die gemeinsam gefällten Beschlüsse der Koalition auch offensiv zu vertreten, macht sich die FDP auch bei der Atomkraft einen schlanken Fuß: „Würde es nach mir gehen, würden wir bestehende Kernkraftwerke in der Reserve behalten & den Rückbau verhindern“, teilte Lindner am Tag des Atomausstiegs[3] mit, um auf diese Weise seine Hände in Unschuld zu waschen und mit der Drohung eines zukünftigen Energiemangels auch weiter gegen die Grünen als angebliche Verbotspartei agitieren zu können. „Die Zeit des Appeasements ist vorbei“, lautet denn auch die unsägliche Ansage von FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der nicht einmal davor zurückschreckte, Robert Habeck mit Wladimir Putin zu vergleichen.[4]

FDP-Egoismus von Döpfners Gnaden

Massiv unterstützt wird die FDP durch eine seit Monaten anhaltende Kampagne der „Bild“-Zeitung, die den Klimaminister Tag für den Tag wie eine Sau durchs mediale Dorf treibt – offenbar nicht zuletzt auf Weisung von Springer-Chef Mathias Döpfner, dessen Geisteshaltung soeben offengelegt wurde.[5] Beredter noch als dessen unsägliche Entgleisungen zu Ostdeutschen und Migranten sind dessen Einlassungen zum Klimaschutz.

„Umweltpolitik – ich bin sehr für den Klimawandel. Zivilisationsphasen der Wärme waren immer erfolgreicher als solche der Kälte. Wir sollten den Klimawandel nicht bekämpfen, sondern uns darauf einstellen“, so der Springer-Chef. Wenn es eines gebe, was er hasse, dann seien es Windräder. Die einzige Kraft zur Zurückdrängung des ökologischen Ungeistes sind für ihn die Liberalen. „Unsere letzte Hoffnung ist die FDP. Nur wenn die sehr stark wird – und das kann sein – wird das grün rote Desaster vermieden. Können wir für die nicht mehr tun. […] It’s a patriotic duty“, so Döpfner im Wahlkampf 2021 in einer Rundmail an die verantwortlichen Redakteure seines Verlags. Noch zwei Tage vor der Wahl schrieb er seinem (damaligen) „Bild“Chef Julian Reichelt: „Please Stärke die FDP. Wenn die sehr stark sind können sie in Ampel so autoritär auftreten dass die platzt. Und dann Jamaika funktioniert.“

FDP und Springer-Verlag treffen sich in einem entscheidenden Punkt: ihrer Staatsablehnung bis hin zur Staatsfeindschaft. „Staatsgläubigkeit geht einher mit einem Menschenbild, das vor allem kollektivistischen, latent oder akut unfreiheitlichen Systemen eigen ist: Der Bürger brauche Aufsicht – einen Vormund. In diesem Fall, den vormundschaftlichen Staat“, so Döpfner bereits 2021 in seinem Buch „Die Freiheitsfalle“ über die angeblich nach wie vor herrschende deutsche Untertanenmentalität.[6] Im Verständnis des Springer-Chefs wie dem seiner leitenden Angestellten, am ausgeprägtesten bei „Welt“-Chef Ulf Poschardt, ist Freiheit immer nur gegen den Staat zu denken.[7] Aus dieser Staatsverachtung resultiert letztlich auch Döpfners absolute Diskreditierung der Ostdeutschen: „Von Kaiser Wilhelm zu hitler zu honnecker ohne zwischendurch us reeduction genossen zu haben. Das führt in direkter Linie zu AFD.“ Diese Ablehnung jedes Kollektivgedankens – und seines angeblichen Agenten, sprich: des Staats – geht einher mit einer narzisstisch grundierten Vergötzung des als großartig imaginierten Individuums (und des eigenen Egos). Mit dieser Verachtung jeglicher Autorität jenseits des Ichs stehen die neuen Superegos vom Schlage Döpfner, Poschardt oder Kubicki keineswegs allein: Wie die Studien von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey zeigen, wächst in dieser Gesellschaft ein „libertärer Autoritarismus“ mit einer enorm narzisstischen Seite heran, der nur eine Autorität anerkennt, nämlich sich selbst.[8]

Der anhaltende Koalitionsstreit zwischen FDP und Grünen verläuft also vor allem entlang zweier großer Konfliktlinien: Individual- versus Gesellschaftsinteresse und Gegenwart versus Zukunft – wobei sich die Scholz-SPD fatalerweise zumeist auf die Seite der FDP schlägt. Wenn aber die angekündigte große sozial-ökologische Transformation tatsächlich gelingen soll, dann braucht es eine materielle wie eine „geistig-moralische Wende“ im Verhältnis von Öffentlichem und Privatem, von Zukunft und Gegenwart. Dann gilt es, von der rein individual-egoistischen Haltung Abschied zu nehmen, die mindestens die letzten 30 Jahre, seit der Zäsur von 1989/90, dominiert hat – nämlich von der neoliberalen Devise: „Privat vor Staat“.

Mehr Investitionen in die Zukunft

Quelle       :       Blätter-online           >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —         Signing of the coalition agreement for the 20th election period of the Bundestag (Germany) at 7 December 2021

Abgelegt unter Medien, P.Die Grünen, P.FDP, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

#Missingmails : Der EU

Erstellt von Redaktion am 27. Mai 2023

Wie die EU-Kommission ihr Transparenzversprechen bricht

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von              :         

Das große Löschen nimmt seinen Anfang mit einer knappen Mitteilung. Am 16. Januar 2015 geht ein Brief an Führungskräfte in der Europäischen Kommission. Es dauere oft zu lange, wichtige Dokumente zu finden, klagt darin Catherine Day, da diese nicht ordentlich abgelegt und archiviert würden.

Die damals höchste Beamtin der Kommission kündigt in der Mitteilung auf einer Seite Maßnahmen an, die das Chaos beim Aktenmanagement beenden sollen. Ab Juli 2015 werde die Kommission alle E-Mails automatisch nach sechs Monaten löschen. Seither gilt: Was nicht zuvor veraktet wird, ist weg.

In derselben Mitteilung ordnet Day an, den Zugriff Außenstehender auf Dokumente einzuschränken. Bei Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz der EU dürften nur Akten herausgegeben werden, die zuvor im Dokumentenverwaltungssystem Ares oder einem anderen Kommissionsarchiv abgelegt wurden. Days Mitteilung steht durch eine Informationsfreiheitsanfrage schon längere Zeit im Internet, außerhalb der Kommission ist sie jedoch so gut wie unbekannt.

Das massenhafte Löschen von E-Mails ist Teil einer Reihe fragwürdiger Praktiken, mit denen die Kommission und EU-Regierungen systematisch die öffentliche Kontrolle ihrer Arbeit behindern. Das Recherchekollektiv #Missingmails hat gemeinsam zu diesen Praktiken recherchiert. Daran beteiligten sich neben Alexander Fanta von netzpolitik.org Journalist:innen von Follow the Money in den Niederlanden, Le Monde in Frankreich, De Tijd und Apache in Belgien, Deo.dk in Dänemark, Die Welt in Deutschland, Context in Rumänien, The Journal & Noteworthy in Irland.

Unsere Recherchen zeigen, wie der schlampige Umgang mit E-Mails und Chatnachrichten den Informationszugang auf rechtlich zweifelhafte Art behindert. Die Verantwortlichen brechen dadurch ihre eigenen Transparenzversprechen und erschweren die Aufarbeitung von Skandalen.

Absprachen mit Uber

Wie das zu einem Problem werden kann, macht der Fall von Neelie Kroes deutlich. Die Niederländerin war zehn Jahre lang EU-Kommissarin, zunächst zuständig für Wettbewerb, dann für digitale Themen. Als Uber 2014 in Europa darum kämpft, seine Taxi-App anbieten zu dürfen, springt die liberale Politikerin für den US-Konzern in die Bresche. Dass ein Brüsseler Gericht Uber das Fahren ohne Taxi-Lizenz verbiete, sei eine „verrückte Entscheidung“. Sie twittert den Hashtag #Uberiswelcome.

Eineinhalb Jahre später, im Mai 2016, verkündet Uber, dass Kroes den Konzern künftig in politischen Fragen berate. Interne Dokumente zeigen, dass die Politikerin schon Monate vor Ende ihrer Amtszeit heimlich mit Uber in Kontakt stand. Der Konzern bot ihr dabei offenbar einen Job an. „Wir holen Neelie Kroes in unser Advisory Board (streng geheim)“, schreibt ein Uber-Manager in einer Mail. Ihre Existenz wird durch die UberFiles-Enthüllungen unseres Recherchepartners Le Mondedes Guardian und weiterer Medien öffentlich. Die Mail datiert auf 25. September 2014, gut ein Monat vor Kroes‘ Ausscheiden aus der Kommission.

Ob Kroes dem Konzern zusagte, geht aus den Dokumenten nicht eindeutig hervor. Dennoch sind die Enthüllungen rechtlich delikat. Sie legen nahe, dass die niederländische Politikerin direkt nach Ende ihrer Amtszeit heimlich für den Konzern lobbyiert hat. Dies wäre ein klarer Verstoß gegen die Ethikregeln der Kommission. Denn für EU-Kommissar:innen ist nach dem Ausscheiden aus dem Amt für die folgenden 18 Monate eine bezahlte Lobby-Tätigkeit untersagt. Die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF ermittelt deshalb.

Neelie Kroes NOG Brussel.jpg

Erst Kommissarin, dann Lobbyistin: Neelie Kroes

Der Fall wirft jedenfalls Transparenzfragen auf. Die UberFiles enthüllten E-Mails und Chatnachrichten zwischen dem Konzern, Kroes und ihrem Kabinett. Eigentlich hätten diese Unterlagen im Kommissionsarchiv landen müssen – doch dort sind sie unauffindbar. Gegenüber der Lobbytransparenzorganisation Corporate Europe Observatory erklärte die Kommission, ihr lägen keine E-Mails oder andere Korrespondenz zwischen Kroes und Uber vor.

Hat die Kommissarin ihre Nachrichten mit Uber einfach gelöscht? Auf unsere Anfrage heißt es von der Kommission, sie prüfe die Sache und tausche sich dazu mit OLAF aus.

Interne Kritik an „vagen“ Regeln

In ihren Leitlinien für die Dokumentenverwaltung hat die Kommission festgelegt, dass Dokumente aufbewahrt werden müssen, wenn sie „wichtige Informationen enthalten, die nicht flüchtig sind oder die zu Maßnahmen oder Folgemaßnahmen der Kommission führen können“.

Doch wer entscheidet, was wichtig ist und aufbewahrt werden muss? Selbst innerhalb der Kommission herrscht Verwirrung. Als eine Nachfolgerin von Catherine Day, die amtierende Generalsekretärin Ilze Juhansone, vor zwei Jahren intern um Feedback für eine mögliche Neufassung der Regeln für die Dokumentenverwaltung bat, bezeichnete eine Rückmeldung die geltenden Leitlinien für die Aufbewahrung von Dokumenten als „vage“. Das geht aus internen Diskussion hervor, über die unser niederländischer Recherchepartner Follow the Money berichtet hat. Der juristische Dienst der Kommission hinterfragte demnach insbesondere das Wort „kurzlebig“ in den Leitlinien. „Ist dieser Begriff irgendwo definiert?“

Welche Dokumente in der EU-Kommission archiviert werden, bleibt den handelnden Personen bislang selbst überlassen, sagt Sofia Heikkonen. Die finnische Juristin forscht an der Universität Helsinki zur Dokumentenverwaltung der EU-Kommission. Ihren Recherchen zufolge gibt es keinerlei Kontrolle darüber, ob wichtige Dokumente tatsächlich archiviert werden – eine „problematische“ Aufsichtslücke, sagt Heikkonen.

Heikkonens Chefin Päivi Leino-Sandberg hält die verschwundenen Nachrichten von Neelie Kroes nicht für einen Einzelfall. Die Jura-Professorin spricht aus eigener Erfahrung. Vor einigen Jahren bat sie die Kommission um interne Rechtsgutachten über die Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft. Zunächst wurde ihr gesagt, es gäbe keine solchen Gutachten, doch später „fand“ die Kommission auf Nachfrage zehn Dokumente. Leino-Sandberg sagt, das Dokumentensystem der Kommission sei unzureichend und müsse überarbeitet werden.

Auf unsere Anfrage betont ein EU-Kommissionssprecher, die Archivierung von Dokumenten stehe „im Einklang mit der langjährigen Praxis in allen europäischen öffentlichen Verwaltungen und mit internationalen Standards für die Archivverwaltung“. Demnach müsse weg, was nicht mehr bedeutend sei. „Die automatische Löschung von E-Mails, die keinen oder einen geringeren Wert haben und oft sehr flüchtige Informationen enthalten, geschieht daher sowohl aus archivarischen als auch aus IT-Management-Gründen.“

E-Mails von Scholz schwer auffindbar

Massenhafte Löschung von E-Mails gibt es nicht nur in den EU-Institutionen. Deutsche Ministerien und das Bundeskanzleramt tilgen Mail-Konten von ihren Servern, wenige Monate nachdem der oder die Benutzer:in aus dem Amt scheidet – egal, ob es sich um die Kanzlerin oder einen kleinen Beamten handelt. Das Postfach von Angela Merkel dürfte demnach Mitte 2022 gelöscht worden sein, ebenso jenes von Olaf Scholz aus seiner Zeit als Finanzminister. Eine gesetzliche Regelung oder Entscheidung, die die massenhafte Löschung vorschreibt, gibt es nicht. Eine solche ist nach Angaben des Bundesinnenministeriums auch nicht nötig, da sich in Postfächern ausgeschiedener Mitarbeiter:innen „keine aktenrelevanten Informationen mehr befinden“.

Politisch heikel ist das im Fall des Mailverkehrs von Scholz im Zuge der Cum-Ex-Affäre. Die Nebenrolle des damaligen Hamburger Bürgermeisters und heutigen Kanzlers in dem gigantischen Steuerbetrugsfall ist nicht restlos geklärt. Es geht um die Frage, ob Scholz sich zugunsten einer umstrittenen Privatbank politisch eingemischt hatte. Während seiner Zeit im Bundesfinanzministerium schickte sein Büro E-Mails und Faxe, die seine Rolle in dem Fall erklären sollen.

Könnten die Mails aus Scholz‘ Büro Licht ins Dunkel bringen? Das ist zumindest theoretisch möglich. Nachfragen unseres Recherchekollektivs ergaben, dass in Scholz’ früherem Ministerium selbst gelöschte Mails noch jahrelang auf Speicherbändern verwahrt werden. Von dort sind sie grundsätzlich wieder herstellbar. Jedoch ist das laut dem Bundesinnenministerium, wo eine ähnliche Technologie verwendet wird, sehr aufwändig und sei „tatsächlich kaum durchführbar“. Genauer erläutern, warum das so schwierig sein soll, will das Ministerium aber nicht.

Tote Nerze und ein altes Nokia-Handy

Für Skandale sorgen nicht nur gelöschte E-Mails, sondern auch verschwundene Chat-Nachrichten. In Dänemark ließ die Regierung zu Beginn der Coronapandemie 15 Millionen Nerze töten. Damit sollte eine Ausbreitung des Virus in Zucht-Farmen verhindert werden.

Für die Massentötung der Tiere fehlte allerdings die rechtliche Grundlage, befand später eine vom Parlament eingesetzte Untersuchungskommission. Regierungschefin Mette Frederiksen habe die Öffentlichkeit wissentlich in die Irre geführt.

„Lösch-Mette“ Frederiksen

Chatnachrichten, die den Fall aufklären hätten können, ließ die Regierungschefin automatisch löschen. Der Fall trug Frederiksen in dänischen Medien den Spitznamen „Slette Mette“ ein, die „Lösch-Mette“. Die Affäre ist sogar Vorbild für ein Jump-n-Run-Spiel. Eigentlich müssten wichtige Nachrichten nach dänischem Recht aufbewahrt werden – das gilt auch für SMS und Chats. Doch Frederiksen kommt in der Nerz-Affäre mit einer Rüge des Parlaments davon.

Ähnlich ungeschoren bleibt der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. Vor einem Jahr enthüllte eine niederländische Zeitung, dass Rutte seit Jahren täglich seine SMS löscht. Sein altes Nokia-Handy habe einfach nicht genügend Speicher, erklärte Rutte. „Nokiagate“ nennen das niederländische Medien. Ein Untersuchungsbericht kommt zu dem Schluss, dass Rutte rechtswidrig gehandelt habe. Dennoch perlt die Affäre an Rutte ab.

An der Relevanz der Nachrichten gibt es unterdessen wenig Zweifel. Selbst auf höchster politischer Ebene sind E-Mails und Chatnachrichten zum Standardkommunikationsmittel geworden. Das verdeutlicht ein Bericht über einen EU-Gipfel im Sommer 2015, bei dem über einen weiteren Schuldendeal für Griechenland gestritten wurde.

Nach stundenlangen, ergebnislosen Verhandlungen habe der niederländische Premier Rutte spätnachts einen Kompromissvorschlag geschickt. Er habe die Gespräche – und damit womöglich den Euro – gerettet, meldete damals die Nachrichtenagentur AP. Was Rutte schrieb, ist bis heute unbekannt

In Deutschland hat Angela Merkel 16 Jahre lang praktisch per SMS regiert. „Handy-Jahre einer Kanzlerin“, fasst ein Bericht im Magazin der Süddeutschen Zeitung ihre Vorliebe für direkte Kommunikation zusammen. Dennoch landete bis heute keine ihrer Nachrichten im Bundesarchiv.

Die eigenwillige Logik der Kommission

Die Bedeutung des direkten Austausches unterstreicht auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Der New York Times erzählt sie in einem Interview von ihren Telefonaten und Nachrichten mit dem Konzernchef von Pfizer, Albert Bourla. Mit diesem habe sie persönlich einen Deal über 1,8 Milliarden Dosen Covid-Impfstoff eingefädelt. Doch auf eine Anfrage von netzpolitik.org sagt die Kommission, dass sie die Nachrichten nicht herausgeben könne.

Die Begründung folgt einer eigenwilligen Logik der Kommission. Demnach seien SMS und Chatnachrichten „kurzlebig“ und landen daher grundsätzlich nicht ein einem Archiv der Kommission. Zugleich besagen die internen Regeln, wie oben beschrieben, dass nur Dokumente herausgegeben werden, die zuvor archiviert wurden. Im logischen Zirkelschluss bedeutet das: Zu unwichtig fürs Archiv, ergo irrelevant für die Öffentlichkeit. Das soll selbst für Chats gelten, in denen nach eigenen Angaben ein milliardenschweres Geschäft vereinbart wurde.

Im Wege steht dieser Logik allerdings der Buchstabe des Gesetzes. In der EU-Verordnung über den Dokumentenzugang heißt es wörtlich: „Diese Verordnung gilt für alle Dokumente eines Organs“. Also nicht bloß für die, die auch im Archiv liegen. Die Europäische Ombudsfrau Emily O’Reilly erklärt nach einer Beschwerde von netzpolitik.org, die Kommission müsse die Herausgabe der Nachrichten Von der Leyens prüfen, selbst wenn diese nicht archiviert seien. Doch die Kommission weigert sich – und gibt weiterhin keine einzige Chatnachricht heraus.

Ob Von der Leyen und ihre Beamten damit durchkommen, entscheidet bald das Gericht der Europäischen Union. Die New York Times und ihre Brüsseler Bürochefin Matina Stevis-Gridneff klagen dort auf Herausgabe der Chats. „Amtsträger sollten nicht in der Lage sein, die Gesetze zur Informationsfreiheit zu umgehen, indem sie einfach von E-Mails auf Textnachrichten umsteigen“, sagt eine Pressesprecherin der Zeitung. Die Öffentlichkeit müsse in der Lage sein, „demokratische Kontrolle über die Regierung“ auszuüben.

Abgeordnete: Regeln an Realität anpassen

Obwohl der Spiegel bereits Ende 2021 über die umstrittene Löschpraxis der Kommission berichtete, hat sie bislang kaum Proteste ausgelöst. Doch inzwischen machen einige EU-Abgeordnete Druck auf die Kommission, transparenter zu werden. Die Weigerung der Kommissionschefin, sich an die Transparenzgesetze zu halten, zeigten „eine tiefe Verachtung für Demokratie und Rechenschaftspflicht“, kritisiert die niederländische Liberale Sophie in ‚t Veld gegenüber dem Recherchekollektiv #Missingmails. Die Kommission stehe nicht über dem Gesetz.

Die aktuellen Regeln stammten aus einer Zeit vor dem Internet, sagt der Grünenpolitiker Daniel Freund. „Wir müssen uns hier den Realitäten anpassen. Wenn heute per SMS oder WhatsApp über Milliardenverträge verhandelt wird, dann kann man sich nicht rausreden und behaupten, das seien keine relevanten Dokumente.“

Dass das Dokumentenmanagement der Kommission nicht auf der Höhe der Zeit ist, gesteht selbst Vizepräsidentin Věra Jourová ein. Ihr sei spätestens während der Covidpandemie klar geworden, „dass die Art, wie wir kommunizieren, sich verändert hat“. Die Kommission werde ein neues Gesetz vorschlagen, oder zumindest interne Regeln schreiben, verspricht Jourová. Darin werde sie klarstellen, welche Nachrichten archiviert werden müssen.

Dieses Versprechen Jourová liegt inzwischen eineinhalb Jahre zurück. Getan hat sich bislang wenig. Auf unsere Anfrage hin verweist der Pressesprecher auf das Arbeitsprogramm der Kommission für 2023. Darin steht, die EU-Behörde werde sich mit „Instrumenten zur Stärkung ihres Transparenzrahmens befassen, insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu Dokumenten“. Was konkret geplant ist, lässt er offen.

Von der Leyen schweigt

Jourovás Chefin Von der Leyen schweigt inzwischen. Als sie wegen ihrer Rolle in den milliardenschweren Impfstoffkäufen Europäischen Parlament vorgeladen wird, setzen ihre Verbündeten durch, dass ihre Befragung hinter verschlossenen Türen stattfindet.

Für Von der Leyen sind Ausweichmanöver in Sachen SMS nichts Neues. Noch als deutsche Verteidigungsministerin gerät sie wegen Rüstungskäufen unter Druck. Als ein Untersuchungsausschuss im Bundestag die freihändige Vergabe von Beratungsverträgen kritisiert und Einblick in ihre SMS fordert, lässt sie bei ihrem Diensthandy eine „Sicherheitslöschung“ vornehmen. Ob Kriegswaffen oder Impfdosen, Von der Leyen lässt sich nicht in die Karten schauen. Kritik lässt sie, wie Rutte oder Frederiksen, an sich abperlen.

Als Von der Leyen Kommissionspräsidentin wird, veröffentlicht sie „politische Leitlinien“ für ihre Amtszeit. Ein Satz daraus sticht heute besonders hervor: „Wenn die Europäer Vertrauen in unsere Union haben sollen, müssen ihre Institutionen offen und über jeden Vorwurf in Bezug auf Ethik, Transparenz und Integrität erhaben sein.“

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —     202* 9.30 delovna seja članov in članic Evropskega sveta; stavba Evropa, BRUSELJ Foto: Nebojša Tejić/STA

NOG Brussel: Neelie Kroes

Unten           —         Danmarks statsminister Mette Frederiksen (S) håller sitt partiledartal vid Folkemødet i Allinge på Bornholm. Photo: News Øresund – Johan Wessman © News Øresund – Johan Wessman (CC BY 3.0). Detta verk av News Øresund är licensierat under en Creative Commons Erkännande 3.0 Unported-licens (CC BY 3.0). Bilden får fritt publiceras under förutsättning att källa anges. .The picture can be used freely under the prerequisite that the source is given. News Øresund, Malmö, Sweden News Øresund är en oberoende regional nyhetsbyrå som är en del av det oberoende dansk-svenska kunskapscentrat Øresundsinstituttet.. <a href=“http://www.newsoresund.org“ rel=“noreferrer nofollow“>www.newsoresund.org</a>. <a href=“http://www.oresundsinstituttet.org“ rel=“noreferrer nofollow“>www.oresundsinstituttet.org</a>

Abgelegt unter Europa, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

KOLUMNE-Fernsicht-China

Erstellt von Redaktion am 27. Mai 2023

Symbolschwere Gruppenbilder mit und ohne Dame

Vogelbeobachtung (8618362879).jpg

Kolumne Fernsicht von  :  Shi Ming

Das erste Fotopaar der Tage rund um den 19. Mai 2023: In Hiroshima posieren Staatsoberhäupter der sieben Industrienationen für ein Gruppenfoto. Im Hintergrund ein Blick auf einen ruhigen See.

In Xi’an tun die Staatsoberhäupter der fünf zentralasiatischen Staaten mit Chinas Parteichef Xi Jinping in der Mitte dasselbe; auf einer Bühne, gesäumt von Staatsfahnen, im Hintergrund eine traditionelle chinesische Malerei, die schroffe Bergketten im Wolkenmeer zeigt. Steht das symbolisch für sieben maritime Na­tio­nen plus die EU gegenüber einer neuen Weltmacht mit fünf kontinentalen Nachbarn als potenziellen Verbündeten?

Das zweite Fotopaar: Die G7- SpitzenpolitikerInnen, zwei Frauen sind dabei, sitzen um einen runden Konferenztisch, dicht an dicht, auf Holzstühlen. Drei Männer, Joe Biden, ­Fumio Kishida und Emmanuel Macron, drehen sich zur Kamera und spenden so alle zusammen einem imaginären Publikum hinter der Kamera ihr pflichtbewusstes Lächeln.

Zum Vergleich: eine geräumige runde Tischreihe mit sechs schweren, wohlgepolsterten Sofas, ebenso geräumig voneinander getrennt. Frontal in die Kamera, also in eine imaginäre Weltöffentlichkeit, blickt nur Xi Jinping, Chinas starker Mann. Alle fünf Staatsführer sitzen mit dem Rücken zum Publikum. Niemand sieht ihre Mimik, vielleicht nur angedeutet, wie sie ihren Blick auf Xi richten. Steht das symbolisch für ein demokratisch gleichberechtigtes Miteinander gegenüber einem ehrerbietigen Audienzkreis?

Roemerberggespraeche-oktober-2012-shi-ming-ffm-590.jpg

Das dritte Fotopaar: hier ein Arbeitsessen zu Abend – jede und jeder hat seine und ihre Portion vor sich, zu sehen sind noch Mikrofone –, da eine lange Tischreihe, reichlich gedeckt, Blumengesteck und allerlei Leckerbissen, im Hintergrund ein weitläufiger Vorhof, wo für die Tischgäste Tänze und Lieder dargeboten werden. Wie der chinesische Begleittext berichtet, sind die Darbietungen allemal in der Pracht der Tang-Dynastie, die nach offizieller Geschichtsschreibung die Blütezeit der chinesischen Zivilisation repräsentiert – mit blühendem Handel durch die Seidenstraße, deren Anrainer alle zentralasiatischen Staaten heute sind. Sie sind Geldempfänger aus Peking für das Projekt der chinesischen Weltstrategie One Belt One Road. Auch diesmal klingelte es wieder vielversprechend in der Kasse: 26 Milliarden Dollar als Darlehen, wenn die fünf in Zentralasien Pekings Willen Folge leisten.

Was die Fotos erzählen, mag der Fantasie eines jeden Einzelnen überlassen bleiben. Und: Peking will offiziell noch nicht gelten lassen, der Gipfel in Xi’an sei eine Gegendarstellung zu Hiroshima. Dennoch ist der Kontrast unübersehbar: In Hiroshima dreht sich alles darum, Russlands Aggressionskrieg bald zu beenden. Der Verlierer ist Moskau. Kein Wort davon in Xi’an. In Hiroshima betonten die G7 den Entschluss, auch Chinas erpresserischem Vorgehen gegen wirtschaftlich schwächere Staaten entgegenzutreten. Genau das wird in Xi’an dargeboten, wenn auch versüßt mit feudalem Prunk. Mit einer vielsagenden Fußnote: In Xi’an ist Chinas Verbündeter Russland abwesend. Moskau hat bis dato nie gefehlt, wenn es um Zentralasien, also um Russlands Hinterhof ging. Nutzt China Russlands Schwäche aus, um die eigene Einflusssphäre auszuweiten als ein neuer Hegemon, dem sich der Westen stellen will?

Quelle         :        TAZ-online            >>>>>           weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

Abgelegt unter Asien, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Die „Klimakleber“

Erstellt von Redaktion am 26. Mai 2023

Tanz um die goldene Radkappe

Ein Debattenbeitrag von Claus Leggewie

43 Millionen Privat-PKW sind in Deutschland zugelassen, der Individualverkehr hat Fetischcharakter angenommen. Das Auto ist der Elefant im Raum der Klimawende.

Der als eher konservativ geltende Soziologe Niklas Luhmann hatte ein Faible für den Protest und Protestierende, ohne dabei den aufrührerischen Theorieschulen sozialer Bewegungen wie Anarchismus oder Marxismus anzugehören. Der Studentenbewegung um 1968 bescheinigte der Systemtheoretiker, sie nehme zu Recht Anstoß am Status quo, an dem der CDU-Staat damals krampfhaft festgehalten hatte, denn es bedürfe einer außerparlamentarischen Opposition, wenn die staatstragende Opposition wie das Establishment unfähig seien, „Alternativen zur Entscheidung zu bringen“.

Dem Protest, auch dem wilden, radikalen, system­oppositionellen, wies er die Rolle zu, die Gesellschaft ins Lot der Selbststeuerung und Systemerneuerung zurückzuversetzen. Dieser Stabilisierungsauftrag gefiel 68ern natürlich weniger; es war aber eine durchaus treffende Diagnose ihrer tatsächlichen Leistung, nämlich der Gesellschaft der Bundesrepublik jene „Fundamentalliberalisierung“ zu verschaffen, die ihnen Luhmanns Gegenspieler Jürgen Habermas rückblickend bescheinigte.

Neue soziale Bewegungen vermögen damit, was den Teilsystemen der Gesellschaft abgeht: „Sie beschreiben die Gesellschaft, als ob es von außen sei.“ Und in dieser Totale entdecken sie auch, was alten sozialen Bewegungen verborgen geblieben war: „Gesellschaft nicht mehr bloß vom Kapitalismus her zu sehen, sondern in Bezug auf die Tatsache, daß manche etwas für ein lebbares Risiko halten, was für andere eine Gefahr ist“.

Früher als andere interessierten Luhmann ökologische Risiken, die den neuen Typ „grün-alternativer“ Proteste hervorriefen: „in der Ablehnung von Situa­tio­nen, in denen man das Opfer des riskanten Verhaltens anderer werden könnte.“ Besser sind die Sorgen von Fridays for Future, Extinction Rebellion und Letzter Generation kaum zu beschreiben. Luhmann antizipierte allerdings auch deren Schwächen: „Das Geheimnis der Alternativen ist, dass sie gar keine Alternative anzubieten haben“ – weil sich ja stets die anderen bewegen, ändern, korrigieren müssten.

Hysterischer Reflex

Das macht Protest wenig anschlussfähig, zumal, wenn er im Kern Angst thematisiert und moralisierend auftritt, wie seinerzeit die Atomkraftgegner. Es ist zu früh zu entscheiden, ob die Klimaschützer in die Ahnenreihe der neuen sozialen Bewegungen von der Studentenrevolte und die Frauenemanzipation über die Anti-AKW-Bewegung und den Antirassismus gehören oder ihr Protest eine neue Qualität annehmen wird.

Ein wesentlicher Unterschied besteht schon darin, dass sie anders als die Vorläufer etwas fordern, was auch die Mehrheit wünscht (wenn auch nicht praktiziert): Gefährlicher Klimawandel und Artensterben beunruhigt auch den Mainstream, und einschneidende Änderungen von Lebensstilen und Gewohnheiten propagiert keineswegs nur eine zukunftsängstliche, apokalyptisch getönte „Letzte Generation“.

Erst die in Protestnischen stets angelegte Selbstradikalisierung und der hysterische Reflex gegen den vermeintlichen Ökoterror polarisiert, aber nicht das von „Klima­klebern“ geforderte 9-Euro-Ticket oder eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen. Die Blockadeaktionen der Letzten Generation, in deren Windschatten die konzilianteren und konsensorientierten Fridays for Future geraten sind, stoßen auf breite Ablehnung.

Protest am Genfer Flughafen

Man kann eine Gesellschaft nicht frontal attackieren, die anders als 1968 und in den 1980er Jahren mit den Protestzielen im Prinzip übereinstimmt. Die „Klimakleber“ überdehnen die legitimen Mittel zivilen Ungehorsams wie Blockaden und Boykotts. Andere Teile der Klimaschutzbewegung kali­brie­ren das wesentlich besser. Ein jüngstes Beispiel sind die 100 Aktivisten, die sich an die Zugänge von Privatjets ketteten, die bei einem Business-Event am Genfer Flughafen ausgestellt waren, und den Haupteingang der Jet-Show versperrten, um die Kundschaft am Betreten zu hindern.

Jets gelten zu Recht als äußerst schädliche Produkte, „die unseren Planeten zerstören, unsere Zukunft verheizen und Ungleichheit befeuern“. Die NGO „Stay Grounded“ erweiterte den Kreis der Zielpersonen: „Während viele sich Essen und Miete nicht mehr leisten können, zerstören die Superreichen unseren Planeten, damit muss endlich Schluss sein.“

Quelle      :         TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —   Strangely satisfying seeing this old barge floating towards me- I don’t see too many surviving from this period outside shows. For some reason, Google car insurance tells me this is a very rare Rolls Royce Camargue, but they look nothing like this, plus were only released the next year. Registration number: HSU 668 ✔ Taxed Tax due: 01 April 2015 ✔ MOT Expires: 22 April 2015

Abgelegt unter Berlin, Debatte, Kultur, Positionen, Überregional, Umwelt | Keine Kommentare »

Flimmern + Rauschen

Erstellt von Redaktion am 26. Mai 2023

Schluss mit stiller Post und auf nach Mainz!

Eine Kolumne von Steffen Grimberg

25 Medienverbände, Institute und Initiativen haben den offenen Brief #UnsereMedienMitgestalten zur Reform der Öffentlichen-Rechtlichen veröffentlicht.

Offene Briefe haben ja eine lange Tradition. Luther hat seine Thesen an die Kirchentür genagelt und damit die Reformation ausgelöst. Bismarck sorgte mit der Emser Depesche für den Deutsch-Französischen Krieg anno 1870/71. Vor ein paar Wochen schrieben Kin­der­ärz­t*in­nen wegen des Medikamentenmangels offen an Karl Lauterbach. Und die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen kommen aus der Poststelle gar nicht mehr raus.

Zum Schicksal offener Briefe gehört leider auch, dass sie gerne mal kalt weggelächelt werden. Das passiert regelmäßig, wenn sie den Adres­sa­t*in­nen nicht so passen und niemand „Stimmt aber trotzdem“ ruft. Von daher bleibt abzuwarten, was aus dem offenen Brief „#UnsereMedienMitgestalten“ von über 25 Medien- und Branchenverbänden, Instituten und Initiativen zur Reform der Öffentlichen-Rechtlichen wird. Entstanden ist er unter Federführung der Deutschen Akademie für Fernsehen (DAFF) und meldet bei der zuständigen Rundfunkkommission der Länder Bedarf an einem „ständigen Medienkonvent“ an.

Der will parallel zum bereits eingesetzten Zukunftsrat bei den Reformen mitmachen. „Und warum dürfen die nicht alle in der gleichen Liga mitspielen?“, fragt die Mitbewohnerin. „Sonst kommen doch nur Gelaber und Forderungen auf so vielen und unterschiedlichen Inseln raus.“

Perspektive der Ma­che­r*in­nen und Nut­ze­r*in­nen

Un­ter­zeich­ne­r*in­nen sind die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA), die Neuen Deutschen Medienmacher*innen, die ARD-Freien, Verbände der Gewerke von Drehbuch und Casting übers Maskenbild bis zur German Stunt Association. Der Verband der Deutschen Filmkritik ist genauso dabei wie die Freunde des Grimme-Preises (Transparenzhinweis: Ich war da bis letztes Jahr Vorsitzender). Das Grimme-Institut selbst fehlt, aber dessen Leitung hat es mit der Diskussion eh nicht so dolle und will lieber tief schürfen.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Floaters caused by retinal detachments

Abgelegt unter Berlin, Feuilleton, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Razzia auf Letzte Generation

Erstellt von Redaktion am 25. Mai 2023

Razzia bei der Letzten Generation ist ein Anschlag auf den Rechtsstaat

undefined

Wer sich als Freistaat bekennt, sollte auch der „Letzten Generatin“ den Freistaat bieten ! Im anderen Fall strecken die Bürger-innen den Freistaat die Zungen heraus.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Kommentar von Edith Bartelmus-Scholich

Heute fand eine bundesweite Razzia gegen Aktivist*innen der Letzten Generation statt. Den Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung wird vorgeworfen eine kriminelle Vereinigung gegründet und Geld für Straftaten gesammelt zu haben. Beschlagnahmt wurden Konten und die Homepage der Letzten Generation. Auf der Webseite der Letzten Generation war über Stunden folgender Text zu lesen: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB dar!“

Offenbar wurde im Freistaat Bayern die Gewaltenteilung aufgehoben. Kein Gericht hat nämlich jemals geurteilt, dass die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung ist. Dennoch maßt sich das bayerische LKA an, dies als Feststellung zu veröffentlichen.

Die Razzia gegen die Letzte Generation ist durch nichts zu rechtfertigen. Der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung greift ins Leere. Die Aktivist*innen der Letzten Generation begehen keine Verbrechen, sondern leisten zivilen Ungehorsam um Aufmerksamkeit auf die Folgen des Klimawandels zu lenken. Mit symbolischen Aktionen fordern sie die Politik auf, endlich wirksame Maßnahmen gegen die Erd-Erhitzung zu ergreifen. Selten war eine politische Basisbewegung friedfertiger und defensiver in ihren Aktionsformen.

Die Aktivist*innen der Letzten Generation nehmen große Nachteile und ihre Kriminalisierung in Kauf damit unsere Kinder und Enkel auch zukünftig noch in einem erträglichen Klima leben können. Wie traumatisierend die heutige Razzia für die direkt Betroffenen war, zeigt ein Video, in dem Carla Hinrichs ihre heutigen Erlebnisse schildert:

https://twitter.com/i/status/1661360741893517313

Hinrichs schildert die Angst, als die Polizei mit gezogener Waffe ihre Wohnung stürmte. Noch größer ist jedoch ihre Angst vor der kommenden Klimakatastrophe. Diese viel größere Angst teilen viele tausende Aktivist*innen. Deswegen sind Einschüchterung, Gewalt und Repression keine Mittel die Klimaproteste einzudämmen.

Das Mittel gegen Klimaproteste ist wirksame Klimapolitik. Hier jedoch versagen diejenigen, die politische Verantwortung tragen. Der Planet steuert auf eine Temperaturerhöhung von 4 Grad Celsius zu. Überall sind dadurch die Ökosysteme gefährdet, das Artensterben wird vorangetrieben, Katastrophen wie Dürren oder Überschwemmungen nehmen zu – bei gleichzeitiger Verknappung des Süßwassers. Milliarden Menschen, vor allem im globalen Süden, werden durch die Folgen des Klimawandels ihrer Lebensgrundlagen beraubt und die meisten dieser Menschen werden sterben, ebenso wie übrigens viele Kranke und Ältere in den sich überhitzenden Städten auf der Nordhalbkugel.

Dass dennoch die Bundesregierung keine wirksamen Maßnahmen gegen den Klimawandel beschließt, ist unverantwortlich. Weder kann die Wärmewende länger aufgeschoben werden, noch kann weiter so gewirtschaftet werden wie bisher. Der Ausstieg aus der von fossilen Energien angetriebenen Profitmaschine und der Einstieg in eine klimaneutrale, nachhaltige Kreislaufwirtschaft ist überfällig. Politische Realität ist jedoch, dass die Bundesregierung selbst Maßnahmen wie ein Tempolimit auf Autobahnen und ein Verbot von Inlandsflügen nicht anpackt.

Wenn sie nun statt auf wirksame Klimapolitik auf brutale Repression gegen Menschen, die zivilen Ungehorsam leisten, setzt, verlässt sie zusätzlich den Boden des Grundgesetzes. Deswegen ist die Solidarität mit der Letzten Generation auch ein Kampf um den Rechtsstaat.

Edith Bartelmus-Scholich, 24.5.2021

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —      Großes Wappen des Freistaats Bayern

Abgelegt unter Bayern, Justiz-Kommentare, Kultur, Positionen, Überregional | 1 Kommentar »

DER ROTE FADEN

Erstellt von Redaktion am 25. Mai 2023

Eine große Woche für den Antisemitismus geht zu Ende

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Adriane Lemme

Das Prinzip Antisemitismus funktioniert – immer anders, aber zuverlässig. Das haben diese Woche Elon Musk und Roger Waters vorgeturnt.

„A Great Day for Freedom“ heißt ein Song von Pink Floyd. Ein ziemlich guter, wie viele ihrer Songs. Diese Woche war leider eher a great week for Antisemitismus. Auch und vor allem dank Roger Waters, einst Mitgründer und Chef-Songschreiber von Pink Floyd, heute eher singender Reichsbürger.

Okay, den Davidstern auf dem Schwein lässt er inzwischen weg. Und er hat – sicher ist sicher – vorher per Durchsage kundgetan, kein Antisemit zu sein. Puh, ach so, na dann. Rock on. Die Show in Berlin war dann aber, nach allem, was kolportiert wird, doch nur eine seiner Weltanschauung. Die ist as plump as possible, Gut gegen Böse. Und böse ist nicht etwa Putin, sondern Biden und Obama. Und wenn man schon nichts gegen Juden oder Israelis sagen darf, buhu, dann halt: „Fuck Krieg gegen den Terror“, hehe, immer schön quergeschnitten mit dem Leid der Palästinenser. Da versteht auch jeder, wer und was gemeint ist. Das ist Gehirnwäsche, keine Kunst.

Deshalb sind auch alle Verteidigungen à la „Freiheit der Kunst“ bei solchen Typen unangebracht. Klar, Kunst muss frei und in ihrer Freiheit geschützt sein, das steht außer Frage. Aber sie muss halt den Anspruch von Kunst erfüllen, um solche zu sein: Ein Mindestmaß an Transzendenz. Denn, sorry, ein politisches Statement ist genau das – aber eben noch lange keine Kunst. Aber genau deshalb kann natürlich Kunst selbst von solchen Firecrackers wie Waters – sprich seine alten Songs – weiter Kunst und als solche geschützt sein. Aber dazu haben sich diese Woche ein paar klügere Leute als ich im Haus der Wannseekonferenz Gedanken gemacht.

Aber ganz ehrlich: In jüngster Zeit habe ich persönlich ziemlich viel Agitprop gesehen, die sich einfach das Label Kunst aufgeklebt hat. Ja, ich denke da auch an die vergangene documenta. Aber hey, in Berlin störte sich anscheinend niemand an Waters’ Judenhass-Show – zumindest gab’s keinen großen Protest. Aber vielleicht ist er in guter Gesellschaft.

Israels Politik vergleichbar mit die der Nazis?

36 Prozent der Deutschen finden einer Studie der Bertelsmann Stiftung zufolge, dass Israels Politik mit der der Na­tio­nal­so­zia­lis­t:in­nen verglichen werden kann. Und die Amadeu Antonio Stiftung hat am Mittwoch ihr jüngstes „Zivilgesellschaftliche Lagebild Antisemitismus“ vorgestellt.

Kabinett Hitler

Darin geht’s unter anderem um die enge Verbindung des durchaus auch in linken Kreisen verbreiteten Antiamerikanismus zu antisemitischen Wahnvorstellungen; und darum, wie sich infolge des Ukrainekriegs, auch getrieben von diesem Antiamerikanismus, eine neue „Friedens“-Querfront bildet. Klar, der wahre Feind ist kein russischer Kriegsverbrecher, sondern der Kapitalismus und dieser ganze modernistische Materialismus.

Wie absurd derlei Logiken sind, wurde die Woche perfekt vorgeturnt von Elon Musk – einem, vorsichtig ausgedrückt, prominenten Vertreter des Kapitalismus. Über den Finanzier und Holocaustüberlebenden George Soros twitterte der Twitter-Chef, dieser hasse die Menschheit und wolle „die Struktur der Zivilisation zersetzen“.

Antisemitische Bilder immer zurechtgehauen

Er erinnere ihn an den ­Marvel-Schurken ­Magneto – in den Comics ebenfalls ein Holocaustüberlebender und später selbst Massenmörder. Soros ist immer wieder Angriffsziel von US-Rechten – denen Musk nahesteht. Einer ihrer Vorwürfe: Soros unterstütze bei Wahlen eher tendenziell linke Staatsanwälte.

Quelle       :        TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

*************************************************

Grafikquellen       :

Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

Abgelegt unter International, Kultur, Medien, Positionen, Religionen | Keine Kommentare »

Vom täglichen Leid

Erstellt von Redaktion am 24. Mai 2023

Wir lalle eben auf Kosten von anderen

Ein Schlagloch von Ilija Trojanow

Während der Bundespräsident die üblich einschläfernde Rede in der Paulskirche hält, treffen sich aktive Menschen gleich nebenan zur Global Assembly.

Vielleicht war das wichtigste Ereignis in unserem Land letzte Woche ein Treffen in der Evangelischem Akademie in Frankfurt. Direkt am herausgeputzten Römer, wo am Tag darauf der Bundespräsident eine gewichtige Rede mit einschläferndem Potenzial hielt zu Ehren des ersten deutschen demokratischen Parlaments vor 175 Jahren in der Paulskirche. Die knapp fünfzig Aktivistinnen, die in einem hellen, nüchternen Raum vier Tage lang debattierten, waren sich des deutschen Jahrestags zwar bewusst, aber sie wollten nicht Vergangenheit abfeiern, sondern Zukunft einfordern. Mit robuster Leidenschaft und unerbittlicher Zärtlichkeit.

„Global Assembly“ heißt das Ereignis, und es lockte Menschen aus allen Ecken und Enden der Welt nach Frankfurt, divers in Herkunft, Aussehen und Zungenschlag. Eingeladen von zivilgesellschaftlichen Kräften hierzulande, von engagierten Bürgerinnen. Ohne Bürokratie. Ohne staatliche Kontrolle. Ohne ideologische Einfärbung. Mit klarer Sehnsucht, aber ohne feste Absicht.

Denn die Gäste aus aller Welt sollten selbst ausloten und aushandeln, welche Schritte und Forderungen für sie zentral sind, um die vielen Krisen der Gegenwart im Sinne aller zu überwinden. Was mitten in Deutschland letzte Woche stattfand, war ein kleines Wunder: ein selbst organisiertes Treffen, eine offene Struktur, ein ebenbürtiges Miteinander, ein Reden auf Augenhöhe, ohne Vorgaben, ohne Einschränkungen, ohne Tabus.

Schon am ersten Tag fiel auf, wie angemessen miteinander geredet wurde. Menschenwürde wurde nicht vollmundig vor einem großen Buffet beschworen, sondern im Umgang miteinander gelebt. Der gegenseitige Respekt sowie die Fähigkeit, zuzuhören und einander ausreden zu lassen, beweisen, dass es durchaus Alternativen gibt zu dem hasserfüllten kommunikativen Masturbieren in den sozialen Medien, das teilweise auch unsere professionellen Medien infiziert hat. Vielleicht erstrahlte die Würde jedes Einzelnen so sehr, weil es sich um Menschen handelt, die Schreckliches erlebt haben. Der Kampf um Menschenrechte und Gerechtigkeit provoziert nicht nur leere Versprechen und hohle Zusicherungen, sondern auch Gewalt. Nicht nur in Diktaturen.

Unvermittelt sprach jemand von Unfassbarem. Vom Morden der Generäle in Myanmar, von einer Bombe in Afghanistan, die den eigenen Bruder zerfetzt hat, von Nickelförderung und -veredelung in Indonesien, für die es viel Energie und wenig Menschen braucht, weswegen die örtliche Bevölkerung brutal vertrieben und ein Kraftwerk errichtet wurde. „Für eure E-Autos“, so endete die Geschichte. Ohne Vorwurf in der Stimme. Ohne Agitation. Einfach so, als eine Wahrheit, die wir weiterhin nicht wahrhaben wollen: Dass wir auf Kosten anderer leben und technologische Lösungen die ökologische Zerstörung nicht aufhalten.

Darin bestand für einen aufmerksamen Chronisten aus Mitteleuropa die enorme Stärke dieser Global Assembly: Bei der Diagnose wurde nicht von Theorien oder ideologischen Positionen ausgegangen, sondern von dem täglich erlittenen Leid. Das hat eine zwingende Prägnanz. Wer selbst auf einer Müllhalde lebt, lässt sich nicht vorgaukeln, Müll wäre eine feine Sache. In diesem Zusammenhang wurde von fast allen Anwesenden die Doppelmoral des Westens, die atemberaubende Heuchelei des herrschenden kapitalistischen Weltsystems hervorgehoben.

Zwei Könige im Austausch.

Als Navid Kermani bei der Eröffnungsveranstaltung in der Paulskirche von seinen Recherchen im äthiopischen Tigray berichtete, von den unzähligen Abgeschlachteten, von den vergewaltigten Frauen (weit über hunderttausend), dürfte jedem klargeworden sein, wie unsere Wahrnehmung und unser Mitgefühl hierzulande Konjunkturen des Selbstinteresses unterliegt, wie entfernt wir von einer universellen Haltung sind, von einem Weltethos, von einer kosmopolitischen Praxis.

All das soll die Global Assembly fördern. In dem schon erfolgten Treffen wurden die Rahmenbedingungen und Themenschwerpunkte diskutiert und definiert, teilweise in Arbeitsgruppen: Frauenrechte, Klimawandel, autoritäre Herrschaft, unternehmerisches Handeln verpflichtend an die Menschenrechte binden. In einem nächsten Schritt, der eigentlich aus vielen kleineren Schritten besteht, werden die Teilnehmerinnen einerseits die formulierten Themen bis zum nächsten März hinsichtlich der Herausforderungen und Aufgaben präzisieren, zum anderen aber exemplarische Geschichten sammeln. Denn immer wieder kam zur Sprache, wie wichtig Geschichten seien, als Vergewisserung der eigenen Erfahrung und als neue Narrative für eine bessere Welt. Als Visionen, als Utopien.

Quelle       :         TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      — St. Paul’s Church Frankfurt, Germany

Abgelegt unter Deutschland_DE, Hessen, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Die Menschenrechtsliga

Erstellt von Redaktion am 24. Mai 2023

GRUNDRECHTE-REPORT 2023 der Öffentlichkeit vorgestellt

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Internationale Liga für Menschenrechte

Heute, am 23. Mai 2023, dem Tag des Grundgesetzes, wurde der diesjährige „Grund­rechte-Re­port. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland“ im Haus der Demokratie in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt.

Der 27. Grundrechte-Report wirft unter dem Titel „Krieg, Klima, Krise“ einen Blick auf die aktuellen Gefährdungen der Grundrechte und zentraler Verfassungsprinzipien an­hand konkreter Fälle des Jahres 2022. Der Report analysiert und kritisiert Entschei­dun­gen von Parlamenten, Behörden und Gerichten, aber auch von Privatunternehmen.

Hierzu gehören für das Jahr 2022 grundrechtliche Auswirkungen der Maßnahmen an­läss­lich des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und die wachsende Armut in Deutschland. Darüber hinaus werden im Report tödliche Polizeigewalt, rassistische Poli­zeikontrollen und Grundrechts­ver­letzungen an geflüchteten Menschen thematisiert so­wie Einschnitte in die informationelle Selbstbestimmung und Probleme in der deutschen Justiz besprochen.

Susanne Baer, ehemalige Richterin des Bundesverfassungsgerichts und Professo­rin für Öf­fent­liches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin, präsentierte den Grundrechte-Report in diesem Jahr: „Der Krieg in der Ukraine, die wirtschaftliche Lage, die viele Menschen belastet, und die Klimakrise fordern Politik und Gesellschaft – und sie fordern auch die Grundrechte heraus. Gerade wenn es eng wird, kommt es auf diese Rechte an. Der Grundrechte-Report deckt da Probleme auf. (…) Klar ist jedenfalls: Grund­rechtsfragen gehen alle an – und um überzeugende Antworten müssen wir ringen“.

Simon Lachner, Aktivist der „Letzten Generation“, berichtete bei der Pressekon­ferenz von seinen Erfahrungen mit dem staatlichen Umgang mit Aktionen der Klimaak­tivist*innen. Er sagt: „Wie die Engagierten bei der Letzten Generation vom Rechtsstaat behandelt werden ist teils erschreckend. Immer wieder sehe ich meine Freunde, wie sie mit Schmerzgriffen von der Straße gezerrt werden oder in die Justizvollzugsanstalt ge­sperrt werden – teils ohne Gerichtsverfahren, sondern auf Grundlage des Polizeiauf­ga­bengesetzes in Bayern. Auch ich war für zwei Nächte in der Justizvollzugsanstalt in München.“

Benjamin Derin, Rechtsanwalt und Mitglied des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte­vereins e.V. (RAV), resümiert stellvertretend für die gesamte Redaktion des Grund­rechte-Reports: „Ob staatliche Überwachung, Ausweitung von Straf- und Polizei­gesetzen oder Abbau von sozialen Sicherungen, wir weisen immer wieder darauf hin, wo die Grundrechte in Gefahr sind. Teile von Staat und Politik scheinen aber umgekehrt die Grundrechte mancher Menschen als Gefahr zu betrachten. Das Beharren auf diesen Rechten ist deshalb ein wichtiger Teil des Einsatzes für eine freiheitliche und soziale Gesellschaft für alle.“

Seit 1997 widmet sich der Grundrechte-Report der Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland. Als »alternativer Verfassungsschutzbericht« dokumentiert er die vielfachen Bedrohungen, die von staatlichen Institutionen für diese Rechte ausgehen. Der aktuelle Report nimmt mit dem Jahr 2022 unter anderem die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine, die Kämpfe um soziale Gerechtigkeit und die intensivierten Auseinandersetzungen um den  Klimawandel in den Blick. Zu den rund 40 behandelten Themen gehören daneben auch die Versammlungsfreiheit, Überwachungsmaßnahmen durch Polizei und Geheimdienste, die Kriminalisierung von Armut, menschenrechtswidrige Abschiebungshaft und die Entwicklungen um das Abtreibungsverbot in Deutschland.

  • Grundrechte-Report 2023 – Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland (FISCHER Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M.),
    Juni 2023, ISBN 978-3-596-70882-6, 224 Seiten, 14.00 Euro / http://www.grundrechte-report.de/2023/
  • Herausgegeben von: Rolf Gössner, Rosemarie Will, Britta Rabe, Benjamin Derin, Wiebke Judith, Sarah Lincoln, Lea Welsch, Rebecca Militz, Max Putzer, Rainer Rehak.
  • Der Grundrechte-Report ist ein gemeinsames Projekt von: Humanistische Union, verei­nigt mit der Gustav Heinemann-Initiative • Bundesarbeitskreis Kritischer Juragrup­pen • Internationale Liga für Menschenrechte • Komitee für Grundrechte und Demokratie • Neue Richtervereinigung • PRO ASYL • Republikanischer Anwältinnen-und Anwälte­ver­ein • Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen • Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verant­wor­tung • Gesellschaft für Freiheitsrechte
  • Inhaltsverzeichnis und Vorwort („Krieg, Klima, Krise“): https://www.book2look.com/book/9783596708826
    Info zur Präsentation des „Grundrechte-Reports“: http://www.grundrechte-report.de/2023/praesent/
  • Bezugsmöglichkeiten: Das Buch ist ab sofort über den Buchhandel oder die Webseite der Herausgeber zu beziehen (http://www.grundrechte-report.de/quermenue/bestellen/ ).
Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —     Logo von Internationale Liga für Menschenrechte

******************************

Unten      —       Ceremony for the conferment of the Carl von Ossietzky Medall 2014 to Edward SnowdenLaura Poitras and Glenn Greenwald. Opening Speech by ILMR President Fanny-Michaela Reisin.

Abgelegt unter APO, International, Kultur, Mensch, Opposition, Positionen | Keine Kommentare »

Wenn Cancel Culture wirkt

Erstellt von Redaktion am 24. Mai 2023

Rechter Shitstorm nach Kritik an Polizei

undefined

Die Bundespolizeiakademie in Lübeck

Von Carolina Schwarz

Die Dozentin Bahar Aslan kritisierte Rechtsextremismus in der Polizei und verlor daraufhin ihren Lehrauftrag an der Polizeihochschule. Ein Armutszeugnis.

Er warnte vor einer „Afrikanisierung und Islamisierung“ europäischer Städte, hetzte gegen die Ehe für alle, schrieb für die rechte Zeitung Junge Freiheit, hielt Vorträge vor Menschen aus dem NSU-Umfeld und gründete einen rechtsextremen Verein. Klingt alles ziemlich rechts? Ist es auch. Trotzdem konnte Stephan Maninger mehrere Jahre als Professor an der Bundespolizeiakademie Lübeck lehren.

Als sein Hintergrund 2021 öffentlich bekannt wurde, setzte die Akademie seine Lehrveranstaltungen kurzzeitig aus und überprüfte den Fall. Das Ergebnis: Sie konnten kein „straf- und/oder disziplinarrechtlich relevantes Fehlverhalten“ feststellen.

Erst auf Druck der Landesregierung wurde ihm der Lehrauftrag entzogen, doch Maninger ist bis heute Professor an der Bundespolizeiakademie. Siehe auch die Wikipedia 

Maninger ist kein Einzelfall. Im rechten Wirrwarr der Sicherheitsbehörden den Überblick zu behalten ist schwer. Ständig legen Recherchen neue Missstände offen: Rechtsextreme Chatgruppen, Polizist_innen, die andere rassistisch, sexistisch oder antisemitisch beleidigen oder bedrohen, die aktiv sind in rechtsextremen Netzwerken. Konsequenzen bleiben meist aus, viele von ihnen sind noch im Amt: auf Streife, als Kommissar_innen oder in Polizeihochschulen.

Auf den Tweet folgte der Shitstorm

Bahar Aslan dagegen hat ihren Job verloren. Seit 2022 hat die 38-jährige Lehrerin „interkulturelle Bildung“ an der Hochschule für Polizei und Verwaltung (HSPV) in NRW gelehrt. Doch jetzt beendet die Hochschule die Zusammenarbeit mit Aslan. Auslöser ist ein Tweet vom Samstag, in dem Aslan rechte Polizeipraktiken kritisiert hatte. Darin bezeichnete sie rechtsextreme Polizist_innen als „braunen Dreck“. Die HSPV begründet ihre Entscheidung gegenüber der taz damit, dass Aslan ungeeignet dafür sei, eine „vorurteilsfreie, fundierte Sichtweise im Hinblick auf Demokratie, Toleranz und Neutralität zu vermitteln“.

Die Argumentation, dass wer rechte Missstände anprangert, keine Demokratie und Toleranz vermitteln könne, ist dabei an Absurdität kaum zu überbieten. Die Gleichzeitigkeit, dass rechte Po­li­zis­t_in­nen über Jahre im Amt bleiben, während eine An­ti­ras­sis­tin ihren Job wegen eines Tweets verliert, ist ein Armutszeugnis für die Sicherheitsbehörden.

undefined

Seit Samstag ist Aslan mit einem Shitstorm konfrontiert, in dem auch Politi­ker_in­nen der CDU und Mitglieder der Po­li­zei­ge­werkschaft GdP mitmischen. Dieser zieht sich vor allem an dem Begriff „brauner Dreck“ hoch. Klar könnte man darüber diskutieren, ob es legitim ist, rechtsextreme Menschen als Dreck zu bezeichnen. Aslan selbst hat gesagt, es sei eine unglückliche Wortwahl gewesen, und sie hat sich bei nicht rechten Polizist_innen entschuldigt. Damit könnte man den Nebenschauplatz abhaken und sich dem Hauptaspekt zuwenden.

Nämlich dass wir in Deutschland ein strukturelles Problem mit Rechtsextremen und Rassist_innen in den Sicherheitsbehörden haben. Doch anstatt den „braunen Dreck“ zu thematisieren, sollen diejenigen verschwinden, die ihn sichtbar machen. Die Beendigung des Lehrauftrags an der Polizeihochschule und die fehlende Unterstützung aus dem Innenministerium NRWs zeigen: Es liegt ihnen mehr daran, Kritiker_innen mundtot zu machen, als rechte Netzwerke und Praktiken in den eigenen Reihen aufzudecken und zu unterbinden.

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Haupttor der Bundespolizeiakademie Lübeck

**************************

Unten     —       Vorstellung des neuen blauen Uniformmodells

Abgelegt unter Deutschland_DE, Innere Sicherheit, Kultur, Positionen, Schleswig-Holstein | 1 Kommentar »

Respekt bis zum Tod

Erstellt von Redaktion am 23. Mai 2023

Recht auf freiverantwortliches Sterben

undefined

Ein Debattenbeitrag vin Michael de Ridder

Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft setzt voraus, den Menschen auch und gerade die Vorstellung  vom eigenen Lebensende selbst zuzugestehen.

Unter den nicht wenigen Menschen – in der Regel schwer und aussichtslos körperlich erkrankt –, die sich an mich wenden, um ihr Leben selbstbestimmt zu beenden, finden sich – in steigender Zahl – auch hochaltrige Menschen mit dem Anliegen eines proaktiven, präventiven Suizids.

Was verbirgt sich hinter einem solchen Verlangen? Ohne Zweifel kann der Lebensweg im hohen Alter zunehmend zum Leidensweg werden, der durch vielfältige Krankheiten, Beschwerden und Einbußen gekennzeichnet ist: chronischer Schmerz, Atemnot, Bewegungseinschränkungen, Lähmungen, Inkontinenz, Abnahme des Hör- und Sehvermögens, Gleichgewichtsstörungen, Stürze und Sturzangst.

Dazu können nachlassende geistige Fähigkeiten bis hin zur Demenz sowie brüchiger werdende und sich auflösende soziale Beziehungen kommen. Das Vermögen, ein selbstständiges Leben zu führen schwindet, vice versa nehmen Hilfs- und Pflegebedürftigkeit zu und sind letztendlich unausweichlich. Für manch hochaltrigen Menschen stellt sich daher die Frage: Will ich das alles erleben und ertragen? Will ich den mir drohenden, unabänderlichen Autonomieverlust hinnehmen?

Die übergroße Mehrheit kranker, alter, gebrechlicher und pflegebedürftiger Menschen bejaht bewusst oder unbewusst diese Frage und überantwortet sich privater oder institutioneller Pflege, palliativmedizinischer und hospizlicher Behandlung, Versorgung und Zuwendung. Dieses etablierte System der Versorgung leistet enorm viel und ist unverzichtbar. Es quantitativ und qualitativ auszuweiten ist dringend geboten, gerade angesichts des demografischen Wandels, weil es – trotz aller bekannten Mängel – vielen Menschen ein ihnen gemäßes und friedliches Lebensende sicherstellen kann.

„Zum Schatten meiner selbst werden“

Und doch muss niemand diese Versorgungsangebote wahrnehmen. Eine wachsende Zahl alter Menschen erwägt aus unterschiedlichen Gründen – gänzlich unabhängig von der Güte und Qualität ihrer künftigen Versorgung –, über die Umstände, die Zeit und den Ort ihres Todes selbst verfügen zu wollen.

Letzteres wünscht eine meiner Patientinnen. Frau S. ist 84 Jahre alt, promovierte Philologin, verwitwet und kinderlos. Sie ist gebrechlich, leidet aber nicht an einer schweren Erkrankung. Allerdings sind Frühsymptome einer dementiellen Entwicklung ärztlicherseits attestiert, die ihr Denk- und Urteilsvermögen (noch) nicht beeinträchtigen.

Umfassend legt sie mir dar, dass sie immer ein selbstbestimmtes und glückliches Leben geführt habe, sie jedoch ihrer eigenen Hinfälligkeit, insbesondere dem Vollbild einer Demenz, an der auch ihre Mutter und ihr Bruder litten, unbedingt zuvorkommen wolle: „Zum Schatten meiner selbst zu werden entspricht nicht den Vorstellungen von dem Wert und der Würde meines Lebens. Noch bin ich in der Lage, selbstbestimmt und freiverantwortlich über mein Leben zu entscheiden – doch wie lange noch?“

Als Arzt muss man sich um Empathie bemühen

Keineswegs sollten sich Ärzte als Dienstleister empfinden, die Suizidwilligen nur Medikamente zur Selbsttötung bereitstellen. Als Arzt muss man sich um Empathie bemühen und dem ganz persönlichen ärztlichen Gewissen und ethischen Koordinatensystem verpflichtet sein. Entscheidend ist, gemeinsam mit den Patienten einen ergebnisoffenen Dialog zu suchen.

undefined

Es geht um eine unwiderrufliche Entscheidung, die Zeit braucht, aufseiten der Patienten wie des Arztes

Suizidhilfe muss plausibel und nachvollziehbar sein, gerade dann, wenn der Sterbeprozess, wie im Fall von Frau S., nicht absehbar ist. Es geht um eine unwiderrufliche Entscheidung, die Zeit braucht und reifen muss, aufseiten der Patienten wie des Arztes. Zwischen Frau S. und mir ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. 2. 2020, das Suizid und Suizidhilfe zu Grundrechten erklärte, ebnet auch Frau S. den Weg, mit ärztlicher Hilfe ihr Leben autonom zu beenden. Die Entscheidung, so das Verfassungsgericht, „muss freiverantwortlich, von festem Willen getragen und ohne äußeren Druck zustande gekommen sein und sich zudem als zeitkonstant erweisen“.

Es darf keine Hierarchie geben

Autonomie bezeichnet das Vermögen, auf Grundlage eigener Werte und Überzeugungen authentisch, also nach kritischer Selbstreflexion, zu entscheiden. Dies im Falle eines Suizidverlangens zu prüfen obliegt dem zuständigen Arzt, im Zweifel einem Arzt für Psychiatrie. Es geht dabei allein um die mentale Verfasstheit des Suizidanten, seine Einwilligungsfähigkeit also, nicht um die Inhalte seiner Entscheidung. Die muss er nicht rechtfertigen.

Quelle        :        TAZ-online            >>>>>      weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —     Valentine Godé-Darel am Tag vor ihrem Tod (Gemälde von Ferdinand Hodler, Januar 1915)

Abgelegt unter Debatte, Deutschland_DE, Kultur, Positionen, Regierung, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Leben als Vasall der USA?

Erstellt von Redaktion am 23. Mai 2023

Wollen wir wirklich zum Vasallen der USA verkommen?

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Spätestens seit dem offenen Ukraine-Krieg ist klar, dass die USA dahinter stehen und vom Rest der Welt erwarten, gemeinsam Russland zu schwächen. In ihrer militärisch-simplen Denke haben sie aber offensichtlich übersehen, dass die Mehrheit der Länder und somit der Weltbevölkerung sich von den US-Hegemonialvorhaben abwendet und eigene Wege zur Entwicklung des Volkswohles sucht.

Also bleiben den USA nur die von ihnen geführte NATO mit ihren europäischen Mitgliedern, um ihre Politik unter den Vorwand des Ukraine-Krieges durchzuziehen. Getreu ihrem bisherigen Gehabe sind dabei Länder, die ihrer militärischen Macht unterworfen oder wirtschaftlich untergeordnet sind, keine Partner auf Augenhöhe, sondern Staaten in einem unbedingten Treueverhälnis zu den USA und unter deren Führung. Ein Paradebeispiel dafür liefert Olaf Scholz höchstpersönlich in einer Pressekonferenz von Biden am 7.2.2022, auf der erim heiklen Zusammenhang mit der Nord-Stream-Sabotage unterwürfig erklärte, dass „wir (die Deutschen) absolut einig (mit den USA) sind und keine anderen Schritte unternehmen werdeb)“. (White House Press Conference).

In Hiroshima ging es in derselben Tonart weiter. Er konnte zwar keine F16 zusagen, weil wir keine haben, aber mindestens Beihilfe zum Krieg der USA gegen Russland durch Pilotenausbildung, wobei die USA dann das Gerät liefern. Ach wie gut dass niemand weiß, dass er eigentlich Rumpelstilchen heißt. Er will nicht wahrhaben, dass die Politik in Europe seit dem Ukraine-Krieg offen von den USA bestimmt wird, während über 90 Proznt unserer Bevölkerung Frieden will. Aber da ist ja Ramstein, das exterritoriale Sprungbrett der USA für die Steuerung des Krieges in der Ukraine. Welche Absurdität und Respektlosigkeit gegenüber der Souveränitäteines angeblichen Partnerlandes! So behadelt man Vasallen.

undefined

Und dann das Geschwurberl unserer Außenministerin von ihrer regelbasierte Ordnung, die sie sich von den USA überstülpen lässt. Dabei warnt sogar Henry Kissinger vor einem Regime Change. Bis 2020 hatte sich die EU trotz vieler Schwierigkeiten gut und zum Wohl von 400.000 Mernschen entwickelt. Mit der Corona-Pandemie gab es dann erste Risse und mit dem Ukraine-Krieg war es dann
zappenduster. Europa darf nur noch machen, was die USA vorgeben. Allen voran Deutschland, das zwar erst seine Friedenspolitik an den Nagel hänhen musste, umab sofort auf allen Gebieten der Aussenpolitik im Tarnazug aufzutreten.

Nein, unser Volk will diese Vasallengebahren unserer Politiker gegenüber den USA mehrheitlich nicht. Das Volk wünscht sich eine im europäischen Rahmen eigenständige, ökologisch sinnvolle und humane Zukunft. Die Vielfalt der Völker und Kulturen in Europa ist dafür eine gute Basis. Selbstbestimmt, eigenverantwortlich und in Harmonie mit der Welt, in der wir leben. Während die USA seit Beginn ihrer Existenz mit Krieg und Unterdrückung herrschen, sollten gerade wir Deutschen aus zwei stolz begonnenen aber elend verlorenen Kriegen gelernt haben, dass Krieg nie Probleme löst, sondern nur neue schafft. Andere Länder wie Indien, Brasilien, der mittlere Osten und in Afrika machen uns gerade vor, dass und wie man sich aus dem US-Vasallentum lösen kann. Sind wir dazu zu schwach oder zu dumm?

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —   Commemorative medallion for the 2018 North Korea–United States summit issued by the White House Communications Agency.

Abgelegt unter Amerika, Deutschland_DE, Kultur, Positionen, Regierung | 1 Kommentar »

Spargel- + Erdbeerernte

Erstellt von Redaktion am 23. Mai 2023

Bundesregierung muss eingreifen

undefined

Solche Lieder hötrn wir jrdes Jahr aufs Neue. Es wird sich aber nichts ändern, da sich Polutik nicht ändert.

Von Jost Maurin

Viele ErntehelferInnen aus Osteuropa werden ausgebeutet. Die Ampel muss endlich dafür sorgen, dass sie eine ausreichende Krankenversicherung bekommen.​

Immer noch werden in Deutschland viele ErntehelferInnen aus Osteuropa ausgebeutet. Wer Spargel, Erdbeeren oder Gemüse vom Feld holt, bekommt teils weniger als den Mindestlohn, muss an seinen Arbeitgeber Wuchermieten bezahlen und ist schlecht krankenversichert. Das hat zuletzt eine Studie der Organisation Oxfam gezeigt.

Doch nach fast eineinhalb Jahren Ampelkoalition ist kaum Besserung in Sicht. Zwar haben SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag versprochen: „Für Saisonbeschäftigte sorgen wir für den vollen Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Tag.“ Denn viele ArbeiterInnen haben nur eine private Gruppenversicherung, die weit weniger Leistungen übernimmt als die gesetzliche. Manche Beschäftigte berichten, sie hätten ihre Behandlung selbst bezahlen müssen.

File:Bundesarchiv Bild 183-R0312-500, Mark Brandenburg, Spargelernte.jpg

Bisher aber hat die Koalition keinen Gesetzentwurf vorgelegt, um diesen Missstand zu beheben. Aus den beteiligten Ministerien heißt es seit Monaten, sie würden sich noch untereinander abstimmen. Staatssekretäre schicken sich gegenseitig Briefe – weiterhin stehen manche ArbeiterInnen im Notfall ohne ausreichende Krankenversicherung da.

Der Grund für dieses Verzögerungstaktik ist klar: Die Agrarlobby scheut höhere Kosten durch ordentliche Versicherungen. Der Gesamtverband der deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände hält es für nicht nachvollziehbar, dass Saisonkräfte in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen sollen – obwohl sie während ihres vergleichsweise kurzen Aufenthalts in Deutschland in der Regel nur wenige Leistungen in Anspruch nehmen könnten.

Quelle        :      TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Erdbeerpflücker bei Tettnang ernten Früchte von Fragaria × ananassa

Abgelegt unter Europa, HARTZ IV - (Bürger-Geld), Kultur, Mensch, Positionen | Keine Kommentare »

Vereint im Schwulenhass

Erstellt von Redaktion am 22. Mai 2023

LGBTQ-Feindlichkeit in Belarus

02019 1173 Rzeszów Pride.jpg

Ein Debattenbeitrag von Alexander Friedmann

Lukaschenko folgt Putin in seinem Feldzug gegen Homosexualität und sexuelle Vielfalt. Beiden dient die antiwestliche Propaganda zur Machtsicherung.

Seit Ende März steht Belarus wieder mal im Mittelpunkt der internationalen Öffentlichkeit. Dort sollen russische taktische Atomwaffen stationiert werden. Wie konkret die Pläne sind, ist umstritten. Fest steht: Um die im Westen verbreiteten Ängste zu schüren, arbeitet sich der belarussische Machthaber und Putin-Vertraute Alexander Lukaschenko am Thema Atomwaffen ab. Mal bringt er sich als Visionär ins Spiel, der die Atomwaffen am liebsten vernichten würde, mal stellt er die Stationierung strategischer Atomwaffen in Belarus in Aussicht und räumt sich das Mitspracherecht bei einem Einsatz russischer Raketen ein.

Lukaschenkos abenteuerliche Atom-Rhetorik macht die westliche Öffentlichkeit rat- und fassungslos. Die Tatsache, dass Lukaschenko in diesem Kontext auch radikale antiwestliche Parolen verbreitet, mit liberalen Werten abrechnet und seine Homophobie explizit zur Schau stellt, wird übersehen. Handelt es sich dabei um spontane Entgleisungen eines unverbesserlichen Schwulenhassers oder steckt dahinter vielmehr ein ideologisches Bekenntnis zu Putins Russland und vor allem eine perfide Strategie der Machtsicherung?

Bei seiner Ansprache an die Nation am 31. März stellte Lukaschenko seine Sicht auf Homosexualität dar: Wenn eine Frau eine gleichgeschlechtliche Beziehung führe, seien Männer daran schuld, denn sie hätten versagt. Für die männliche Homosexualität gebe es hingegen keine Entschuldigung. Diese sei eine verachtenswerte Perversion, deren „Propaganda“ nicht akzeptabel sei. Bei schwulen Männern in höheren Ämtern sei grundsätzlich Vorsicht geboten; ihre Tätigkeit im belarussischen Machtapparat sei zwar nicht zu beanstanden, sie würden sogar „besser“ als „normale Männer“ arbeiten. Als Staatschef wisse er jedenfalls genau, wer in seinem Umfeld homosexuell sei. Konkrete Namen? Diese würde er nicht nennen, noch nicht.

Von schwulenfeindlichen Ressentiments aus der Sowjetzeit geprägt, kommt Lukaschenkos Auftritt beim anwesenden Publikum – die gesamte Elite des Regimes – gut an. Es wird gelacht. Der Staatschef erntet Applaus.

In puncto Schwulenhass ist Lukaschenko ein Wiederholungstäter. Aus seiner homophoben Einstellung hat er nie einen Hehl gemacht. Seine an den früheren Bundesaußenminister Guido Westerwelle gerichtete Bemerkung „lieber Diktator als schwul“ sorgte in den früheren 2010er Jahren für Schlagzeilen. Heute gehört Belarus zu Europas LGBTIQ+-feindlichsten Ländern.

Im Gegensatz zu Russland, wo die homophobe Rhetorik gesetzliche Verbote der „Homo-Propaganda“ flankierte, sah Minsk allerdings lange Zeit von derartigen, im Westen scharf kritisierten Maßnahmen ab, aus pragmatischen Gründen. Als sich Belarus und die EU in der zweiten Hälfte der 2010er angenähert hatten, griff der Machthaber das heikle Thema nicht mehr auf. Der Propaganda-Knüppel „Schwulenhass“ wurde allerdings im Kontext der demokratischen Proteste in Belarus 2020 wieder ausgepackt. Das Regime orientiert sich dabei an Russland, das homophobe Narrative verbreitet und seinen Einfluss im Nachbarland ausbaut.

Seit den späten 2000er Jahren predigt Wladimir Putin den „russischen Sonderweg“, setzt auf die gesellschaftliche Konsolidierung auf Grundlage traditioneller „russischer Werte“ und treibt die „Entwestlichung“ Russlands voran. Im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verstärkten sich diese Tendenzen erheblich.

Die liberalen demokratischen Werte werden inzwischen als „nicht russisch“ zurückgewiesen und mit der verachteten Homosexualität in Verbindung gebracht. Der von Moskau behauptete Untergang der westlichen Zivilisation wird nicht zuletzt auf einen offenen Umgang mit der Homosexualität zurückgeführt. Die Vorherrschaft von Homosexuellen im Westen wird suggeriert. Der Hass gegen LGBTIQ+-Menschen ist virulent und Gewaltangriffe werden stillschweigend geduldet. Von einer Kriminalisierung homosexueller Beziehungen wie in der UdSSR ist zwar noch keine Rede, man will jedoch Homosexualität als „Krankheit“ oder „Perversion“ aus der Öffentlichkeit verdrängen.

Der Kreml ist bemüht, sich zum Vorreiter eines Kampfes für „wahre Werte“ zu stilisieren. Da der russische Druck auf ihn wächst und die Hoffnung auf Verbesserung der Beziehungen zum Westen sinkt, will Lukaschenko nun ebenfalls „Homo-Propaganda“ verbieten und Putin auf seinem „Sonderweg“ begleiten.

Die homophobe Wende in Russland wurde im Westen verurteilt. Zunächst ging man von einer spezifischen „Wachstumskrankheit“ aus, von einem „Überrest der sowjetischen Vergangenheit“ und wies auf den eigenen langen wie steinigen Weg zu Akzeptanz und Gleichstellung hin. Inzwischen nimmt man Putins Werte-Rhetorik ernst.

Quelle        :     TAZ-online        >>>>>        weiterlesen   

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —     Rzeszów Pride

Abgelegt unter APO, Feuilleton, International, Kultur, Positionen | 1 Kommentar »

DIE * WOCHE

Erstellt von Redaktion am 22. Mai 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Warnblink, Auto kaputt, Nato-Fall und das Zittern kurz vor Redaktionsschluss, Links und rechts gleichzeitig nicht nur beim „Vice“.  Die Stichwahl in der Türkei zeugt von bipolarer Demokratie, und F16-Jets fliegen bis tief in Russland hinein.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Bachmut. Und weiter Eskalationsrhetorik.

Und was wird nächste Woche besser?

Vielleicht Lula.

Im Zuge der Graichen-Affäre spricht Alexander ­Dobrindt (CSU) von „grünen Clan-Strukturen“, der CDU-Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel teilt auf Twitter einen Post, der die Grünen als „deutsche Mafia“ darstellt. Übertrieben?

Rüddels Erwin ist jecker Multifunktionär, beim Rotkreuz, Fußballpräsident, im Lions-Club, bei den Leichtathleten und Sohn des legendären Rüddel Jupp, der stramme 56 Jahre ortsbürgermeisterte. Da mag er sich die Grünen so vorstellen, wie es bei ihm daheim schließlich auch zugeht. Dobrindt gilt – etwa im „Schwarzbuch Autolobby“ von Greenpeace – als wandelnde Clanstruktur. Ich nehme den Grünen übel, dass solche unreflektierten Filzhüte nicht mal mehr fantasieren müssen, um ihr Elend in anderen anzuprangern.

Als erster US-Bundesstaat will Montana Tiktok verbieten, um seine Bür­ge­r*in­nen „vor der Überwachung durch die Kommunistische Partei Chinas“ zu schützen. Zieht die EU bald nach?

In der NSA-Affäre enthüllte Edward Snowdon, dass so ziemlich alle US-Digitalkonzerne beflissen „backdoors“ für Geheimdienste eingerichtet hatten. Das führte im deutschen Wahlkampf 2013 zu allerhand Empörung, die sich als geheuchelt erwies – die europäischen Dienste machten allesamt mit. Und zu frommen Ankündigungen, die verwehten. In Montana klagen nun InfluencerInnen, die ihren Lebensunterhalt mit Tiktok-Clips verdienen. Das kann, paradox genug, zu einem höchstrichterlichen Urteil führen: Dürfen Dienste in Microblogs spionieren? Und: Will das irgend jemand wissen in den USA? Das Postprivileg der Thurn und Taxis bestand 200 Jahre, weil Fürstens die Briefe gesammelt dem kaiserlichen Zensor in den Hof kippten. Erst nach sorgfältiger Lektüre durch die Obrigkeit wurde zugestellt. Geben wir uns also noch ein paar Jahrhunderte.

Laut Ifo-Institut bleiben in Deutschland aufgrund von Homeoffice durchschnittlich dreimal so viele Büroarbeitsplätze leer wie vor der Pandemie. Wie sähe eine nachhaltige Bewirtschaftung dieser Brachen aus?

Wohnraum. Schon vor Corona förderten etwa Frankfurt, Düsseldorf und Berlin Projekte, Jobsilos in Heime zu verwandeln. Große Flächen, lange Flure, wenig Toiletten – Investoren müssen spitz rechnen, ob ein Abriss günstiger kommt als ein Umbau. Viele Innenstädte sind nachts tot, mit dem Homeoffice stirbt der Tag hinterher. Hier bietet sich der Mieter als Retter des Investors an – dem natürlich unsere erste Sorge gilt.

Erdoğan und Kılıçdaroğlu müssen in die Stichwahl. Besteht noch Hoffnung für die Demokratie in der Türkei?

Kaum für Flüchtlinge. Kılıçdaroğlu will sie „alle nach Hause schicken. Punkt!“ – um die Wähler des rechtsextremen drittplatzierten Ogun abzufangen. Die wähnt man unterwegs zu Erdoğan. In dieser Wirrnis hat Kılıçdaroğlu einen Punkt, wenn er den Europäern vorwirft, dem Krieg in Syrien tatenlos zuzuschauen. Aber er blinkt rechts und links gleichzeitig, vulgo Warnblink, vulgo Auto kaputt.

In München machen CSU und AfD gegen eine Kinderbuchlesung von zwei Dragqueens und einer transgeschlechtlichen Jungautorin mobil. Wird das Thema zum inhaltlichen Bindeglied der Rechten?

Quelle        :       TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Bearbeitung durch User: Denis_Apel –

Lizenz “Creative Commons“ „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“

Abgelegt unter Feuilleton, International, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Gefährlicher Stimmenfang

Erstellt von Redaktion am 21. Mai 2023

CDU, FDP, AfD und die Wärmewende

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Union und FDP setzen auf billige Geländegewinne, indem sie die Gesellschaft verunsichern, speziell bei Migration und Klimaschutz. Dafür nehmen sie nicht zum ersten Mal die Stärkung des rechten Rands kalt lächelnd in Kauf.

„In blanker Panik“, so der Schwäbisch Gmünder AfD-Abgeordnete Ruben Rupp neulich im baden-württembergischen Landtag, werde das Programm seiner Partei abgeschrieben. Die Behauptung hat leider einen wahren Kern. Denn einerseits kritisieren Christdemokrat:innen und Liberale die „Alternative für Deutschland“ als nicht an Lösungen und nur an Stimmungen interessiert. Andererseits aber haben sie etliche der Positionen tatsächlich übernommen: vom Grenzschutz samt -kontrollen bis zu Fragen von Abschiebung und Duldung. Aktuell wird sogar, mit angestoßen von der FDP, wieder darüber diskutiert, an Asylbewerber:innen nur noch Sachleistungen auszugeben.

Alle Vor- und Nachteile sind seit Langem gründlich untersucht und vielerorts weite Teile der Versorgung ohnehin bereits umgestellt. Wenn die Betroffenen aber gar kein eigenes Bargeld mehr bekommen, muss bis hin zum ÖPNV-Fahrschein oder der Empfängnisverhütung der Staat als Beschaffer auftreten und jede Kleinigkeit individuell aushändigen. 2015 hatte der damalige CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine erste Ausweitung des Sachleistungsprinzips auf den Weg gebracht. Unter anderem der Deutsche Kinderschutzbund lief Sturm dagegen, weil es nicht integrationsfördernd sei, wenn Eltern keine Chance hätten, mit ihren Kindern wenigstens im Ansatz ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Annelie Buntenbach (Grüne), bis 2020 im DGB-Bundesvorstand, kritisierte solche Ideen als „Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten und Rechtsextremen“. Der Paritätische Wohlfahrtsverband warf dem Minister „gefährliche Stimmungsmache“ vor und verwies auf das Bundesverfassungsgericht, das klare Vorgaben gemacht habe.

Wie die AfD: Gefühle statt Fakten

Die Situation 2023 ist aber auch deshalb speziell, weil die Themen Asyl und Flucht vorsätzlich vermengt werden. Den rund 33.000 Asylbewerber:innen, die seit März 2022 in Baden-Württemberg aufgenommen wurden – etwa 9.000 davon in den vergangenen vier Monaten –, stehen 162.000 geflüchtete Ukrainer:innen gegenüber. Selbst bei den Letzteren würde CDU-Landtagsfraktionschef Manuel Hagel gern die Geldleistungen „an das europäische System angleichen“, spricht von einem „deutschen Sonderweg“ und davon, dass dieser Ukrainer anzieht, die bereits in anderen europäischen Ländern untergekommen seien. Belastbare Zahlen dafür gibt es nicht. Sein Bundesvorsitzender Friedrich Merz hatte ukrainischen Geflüchteten schon im Herbst „Sozialtourismus“ unterstellt, sich später entschuldigt, aber der Stein war ins Wasser geworfen. Und zieht seither seine Kreise. „Wir haben die falschen Anreize – Bürgergeld, hohe Asylleistungen –, und das ist der Magnet“, sagt der Schwäbisch Haller AfD-Abgeordnete Udo Stein im Stuttgarter Patlament. Justizministerin Marion Gentges (CDU) widerspricht nicht.

Dabei läuft vor allem die Union Gefahr – nicht zum ersten Mal –, in die Falle falscher Inhalte und einer allzu populistischen Tonlage zu tappen. Der Duden präsentiert übrigens eine leicht zu erfassende Lektüre zum Thema. Populismus sei eine „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (…) zu gewinnen“. Baden-Württembergs Landeszentrale für politische Bildung wird besonders deutlich: „Populismus verkürzt, dramatisiert und emotionalisiert bewusst komplizierte gesellschaftliche Fragen und behauptet, dass die Lösung dieser Fragen im Grunde ganz einfach wäre.“ Der damalige Spitzenkandidat Guido Wolf (CDU) hatte 2016 jedenfalls mit seinem rabiaten Kurs in der Flüchtlingspolitik der noch im Herbst 2015 bei drei Prozent darniederliegenden AfD mit zu neuem Auftrieb verholfen.

„Wo können wir gegen Ausländer unterschreiben?“

Die Lektion hätte schon in den Neunziger Jahren sitzen müssen, als die aufgeheizte Debatte um die Änderung des Grundrechts auf Asyl die rechten Republikaner in die Parlamente schwemmte. Statt innezuhalten und nachzudenken, reagierten die beiden Parteien mit dem C im Namen mit einem weiteren Rechtsruck. Sogar Günther Oettinger, damals CDU-Landesfraktionschef, warnte seine Partei, sich nach rechts zu öffnen, weil Populisten und Nationalisten mit immer noch schärferen Parolen („Das Boot ist voll“) Stimmen holen könnten. Er hatte recht.

Bis heute hängt Deutschland insbesondere bei der Suche nach Fachkräften die damalige Kampagne der CDU in den Kleidern. Vor der hessischen Landtagswahl 1999 war mit einer bundesweiten Unterschriftensammlung die Stimmung angeheizt worden gegen die eigentlich schon lange überfällige Einführung der doppelten Staatbürgerschaft durch die neue rot-grüne Landesregierung. Der Coup gelang: Roland Kochs CDU, noch kurz zuvor demoskopisch deutlich hinter der mit den Grünen koalierenden SPD, drehte den Trend und gewann mit gut 43 Prozent und vier Punkten Vorsprung. Und regiert bis heute. „Wir wollen“, so damals der neue Ministerpräsident, „dass in Deutschland weiter Kirchenglocken läuten und nicht Muezzine rufen.“ Gut ausgebildete Türk:innen gingen zurück in die Heimat ihrer Eltern. Und hierzulande ist eine neue Klassengesellschaft entstanden, in der sich immer neue Jahrgänge aus Milieus mit nichtdeutschen Wurzeln immer weniger integrieren wollen.

Vier Millionen Unterschriften wurden schlussendlich bundesweit gesammelt, an vielen Ständen bildeten sich lange Schlangen. Nur zu oft mündete die vielleicht gerade noch akzeptable Abwägung der Pros und Contras für zwei Pässe in die schlicht falsche und zudem bösartige Frage: „Wo können wir gegen Ausländer unterschreiben?“

„Und wo gegen Klimaschutz?“

Fast ein Vierteljahrhundert danach werden wieder Unterschriften gesammelt: gegen die Erneuerbare-Wärme-Pläne der Bundesregierung, personalisiert und zugespitzt auf Robert Habeck. 16 Jahre lang hat die Union zentrale Entscheidungen im Kampf gegen die Erderwärmung gescheut. Nun stilisiert die Union diejenigen, die jetzt handeln, zum Feind des Volkes und sammelt Unterschriften gegen das geplante Wärmewendegesetz. Diese Kampagnen der Union im Saarland, in Sachsen, in Bayern und auf der Bundesebene könnten zu ähnlichen Reflexen Unterschriftswilliger führen wie bei denen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, nämlich: „Wo können wir gegen den Klimaschutz unterschreiben?“

Schließlich spricht die stellvertretende CDU-Generalsekretärin Christina Stumpp aus Waiblingen von einer „Mobilisierungskampagne“, nicht nur Spaltung und Desinformation in Kauf nehmend, sondern sogar munter vorantreibend: „Wir brauchen eine Wärmewende ohne soziale Kälte.“ Jetzt auf einmal, nachdem sich die Schere zwischen Arm und Reich in der Republik seit vielen Jahren durch politisches Nichtstun immer weiter öffnet. Erst recht mobilisieren will Markus Söder (CSU), hat er doch im Herbst bayerische Landtagswahlen zu bestehen. Unter dem Motto „Lassen Sie sich nicht von der Ampel kaltstellen“ werden hier ebenfalls Unterschriften gesammelt. Unter anderem für den „Schutz des Privateigentums“ und dafür, „dass Eigentümer selbst entscheiden können, wie sie heizen wollen“.

Acht Jahren später sind diese Argumente alles anders als entkräftet. Gerade Liberale hindert das aber nicht daran, die alte Leier anzuschlagen. „Wir müssen auch darüber nachdenken, den Flüchtlingen weniger Geld, sondern mehr in Sachleistungen zu geben“, sagt der Böblinger Landtagsabgeordnete Hans Dieter Scherer, seines Zeichens migrationspolitische Sprecher. Christian Dürr („Wir dürfen nicht blauäugig sein“), FDP-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, wird noch deutlicher und fabuliert vom immer und immer wieder bemühten Pull-Faktor. Gut könne sein, dass Menschen wegen der Geldleistungen in die sozialen Sicherungssystem einwandern, lässt er die Republik über „Bild“ wissen und dass zur Entlastung der Kommunen in den Erstaufnahmen Kleidung, Nahrung und Hygieneartikel ausgegeben werden könnten. Sein zu kurzer Schluss: Deutschland müsse weniger attraktiv für Asylbewerber werden. Wie ein schlechter Witz liest es sich da, dass dieselben Liberalen die Ausbildungssituation und den Fachkräftemangel beklagen. Wäre 2015, 2016, 2017 und danach der Umstieg von der Duldung hin in Ausbildung und Arbeit ermöglicht worden, müssten Unternehmen oder Wirtschaftsverbände heute nicht jammern und klagen.

Quelle          KONTEXT: Wochenzeitung-online          >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —   Impresionen aus der Fraktionssitzung der CDU des Landtages Baden-Württemberg

*****************************

Unten     —       “Without food, our family would not survive. I thank the UK for helping me and my children in our time of need. Many, many thanks!” Hawa Maiga, 45, is just one of thousands of people that have been directly affected by this crisis. Britain and others countries are working hard to ensure everyone that needs help receives it. Hawa comes from Gao, one of Mali’s northern towns that has been acutely affected by conflict in recent times. Even in February this year, violent clashes occurred between rebel fighters and French and Malian forces, making life in Gao unbearable. “I really want to return to my home but I cannot“, she says. Fighting is continuing, even to this day – it is too dangerous. The protection of my loved ones is my only priority.” Out of approximately 61,000 internally displaced people (IDPs) that are currently registered in Bamako, WFP is helping support 12,000 of the most vulnerable. Photo: Derek Markwell/DFID

Abgelegt unter Flucht und Zuwanderung, Kultur, P.CDU / CSU, Positionen | Keine Kommentare »

Fünf Jahre silence-ein O.Ton

Erstellt von Redaktion am 21. Mai 2023

Die Stimme von Julian Assange ist wieder zu hören

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Craig Murray, 7. Mai 2023  (übersetzt von Daniela Lobmueh)

Obwohl er wegen nichts verurteilt wurde und sich lediglich in „Verwaltungshaft“ befindet, für die die Unschuldsvermutung gilt, ist Julian Assanges Stimme seit fünf Jahren praktisch zum Schweigen gebracht worden.
Der Ort des Schreckens und der unmenschlichen Haft, das Londoner Belmarsh-Gefängnis, in dem Terroristen inhaftiert werden, hat verhindert, dass die Welt seine Stimme hören kann. Journalisten dürfen ihn nicht besuchen – selbst Nichtregierungsorganisationen wurden daran gehindert, mit der fadenscheinigen Begründung, sie seien Journalisten und könnten seine Gedanken an die Außenwelt weitergeben.
Ich weiß nicht wie, aber irgendwie hat Julian es geschafft, einige Gedanken unter dem Vorwand eines Appells an König Karl wegen der Haftbedingungen zu verschicken. Der Text ist natürlich stark sarkastisch, und das Thema ist begrenzt, aber zumindest kann er die Welt an Julians schreckliches Schicksal erinnern.
Ich kenne die furchtbare, sinnlose Unmenschlichkeit, von der er spricht, die dummen Regeln, die Isolation, die völlige Verschwendung von Geld und menschlichem Potenzial ohne nützliches Ergebnis. In der Woche, in der ich das Gefängnis von Saughton verließ, starben zwei Menschen. Wenn Sie die Augen schließen, können Sie vielleicht die schöne Tenorstimme von Julians Freund hören, der Selbstmord beging.

An Seine Majestät König Charles III,
Anlässlich der Krönung meines Lehnsherrn hielt ich es für angemessen, Euch herzlich einzuladen, diesen bedeutenden Anlass mit einem Besuch in Eurem eigenen Königreich im Königreich zu begehen: dem Gefängnis Seiner Majestät in Belmarsh.
Sicherlich erinnern Sie sich an die weisen Worte eines berühmten Dramatikers: „Die Qualität der Barmherzigkeit ist nicht angestrengt. Sie tropft wie der sanfte Regen vom Himmel auf den Ort darunter.“
Aber was wüsste dieser Barde von Barmherzigkeit angesichts der Abrechnung, die zu Beginn Eurer historischen Herrschaft ansteht? Schließlich kann man das wahre Maß einer Gesellschaft daran erkennen, wie sie ihre Gefangenen behandelt, und Euer Königreich hat sich in dieser Hinsicht sicherlich hervorgetan.
Das Gefängnis Belmarsh Eurer Majestät befindet sich an der prestigeträchtigen Adresse One Western Way, London, nur eine kurze Fuchsjagd vom Old Royal Naval College in Greenwich entfernt. Wie reizvoll muss es sein, dass eine so angesehene Einrichtung Ihren Namen trägt.
Hier sind 687 Ihrer treuen Untertanen inhaftiert, die das Vereinigte Königreich als die Nation mit der größten Gefängnispopulation in Westeuropa ausweisen. Wie Ihre edle Regierung kürzlich erklärt hat, erlebt Ihr Königreich derzeit „die größte Erweiterung von Gefängnisplätzen seit über einem Jahrhundert“, wobei ihre ehrgeizigen Prognosen einen Anstieg der Gefängnispopulation von 82.000 auf 106.000 innerhalb der nächsten vier Jahre vorsehen. Das ist in der Tat ein großes Erbe.
Als politischer Gefangener, der nach dem Willen Eurer Majestät im Auftrag eines beschämten ausländischen Souveräns festgehalten wird, ist es mir eine Ehre, in den Mauern dieser erstklassigen Einrichtung zu leben. Wahrlich, Euer Königreich kennt keine Grenzen.

Während Ihres Besuchs werden Sie Gelegenheit haben, sich an den kulinarischen Köstlichkeiten zu laben, die für Ihre treuen Untertanen mit einem großzügigen Budget von zwei Pfund pro Tag zubereitet werden. Genießen Sie die gemischten Thunfischköpfe und die allgegenwärtigen rekonstituierten Formen, die angeblich aus Huhn hergestellt werden. Und keine Sorge, anders als in weniger bedeutenden Anstalten wie Alcatraz oder San Quentin gibt es kein gemeinsames Essen in einer Kantine. In Belmarsh speisen die Gefangenen allein in ihren Zellen, was die größtmögliche Intimität der Mahlzeit gewährleistet.
Abgesehen von den geschmacklichen Genüssen kann ich Ihnen versichern, dass Belmarsh Ihren Untergebenen reichlich Gelegenheit zur Bildung bietet. In Sprüche 22:6 heißt es: „Erziehe ein Kind in dem Weg, den es gehen soll, und wenn es alt ist, wird es nicht davon abweichen.“ Beobachten Sie die Warteschlangen an der Medikamentenausgabe, wo die Insassen ihre Rezepte nicht für den täglichen Gebrauch, sondern für die horizonterweiternde Erfahrung eines „großen Tages“ sammeln – und das alles auf einmal.
Sie werden auch die Gelegenheit haben, meinem verstorbenen Freund Manoel Santos die letzte Ehre zu erweisen, einem schwulen Mann, dem die Abschiebung nach Bolsonaros Brasilien drohte und der sich nur acht Meter von meiner Zelle entfernt mit einem kruden Seil aus seinem Bettlaken das Leben nahm. Seine exquisite Tenorstimme ist nun für immer verstummt.
Wenn Sie weiter in die Tiefen von Belmarsh vordringen, werden Sie den isoliertesten Ort innerhalb der Mauern finden: Das Gesundheitswesen, oder „Hellcare“, wie es seine Bewohner liebevoll nennen. Hier werden Sie sich über vernünftige Regeln wundern, die der Sicherheit aller dienen, wie z. B. das Verbot von Schach, während das weit weniger gefährliche Spiel Dame erlaubt ist.
Tief im Inneren von Hellcare befindet sich der herrlichste Ort in ganz Belmarsh, ja im ganzen Vereinigten Königreich: die Belmarsh End of Life Suite mit ihrem erhabenen Namen. Wenn Sie genau hinhören, werden Sie vielleicht die Schreie der Gefangenen hören: „Bruder, ich werde hier drin sterben“, ein Zeugnis für die Qualität des Lebens und des Todes in Ihrem Gefängnis.
Aber keine Angst, in diesen Mauern gibt es auch Schönes zu entdecken. Erfreuen Sie sich an den malerischen Krähen, die im Stacheldraht nisten, und an den Hunderten von hungrigen Ratten, die Belmarsh ihr Zuhause nennen. Und wenn Sie im Frühjahr kommen, können Sie vielleicht sogar einen Blick auf die Entenküken erhaschen, die von verirrten Stockenten auf dem Gelände des Gefängnisses als Eier abgelegt wurden. Aber zögern Sie nicht, denn die gefräßigen Ratten sorgen dafür, dass ihr Leben nur von kurzer Dauer ist.
Ich beschwöre Euch, König Charles, das Gefängnis seiner Majestät Belmarsh zu besuchen, denn es ist eine Ehre, die einem König gebührt. Möget Ihr Euch zu Beginn Eurer Regentschaft immer an die Worte der King James Bibel erinnern: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen“ (Matthäus 5:7). Und möge die Barmherzigkeit die Richtschnur Deines Reiches sein, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mauern von Belmarsh.
Ihr ergebenster Untertan,
Julian Assange (A9379AY)

Ich denke, dass meine eigene Aussage, als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, hier einen weiteren Blick wert ist, da ich ähnliche Dinge über die Haftbedingungen gesagt habe. Ich habe damals auch erklärt: „Ich werde mich erst dann wirklich frei fühlen, wenn auch mein Freund und Kollege Julian Assange frei ist“.
Das ist nach wie vor absolut der Fall.

Craig Murray (übersetzt von Daniela Lobmueh mit Deepl.com)
PS. Verzeihen Sie mir, wenn ich darauf hinweise, dass meine Berichterstattung völlig von Ihren freundlichen freiwilligen Abonnements abhängt, die diesen Blog am Laufen halten. Dieser Beitrag darf von jedermann frei reproduziert oder neu veröffentlicht werden, auch in Übersetzungen. Sie können ihn aber auch gerne ohne Abonnement lesen.
Im Gegensatz zu unseren Gegnern, wie der Integrity Initiative, der 77th Brigade, Bellingcat, dem Atlantic Council und Hunderten von anderen kriegstreiberischen Propagandaorganisationen, wird dieser Blog in keinster Weise von Staaten, Unternehmen oder Institutionen finanziert. Er wird ausschließlich durch freiwillige Abonnements seiner Leser betrieben, von denen viele nicht unbedingt mit jedem Artikel einverstanden sind, aber die alternative Stimme, die Insiderinformationen und die Debatte begrüßen. Abonnements zur Aufrechterhaltung dieses Blogs werden dankbar angenommen.

https://www.craigmurray.org.uk/support-this-website/

Siehe auch:

Assange: 3sat verschweigt Menschenrechtsverletzung

Warum der Assange-Unterstützer Craig Murray in Haft sitzt

Assange-Ankäger Kromberg in der Kritik

Zeuge der Anklage gegen Assange gesteht Falschaussage

Solidarität mit Julian Assange

Assange-Schauprozess-Chronik

(meist nach Craig Murray von Hannes Sies & Daniela Lobmueh)

Snowden: Es ist ein Schauprozess gegen Assange -Bericht von Craig Murray 8.9.2020

http://scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[pointer]=14&tx_ttnews[tt_news]=74949&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=3f2a117e6b

Assange-Schauprozess: Unrechtsstaat wirft Nebelkerzen  09.09.20

http://scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[pointer]=14&tx_ttnews[tt_news]=74963&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=21478b711c

Assange-Prozess Mittwoch: Friedensforscher und Presse-Experte pro Assange 11.9.20

http://scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[pointer]=12&tx_ttnews[tt_news]=74996&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=151cc821c0

Assange-Prozess: Daniel Ellsberg und John Goetz („Spiegel“) vernommen  17.09.20

http://scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[pointer]=9&tx_ttnews[tt_news]=75063&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=a256a7078e

Assange-Schauprozess: CableGate & Geheimnisverrat -aber von wem?  23.09.20

http://scharf-links.de/45.0.html?&tx_ttnews[pointer]=6&tx_ttnews[tt_news]=75131&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=67845c3b8e

Assange-Schauprozess: Jakob Augstein pro Assange 27-9-2020

http://scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[pointer]=4&tx_ttnews[tt_news]=75173&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=b9ea801c43

Assange-Schauprozess: Unrechtsjustiz leugnet Psycho-Folter, John Young (Cryptome), Chris Butler (blog.archive) 28.09.20

http://scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[pointer]=4&tx_ttnews[tt_news]=75182&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=2bad4a88cb

Assange-Schauprozess: Unrechtsjustiz, Folterhaft und aufgedeckte CIA-Verbrechen 02.10.20

http://scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[pointer]=1&tx_ttnews[tt_news]=75227&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=a04f56fde9

Julian Assange ist Träger des Karlspreises 2020 7.10.20

http://scharf-links.de/45.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=75266&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=453b78ef46

Assange-Schauprozess: Nahost-Korrespondenten packten aus 8.10.20

http://scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=75282&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=7ac3327ffb

Assange-Schauprozess: Weitere Beweisaufnahme verweigert, Schlussplädoyer

http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[swords]=lobmueh%20murray&tx_ttnews[tt_news]=75294&tx_ttnews[backPid]=65&cHash=d89b649ef9

Freiheit für Julian und Roman!

https://www.telepolis.de/features/Freiheit-fuer-Roman-und-Julian-6070802.html?seite=all

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —   Londres (Reino Unido), 18 de Agosto 2014, Canciller Ricardo Patiño y Julian Assange ofrecieron una rueda de prensa con presencia de medios internacionales. Foto: David G Silvers. Cancillería del Ecuador.

Abgelegt unter Europa, Medien, Mensch, Positionen | Keine Kommentare »

KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von Redaktion am 21. Mai 2023

Stichwahl in der Türkei: Wahlkampf gegen Geflüchtete

Rote Flagge II.svg

Kolumne von Fatma Aydemir

Auch die Opposition betreibt in der Türkei Hetze auf Geflüchtete. Kemal Kılıçdaroğlu hofft auf diese Weise, in der Stichwahl besser abzuschneiden.

Können in einem undemokratisch regierten Land demokratische Wahlen abgehalten werden? Bei den am nächsten Wochenende in die Stichwahl gehenden Präsidentschaftswahlen in der Türkei gibt es immer noch Hoffnungen auf einen Regierungswechsel – auch wenn die Voraussetzungen für die Kandidaten alles andere als gleich sind. Im April sollen laut einer Erhebung im Staatsfernsehen TRT dem Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan rund 32 Stunden Sendezeit gewidmet worden sein – dem Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu dagegen 32 Minuten.

Dass die Pressefreiheit im Land seit Jahren schon dramatisch eingeschränkt wird, hat zur Folge, dass es zudem kaum Zugänge gibt zu kritischen, faktenbasierten Nachrichten in der eigenen Sprache über die politische Realität im Land. Wie überall auf der Welt wirken sich natürlich auch in der Türkei vor allem Social-Media-Bubbles auf das Wahlverhalten vieler Bürger_innen aus.

Doch im Gegensatz zu manchen anderen Ländern, existiert so gut wie keine unabhängige Presse mehr, an der Fake News und Propaganda abgeglichen werden könnten. Sprich: Fake News sind die News. Kritische Berichterstattung ist dagegen – sobald sie ein größeres Publikum erreicht – ein Fall fürs Gericht.

Dass Propaganda sich am besten durch dokumentierte Zahlen und Fakten zerlegen lässt, daran glaubt in der Türkei also niemand mehr. Und so verstrickt sich auch die Opposition zunehmend in frisierten Wahrheiten im Zuge plumper Wahlversprechen, die bei der Stichwahl am 28. Mai ins Gewicht fallen könnten.

undefined

In einer Rede am Donnerstag etwa versprach Kı­lıç­dar­oğlu, er werde, sollte er im zweiten Wahlgang gewählt werden, „alle Flüchtlinge nach Hause schicken. Punkt.“ Im Satz vorher behauptete er, Erdoğan habe 10 Millionen Geflüchtete ins Land gelassen, eine Zahl, die die ohnehin rassistische Stimmung in der Gesellschaft weiter anheizen soll. Fakt ist: Die ­UNHCR geht von derzeit 3,9 Millionen Geflüchteten aus, die in der Türkei leben sollen, allein 3,6 Millionen von ihnen aus dem Nachbarland Syrien. Sicherlich wird es eine Dunkelziffer undokumentierter Geflüchteter geben, 10 Millionen erscheint aber unrealistisch.

Seit Jahren schon wendet sich der Unmut der Bevölkerung über Wirtschaftskrise, Korruption und Arbeitslosigkeit mehr gegen geflüchtete Menschen, als gegen die politisch Verantwortlichen für diese Probleme. Die Rhetorik der Opposition verbindet nun das Potenzial dieser rassistischen Grundstimmung mit der Kritik an der AKP-Regierung: Erdoğan hat euch die Flüchtlinge gebracht, ich werde euch von ihnen befreien, geht der Duktus.

Es geht um 5,1 Prozent

Quelle         :         TAZ-online       >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Eine wehende rote Fahne

*******************************

Unten      —   Ein 80 km von Aleppo entferntes Flüchtlingslager in der Türkei (September 2012)

Abgelegt unter Asien, Feuilleton, Flucht und Zuwanderung, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Kolumne FERNSICHT Uganda

Erstellt von Redaktion am 20. Mai 2023

Wenn im Schlafzimmer die Frösche quaken

Vogelbeobachtung (8618362879).jpg

Von Joachim Buwembo

Ugandas Staatsgebiet besteht zu 20 Prozent aus Wasser, und mit Lake Victoria besitzt das Land die Hälfte des zweitgrößten Süßwassersees der Welt; aber Wasser als Verkehrsweg ist praktisch unbekannt. Auf Ugandas 28 Seen sind fast nur Fischkutter unterwegs, ein paar wenige Inselfähren und Militärboote, die Fischer jagen, wenn sie ­illegalerweise zu junge Fischbestände fangen.

Nun aber zwingt das Wasser die Regierung dazu, Wasser als Verkehrsweg zu nutzen, und das verdanken wir dem Klimawandel. Am Donnerstag, 11. Mai, wachten die Ugander zu der Nachricht auf, dass eine wichtige Brücke und eine erhebliche Strecke der wichtigen Fernstraße aus Kampala nach Südwesten Richtung Tansania und Ruanda und damit in die gesamte Region der Großen Seen unter Wasser standen. Das ist auch der Verkehrsweg, der von Tansania durch Uganda hoch nach Südsudan führt, und Südsudan importiert gerade immer mehr tansanisches Getreide.

Es war nämlich der Katonga, der aus Lake Victoria westwärts Richtung Lake Edward an der kongolesischen Grenze fließt, über die Ufer getreten. Der Süden und Südwesten Ugandas waren damit komplett von der Hauptstadt abgeschnitten. So mietete Ugandas Verkehrsministerium eine Passagierfähre an, um Menschen aus Kampala in die südwestliche Stadt Masaka reisen zu lassen – eigentlich nur 128 Kilometer auf dem Landweg, aber nun mussten die Leute aus Kampala erst mal nach Entebbe und von dort per Schiff weiter. Die Reise wird subventioniert.

Nun merken die Leute plötzlich, dass vier der wichtigsten ugandischen Städte – Kampala, Entebbe, Jinja und Masaka – alle mehr oder weniger am Wasser liegen und man eigentlich ganz einfach über den Lake Victoria von einer Stadt zur nächsten fahren könnte. Die Straßen sind nämlich permanent verstopft, auch kurze Strecken dauern viele Stunden.

Aber diese positive Wendung steht im Schatten der schweren Überschwemmungen und Erdrutsche der vergangenen Wochen – von den Hängen des Mount Elgon an Ugandas Grenze zu Kenia, wo jedes Jahr wegen Abholzung und Erosion Menschen auf ihren Feldern und in ihren Gärten lebendig begraben werden, bis zu den katastrophalen Schlammlawinen in Teilen der Demokratischen Republik Kongo mit Hunderten Toten. Steigende Wasserpegel richten ebenfalls schwere Schäden an. Schon während der Pandemie mussten Anwohner des Lake Victoria in allen drei Anrainerstaaten – Uganda, Kenia und Tansania – im Lockdown mit Fröschen im Schlafzimmer und Fischen im Wohnzimmer leben, viele teure Häuser mit Seeblick wurden verlassen. Im kenianischen Kisumu verklagten Menschen Ugandas Regierung wegen mutmaßlicher Mängel bei der Regulierung der Wasserströme des Nils, die den Wasserpegel des Sees ansteigen ließen. Die Regierung sagt dazu, dass der Fluss versande, was Fluten begünstige. Ein weiteres und immer häufigeres Phänomen sind die durch Wasser verbreiteten Seuchen, wogegen es weder Planungen noch Haushaltsreserven gibt.

Quelle      :         TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

Abgelegt unter Afrika, Medien, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »