DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Archiv für die 'Gewerkschaften' Kategorie

Kaltgestellt nach Demoanmeldung Betriebsrätin in Bremer Krankenhaus freigestellt nach Solidaritätskundgebung für Daniela Klette

Erstellt von Redaktion am 18. März 2024

Aus: Ausgabe vom 19.03.2024, Seite 4 / Inland
Repression gegen Linke
Kaltgestellt nach Demoanmeldung
Betriebsrätin in Bremer Krankenhaus freigestellt nach Solidaritätskundgebung für Daniela Klette
Von Annuschka Eckhardt
Kundgebung_Solidarit_81399060.jpg
Carmen Jaspersen/dpa
Solidaritätskundgebung mit harten Konsequenzen (Vechta, 17.3.2024)

So schnell kann’s gehen: Vom Grundrecht Gebrauch gemacht und schon vom Dienst am Patienten freigestellt. Die Hysterie um die Festnahme des mutmaßlichen ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette und die Fahndung nach ihren mutmaßlichen Komplizen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg nimmt immer groteskere Züge an.

Die bis Freitag morgen freigestellte Betriebsrätin und Krankenpflegerin Ariane Müller hatte die Solidaritätskundgebung vor dem Frauengefängnis in Vechta, in dem Daniela Klette zur Zeit einsitzt, angemeldet, die am Sonntag nachmittag anlässlich des Tages der politischen Gefangenen, stattgefunden hatte. Um die 50 Personen waren zur friedlich verlaufenden Kundgebung erschienen, dazu viele Pressevertreter: »Die Medien stürzten sich regelrecht auf mich. Ich konnte kaum aus dem Auto steigen, als sie wie ein wild gewordener Bienenschwarm auf mich zuliefen. Sie waren regelrecht enttäuscht, als ich sagte, ich gebe heute keine Statements ab«, sagte Müller gegenüber junge Welt. Unweit des Kundgebungsortes hatte die CDU Vechta zu einer Gegendemonstration aufgerufen, zu der ungefähr 80 Personen erschienen.

Schon vergangenen Freitag – vor dem Termin der Kundgebung – bekam Müller Maßregelungen zu spüren. In einer sehr kurzfristig anberaumten Sondersitzung wurde sie »mit sofortiger Wirkung aus ihrer Freistellung für den Betriebsrat« entlassen. Diese überraschend harte Sanktion war jedoch nicht das Ende vom Lied, »dieser Schritt war eine Mitvoraussetzung dafür, dass auch die Gesundheit Nord und das Klinikum Bremen-Mitte als Arbeitgeber reagieren und die Mitarbeiterin bis zur Klärung des Falls freistellen«, gab die Geschäftsführung der Gesundheit Nord und der Betriebsrat des Klinikums Bremen-Mitte in einer Pressemitteilung am Montag bekannt.
Beilage zu Literatur Mittwoch am Kiosk

Die Betriebsratskollegen helfen also dabei, die Beschäftigte abzusägen. »Für uns war die Entscheidung eindeutig und die Situation unzumutbar. Wir möchten dadurch auch ein Zeichen setzen, dass wir uns vom Handeln dieser Person deutlich distanzieren«, sagte Dr. Manfred Kölsch, Betriebsratsvorsitzender am Klinikum Bremen-Mitte in der Pressemitteilung. »Es ist eine regelrechte Menschenjagd, obwohl ich doch nur mein demokratisches Grundrecht – das Anmelden eine Kundgebung – wahrgenommen hab«, sagte Müller am Montag im jW-Gespräch. »Obwohl Krankenhäuser und Kliniken unter krassem Fachkräftemangel leiden, werde ich von der Arbeit am Patientenbett freigestellt«, so Müller.

»Wir distanzieren uns als Unternehmen aufs Schärfste von allen Aktivitäten, die Solidarität oder Sympathien für die RAF oder jede andere terroristische Vereinigung zeigen. Insofern prüfen wir, welche Konsequenzen wir ziehen können. Bis diese Prüfung abgeschlossen ist, haben wir die Betriebsrätin, um die es geht, zunächst freigestellt«, ließ Karen Matiszick, Leiterin der Unternehmenskommunikation der Gesundheit Nord gGmbH, am Montag gegenüber junge Welt verlauten. Verdi war zu einer Stellungnahme nicht bereit.

Diese Freistellung ist jedoch nicht rechtens, »die Anmeldung einer Kundgebung oder Versammlung ist kein Grund, jemanden nicht mehr zu beschäftigen«, so schätzte es Rechtsanwalt Benedikt Hopmann am Montag gegenüber jW ein. »Es gibt einen Anspruch auf Beschäftigung, arbeitsgeberseitige Sanktionen können nicht das Grundgesetz aushebeln. Abhängige Beschäftigte dürfen nicht, wenn sie ihre Grundrechte wahrnehmen, noch mit einer zusätzlichen Möglichkeit unter Druck gesetzt werden, die allein aus dem strukturellen Machtverhältnis im Arbeitsverhältnis herrührt«, erklärte der Jurist. »Das ist eine zusätzliche Machtressource, die das Kapital, oder in diesem Falle die Krankenhausleitung, als Repressionsmittel benutzt.«

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/471680.repression-gegen-linke-kaltgestellt-nach-demoanmeldung.html

Abgelegt unter APO, Gewerkschaften, Innere Sicherheit | Keine Kommentare »

Operation gelungen, Klinik tot. Krankenhausgesellschaft warnt vor Dutzenden Insolvenzen noch in diesem Jahr. Gesundheitsminister Lauterbach bereitet Großkahlschlag vor.

Erstellt von Redaktion am 21. Februar 2024

 

Gesundheitswesen  –  Operation gelungen, Klinik tot

 

Von Ralf Wurzbacher

Pixabay.com/de; IMAGO-Images/Montage: jW

»Mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite ­Klinik schließen« (Bundesgesundheits­minister Karl Lauterbach/SPD)

Wo man hinsieht: Agonie.

Neuruppin, Wertheim, Bremerhaven, Werra, Ettenheim. Landauf, landab kämpfen Menschen gegen die drohende Schließung ihrer örtlichen Klinik.

Am Dienstag schlug einmal mehr die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) Alarm.

Bundesweit hätten seit Ende 2022 mehr als 40 Standorte Zahlungsunfähigkeit angemeldet,

allein im Januar seien sechs dazu gekommen.

Sollte die Politik nicht schnellstens eingreifen, »könnten in diesem Jahr 80 Kliniken pleite gehen«, sagte Verbandschef Gerald Gaß der Rheinischen Post.

»Das ist ein ungeordnetes Sterben, das zu Lasten der Mitarbeiter und Patienten geht.«

An diesem Mittwoch beraten Bund und Länder im Vermittlungsausschuss

das sogenannte Transparenzgesetz von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Gaß empfiehlt die Ablehnung, wenn Lauterbach

»den nötigen Inflationsausgleich weiterhin verwehrt«.

Schon eine halbe Ewigkeit lassen die Bundesländer die Krankenhäuser am langen Arm

verhungern. Seit Corona bleiben Patienten in Scharen fern,

der Preisschock infolge des ­Ukraine-Kriegs gab vielen den Rest.

Laut Gaß schreiben inzwischen »fast alle Kliniken rote Zahlen«.

Auf der DKG-Webseite tickt eine »Defizituhr«:

Am Dienstag erreichte sie die Marke von 9,2 Milliarden Euro.

Lauterbach behauptet, dem Siechen ein Ende setzen zu wollen,

verweigert aber kurzfristige Geldspritzen.

Heilung verspricht er statt dessen mit seiner »Krankenhausreform«, die teilweise Abkehr vom Fallpauschalsystem verschaffe vor allem kleineren Anbietern finanziell neue Luft. So könnten ein »ökonomischer Kampf um das blanke Überleben« und »wahrscheinlich« die meisten Insolvenzen »noch abgewendet werden«. Bedingung dafür sei jedoch die Zustimmung der Länder im Bundesrat.

Böse Falle: Das »Transparenzgesetz« ist eine Vorstufe zum geplanten Großkahlschlag. Es dreht sich vordergründig darum, den Zugang zu Informationen über Leistungsangebote, Fallzahlen und personelle Ausstattung der Versorger zu verbessern. Wobei Verbände wie der Marburger Bund die Rezepte missbilligen und vor überbordender Bürokratie und Doppelstrukturen warnen. Viel fataler noch: Mit der Lauterbach-Vorlage sollen die Weichen für die Neueinteilung der Kliniklandschaft nach »Leistungsgruppen« und »Leveln« gestellt werden. Auf diesem Wege würden »rund 350 Standorte zu ambulanten Zentren degradiert, womit sie dann de facto keine Krankenhäuser mehr sind«, beklagte am Dienstag Laura Valentukeviciute, Sprecherin vom »Bündnis Klinikrettung«, gegenüber jW. »Damit bricht die Grund- und Notfallversorgung auf dem Land einfach weg.«

 

»Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten«, hatte der SPD-Politiker noch im Sommer 2019 frank und frei erklärt. Jetzt macht er sich höchstpersönlich ans Werk. »Der Minister sucht Mittel und Wege, um die Versorgungslandschaft auszudünnen, das Transparenzgesetz ist Teil seiner Strategie«, betonte Valentukeviciute. DKG-Chef Gaß spricht Lauterbach die Kompetenz ab. Dieser kenne die Verhältnisse in den 1.900 Kliniken gar nicht, befand er.

Der Attackierte selbst verkauft sein Vorhaben als »Optimierung«. Wer mit Herzinfarkt oder Schlaganfall eingeliefert werde, »kann künftig darauf vertrauen, dass der Krankenwagen zum besten Krankenhaus für den jeweiligen Notfall fährt«, bemerkte er. Was aber, wenn es im Umkreis von 50 Kilometern bald keine Klinik mehr gibt? Operation gelungen, Patient tot!

Quelle:

https://www.jungewelt.de/artikel/469774.gesundheitswesen-operation-gelungen-klinik-tot.html

Abgelegt unter Gesundheitspolitik, Gewerkschaften, Regierung, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Streik in Prato – Florenz

Erstellt von Redaktion am 16. Juli 2023

Italien: Die Ciompi in Florenz – Den Aufstand denken

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von               :      Anonymous

Zu Besuch an den Toren der Mondo Convenienza. Die roten Fahnen der Basisgewerkschaft Si Cobas zieren die Allee.

In der Via Gatinella in Prato, einem Industrievorort von Florenz, haben sich Streikposten vor dem Warenlager des Küchenlieferanten Mondo Convenienza eingerichtet. Das Haupttor ist für den Lieferverkehr gesperrt. Ein Seitentor wird aufgeworfen. Bei Einbruch der Dämmerung verlassen die Chefs und Manager in Kolonne das Grundstück. Ein paar Tage vorher reisten die Oberen des Küchen- und Möbellieferanten aus ganz Italien nach Bologna. Ein Manager aus Florenz steuerte einen Lieferwagen in die dortige Mahnwache der SI Cobas und verletzte einen 50-jährigen Kollegen schwer. 12 weitere Chefs prügelten dann auf die ArbeiterInnen ein und verteilten Morddrohungen.Vor dem Tor wird ein weisses Tuch als Sitzgelegenheit für das Abendessen ausgebreitet. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite wird unterdessen ein Open-Air-Kino aufgebaut. Dort treffe ich Agnès Perrais und Alessandro Stella. Agnès Perrais ist eine Filmkünstlerin aus Paris. Ihr neuer Dokumentarfilm über den Ciompi-Aufstand des 14. Jahrhunderts aus dem benachbarten Florenz hat an diesem Abend seine Premiere in Italien. Die grosse anarchistische Mystikerin des 20. Jahrhunderts, Simone Weil, nannte diesen Aufstand aus dem Jahr 1378 den ersten veritablen Arbeiteraufstand der Geschichte.

Alessandro Stella war aktiv in der Arbeiterautonomie, einer Bewegung von Dissidenten, die sich in den 70er Jahren bis in die kleinsten Dörfer um freie Radiosendungen und schicke Zeitschriften herum organisierte. Hinter dem Begriff der Autonomia steht die Einsicht, dass die Befreiung das Werk der ArbeiterInnen selbst sein muss. Im Jahr 1976 traf er die Entscheidung für den bewaffneten Kampf. Über Mexiko ging er Anfang der 80er Jahre ins Exil nach Frankreich. Heute arbeitet Stella als Historiker und ist Forschungsdirektor am CNRS in Paris.

Es geht los. Die Mannschaft hat sich vor der Leinwand versammelt. Die Zikaden halten den Atem an. Popcorn wird gereicht. Die Blätter der Bäume rahmen das Bild. – Ciompi – Es ist ein Film über die Stadt. Ein Film über die harte Arbeit einer rechtlosen Unterschicht. Gedreht wurde der Film mit einer Super-8- und einer 16-mm-Kamera. Der Blick von Agnès Perrais auf die urbane Landschaft ist lyrisch und zart. In sorgfältig komponierten Montagen wechselt die emotionale Intensität florentinischer Fresken mit Strassenszenen aus dem Florenz des 21. Jahrhunderts. Schlachtrufe kämpfender ArbeiterInnen wehen durch die Gassen. Der Rhythmus der Maschinen in einer Textilfabrik folgt mit seinem strengen Takt.

Im Hintergrund führt die rauchige Stimme von Alessandro Stella chronologisch durch die Geschichte des Aufstands. In für zeitgenössischen Film langsam anmutenden Sequenzen zeigt uns der Film die zeitgerechte Schönheit von Florenz. Kontrastiert wird die Geschichte der Ciompi – der Florentiner Arbeiter in der Kleidungsindustrie – mit Aufnahmen des 9-monatigen erfolgreichen Streiks der Si Cobas aus dem Jahr 2021 bei Textprint, einer Textilfabrik in Prato. Im gleichen Jahr wurde die Textilarbeiterin Luana D’Orazio aus Prato, Mutter von 5 Kindern, mit 22 Jahren von einer Maschine bei der Arbeit in den Tod gerissen. Ich lausche und werde unmerklich an Walter Benjamins Betrachtung „Der Erzähler“ erinnert. Ich schaue über meine Schulter. Ich sitze inmitten der Streikenden. Männer mit muskulösen Oberarmen in der hintersten Reihe.

Alle Augen sind auf die Leinwand gerichtet. Hier wird eine Geschichte erzählt. „Immer häufiger verbreitet sich Verlegenheit in der Runde, wenn der Wunsch nach einer Geschichte laut wird“, schreibt Walter Benjamin. „Es ist, als wenn ein Vermögen, das uns unveräusserlich schien, das Gesichertste unter dem Sicheren, von uns genommen würde. Nämlich das Vermögen, Erfahrungen auszutauschen.“

Die historische Erfahrung, die der Film vermittelt, wird gesprochen von einem Alten des Aufstands, vor kämpfenden ArbeiterInnen. Doch es sind unsere eigenen weltlichen Erfahrungen als ArbeiterInnen, die hier durch den Abstand der Geschichte hindurch mit sanftem Pathos in die Perspektiven der Stadt eingewoben werden. Das Unterste, die Klassenkämpfe in der Stadt, die Mühsal der Arbeit, wird dabei nach oben gekehrt. Die ArbeiterInnen kommen zum Vorschein und beleben mit ihren Schreien und Aktionen die historische Landschaft. Es wird klar, dass das hier, was erzählt wird, ist unsere Zeit.

In traumhaften Sequenzen entsteht mit der Erzählung des erfolgreichen Streiks der Si Cobas eine Utopie zur Zukunft hin. Und Utopie, das ist der Traum einer Sache, dem nur das Bewusstsein fehlt, um sie wirklich zu haben. Mit die schönsten Aufnahmen gelingt – Ciompi – von der Piazza Tasso in Florenz und den umliegenden Strassen. Die typischen Häuser der Ciompi mit zwei bis drei Stockwerken und einem kleinen Hinterhof finden sich dort. Gleich neben der Piazza Tasso liegt der Landschaftsgarten Torrigiani aus dem 18. Jahrhundert im englischen Stil. Damals wie heute ist der Besuch des Gartens den reichen Familien der Florentiner Hierarchie gestattet. Oder man hat das Glück, eingeladen zu werden. Florenz wird von der Sozialdemokratie regiert.

Die Aufnahmen von Florenz sind teilweise bis zu 5 Jahre alt. Mittlerweile hat sich das Stadtbild jedoch weiter verändert. Das ehemalige Arbeiterviertel um die Piazza Tasso wurde innerhalb weniger Jahre gentrifiziert. Es gibt kaum noch eine Ecke in der Innenstad, in der nicht irgendetwas verkauft oder gehandelt wird. Noch vor Covid sammelten sich Jugendliche auf zentralen Plätzen in der Innenstadt, um gemeinsame Abenteuer auszuhecken. Das ist weitgehend Vergangenheit. Restaurants und Absperrungen prägen heute das Bild.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist zwar mit 20% noch hoch, doch kein Vergleich zu den 30% von vor 5 Jahren. Zudem hat die faschistische Regierungschefin Meloni kürzlich einen während Covid aufgelegten Sozialfonds für arbeitslose Jugendliche gestrichen. Die Jugend leidet gerade wohl am meisten unter der faschistischen Rhetorik, die das gesamte Land von Links bis Rechts in einer Art Erziehungsanstalt für die Werte von Arbeit und Familie verwandelt. Doch dass der Kapitalismus in Italien durch Repression und Moralpredigten wieder an Dynamik gewinnt, ist unwahrscheinlich.

Der italienische Staat hat zusammen mit Griechenland die höchste Verschuldung in der Eurozone. Gleichzeitig ist das Vermögen italienischer Haushalte gestützt auf den Immobilienbesitz und damit weitgehend fiktiv. Mit dem Anstieg der Zinsen für Hypotheken wird es schwieriger für ArbeiterInnen der sogenannten Mittelschicht, Schulden gegen das eigene Haus aufzunehmen, um flüssig zu bleiben. Es gibt Inflation und stagnierende Löhne. Ein „guter“ brutto-Arbeiterlohn steht bei 1600 Euro pro Monat. Ein gutes Gehalt der oberen Mittelschicht bei 3000 Euro. Die Steuerbelastung beträgt gut 60%. Die Mieten steigen.

Die streikenden ArbeiterInnen von Mondo Convenienza schleppen Küchen 6 Tage die Woche für bis zu 14 Stunden am Tag bei einem Stundenlohn von 6 Euro. Sie verdienen dabei 1149 Euro pro Monat. Ohne angemessene Ausrüstung, bezahlte Überstunden und ohne Beachtung des Arbeitsschutzes. Die Löhne der TextilarbeiterInnen von Textprint lagen bei 3 Euro pro Stunde. Sie arbeiteten 7 Tage die Woche. Drogen, um durchzuhalten, gibt es bisweilen frei Haus.

Als die Bosse das Gelände von Mondo Convenienza verliessen, standen wir aufrecht und schwiegen. Ein junger Arbeiter wandte sich ab. Ich sehe Hass, Abscheu. Im Jahr 2021 wurde der Gewerkschaftler Adil Belakhdim bei einer Blockade von einem durchbrechenden Lkw in einem Industriegebiet der Stadt Novara im Norden von Italien getötet. Im Jahr 2022 wurden die Arbeitskämpfe der SI Cobas des Terrorismus angeklagt und Gewerkschafter aus Piacenza unter Hausarrest gestellt. Dabei fordern die SI Cobas nur, was ohnehin schon ein Mindeststandard im nationalen Arbeitsgesetz ist. Doch das Arbeitsgesetz wird systematisch umgangen. Die Wirtschaftsmacht Italiens basiert auf kleinen und mittelständischen Unternehmen, die vor allem in der Mitte und im Süden Italiens und konzentriert in bestimmten Branchen, wie der Logistik und der Landwirtschaft, mit informeller Beschäftigung konkurrieren. Ein reguläres Lohnniveau können sich viele dieser Firmen nicht leisten.

Angesichts des ganzen Schlamassels denken sich manche Rezensenten der Dokumentation im bürgerlichen Kulturbetrieb eine Welt ohne Arbeit, und vor allem bitte ohne Arbeiterinnen und Arbeiter. Sie rutschen auf den Stühlen und finden, sie hätten keine Zeit für diese Geschichte. Andere sind der Meinung, der Ciompi-Aufstand solle für den Tourismus aufgearbeitet werden. Wieder andere warnen vor der im Film porträtierten Gewalt. Doch mit – Ciompi – hat Agnès Perrais ein intellektuell stimulierendes Werk geschaffen, das uns dazu ermutigt, den Aufstand in der Jetztzeit neu zu denken.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —       Il tumulto dei ciompi by Giuseppe Lorenzo Gatteri (18 September 1829 – 1 December 1884)

Abgelegt unter Europa, Gewerkschaften, Kultur, Mensch, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

König ohne Land

Erstellt von Redaktion am 20. Mai 2023

Nach der Rentenreform: Emmanuel Macron ist zunehmend entrückt. 

Von Harriet Wolff

Es ist ein Symptom dafür, dass die Machtfülle des französischen Präsidenten völlig aus der Zeit gefallen ist. So rigoros Teile Frankreichs die präsidentielle Machtfülle infrage stellen, so wenig Kompromissbereitschaft zeigt sich bislang.

Der französische Staatspräsident ist ein Getriebener, einer, der immer glänzen will, auch wenn es nichts zum Glänzen gibt. Aber vielleicht hilft ja diesmal beten. Gut möglich, dass Emmanuel Macron, der sich mit zwölf Jahren römisch-katholisch taufen ließ, das tat, als er Mitte April die Baustelle der 2019 fast abgebrannten Pariser Kathedrale Notre-Dame besuchte. Am selben Tag noch unterzeichnete er das höchst umstrittene neue Rentengesetz: 

Schrittweise steigt das gesetzliche Rentenalter in den meisten Fällen damit von 62 auf 64 Jahre. Die Beitragsjahre für eine volle Rente steigen auf 43. Das System sei nur so „überlebensfähig“, sagt ­Macron. Millionen in Frankreich haben, teils auch gewalttätig von ­Demonstranten- wie von ­Polizeiseite aus, an bis jetzt 13 landesweiten Streiktagen seit Jahresbeginn gegen die Reform protestiert. Auch viele nicht gewerkschaftlich organisierte Menschen sind dabei.

Der rechtsextreme Rassemblement National (RN) wettert im Parlament gegen die Rentenreform, will es sich aber nicht mit seinen vielen Wäh­le­r:in­nen in der Polizei verderben, die die Demos begleiten müssen. Außerdem ist er dort verständlicherweise nicht erwünscht.
 Anfang Juni soll ein weiterer großer Demotag folgen – zwei Tage bevor eine kleine Fraktion in der Nationalversammlung versuchen wird, das Gesetz doch noch per Abstimmung zu kippen. Eine Aussicht, die der Regierung unter Premierministerin Élisabeth Borne sowie Macron natürlich nicht schmeckt – auch wenn als sicher gilt, dass der konservativere Senat erneut gegen eine Reformaussetzung ist. 
Im März überstand Bornes Regierung zwei Misstrauensanträge. Zuvor hatte die 62-Jährige einen Ver­fah­rens­kniff angewendet – sie umging mit Artikel 49.3 eine Parlamentsabstimmung zur Reform und beschloss so das höhere Rentenalter. Was die meisten ihrer Landsleute seitdem noch stärker gegen sie, aber vor allem gegen Macron aufbringt. Denn klar war, dass Macron qua seiner Machtfülle die Premierministerin dazu gedrängt hatte, autoritär und kompromisslos vorzugehen. Danach segnete auch der Verfassungsrat die Reform ab und verwarf schließlich Anträge auf Volksabstimmungen in der Sache. Nur bedingt vergleichbar mit dem Bundesverfassungsgericht, ist der ­Conseil ­constitutionnel stark politisch geprägt. Staats-, Nationalversammlungs- und Senatspräsidenten ernennen die Mitglieder.


Macron lässt Première Borne, seit einem Jahr im Amt, Mitglied von Macrons eigener Partei Renaissance und eine gestandene Verwaltungsexpertin, regelmäßig im Regen stehen – durch seine Art des alles an sich Reißenden. Gestaltungsspielräume erlaubt er in diesen verfahrenen Zeiten nicht. Funfact am Rande: Vor Weihnachten verkündete der Präsident höchstselbst, dass Kondome für junge Leute bis 25 Jahre ab sofort gratis seien. Tja, wozu hat man ein Gesundheitsministerium? Der Präsident, der 2017 mit dem Motto antrat, einer für alle zu sein, einer, der auf keinen Fall vertikal durchregiert (was man ihm damals schon nicht abnahm), macht momentan als rastloser Pseudoheilsbringer Stippvisiten quer durch Frankreich. Fast schon wäre der im Grunde Dia­log­un­fä­hig­e ein Grund zum Lachen – wäre die Lage in und außerhalb Frankreichs eben politisch nicht so kompliziert. Da helfen auch keine simplifizierenden „100 Tage“, die er nach seiner durchgepeitschten Rentenreform ausrief zur „Wiederbelebung“ Frankreichs bis zum 14. Juli. Und da wird es auch keine schwammige „Reformagenda“ richten.

Gelang es Macron nach den Gelbwestenprotesten durch seine Erfindung einer, letztlich rein symbolisch gebliebenen, nationalen „großen Debatte“, 2019 kurzfristig wieder Oberwasser zu bekommen und zumindest seine Fanbasis zu konsolidieren, so nimmt ihm echtes Interesse an seinen Landsleuten diesmal niemand mehr ab. Zunehmend kommt auch Kritik aus der eigenen Partei. So meinte kürzlich der Abgeordnete Ludovic ­Mendes in Le Monde, dass man sich intern eine kritische Debatte verbiete, „obwohl wir doch keine Ideen mehr haben und die Mitstreiter verlieren“.

Gut möglich, dass sich Renaissance darob vor den Wahlen 2027 auflöst – Macron darf qua Verfassung kein drittes Mal antreten. Präsidentschafts­ambitionen haben wohl unter anderen der Ex-Premier und heutige Bürgermeister von Le Havre Édouard Philippe und der seit 2017 amtierende Finanzminister Bruno Le Maire. Wer von den konservativen und tief zerstrittenen Republikanern einst ins Rennen ziehen wird? Nicolas Sarkozy sicher nicht; er wurde gerade wieder zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, gegen die er noch einmal Berufung einlegt. Die früher mächtigen Sozialisten dümpeln richtungslos im linken interfrak­tio­nellen Sammelbecken NUPES vor sich hin, ähnlich wie EELV, die französischen Grünen. Und die Götterdämmerung von Jean-Luc Mélenchon, der als linker, volkstribunartiger Kandidat von La France insoumise nur knapp die Stichwahl 2022 verpasste, die hat parteiintern zum Glück definitiv begonnen.

Frankreich, dessen Wirtschaft trotz allem im Aufwind ist, ist spürbar in einer politischen, einer sozialen Krise. Und diesem Präsidenten, der anders als hierzulande mit kolossaler Wirkungs- und Gestaltungsmacht ausgestattet ist und eigentlich die Nation befrieden müsste, fällt nichts Besseres ein, als jüngst in einem Bür­ge­r:in­nen­in­ter­view erneut seinen polemischen Satz: „Arbeit findet man, man muss nur über die Straße gehen“, zu bekräftigen.

Hier unterscheiden sich alle Politiker-innen nicht – sie sind zu faul auch nur einen Finger zu krümmen.

Die Krise ist vielschichtig: Sie ist unter anderem eng verbunden mit Macrons Hybris. Die goutiert die Gesellschaft, konkret das wachsende Prekariat und die abstiegsgefährdete Mittelschicht, auf Dauer nicht – Macron dringt außerhalb seiner bröckelnden Stammwählerschaft (knapp 25 Prozent der Französ:innen, davon viele über 65 Jahre) nicht mehr durch. Er scheint vergessen zu haben, dass ihm seine Wiederwahl in erster Linie nicht gelang, weil man ihn so fähig fand, sondern nur, weil zumindest 2022 noch gerade so der Abwehrreflex gegen einen Sieg Marine Le Pens vom rechts­ex­tre­men RN funktionierte. Le Pen wird wohl zum vierten Mal 2027 kandidieren. Momentan liegt ihre Partei, die derzeit 88 von 577 Parlamentssitzen innehat, beunruhigend stark im Aufwind. Sie präsentiert sich, auch durch das smarte Auftreten ihres neuen 27-jährigen Vorsitzenden Jordan Bardella, geschickt im Schatten der aktuellen Proteste und gibt sich als Hüterin des vermeintlich guten alten Frankreichs. Ihr sozialer Anstrich kaschiert die rechtsextremen Positionen etwa zu Migration oder Kriminalität.

Frankreichs Krise ist aber auch eine des politischen, stark zentralistischen Systems. Viele Menschen stellen sich dort die drängende Frage, ob die Verfasstheit der sogenannten Fünften Republik noch zeitgemäß ist und modernen Anforderungen an eine Demokratie genügt. Diese Fran­zö­s:in­nen haben recht. Der Präsident hat zu viel Macht, das Parlament und die Regierung zu wenig. Die Fünfte Republik, die mittlerweile 65 Jahre auf dem Buckel hat, sollte perspektivisch abgelöst werden – von einer Sechsten Republik, erdacht von einer paritätisch besetzten Verfassungsversammlung, die den Kompromiss, die Koalitionenbildung und ein Verhältniswahlrecht fördert. Diese Debatte wird zumindest im linken Meinungsspektrum geführt.

Doch Achtung, Politik und soziale Ak­teu­r:in­nen fremdeln in Frankreich oft heftig mit dem Wesen von Kompromissen – ein Fakt, der im hinkenden Vergleich des deutschen Regierungs- und Sozialstaatssystems mit dem französischen beachtet gehört. Soll polemisch heißen: So rigoros Teile Frankreichs etwa die präsidentielle Machtfülle infrage stellen, so wenig Kompromissbereitschaft zeigt sich bislang letztlich in der DNA Frankreichs. Hierarchisches Denken ist schlicht noch stark verankert.

Quelle         :           TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —     Manifestation contre la réforme des retraites 2023 à Paris le 11 février. Affiche.

Abgelegt unter Europa, Gewerkschaften, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Ein neuer Frühling

Erstellt von Redaktion am 3. Mai 2023

1. Mai und Gewerkschaften

Ein Debattenbeitrag von Esther Lynch

Beschäftigte in Europa wehren sich gegen niedrige Löhne und steigende Lebenshaltungskosten. Aber für die Gewerkschaften bleibt noch viel zu tun.

Der 1. Mai ist für uns ein Tag zum Feiern. Aber wir erheben auch Einspruch. Am Tag der Arbeit feiern wir die Erfolge der Gewerkschaftsbewegung. Unsere erfolgreiche Kampagne für den Acht-Stunden-Tag stand am Beginn des internationalen Tags der Arbeiterbewegung. Und wir bleiben der Tradition der Gründer unserer Bewegung treu, wenn wir weiter konkrete Verbesserungen der Bedingungen für arbeitende Menschen fordern.

Kurz vor dem 1. Mai 1913 schrieb Rosa Luxemburg in einem Artikel, dass „das Gespenst der Teuerung (…) ein flammendes Zeugnis für die lebendige Wahrheit und die Macht der Ideen der Maifeier“ sei. Deshalb hat die europäische Gewerkschaftsbewegung in diesem Jahr erst recht einen Anlass, auf die Straße zu gehen. Alarmierend steigende Lebenshaltungskosten werden von Unternehmen verursacht, die auf zynische Weise die Preise und ihre Profite immens steigern und dies auf Versorgungsprobleme schieben, die durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine entstanden seien. Gleichzeitig müssen Beschäftigte den größten Reallohnverlust seit Beginn des Jahrhunderts hinnehmen.

Nichtsdestotrotz wurde nur in einer Handvoll europäischer Länder eine Übergewinnsteuer auf solche zusätzlichen Profite eingeführt. Ich nenne diese Teuerung ja lieber „Gierflation“. Aber viele führende Politiker sind abermals entschlossen, die breite Bevölkerung für eine weitere Krise bezahlen zu lassen, an der sie keinerlei Schuld tragen. Austerität 2.0 kommt auf uns zu: Politiker fordern Lohnzurückhaltung, gleichzeitig schießen die Zinsen in die Höhe, Macron setzt in Frankreich auf undemokratische Weise eine Rentenreform durch, und in Dänemark wird ein Feiertag gestrichen.

Aber wir sehen heute in Europa auch, dass die Menschen sich wehren. Ein Dutzend Mal haben die Beschäftigten in ganz Frankreich gestreikt. Großbritannien erlebte 2022 die ausgedehntesten Arbeitskämpfe seit den 1980er Jahren, und in Deutschland kam es Ende März zum „Super-Streiktag“. Krankenpflegerinnen in Lettland, Arbeiter in tschechischen Reifenfabriken und Transportarbeiter in den Niederlanden haben sich in den vergangenen Monaten erfolgreich eine bessere Bezahlung erstritten.

Gewerkschaften wehren sich auch erfolgreich gegen Taktiken, die Organisierung in weiteren Betrieben zu verhindern. Beschäftigte bei Amazon in Deutschland haben immer wieder gegen die Arbeitsbedingungen dort gestreikt, in Großbritannien in diesem Jahr erstmals. Überall in Europa organisieren sich die Beschäftigten und erringen Erfolge. Wir können an diesem 1. Mai stolz sein. Die Herausforderung ist jetzt, aus diesem Frühling der Arbeiterbewegung dauerhafte Verbesserungen zu erstreiten.Deshalb wird eine Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung beim Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbunds in diesem Monat oberste Priorität haben. 1.000 Delegierte und Teilnehmer, die mehr als 45 Mil­lio­nen Beschäftigte repräsentieren, werden nach Berlin kommen und einen Aktionsplan für die kommenden vier Jahre beraten.

In zwei Dritteln aller EU-Mitgliedstaaten liegt der Mindestlohn unter der Armutsgrenze

Noch immer profitieren zu wenige Beschäftigte von den Vorteilen gewerkschaftlicher Organisierung und tariflich abgesicherter Arbeitsverhältnisse. Sie erhalten in der Regel eine höhere Entlohnung als in Betrieben, in denen die Arbeitgeber allein die Löhne festlegen. In Deutschland sind 52 Prozent der Beschäftigten über Tarifverträge abgesichert, aber in der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten liegt diese Quote unter 50 Prozent. Der Europäische Gewerkschaftsbund hat sich bereits erfolgreich für eine EU-Richtlinie zu angemessenen Mindestlöhnen eingesetzt.

In zwei Dritteln aller EU-Mitgliedstaaten liegt der Mindestlohn unter der Schwelle, an der den Beschäftigten das Abrutschen in die Armut droht. Deutschland gehörte auch dazu, bis der Mindestlohn auf 12 Euro erhöht wurde – ein Beispiel, dem andere EU-Staaten folgen sollen.

Quelle        :         TAZ-online          >>>>>      weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —     Wien Hauptbahnhof, Hinweis auf Auswirkungen eines Streiks in Deutschland.

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, Kultur, Positionen, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Macrons – Rentenpolitik

Erstellt von Redaktion am 4. April 2023

Der Staat und die Reproduktion des globalen Kapitals

File:Manifestation contre la réforme des retraites, Paris, le 28 mars 2023 — 44.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von   :   Morteza Samanpour

Das Beispiel der Neuregelung des Rentenalters in Frankreich. Die Weigerung der französischen Regierung, der Forderung und dem öffentlichen Willen in der Rentenfrage nachzukommen, die derzeit durch eine Art „Ausnahmezustand“ gelöst wird, ist nicht nur spezifisch für Macron und die neoliberalen Kräfte der französischen Gesellschaft.

Sie zeigt auch grössere Veränderungen in den Funktionen von Regierung und Politik sowie eine Veränderung im Verhältnis der Regierung zum Kapital an.In Frankreich sind in den vergangenen Wochen Millionen Menschen in mehr als 250 Städten auf die Strasse gegangen, um Nein zu den neoliberalen Rentenreformen der Macron-Regierung zu sagen. Zusätzlich zu den Strassenprotesten haben öffentliche Streiks weite Teile der französischen Gesellschaft einbezogen: Lehrer:innen, Krankenschwestern, Hafen- und Flughafenarbeiter;innen und Energiearbeiter:innen, Schüler:innen und Studierende, Beschäftigte im städtischen Nahverkehr usw. verweigerten an vielen Stellen die Arbeit.Durch die Weigerung der Arbeiter:innen der Stadtreinigung, den Müll zu sammeln, türmen sich in Paris bereits 7.000 Tonnen Müll auf dem Strassenboden, dessen Gestank die Tiefe der öffentlichen Unzufriedenheit widerspiegelt und vom Verfall der virtuellen Demokratie erzählt. Dies ist nicht das erste Mal, dass die Nicht-Privilegierten, Gewerkschaften und unabhängige Organisationen der Linken in Frankreich gegen Rentenreformen kämpfen. Im Dezember 2019, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, kam es aus Protest gegen die neoliberale Rentenpolitik zum grössten Streik in der Geschichte Frankreichs seit Mai 1968, Die Pariser U-Bahnen stellten den Betrieb für mindestens einen Monat ein. Aber welches Ergebnis hatten die jahrelangen Kämpfe und Proteste gegen die Änderung der Rentengesetze?Unter völliger Missachtung der lauten Stimmen der Demonstranten und gegen das Gesetz und den Willen des Parlaments billigte die Regierung Macron am 16. März 2023 die „Rentenreform“ per Dekret unter Berufung auf den Verfassungsartikel 49.3. Schon einmal hatte Macron diesen juristischen Trick angewandt und die Wut gegen die neoliberale Änderung des Arbeitsrechts einfach übergangen. Damit hat Macron die Gesellschaft einmal mehr ausgetrickst und verhöhnt!

Was bedeutet eine solche Missachtung der Regierung gegenüber Arbeiter:innen, Gewerkschaften, Demonstrant:innen und zumindest den Oppositionsfraktionen im Parlament? Was sagt diese Form des neoliberalen Autoritarismus über die Rolle und die Stellung des Staates im zeitgenössischen Kapitalismus aus? Welche politischen Lehren kann man daraus für die Organisierung ziehen?

Dieser Text versucht zu zeigen, dass die Weigerung der französischen Regierung, die Forderung und den öffentlichen Willen in Bezug auf die Rentenfrage zu akzeptieren, die derzeit durch eine Art „Ausnahmezustand“ gelöst wird, nicht nur spezifisch für Macron und die neoliberalen Kräfte der französischen Gesellschaft ist: sie weist auch allgemein auf grössere Veränderungen in der Funktion von Regierung und Politik und eine Veränderung im Verhältnis zwischen Staat und Kapital hin. Diese Veränderungen können auch etwas zum Verständnis der kapitalistischen Verhältnisse im globalen Süden beitragen.

Von der Wohlfahrts- und Entwicklungsregierung bis zur Integration in das globale Kapital

Sehen wir uns zuerst kurz und knapp die schädlichen Auswirkungen von Macrons Rentenreformgesetzen an. Das Rentenalter wird von 62 auf 64 Jahre angehoben, und damit werden die Subalternen bis in ihre letzten Lebensjahre als Lohnsklaven:innen gehalten, die bis zu ihrem Tod ihre Arbeitskraft auf dem hart umkämpften Markt verkaufen müssen.

Aus einer Sicht existenzieller sozialer Rechte bedeutet dies, dass die herrschende Klasse Zeit, Leben und Arbeitskraft der Lohnempfänger:innen nutzt, um die Verwertung des investierten Kapitals so weit wie möglich zu steigern und sich gesellschaftliche Erträge privat anzueignen 1. Nicht umsonst haben die existenzielle Sorgen um Themen wie Leben und Tod mit der Reduzierung menschlicher Lebensmöglichkeiten im Rahmen kapitalistischer Kostenüberlegungen dramatisch zugenommen. Abgesehen von diesen „philosophischen“ Fragen wird der Mutterschaftsurlaub nach den neuen Gesetzen nicht als Teil der Arbeitsjahre gezählt, und wie bei allen Angriffe des Kapitals auf die gesellschaftliche Reproduktion sind es die Frauen, die den höchsten Preis zahlen.

Kurz gesagt, das Ergebnis solcher Reformen ist nichts anderes, als die gesellschaftliche Reproduktion noch schwieriger zu machen; während im Bereich existenzieller Bedürfnisse seit Jahren eine umfassende Krise vorangetrieben wird, die im Kern ein privatkapitalistischer Verwertungsangriff (Kommodifizierung) auf Wohnen, Bildung und Gesundheit ist, mussten sich Millionen Menschen zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse bereits verschulden und daher in Not geraten sind.

Aber die zentrale Frage ist: Wie kann der französische Präsident dieses Gesetz in einer sogenannten „demokratischen“ Gesellschaft trotz weit verbreiteter und vielfältiger Proteste durchbringen? Vielleicht ist es hier hilfreich, auf die charakteristische historische Natur und Funktion des Staates im zeitgenössischen Kapitalismus zu achten; Eine Frage, die über die besonderen Merkmale der französischen Gesellschaft hinausgeht. Seit Jahrzehnten sind die Nationalstaaten auf der ganzen Welt zu Ausführenden des transnationalen Kapitals, insbesondere des Finanzkapitals, geworden, und ihre Funktion als Institutionen, die für die Reproduktion des Kapitals verantwortlich sind, hat gravierende Veränderungen erfahren. Ein – wenn auch knapper – Vergleich mit der historischen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg macht die Sache etwas klarer.

Der Wohlfahrtsstaat in Westeuropa und Nordamerika war neben der Bereitstellung öffentlicher sozialer Dienstleistungen für die Bürger auch für die Repräsentation des nationalen Industriekapitals verantwortlich, d.h. für die Bereitstellung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bedingungen für die umfassende Reproduktion des Produktivkapitals. Auf globaler Ebene reifte das, was Marx im Kapital das soziale Gesamtkapital nannte, aus der Einheit der nationalen Kapitalien – Kapitalien, die in geopolitischer und wirtschaftlicher Konkurrenz mit anderen nationalen Staaten und Kapitalien neben eigener nationalen Staaten standen2.

Der Aufstieg des transnationalen Kapitals mit der Herrschaft des Finanzkapitals als dominierender Fraktion des Kapitalismus verändert auch die Rolle und Funktion des Staates: anstatt die Interessen des national-industriellen Kapitals zu vertreten, übernimmt der Staat die Rolle der Integration in das transnationale Kapital, insbesondere das Finanzkapital. Die politischen Folgen einer solchen wesentlichen Veränderung für den nationalen Staat, der den Raum für die Reproduktion des transnationalen Kapitals bietet, sind enorm und zielen letztendlich auf die Zerstörung der demokratischen Kräfte der Gesellschaft.

In Frankreich zum Beispiel gab es keinen Mangel an sozialen Bewegungen, die sich im letzten Jahrzehnt gegen neoliberale Gesetze und Deregulierungen formierten und sich in kontinuierlichen und umfangreichen Kämpfen engagierten: von? Nuit debout? bis zu Gelbwesten, von Kämpfen gegen Arbeitsgesetze und gegen die Rentenreformen. Und das Ergebnis? Unterdrückung der Bewegung mit umfassender Polizeibrutalität (Blinden, Verhaften und Einsperren usw.) und schliesslich die Erschöpfung der wütenden Menschen über einen langen Zeitraum.

Auf der anderen Seite der Welt, in der damals sogenannten „Dritten Welt“, war der zentrale Begriff für den postkolonialen Staat die „Entwicklung“: das Wachstum der industriellen Produktivkräfte und die wirtschaftspolitische Unabhängigkeit von Ost und West3. Der aus der Biologie stammende Begriff der Entwicklung, der bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht und sich auch in Hegels eurozentristischer Geschichtsphilosophie manifestiert, war einer der Zeitbegriffe (Temporalität), die in der Geschichte des Kolonialismus eine besondere Rolle spielten. Durch den Begriff der Entwicklung wurde der Kolonialismus historisch gerechtfertigt: Die kolonialisierten Gesellschaften wurden als Gesellschaften dargestellt, die nicht in der Lage seien, „zivilisatorisch fortschrittliche“ Potenziale zu entwickeln (oder zu verwirklichen).

Diese Gesellschaften mussten daher von aussen und durch die Gewalt der Kolonisatoren missioniert und erneuert werden. In der postkolonialen Ära nach dem Zweiten Weltkrieg und mit der Veränderung der Bedeutung von Entwicklung durch die Vereinigten Staaten – der sogenannten „Truman-Doktrin“ – wurde der Begriff der Entwicklung von seinen kolonialen Konnotationen gelöst und von den Staaten der sogenannten Dritten Welt selbst akzeptiert: Also war Entwicklung nun ein nationales Projekt für Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Besiedlung sowie kulturellen und politischen Fortschritt, insbesondere bei der Verleihung von Bürgerrechten.

Als Khomeini 1979 – direkt nach seiner Rückkehr in den Iran – über kostenloses Wasser, Strom und Gas für die „armen Klassen“ sprach, und als er sagte: „wir werden Euch auf den Stand der Menschheit bringen“, wurden seine Worte im Kontext der historischen Ära der „Entwicklung“ verstanden; Eine Ära, die jedoch kurz vor der Revolution 1979 zu Ende gegangen war oder abgebaut wurde. Entwicklung als postkolonialer Traum und politisch-ökonomisch-kulturelles Projekt sollte mit seiner Verwirklichung durch den nationalen Staat in nicht allzu ferner Zukunft die Wunden des Kolonialismus in der historischen Vergangenheit heilen. Die „Dritte Welt“ sollte den Punkt erreichen, an dem der Westen historisch stand, durch den Tunnel der Zeit und basierend auf dem linearen und forschungsorientierten Geschichtsbild, das seine Wurzeln im Zeitalter der Aufklärung hatte.

Diese Träume, für die auch die anti-kolonialen Bewegungen weltweit gekämpft hatten, wurden aber nicht nur durch die Hände des Westens und des Imperialismus, sondern ab den 1970er Jahren von postkolonialen Regierungen im Einvernehmen mit den supranationalen Finanzagenturen IWF, Weltbank und privaten Investoren zerstört: also durch die gewaltsame und möglichst vollständige Integration der nationalen Ökonomie in den fremdbestimmten Weltmarkt. Die Mission des „Entwicklungslandes“ änderte sich von der „Entwicklung“ zur Integration in einen global-hierarchischen Kapitalismus. Soziale und politische Rechte, Wohlstand, Wirtschaftswachstum und Sicherung der Grundbedürfnisse sind zu ideologischen und leeren Wörtern geworden. Nicht nur wurden die Wunden des Kolonialismus nicht geheilt, sondern auch das Erbe des Kolonialismus wurde von den postkolonialen „nationalen“ Staaten genutzt, um sich in das globale Kapital zu integrieren.

Vom Mythos zur Realität der liberalen Demokratie

Die Geschichte des zeitgenössischen Kapitalismus, der die globalen Machthierarchien vertieft und die globalen Ungleichheiten in beispielloser Weise verschärft hat, hat gezeigt, dass die sogenannten „sich entwickelnde“ Gesellschaften sich keinem selbst entwickelten Ziel nähern, sondern ihre Gesellschaften ausgeliefert sind. Westeuropa und Nordamerika haben kein historisches Modell und keinen Massstab für historische Zeit (Zeitlichkeit), die andere Gesellschaften nachvollziehen könnten. Die Verneinung einer homogenen, linearen und segmentierten historischen Zeit, die in der Aufklärungsbewegung und der Philosophie Hegels wurzelt, ist nicht nur ein Produkt postkolonialer Studien, sondern wurzelt in der objektiven Realität aus der Bewegung des globalen sozialen Widerspruchs im Kapitalismus.

Datei:Manifestation contre la réforme des retraites, Paris, le 28 mars 2023 — 37.jpg

Waren es früher Faschismus und Krieg, die in den Werken von Bloch, Benjamin und Adorno die europäische Philosophie der linearen Zeit in Frage gestellt haben, so ist es nun das Erbe des Kolonialismus und der globalen Ungleichheiten, die die Zeitphilosophie zwangen, die Pluralität historischer Zeiten zu akzeptieren. Im Gegensatz zum kulturellen Pluralismus der Postkolonialisten:innen wird diese Pluralität historischer Zeiten aktiv vom Kapital bzw. dem prozessierenden sozialen Antagonismus geschaffen. Die historischen Entwicklungen der heutigen Welt haben auch gezeigt, dass der Kapitalismus keinen logischen Zusammenhang mit der Demokratie hat, auch nicht in Form einer formalen Demokratie, d. h. Gleichheit vor dem Gesetz und Bürgerrechten.Weder die religiöse autoritäre Diktatur (mit der Brutalität der Revolutionsgarden) in der Islamischen Republik sind getrennt vom kapitalistischen Körper, noch der Autoritarismus der Macron-Regierung mit seinen Verstössen gegen die Demokratie in Frankreich. Die Berichterstattung über die Gelbwesten in Radio und Fernsehen der Islamischen Republik Iran als Beweis für die Tiefe der Krise und die Repression der Demonstranten:innen im Westen ist ebenso absurd und lächerlich wie die liberale Erzählung des französischen Fernsehen vom revolutionären Jina-Aufstand im Iran als eine Bewegung, die einen Rechtsstaat wie in Frankreich anstrebt. Wenn es im Kapitalismus Rechte gibt, sind sie das Produkt von Geschichte und Klassenkampf im weitesten Sinne. Ja, es stimmt, dass der Kapitalismus Lohnarbeit auf der allgemeinen Ebene voraussetzt, aber er endet nicht notwendigerweise mit „freier“ Lohnarbeit4.

Fazit

So wie die Ära der Entwicklung im globalen Süden seit Jahrzehnten vorbei ist, so ist auch im globalen Norden die Zeit nationaler Wohlfahrtsstaaten längst vorbei. Das Kapital erreicht seine Einheit nicht mehr auf nationaler Ebene. Neben der Neugruppierungen des Kapitals schafft der Staat vor allem die Bedingungen für die Reproduktion des transnationalen Kapitals durch Deregulierung und Neoliberalisierung der Wirtschaft. Das Finanzkapital spielt dabei die entscheidende Rolle für die Herstellung eines Massstabs der globalen Profitraten.

Die Globalisierung des Kapitals bedeutet daher gerade keinen Verlust der Macht des Staates gegenüber scheinbar transnationalen feindlichen Kräften, sondern er erlangt eine doppelte neue Bedeutung: der Staat hat nun entscheidende Aufgaben bei der Integration des nationalen Raums und wie auch der nationalen Zeit in den globalen Kapitalraum. Das sind zwangsläufige Folgen der Entnationalisierung des Territoriums und der gesellschaftlichen Zeiten, die traditionell davon abhängen. Mit einem Wort, die Mission des nationalen Staates in der historischen Gegenwart ist nichts anderes als die Denationalisierung der Wirtschaft als Voraussetzung für den Eintritt in den globalen Markt und die Reproduktion des globalen Kapitals.

Deswegen wird der Wille des „Bürgers/ der Bürgerin“ immer mehr beiseite geschoben, und die Exekutive des Staates geniesst eine doppelte Macht im Vergleich zu Legislative und Kontrollinstitutionen. Im globalisierten Zeitalter verschwindet der Staat nicht, sondern seine Funktion und sein Wesen, insbesondere seine herausgehobenen Institutionen wie die Regierung, werden neu definiert. Mit Frankreichs Verfassungsartikel 49.3 kann die Regierung der Legislative die Macht auf trickreiche Weise entziehen und Gesetze willkürlich durchbringen. Er besagt, dass ein von der Regierung unter Berufung auf ihn eingebrachtes Gesetz als angenommen gilt – es sei denn, ein innerhalb von 24 Stunden eingereichter Misstrauensantrag gegen die Regierung erhält eine Mehrheit.

Er darf nur drei Mal pro Sitzungsperiode angewandt werden. Allerdings gibt es eine Ausnahme: wenn sich das geplante Gesetz auf das Staatsbudget bezieht – und das ist auch bei der Rentenreform der Fall. Die formale liberale Demokratie ist unter solchen Bedingungen tot, weil die Menschen nicht in der Lage sind, durch Wahlen und parlamentarische Vertretung politisch an ihrem kollektiven Schicksal teilzunehmen. Der Autoritarismus der französischen Regierung ist nicht nur Macron eigen, sondern dem Staat im zeitgenössischen Kapitalismus eigen.

Organisation und Politik von unten stehen in einer solchen Situation vor grossen Herausforderungen. Die objektive Situation diktiert die populäre Politik, sich so weit wie möglich von der parlamentarischen Demokratie und der rechtlichen Intervention zu distanzieren und stattdessen dem Staat und der herrschenden Klasse gesellschaftspolitisch entgegenzutreten. Dies ist ein Thema, das in Zukunft einer gesonderten Diskussion bedarf.

Morteza Samanpour

Fussnoten:

1 Nach Macrons neoliberalen Gesetzen wird die Zahl der Versicherungsprämienjahre von 41 auf 43 steigen. Das bedeutet, dass eine Person im Alter von 64 Jahren nur dann Anspruch auf eine volle Altersrente hat, wenn sie 43 Jahre gearbeitet hat.

2 Siehe den letzten Teil des zweiten Bandes von Marx‘ Kapital.

3 Sandro Mezzadra and Robert Neilson, The Politics of Operation: Excavating Contemporary Capitalism (Durham and London: Duke University Press, 2019)

4 In Frankreich mussten Frauen bis 1965 eine offizielle und gesetzliche Erlaubnis ihrer Ehemänner einholen, um arbeiten zu dürfen. Als Marx das Kapital (1867) veröffentlichte, waren die Disziplinar- und Strafvorschriften für die Beendigung des Arbeitsvertrags umfangreich, in dem Sinne, dass Einzelpersonen einen Vertrag frei schliessen, aber nicht davon zurücktreten konnten. Dies sind nur historische Beispiele, um den Mythos des Kapitalismus als Gleichheit vor dem Gesetz zu negieren, was einer gesonderten Diskussion bedarf, um im Detail analysiert zu werden.

Erstveröffentlichung auf Farsi

Author Jules*         /       Source    :    Own wirk        /        Date     :    28 March 2023, 16:55:36

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

******************************

Unten         —      Dans le cortège parisien de la manifestation du 28 mars 2023 contre la réforme des retraites.

Verfasser Jules*         /     Source    :      Own work      /       Date    :      28. März 2023, 16:27:28

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.

Abgelegt unter Europa, Gewerkschaften, Kultur, Positionen, Rentenpolitik | Keine Kommentare »

Paris und Feuer-lahmes Berlin

Erstellt von Redaktion am 2. April 2023

’Paris’ brennt und ’Berlin’ ist lahmgelegt.
Bürgerprotest im deutsch-französischen Ländervergleich

Von Dr. Nikolaus Götz

Fast gleichzeitig ist es im Frühjahr 2023 in der Französischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland zu größeren sozialen Auseinandersetzungen gekommen. Während jedoch das Verlangen der deutschen Protestler um eine bessere Entlohnung für Ihre Arbeitsleistungen eher friedlich in den gewerkschaftlich-staatlichen Interaktionsstrukturen verläuft, kam es bei den französischen Protesten wegen der Rentenreform sofort zu Massendemonstrationen mit Gewaltausschreitungen. Die auf Erregungsjournalismus getrimmte Berichterstattung der Massenmedien orientierte sich deshalb eher auf das „brennende Paris“ mit ’action’, als dass sie den nur ’Konsumenten am Bildschirm’ das „lahmgelegte Berlin“ mit den ’deutschen Trillerpfeifen’ zeigte. Dem politisch aufmerksamen Betrachter fallen jedoch nicht nur die offensichtlichen Unterschiede bei der medialen Berichterstattung auf, sondern er kann auch nationale Unterschiede zwischen Deutschen und Franzosen in der jeweils angewandten Strategie der Konfliktlösung erkennen.

„Jede Gegenwehr ist berechtigt“, schreibt ein ’Autonomer’ in einer Onlinezeitung (1) bei der Beschreibung der aktuellen französischen Krawalle, die gewisse „Casseurs“ (2) nicht nur in Paris, sondern auch in Bordeaux, Marseille oder anderswo in Frankreich veranstalten. Bei sozialen Protesten versammelt sich „der französische Bürger“ direkt auf der Straße. So verlässt er sein individuelles Zuhause, wechselt damit seinen Status vom ’Privatmann’ zum ’Citoyen’ und solidarisiert sich nun als politischer Akteur mit seinen gleichdenkenden Landsmännern. Der Franzose braucht dafür überwiegend keine Gewerkschaft oder Partei, die ihm politische Ziele vorgibt. Das versammelte „kleine Volk“ in den Straßen erzwingt sich so die Aufmerksamkeit der „großen Köpfe“, die im repräsentativen parlamentarischen System stellvertretend für „das Volk“ die ’res publica’ erledigen. Damit knüpft die auf dem ’Place de la République’ aufmarschierte französische Volksmasse an ihren traditionellen Geist der „ungezähmten Gallier“ mit der berühmten Revolution von 1789 an. Oftmals jedoch stürzen die heißspornigen Jugendlichen vom vermummten ’Black block’ als ’Kämpfer gegen das Scheißsystem’ ihre übrigen Mitbürger, die aktuell zu 100 000enden friedlich protestierenden Franzosen in die unsägliche Gewaltspirale, die sofort mediale Beachtung findet. Via Fernsehen wird das kolportierte „brennende Paris“ mit seinen Bildern weltweit Symbol für renitenten aber erfolgreichen französischen Bürgerprotest.

Doch “Gewalt erzeugt Gegengewalt“, weswegen es auch in der Deutschen Verfassung legimitierend heißt: „Alle (Staats-) Gewalt geht von Volk aus.“ (3) Der angerichtete Kollateralschaden bei den aktuellen Protesten zwischen den französischen Staatsbürgern und der staatsschützenden Polizei ist wieder unübersehbar und trägt bekanntermaßen eher zur Eskalation eines Konfliktes bei, als dass er die Konfliktursachen lösen würde (4). Dennoch meinen viele Deutsche bewundernd: Die Franzosen wissen sich zu wehren und ihre ’Rechte’ zu erkämpfen, während wir Deutsche nur in der Kneipe herum maulen! Auch jubelt der eingangs zitierte Anonymus offen heraus, dass „Arbeit“ nicht für ihn gemacht ist und, dass das „System“ zu bekämpfen sei. Genau nach dieser Denk- und Handlungsweise haben schon vor der Coronazeit die ’Casseurs’ oder die ’linken’(?) autonomen Schläger der ’Black blocks’ mit dazu beigetragen, die überwiegend friedlichen Proteste der französischen Gelbwesten zu beenden. Bedauerlicher Weise haben diese „nur Krawallbrüder“ die engagierten Bürgerproteste der französischen Gelbwesten damals durch ihre ’Action’ kriminalisiert und so die weitere Teilnahme von politisch aufgeklärten, friedlich protestierenden Franzosen eher verhindert. Dadurch wurden die berechtigten umfangreichen Interessen und die erarbeiteten Korrekturvorschläge am politischen französischen System (5) durch diese „Lustdemonstranten“ zum Erliegen gebracht. Obgleich ’Autonome’ wie dieser Artikelschreiber sich vielleicht in die Tradition des ’revolutionären Syndikalismus’ stellen, stehen sie in Wirklichkeit politisch im Lager der Bourgeoisie, sind contraproduktiv und tragen zur wirtschaftlich-politischen Systemstabilisierung bei. Eigentlich sind sie damit ’rechts’, auch wenn sie das Gegenteil behaupten. Und so brennt „Paris“ wieder, wie denn die Bilder der Massenmedien es dem braven deutschen KonsumCitoyen der Gegenwart abschreckend zeigen. Doch die Mobilmachung der Bürger in Frankreich läuft jetzt erst so richtig an: „Aux armes citoyens, formez vos bataillons….“, ist jetzt überall in Frankreich zu hören (dt.: Zu den Waffen Bürger, bildet eure Bataillone..)!(6)

Dass der französische Bürgerprotest gegen die politische Vorgehensweise ihres Präsidenten Emmanuel Macron berechtigt ist, tritt bei vielen Kommentatoren in den Hintergrund. Um seine Reformpläne der Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre durchzusetzen, hat der Präsident der Republik nämlich sogar eine parlamentarische Abstimmung der Regierungsvorlage in der Französischen Nationalversammlung verhindert. Den umgehend folgenden Sturzversuch seiner Regierung durch ein Misstrauensvotum hat er gerade noch überlebt. Auch das politische System von Frankreich ist, so zeigt es gerade der direkt gewählte „Vorsteher“ dieser République Française, keine echte „Volksherrschaft“. Der Repräsentant seines Volkes, der sogenannte „König“ Macron, kann den breit artikulierten Volkswillen die ’volonté de tous’ ignorieren und machen, was er für politisch richtig erachtet. Deshalb ist die aktuelle politische Systemkrise dieser ’levée des masses’ (Massenerhebung) direkt auf ihren Herrscher zurückzuführen. Die um politische Vermittlung besorgten französischen Gewerkschaften raten nun dem Präsidenten Macron, die Rentenreform einfach fallen zu lassen, um eben weiteren Schaden durch die Wut der Volksmasse seiner „république en marche“ auf allen Straßen der französischen Nation zu vermeiden (7). Gut ist, dass der französische „Roi Macron“ das geplante Treffen mit dem englischen König Karl III. abgesagt hat. Dieser besucht nun das friedliche Deutschland, in dem gerade nichts mehr geht und fährt: „Ruhe ist nämlich die erste Bürgerpflicht“, seitdem es Berliner Herrscher gibt! Die im Lohnkampf zu verteilende „tarte des revenues“ (der Einkommenskuchen) ist im deutschen Präsidialpalast Bellevue (Zur guten Aussicht!) schon aufgetischt worden. Ob jedoch „das Volk“ den Kuchen bekommt oder wieder nur „die Großindustrie“, ist in der aktuellen Streiklage noch ungeklärt.

Im März des Jahres 2023 flattern so erneut die bunten Fahnen der Berichtserstattung laut. Mit Paris steht auch Berlin im Blickpunkt der Betrachtung. Nach der schrecklichen Fernsehmanipulation der Corona-Pandemie ab dem März 2020 und dann dem im März 2022 folgenden bösartigen Krieg des Russen gegen das arme ukrainische Volk bläst jetzt ein neuer ’Wind of change’ in die deutschen Fernsehstuben. Nach den kapitalstärkenden Vorberichten der ’Macht um 8’ zur Börsenlage folgen sodann die abwinkenden Expertenerklärungen um eine Gehaltserhöhung’ für die arbeitenden, stets lohnabhängigen ’Proletarier’ in den 16 Bundesrepubliken. Die rein willkürlich vorgenommenen Preiserhöhungen des Warenkorbes und die unverschämte Gewinnsucht des Managements in den international organisierten Wirtschaftsunternehmen mit der sogar angedrohten Hungersnot (sic.) haben zu einem seit langem nicht erlebten, einem verschärften Streik in der Bundesrepublik Deutschland geführt. Zu dieser Tarifverhandlungskrise haben auch die Verteuerungen der Versicherungsbranche und die ungebremste Lust der Banken für ’illegale’ Geldgeschäfte beigetragen: Diese Unternehmen sitzen nämlich alle mit im nun leeren Geldboot der Crédit Suisse. Doch zu solcher Analyse sind die gesendeten Medienexperten nicht fähig! Die deutschen Tarifkämpfe verlaufen ’klassisch’, wobei die Forderung nach Ausgleich der Inflation und der erfolgten Preiserhöhung für alle Arbeitnehmer 10,5% mehr Lohn betragen soll. Und „wie immer“ sind die „da oben“ aber nicht für die „da unten“! Während die Franzosen die ’königlichen’ Verhandlungspartner zur Beschleunigung des Umverteilungsprozesses oftmals nach der bewährten pädagogischen Lehrmethode „Schläge auf den Hinterkopf erhöhn das Denkvermögen!“ festnageln, müssen die Deutschen Gewerkschaften endlich, aber friedlich, das komplette Transportwesen lahm legen – natürlich ausgenommen die Notfalldienste. Bei dem methodischen Empörungsjournalismus erzählen die alten schwarzen Volksempfänger lieber die Mär von „Paris in Flammen“ als über die eher ’trockenen’ Verhandlungsergebnisse der Gewerkschaftsvertreter. Der lustlose Kommentar vom ’Boss der Bosse’, der jedes Mal von „Erpressung“ redet, wird erneut als „brandneu“ dem fast schon eingeschlafenen Deutschen Michel verkauft. Doch „Ausschreitungen“ wie in Frankreich nach dem Motto: „Keine Keilerei ohne Polizei“, gibt es bei den deutschen Biedermännern nicht, zumal die protestbereiten Deutschen sich ihren politischen Unmut oder auch zurückgehaltenen ’Zorn’ vorher beim zuständigen Ordnungsamt genehmigen lassen. Die Frage nach den Gewinnern der aktuellen Krise ist dabei in Deutschland ebenso offen wie in Frankreich. Die mediale Abschlussfrage der Fernsehreporter zielt deshalb erneut in Richtung Westen. Und dort gibt es bekanntermaßen „Nichts Neues“.

Anmerkungen:

1 Siehe: www.untergrund-blättle.ch/politik/europa/frankreich-randale-in-paris-7621.html

2 Unter einem ’Casseur’ (frz.) wird ein ’Schläger’ oder ’Krawallbruder’ verstanden. Diese treten natürlich vermummt auf, um unerkannt zu bleiben, zumal sie (während Demonstrationen) Steine werfen, Autos anzünden oder sonstige als Straftat angesehene Handlungen begehen.

3 „Alle Staatsgewalt geht von Volk aus.“ Vgl.: Grundgesetz der BRD, Artikel 20. Die vom Volkskörper ausgehende Gewalt macht „das Staatswesen“ und nicht etwa ’Gott’ oder ein ’Monarch’. Jean Jacques Rousseau jedoch lehnt alle repräsentativen Staatsinstitutionen ab. Er geht von einer radikalen Unveräußerbarkeit der Volkssouveränität aus.

4 Siehe beispielsweise: www.francetvinfo.fr/meteo/secheresse/mega-bassines-c-etait-des-armes-de-guerre-face-a-des-manifestants-denoncent-avec-emotion-les-manifestants-de-sainte-soline_5735084.html

5 Siehe die Übersetzung aller Forderungen der französischen Gelbwesten bei: GÖTZ, Nikolaus: Die französischen Gelbwesten. Eine Bürgerbewegung mit ihren politischen Forderungen. Saarbrücken 2019 (Veröffentlichte Artikel auf der Onlinezeitung scharf-links.de)

6 Zwischen 650 000 bis 900 000 Demonstranten erwarten die französischen Mainstream Medien, während die Organisatoren von längst die Zahl in Millionen Teilnehmer rechnen (3,5 Millionen nach der Gewerkschaft CGT). Siehe entweder: www.francetvinfo.fr/economie/ retraite/reforme-des-retraites/ direct-reforme-des-retraites-emmanuel-macron-recoit-elisabeth-borne-et-les-cadres-de-la-majorite-ce-midi_5735072.html oder: www.francetvinfo.fr/econo mie/retraite/reforme-des-retraites/infographie-reforme-des-retraites-visualisez-en-un-graphi que-le-record-de-la-mobilisation-de-2023-par-rapport-aux-precedents-mouvements _5632952 . html

7 Vgl: www.francetvinfo.fr/economie/retraite/reforme-des-retraites/direct-reforme-des-retraites-la-france-insoumise-et-les-communistes-refusent-de-rencontrer-elisabeth-borne_ 574 3568.html

********************************************************

Grafikquelle :

Oben       —     Paris avenue de Clichy grève éboueurs mars 2023

Abgelegt unter Europa, Gewerkschaften, Kultur, Positionen | 1 Kommentar »

Zwei gegensätzliche Modelle

Erstellt von Redaktion am 1. April 2023

Streiks machen Schlagzeilen in Deutschland wie in Frankreich.

Reichstagsgebäude von Westen.jpg

Folgen wir unserer Sprache, müssten hier die Gewählten Vertreter der Reichsbürger sitzen. Aber die Politik zeigt schon eigenartige Auslegungen wenn sie sich selber schützen will.

Von  :    JAYRÔME C. ROBINET

Doch Tradition, Funktion und die Ziele der Gewerkschaften in beiden Ländern könnten kaum unterschiedlicher sein. Während deutsche Gewerkschaften die Lage der Ar­bei­te­r:in­nen verbessern wollen, lehnen die französischen Kompromisse ab.

Seit Anfang März sind die Straßen in mehreren Städten Frankreichs mit Müll übersät, Berge von Müllsäcken türmen sich mit ihrem Gestank auf, nach Angaben der Pariser Stadtverwaltung liegen mittlerweile fast 10.000 Tonnen nicht abgeholter Müll in der französischen Hauptstadt. Der Streik bei der Müllabfuhr ist Teil der aktuellen Proteste gegen die Rentenreform. In Deutschland höre ich häufig, dass Frankreich bei sozialen Protesten einen Vorsprung hätte und dass in meiner alten Heimat der Geist der Revolution noch herrschen würde. Nun möchte ich mit diesem Mythos aufräumen. Um zu verstehen, warum Streiks und Demonstrationen in Frankreich nicht wirklich einem „revolutionären Geist“ folgen, müssen wir uns anschauen, wie Gewerkschaften im Unterschied zu Deutschland funktionieren und wie außerdem das präsidentiell-parlamentarische Regierungssystem in Frankreich mitunter einer „präsidentiellen Monarchie“ ähnelt.

Zweifellos sind sowohl in Deutschland als in Frankreich Gewerkschaften legitime Organe zur Vertretung der Interessen von Ar­beit­neh­me­r:in­nen. Hinsichtlich der Organisationsformen wie auch der Ziele und Vorgehensweisen unterscheidet sich die Gewerkschaftsarbeit in den zwei Ländern. Der Politologe René Lasserre beschreibt in einer Essaysammlung die Entstehung und Methoden der Gewerkschaften auf beiden Seiten des Rheins. Der Kontrast sei so groß, dass man in vielerlei Hinsicht sagen könnte, dass es sich eigentlich um zwei gegensätzliche Modelle handelt.

Seit ihren Ursprüngen am Ende des 19. Jahrhunderts steht die französische Gewerkschaftsbewegung unter dem Zeichen des Pluralismus: zum einen der Organisationsformen, darunter Berufssyndikalismus und Industriesyndikalismus; zum anderen der Ideologien, darunter Anar­chis­t:in­nen, Mar­xis­t:in­nen, So­zia­lis­t:in­nen und Chris­t:in­nen. Die Folge der Zerstrittenheit unter den Gruppen waren zahlenmäßig schwache Organisationen. Laut einer vom französischen Arbeitsministerium veröffentlichten Studie lag im Jahr 2019 der gewerkschaftliche Organisationsgrad insgesamt – im öffentlichen und privaten Sektor zusammen – bei 10,3 Prozent. In gewisser Weise sind französische Gewerkschaften eine Minderheitsbewegung.

Dazu kommt nun der vielleicht wichtigste Punkt: Der Syndikalismus in Frankreich ist stark geprägt von einer Tradition des Protests gegen die soziale Ordnung. Im Grunde sind französische Gewerkschaften nicht so sehr ein Mittel zur Verteidigung der Interessen der Arbeiter:innen, sondern sie verstehen sich vielmehr als Instrument zur Umgestaltung des kapitalistischen Systems. Obwohl sich heute die Gewerkschaften in der Grande Nation nicht mehr auf den revolutionären Syndikalismus der direkten Aktion berufen würden, sondern sich in vielfältiger Form am wirtschaftlichen und sozialen Leben beteiligen, bleiben sie dem sozialen Dialog gegenüber misstrauisch. Sie sind weitgehend auf Konfrontation eingestellt, anstatt auf Engagement oder Teilhabe, die ihre Autonomie einschränken könnte. Insbesondere lehnen sie jede Form der Zusammenarbeit mit den Ar­beit­ge­be­r:in­nen oder dem Staat ab, auch wenn diese Zusammenarbeit konstruktiv sein könnte. Das zeigt sich auch darin, dass in Frankreich die meisten Be­am­t:in­nen streiken dürfen.

Im Gegensatz dazu haben sich die deutschen Gewerkschaften im Zuge der Sozialdemokratie von Anfang an als eine relativ homogene Massenbewegung entwickelt. Nach der Aufhebung des Bismarck’schen Verbots im Jahr 1890 und infolge der Industrialisierung Deutschlands bevorzugte man die moderne Form der Industriegewerkschaft. Ab 1914 wurden mächtige und effiziente Organisationen gegründet. Und nun kommt der vielleicht wichtigste Punkt: Am Ende der Weimarer Republik und während der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre führten Meinungsverschiedenheiten zwischen So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen und Kom­mu­nis­t:in­nen sowie die Rivalitäten mit den christlichen Gewerkschaften zu einer Schwächung der Gewerkschaftsbewegung und schließlich zu ihrer Kapitulation vor den Nazis. Wie so oft zog Deutschland dann die Lehre aus der Geschichte: Nie wieder schwache Gewerkschaften, die vor dem Staat kapitulieren. So wurde in der Nachkriegszeit die Gewerkschaftsbewegung auf der Grundlage der parteipolitischen Neutralität wiederaufgebaut. Es entstand eine quasi einheitliche Gewerkschaftsbewegung, in der ein großer Mehrheitsverband, der DGB, heute knapp 6 Mil­lionen Mitglieder vereint. Die Tendenz ist sinkend, trotzdem liegt der gewerkschaftliche Organisa­tions­grad insgesamt in Deutschland entscheidend höher als in Frankreich.

Aber die Franzosen haben schon früher ihre politischen Versager in die Verbannung geschickt und machen Heute aus dem Vorraum ihres Palast, einen Platz für Camper. 

Während deutsche Gewerkschaften nun versuchen, die unmittelbare Lage der Ar­bei­te­r:in­nen durch Tarifverhandlungen im Rahmen der bestehenden Gesellschaft zu verbessern, lehnen die französischen Gewerkschaften Kompromisse im Namen einer utopischen Zukunft ab. Wer will, mag hier den revolutionären Geist Frankreichs spüren, in der Sache ist das aber eher kontraproduktiv.

Die Schwäche der Gewerkschaften in Frankreich, ihr Widerwille, Kompromisse einzugehen und damit einhergehende Verpflichtungen anzunehmen, hindert sie daran, eine reale soziale Aufgabe zu übernehmen. Dem Dialog abgeneigt, stellen sie den Konflikt in den Vordergrund: Mit Demonstrationen und Generalstreiks wollen sie den Kapitalismus zum Kippen bringen. Die deutschen Gewerkschaften sind da realistischer.

So ist es kein Zufall, dass die wirtschaftliche und industrielle Situation Frankreichs heute so miserabel ausschaut. Während die deutsche Wirtschaft ihr Wachstumsmodell auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den Export stützt, setzt die Wirtschaftspolitik in Frankreich auf den Konsum und die Kaufkraft der Haushalte. Der Politikwissenschaftler Felix Syrovatka hält das für den Grund, warum die Deutschen die Rentenreformen besser akzeptiert hätten. Weil für eine Wirtschaft, die auf der Wettbewerbsfähigkeit von Exporten beruht, die Senkung der Lohnkosten wichtiger sei als der Erhalt der Kaufkraft der Rentner:innen.

Aber könnte der starke Rückgang der Industrie in den letzten zwanzig Jahren in Frankreich auch auf die Vorgehensweise der Gewerkschaften zurückzuführen sein? Regelmäßig wird das Land ja für Tage, Wochen oder Monate buchstäblich blockiert. Wir erinnern uns an die Gelbwesten-Bewegung: Drei Jahre später ist es wieder so weit. Wieder wird das öffentliche Leben in Frankreich durch landesweite Proteste eingeschränkt – diesmal gegen die Rentenreform. Stilllegung der wichtigsten Raffinerien, Streik der Müllabfuhr, Ausfälle im Zug- und Flugverkehr, Streik an Schulen, Demonstrationen mit Ausschreitungen und Zusammenstößen mit der Polizei, Bushaltestellen verwüstet und Mülltonnen angezündet – womit das erwähnte Abfallproblem teilweise gelöst ist.

Die Kehrseite der Medaille ist, dass die französischen Gewerkschaftsführungen in Wirklichkeit wenig Gestaltungsfreiraum haben. In Deutschland ist ein Streik nur das letzte Mittel – in Frankreich ist er gewissermaßen eine Vorstufe zu jeglichen Verhandlungen. Gemäß René Lasserre ist die Abneigung gegen den sozialen Dialog in Frankreich nicht nur auf die Gewerkschaften zurückzuführen, sondern sie wird auch von einem nicht unerheblichen Teil der Ar­beit­ge­be­r:in­nen geteilt, insbesondere in den kleinen und mittleren Unternehmen. Dies bleibt nicht ohne Folgen. Denn das erfordert das ständige Eingreifen des Staates, der in der Tat der eigentliche Regulierer und Schiedsrichter der gesellschaftlichen Verhältnisse ist.

Quelle         :         TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

********************************************************

Grafikquelle :

Oben       —     Reichstag building, seen from west

Abgelegt unter Europa, Gewerkschaften, Kultur, Positionen, Regierung | 1 Kommentar »

Einigung: Post – Ver.di

Erstellt von Redaktion am 25. März 2023

Tarifabschluss bei der Post – ein Abschluss, der Fragen aufwirft

La grève des mineurs du Pas-de-Calais, 1906.jpg

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von  :    Suitbert Cechura

Ein harter Job und schlechte Bezahlung: Auch wenn der Laden brummt, darf man sich nicht zu viel erwarten – die schweren Zeiten verbieten es!

Zu Beginn der Tarifrunde mit dem Post-Konzern – noch vor der ersten Verhandlungsrunde – gab die Verdi-Gewerkschaft ihr Ziel bekannt: „Die Beschäftigten brauchen dringend einen Inflationsausgleich und sie erwarten darüber hinaus eine Beteiligung am Unternehmenserfolg.“ (Pressemitteilung Verdi, 5.1.23)

Die Vorbereitung auf die Tarifrunde lief vorbildlich, mit großer Mobilisierung und Warnstreiks. Die Mitglieder stellten sich mit 85,9 Prozent bei der Urabstimmung hinter ihre Gewerkschaft und stimmten für einen Streik. Statt zu streiken, setzte sich Verdi dann aber mit den Arbeitgebern zusammen und schloss ganz rasch einen Tarifvertrag ab, der weder einen Reallohnverlust verhindert noch eine Beteiligung am 8-Milliardengewinn der Post beinhaltet. Dieses Verhalten der Tarifkommission, die sich für ihren schnellen Erfolg lobte, wirft eine Reihe von Fragen auf.

Von Beginn an ein Abschluss á la IG-Metall oder IG BCE angestrebt?

Auffällig ist, dass die Tarifkommission nach dem Abschluss von den ursprünglichen Zielen offenbar nichts mehr wissen will, wenn sie das Ergebnis schönrechnet und den Erfolg daran festmacht, dass die Gegenseite ihre Angebote verbesserte habe: „Positiv sind die hohe Einmalzahlung im April, die Erhöhung der monatlichen Inflationsausgleichssonderzahlung um 20 Prozent gegenüber dem letzten Angebot der Arbeitgeber und das Vorziehen der tabellenwirksamen Festbetragserhöhung um acht Monate. Mit diesem Tarifergebnis wird unser wichtigstes Ziel, einen Inflationsausgleich insbesondere für die unteren Einkommensgruppen zu schaffen, nach den aktuellen Prognosen der zu erwartenden Preissteigerungsrate erreicht.“ (Andrea Kocsis, Verdi Pressemitteilung, 11.3.23)

Die Inflationsausgleichssonderzahlung von 1020 € gleicht aber den Reallohnverlust des letzten Jahres in keiner Weise aus. Über den teilt Verdi selber mit: „Die Tariferhöhungen in 2021 und 2022 blieben zusammen um fünf bis sieben Prozent hinter der Inflationsrate zurück.“(Verdi, WiPo-Informationen, 1/23) Jetzt mag zwar rechnerisch die ab Mai vereinbarte Ausgleichssonderzahlung von 180 € der offiziellen Inflationsrate entsprechen, nur weiß auch die Gewerkschaft, dass die offiziellen Inflationsraten Durchschnittswerte darstellen und gerade Menschen mit geringem Einkommen, wie viele Postzusteller, von der Inflation stärker betroffen sind: „Inflation ist nicht für alle gleich. Die hohen und weiter steigenden Preise treffen Haushalte mit kleinen Einkommen und mit Kindern besonders stark.“ (WiPo, 1/23)

Hinzu kommt: „Die ‚Inflationsprämien‘ sind zudem – ebenso wie die in den letzten Jahren vereinbarten Corona-Prämien und sonstigen Einmalzahlungen – nicht tabellenwirksam, das heißt sie erhöhen nicht die Ausgangsbasis für künftige Tariferhöhungen und mindern so dauerhaft die Lohnentwicklung und die Kaufkraft. Die Einmalzahlungen fallen weg, aber auch wenn die Inflationsraten in den kommenden Jahren wieder geringer werden, sinkt das Preisniveau insgesamt nicht.“ (WiPo, 1/23)

Also stellen die Sonderzahlungen keine Erhöhung der Tariflöhne dar, ein dauerhafter Reallohnverlust wird damit festgeschrieben. Denn die Tariferhöhung von 15 Prozent war ja auf ein Jahr berechnet und nicht auf zwei Jahre. Eine Verlängerung der Laufzeit hatte Kocsis noch nach der dritten Verhandlungsrunde abgelehnt (Pressemitteilung Verdi, 10.2.23). Nun erfolgt die Tariferhöhung erst im nächsten Jahr und bemisst sich an Prognosen und nicht an den Notwendigkeiten der Beschäftigten.

Mit ihren unterschiedlichen Sonderzahlungen folgt Verdi jetzt ganz der Regierungslinie, an die sich auch die Schwestergewerkschaften von IG Metall und IG BCE gehalten haben. Mit den Steuer- und Sozialabgaben-freien 3000 € als Abfindung für den Verzicht auf Lohnerhöhungen hat die Regierung die Maßstäbe für die deutschen Tarifrunde vorgegeben, die offenbar auch Verdi umsetzen will. Sonst könnten ja noch – man stelle sich das vor – Verhältnisse wie in Frankreich oder Großbritannien einreißen, wo sich die Arbeitervertretungen um die Interessen ihrer Mitglieder kümmern, statt sich an die Regierungslinie zu halten.

Das Wort Abfindung ist hier übrigens wörtlich zu nehmen, sollen sich doch die Arbeitnehmer mit den Reallohnverlusten abfinden und auf einen Ausgleich verzichten, der den Reallohn auf Dauer sichert. Die Gewerkschaften stellen sich so ihrer nationalen Verantwortung bei der Verhinderung des neuerdings wieder aufgetauchten Gespenstes einer „Lohn-Preis-Spirale“. Diese Bezeichnung stellt – man erinnere sich nur an die beiden letzten Jahre – die Welt auf den Kopf, denn es waren die Preise, die auf breitere Front stiegen, und nicht die Löhne, die vielmehr der Entwicklung hinterherhinkten.

Warnstreiks usw.: ein Tariftheater zur Mitgliedergewinnung?

Ging es hier also wieder einmal um ein Tariftheater? Dies vermuteten schon einige Medien im Vorfeld und der Abschluss scheint ihnen Recht zu geben. Offenbar war die ganze Tarifauseinandersetzung nicht auf die Durchsetzung der anfangs formulierten Forderungen gerichtet. Verdi wollte sich vielmehr unübersehbar als die kämpferische Alternative zu den anderen Gewerkschaften präsentieren und so Mitglieder für sich gewinnen. Verdi-Chef Werneke verkündete stolz, „rund 45.000 Neueintritte bei der Gewerkschaft seien nicht zuletzt auf die Tarifauseinandersetzungen beim ehemals staatlichen Unternehmen zurückzuführen“ (Junge Welt, 17.3.23).

Mitglieder und Sympathisanten sollten sich bei den Streikaktionen anscheinend im Gemeinschaftsgefühl ergehen. Man war in der Öffentlichkeit präsent, erntete auch Anerkennung, das war’s dann. Damit die aktivierten Mitglieder nicht auf die Idee der Durchsetzung ihrer Forderungen kommen, wurde der Streik abgeblasen und eine schnelle Vereinbarung präsentiert.

Und jetzt der Abschluss im Öffentlichen Dienst?

Zu erwarten ist, dass Verdi hier seine Mitglieder genauso verschaukelt wie beim Postabschluss und eine Vereinbarung akzeptiert, die statt Reallohnsicherung einen Strauß von Sonderzahlungen bietet – ebenfalls in Übereinstimmung mit der Regierungslinie. Vor der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst wurde anscheinend auch kein Abschluss angestrebt, der bei den Mitgliedern zu große Erwartungen weckt.

Schließlich wird bei Verdi-Mitgliedern der Spruch des ehemaligen Vorsitzenden Bsirske kolportiert, der gewarnt haben soll: Wer die Mitglieder auf die Bäume treibt, müsse sie auch wieder runterholen können. Solchen Warnungen kann man entnehmen, dass die Verdi-Funktionäre ihre Mitglieder offenbar als Tarifstatisten behandeln, die sich auf Kommando als Streikkomparsen aufführen, bei Bedarf aber auch wieder brav arbeiten gehen. Das Problem scheint die Tarifkommission zur Zeit wieder bei ihren Mitgliedern zu sehen.

Denn die prekäre Lage ist auch aus Verdi-Sicht klar: „Die zentrale Herausforderung für die Tarifpolitik besteht in diesen Zeiten darin, trotz der starken Preissteigerungen die Realeinkommen der Beschäftigten und ihrer Familien zu sichern. Im Jahr 2022 ist dieses Ziel deutlich verfehlt worden, die preisbereinigten Reallöhne sanken um über drei Prozent, nach der ‚alten‘ Berechnung der Inflationsrate um über vier Prozent. Dies kann der Tarifpolitik allerdings nicht angelastet werden, da ganz überwiegend noch Tarifverträge galten, die in Zeiten der Pandemie bei viel geringeren Inflationsraten abgeschlossen worden waren.“ (WiPo, 1/23)

Und die Verdi-Mitglieder?

Das muss die Gewerkschaft natürlich herausstellen: Die Misserfolge kann man ihr nicht anlasten. Und die Mitglieder müssen es glauben. Aber werden sie sich dieses Ergebnis jetzt bieten lassen? Es liegt an ihnen, in der Urabstimmung zum Tarifabschluss, die noch bis zum 30. März läuft, diese Vermutung entweder zu bestätigen, indem sie Ruhe geben, oder zu dementieren, indem sie dagegen stimmen. Unmut gibt es an der Verdi-Basis durchaus. David Maiwald (JW, 17.3.) hat sich dort erkundigt. „Viele Kollegen wissen“, so äußerte sich ein Postzusteller, „und zwar weil Verdi das kommuniziert hat, dass diese Sonderzahlung langfristig weniger Geld in der Tasche bedeutet. Außerdem wird anteilig auf die Arbeitszeit ausgezahlt“, was gerade bei den Teilzeit- und Abrufkräften weitere Einbußen bedeutet.

Kritische Gewerkschafter (siehe die Homepage: netzwerk-verdi.de) fürchten auch, dass der jetzige Abschluss von der Arbeitgeberseite propagandistisch genutzt wird und die Behauptung untermauert, dass mehr einfach nicht drin ist. Darauf sollte man nicht hereinfallen! Wer natürlich schon beim Aufstellen der Forderung davon ausging, dass wie gewöhnlich bloß die Hälfte und damit ein Reallohnverlust rauskommen wird, der liegt mit diesem Abschluss richtig. Wer sich gegen den Reallohnverlust stemmen will, muss sich mit der Gewerkschaftsführung anlegen.

Zuerst erschienen bei Telepolis

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —      La grève des mineurs du Pas-de-Calais

Abgelegt unter Gewerkschaften, Kultur, Positionen, Regierungs - Werte | Keine Kommentare »

Wann fällt Macron ?

Erstellt von Redaktion am 19. März 2023

Frankreich: Rentenreform um jeden Preis?

Von Steffen Vogel

Es ist eine Kraftprobe mit ungewissem Ausgang: Mit seiner geplanten Rentenreform hat Emmanuel Macron große Teile des Landes gegen sich aufgebracht. Die Gewerkschaften rufen vereint wie lange nicht zu Streiks auf, Millionen Menschen strömen zu den Großdemonstrationen. Bereits zu Beginn waren die Proteste massiver, als es selbst die klassenkämpferische Gewerkschaft CGT erwartet hatte. In Umfragen lehnen drei Viertel der Französinnen und Franzosen das Vorhaben ab. Derzeit ist es sogar alles andere als ausgemacht, dass Macrons Reform bis zum geplanten Abschluss der parlamentarischen Beratungen am 27. März eine Mehrheit in der Nationalversammlung finden wird.

Das stellt den französischen Präsidenten vor ein gewaltiges, aber zu einem guten Teil selbstverschuldetes Dilemma: Macron hat seine politische Glaubwürdigkeit an das Gelingen dieser seiner wichtigsten innenpolitischen Reform geknüpft. Daher steht und fällt mit ihr auch seine Bilanz als Staatschef. Kapituliert Macron vor dem Volkszorn, wird er unweigerlich als gescheiterter Modernisierer gelten. Schaltet er hingegen auf stur und setzt die Reform gegen den Mehrheitswillen und am Ende nötigenfalls sogar per Dekret durch, riskiert er eine weitere Spaltung des Landes, zulasten der französischen Demokratie.

Die massive Ablehnung, die der Rentenreform allenthalben entgegenschlägt, selbst aus Teilen der Regierungsfraktion, erklärt sich nur zum Teil aus den konkreten Plänen von Macron und Premierministerin Élisabeth Borne. Diese sind weniger weitreichend als noch im ersten, durch die Pandemie gestoppten Anlauf von 2019.[1] So soll der Rentenbeginn nun von 62 auf 64 Jahre angehoben werden, statt wie ursprünglich geplant auf 65 Jahre. Da das Vorhaben aber Gruppen stärker belastet, die in der Arbeitswelt ohnehin benachteiligt sind, fügt es sich in den Augen vieler in das größere Panorama einer zunehmend von Ungleichheit und Ungerechtigkeit geprägten Gesellschaft – und in das Bild einer abgehobenen Elite, die blind ist für die soziale Lage einer Mehrheit der Französinnen und Franzosen. Damit sind alle Zutaten vorhanden, die es für eine harte Auseinandersetzung braucht – vor allem in einer politischen Kultur, in der Konflikt wichtiger ist als Konsens.

Von außen betrachtet mag die Empörung irritieren. Denn das französische Rentensystem ist überdurchschnittlich teuer und extrem komplex: Die jährlichen Kosten entsprechen knapp 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, in Deutschland sind es zehn, im OECD-Schnitt acht Prozent.[2] Zudem existieren gleich 42 Rentensysteme, die oft nur bestimmten Berufsgruppen offenstehen und teils hoch defizitär sind. Allein schon die von der Regierung geplante Abschaffung zumindest eines Teils der vielen Spezialkassen würde eine Reform rechtfertigen. Dass Millionen Menschen vermeintlich dafür demonstrieren, weiterhin mit 62 Jahren in den Ruhestand eintreten zu dürfen, erscheint gerade in Deutschland, wo schon die Rente mit 70 debattiert wird, wie aus der Zeit gefallen.

Tatsächlich aber gehen bereits jetzt viele Französinnen und Franzosen deutlich später in Rente, zumindest sofern ihr Körper es mitmacht. Denn um eine abschlagsfreie Rente erhalten zu können, müssen sie 42 Beitragsjahre vorweisen, künftig sollen es 43 Jahre sein. Genau diese zeitgleiche Erhöhung des Renteneintritts und der Beitragsjahre führt aber zu Ungerechtigkeiten, insbesondere mit Blick auf drei Gruppen. Das gilt erstens für Menschen, die nicht studiert haben: Wer mit 20 Jahren erwerbstätig wird, kann bisher mit 62 Jahren in den Ruhestand gehen. Nach der neuen Regelung hätte er hingegen erst mit 63 lange genug Beiträge eingezahlt und würde ein weiteres Jahr später das Renteneintrittsalter erreichen – müsste also zwei Jahre länger arbeiten. Für Akademiker hingegen ist die Altersgrenze schon jetzt ohne Belang, da sie aufgrund ihres Studiums ohnehin länger arbeiten müssen, um abschlagsfrei zu sein. Wer künftig beispielsweise mit 23 Jahren die Uni abschließt, hat nach dem neuen System die fälligen Beitragsjahre an seinem 66. Geburtstag beisammen, also nur ein Jahr später als zuvor. Und für alle, die noch länger studieren, greift wie bisher die Höchstgrenze von 67 Jahren, ab der jeder spätestens ohne Abzüge in Rente gehen darf. Akademiker leiden damit weniger unter der Reform als ihre geringer qualifizierten Altersgenossen – die überdies schon jetzt weniger von ihrer Rente haben. Denn nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen stirbt statistisch gesehen beispielsweise eine Arbeiterin drei Jahre früher als eine Managerin, und ein Arbeiter lebt sogar über sechs Jahre kürzer als ein Manager.[3] Diese im wahrsten Sinne des Wortes existenzielle Ungleichheit würde durch die Reform noch verstärkt.

Ähnlich ergeht es, zweitens, den Müttern, für die sich die Anrechnung von Kindererziehungszeiten ungünstig auswirkt. Dadurch werden sie im Durchschnitt etwas länger zusätzlich arbeiten müssen als Männer. Auch in diesem Fall verschärfen die Regierungspläne bestehende Ungerechtigkeiten: Da Frauen im Schnitt deutlich weniger verdienen als Männer, fallen ihre Renten entsprechend um 40 Prozent niedriger aus – in deren Genuss sie nun obendrein später kommen würden.[4] Selbst der Minister für Parlamentsbeziehungen, Franck Riester, musste einräumen, Frauen würden durch die Reform „ein wenig bestraft“.[5]

So aber fühlen sich, drittens, insgesamt viele ältere Arbeitnehmer. Derzeit ist in Frankreich nur ein knappes Drittel der über 60jährigen noch im Beruf, in der EU liegt der Durchschnitt immerhin bei 45 Prozent.[6] Selbst wer körperlich fit genug und arbeitswillig ist, findet ab einem gewissen Alter in Frankreich schwerer einen Job als anderswo. Ein höheres Renteneintrittsalter bedeutet für viele daher nicht, dass sie länger im Beruf bleiben müssen, sondern dass sie länger arbeitslos sein werden. Auch das trifft geringer Qualifizierte häufiger als Akademiker. Es sind diese sozialen Unwuchten, die derzeit landesweit Menschen auf die Straße treiben.

Ungerecht, aber notwendig?

Die Befürworter von Macrons Plänen bemühen dagegen den Sachzwang. So erklärte der ehemalige Fraktionschef der Regierungspartei, Gilles Le Gendre ganz offen: „Ich sage nicht, dass diese Reform gerecht ist, sondern dass sie notwendig ist.“ Die Regierung argumentiert, angesichts der alternden Bevölkerung drohe den Rentenkassen ein Milliardendefizit, das früher oder später das Rentensystem gefährden werde. Ihre Reform sei daher unabdingbar, um den Solidarvertrag zu retten.[7]

Wie hoch dieses Defizit tatsächlich ausfallen wird, ist allerdings stark umstritten, auch weil es von schwer kalkulierbaren Faktoren wie der erwarteten Arbeitslosenquote abhängt. Macrons Kritiker werfen ihm vor, bewusst ein düsteres Bild zu zeichnen, tatsächlich gehe es ihm bei seiner Reform vor allem um die erwarteten Mehreinnahmen von 20 Mrd. Euro jährlich, die er unter anderem zur von der EU angemahnten Haushaltskonsolidierung einplanen könnte.[8]

Den Sozialstaat verteidigen

Quelle          :        Blätter-online            >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —     Manifestation contre la réforme des retraites au Mans, le 15 mars 2023

Abgelegt unter Europa, Gewerkschaften, Positionen, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von Redaktion am 12. März 2023

Die Fesseln des undemokratischen Sreikrechts

Rote Flagge II.svg

Von Elisa Aseva

Es gibt Dinge, die in Deutschland nicht zum intuitiven Allgemeinwissen gehören. Zum Beispiel der Fakt, dass Menschen mehr Geld verdienen sollten.

Seit Kurzem verfolgt mich ein kleiner, unscheinbarer Satz. Eigentlich war es bei dem Telefonat um ein konkretes Anliegen gegangen, doch meine Bekannte und ich hatten uns zuletzt zu Beginn der Pandemie gesprochen, und so verfielen wir bald in eines dieser gegenwärtig so typischen Blitz-Aufholgespräche.

In unter zehn Minuten tauschten wir Trennungen, Todesfälle und andere Alltagsumbrüche, als seien es Panini-Karten. „Ach so, ich wusste nicht, dass du da nicht mehr bist. Und ist der neue Job denn okay?“, fragte meine Bekannte. „Ja schon. Aber eben wieder nur Mindestlohn, es bleibt also stressig.“ – „Was, echt? Soll jetzt nicht blöd klingen, aber du könntest doch mehr verdienen.“ Es soll hier nicht um meine individuellen Chancen und Hinde­rungen gehen, der Satz hallt anders nach. Morgens, während ich beim Warten am überfüllten U-Bahnhof dabei zusehe, wie ein junger, nicht-weißer Typ mit der Reinigungsmaschine Muster auf den Boden zeichnet.

Als ich in der U-Bahn dann Zeugin werde, wie eine unübersichtlich wackelnde Kleinkindbande von einer Erzieherin und einem Praktikanten auf die freien Sitze verteilt und bei Anfahrt des Zuges bereits mit Apfelschnitzen versorgt wird. Und auch, als ich nach Feierabend in den Supermarkt springe und der Kassierer die Waren roboterschnell über den Scanner zieht, als wolle er ein sagenhaftes nächstes Level freispielen.

IHR MÜSSTET ALLE MEHR VERDIENEN. Es gibt statistische Wahrheiten, die in diesem Land nicht in das intuitive Allgemeinwissen einfließen. Mit der neoliberalen Umstrukturierung des Arbeitsmarktes und der massiven Privatisierung von staatlicher Infrastruktur wurde die soziale Landschaft Deutschlands grundlegend umgegraben. Viele einst gut bezahlte Mittelstandsjobs wie etwa bei der Deutschen Post wurden so in den Niedriglohnsektor geschoben, der folgende allgemeine Lohnverfall lässt sich durchaus als kalkuliert beschreiben.

Das Bekenntnis zum aggressiven Lohndumping verschaffte Deutschland ohne Zweifel einen klaren Wettbewerbsvorteil innerhalb des europäischen Staatengefüges. Erarbeitet wird er vor allem von Frauen, Mi­gran­t*in­nen und ostdeutschen Arbeiter*innen. Sind also diese Gruppen gemeint, wenn Bundesfinanzminister Christian Lindner mal wieder von den Leistungsträgern spricht, für die er Politik machen will?

undefined

Tatsächlich arbeitet in Deutschland je­de*r Fünfte für einen Stundenlohn, der unter 12,50 liegt. Ein Aufstieg in höhere Gehaltsklassen gelingt nicht zufällig selten, er gibt schlicht kein wirtschaftliches Interesse. Nur in Lettland, Litauen, Estland, Polen und Bulgarien ist die Lohn­ungerechtigkeit ausgeprägter.

Lohnbeschäftigte werden oft zu individueller Anstrengung zur Verbesserung ihrer Lage ermutigt, dabei läge ihre tatsächliche Macht im kollektiven Zusammenschluss. Doch auch die Arbeitnehmerrechte sind in Deutschland stärker beschnitten als beispielsweise in Ländern wie Frankreich oder Italien. Gerade anlässlich der aktuellen Entscheidung der Post-Beschäftigten zum Streik sollte an die reaktio­näre Schlagseite des deutschen Streikrechts erinnert werden. Streikformen, die anderswo als selbstverständlich gelten und wichtige demokratische Mittel von Ar­beit­neh­me­r*in­nen darstellen, sind im Land der strukturellen Ungleichheit verboten.

Quelle        :     TAZ-online            >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Eine wehende rote Fahne

*******************************

Unten      —   Kita-Warnstreik der Sozial- und Erziehungsdienste am 13. Mai 2022 in Hamburg

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, Kultur, Positionen, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Afrika und der Papst

Erstellt von Redaktion am 9. Februar 2023

Bei Laune halten ist zu wenig

Vom Himmel hoch kommich nicht her

Ein Debattenbeitrag von Aram Ziai

Es ist eine höchst fragwürdige und interessengeleitete Annahme: Die Armen müssen nur in die moderne Weltwirtschaft integriert werden, dann wird alles gut. Wenn grüner Wasserstoff nach Europa importiert wird, dient dies primär nicht der Armutsbekämpfung im Süden.

Hände weg von Afrika? Den Postkolonialismus überwinden!“, hieß es kürzlich in der taz. Die Kritik bezog sich auf den Appell des Papstes, die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents zu überwinden. Hinter dem Appell verstecke sich eine „paternalistische Attitüde“ und eine „kolonialistische Perzeption Afrikas als Opfer und Rohstofflieferant“. Stattdessen verweist der Artikel auf das „gigantische Entwicklungspotenzial“ Afrikas und fordert eine partnerschaftliche Agrarstrategie Europas („Hand in Hand in Afrika“), gerade auch angesichts dessen, dass China seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss „skrupellos“ ausbaue. Ziel sei eine „nachhaltige Entwicklung“, mit der Afrika „der Sprung in die moderne, postkarbonisierte Weltwirtschaft gelingt“.

So weit, so plausibel, möchte man meinen. Bei näherem Hinsehen zeigen sich jedoch eine Reihe von Lücken und Ungereimtheiten. So mag es erstens vielleicht abgedroschen sein, aber Afrika ist tatsächlich seit dem Kolonialismus nicht aus der Rolle als Rohstofflieferant herausgekommen. Unter anderem aufgrund der Zolleskalation auch der europäischen Länder, die für verarbeitete Produkte meist deutlich höhere Zölle verlangen, und aufgrund der Investitionsabkommen, die es Regierungen verbieten, auf wertschöpfender Produktion im Inland zu bestehen. Laut UN machen für 45 der 54 Länder Afrikas Rohstoffe über 60 Prozent der Exporte aus. Opfer ist Afrika durchaus ebenfalls, etwa im Hinblick auf die hierzulande im Überfluss gehorteten Covid-19-Impfstoffe, deren Patente durch das Beharren der EU und vor allem Deutschlands die ersten Jahre nicht freigegeben wurden, zugunsten der Gewinne der öffentlich geförderten Pharmaunternehmen.

Oder im Hinblick auf die Finanztransfers vom Süden in den Norden: Laut dem European Network on Debt and Development fließen durch Schuldendienst, Gewinnrückführung multina­tio­naler Unternehmen, Steuerflucht und irreguläre Überweisungen (mutmaßlich Gelder aus Kriminalität und Korruption) etwa 1000 Milliarden. US-Dollar jährlich von den armen in die reichen Länder – netto, also nach Abzug von ausländischen Direktinvestitionen, offizieller Entwicklungshilfe und Rücküberweisungen von Migrant:innen. Der Schuldenstand der Länder des Südens hat mittlerweile die Höchstwerte der Schuldenkrise der 1980er Jahre erreicht, für die Länder mit mittleren und niedrigem Einkommen beträgt er im Schnitt 200 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Zum Vergleich: Die BRD hat 1953, zu Beginn des Wirtschaftswunders, einen umfangreichen Schulden­erlass bekommen, weil ihr Schuldenstand 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betrug. Einige Schuldner sind halt gleicher als andere. Was zweitens die eingeforderte partnerschaftliche Agrarstrategie angeht, so gab und gibt es sie bereits, etwa in Form der German Food Partnership und des Africa Agriculture and Trade Investment Fund. Hier stehen jedoch – genau wie bei den ach so skrupellosen Chinesen – die Interessen eigener Großunternehmen wie Bayer Crop Science und BASF im Vordergrund. Auch in neueren Initiativen wird immer wieder die Erzählung bedient, dass man durchaus im Süden Geschäfte machen und gleichzeitig die Armut bekämpfen könnte, über Public-private-partnerships und Win-win-Situationen. Genau das wurde im ersten „Entwicklungsprogramm“ 1949 auch behauptet, mit dem Ziel, die unabhängig werdenden Länder des Südens vom Überlaufen ins kommunistische Lager abzuhalten und gleichzeitig den Zugriff auf die Rohstoffe und Märkte des Südens zu sichern. Damals wie heute ist es eine höchst fragwürdige und interessengeleitete Annahme: Die Armen müssen nur in die moderne Weltwirtschaft integriert werden, dann wird alles gut – als ob sie das nicht schon längst wären, aber halt meist als Verlierer im globalen Kapitalismus. Das Entwicklungsversprechen soll sie bei Laune halten.

Daran ändert auch – drittens – ein grüner Anstrich wenig, wie er in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen anklingt und ebenso in dem unter der Ampelregierung hierzulande forcierten Run auf die Gewinnung erneuerbarer Energien im Globalen Süden. Wenn grüner Wasserstoff in Megaprojekten des Südens nach Europa importiert wird, dient dies primär nicht der Armutsbekämpfung im Süden, sondern der Aufrechterhaltung einer imperialen Lebensweise der globalen Mittelklasse, die überwiegend immer noch im Norden angesiedelt ist. Einer Lebensweise, die auf billige Rohstoffe und billige Arbeit anderswo angewiesen und nicht verallgemeinerbar ist, also nur einer privilegierten Minderheit vorbehalten bleiben muss. Schon 1996 hat das (des Linksradikalismus unverdächtige) Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie darauf hingewiesen, dass, wenn wir in Deutschland nur unseren gerechten Anteil an den Ressourcen des Planeten nutzen wollen, unser Energieverbrauch um 80 bis 90 Prozent sinken muss. Bundeskanzler Scholz behauptet selbst 26 Jahre später unverdrossen, die Klimaziele seien nicht durch Verzicht zu erreichen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Quelle      :          TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —   El papa Francisco en el papamóvil durante la JMJ de 2013

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, Sozialpolitik, Umwelt | Keine Kommentare »

Lücken im Gesetz

Erstellt von Redaktion am 30. Januar 2023

Neues Lieferkettengesetz

Ein Debattenbeitrag der Gastkommentarin  JULIANE KIPPENBERG

Ausgerechnet Deutschland will zertifizierte Unternehmen nicht für Fahrlässigkeit haften lassen. Doch auch die Zertifikate selbst sind problematisch.

Anfang des Jahres ist das Lieferkettengesetz in Deutschland in Kraft getreten – ein wichtiger Schritt, um Menschenrechte in globalen Lieferketten zu schützen. Aber das Gesetz hat einen entscheidenden Schwachpunkt: Ihm fehlt eine Regelung, nach der Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen haften, die sie durch Missachtung ihrer Sorgfaltspflichten verursacht haben.

Das in der Europäischen Union geplante Lieferkettengesetz, das 2023 in die entscheidende Phase der Verhandlungen kommt, soll laut Entwurf der EU-Kommission weitergehen und Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen haftbar machen. Doch ausgerechnet Deutschland setzt sich für eine massive Verwässerung ein. Die Bundesregierung plädiert nämlich dafür, dass Unternehmen, die zertifiziert sind, von der Haftung für Fahrlässigkeit ausgenommen werden.

Sozialaudits, Prüfungen der Richtlinien und Norm­anforderungen, und Zertifizierungssyste­me haben in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen; jedoch zeigt sich immer wieder, dass Audits für Zertifizierungen nicht selten gravierende Probleme übersehen oder missachten. So können sich Unternehmen mit Zertifizierungen und Siegeln schmücken, obwohl sie sich fahrlässig oder unverantwortlich verhalten.

Ein Fall aus Brasilien illustriert dies: Am 25. Januar 2019 brach der Staudamm einer Eisenerzmine in Brumadinho, mehrere Millionen Kubikmeter giftiger Minenschlamm töteten mindestens 270 Menschen. Nur vier Monate zuvor hatte das brasilianische Tochterunternehmen des deutschen Zertifizierers TÜV SÜD den Damm für stabil erklärt. Das Bergbauunternehmen hatte die Prüfer unter Druck gesetzt, die Sicherheit des Staudamms trotz offensichtlicher Risiken zu bescheinigen. Das ergab eine Untersuchung durch den brasilianischen Kongress.

Schlupfloch „Safe Harbour“

Ende 2022 hat sich der Ministerrat der Europäischen Union auf eine gemeinsame Position für das EU-Lieferkettengesetz geeinigt. Deutschland hatte sich im Vorfeld für eine „Safe Harbour“-(Sicherer Hafen)-Klausel eingesetzt. Diese würde die zivilrechtliche Haftung für Unternehmen abschwächen, die sich an freiwilligen Branchen- oder Industrieinitiativen beteiligen. Der Vorschlag stieß auf wenig Gegenliebe bei den anderen EU-Staaten und wurde schließlich abgelehnt.

Damit ist das Thema indes nicht vom Tisch: In einer vertraulichen Protokollnotiz hat die Bundesregierung angemerkt, dass sie weiter an ihrer Forderung festhält und beabsichtigt, dem Gesetz in den entscheidenden Verhandlungen am Ende des EU-Gesetzgebungsprozesses nicht zuzustimmen, wenn es keine „Safe Harbor“-Regelung beinhaltet. Damit stellt die Bundesregierung die Interessen von Unternehmen über die der Opfer von Rechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten – und bricht Wort mit dem Bekenntnis des Koalitionsvertrags zu einem wirksamen Lieferkettengesetz.

2013 savar building collapse02.jpg

Die zivilrechtliche Haftung ist ein wichtiges Mittel, mit dem Betroffene vor nationalen Gerichten in Europa ihr Recht einklagen können und mit dem Katastrophen, wie sie in Brasilien geschehen ist, verhindert werden können. Aber sie muss auch für Unternehmen gelten, die auditiert und zertifiziert sind. Audits haben oft massive Mängel: Sie werden innerhalb weniger Tage vorgenommen, sind oft oberflächlich und geben keine Gelegenheit zu vertieften Untersuchungen oder vertraulichem Kontakt mit Betroffenen.

Wenn Firmen die Audits selbst bezahlen, besteht die Gefahr, dass „wohlgesonnene“ Prüfer den Auftrag bekommen. In einigen Fällen haben Firmen darauf gedrängt, dass Auditberichte geschönt und Informationen über unternehmerisches Fehlverhalten weggelassen wurden. Hunderte von Menschen sind bei vermeidbaren Katastrophen an Arbeitsplätzen ums Leben gekommen, an denen zuvor Sozialaudits und Zertifizierungen vorgenommen wurden.

Der Dammbruch in Brumadinho in Brasilien ist nur ein Beispiel. Ein Fabrikbrand bei Ali Enterprises in Pakistan im Jahr 2012 und der Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch im Jahr 2013 sind weitere Beispiele für verheerende Tragödien an Standorten, die geprüft oder zertifiziert wurden. Kinderarbeit und andere gravierende Menschenrechtsverletzungen werden ebenfalls von Audits sehr häufig nicht aufgedeckt – unter anderem weil Audits oft nur ein paar Tage lang sind.

160 Millionen Kinder arbeiten

Quelle         :       TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —     Khaleda was working in the Rana Plaza building when it collapsed on 24 April 2013. “There were 10 to 12 of us trapped under the rubble, we thought that we were going to die,“ says Khaleda. „We were saying goodbye to each other. I was rescued from the collapse after being buried for 16 hours.“ Khaleda was treated for her injuries and later on received rehabilitation support from the UK aid funded Centre for the Rehabilitation of the Paralysed (CRP). She was also able attend a 3-month vocational skills training by the UK funded ILO programme and now works as a dress maker. “I want to open my own tailoring shop in the future; ultimately I would like to become self-employed. After the training, my confidence has increased and I have enough courage and experience to manage a shop.” For more details of the UK’s work on improving safety and working conditions in the ready made garment sector in Bangladesh read our news story: www.gov.uk/government/news/rana-plaza-one-year-on-uk-aid-… Picture: Narayan Debnath/DFID

Abgelegt unter Asien, Debatte, Gewerkschaften, Positionen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Zu Armut+Weltkriegsgefahr

Erstellt von Redaktion am 20. Januar 2023

Rationierung der Arbeiterklasse und die Politik des Burgfriedens

Quelle:    Scharf  —  Links

Von  :  Von Iwan Nikolajew

  1. Prolog

Die Krise ist nicht mehr zu verdrängen. Der antirussische transatlantische Wirtschaftskrieg des deutschen Imperialismus ist gescheitert und schlägt auf ihn notwendig zurück. Dies war schon vor der Entfesselung eines antirussischen Wirtschaftskrieges absehbar und wurde dennoch ausgeblendet. Traditionell blendet der deutsche Imperialismus grundsätzlich die realen Kräfteverhältnisse aus, will mit dem Kopf durch Wand durchbrechen und scheitert jedes Mal an der Realität der Kräfteverhältnisse, glaubt die realen Kräfteverhältnisse ignorieren zu können bis er an ihnen seinen Meister findet.

  1. Ein neuer Versuch zum Griff nach der Weltmacht

Zwei Versuche des deutschen Imperialismus die Weltmacht zu ergreifen endeten mit verheerenden Niederlagen, die zweite noch größer als die erste. Doch immer überlebte der deutsche Imperialismus seine historischen Niederlagen, wurde nicht revolutionär gestürzt und reorganisierte sich wieder. Zwar war er nach der zweiten historischen Niederlage weit von der Weltmacht entfernt, konnte aber zu einem zentralen Bündnispartner des US-Imperialismus aufsteigen und wurde in das US-amerikanische transatlantische Bündnissystem, dessen originärer Ausdruck der NATO-Pakt ist, integriert. Das EU-Bündnis ist sekundär abgeleitet vom NATO-Pakt und reproduziert die US-Hegemonie in der gesamten imperialistischen Kette in sich selbst und damit auch das transatlantische Verhältnis. Die US-Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette wurde vom deutschen Imperialismus akzeptiert und zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Unter dem Schutz der US-Hegemonie konnte sich das deutsche Kapital einen großen Weltmarktanteil sichern, sicherte sich eine bedeutende ökonomische Funktion innerhalb der imperialistischen Kette indem es sich weigerte, an die Spitze vorzustoßen; die politische Unterordnung des deutschen Imperialismus unter dem hegemonialen US-Imperialismus machte erst die sozioökonomische Machtstellung des deutschen Kapitals möglich. Die hohe sozioökonomische Position des deutschen Imperialismus im Weltmarkt wurde durch eine politische Entmachtung erkauft und Politik ist konzentrierte Ökonomie. Jalta und Potsdam wurden dem deutschen Imperialismus aufgezwungen, solange, bis der deutsche Imperialismus innerlich akzeptierte. Zufrieden war der deutsche Imperialismus mit der US-Hegemonie und verteidigte diese US-Hegemonie in seinem eigenen Interesse. Was für den US-Imperialismus gut ist, daß ist auch für den deutschen Imperialismus gut. Dieses asymmetrische US-deutsche Bündnis bestimmt in letzter Instanz die Politik des deutschen Kapitals. Dies ging solange gut, wie der US-Imperialismus in der imperialistischen Kette seine Hegemonie behaupten konnte. Doch mit dem Ende der US-Hegemonie im Weltmarkt in neoliberaler Form, beginnen auch für den deutschen Imperialismus existentielle Probleme. Es fällt nicht nur dem US-Imperialismus schwer, seinen Abstieg vom Thron des Hegemons zu akzeptieren, sondern auch dem deutschen Imperialismus, dessen Kapital im wahrsten Sinn des Wortes von der US-Hegemonie in letzter Instanz profitiert hat. Aus eigenen materiellen Interessen schwört der deutsche Imperialismus dem US-Imperialismus Nibelungentreue, denn er kann sich eine eigenständige imperiale Existenz nicht mehr vorstellen, wird aber bei Strafe des Untergangs sich wieder fangen und den alten Sonderweg beschreiten.

Schon lange bewegt sich der US-Imperialismus auf einem Abwärtspfad. Spätestens mit dem Zusammenbruch der Börsenspekulation der 90er Jahre im Jahr 2000, dem Zusammenbruch des „neuen Marktes“, ist der US-Imperialismus als hegemonialer Imperialismus der imperialistischen Kette angeschlagen und seine Politik ist eine Flucht nach vorn. Die US-Mehrwertproduktion ist zu gering, die Pyramide des fiktiven Kapitals zu tragen. Spätestens seit Anfang des 21. Jahrhunderts ist der US-Imperialismus auf seiner Flucht nach vorn, die US-Mehrwertproduktion durch eine imperialistische Expansionspolitik mit Wert zu unterfüttern und damit den US-Dollar als Weltgeld. Diese Flucht nach vorn materialisierte sich in der Inszenierung des 11. September 2001 durch den US-Imperialismus als Vorwand für eine imperialistische Expansion in den Mittleren Osten (Operation Syriana) zur Kontrolle der strategischen Rohstoffe, vor allem Öl und Gas, welche den Wert des US-Dollar unterfüttern sollten. Immer auch war die „Operation Syriana“ nicht nur unmittelbar gegen die halbkolonialen Länder der Peripherie des Mittleren Ostens gerichtet, sondern auch mittelbar gegen den wieder langsamen aufsteigenden russischen Imperialismus und der aufstrebenden hochentwickelten Halbkolonie China; der 11. September 2001 war auch ein Präventivangriff gegen den russischen Imperialismus und gegen China. Jedoch scheiterte die „Neuordnung des Mittleren Ostens“ an dem Widerstand der Peripherie, aber vor allem an dem Widerstand des russischen Imperialismus und Chinas. Auf den Schlachtfeldern des Irak und Syriens mußte der US-Imperialismus deutliche Niederlagen akzeptieren. Ein tendenzieller Rückzug des US-Imperialismus aus dem Mittleren Osten und Zentralasiens setzte ab 2017 ein, der nicht mit einer Kapitulation des US-Imperialismus zu verwechseln ist. Lediglich gruppierte sich der US-Imperialismus um, vom Mittleren Osten dichter an Rußland und China heran (Ukraine und Taiwan). Jedoch scheiterte der US-Imperialismus mit seinem Rückzug aus Afghanistan, der sich in eine wilde Flucht verwandelte. Dies ist mehr als ein Fehler, sondern ein Zeichen der Schwäche und provoziert geradezu einen Angriff des russischen Imperialismus. Ein Rückzug kann akzeptiert werden, aber eine Flucht nicht. Die US-amerikanische Flucht aus Afghanistan, welche eine Flucht des NATO-Paktes nach sich zog, verbunden mit einer Neuformierung direkt gegen die Interessen des russischen Imperialismus (Ukraine), bzw. Chinas (Taiwan); die Transformation der indirekten Auseinandersetzung zwischen den transatlantischen Metropolen und Rußland, sowie China zu einer direkten Auseinandersetzung, führen zur gegenwärtigen Eskalation, welche schnell in den Dritten Weltkrieg führen kann. Die Flucht nach vorn ist dem US-Imperialismus nun versperrt. Es prallt der US-Imperialismus nun auf die Mauer des russischen Imperialismus und Chinas, denn das Umgehen dieser Mauer durch die Expansion in den Mittleren Osten ist gescheitert und damit auch, Rußland und China gegeneinander auszuspielen. China und Saudi-Arabien werden zu großen Teilen ihre Ölgeschäfte in Yuan abwickeln und China lädt im Dezember 2022 die ölproduzierenden Staaten ein, den Ölhandel in Yuan an der Börse in Shanghai abzuwickeln. Schritt für Schritt geht der Petro-Dollar seinem Untergang entgegen und damit auch der US-Dollar als Weltgeld und somit auch der US-Imperialismus, der am US-Dollar hängt, da er in letzter Instanz die Verschuldung der USA in eigener Währung erlaubt. Umso mehr der US-Imperialismus notwendig gezwungen ist die direkte Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus zu suchen, die direkte Auseinandersetzung mit China zu suchen, desto mehr nähern sich Rußland und China an, denn zusammen sind Rußland und China stärker als die USA mit ihren transatlantischen Verbündeten, beginnen sich immer deutlicher gegen den transatlantischen Imperialismus zu verbünden. Weder die USA, noch Rußland oder China können sich die Konfrontation freiwillig aussuchen; diese Konfrontation wird ihnen vom Wertgesetz aufgeherrscht. Es kann nur einen Hegemon geben, aber nicht derer zwei oder mehr. Ebensowenig kann der Kampf um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette ausgewichen werden. Das Scheitern des US-Imperialismus im Mittleren Osten mit der Operation Syriana führt nur zu einer Eskalation auf der höheren Ebene der unmittelbaren imperialistischen Konfrontation. China ist zwar militärisch erstarkt, aber immer noch dem US-Imperialismus unterlegen und bedarf des militärischen Schutzes durch den russischen Imperialismus, vor allem den atomaren russischen Schutzschirm, um sich militärisch gegen den US-Imperialismus zu behaupten. Zwar hat China quantitativ-ökonomisch in einigen Kennzahlen den US-Imperialismus überholt, jedoch kann China militärisch nicht mit den USA gleichziehen. Ohne den militärischen Schutz des russischen Imperialismus wäre schon längst ein US-amerikanischer „Präventivkrieg“ gegen China erfolgt. Je enger sich Rußland und China verbünden, desto größer ist die Abschreckungswirkung gegenüber dem wild um sich schlagenden US-Imperialismus, denn das Scheitern des US-Imperialismus im Mittleren Osten und Zentralasien in der Frage der Kontrolle der strategischen Rohstoffe und die russisch-chinesische Mauer gegen den US-Imperialismus verunmöglichen die Unterfütterung des US-fiktiven Kapitals mit Wert. Wird das fiktive US-Kapital nicht mit Wert unterfüttert, wird es sich notwendig entwerten und die Entwertung des fiktiven Kapitals wird auf die Entwertung des mehrwertheckenden Kapitals übergreifen, von den USA auf den gesamten Weltmarkt. Entweder der US-Imperialismus als hegemonialer Imperialismus implodiert in der Entwertung von Kapital oder er explodiert in der Flucht nach vorn in einem Dritten Weltkrieg gegen Rußland und China. Bis jetzt kann sich der US-Imperialismus nicht entscheiden und läuft verzweifelt und wild um sich schlagend umher, weiß nicht ein und weiß nicht aus, sucht den nichtexistierenden Ausweg. Diese konkrete Situation konzentriert sich in der Ukraine und in Taiwan. Der US-Imperialismus lenkt seinen inneren Druck nach außen, denn im Inneren steht die USA kurz vor dem Bürgerkrieg zwischen einer neoliberalen Fraktion des Kapitals und der nationalliberalen Fraktion innerhalb der herrschenden Klasse. Die Situation ist in den USA sehr angespannt und diese Spannung und dieser Druck übersetzt sich die aggressive US-Außenpolitik, die das Resultat einer verzweifelten Flucht nach vorn ist. Über die aggressive Außenpolitik versucht der US-Imperialismus die USA im Inneren zu Befrieden und muß notwendig nach Innen und Außen scheitern.

Für den US-Imperialismus sind Rußland und China „Schurkenstaaten“, bzw. Feindstaaten, weil sie die Hegemonie des US-Imperialismus bedrohen, damit ist dann der Krieg, in welcher Form auch immer, von Seiten des US-Imperialismus legitimiert. Feind bedeutet Krieg. China und Rußland werden zu Feinden erklärt und damit auch jede Opposition, welche sich dagegen ausspricht, denn sie sind dann der „innere Feind“. Jede Feinderklärung an einen „äußeren Feind“ ist gleichzeitig eine „Feinderklärung“ an den „inneren Feind“. Wer sich der Feindschaft verweigert, ist dann ebenfalls der „Feind“ oder: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Dies gilt auch für den deutschen Imperialismus, welcher sich aus eigenen Interessen der Politik des US-Imperialismus anschließt, dessen Politik sich nicht auf die Politik des US-Imperialismus reduzieren läßt, denn der deutsche Imperialismus sieht seine Position durch das Wiedererstarken des russischen Imperialismus ebenfalls gefährdet. Zusammen mit dem US-und britischen Imperialismus eskaliert der deutsche Imperialismus als dominante Macht innerhalb des EU-Bündnisses den Ukraine-Konflikt, ist aber nicht Herr dieses Bündnisses. In letzter Instanz entscheidet der US-Imperialismus, d.h. der deutsche Imperialismus ist selbstständig aus eigenen Interessen in diesen Konflikt eingetreten, kann aber aus diesen Konflikt nicht mehr alleine und selbständig austreten, ist in dieser Frage an den US-Imperialismus gekettet. Einen deutsch-russischen Sonderfrieden im transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieg wird es nicht ohne weiteres, ohne einen Bruch mit dem US-Imperialismus, geben. Die Sprengung der Nord-Stream I und Nord-Stream II-Pipelinestränge, außer einem Strang, durch den US-Imperialismus, macht eine schnelle Beendigung der Energiekrise und des transatlantischen Wirtschaftskrieges unmöglich, bzw. erschwert einen solchen deutsch-russischen Wirtschaftsfrieden. Während der US-Imperialismus zwei Wirtschaftskriege führt, einen gegen den russischen Imperialismus und einen gegen den deutschen Imperialismus, führt der deutsche Imperialismus nur einen Wirtschaftskrieg-gegen den russischen Imperialismus, der wiederum ebenfalls zwei Wirtschaftskriege führt, einen gegen den US-Imperialismus und einen gegen den deutschen Imperialismus. Ohne mit dem US-Imperialismus zu brechen, kann es keine deutsch-russische Verständigung geben und so bleibt die transatlantische Nibelungentreue zum US-Imperialismus erhalten, denn das deutsche Kapital scheut das Risiko eines offenen Bruchs mit dem US-Imperialismus. Erst dann wird es sich vielleicht ändern, wenn die Not auch in Deutschland zum Bürgerkrieg treibt und/oder die reale politische innere Blockade des US-Imperialismus verstärkt sich mit den Zwischenwahlen im November 2022 in den USA, treibt die USA in Richtung Bürgerkrieg, so daß der US-Einfluß abnimmt und der deutsche Imperialismus alleine dem russischen Imperialismus gegenübersteht. Das wäre dann ein „kalter Bruch“ des US-Imperialismus mit dem deutschen Imperialismus. Auf sich allein gestellt, ist der deutsche Imperialismus zu schwach, um sich mit dem russischen Imperialismus zu konfrontieren und muß erst einmal eine Verständigung mit dem russischen Imperialismus suchen, um aufzurüsten. Der deutsche Imperialismus ist immer mehr auf sich allein gestellt und weiß nicht wohin, verfällt tendenziell in Orientierungslosigkeit.

Aber auf jeden Fall ist für das deutsche Kapital die Arbeiterklasse der zentrale Feind. Umso widersprüchlicher die Weltmarktsituation des deutschen Kapitals, desto mehr versucht das Kapital sich an der Arbeiterklasse schadlos zu halten. Eine Schockpolitik gegen die Arbeiterklasse wird eingeleitet. Über die Schockpolitik soll das Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse qualitativ abgesenkt werden. Eine Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, vermittelt über die Neuzusammensetzung des Kapitals, steht an. Die bisher gemachten Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus stehen damit zur Disposition. Ob nun die transatlantische Fraktion innerhalb der herrschenden Klasse die Oberhand behält oder die deutschnationale Fraktion sich durchsetzt, ändert für die Arbeiterklasse kein Jota. Das Kapital als Ganzes fordert den Verzicht von der Arbeiterklasse und das Gesamtinteresse des Kapitals steht höher als die interfraktionellen Widersprüche innerhalb der herrschenden Klasse. Die Schockpolitik des Kapitals gegen die Arbeiterklasse konkretisiert sich im Energienotstand. Die qualitative Erhöhung der Energiepreise treiben die inflationären Tendenzen an und so werden die Reallöhne qualitativ abgesenkt, ebenso die sozialen Transfereinkommen. Das Kapital versucht tendenziell die hohen Energiepreise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, kann dies aber nur teilweise durchsetzen. Ein gewaltiger Nachfrageeinbruch ist die Folge und verhindert eben die vollständige Überwälzung der Preise auf die Arbeiterklasse. Eine deflationäre Tendenz bricht sich langsam Bahn, das Kapital entwertet sich, denn es ist in einem Zweifrontenkrieg gefangen. Hohe Energiekosten auf der einen Seite-einen drastischen Rückgang der Nachfrage auf der anderen Seite. Die Zahl der Konkurse und Massenentlassungen schnellt nach oben. Der „plötzliche“ antirussische Wirtschaftskrieg ist auch für das Gesamtkapital des deutschen Imperialismus ein Problem, denn er verstärkt schockartig die schon vorhandenen Entwertungstendenzen. Mit den „normalen“ Mitteln kann die Akkumulation nicht mehr gewährleistet werden. Es bedarf eines Energienotstandes. Schon die Drohung mit dem Energienotstand kennzeichnet den Beginn des Energienotstandes. Wenn das deutsche Kapital Energiemangel leidet, dann erst Recht die Arbeiterklasse und dort vor allem die Bezieher sozialer Transferleistungen. Die Arbeiterklasse soll Energie sparen, damit die Akkumulation von Kapital nicht behindert wird. Rationierung im Kapitalismus erfolgt erst einmal unmittelbar über das Wertgesetz. Ein steigender Energiepreis rationiert deutlich, bis keine Energie mehr verbraucht wird und die Häuser im Winter dunkel und kalt werden, bzw. jede Nachfrage nach anderen Waren eingestellt wird. Erst wenn massenhafter sozialer Absturz droht, wird der bürgerliche Staat intervenieren und über diesen setzt sich das Wertgesetz dann mittelbar durch. Dann rationiert der bürgerliche Staat die Energiezufuhr und jeder erhält nur eine Ration an Energie zugeteilt, die nicht ausreichend ist. Der Mangel wird tendenziell gleichverteilt, um die Möglichkeit von Revolten zu reduzieren. Jedoch kann die Rationierung letztlich keine Revolten verhindern, denn die tendenzielle Gleichverteilung des Mangels verhindert nur kurzfristig grobe Ungleichgewichte und Revolten, langfristig macht sie jedoch eine allgemeine Revolte möglich. Ob Rationierung der Energiezufuhr durch das Wertgesetz oder durch den bürgerlichen Staat- es ist immer eine Rationierung auf Kosten der Arbeiterklasse zugunsten der Akkumulation von Kapital. Eine Rationierungspolitik ist in einer parlamentarisch-demokratischen Form des bürgerlichen Staates nicht zu realisieren. Es bedarf des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus). Nicht „Demokratie“ etc. steht dann im Vordergrund, sondern die „nationale Sicherheit“. Im Namen der „nationalen Sicherheit“ wird die Energiezufuhr rationiert und diese Rationierung der Arbeiterklasse gegen die Arbeiterklasse repressiv umgesetzt. Der Energienotstand ist dann eben undemokratisch, dafür aber verteidigt der Notstandsstaat die „nationale Sicherheit“ gegen den „äußeren Feind“, wie den „inneren Feind“. Immer mehr erwähnt das Kapital den Begriff Krieg bzw. Kriegszustand und bezieht diesen objektiv auf den transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieg. Ein Kriegszustand ist ein Ausnahmezustand, ist ein Notstand, da ist dann das parlamentarisch-demokratische System für die Dauer des Krieges mehr oder minder suspendiert, ebenso wie die parlamentarisch-demokratische Klassenjustiz. Die Klassenjustiz der bürgerlichen Gesellschaft geht im Ausnahmezustand zur Sonderjustiz über und letztlich zum Kriegsrecht, denn das Kriegsrecht ist das auf den Begriff gebrachte Feindrecht. Und im Kriegsrecht ist jedes parlamentarisch-demokratische Recht ausgelöscht, bzw. es tritt ein „Rechtsstillstand“ für die Dauer des Ausnahmezustandes ein. Im Ausnahmezustand bzw. „Ernstfall“ herrscht nur noch die Staatsräson und diese kennt keine juristischen Grenzen mehr, dann erst ist der bürgerliche Staat von dem Einfluß der Arbeiterklasse befreit, weil alle Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus zerstört. Carl Schmitt kleidete dies in die Worte: „Souverän ist der, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“. Noch sind wir nicht an diesen Punkt gelangt, aber wir marschieren auf diesen Punkt zu. Es kommt nur der Arbeiterklasse zu, diesen Marsch auf diesen Punkt zu verhindern.

Nicht der antirussische, transatlantische Wirtschaftskrieg erschafft die Krise, die Rezession, sondern es ist umgekehrt. Die Krise, die Große Krise seit den Jahren 2007/2008, ist es, welche die materiellen Grundlagen und die Notwendigkeit des antirussischen, transatlantischen Wirtschaftskrieges legt. Überwunden wurde die Weltwirtschaftskrise nie, man versuchte sie abzumildern, zu verwalten, doch die gesellschaftliche Urgewalt des Wertgesetzes läßt sich nicht steuern. Umso mehr die Entwertung von Kapital im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate als durchschnittliche Bewegungsform des Kapitals unterdrückt wird, desto härter wird letztlich die nicht abwendbare Entwertung von Kapital ausfallen. Das Jahr 2019 stellt die Grenze des neoliberalen Krisenmanagements dar, denn dies Jahr ist geprägt von weltweiten proletarischen und kleinbürgerlichen Revolten und von einem scharfen Einbruch im fiktiven Kapital, im Segment des Repromarktes. Ein weiter so war nicht mehr möglich und die wertgesetzrationale Entwertung des Kapitals beginnt sich Ende 2019 zu realisieren, auch der deutsche Imperialismus beginnt in die Rezession abzurutschen und es steht damit eine Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse an und damit die Eskalation der immanenten Widersprüche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Die „Corona-Krise“ ist der materielle Ausdruck der Eskalation der imanenten Widersprüche des kapitalistischen Produktionsverhältnisses. Durch die notwendige Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, wurde biochemischer Kampfstoff niedrigschwelliger Art durch einen Unfall oder bewußt freigesetzt. Sofort ging jeder kapitalistische Nationalstaat in den Zustand der „Selbstverteidigung“ über, interpretierte die Freisetzung eines niedrigschwelligen biochemischen Kampfstoffes als einen Angriff auf seine „nationale Sicherheit“, nicht aber als eine normale Pandemie. Die Corona-Pandemie wurde von der Bourgeoisie weltweit als „Ernstfall“ eingestuft, als ein militärisches oder paramilitärisches Ereignis und wurde auch so gekontert- mit einem weltweiten Notstand. Eine zivile Pandemiebekämpfung wurde nur in Ausnahmefällen in Betracht gezogen, die Mehrheit der bürgerlichen Staaten präferierte den Notstand. Nicht die Corona-Pandemie trägt die Schuld an dieser Entwicklung, sondern sie legte nur die bis dahin verdeckte Krise offen, deckte nur das Mißtrauen der kapitalistischen Staaten untereinander auf, d.h. die eskalierende internationale Konkurrenz auf dem Weltmarkt und hob die schon vorhandenen Krisentendenzen auf eine höhere Stufenleiter. Der „Corona-Notstand“ war die Standardantwort des Kapitals auf die Corona-Pandemie bzw. auf die „Corona-Krise“. In der „Corona-Krise“ wurde die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse auf eine höhere Stufenleiter gehoben und damit auch die immanenten Widersprüche des kapitalistischen Verwertungsprozesses und somit die „Corona-Krise“ forciert. Diese „Corona-Krise“ war nur der Anfang und nicht das Ende eines historischen Prozesses zur Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, sowie der Krisenschub des Jahres 2019 nicht das Ende der Großen Krise war. Die „Corona-Krise“ war nur der Beginn der finalen Krise der Großen Krise und löste neue Krisenschübe der Großen Krise aus, welche die immanenten kapitalistischen Widersprüche weiter zuspitzten und nah an den Dritten Weltkrieg führen. Vorerst entladen sich die kapitalistischen Widersprüche in einem Weltwirtschaftskrieg, dessen Zentrum derzeit der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg ist. Der Weltwirtschaftskrieg kann schnell sich verselbständigen und in den Dritten Weltkrieg hinüberwachsen, bzw. der Dritte Weltkrieg wäre die Fortsetzung des Weltwirtschaftskrieges mit anderen Mitteln. Auch mit militärischen Mitteln deglobalisiert bzw. entflechtet sich der Weltmarkt und es entstehen imperialistische Blöcke, welche um einen konkreten Hegemon zentriert sind und in scharfer Konkurrenz zueinanderstehen. Die Weltmarktkonkurrenz des multipolaren Weltmarktes ist eine Konkurrenz der imperialistschen Blöcke, eine Konkurrenz der imperialistischen „Großräume“ um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette. Der Wirtschaftskrieg, der Weltwirtschaftskrieg, ist die vorherrschende Form der Weltmarktkonkurrenz im multipolaren Weltmarkt. Nicht nur von Rußland wird sich der deutsche Imperialismus entflechten, sondern auch im zweiten Schritt von China und dies alles auf Kosten der Arbeiterklasse. Und im dritten Schritt wird sich auch der deutsche Imperialismus von den USA entflechten müssen, denn dieser kann dem deutschen Imperialismus nicht mehr viel bieten und erst Recht keinen „Schutz,“ der deutsche Imperialismus wird sich selbst „schützen“ müssen. Ein gefallener Hegemon nutzt dem deutschen Kapital nichts. Das Schicksal des US-Imperialismus entscheidet sich auf den Schlachtfeldern der Ukraine und gleichzeitig entscheidet sich dort das Schicksal des deutschen Imperialismus. Entweder Absturz zusammen mit dem US-Imperialismus oder Aufbruch auf den deutschen Sonderweg. Die Arbeiterklasse kämpft um ihre eigenen Klasseninteressen, gegen die transatlantische und nationalliberale Tendenz gleichzeitig. Der Feind steht im eigenen Land! Die eigene Bourgeoisie ist der Feind! Das Proletariat lehnt den imperialistischen Krieg ab, wie auch den Wirtschaftskrieg, denn die Kosten des imperialistischen Krieges und des Wirtschaftskrieges werden auf die Arbeiterklasse übergewälzt. Konkret lehnt die Arbeiterklasse den transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieg ab, wie auch die Aufrüstung der Ukraine, die EU und die NATO.

Auch auf den Schlachtfeldern der Ukraine und auf den möglichen Schlachtfeldern auf „Taiwan“ wird die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse ausgekämpft, beginnt sich der multipolare Weltmarkt, die multipolare Weltordnung, zu organisieren. Zentral jedoch wird der Stellvertreterkrieg um die Ukraine zwischen Rußland und den transatlantischen Metropolen nicht militärisch ausgetragen, sondern im Wirtschaftskrieg, denn die transatlantischen Metropolen, in EU und NATO vereint, sind militärisch zu schwach und nicht auf einen militärischen Krieg vorbereitet, im Gegensatz dazu der russische Imperialismus. Es bleibt also den transatlantischen Metropolen nur die Wahl zwischen einem Atomkrieg, der mit einem konventionellen Krieg eingeleitet wird oder einem Wirtschaftskrieg. So verlegten sich die transatlantischen Metropolen auf den Wirtschaftskrieg, weil sie glaubten, die könnten Rußland rasch in die Knie zwingen. Doch das genaue Gegenteil geschah. Statt Rußland gingen und gehen die transatlantischen Metropolen in die Knie; der antirussische Wirtschaftskrieg zerrüttet die sozioökonomische materielle Basis der transatlantischen Metropolen und setzt nationalistische Kräfte frei, welche das transatlantische Bündnissystem mit seinem Zentrum aus NATO und EU, in Frage stellen. Wenn die Arbeiterklasse sich nicht deutlich ihren Klasseninteressen gemäß organisiert, ist sie nur das Objekt, das Ausbeutungsobjekt für das Kapital und wird von diesem passiv einer Neuzusammensetzung unterzogen, auch vermittels Krieg. Der Krieg ist nur ein Moment zur Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, ein Moment von vielen Momenten. Es kommt darauf an, daß die Arbeiterklasse in die Offensive geht, sich dabei einer Neuzusammensetzung unterzieht und das kapitalistische Produktionsverhältnis stürzt, das Kapitalverhältnis eben keiner Neuzusammensetzung unterzieht, sondern seiner konkreten Negation zuführt. Geschieht dies nicht, beginnt das Kapital sich neuzusammenzusetzen und die Arbeiterklasse unter seinen Verwertungszwang zu subsumieren.

Das Kapital muß die Arbeiterklasse präventiv desorganisieren, um den proletarischen Widerstand gegen die Rekonstruktion der Verwertungsbedingungen so klein wie möglich zu halten. Im „Corona-Notstand“ wurde die räumliche „Distanzierung“ eingeübt, welche auch notwendig tendenziell zur „sozialen Distanzierung“ führt und somit auch tendenziell zur „politischen Distanzierung“, d.h. über den „Corona-Notstand“ wurden die sozialen und politischen Beziehungen gelockert, das bisherige neoliberale Verhalten aufgebrochen und desorientiert. In die Klassenbeziehungen intervenierte der bürgerliche Staat immer deutlicher und begann nach dem Notstandsprinzip die Klassenbeziehungen neu zu ordnen. Dem Notstandsprinzip unterwarf sich auch bereitwillig die Gewerkschaftsbürokratie des DGB und setzte ebenfalls die Waffe „soziale Distanzierung“ gegen ihre Basis ein. Mit der „Corona-Krise“ nahm auch die Entfremdung zwischen Gewerkschaftsbürokratie und Gewerkschaftsbasis weiter zu, wie auch in den Betrieben zwischen Gewerkschaftsbürokratie und Betriebsräten, zwischen Betriebsräten und der Belegschaft. Alleine über die Technik, über das Internet, läßt sich die erfolgte „soziale Distanzierung“ nicht aufheben. Es gibt keinen Ersatz für die politische Meinungsbildung in Präsenz, im Gegenteil: die Entfremdung im Kapitalismus wird durch die „räumliche“ Distanzierung graduell vergrößert. Die Arbeiterklasse distanziert sich im „Corona-Notstand“ objektiv von der Gewerkschaft und die Gewerkschaftsbürokratie von ihrer Basis, wie der Betriebsrat von der Gewerkschaft und die Belegschaft vom Betriebsrat. Über die Zugangskontrollen, Zugangsbeschränkungen, Fixierung von räumlichen Abständen zwischen Personen, Vorschrift des Mundschutzes in Innenräumen und außerhalb von Innenräumen etc. wurde das bisherige normale Verhalten der Arbeiterklasse und die Kommunikation innerhalb der Arbeiterklasse zerstört und eine Notstandsnormalität gesetzt, welche als „neue Normalität“ bezeichnet wurde. Willkürlich wurde der „Corona-Notstand“ mal erweitert, mal reduziert und gekrönt mit einer Zwangsimpfung eines nur im Notmodus zugelassenen Impfstoffes, d.h. der Impfstoff hat niemals die reguläre und vorgeschriebene Testphase durchlaufen. All dies ist Rationierung. So wurde auf leisen Sohlen die Arbeiterklasse auf Akzeptanz der Rationierung ausgerichtet.

Desorganisation der Arbeiterklasse bedeutet gleichzeitig Ausdehnung des Handlungsspielraums des bürgerlichen Staates in Notstandsform, welcher dann die Vermittlung der verschiedenen Interessen in der bürgerlichen Klassengesellschaft wahrnimmt, statt daß die bürgerliche Gesellschaft dieses aus sich selbst heraus herstellt. Statt einer demokratischen und freiwilligen Vermittlung der unterschiedlichen Interessen in der bürgerlichen Klassengesellschaft, wird nun vom bürgerlichen Notstandsstaat dies autoritär geleistet. Über die Atomisierung der Klasse in den Betrieben und außerhalb den Betrieben setzt das Kapital und damit auch der bürgerliche Staat als ideeller Gesamtkapitalist die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse durch die Neuzusammensetzung des Kapitals von oben, hierarchisch vom individuellen und kollektiven Kapitalkommando ausgehend in digitaler Form durch. Erst die ökonomische, soziale und politische Atomisierung der Arbeiterklasse durch das Kapital im „Corona-Notstand“ schafft die materielle Basis für die kapitalistische Vergesellschaftung der Arbeit in digitaler Form. Eine digital geprägte und gesteuerte Neuzusammensetzung der Arbeit der Arbeiterklasse durch das gesellschaftliche und individuelle Kapitalkommando stellt zwangsweise die kapitalistische Vergesellschaftung der Arbeit her, eine Vergesellschaftung gegen die Arbeiterklasse. Eine autonome proletarische Vergesellschaftung der Arbeit durch die Arbeiterklasse soll somit präventiv verhindert werden, der proletarische Eigensinn und die proletarische Eigeninitiative durch digitale Kontrolle und Disziplinierung bekämpft werden. Nicht die Arbeiterklasse vergesellschaftet sich digital, sondern wird vom Kapital digital vergesellschaftet. Mit der „Corona-Krise“ beginnt eine Epoche des autoritären Kapitalismus. In letzter Instanz entscheidet der Notstandsstaat. Alle gesellschaftlichen Regelungen müssen das Wohlwollen des bürgerlichen Notstandsstaates finden. Jede Entscheidung ohne den bürgerlichen Staat, ist aus Sicht des Notstandsstaates eine Entscheidung gegen die „nationale Sicherheit“ und damit ein Angriff auf den „Staat“. Die SARS-Corona-Pandemie wurde vom bürgerlichen Staat, von der Bourgeoisie, nicht als ein zivil-medizinisches Problem angesehen, sondern als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ und wurde somit über den Notstand militärisch bzw. paramilitärisch bekämpft. Dies impliziert auch, daß jeder Widerstand gegen eine autoritäre Politik der „nationalen Sicherheit“ als „Feind“ bekämpft wird. Es wurde und wird nicht nur ein „Krieg“ gegen das Virus geführt, sondern gleichzeitig ein „Krieg“ gegen jeden, der den „Krieg“ gegen das Virus nicht akzeptierte, denn dessen Verhalten gibt der Ausbreitung des SARS-Corona-Virus Raum und ist damit ebenso der „Feind“ wie das „Corona-Virus“. Bei dem „Corona-Notstand“ ging es nie zentral um die Corona-Pandemie, sondern um die „nationale Sicherheit“, welche durch die Corona-Pandemie angeblich gefährdet wurde. Mit der Corona-Pandemie und dem „Corona-Notstand“ zog mit dem „Corona-Notstand“ das Paradigma der „nationalen Sicherheit“ ein. Jede Handlung, jedes Verhalten, wird durch die Brille der „nationalen Sicherheit“ bewertet. Die „neue Normalität“ ist die Normalität der „nationalen Sicherheit“. Wer von dieser „neuen Normalität“ abweicht, gefährdet die „nationale Sicherheit“ und ist damit ein „Feind“ und muß vernichtet werden. Im Namen der „nationalen Sicherheit“ erzwingt der Notstandsstaat Distanz, vor allem räumliche Distanz auch im kapitalistischen Produktionsprozeß, die mit mikroelektronischen Instrumenten überwacht wird. Jede Verringerung der räumlichen Distanz verlangt nach einer Genehmigung, wie erst Recht das Betreten des Betriebes (Impfpass als Zugangsberechtigung). Wer diesen repressiven Regeln negativ gegenübersteht ist ein „Feind“ und muß nicht nur räumlich, sondern auch sozial und politisch von den Massen isoliert werden. Es geht um Selektion des „Feindes“ aus der Gesamtheit der Arbeiterklasse oder der Gesamtbevölkerung bzw. der Volksgemeinschaft-formiere Gesellschaft. Die Arbeiterklasse soll sich voneinander distanzieren und atomisieren. Auf diese Weise werden die proletarischen Massenorganisationen zerstört, welche die schärfsten Waffen der Arbeiterklasse im Klassenkampf sind. Über die „Politik der Distanzierung“ werden die sozialen und damit auch folgend politischen Beziehungen in der Arbeiterklasse dermaßen aufgelockert, daß der bürgerliche Staat in Notstandsform in dieses soziale und politische Vakuum vorstoßen und seine Notstandsregulierungen realisieren kann, d.h. der bürgerliche Staat in Notstandsform formt sich seine Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft und somit wird die „Neue Normalität“ die Normalität der „nationalen Sicherheit“ und damit des Notstands.

Der „Energienotstand“ ist nur die Fortsetzung des „Corona-Notstands“ mit anderen Mitteln. Im Energienotstand tritt die Rationierung deutlicher als im „Corona-Notstand“ hervor. Es wird die Temperatur in den Innenräumen rationiert, erst einmal in den Betrieben, später vielleicht auch in den Haushalten. Der bürgerliche Staat fordert zum Energiesparen auf und bereitet umfassende Energierationierungen im Bereich Gasversorgung und Strom vor und damit letzlich in der gesellschaftlichen Produktion und Distribution. Auch die Nahrungsmittelversorgung und die Gesundheitsversorgung sind davon betroffen. Über die Energierationierung ist auch der Nahrungsmittelsektor, wie der Gesundheitssektor rationiert. Für den Gesundheitssektor heißt dies Exekution der Triage, d.h. nicht die schwersten Krankheiten oder Verletzungen werden sofort behandelt, sondern im Gegenteil, die rationierten Ressourcen werden auf die nicht schwer Erkrankten oder Verletzten konzentriert, womit die Mehrheit eine gesundheitliche Versorgung erhält, eben auf Kosten der Gesundheit und des Lebens einer Minderheit, welche die Hilfe am nötigsten bräuchte. Eine Rationierung beendet nicht den Mangel, sondern verwaltet ihn nur; eine Rationierung rettet nicht jedes Leben, sondern opfert auch Leben, verurteilt auch durch Entzug von Hilfe Menschen zum Tode. Aber immer rationiert der bürgerliche Staat in Notstandsform zu Gunsten der Kapitalverwertung, niemals zu Gunsten der Arbeiterklasse. Das Gesamtkapital wird positiv rationiert-die Arbeiterklasse wird negativ rationiert. Der Notstandsstaat mit seiner Rationierung vertritt das Interesse des Gesamtkapitals gegen die Arbeiterklasse und seine Aufgabe ist es, die Arbeiterklasse in große Not und Verelendung zu stoßen, damit die Verwertung von Kapital gesichert ist. Es gilt für die Arbeiterklasse den Mangel zu beseitigen und nicht auf eine Verwaltung des Mangels zu drängen, denn die Verwaltung des Mangels ist die Verwaltung des Mangels der Arbeiterklasse zu Gunsten der Akkumulation von Kapital. Erst Recht der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) in der konkreten Form des Notstandsstaates vertritt tendenziell und graduell deutlicher das Klasseninteresse der herrschenden Klasse, da die Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus im Ausnahmezustand zerstört werden. Eine Politik der Rationierung durch den Notstandsstaat ist ein Großangriff des Kapitals auf die Arbeiterklasse, ist ein Teil des Problems, aber nicht Teil einer Lösung.

Die Rationierung des Energienotstands ist in den Notstandsgesetzen geregelt, gehört aber nicht zum Kern der Notstandsgesetze, die bisher niemals exekutiert wurden. Der äußere Ring der Notstandsgesetze bilden die Sicherstellungsgesetze bzw. Wirtschaftssicherstellungsgesetze. Es geht um die Sicherstellung von Energie, Sicherstellung der Produktion, Sicherstellung der Nahrungsmittel, Sicherstellung der Kommunikation, Sicherstellung der Gesunheitsversorgung, Sicherstellung des Transports etc. Sicherstellung ist nur ein verschleiernder Begriff für Rationierung und Rationierung ist ein wesentliches Moment einer Kriegswirtschaft. Die Sicherstellungsgesetze dienen der Umstellung von einer Friedenswirtschaft auf eine Kriegswirtschaft, können auch eine „friedensähnliche Kriegswirtschaft“ unterstützen. Im Gegensatz zu dem Kern der Notstandsgesetze wurden die Sicherstellungsgesetze bereits im Oktober 2001, nach den vom US-Imperialismus inszenierten Terror-Anschlägen in den USA, per NATO-Beschluß und damit einstimmig, aktiviert. Dieser NATO-Beschluß hat den „Spannungsfall“ ausgerufen und damit die Sicherstellungsgesetze aktiviert und kann nur wieder durch einen einstimmigen NATO-Beschluß zurückgenommen werden, was sehr unwahrscheinlich ist. Nur der Kern der Notstandsgesetze bedarf einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit, nicht aber die Sicherstellungsgesetze, denn sie beziehen sich auf den „Spannungsfall“, während der Kern der Notstandsgesetze sich auf den „Verteidigungsfall“ bezieht. Damit kann auf Basis der seit Oktober 2001 aktivierten Sicherstellungsgesetze die Rationierung im Falle eines Energienotstandes vorgenommen werden. Die geheimen Pläne der Rationierung gemäß den Sicherstellungsgesetzen können jederzeit umgesetzt werden. „Nationale Sicherheit“ und Notstandsgesetze sind auf sich bezogen und damit auch die Sicherstellungsgesetze als erste Stufe der Notstandsgesetze. Im Rahmen des Paradigmas der „nationalen Sicherheit“ gewinnt auch das Staatsgeheimnis, wie auch das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis an Bedeutung, welches die Atomisierung und die Isolierung der Arbeiterklasse voneinander noch verschärft. Es kann praktisch jede Äußerung in der Öffentlichkeit als Verletzung des Staatsgeheimnisses oder des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses angesehen werden und damit eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ sein. Im Notstandsstaat vermitteln sich das gesellschaftliche Kapitalkommando und das individuelle Kapitalkommando graduell stärker als in der Epoche des parlamentarisch-demokratischen Kapitalismus. Die Grenzen zwischen dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis auf der einen Seite und dem Staatsgeheimnis auf der anderen Seite beginnen zu verschwimmen, vor allem im Bereich der „kritischen Infrastruktur“, die sehr flexibel durch den bürgerlichen Staat bestimmt werden kann. Dort ist jeder vermeintliche Angriff auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis gleichzeitig ein Angriff auf das Staatsgeheimnis. Vor allem in der „kritischen Infrastruktur“ ist die Überwachung der Lohnarbeiter durch Kapital und bürgerlichen Staat groß und bezieht sich auch, wenn es sein muß, auf die Lieferanten und Konsumenten, auf die gesamte Lieferkette. Die formelle staatliche Sicherheitsüberprüfung kann über die gesamte Lieferkette/Wertschöpfungskette ausgedehnt werden. Mit einem polizeilichen/geheimdienstlichen Raster werden die Belegschaften nach „Sicherheitsrisiken“ bzw. „Sicherheitsrisikopersonen“ durchsucht und zwar immer regelmäßig und nicht nur bei Einstellung in das Unternehmen oder dem Staatsapparat. Üblich ist heute schon allgemein eine „wilde“ Sicherheitsüberprüfung, d.h. eine nicht staatlich autorisierte Sicherheitsüberprüfung durch Benutzung des Internets. Diese Sicherheitsüberprüfungen mit dem Ziel der Ermittlung von „Sicherheitsrisiken“, in welcher Form auch immer, werden mit dem Begriff der „kritischen Infrastruktur“ aufgewertet. Die Jagd auf „Betriebsfeinde“, „Staatsfeinde“, „Terroristen“ ist mit der Aufwertung von Sektoren zur „kritischen Infrastruktur“ eröffnet und es drohen Entlassungen und Berufsverbot, denn das Ziel der Sicherheitsüberprüfungen ist es, „Schwarze Listen“ von proletarischen Kernen zu erstellen, um die Betriebe von diesen „gefährlichen Elementen“ zu säubern. Jeder „Betriebsfeind“ ist ein potentieller „Staatsfeind“, jeder „Staatsfeind“ ist ein potentieller „Betriebsfeind“. Jede Gefährdung der „Betriebssicherheit“ ist eine potentielle Gefährdung der „Staatssicherheit“, jede Gefährdung der „Staatssicherheit“ ist eine potentielle Gefährdung der „Betriebssicherheit“. Die Aufwertung von volkswirtschaftlichen Sektoren zur „kritischen Infrastruktur“ führt zu einer auch offiziellen Ausweitung der Waffe Berufsverbote auf die Mehrwertproduktion und der Distribution der Waren in der Zirkulationssphäre. In der „kritischen Infrastruktur“ ist damit auch der Aktionsradius der Gewerkschaften stark eingegrenzt und die relative Tarifautonomie der Gewerkschaften ist deutlich eingeengt, dies gilt auch für die Betriebsräte. In der „kritischen Infrastruktur“ realisiert sich tendendenziell der Ausnahmezustand, denn es gelten nicht mehr die üblichen verfassungsrechtlich gesicherten Rechte, sondern es setzt sich ein Sonderrecht. Die Beweislast wird real umgekehrt. Nun muß jede Organisation, jedes Individuum, nachweisen, daß keine „Gefahr für die kritische Infrastruktur“, d.h. „Gefahr für die „nationale Sicherheit“ vorliegt und auch die Gewerkschaften werden damit indirekt aufgefordert, wie alle anderen Organisationen auch, die in dem Sektor der „kritischen Infrastruktur“ tätig sind, Berufsverbote in ihrem Bereich zu erlassen bzw. die staatlichen oder privaten Berufsverbote zu unterstützen oder sie werden selbst eines Berufsverbots bzw. Funktions- und Organisationsverbots belegt und damit real zerschlagen. Entweder die Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Organisationen des Proletariats akzeptieren die realen Einschränkungen in der „kritischen Infrastruktur,“ egal ob sie aktiv oder nur präventiv gelten, oder sie werden zerschlagen und aus den Betrieben der „Kritischen Infrastruktur“ gesäubert. Akzeptieren die Gewerkschaften die Strukturen der „kritischen Infrastruktur“ werden sie in den bürgerlichen Staat eingebaut und fungieren dann objektiv als Arbeitsfront und sind eng mit den repressiven Staatsapparaten des bürgerlichen Staates verbunden, sind in dem Fall dann offen die Betriebspolizei bzw. der Betriebsgeheimdienst. Über die „kritische Infrastruktur“ wird die Kriegswirtschaft institutionalisiert als ein Moment des Energienotstands. Im Wirtschaftskrieg werden viele oder gar alle Sektoren der Volkswirtschaft potentiell zur „kritischen Infrastruktur“. In der „kritischen Infrastruktur“ materialisiert sich der Notstand tendenziell schon bevor er zum Notstand wird. „Kritische Infrastruktur“ bedeutet auch konkret den Inlandseinsatz der Bundeswehr. So übt in Estland die Bundeswehr die „Verteidigung“ von Hafenanlagen gegen „Sabotage“, d.h. gegen den inneren Feind. Es geht konkret um den Bundeswehreinsatz im Inneren ohne den Kern der Notstandsgesetze zu aktivieren, denn die bürokratischen Hürden sind hoch, den formalen Notstand auszurufen. Ohne weiteres kann über den Begriff „Amtshilfe“ ein Bundeswehreinsatz im Inneren ausgelöst werden, auch zum Schutz der „kritischen Infrastruktur“ Hafen. Firmiert dann unter dem Begriff „Objektschutz“. Aus diesem Grund stellt die Bundeswehr auch „Heimatschutz“-Einheiten auf, die auf die Bekämpfung des „inneren Feindes“ ausgerichtet werden. Nun versucht die Bundeswehr wegen der vermeintlichen Gefahr eines großflächigeren Stromausfalls auch eine enge Zusammenarbeit zwischen Bundeswehrspezialeinheiten wie KSK und GSG 9 als Spezialeinheit der Polizei zu errichten. Im Hafen sind dann Polizei, Geheimdienst und Bundeswehr mit den Hafenarbeitern konfrontiert. Auch der Streik fällt bei der Bourgeoisie unter dem Begriff „Sabotage“. In letzter Instanz ist Streik nicht mit „kritische Infrastruktur“ vereinbar. „Kritische Infrastruktur“ trägt immer den Ausnahmezustand in sich und ist eine Negation von „ziviler Wirtschaft“ bzw. von Zivilgesellschaft. Damit ist auch ausgesagt, daß notfalls in der „Kritischen Infrastruktur“ eine Dienstpflicht ausgesprochen werden kann, d.h. arbeitsrechtliche und tarifrechtliche Normen außer Kraft gesetzt werden können. Lohnarbeiter können dann zwangsweise „dienstverpflichtet“ werden und ähneln dann sehr deutlich Soldaten, dürfen nicht selbst streiken und können auch anderweitig als Streikbrecher eingesetzt werden.

Formaljuristisch müßten dann die Notstandsgesetze aktiviert werden, real jedoch wird im Notstand darauf verzichtet, denn „Not kennt kein Gebot“ bzw. Notstand kennt kein Gebot. In letzter Instanz steht der Notstand über den Notstandsgesetzen, denn ein Notstand, der sich in Gesetze faßt, ist kein Notstand. Notstand kennt kein Gesetz; der Notstand selbst ist das Gesetz bzw. der Notstand ist das Anti-Gesetz. Deshalb besteht Carl Schmitt auch darauf, daß „der Souverän nur dann Souverän ist, wenn er über den Ausnahmezustand entscheidet“. Im Ausnahmezustand ist die Gesetzesbindung annulliert und die Not verlangt danach, daß die Gesetzesbindung nicht gesetzlich aufgehoben werden kann, sondern der Akt der Ausrufung des Ausnahmezustandes selbst nicht-gesetzlich, anti-gesetzlich, übergesetzlich sein kann. Ein Ausnahmezustand, der sich auf den Artikel 48 Weimarer Reichsverfassung beruft oder auf die Notstandsgesetze des Bonner Grundgesetzes ist kein vollwertiger Ausnahmezustand, da er sich immer noch auf ein Gesetz beruft. Der Ausnahmezustand ist nur dann ein vollwertiger Ausnahmezustand, wenn er von der Exekutive situativ aus eigener Machtfülle und eigenem Machtbewußtsein verhängt wird, ohne und gegen gesetzliche Legitimation. Ausnahmerecht ist Kriegsrecht. Der Krieg, gegen den „inneren Feind“ und/oder „äußeren Feind“ ist der situative Grund für die Entscheidung zum Ausnahmezustand/Ausnahmerecht und Kriegsrecht. Das Ausnahmerecht, gekrönt im Kriegsrecht, ist das Nicht-Recht und entscheidet nur über „Freund“ und „Feind“ und damit über „Leben und Tod“. Historisch kommt das Femerecht dem Ausnahmezustand und Ausnahemrecht am nähesten. Der Ausnahmezustand ist die allgemeine Feme. Ausnahmezustand ist konzentrierte Macht der herrschenden Klasse und Macht, die Klassenmacht der herrschenden Klasse im Sinne der Klassenherrschaft einer Minderheit über eine Mehrheit, in diesem Stadium, kennt das Kapital kein Recht mehr, kennt kein Gesetz mehr, sondern kennt nur noch sich selbst-Macht-Klassenmacht einer Minderheit über die Mehrheit. Dann gibt es auch keine Klassenjustiz mehr, sondern nur noch die unbeschränkte Macht der herrschenden Klasse¸ die Klassenjustiz des Kapitals behindert im Ernstfall das Kapital in seiner Klassenherrschaft und wird vernichtet. Der „Ernstfall“ steht außer und über dem Gesetz und seine politische Form ist der Ausnahmezustand. Es geht im „Ernstfall“ nicht um „das Leben“, sondern nur um das „Überleben“, bzw. um „Leben und Tod“. Was „Ernstfall“ ist und was nicht, entscheidet allein die herrschende Klasse, entscheidet die Bourgeoisie und damit gegen die Arbeiterklasse. In der Organisierung von normalen volkswirtschaftlichen Sektoren zu einem Sektor in der „Kritischen Infrastruktur“ materialisiert sich tendenziell die „friedensähnliche Kriegswirtschaft“, vollzieht sich eine tendenzielle innere Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft in Richtung einer Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft. Mit der Organisierung eines Sektors der „Kritischen Infrastruktur“ beginnt es, aber damit ist der Prozess der inneren Militarisierung nicht abgeschlossen. Letztendlich wird der ganze Ausbeutungsprozß als „Kritische Infrastruktur“ organisiert werden und innerhalb der „Kritischen Infrastruktur“ haben Gewerkschaften keinen Platz, wenn diese ihre Aufgaben als Gewerkschaften erfüllen wollen, d.h. wenn sie konsequent die Interessen ihrer in ihr organisierten Lohnarbeiter vertreten. Wer sich der Schockpolitik aktiv und auch passiv verweigert, hat ebenfalls keinen Platz mehr in der „Kritischen Infrastruktur“. Über die „Kritische Infrastruktur“ wird die Betriebsgemeinschaft organisiert und die Betriebsgemeinschaft zerschlägt real die reformistische Mitbestimmungsordnung über den Betriebsrat und der tendenziell paritätischen Besetzung des Aufsichtsrats aus den Reihen von Belegschaft und Gewerkschaft, wie auch die gewerkschaftliche tarifliche Absicherung. Dies wirkt sich dann auch in die Sektoren aus, welche noch nicht offiziell zur „Kritischen Infrastruktur“ erklärt werden.

Der Burgfriede wird so erzwungen. Die „nationale Sicherheit“ ist ein anderer Begriff für den Burgfrieden im deutschen Imperialismus. „Nationale Sicherheit,“ daß ist der Landfriede und sein Gehorsam. Wer widerspricht, gar Widerstand leistet oder auch nur den Gehorsam verweigert, begeht in der einen oder anderen Form, aber vor allem über die juristische Form hinaus, einen „Landfriedensbruch“. Eine andere Meinung als die Staatsmeinung des bürgerlichen Staates wird nicht geduldet. Burgfrieden heißt zuerst einmal die Negation der Meinungsfreiheit. Ohne Meinungsfreiheit keine proletarische Demokratie, ohne Meinungsfreiheit keine proletarische Organisierung und die proletarische Organisation ist die stärkste Waffe des Proletariats im Klassenkampf. Die Zensur sichert den Burgfrieden, schützt den „Landfrieden“ und damit die „nationale Sicherheit“. Im Oktober 2022 wird der Paragraph 130 StGB, der sich auf die „Volksverhetzung“ bezieht dementsprechend verschärft, in dem er immer weiter gedehnt wird. Hier steht zwar nicht der „Landfriede“ im Vordergrund, sondern der „öffentliche Frieden“, der gefährdet wird, wenn man eine Handlung gemäß dem Völkerstrafgesetzbuche billigt. Es wird nicht die letzte Verschärfung des Paragraph 130 StGB sein und diese zukünftigen Verschärfungen werden immer mehr auf den Kern der deutschen Gesellschaft beziehen. Jede von der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft abweichende Handlung wird dann als „Gefährdung des öffentlichen Friedens“ verfolgt werden und damit auch als „Gefährdung der nationalen Sicherheit“. In den Betrieben wird dieses repressive Regime dann den „Betriebsfrieden“ zum Inhalt haben und jeden proletarischen Widerstand in den Betrieben als „Störung des Betriebsfriedens“ verfolgen. „Betriebsfrieden“, „öffentlicher Frieden“, „Landfrieden“ sind alles Formen der „nationalen Sicherheit“ und damit des Burgfriedens. Wer diesen „Frieden“ des Kapitals stört, ist nicht nur ein „Betriebsfeind“, sondern gleichzeitig auch ein Staatsfeind und muss aus der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft ausgestoßen werden, wie auch erst Recht aus der Betriebsgemeinschaft, wird naturwüchsig als „gemeinschaftsfremd“ von der Bourgeoisie behandelt. Im Namen der „nationalen Sicherheit“ des bürgerlichen Notstandsstaates werden die „feindlichen Elemente“ aus der Burggemeinschaft mit ihrem Burgfrieden, nichts anderes ist die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft, eliminiert, politisch, sozial und auch physisch, wenn es sein muß. Ein „Feind“ der Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft bzw. der Betriebsgemeinschaft ist man schon dann, wenn man eine abweichende reformatorische oder gar reformistische Position bezieht, d.h. die soziale Egalität, die soziale Gleichheit, in den Vordergrund stellt. Für das Kapital ist dies der „innere politische Feind“. Umso mehr sich der transatlantische deutsche antirussische Wirtschaftskrieg negativ auf den deutschen Imperialismus auswirkt, desto mehr radikalisiert sich das Kapital. Das deutsche Kapital ist in der Defensive. Ohne weiteres würde ein deutsch-russischer Ausgleich die Große Krise abmildern, doch dies wird aus politischen Gründen verworfen, denn es wäre eine Niederlage des deutschen Imperialismus gegenüber dem russischen Imperialismus. Nicht nur das Kräfteverhältnis zwischen dem deutschen und russischen Imperialismus würde sich ändern, sondern auch das Kräfteverhältnis zwischen der Arbeiterklasse und dem deutschen Kapital. Die Niederlage des transatlantisch-deutschen antirussischen Wirtschaftskrieges gegen den russischen Imperialismus führt zu einem internationalen und nationalen Gesichtsverlust des deutschen Kapitals. Der deutsche Imperialismus wäre geschwächt und vor allem die Arbeiterklasse könnte dann zumindest tendenziell in die Offensive gehen. Aus diesem Grunde verweigert die deutsche Bourgeoisie jeden Ausgleich mit der russischen Bourgeoise und radikalisiert sich bis jetzt. Dies wird im Oktober 2022 von dem Vorstandsvorsitzenden von Audi indirekt ausgesprochen, als er ein Ende des Ukraine-Krieges aus wirtschaftlicher Schwäche ablehnt. Ein Zurückweichen des Westens würde „unsere“ Gesellschaftsordnung“ ins Wanken bringen. Da ist sie wieder: Die Angst des Kapitals vor der Arbeiterklasse, die Angst der Bourgeoisie vor dem Klassenkampf und zeigt die objektive Schwäche des deutschen Kapitals auf. Der Feind steht im eigenen Land, muß es für die Arbeiterklasse heißen und davor fürchtet sich die Bourgeoisie und setzt deshalb zur Flucht nach vorn in den Notstandsstaat an. Eine Niederlage des deutschen Imperialismus im antirussischen Wirtschaftskrieg gefährdet die Klassenherrschaft der deutschen Bourgeoisie. Eine Niederlage des deutschen Imperialismus gefährdet den deutschen Burgfrieden, der von der herrschenden Klasse als „öffentlicher Frieden“, „Betriebsfrieden“, „Landfrieden“ oder „unsere Gesellschaftsordnung“ bezeichnet wird. Ein Ende des Burgfriedens bedeutet Klassenkampf bis hin zum revolutionären Bürgerkrieg. Dagegen setzt die Bourgeoisie den Notstandsstaat mit seinem Notstandskampf gegen den „Feind“. Doch wieder einmal wird der deutsche Imperialismus scheitern an seinem „Osten“ (Russland 1918-Sowjetunion 1945-Rußland 2022-2023). Es wird auch jetzt keinen Siegfrieden oder Endsieg geben, sondern wieder eine verheerende Niederlage für den deutschen Imperialismus. Der Vorstandsvorsitzende von Audi spricht hier für das deutsche Kapital insgesamt, d.h. für das deutsche Gesamtkapital und damit für die langfristigen Interessen des deutschen Imperialismus. Die Bundesregierung handelt nicht gegen das deutsche Gesamtkapital, sondern für dieses. Das deutsche Gesamtkapital, insbesondere das deutsche Monopolkapital, steht vollständig hinter der antirussischen Politik der deutschen Bundesregierung. Nicht, daß das deutsche Gesamtkapital laut seine Zustimmung zur Politik der deutschen Bundesregierung bekundet im Gegenteil, die Zustimmung des deutschen Gesamtkapitals zur antirussischen Politik der Bundesregierung ist eine schweigende Zustimmung. Es gibt keinen lauten Widerspruch von Seiten des deutschen Gesamtkapitals zur gegenwärtigen aggressiven antirussischen Politik der Bundesregierung. Schweigen ist Zustimmung. Das deutsche Gesamtkapital schweigt sich trotz der schweren Schäden an der deutschen Akkumulation aus, Schäden die an die Substanz des deutschen Kapitals gehen, während man vor kurzem noch laut über die vermeintlichen negativen Effekte des Mindestlohns Klage führte, welche auf jeden Fall weitaus geringer wären, als der transatlantische deutsche Wirtschaftskrieg gegen Rußland. Dieses Mißverhältnis in der Reaktion des deutschen Kapitals auf die Einführung des Mindestlohns und auf den antirussischen Wirtschaftskrieg macht deutlich, daß das deutsche Gesamtkapital auch unter großen Verlusten bereit ist, den transtatlantischen deutschen Wirtschaftskrieg gegen Rußland zu führen und auch eine Notstandsdiktatur befürwortet, wenn es sein muß, um den Sieg im Wirtschaftskrieg zu erringen. Die höheren Energiekosten des Kapitals sollen durch qualitative Reallohnsenkungen und weiterer Flexibilisierung der Ware Arbeitskraft kompensiert werden. Massiv droht das Kapital mit Abwanderung aus Deutschland, wenn es von der Arbeiterklasse keine Kompensation erhält.

Aber das Kapital hat noch einen anderen Feind, den „inneren sozialen Feind“. Immer ist Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft und ihre Zelle, die Betriebsgemeinschaft eine „Leistungsgemeinschaft“. Wer sich der „Leistungsgemeinschaft“ verweigert, wird sozial und notfalls auch physisch aus der kapitalistischen „Leistungsgemeinschaft“ als „politischer Feind“ exekutiert. Der „soziale Feind“ jedoch verweigert sich nicht der kapitalistischen „Leistungsgemeinschaft“, sondern kann die Anforderungen dieser kapitalistischen „Leistungsgemeinschaft“ nicht erfüllen. Die Ware Arbeitskraft ist soweit vernutzt, daß sie nicht mehr als Ausbeutungsmaterial fungieren kann, gilt dann auch nicht mehr als ein Moment der industriellen Reservearmee, denn diese Ware Arbeitskraft ist potentiell noch im kapitalistischen Ausbeutungsprozeß einsetzbar. Eine auch nicht potentiell einsatzfähige Ware Arbeitskraft ist keine Ware Arbeitskraft und damit überflüssig, d.h. der soziale Träger dieser Nicht-Ware Arbeitskraft hat keine Daseins-bzw. Existenzberechtigung mehr, sie ist gleichzeitig mit seiner Ware Arbeitskraft als Ware Arbeitskraft erloschen. Das Recht auf Leben ist im Kapitalismus an eine als Ware Arbeitskraft fungierende Ware Arbeitskraft gebunden. Fungiert die Ware Arbeitskraft nicht mehr als solche im kapitalistischen Verwertungsprozeß, dann ist das Recht auf Leben gleichzeitig erloschen. In Zeiten flotter Akkumulation sichert die Arbeiterklasse durch ihren relativ erfolgreichen Klassenkampf auch dieser vernutzten Ware Arbeitskraft eine soziale Existenzgrundlage. Doch in Krisen, vor allem Großen Krisen, wie jetzt, wird die Arbeiterklasse in die Defensive gedrängt und die vernutzte Ware Arbeitskraft ist dem Kapital hilflos preisgegeben. Das Kapital strebt für die vernutzte Ware Arbeitskraft und damit für die für die Ausbeutung überflüssige Ware Arbeitskraft, d.h. für den „sozialen Feind“, die Euthanasie an. Euthanasiemaßnahmen sind für das Kapital Kostensenkungsmaßnahmen. Eine Ware Arbeitskraft, die nicht vom Kapital potentiell ausgebeutet werden kann, ist nur ein Kostenfaktor und Kostenfaktoren werden im Kapitalismus eliminiert. Der „soziale Feind“ des Kapitals sind die Kosten, denen niemals ein Profit gegenüberstehen wird. Dieser „soziale Feind“ behindert die Akkumulation von Kapital und ist nur darum „Feind“, denn er „schadet“ dem deutschen Imperialismus und indem er dem deutschen Kapital schadet, ziehen die Weltmarktkonkurrenten einen Vorteil aus der Existenz eines „sozialen Feindes“ in Deutschland. Umgekehrt. Wenn der „soziale Feind“ in Deutschland reduziert wird, wirkt sich dies auf die Akkumulation des deutschen Kapitals positiv aus. Eine soziale Existenz, die nicht kompatibel ist mit dem kapitalistischen Ausbeutungsprozeß führt zur Einstufung zum „sozialen Feind“ durch das Kapital. Doch um den „sozialen Feind“ zu reduzieren, bzw. zu vernichten, ist es notwendig, zuerst den „politischen Feind“ zu vernichten, denn dieser verhindert ein radikales Vorgehen gegenden „sozialen Feind“. Die Repression des Notstandsstaates richtet sich deshalb zentral auf den „politischen Feind“ und es wird versucht auf diesem Weg den „politischen Feind“ auf den Status eines „sozialen Feindes“ zu reduzieren, konkret die Säuberung der Betriebe und Verwaltungen des bürgerlichen Staatsapparates über Berufsverbote und das Anlegen von Schwarzen Listen zur Erfassung von „subversiven Kräften“, d.h. von Lohnarbeitern und proletarischen Organisationen, welche von der Bourgeoisie als „politisch unzuverlässig“ und damit als „ Sicherheitsrisiko“ eingestuft wurden. Das Ziel ist die Überführung der „Subversiven von der aktiven Arbeiterarmee in die industrielle Reservearmee. In der industriellen Reservearmee sollen die „subversiven Elemente“ im Hartz IV-System konzentriert werden und sich dort einer Bewährung unterziehen. Doch die Umerziehung des „politischen Feindes“ beginnt schon in der aktiven Arbeiterarmee mit der Drohung der Entlassung und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit, mit der Gefahr hin, bald in das Hartz IV-System abzurutschen. Die Bedrohung des „politischen Feindes“ bei Verweigerung der Umerziehung auch gleichzeitig noch zum „sozialen Feind“ zu werden und damit einer potentiellen Euthanasie zum Opfer fallen zu können, soll die Bereitschaft zum Bruch mit dem proletarischen Widerstand erhöhen. Im bürgerlichen Notstandsstaat gefährden beide, der „soziale Feind“ und der „politische Feind,“ gleichzeitig die „nationale Sicherheit“ und werden entschieden von dem bürgerlichen Notstandsstaat bekämpft. Das Hartz IV-System war immer eine Waffe zur Bekämpfung des „sozialen Feindes“ und diente zur Abschreckung des „politischen Feindes“ bestimmte Grenzen nicht zu überschreiten. Dieses Hartz IV-System war immer ein Notstand für die industrielle Reservearmee und die Randbelegschaften. Eine gesellschaftliche Reproduktion der Ware Arbeitskraft ist im Hartz IV-System nur dann tendenziell gesichert, wenn nur ergänzend zu einer Lohnarbeit im prekären zweiten Arbeitsmarkt der Randbelegschaften Arbeitslosengeld II bezogen wird. Wer es nicht schafft in die aktive Arbeiterarmee, konkret in die Randbelegschaft, aufzusteigen, kann nur tendenziell überleben und sich nur auf einem Niveau unterhalb des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Ware Arbeitskraft reproduzieren. Im Hartz IV-System materialisiert sich die vollständige Entwertung der Ware Arbeitskraft. Auch das „nackte Leben“, das „nackte Überleben,“ ist im Hartz IV-System nicht gesichert. Überleben kann man dort nur, wenn man gegen das Hartz IV kämpft, Widerstand leistet und permanenter Widerstand zehrt bei einer Mehrheit der Hartz IV-Bezieher an den Kräften. Es ist ein Zermürbungskrieg zwischen dem bürgerlichen Staat, materialisiert im Hartz IV-System, und dem „sozialen Feind“, wer die größten Kraftresourcen hat.

Die Brutstätte des Virus „Notstand“, „Ausnahmezustand“ ist das Hartz IV-System. Aus dem Labor des Hartz IV-Systems ist der Notstandsvirus entsprungen. Die Zu- und Abrichtung der industriellen Reservearmee und der Randbelegschaften für die Ausbeutung, die Selektion der industriellen Reservearmee von der vernutzten Ware Arbeitskraft, der „Übervölkerung,“ war aus der Sicht des Kapitals erfolgreich, so daß das Notstandsregime in Krisenzeiten auf die gesamte bürgerliche Gesellschaft ausgeweitet werden kann. Seit dem März 2020, dem „Corona-Notstand“, marschiert das Hartz IV-System in die Mitte der Gesellschaft und dehnt sich dort aus. Mit dem „Corona-Notstand“ bricht die Notstandstendenz aus dem Hartz IV-System aus und infiziert die gesamte bürgerliche Gesellschaft. Politik wird immer mehr auf Notstand reduziert. Notstand ist reduzierte Politik. Mit dem Hartz IV-System wird der „soziale Feind“ bekämpft, mit dem Notstand überhaupt (formeller Notstand-informeller Notstand über die Generalklausel des „übergesetzlichen Notstande“) wird der „politische Feind“ der konzentrierten bürgerlichen Repression zugeführt. Hartz IV mag seinen Namen in „Bürgergeld“ ändern, doch seinen Klassencharakter wechselt es nicht. Für die Bourgeoisie ist der Hartz IV-Bezieher kein Bürger, sondern nur ein „sozialer Feind“. Über die Bekämpfung des „Bürgers“ im Hartz IV-System geht der Notstand über in die allgemeine Bekämpfung des Bürgers über das Hartz IV-System hinaus. „Bürger“ heißt jetzt „Untertan“. Ein „Bürger“ existiert nur in Unterordnung unter dem Notstandsstaat bzw. Notstandspolitik, wer sich nicht dem Notstandsstaat bzw. der Notstandspolitik unterordnet ist kein „Bürger“, sondern ein „Feind“. Das Hartz IV-System dient der Umerziehung vom „Feind“ zum „Bürger“, deshalb firmiert Hartz IV jetzt als „Bürgergeld“. Den Kernbelegschaften in Hartz IV-Bezug wird etwas entgegengekommen. Hartz IV wird „bürgerfreundlicher“, öffnet sich für Kernbelegschaften und schließt sich wieder hinter ihnen. Die Modifikationen von Hartz IV sollen den Absturz der Kernbelegschaften abfedern, modifizieren und einen harten Bruch verhindern.

Notstand-Ausnahmezustand ist die Negation von Politik und die Reduktion von Politik auf vermeintliches Sachzwanghandeln. Das Notstandshandeln erscheint als alternativlos. Zum Notstand soll es keine Alternative mehr geben, verkündet die Bourgeoisie. Ohne Notstand droht Chaos, droht Not und Tod. Nur mit dem Notstand, mit dem Ausnahmezustand, kann Chaos, Not und Tod abgewendet werden, politische Handlungsspielräume existieren nicht. Damit ist es auch nicht legitim dem Notstand, dem Ausnahmezustand, Widerstand entgegenzusetzen, denn der Notstand, der Ausnahmezustand, würde alle schützen, d.h. die „national Sicherheit“. Wer die „nationale Sicherheit“ gefährdet, gefährdet „ uns alle“, tönt es aus den Reihen der Bourgeoisie. Notstand ist Verwaltungshandeln zum Schutze des Status quo, Krisenverwaltung der Akkumulation und deshalb Burgfrieden. Die Krise, die Entwertung von Kapital, soll dann der „gemeinsame Feind“ von Arbeiterklasse und Kapital sein, sie säßen angeblich in einen Boot und die Arbeiterklasse soll verzichten. Burgfriede heißt im Kapitalismus Verzicht der Arbeiterklasse für das Kapital. Burgfrieden ist nichts anderes als der Belagerungszustand, wie der Notstand bzw. der Ausnahmezustand im 19. Jahrhundert bezeichnet wurde. Der „äußere Feind“ bzw. anders ausgedrückt die „äußere Gefahr,“ soll den Burgfrieden erzwingen und wer den Burgfrieden bricht, ist der „innere Feind, ist die größere Gefahr als der „äußere Feind“, bzw. ist der gefährlichere „Feind“ bzw. der Verräter, der den Dolchstoß in den Rücken der aufrechtkämpfenden Bourgosie führt. Zum Burgfrieden gehört immer die Dolchstoßlegende. Während der „äußere Feind“ das Schwert in der Hand hält, hält der „innere Feind“ den Dolch oder das Gift bereit-so zumindest in der politischen Praxis einer in die Enge getriebenen Bourgeoisie und diese politische Praxis materialisiert sich im Ausnahmezustand-Notstand, bzw. im Drohen damit. Wenn die proletarischen Massenorganisationen kapitulieren, bevor der Notstand exekutiert wird, dann umso besser für die Bourgeoisie. Dann hätte man eine „freiwillige, demokratische“ Notstandspolitik, welche für das Kapital wohlfeiler wäre als ein formal exekutierter Notstand. Warum Zwang, wenn es auch „freiwillig“ und „demokratisch“ geht. Eine Notstandspolitik ohne einen formalen Notstand, und unter Umstände auch ohne einen realen Notstand, ist potentiell möglich. Die Notstandspolitik muß also formal vom exekutierten Notstand geschieden werden, real aber ist immer eine Notstandspolitik das Produkt eines angedrohten Notstandes/Ausnahmezustandes. Eine Notstandspolitik „ohne Notstand“ ist immer das Resultat einer Kapitulation der proletarischen Massenorganisationen vor der Bourgeoise. Die Bourgeoisie „überzeugt“ die Arbeiterbürokratie der proletarischen Massenorganisationen mit ihrem Angebot-Folterwerkzeuge des Ausnahmezustands auf der einen Seite-materielle Privilegien auf der anderen Seite, „überzeugt“ die Arbeiterklasse mit Folter und Terror auf der einen Seite und „Überleben“ auf der anderen Seite. Eine atomisierte Arbeiterklasse wird vor dem Notstand/ Ausnahmezustand kapitulieren müssen. Notstand heißt immer Not der Arbeiterklasse. Es wird immer Verzicht und Unterwerfung abgefordert. Der „Staatsbürger verschwindet und der Soldat marschiert auf. Statt „Zivilgesellschaft“ nun Kaserne, statt Butter nun Kanonen. Nur mit organisiertem Widerstand kann der Ausnahmezustand/Notstand zu Fall gebracht, kann die Not der Arbeiterklasse abgewendet werden. Es ist eine Frage des Klassenkampfes: die Bourgeoisie fordert Kanonen, die Arbeiterklasse fordert Butter. Unter Umständen wird diese Frage mit Waffen entschieden.

Die Rede des Bundespräsidenten im Oktober 2022 gibt die Richtung der Bourgeoisie vor. Verzicht fordert die Bourgeoisie von der Arbeiterklasse und auch ein „soziales Pflichtjahr“. Aufrüstung muß vor allem gegen Rußland forciert werden, denn Rußland wird indirekt als Feind bezeichnet. Ruhe und Ordnung beim Verzicht wird von der Arbeiterklasse gefordert. Opposition oder gar Widerstand gegen eine solche Politik wird von der Bourgeoisie nicht geduldet. Damit geht der Bundespräsident/das Bundespräsidialamt auf einen strikten Gegenkurs zu den Massenprotesten, welche sich gegen die hohen Energiepreise und gegen den Wirtschaftskrieg richten. Deshalb hält sich die Bundesregierung, welche für diese Politik unmittelbar verantwortlich ist, bedeckt und bleibt der Rede des Bundespräsidenten fern. Nicht weil sie eine andere Politik einschlägt, als der Bundespräsident fordert, sondern weil die Anwesenheit der Bundesregierung bei der Rede des Bundespräsidenten als Zustimmung von den Massen gewertet werden würde und dies würde die Massenproteste vergrößern. Es ist objektiv das Spiel „guter Polizist-böser Polizist“ aufgrund der derzeitigen objektiven Kräfteverhältnisse zwischen den beiden antagonistischen Klassen und das Kräfteverhältnis innerhalb der Bourgeoisie selbst, was nicht ausschließt, daß dieses objektive Zusammenspiel innerhalb des Kapitals auch in ein subjektives Zusammenspiel umschlägt. Der Bundespräsident positioniert den autoritären Staat, während der Bundeskanzler und seine Regierung versuchen, mit kleinen Zugeständnissen an die Massen die Massenloyalität zu erhalten. Grundsätzlich gibt es keine Differenzen zwischen dem Bundespräsidialamt und dem Bundeskanzleramt, nur taktische Unterschiede gegenüber der Arbeiterklasse. Es geht nicht um die Verhinderung der Deflationspolitik, sondern nur um die Aufrechterhaltung der Illusion, daß alles seinen ordnungsgemäßen, sozialen bzw. gerechten und demokratischen Gang geht. Damit soll dem proletarischen Widerstand die Legitimität genommen werden, denn dann wäre jeder proletarische Widerstand gegen die Deflationspolitik ein Angriff auf die „Demokratie“. Proletarischer Widerstand wäre unter diesen Umständen eine Feindhandlung, eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“ und der bürgerliche Notstandsstaat spricht sich dann das Recht zu, repressiv jeden proletarischen Widerstand zu zerschlagen. Damit findet eine Umkehrung statt: der Notstandsstaat wird zur „Demokratie“, die Deflationspolitik, egal in welcher Form sie erscheint (offen deflationäre Politik, inflationäre Deflationspolitik oder Kriegsökonomie) wird zur „demokratischen Notwendigkeit“. Wer sich dieser „deflationären Notwendigkeit“ widersetzt, widersetzt sich dann in der bürgerlichen Ideologie der „Demokratie“ und ist damit der „innere Feind“. Der Bundespräsident fordert „Kanonen statt Butter“, während der Bundeskanzler diese Forderung ein wenig abmildert und eben real durchsetzt. Es ist nur eine objektive und vielleicht auch subjektive Arbeitsteilung innerhalb der Bourgeoisie. Die Arbeiterklasse kann sich nur selbst verteidigen. Es geht nur darum, wie der Burgfriede am optimalsten gegen die Arbeiterklasse organisiert werden kann. Burgfriede heißt immer Unterordnung der proletarischen Klasseninteressen unter die bürgerlichen Klasseninteressen, heißt Kapitulation der Arbeiterklasse im Klassenkampf. Und Burgfriede heißt immer „Verteidigung der nationalen Sicherheit“, bzw. „Verteidigung der „Nation“ gegen die „inneren und äußeren Feinde“. Damit ist der „Burgfriede“ der Großangriff des Kapitals auf das Proletariat.

Der Massenprotest gegen die hohen Energiepreise, die eine inflationäre Tendenz antreiben, ist zersplittert und unterpolitisiert, ist im Unmittelbaren verfangen und findet kein eigentliches Ziel, hat die Illusion in sich, wieder im Jahr 2019, vor der „Corona-Krise“ anzuschließen. Doch seit dem Jahr 2020 ist der neoliberale Weltmarkt zusammengebrochen. Eine Rückkehr des neoliberalen Weltmarktes ist nicht mehr möglich. Die Arbeiterbürokratie und die Bourgeoisie können notfalls mit diesem zersplitterten Massenprotest leben, denn er läßt sich leicht kanalisieren. So wird versucht zu spalten. Der Teil des Massenprotestes, welcher versucht den Wirtschaftskrieg zu beenden, wird von dem bisher hegemonialen transatlantischen Kapital als „innerer Feind“ gesehen und entschieden bekämpft, während der Teil des Massenprotestes, welcher lediglich finanzielle Kompensationen vom bürgerlichen Staat verlangt, von dieser Fraktion der Bourgeoisie unterstützt wird. Finanzielle Kompensationen können niemals die ökonomischen Schäden ausgleichen und werden über eine steigende Staatsverschuldung finanziert, welche nur eine zeitlich nach hinten geschobene Steuererhöhung ist und damit einer aufwärtsstrebenden Akkumulation bedarf. Die Illusion der finanziellen Kompensation verschleiert die reale Deflationspolitik. Für die transatlantische Bourgeoise ist der Massenprotest, der sich auf eine kompensatorische Politik beschränkt, der „Freund“ und dieser „Freund“ wird gegen den „Feind“ ausgerichtet, welcher das Ende des transatlantischen Wirtschaftskrieges fordert und damit auch die Reparatur der Nord-Stream-Pipelines, wie die das Anfahren der unbeschädigten Röhre der Nord-Stream II-Pipeline. Entschieden lehnt es die Arbeiterbürokratie ab, einen Massenprotest gegen die Regierung und ihren transatlantisch-imperialistischen antirussischen Wirtschaftskrieg zu organisieren und stützt damit die Regierung gegen den Massenprotest. Dies ermöglicht einen wachsenden kleinbürgerlichen und bürgerlichen Einfluß in den Massenprotesten. Die nationalliberale Bourgeoise versucht vor allem den Teil der Massenproteste zu stützen, welche sich auf ein Ende des transatlantischen Wirtschaftskrieges beziehen, während sich die transatlantische Bourgeoisie und die Arbeiterbürokratie sich auf den Teil der Massenproteste beziehen, welche mit finanziellen Kompensationen den antirussischen Wirtschaftskrieg weiterführen wollen. Hingegen muß der proletarische Klassencharakter der Massenproteste gegen beide Fraktionen der Bourgeoisie verteidigt werden. Sofortiges Ende des Wirtschaftskrieges, denn der Feind steht im eigenen Land. Dies verbunden mit egalitären Forderungen nach einer radikalen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und Arbeiterkontrolle über die Betriebe, gibt es eine antikapitalistische, proletarische Alternative. Diese proletarische Alternative wird die Bourgeoisie entschieden bekämpfen.

Egalitäre Forderungen greifen die Rationierung an, egal ob sich diese Rationierungen unmittelbar auf das Wertgesetz beziehen oder nur mittelbar. Rationierung heißt Absenkung der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Arbeiterklasse, während egalitäre Forderungen sich auf eine Erhöhung der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeiterklasse beziehen. Statt Verzicht für alle, Erhöhung für alle. Egalitäre Forderungen sprengen den Burgfrieden des Kapitals und haben damit das Gesamtkapital gegen sich. Die Arbeiterklasse verzichtet auf den Verzicht. Die Klassenlinie des Klassenkampfes verläuft an der Frage des Verzichts. Der Klassenkampf des Proletariats richtet sich gegen jeglichen Verzicht, das Proletariat kann nur auf das Kapital verzichten, aber nicht auf seine gesellschaftliche Reproduktion.

Die Bourgeoisie hat in der Frage des Verzichts und der Einschränkungen derzeit das Kleinbürgertum als Verbündeten gefunden, welches versucht den Verzicht als progressiv zu verkaufen. Statt auf einen Sturz des Kapitalismus zu setzen, sieht die kleinbürgerliche Klima- und Umweltbewegung nur den „fossilen Kapitalismus“ als Feind an, nicht aber den Kapitalismus an sich und wird somit ein Moment in der Restrukturierung der kapitalistischen Ausbeutung über die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Jedoch bedarf es, wenn man es ernst nimmt mit Umweltschutz und Klimaschutz, eines Sturzes des Kapitalismus an sich und nicht nur des fossilen Kapitalismus. Indem sich das Kleinbürgertum letztlich positiv auf den Kapitalismus bezieht und nur den „fossilen Kapitalismus“ ablehnt, den sie auch mit der Arbeiterklasse gleichsetzt. Im Kleinbürgertum ist real die Kritik am fossilen Kapitalismus eine Kritik an der Arbeiterklasse, denn der „Lebensstil“ der Arbeiterklasse ginge auf Kosten der ökologischen Ressourcen, d.h. dieser „ökologische Fußabdruck“ muß unter kapitalistischen Bedingungen herabgesetzt werden und das geht nur massenhaft; konkret geht es um die Absenkung der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeiterklasse. Hier trifft sich die kleinbürgerliche Klima- und Umweltbewegung mit dem Kapital mit dem Ziel einer Neuausrichtung der kapitalistischen Ausbeutung der Natur durch den Menschen und damit auch einer Neuausrichtung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Diese kleinbürgerliche Klima- und Umweltbewegung ist auf das „nicht-fossile“ Kapital ausgerichtet und agiert als Massenbewegung für diese besondere Kapitalfraktion und damit für die Restrukturierung des Gesamtkapitals. Ausdrücklich bezieht sich die kleinbürgerliche Klima- und Umweltbewegung auf einen Notstand, fordert den „Klimanotstand“ und damit ebenfalls wie das Kapital eine Schockpolitik. Konkret geht es um den Verzicht auf fossile Energieträger, bei der kleinbürgerlichen Klima- und Umweltbewegung, wie auch bei dem „nicht-fossilen Kapital“. Dieser Verzicht auf fossile Energieträger soll vermittels eines „Klimanotstandes“ realisiert werden, welcher dann zur Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse und damit zur qualitativen Reduktion des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse führt. Da das „nicht-fossile“ Kapital die benötigte Quantität der Energiezufuhr nicht erbringen kann, muß der Energieverbrauch abgesenkt werden und damit das Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse, deren „ökologischer Fußabdruck“ aufgrund der „imperialen“ oder „herausgehobenen“ Lebensweise zu hoch ist. Die Kampfansage an den „fossilen Kapitalismus“ ist damit auch gleichzeitig eine Kampfansage gegen die kapitalistischen Staaten, die sich weigern, einen „nicht-fossilen“ Weg zu beschreiten und damit sind konkret Rußland und China zu Feindstaaten erklärt. Der Kampf gegen den „fossilen Kapitalismus“ ist nichts anderes als der Kampf des transatlantischen Imperialismus gegen den fossilen russischen Imperialismus und der fossilen Weltfabrik China. „Klimaschutz“ geht Hand in Hand mit einer autarkischen Politik der transatlantischen Metropolen, welche die „Energiefreiheit“ und „Energiesicherheit“ auf die kapitalistische Tagesordnung setzt. Mit dem Programm „Klimaschutz-Energiefreiheit-Energiesicherheit“ versuchen die transatlantischen Metropolen und damit auch der deutsche Imperialismus eine politische Massenbasis gegen den „inneren Feind“ und dem „äußeren Feind“ aufzubauen. Unter dem kapitalistischen Programm von „Klimaschutz-Energiefreiheit-Energiesicherheit“ realisiert sich die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, realisiert sich die „nationale Sicherheit“ und damit die imperialistische Aggression gegen den russischen Imperialismus und China, welche sich auf den Schlachtfeldern der Ukraine und den möglichen Schlachtfeldern auf „Taiwan“ materialisiert. Damit werden die imperialistischen Kriege auch mit dem Programm von „Klimaschutz-Energiefreiheit-Energiesicherheit“ legitimiert.

Die Ideologie der Überwindung des „fossilen Kapitalismus“ ist vor allem auch der Versuch einer präventiven Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse, denn statt auf den Sozialismus zu zielen, wird nur auf einen vermeintlich progressiveren nicht-fossilen Kapitalismus abgestellt. Der Angriff auf eine sozialistische Perspektive des Klassenkampfes vollzieht sich in den Formen eines anti-fossilen Kapitalismus. Nichts fürchtet der anti-fossile Kapitalismus mehr als egalitär-sozialistische Tendenzen und stellt konsequent die sozialistische Tradition der Arbeiterbewegung in eine Reihe mit dem „fossilen“ Kapitalismus und konkret ein in einer Reihe mit dem russischen Imperialismus und China. Für die „nicht-fossile“ Kapitalfraktion ist der Hauptfeind nicht die fossile Kapitalfraktion, sondern die Arbeiterklasse und deshalb der Ruf nach dem „Klimanotstand“. Der Terminus „fossiler Kapitalismus“ ist die Kriegserklärung des Kapitals an die Arbeiterklasse, was sich in der Forderung nach einem „Klimanotstand“ materialisiert. Der „Klimanotstand“ ist der „Energienotstand“. Es geht um die Absenkung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse über die Absenkung des Energieverbrauchs. Der „Corona-Notstand“ war nur die erste Phase der Absenkung des gesellschaftlichen Energieverbrauchs und damit die erste Phase in der qualitativen Absenkung des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse. Somit ist der Energienotstand nur die Fortsetzung des „Corona-Notstandes“ mit einer anderen Schwerpunktsetzung und Begründung und nichts Neues. Diesmal ist der „Feind“ nicht das „Corona-Virus“, sondern Rußland und China, denen zur Last gelegt wird, die „Energiefreiheit“ und ökonomische Freiheit, wie auch als „fossiler Kapitalismus“ das Klima zu bedrohen und ihre vermeintlichen Verbündeten innerhalb Deutschlands als „innerer Feind“, die angeblich die „nationale Sicherheit“ Deutschlands bedrohen, weil sie materielle Einschränkungen ablehnen, die dennoch vermittels Notstand realisiert werden müssen. Folgerichtig ist dann die Ablehnung von Einschränkungen ein „Feindhandeln“ und wird mit Repression überzogen. Ein „Energienotstand“ steht immer in der Tradition des „Corona-Notstandes. Wer vom „Corona-Notstand“ nicht sprechen will, soll auch vom „Energienotstand“ schweigen. „Corona-Notstand“, „Klimanotstand“ „Energienotstand“ sind nur verschiedene Formen des Notstands und ein Großangriff auf das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau des Proletariats. Es steht auch eine Konfrontation zwischen einem finanzkapitalistisch verfassten transatlantischen Imperialismus und einem klassisch-industriellen russischen Imperialismus an einer Seite mit dem hochentwickelten Peripherie-Staat China, welches ebenfalls als Weltfabrik ein klassischer Industriekapitalismus ist. Mit dem Begriff „Klimanotstand“ wird die tendenzielle De-Industrialisierung Deutschlands, wie der transatlantischen Metropolen überhaupt das Wort geredet, im Namen des „Klimanotstandes“ ein „Energienotstand“ organisiert und eine imperialistische Aggression gegen das „fossile Rußland“ und das „fossile China“ in Gang gesetzt, mit dem Ziel der Verhinderung einer eigenständigen Industrialisierung Rußlands und Chinas bzw. ihrer De-Industrialisierung, denn nur eine abhängige Industrialisierung unter der Hegemonie eines finanzkapitalistisch transatlantischen Imperialismus kann von den transatlantischen Metropolen geduldet werden. Der „Klimanotstand“, „Energienotstand“ zielt objektiv auf die Bildung von imperialistischen Blöcken, die sich protektionistisch abschotten und sich wieder reindustrialisieren, nachdem sie sich zuvor deindustrialisiert haben. Das Ziel ist der Aufbau einer neuen Industrie, welche weniger Ressourcen verbraucht und damit der alten Industrie überlegen ist. Die „alte Industrie“ wird zerstört, damit eine „neue Industrie“ aufwachsen kann bzw. Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Mit der Zerstörung der „alten Industrie“ werden auch die Gewerkschaften zerstört und der Aufbau einer „neuen Industrie“ geht dann erst einmal ohne Gewerkschaften vor sich, die sich erst dort herausbilden müßten. Da der proletarische Widerstand in der „alten Industrie“ hoch ist, ist in letzter Instanz der Notstand notwendig. Wesentlich in der Neuzusammensetzung des Kapitals ist eben die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, ihre Desintegration und Spaltung, vor allem in industrielle Reservearmee und aktive Arbeiterarmee und damit auch Unterwerfung oder Zerstörung der proletarischen Massenorganisationen durch eine notstandsgestützte Schockpolitik.

Das Modell Deutschland, die Hegemonie des Weltmarktkapitals über das Binnenmarktkapital, ist in der Krise. Mit dem transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieg und einen potentiellen Wirtschaftskrieg mit China brechen zentrale Märkte weg. Der Weltmarktanteil des deutschen Kapitals geht zurück. Die terms of trade verschieben sich zuungunsten des deutschen Kapitals, da die Exporte fallen, ebenso die Importe, die jedoch aufgrund der steigenden Energiepreise geringer fallen als die Exporte. Das deutsche Kapital verliert fast gänzlich seinen russischen Markt und auch der Warenaustausch mit China wird immer geringer. In eine Existenzkrise stürzt das Weltmarktkapital, während das Binnenmarktkapital schon in einer solchen ist und unter der Last der Krise langsam zusammenbricht. Der Zusammenbruch der gesellschaftlichen Nachfrage aufgrund der steigenden Energiepreise trifft vor allem zuerst das Binnenmarktkapital. Die Weltmarktsektoren des Sektors I (Produktionsmittelindustrie) trifft die Entwertung nur zeitversetzt und damit die Kernbelegschaften erster Ordnung, die in dem Sektor I, den Weltmarktsektoren, konzentriert sind. Ohne eine wohlfeile Rohstoffzufuhr kann das deutsche Kapital nicht existieren, steht das Modell Deutschland zur Disposition. Ohne wohlfeile Rohstoffzufuhr kann die deutsche Exportwaffe ihre ökonomischen Blitzkriege nicht mehr führen und damit auch nicht mehr die EU dominieren. Die Einheit der EU und erst Recht die Eurozone steht mit der Krise des Modell Deutschland in Frage. Auch in Deutschland kann es zur Zerrüttung der sozioökonomischen Verhältnisse kommen und sich in proletarischen oder kleinbürgerlichen Revolten entladen und auf der anderen Seite in Wahlerfolgen AfD, welche die parlamentarische Vertretung der nationalliberalen Fraktion des Kapitals ist. Damit ist die Existenzfrage von NATO-Pakt und EU-Bündnis gestellt, denn beide sind Formen eines transatlantischen Konsenses innerhalb der westeuropäischen Metropolen unter der Hegemonie des US-Imperialismus. Die Große Krise in Form des transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieges zwingt tendenziell jede Metropole auf ihren eigenen nationalen Pfad der Akkumulation und damit den deutschen Imperialismus immer mehr zurück auf den deutschen Sonderweg mit seiner Pendelpolitik zwischen Ost und West und zur Vitalisierung der traditionellen Mitteleuropakonzepte des deutschen Imperialismus als Ersatz für die zerfallende EU und den zerfallenden NATO-Pakt. Wenn das Modell Deutschland nicht mehr transatlantisch realisiert werden kann, wird es über ein Mitteleuropa-Konzept realisiert, welches auch eine militärische Komponente als Ersatz für den NATO-Pakt bereithält. Die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse findet auch ihren Ausdruck in der Neuzusammensetzung der imperialistischen Kette in der Form von imperialistischen Blöcken. Nicht der deutsche Imperialismus paßt sich Westeuropa an, bzw. den westeuropäischen Imperialismen, sondern, der deutsche Imperialismus paßt die westeuropäischen Metropolen an seine nationalen Verwertungsinteressen an, wenn er dies durchsetzen kann. Zwei Mal ist der der deutsche Imperialismus daran gescheitert, 1918 und 1945, was nicht heißt, daß ein dritter Griff zur Weltmacht unmöglich ist. Ein deutscher Sonderweg konkret heute setzt eine gewisse Verständigung mit Rußland und China voraus, d.h. ein neues Rapallo ist nötig, wenn der deutsche Imperialismus ohne große Schäden aus den Umbruch in den multipolaren Weltmarkt herauskommen will. Das Modell Deutschland in einem US-transatlantischen System ist so nicht möglich, es sei denn, der US-Imperialismus läßt dem deutschen Imperialismus wieder einen größeren Spielraum, z.B. nach den Zwischenwahlen in den USA im November 2022. Damit bewegt sich der deutsche Imperialismus tendenziell immer mehr auf der Linie seines klassischen Sonderweges. Es bleibt derzeit offen, ob sich der Sieg der Republikaner bei den Zwischenwahlen in den USA mäßigend auf die derzeitige US-Regierung einwirkt und damit indirekt dem deutschen Imperialismus mehr Spielraum gibt und ob über eine gewisse deutsch-chinesische Verständigung eine deutsch-russische Verständigung eingeleitet werden kann. Vieles ist sehr fraglich, denn die deutsche Regierung selbst ist in sich tief gespalten und damit so schwach, daß sie selbst nicht aktiv werden kann. Es droht jederzeit das Ende der Regierung und Neuwahlen.

Nur unter dem Notstand läßt sich die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse realisieren, in der Produktionssphäre der Fabrik, wie auch in der bürgerlichen Gesellschaft. Das Ziel dieser Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse ist die Absenkung der gesellschaftlich-notwendigen Reproduktion vermittels Rationierung und damit über die Ausschaltung der Gewerkschaften aus der Fabrik, wie aus der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt und die Ersetzung der Gewerkschaften durch die Betriebsgemeinschaft bzw. gesamtgesellschaftlich die Ersetzung der bürgerlichen Gesellschaft durch die Volksgemeinschaft. Betriebsgemeinschaft und Volksgemeinschaft sind „Leistungsgemeinschaften“. Die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft soll ihre moralisch-gesellschaftlich-politische Bestimmung verlieren, deshalb Ausschaltung der Gewerkschaften bzw. ihre Umfunktionierung in eine Arbeitsfront durch Einbau in den bürgerlichen Staat. Durch die Digitalisierung werden auf der Ebene des unmittelbaren Produktionsprozesses in der Fabrik die Arbeit weiter in ihre verschiedenen Einzelteile zerlegt, kontrolliert und einer Lohngruppe zugerechnet. Über die Einführung eines digitalen Zentralbankgeldes, ideologisch legitimiert durch den „Klimaschutz,“ soll dann der Konsum der Ware Arbeitskraft rationiert werden. Heute schon werden von Banken „Klimaschutzprogramme“ eingesetzt, welche den ökologischen Fußabdruck eines Kunden berechnen sollen. Die konkrete Rationierung erfolgt über die Berechnung des ökologischen Fußabdrucks. Jede Lohngruppe kann dann mit einem ökologischen Fußabdruck ins Verhältnis gesetzt werden. Noch einfacher ist es bei den Beziehern sozialer Transfereinkommen. Der ökologische Fußabdruck bestimmt dann konkret, ob ein Kauf getätigt werden darf oder nicht. Bei einem digitalen Zentralbankgeld sind bestimmte Warengruppen sofort für bestimmte Individuen und Gruppen gesperrt, auch wenn Einkommen zum Kauf dieser Warengruppen vorhanden ist. Bestimmten Lohngruppen sind bestimmte Waren vorbehalten. Nicht alle Waren sind für alle frei käuflich, d.h. die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft wird rationiert, ein bestimmter Warenkorb wird einer bestimmten Lohngruppe zugeordnet, die Lohnarbeiter können nicht ihren Warenkorb zur gesellschaftlich notwendigen Reproduktion selbst zusammenstellen, denn Art der Ware und die Menge einer Ware wird rationiert. Digitalisierung ist ein anderer Begriff für Kontrolle und Rationierung, ein anderer Begriff für die aufziehende „neue Normalität“, welche deutlich auf die industrielle Reservearmee zielt, aber vor allem auf den „sozialen Feind“, für die nicht mehr einsetzbare Ware Arbeitskraft. Hier besteht die Gefahr, daß der „soziale Feind“ zu Tode rationiert wird. Vor allem der „soziale Feind“ wird als Versuchspersonen für die Rationierung unter digitalen Bedingungen benutzt. Das Hartz IV-System ist die erste Anwendung für die digitale-EDV-gestützte Rationierung. Das Arbeitslosengeld II und auch die Sozialhilfe etc. sind die ersten Momente dieser kapitalistischen Rationalisierung. In Australien wird die Sozialhilfe vermehrt elektronisch-digital ausgezahlt und die Sozialhilfebezieher können nicht mehr alle Waren dafür erwerben, denn bestimmte Waren, z.B. Alkohol, sind für die gesperrt. Im Hartz IV-System ist das kapitalistische Elend konzentriert und damit am deutlichsten von der Bourgeoisie stigmatisiert, kann materiell und ideologisch von dem Rest der Lohnarbeiterklasse abgespalten werden und ist dann dem Kapital schutzlos ausgeliefert. Das schwächste Glied in der Arbeiterklasse kann dem Kapital auch nur wenig politischen Widerstand entgegensetzen. Mit einer EDV-digital gestützten Rationierung kann das Kapital den „sozialen Feind“ deutlich dezimieren und dies ist ein Ziel in der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, bzw. der kapitalistischen Rationalisierung oder Restrukturierung des Verwertungsprozesses als Gegenmaßnahme zur Entwertung des Kapitals in der durchschnittlichen Bewegung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Mit der „Klimapolitik“ wird die Restrukturierung des Kapitals ideologisch abgestützt und dienst als Legitimationsbeschaffung. Der Begriff des „ökologischen Fußabdrucks“ hat eine sozialdarwinistische-faschistische Tendenz inne, denn der „ökologische Fußabdruck“ ist nur dann Null, wenn nichts produziert wird und damit, wenn kein menschliches Leben existiert. Ohne weiteres führt die Ideologie des „ökologischen Fußabdrucks“ in die bewußte und politisch entschiedene Massenvernichtung von Menschen. Die Absenkung des Energieverbrauchs bedeutet immer Absenkung der gesellschaftlichen Produktion und damit unter kapitalistischen Bedingungen der Rückgang der durchschnittlichen Lebenserwartung aufgrund der Absenkung des gesellschaftlichen Lebensniveaus und damit ein Sieg der „Natur“ gegenüber dem Menschen. Das ist dann die „natürliche Ausmerze“ des Faschismus, denn die bürgerliche Gesellschaft opfert die Schwächsten und Verletzlichsten der Gesellschaft für die Verwertung des Kapitals. Die Tendenz geht dahin, jedem Menschen ein Co2-Konto zuzurechnen. Ist das Konto erfüllt, dann steigt der Preis für weiteren Konsum oder er wird gar blockiert. Dies trifft die Arbeiterklasse und senkt den Lohn herab, hingegen die Bourgeoisie kann ohne weiteres ein Co2-Zuschlag zahlen. Die Rationierung über den „ökologischen Fußabdruck“ bzw. über ein Co2-Konto geht gegen die Arbeiterklasse und zwingt die Arbeiterklasse zum Verzicht. Die Grenzen des „ökologischen Fußabdrucks“ setzt die Bourgeoisie fest-gegen die Arbeiterklasse. Durch eine radikale Vernichtung der Weltbevölkerung kann ohne weiteres der „ökologische Fußabdruck“ reduziert werden, konkret über Tod durch Verelendung und Hunger, durch Pandemien oder Kriege. Mit der Ideologie des „ökologischen Fußabdrucks“ kann dies dann legitimiert werden; das ökologische Gleichgewicht stellt sich auf diese Weise wieder her. Die Rettung des Klimas erfordert dann Menschenopfer.

Mit dem „Klimanotstand“ geht das Kapital gegen die Arbeiterklasse vor, statt die ökologischen Grundlagen zu schützen, indem sie versucht über diesen Weg den Verzicht in den Massen zu verankern. Es geht der Bourgeoisie um „Anpassung“ des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus an die Verwertung des Kapitals, welche ideologisch als „Anpassung“ des „Menschen“ an die „Grenzen der Natur“ erscheint. Für das Kapital ist die Natur die Natur des Kapitals, die Natur des Kapitalismus, d.h. die Bourgeoisie setzt notwendig ideologisch Natur und Kapitalismus gleich vermittels des Werts, welcher an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als Preis erscheint. Und in der bürgerlichen Ökonomie steht Preis für Knappheit oder Verfügbarkeit und so hat auch dann das „Klima“ oder die „Natur“ einen Preis. Wenn die „Güter“, so die bürgerliche Ökonomie, knapp sind, steigt der Preis, d.h. umso größer der ökologische Fußabdruck, desto höher der Preis, desto höher der Verzicht, natürlich für die Arbeiterklasse, für die Massen. Oder bürgerlich-systemtheoretisch ausgedrückt: Die Grenzen des ökologischen Systems begrenzen auch die anderen Subsysteme. Dann haben wir „Natur“, „Klima“, Verzicht. Und so ist dann auch der Notstand in der Form des „Klimanotstandes“ oder „Energienotstandes“ ein notwendiger Verzicht, eine Anpassung an die „Grenzen der Natur“ und somit ein „natürlicher Verzicht“ im Sinne der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Das Kapital fordert von der Arbeiterklasse eine „Anpassung“ bzw. Unterwerfung unter ein neues Akkumulationsmodell und wickelt es in die Form „Anpassung“ an die „Natur“, was „natürliche Anpassung“ an die Ausbeutung real meint. Wer sich dieser „natürlichen Anpassung“ widersetzt ist ein „Feind“, der „natürlich“ exekutiert werden muß, denn er gefährdet „uns alle“, bzw. das „Überleben der Menschheit“.

Es können jedoch die ökologischen Grundlagen nur durch die proletarische Weltrevolution gesichert werden, d.h. gegen das Kapital, gegen den Kapitalismus. Nicht der fossile Kapitalismus ist das Problem, sondern der Kapitalismus selbst ist das Problem. Eine ökologische Politik, eine positive Klimapolitik, ist im Kapitalismus nicht möglich, dazu bedarf es den Sozialismus. Wird der Schulterschluß mit dem Proletariat verweigert, wird die ökologische Politik-Klimapolitik-notwendig reaktionär und legitimiert den Notstand und die Schockpolitik gegen die Arbeiterklasse, legitimiert diese dann die Politik der „nationalen Sicherheit“. Mit der Forderung nach einem „Klimanotstand“ von Seiten der „Klimabewegung“ zeigt es sich, daß ein großer Teil der „ökologischen Bewegung“ ein Bündnis mit reaktionären Kapitalfraktionen sucht, statt die Nähe der Arbeiterklasse zu suchen, die als Feind angesehen wird, ebenso wie die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates. Statt einer „Klimademokratie“ wird auf ein „Klimanotstand“ bzw. auf eine „Klimadiktatur“ gesetzt. Auf diese Weise will die kleinbürgerliche Klimabewegung die Arbeiterklasse zum Verzicht zwingen. Der Begriff „Klimanotstand“ weist schon darauf hin, daß die kleinbürgerliche „Klimabewegung“ sich zentral auf die herrschende Klasse bezieht, eine Lobbygruppe der „nicht-fossilen“ Kapitalfraktion ist und von dort in letzter Instanz politisch wie finanziell über Stiftungen des „nicht-fossilen“ Kapitals geführt wird, also eine Bewegung von oben ist, welche eine Bewegung von unten imitiert, um eben eine „Klimabewegung“ bzw. eine „ökologische Bewegung“ präventiv zu verhindern. Eine authentische Bewegung von unten würde sich statt auf „Klimanotstand“ auf „Klimademokratie“ beziehen und die Nähe der Arbeiterklasse suchen, um ihre Ziele auf demokratischen Wege und egalitär durchzusetzen, statt elitär die Hoffnung in einen „Klimanotstand,“ bzw. Diktatur oder Öko-Diktatur zu suchen. Der hierarchische Aufbau der „Klimabewegung“ und ihre elitär-antidemokratischen Züge sind es, welche ein Bündnis mit der Arbeiterklasse verhindern. Es zeigt sich in den Aktionen von der Gruppe „Letzte Generation“ ein infantiler Narzißmus, welcher einem Bündnis mit der Arbeiterklasse entgegensteht, denn ihre irrationalen Handlungen internationale Kunstwerke der Menschheit zu beschädigen, steht ihrem Anliegen entgegen und ist ein Zeichen für einen kleinbürgerlichen Nihilismus. Da diese internationalen Kunstwerke auch ihre eigene individuelle und kollektive, wie soziale Geschichte der „Letzten Generation“ und darüber hinaus konkret reproduzieren, beschädigen sie sich mit der Beschädigung dieser Kunstwerke selbst und handeln damit irrational und sind dann im negativen Sinn die „letzte Generation“ oder wohl besser die „letzte Stunde“. Die „letzte Generation“ manifestiert einen elitär-antidemokratischen Nihilismus und Irrationalismus und sind ein Stoßtrupp der Bourgeoisie, aber kein Bündnispartner der Arbeiterklasse. Für diese gegenwärtige kleinbürgerliche „Klimabewegung“ ist der Feind die Arbeiterklasse, aber der „Freund“ und Verbündete das Kapital in Form des „nicht –fossilen Kapitals“ und die Umweltzerstörung durch das Kapital hält an, exekutiert auch von der „nicht-fossilen“ Fraktion des Kapitals, denn die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen geht auch in einem „fossil-freien Kapitalismus“ weiter, Umweltzerstörung geht über die negativen Effekte der fossilen kapitalistischen Produktion hinaus, denn Umweltschutz ist mehr als „Klimaschutz“, ohne Umweltschutz gelingt auch kein „Klimaschutz“, denn der „Klimaschutz“ ist nur ein Moment im „Umweltschutz“. Auch ein Elektro-digitaler Kapitalismus verbraucht auf kapitalistischer Weise Rohstoffe und zerstört die ökologischen Lebensgrundlagen. Nur die Diktatur des Proletariats legt die Grundlage für die Bewahrung der ökologischen Grundlagen.

  1. Der proletarische Weg des Klassenkampfes

  • Generalstreik gegen die Inflation, Armut und Weltkriegsgefahr

  • Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, ansetzend an der alltäglichen kollektiven Sabotage der Ausbeutung (auch in der „kritischen Infrastruktur“ und international organisiert als Kampflosung gegen die wachsende Arbeitslosigkeit und gegen das Wachsen der prekären Arbeitsverhältnisse. Wenn alle weniger arbeiten, ist Arbeit für alle da.

  • Gleitenden Lohnskala gegen die inflationären Tendenzen.

  • Arbeiterkontrolle über die Produktion und Verteilung als ersten Schritt zur Errichtung proletarischer Doppelherrschaftsorgane

-Aufbau proletarischer Hundertschaften gegen die Repression des bürgerlichen Staates und seiner neofaschistischen Organisationen.

Iwan Nikolajew Hamburg im Januar 2023 Maulwurf/RS

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —     Kommunistische Vorstellung der Klassengesellschaft, die Zeichnung entstand auf Basis eines Flugblattes der „Union russischer Sozialisten“ 1900/01

Abgelegt unter Gewerkschaften, International, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

DKP sorgt für Inhalte

Erstellt von Redaktion am 29. Oktober 2022

Bündnis „Solidarisch durch die Krise“
– erklärt die Welt in schwarz-weiß

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von    :        Herbert Schedlbauer

Die Organisatoren „Solidarischer Herbst“, bestehend aus den DGB-Gewerkschaften ver.di und GEW, aus dem Paritätischen Gesamtverband, der Volkssolidarität sowie den Umweltverbänden BUND und Greenpeace, riefen auch in Düsseldorf am 22. Oktober zur Demonstration. Doch am Ende waren es großzügig gerechnet nur etwa 4.500 Teilnehmer aus ganz NRW, die in der Landeshauptstadt auf die Straße gingen. Bundesweit blieb die Zahl mit gut geschätzten 22.000 Teilnehmern deutlich unter den Erwartungen der Veranstalter. Allein die mitmobilisierende Gewerkschaft ver.di hat rund 1,8 Millionen, der Naturschutzbund BUND 670.000 Mitglieder.

In Düsseldorf sorgten die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), linke Gruppen und Parteien für Hintergrundwissen und Inhalte auf der Demonstration. Liest man den Aufruf von Attac, den Gewerkschaften ver.di und GEW, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, von Campact sowie der Umweltorganisationen Greenpeace und BUND, bekommt man den Eindruck, dass die Unterzeichner ein Interesse daran haben, gemeinsam mit Rot-Grün-Gelb, aufkommenden Protest innerhalb der Bevölkerung kanalisieren zu wollen.

DKP und die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) waren gut sichtbar mit Transparenten, Plakaten und Fahnen inmitten der Demonstration mit eigenen Blöcken zu sehen und hören. Mehrere Hundert Zeitungen der DKP „unsere zeit“ wurden in Düsseldorf verteilt. In zahlreichen Gesprächen informierten die Kommunisten und die Arbeiterjugend, worauf es ankommt. Wie der Protest gegen Hochrüstung und Sozialabbau verstärkt werden muss.

Der Aufruf und die Herangehensweise des Bündnisses stießen von Beginn der Veröffentlichung auf Kritik. Weder nannten die darin befindlichen Organisationen die wirklichen Hintergründe der Belastungen der Menschen und die Ursachen der Inflation. Stattdessen allgemeine Floskeln als Resultat einer fehlenden Analyse, die Gesellschaft dürfe sich nicht spalten lassen. Im Kapitalismus ist die Gesellschaft immer gespalten. Die gegensätzlichen Interessen zwischen Kapital und Arbeit lassen sich nicht miteinander verbinden. Mit dem Aufruf „Solidarisch durch die Krise“ stellt sich das Bündnis hinter den Sanktions- und Kriegskurs der Bundesregierung. Folglich wird auch die Hochrüstung mit keinem Wort erwähnt. Statt sich auf die eigene Kraft zu besinnen, betätigen sich die Gewerkschaften als SPD-Erfüllungsverein. Der BUND als Wasserträger einer olivgrünen Kriegspolitik durch Bündnis90/Grüne. Das ging so weit, dass man mit dem Aufruf gleich die Drohung verbreitete: „ … verschwörungsideologische Äußerungen sowie Verharmlosung von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine werden auf den Veranstaltungen des Bündnisses konsequent unterbunden.“ Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, maßte sich an, Demonstranten die ein Ende der Sanktionspolitik forderten, sollten zu Hause bleiben. Davon ließen sich Marxistische Kräfte jedoch nicht einschüchtern. Sie sorgten für Aufklärung, machten darauf aufmerksam, dass es notwendig ist, den Kampf gegen die Verelendung der Bevölkerung und deren massive Belastungen aufzunehmen. Mittlerweile ist diese zunehmende Armut in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

2016-04-23 Anti-TTIP-Demonstration in Hannover, (10069).jpg

Die DKP hält es für unverzichtbar, den Zusammenhang von Krieg und Krise aufzuzeigen. Friedens- und soziale Bewegung zusammenzuführen. Gegen Lüge und NATO-Kriegshetze aufzuklären. Die Kommunisten fordern eine gesetzliche Senkung der Energiepreise auf das Niveau von Juni 2021. Die Streichung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel und Energie. Eine Beendigung des Wirtschaftskrieges! Im Interesse der arbeitenden Menschen, der Jugend und Rentner müssen Hochrüstung und Waffenlieferungen gestoppt werden. Damit decken sich die Forderungen der DKP mit einem immer größer werdenden Teil der Bundesbürger. Die wollen vernünftigerweise verhandeln statt schießen lassen! Wie neuste Umfragen belegen.

Dass die Bundesregierung und die Herrschenden nicht nur keine Lösungen haben, sondern Verursacher der explodierenden Energie- und Lebensmittelpreise sind, wurde im Bündnis bewusst ausgeklammert. Der Aufruf blendet den Wirtschaftskrieg gegen Russland, die Ausrichtung Baerbockscher Außenpolitik mit dem Ziel, Russland „zu ruinieren“, aus. Damit befindet man sich in guter Gesellschaft der Mainstream-Presse. Solchen politischen Scharfmachern, wie Baerbock, Habeck, Scholz, Lindner, Hofreiter, Merz und Strack-Zimmermann. Die Sanktionen gegen Russland werden nicht als Verursacher steigender Energie- und Lebensmittelpreise benannt. Dabei ist der Hochrüstungskurs der Regierung und die Sanktionen der Grund für die galoppierende Inflation. Die Gelddruckmaschinen bei der Bundesdruckerei laufen rund um die Uhr. Die Regierungs-Ampel erfüllt mit der Auftragserteilung für immer mehr Waffen das Streben der Rüstungskonzerne nach Profitmaximierung. Die Kasse klingelt.

Kein Frieren für die NATO! Enteignung der Energiekonzerne! Kein weiteres Drehen an der Eskalationsspirale! Wir brauchen Milliarden für Bildung und Gesundheit statt fürs Sterben!

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben      — Liebknecht-Luxemburg-Demo-2018 Infostand der DKP

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, Medien, P. DIE LINKE | Keine Kommentare »

Arbeitskampf in den USA

Erstellt von Redaktion am 23. Oktober 2022

Der Zorn des neuen Proletariats

Starbuckscenter.jpg

Von Johannes Hör und Matthias Weigand

Sie sind jung, fleißig, selbstbewusst – und wollen sich nicht länger ausbeuten lassen. Jetzt streiten Starbucks-Beschäftigte US-weit für ihre Rechte.

Der Eingang zur Starbucks-Filiale auf der Commonwealth Avenue in Boston ist verbarrikadiert. Seit fast zwei Monaten wird hier gestreikt, rund um die Uhr. An der gläsernen Front kleben Plakate mit Forderungen und Parolen, auf einem Tisch liegen Spiele und Pappteller, daneben steht eine Thermoskanne. Ein Stück Karton weist auf Telefonnummern einer Bereitschaftshilfe hin. Es ist ein gleißend heller Septembertag, drei Streikende sitzen unter einem Sonnenzelt. Alle zwei Stunden wechseln die Angestellten sich ab. Der Filialleitung werfen sie unlautere Beschäftigungspraktiken vor.

Und sie sind nicht allein: Seit einigen Monaten gründen sich in den Vereinigten Staaten mit rasantem Tempo neue Gewerkschaften – ausgerechnet in dem Land, in dem Entlassungen unter dem Begriff „hire and fire“ zur Normalität gehören. Starbucks ist mit fast 400.000 Angestellten der größte Kaffeehauskonzern der Welt. 15.000 Läden werden allein in den USA betrieben. Mittlerweile sind die Angestellten des Kaffeegiganten bei Gewerkschaftsgründungen besonders umtriebig. Aus gutem Grund.

Lange galt das Unternehmen in der Öffentlichkeit als progressiver Arbeitgeber. Starbucks legt Wert auf ein familiär wirkendes Betriebsklima. So werden die Angestellten „Partner“ genannt und das Einarbeiten „Weiterbildung“. Der Konzern versteht sich als queer- und trans*­freund­lich, Geschäftsführer Howard Schultz hat in der Vergangenheit stets lautstark die Demokratische Partei unterstützt.

Starbucks legt Wert auf ein familiär wirkendes Betriebsklima. Angestellte werden „Partner“ genannt, es geht queer- und trans*­freund­lich zu. Gewerkschaften passen nicht zu diesem progressiven Image, meint der Konzernchef

In den Filialen wird der Kundenkontakt von sogenannten Baristas getragen, die in Schichtarbeit Getränke und kleine Gerichte zubereiten. Aufsteigen kann man zum Baristaausbilder und zur Schichtleitung. Die jeweiligen Filialleitungen – die meist keine Erfahrung mit der Arbeit vor Ort in den Läden haben – treffen die Personalentscheidungen und erstellen die Dienstpläne.

Die Arbeitszeiten, die in einer Filiale anfallen, verwaltet ein firmeneigener Algorithmus, das Stundenbudget wird auf Basis vergangener Umsätze berechnet. Häufig geschieht es, dass Baristas zu Stoßzeiten wegen niedriger Personalzuteilung nicht alle Bestellungen bedienen können. Die Folge: Die Umsätze sinken – was zu einer noch dünneren Personaldecke in der nächsten Schicht führt, ein Phänomen, das manche Angestellte als „cycle of doom“ bezeichnen, als „Kreislauf des Untergangs“.

Starbucks bietet seinen Beschäftigten Zusatzleistungen, etwa eine Krankenversicherung, keine Selbstverständlichkeit in den USA. Auch die Gebühren für ein Onlinestudium an der Arizona State University werden vom Konzern übernommen. Wer in den Genuss dieser Extras kommen will, muss mindestens 20 Arbeitsstunden pro Woche leisten. Das Problem: Eine Mindestarbeitszeit ist in den meisten Bundesstaaten nicht gesetzlich zugesichert.

Das freundliche Image täuscht

Vor allem wegen der großzügig wirkenden vertraglichen Extras galt Starbucks lange als Bastion gegen eine gewerkschaftliche Selbstorganisation der Mitarbeitenden. Dem netten Image standen aber stets herbe Vorwürfe gegenüber: die Macht des Unternehmens über die Ausbildung und die Krankenversicherung seiner Angestellten; die Überlastung von Baristas; die Missachtung von Beschwerden aus der Belegschaft.

Am 9. Dezember 2021 beschlossen die Angestellten eines Cafés in Buffalo, sich zu organisieren. Seither haben fast 400 weitere Starbucks-Läden über die Gründung einer eigenen Ar­beit­neh­me­r*in­nen­ver­tre­tung abgestimmt. Die Betriebsräte bei Starbucks sind, wie allgemein in den USA, sehr autonom – sie bezeichnen sich selbst als „union“, jede Filiale muss einzeln über ihren Tarifvertrag verhandeln. Das ist eine der Bedingungen, die die Konzernleitung stellte, um sich auf den Vorstoß einzulassen. Immer wieder kam es zu Verzögerungen, doch nun, im Oktober 2022, beginnen endlich die Tarifvertragsverhandlungen in über 230 Starbucks-Filialen. Es ist der Start für die zweite, entscheidende Phase in der Geschichte dieser so jungen und so kampflustigen Bewegung.

Große, etablierte Gewerkschaften gelten in den USA als eingerostete, träge Apparate und werden oft als irrelevant betrachtet, angesichts des Niedergangs der verarbeitenden Industrie. Eine komplizierte Geschichte von Korruption und Rassismus – oft wurden schwarze, aus den Südstaaten migrierte Ar­bei­te­r*in­nen als Streikbrecher angeworben – machte das Image nicht besser. Entscheidend für die Verdrängung der Gewerkschaften waren auch der Lobbyismus der Arbeitgeber, der stets auf offene politische Türen stieß, und die Zersplitterung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.

Die Eckpunkte gewerkschaftlicher Organisation in den Vereinigten Staaten sind bald ein Jahrhundert alt: 1935 wurden sie im sogenannten Wagner Act abgesteckt. Mit ihm wurde auch das National Labor Relations Board (NLRB) gegründet, das bis heute über die Einhaltung der entsprechenden Gesetze wacht. Um eine Gewerkschaft zu gründen, müssen mindestens 30 Prozent eines sogenannten „bargaining units“, also eines Betriebs – in diesem Fall einer Filiale – eine Abstimmung unter den Mitarbeitenden einfordern. Wenn bei einer solchen geheimen Abstimmung mehr als die Hälfte der Mit­ar­bei­te­r*in­nen zustimmt, ist der Arbeitgeber verpflichtet, über einen Tarifvertrag zu verhandeln. Von den Beschäftigten gewählte Vertreter*innen, sogenannte „stewards“, sollen anschließend die Einhaltung des Vertrags überwachen.

Versuche der Verzögerung und der Sabotage dieses komplizierten Prozesses müssen von den Gewerkschaften beim NLRB angezeigt werden. Allerdings herrscht auch dort Personalmangel, weshalb die Auseinandersetzungen sich oft in die Länge ziehen. Die junge, sich gerade erst entfaltende Bewegung der Starbucks Workers United verfügt bislang über keine finanziellen Mittel, einzelne Filialen vernetzen sich untereinander und mit anderen Gewerkschaften über soziale Medien. Lose sind die Starbucks Workers an die weit größere Gewerkschaft Workers United angebunden, die wiederum einem Dachverband angehört. Im Gegensatz zu traditionsreichen größeren Gewerkschaften sind die neuen Bewegungen stark von der Basis getragen, viele Mitglieder gehören gesellschaftlichen Minderheiten an.

Die Konzerne schlagen mit Anwälten zurück

Ihnen gegenüber stehen die Starbucks-Anwälte von Littler Mendelson, einer Kanzlei, die sich auf „union busting“ spezialisiert hat, auf die Zerschlagung jeglichen gewerkschaflichen Engagments. Die Rechtsprofis fechten Abstimmungsergebnisse und Entlassungsklagen an, verzögern mit legalen Kniffen Abstimmungen und Verhandlungen. Konzerne wie Starbucks lassen sich solcherlei Unterstützung einiges kosten: Für einzelne Gerichtstage stellen diese Kanzleien mitunter mehrere hunderttausend Dollar in Rechnung. Im Internet kursieren Handbücher zur „Gewerkschaftsvermeidung“. Bei Starbucks wurde im September ein Extrakonto nur für Angestellte ohne Gewerkschaftsbindung angekündigt.

Howard Schultz, der langjährige CEO von Starbucks, hat in Reden und Interviews mehrfach betont, eine Gewerkschaft nicht als Teil des Unternehmens akzeptieren zu können. Mehr als 100 Mit­ar­bei­te­r*in­nen wurden im Zusammenhang mit der neuen Gewerkschaftsbewegung schon gefeuert, in vielen Filialen wurde das Personal ausgetauscht, einige Baristas sind im Begriff, ihre Krankenversicherung zu verlieren, weil ihnen nicht ausreichend Arbeitsstunden zugeteilt werden.

Jahrzehntelang haben Beschäftigte in den USA stagnierende Löhne und schwindende soziale Mobilität mehr oder minder klaglos hingenommen. Doch die öffentliche Meinung hat sich unter dem Eindruck der Finanzkrise gewandelt. Jetzt tritt eine neue, noch ganz junge Generation von Ar­beit­neh­me­r*in­nen an – und diese hat sich nicht zuletzt durch die Black-Lives-Matter-Proteste stark politisiert.

Zurück zur Starbucks-Filiale in Boston, in der seit zwei Monaten gestreikt wird. An der nahe gelegenen Universität ist heute der erste Vorlesungstag nach den Semesterferien. Immer wieder kommen Studierende mit Kaffeedurst vorbei, doch statt eines Latte Macchiato bekommen sie hier nun Infomaterial zum Arbeitskampf in die Hände gedrückt. Manche gehen gleich weiter, zum nächsten Starbucks-Laden, nur fünf Minuten entfernt. Andere aber werden neugierig, bleiben stehen – und beginnen angeregte politische Diskussionen, untereinander und mit den aufgebrachten Baristas.

„Wir sind immer unter­besetzt und überarbeitet“

Quelle        :         TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —     Starbucks Center in Seattle, Washington (headquarters of Starbucks Coffee). Photographed by user Coolcaesar on May 30, 2016.

Abgelegt unter Amerika, Gewerkschaften, Positionen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Eine Wurzel für Revolution

Erstellt von Redaktion am 7. August 2022

Wie sich die Linke wieder in der Arbeiter-innenklasse verankern kann

Datei:Students and Workers Unite +Jeff Stone=Walker Clone (5527109848).jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von    :   Lotta D. Classe  –   ajourmag.ch

Rein in die Gewerkschaften? Oder eine Kampagne gegen Klassismus und Diskriminierung von Armutsbetroffenen? Und wie passt Klassenpolitik mit Antirassismus und Feminismus zusammen? Die kommunistische Gruppe Angry Workers aus London meint: wir müssen uns wieder im Alltag der Arbeiter:innen-Klasse verwurzeln. Während sechs Jahren haben sie in der Londoner Lebensmittelbranche und Logistik gearbeitet und versucht, Selbstorganisation, Solidarität und Kämpfe in der Klasse zu stärken. Über ihre Praxis haben sie das Buch «Class Power. Über Produktion und Aufstand» geschrieben.

Wir schreiben das Jahr 2014. Einige Londoner Aktivist:innen aus linksradikalen und feministischen Gruppen packen ihre sieben Sachen und ziehen in den proletarisch und migrantisch geprägten Stadtteil Greenford in West-London – weitab der hippen Quartiere und der linken Szene. Inspiriert von den Kämpfen migrantischer Arbeiter:innen in der norditalienischen Logistikbranche suchen sie sich Jobs in der Logistik- und in der Lebensmittelbranche. Sie schliessen sich zur Gruppe Angry Workers zusammen, um als Revolutionäre in der Arbeiter:innen-Klasse, konkret in den Betrieben und Quartieren, Wurzeln zu schlagen. Den Ort ihrer Agitation wählen sie nach strategischen Gesichtspunkten: Greenford liegt im sogenannten Westlichen Korridor, der für die logistische Erschliessung Londons unverzichtbar ist. Dort liegt der grösste Flughafen Europas, der Heathrow Airport. Dieser stellt Londons globale Anbindung sicher. Und er ist der mutmasslich grösste Arbeitsplatz Grossbritanniens. Am Flughafen arbeiten um die 80’000 Menschen. Weitere 10’000 schuften in den umliegenden Lagerhäusern. In Greenford und dem nahegelegenen Perivale arbeiten weitere 15’000 in Lagerhäusern, 40’000 im (re-industrialisierten) Industriegebiet Park Royal. Die wichtigsten Industrien sind Warendistribution und Lebensmittelverarbeitung.

Für die Angry Workers war die Region aus mehreren Gründen strategisch vielversprechend: Die Nahrungsmittelindustrie und die Logistikbranche gehören zu den wichtigsten und wachsenden Branchen Grossbritanniens. In der Region gibt es eine beachtliche Konzentration industrieller und logistischer Arbeitsplätze. Die dort schuftenden Arbeiter:innen sind an einem strategisch elementaren Punkt im kapitalistischen Produktionsnetzwerk. Sie verfügen folglich über viel strategische Macht. Denn 60 Prozent aller Lebensmittel für die acht Millionen Einwohner:innen Londons werden im Westlichen Korridor abgefertigt, verpackt und verarbeitet. Trotz dieser für eine klassenkämpferische Linke interessante Konstellation interessiert sich laut den Angry Workers die Linke Londons – bestehend aus Corbyn-Fans, einer akademisch geprägten Linken und eingesessenen trotzkistischen Organisationen – kaum für den Stadtteil und seine Bewohner:innen.

Der strategisch machtvollen Position steht allerdings eine subjektive Machtlosigkeit und organisatorische Schwäche gegenüber. In Greenford wohnt und arbeitet ein multinationales Prekariat. Die Behauptung Westeuropa sei eine postindustrielle Gesellschaft offenbart sich hier als Gerede. Taylorisierte Arbeitsprozesse sind weit verbreitet, das Arbeitstempo hoch, die Monotonie zermürbend. Die Manager spielen verschiedene Geschlechter und migrantische Gruppen gegeneinander aus. Greenfords Arbeiter:innenklasse ist grossteils aus Südasien und Osteuropa migriert. Dass das Migrationsregime und die kapitalistischen Arbeitsmärkte zusammenhängen ist hier offensichtlich: Migrantische Arbeiter:innen müssen etwa bestimmte Bedingungen erfüllen, um den Aufenthaltsstatus nicht zu verlieren. Das verursacht grossen Stress und macht sie erpressbar. Daher muss eine erfolgreiche Klassenpolitik stets intersektional sein und die politischen Spaltungen der Klasse sowie Diskriminierungen entlang von race und gender ernst nehmen. Weitverbreitet sind zudem «Null-Stunden-Verträge». Das heisst, Arbeiter:innen haben keine garantierten Arbeitsstunden und sie wissen nie, ob ihr Lohn bis ans Monatsende reichen wird. Das Management instrumentalisiert dies und bemüht sich, einen Wettbewerb unter den prekären Arbeitskräften zu entfesseln. Die Arbeitsverhältnisse und Managementformen in Greenford sind also beispielhaft für einen wachsenden Teil des Proletariats Grossbritanniens (und darüber hinaus). Daher, so die Überlegung der Angry Workers, ist es umso wichtiger, wirkmächtigen Gegenstrategien zu finden, die diesem Teil der Arbeiter:innen-Klasse Erfolge ermöglichen.

Solidaritätsnetzwerk und Zeitung

Wie gehen die Angry Workers vor? Wichtige Mittel ihrer Organisierung sind ein Solidaritätsnetzwerk und eine eigene Zeitung. Diese spielen zusammen: beim Verteilen der Zeitungen kommt man ins Gespräch, im Solidaritätsnetzwerk sucht man gemeinsam nach Lösungen. Die Zeitung berichtet darüber. Das Solidaritätsnetzwerk nimmt zudem den Alltag jenseits der Lohnarbeit in den Blick. Denn insbesondere migrantische Arbeiter:innen sind in den alltäglichen Gängeleien von Behörden und Bossen vereinzelt. Das Solidaritätsnetzwerk will mit gegenseitiger Hilfe und direkter Aktion dazu befähigen, selbst Lösungen zu finden bei Problemen mit Vermieter:innen, Arbeitsämtern, Einwanderungsbehörden oder bei rassistischer und sexistischer Gewalt (ähnliche Initiativen gibt es hierzulande auch in Zürich und Basel). Es geht also darum die Selbstorganisation innerhalb der Klasse zu stärken – als Gegenmodell zum Expertenwissen von Anwält:innen, Gewerkschaftsfunktionär:innen und Journalist:innen sowie als Antwort auf die Ausnützung der misslichen Lage von Migrant:innen durch mittelständische migrantische «Community Leaders».

Wie ist das Solidaritätsnetzwerk organisiert? Mit Plakaten, in der Zeitung und durch Gespräche rufen die Angry Workers zu regelmässigen Arbeiter:innen-Versammlungen in einem leicht zugänglichen Ort (z. B. Fast-Food-Restaurant) auf. Parallel dazu haben sie eine «Soli-Netzwerk-Telefonnummer» und eine Rechtsberatung eingerichtet. Vor allem Migrant:innen (meist Männer, aber auch einige Frauen) melden sich oder kommen zu den Versammlungen. Sie befinden sich oft in sehr schwierigen Situationen, kennen ihre Rechte nicht und waren abhängig von Leuten aus ihrer «Community». Wie sie in ihrem Buch beschreiben, gelang es den Angry Workers nicht wirklich, aus der «Dienstleister-Rolle» herauszukommen. Auch wenn die Kontakte bestehen blieben, beteiligten sich Arbeiter:innen selten aktiv. Einige Erfolge gab es dennoch: Etwa im Fall einer Lagerarbeiterin aus Punjab, die von einem «Ratgeber für Visumsfragen» aus ihrer «Community» gefälschte Papiere für einen Visumsantrag erhielt. Letzterer weigerte sich dann das Geld zurückzuzahlen. Erst als eine grössere Gruppe von Arbeiter:innen mit Flugblättern und Plakaten sein Büro aufsuchte, gab er nach und zahlte der Arbeiterin ihr Geld zurück. Im Fall einiger ungarischer Lagerarbeiterinnen gelang es, ausstehende Urlaubsgelder einzutreiben – ebenfalls indem mehrere Arbeiter:innen gemeinsam das Büro der Leiharbeitsfirma aufsuchten und Druck machten.

In Kontakt mit der lokalen Arbeiter:innenschaft kommen die Angry Workers auch beim Verteilen ihrer Zeitung «Workers Wild West». Diese umfasst Berichte von Arbeiter:innen über ihre Arbeitssituation und ihre Kämpfe. Zudem berichtet die Zeitung über die Aktivitäten des Solidaritätsnetzwerks und Arbeitskämpfe weltweit. Dabei analysieren sie die Stärke und Schwächen der jeweiligen Kämpfe. Die Zeitung veröffentlichen sie zwei bis drei Mal im Jahr – jeweils 2’000 Exemplare. Diese verteilen sie allerdings nicht auf der Strasse, sondern gezielt an die Arbeiter:innen spezifischer Betriebe, um mit diesen ins Gespräch zu kommen.

Militante Untersuchung

Die Angry Workers beleben eine sozialrevolutionäre Praxisform wieder, die in weiten Teilen der Linken verlorengegangen ist: Die sogenannte militante Untersuchung oder Arbeiter:innen-Untersuchung. Zum einen geht es darum, den Alltag von Arbeiter:innen zum Ausgangspunkt der Analyse zu machen – am Arbeitsplatz und darüber hinaus. Sie schliessen dabei an frühere Diskussionen dissidenter marxistischer Strömungen an – etwa die Analysen der Johnson-Forest-Tendency aus den USA, der französischen Gruppe Socialisme ou Barbarie und des italienischen Operaismus. Bei der Arbeiter:innen-Untersuchung geht es darum, die eigene Politik nicht einzig auf alte, dicke Wälzer bärtiger Männer abzustützen, sondern aus dem Alltag der arbeitenden Klasse und den dort manifesten Widersprüchen heraus zu entwickeln. Nicht aus Mitleid mit den «harten Schicksalen», nicht aus liberaler Empörung über das Scheitern der Meritokratie und auch nicht aus rein wissenschaftlichem Interesse. Sondern aus der strategischen Überlegung, dass die Arbeiter:innenklasse dank ihrer Stellung im Kapitalismus das kreative Potential, das nötige Produktionswissen und die strategische Macht hat, eine Revolution anzustossen, durchzusetzen und am Leben zu erhalten. Aber auch aus der ethischen Haltung heraus, dass die Linke an der Seite der Verlierer:innen des Kapitalismus stehen muss.

Zum anderen ist die Arbeiter:innen-Untersuchung ein Mittel der Agitation, um sich in der Klasse zu verankern, um die Bedingungen für Klassenkämpfe zu untersuchen, mit kollektiven Kampfformen zu experimentieren und solidarische Beziehungen in der Klasse aufzubauen. Inspiriert wurden sie von der Renaissance des Syndikalismus und neuer Debatten um Basisorganisierung. Sie setzten sich daher mit der Diskussion um das Organizing-Konzept «Deep Organizing» und den erfolgreichen, militanten Kämpfen der Basisgewerkschaft SI COBAS in der norditalienischen Logistik auseinander.

Arbeiter:innen-Untersuchungen führten die Angry Workers beispielsweise in eine Lebensmittelfabrik und in ein Verteilzentrum eines grossen Detailhändlers. Das Ziel war dabei, Produktionswissen zu sammeln und unter den Arbeiter:innen zu verallgemeinern sowie herauszufinden, wo im Produktionsprozess potenziell die Macht der Arbeiter:innen liegt. Welche Abteilungen können den Produktionsprozess am stärksten beeinflussen oder stören? Wo gibt es ein Zusammengehörigkeitsgefühl? Welche Rolle spielen Maschinen im Produktionsprozess? Zentral war aber auch, die politischen Spaltungen in der Klasse zu analysieren: Wie sind die Machtbeziehungen am Arbeitsplatz? Welche Techniken nutzen die Manager und Vorgesetzten, um die Produktivität hochzuschrauben? Welche Hierarchien in der Belegschaft schaffen sie? Diese Fragen dienen keiner reinen Theoriearbeit. Sie sind begleitet vom Versuch, informelle Bewegungen der Klasse zu befördern: Welche Kampfformen versprechen Erfolg, eine Unterschriftensammlung oder doch eher ein Bummelstreik? Welche Forderungen sind aufzustellen? Wie wirken sich die Spaltungen unter den Beschäftigten, z.B. zwischen verschiedenen Nationalitäten oder zwischen Temporären und Festangestellten aus?

Durch diese im Alltag verankerte Analyse vermeiden sie rein formal-abstrakte, soziologische Definitionen der Arbeiter:innen-Klasse ebenso wie das antiquierte, stereotype Bild vom Facharbeiter im Blaumann. Beide sind politisch wenig nützlich. Stattdessen entwickeln die Angry Workers ein hochaufgelöstes Bild der Klasse, das auch das Zusammenspiel von Migrationsregime, betrieblichen Hierarchien und Geschlechterordnung beachtet. Sie arbeiten systematisch heraus, wie Hierarchien unter den Arbeiter:innen entstehen, wie diese durch das Management geschaffen oder instrumentalisiert werden für ihre Teile-und-Herrsche-Strategie. So werden verschiedene migrantische Gruppen im Betrieb oft gegeneinander ausgespielt. Manager setzten gezielt Vorarbeiter:innen aus einer spezifischen migrantischen Gruppe ein, sodass Arbeiter:innen aus derselben Gruppe in einen Loyalitätskonflikt geraten: Ethnizität und Klasse konkurrenzieren sich hier und werden instrumentalisiert, um die Belegschaft zu spalten. Oft setzen die Manager auch auf erst seit kurzem migrierte Arbeiter:innen, weil diese ihre Rechte noch nicht gut kennen, sich sprachlich weniger gut wehren können, illegalisiert sind oder für ihren Aufenthaltsstatus auf eine Arbeitsstelle angewiesen sind.

Wichtig ist auch der Graben zwischen Festangestellten und Temporären. Als Arbeiter:innen sich in einem Getränkelager gegen die Streichung einer Überstunden-Prämie wehrten, bot das Management einigen Temporären eine Festanstellung an und durchbrach so die Solidarität unter den Arbeiter:innen. Die Festangestellten erhielten die Prämie weiterhin und wirkten als Streikbrecher:innen. Später stellte das Unternehmen über eine andere Firma neue Temporäre an, die über den Überstunden-Konflikt nichts wussten. Auch das Geschlecht ist zentral. Frauen sind nicht nur von Mehrfachbelastung betroffen, sie werden auch in der Lohnarbeit benachteiligt. Sie erhalten tiefere Löhne, auch weil sie systematisch in vermeintlich «unqualifizierte» Positionen eingeteilt werden. Oft ist diese Zuteilung komplett willkürlich. Denn auch hochspezialisierte Tätigkeiten, die lange Erfahrung benötigen, gelten als «unqualifiziert», wenn sie etwa an einem Fliessband erfolgen. Männer hingegen, die alle zwei Sekunden einen Knopf an einer Maschine bedienen, gelten als «angelernt» und sind dadurch in einer höheren Lohnkategorie. Erschwerend kommt für Frauen hinzu, dass sie Belästigungen und Übergriffen durch Arbeiter und Vorgesetzte ausgesetzt sind.

Die militante Untersuchung soll aber auch Arbeiter:innen vernetzen, solidarische Kontakte und Produktionswissen ausbilden helfen und Kampferfahrung und -erfolge ermöglichen. An diesen Zielen gemessen, könnte man einwenden, haben die Angry Workers wenig Spektakuläres erreicht. Es gelang ihnen zwar, dass Arbeiter:innen in der Lebensmittelfabrik, in der sie länger arbeiteten, wieder übers Streiken sprachen, ja während Lohnverhandlungen sogar damit drohten. Erstmals tauschten sich Arbeiter:innen aus den verschiedenen Fabriken des Lebensmittelunternehmens aus. Mit ihrer Präsenz zeigten die Angry Workers zudem auf, dass es Arbeitskolleg:innen gab, die bereit waren, gegen das Management praktisch vorzugehen. Doch viel weiter gingen die konkreten Resultate nicht. Ihre Klassenpolitik brachte keine schnellen Erfolge. Klar wird: so eine Praxis braucht Zeit, Geduld und Durchhaltevermögen – als Freizeit-Aktivismus ist das nicht zu haben.

Strategisches Denken zurückgewinnen

Interessant am Buch sind auch die Bemühungen der Angry Workers, Antworten auf die Strategielosigkeit der Linken zu finden. Sie diagnostizieren, dass die revolutionäre Linken die Frage nach der Revolution mit vagen Visionen von Multitude, Generalstreik oder Aufstand umschifft. Ihre Organisierungsarbeit wollen sie nicht als Selbstzweck verstanden wissen, sondern als Aufbauprozess für eine tiefgreifende gesellschaftliche Transformation. Dass zwischen alltäglichen Kämpfen und Revolution eine grosse Kluft besteht, ist ihnen bewusst. Daher versuchen sie zumindest eine konzeptuelle, strategische Brücke zu schlagen. Wie eine Übernahme der Produktionsmittel und der gesellschaftlichen Macht durch die Ausgebeuteten aussehen könnte, wollen die Angry Workers möglichst konkret durchdenken. Dass diese «Simulationsübung» holzschnittartig ausfällt, ist nicht verwunderlich. Sie zeigt aber auf, wie wichtig es ist, sich nicht vom «There-is-no-Alternative»-Denken einnehmen zu lassen und das strategische Denken aufzugeben.

Am Beispiel der USA blicken die Angry Workers auf die Kämpfe der letzten Jahre zurück und sprechen drei Klassensegmente an, die – etwas überspitzt – drei Kampfformen wählten: erstens die marginalisierten Proletarier:innen und die Massenproteste und Riots nach dem Mord an George Floyd, zweitens die Massenarbeiter:innen in der kleinen Streikwelle während des Covid-Lockdowns und des Striketober 2021 und drittens die Proteste der Tech- und Wissens-Arbeiter:innen bei Google und Co. Daran machen sie drei Elemente fest, die – wenn sie zusammenkommen – einen revolutionären Prozess ausmachen können: Erstens, eine «massenhafte proletarische Gewalt gegen die Staatsgewalt und die Sprengung des privaten Rahmens durch das Zusammenkommen auf Strassen und Plätzen», zweitens die «kollektive produktive Macht» der Arbeiter:innen, drittens das «widerständige Produzentenwissen» der Wissensarbeiter:innen. Wie sie betonen, spiegelt sich diese Dreiteilung auch geographisch, auf globaler Ebene, symbolisiert durch die Fabriken in Shenzen, die IT-Büros im Silicon Valley und die proletarischen Viertel in Lagos. Das Problem sehen die Angry Workers in der Trennung der drei Klassensegmente, die bisweilen auch von Gewerkschaften oder der Linken reproduziert werden. «Was wir brauchen», schliessen sie daraus, «ist ein direkter Austausch zwischen marginalisierten Proletarier:innen, Massenarbeiter:innen und Wissensarbeiter:innen, die als Teil einer Klassenbewegung ihre Aufgabe der gesellschaftlichen Transformation erkennen und dabei materielle Spaltungen und Wissenshierarchien innerhalb der Klasse überwinden.»

Eine zentrale Gefahr für jeden revolutionären Prozesse diskutieren sie am hypothetischen Beispiel eines Arbeiter:innen-Aufstandes in Grossbritannien. Aufständischen Gebieten droht, dass sie sich materiell nicht reproduzieren können, also das Essen ausgeht oder die Materialien für die industrielle Produktion versiegen, weil sie vom Weltmarkt abgeschottet werden. Um dies zu verhindern, fokussieren sie auf die «Zentren der [ökonomischen] Macht», auf die «Getreidekammern, Fabriken, Häfen und Kraftwerke», wie sie schreiben. Die Angry Workers betonen daher, dass ein erfolgreicher Arbeiter:innen-Aufstand die essenziellen Industrien – etwa Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung, Energieproduktion, Wasserversorgung, Transport, Kommunikation etc. – übernehmen, verteidigen und transformieren muss. Daher denken sie, dass eine «aktive Minderheit» von 30 bis 40 % des Proletariats als produktiver, materieller Kern den Aufstand tragen muss. Parallel zu diesem produktiven Aufstand müssten grössere, kollektivistische «Haushaltseinheiten» eingerichtet werden – zum Beispiel in ehemaligen Hotels oder Bürogebäuden – in denen dann Güter verteilt, Haus- und Care-Arbeit gemeinsam organisiert wird und politische Entscheidungen gefällt werden.

Hier stellt sich allerdings die Frage, ob die Angry Workers nicht die Vernetztheit, die sie ja grundsätzlich bedenken und die Abhängigkeit von Technologie unterschätzen. Wie einige Marxist:innen anhand des Marxschen Maschinenfragments behaupteten, ist der gegenwärtige Kapitalismus dadurch geprägt, dass Technologie und der Einsatz von Wissen zur eigentlichen Triebfeder kapitalistischer Produktion geworden sind, während die Arbeiter:innen zu Wächter:innen des Herstellungsprozess werden. Weniger der Einsatz physischer Arbeitskraft stellt den Produktionsprozess sicher, sondern die korrekte Anwendung wissenschaftlichen Wissens, ein hochtechnologisierter Maschinenpark sowie Fehlerbehebung und -prävention. Kurzum: Wenn in zahlreichen Industrien und in der Logistik Computertechnologie und Internet-Vernetzung ein integraler Bestandteil eines funktionierenden Maschinenparks ist, besteht nicht die Gefahr, dass ein fehlendes Software-Update, ein gekappter Breitbandanschluss oder das Fehlen weniger Spezialist:innen die Güterproduktion und -verteilung komplett lahmlegen kann? Welches ist also die Rolle von Technologie und Wissen in einer Revolution?

Ein zweiter Punkt: Gelingt ein lokaler Aufstand, braucht es nicht mehr als «Getreidekammern, Fabriken, Häfen und Kraftwerke»? Wir werden weiterhin ältere, behinderte und erkrankte Menschen pflegen, Kinder betreuen usw. usf. Die Gesellschaft reproduziert sich nicht nur mit materiellen Gütern, sie bedarf Tätigkeiten des Pflegens und Sorgens und die sozialen Beziehungen, die sich dadurch ausbilden und vertiefen. Eine wahrhafte soziale Revolution muss die Spaltung der Klasse in unbezahlte Reproduktionsarbeiter:innen und Lohnarbeiter:innen hinter sich lassen. Den Bereich der sozialen Reproduktion haben die Angry Workers zwar nicht vergessen. Sie analysieren die Haushalte in Greenford, behandeln deren Probleme im Solidaritätsnetzwerk und betonen, dass es in einer Phase der Transformation ebenso wichtig ist, Zentren der kollektivierten sozialen Reproduktion zu schaffen wie die essenziellen Industrien zu übernehmen. Doch müsste sich diese strategische Bedeutung nicht stärker in der Organisierungspraxis zeigen? Und ergeben sich hier nicht vielversprechende Möglichkeiten für eine Allianz mit der feministischen Bewegung?

Basis-Initiativen könnten daher danach fragen, wie die Organisierung am Arbeitsplatz mit Vernetzungen und Gegenstrukturen in der Sphäre der sozialen Reproduktion verschaltet werden können. Interessant wäre es, die Methoden der Arbeiter:innen-Untersuchung und Basisorganisierung auf die soziale Reproduktion anzuwenden: Wie ist die Haus- und Care-Arbeit in diesem oder jenem Gebiet organisiert? Wo findet sie statt, wer leistet sie? Welche kollektiven Arbeitsformen existieren bereits, wo finden sie statt und wie könnten diese verallgemeinert werden? In Community-Center könnte mit der Kollektivierung von Reproduktionsarbeit experimentiert werden (z. B. Essenszubereitung, Sorge-Arbeiten, Selbst-Sorge-Gruppen). Wenn man sich die kapitalistische Ökonomie als Verkettung von Arbeitsschritten vorstellt und die soziale Reproduktion am Anfang dieser Kette steht (Arbeitskräfte herstellen und erhalten) ist zudem zu fragen: Wo ist die Abhängigkeit kapitalistischer Unternehmen von einer reibungslosen Reproduktion der Arbeitskräfte besonders hoch, wo liegt also strategische Macht im Bereich der sozialen Reproduktion? Und für den Bereich des Wohnens: Wie kann organisatorische Macht aufgebaut werden, um Wohnraum mittels direkter Aktionen zu vergesellschaften? Hier ergeben sich also Anschlussmöglichkeiten für eine revolutionäre Stadtteilarbeit (vgl. das Buch «Revolutionäre Stadtteilarbeit» und die Gruppe ROSA), welche die soziale Reproduktion in einem Quartier in den Fokus nimmt.

Einen «Masterplan» für Basisorganisierung können die Angry Workers auch nicht vorlegen. Sie sehen ihre Organisierung als Versuch, als Experiment, um die wahrgenommene Alternativlosigkeit in der Linken zu überwinden. Ihr Ziel bleibt dabei die politische Organisierung der Klasse, also eine Klassenpolitik, die sich nicht an einer abstrakten Vorstellung der Lohnabhängigen-Klasse orientiert, sondern im täglichen Leben und Kämpfen der Arbeiter:innenklasse eingebettet ist. Sie streben keine formale Organisation an, der Menschen beitreten können, um dann nichts mehr zu unternehmen. Vielmehr stellen sie sich eine Organisierung vor, die aus vielen lokalen Kollektiven besteht, die auf der Selbstorganisation der Klasse aufbauen und sich über die radikale gesellschaftliche Veränderung austauschen.

Das Buch der Angry Workers ist absolut lesenswert! Aus den vielen dichten Beschreibungen lernen wir ungemein viel über die Lebensbedingungen der Arbeiter:innenklasse West-Londons und ihre Einbettung in die lokalen und globalen Supply-Chains. Man fragt sich sogleich, wie denn die Logistik-Cluster in der eigenen Region organisiert sind, wo der Fertig-Food im Detailhändler herkommt und wieso die Linke so wenig darüber weiss. Was das Buch von vielen akademischen oder journalistischen Schreibübungen – ja selbst von manchen Gesprächen unter Genoss:innen – unterscheidet: Stets spricht aus ihren Untersuchungen ein ehrliches, menschliches Interesse am Alltag der Menschen und der unbändige Wille, die herrschenden Verhältnisse nicht hinzunehmen.

Das Buch ist eine Einladung, jegliches rein instrumentelles oder sozialkaritatives Verhältnis zum Proletariat zu überwinden und eine Quelle für eigene Organisierungsprojekte. Inspirierend ist zudem, wie diese Kommunist:innen direkte, solidarische – auch freundschaftliche – Beziehungen mit anderen Arbeiter:innen aufbauen, mit ihnen Kampferfahrungen und Wissen sammeln und dies mit strategischen Überlegungen für eine andere Welt kombinieren. Diese kommunistische Zärtlichkeit gegenüber der Klasse ist in den gegenwärtig düsteren Zeiten nötiger denn je.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —  Demonstration an der Universiät von Wisconsin, USA. / 

Verfasser  :    marctasman (CC BY-SA 2.0 cropped)

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic Lizenz.

Copyright-Symbol überprüft.svg Dieses Bild wurde ursprünglich von marctasman at https://flickr.com/photos/89585333@N00/5527109848 (Archiv) auf Flickr gepostet. Es wurde am 20. Oktober 2018 von FlickreviewR 2 überprüft und es wurde bestätigt, dass es unter den Bedingungen des cc-by-sa-2.0 lizenziert ist.

****************************

Unten       —       Proteste am 10. März

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, International, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Ein Lob den Streiks

Erstellt von Redaktion am 3. August 2022

Arbeitsniederlegung an Flughäfen und in Krankenhäusern

Datei:17-03-14-Streik Flugplatz Schönefeld SXF RalfR-RR7 8140.jpg

Eine Kolumne von Samira El Ouassil

Erst das Krankenhauspersonal, dann die Lufthansa-Mitarbeiter: In Deutschland stehen Streiks derzeit auf der Tagesordnung. Warum Stimmungsmache dagegen unredlich ist – und nur ökonomischer Ungehorsam wirkungsvoll.

Eigentlich dürfte hier gar keine Kolumne stehen. Im Geiste meines nun kommenden Lobes des Streiks sollte ich mich solidarisch mit allen Streikenden zeigen, dem SPIEGEL keinen weiteren Buchstaben schenken und diese Seite weiß lassen. Allerdings komme ich nicht umhin zu erklären, was an einer kollektiven Niederlegung der Arbeit so subversiv ist, ohne hier nun doch, nun ja, zu arbeiten (auch wenn ich natürlich schon die Kommentare vor meinem geistigen Auge sehe, die das hier nicht als Arbeit bezeichnen würden).

Denn beim Streiken geht es, glaubt man dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu, um nicht weniger als um die Verteidigung demokratischer Errungenschaften. Während des Generalstreiks im Jahr 1995 am Gare de Lyon in Paris, dem größten in Frankreich seit den Sechzigerjahren, ergriff Bourdieu das Wort, beschrieb den Streik als Kampf gegen die »Zerstörung der Zivilisation« und sorgte damit unter den Intellektuellen seines Landes für einen Eklat.

Nach Wochen der landesweiten Infrastruktur-Stilllegung, die von der Bevölkerung unterstützend akzeptiert wurde, nahm die Regierung des damaligen Premiers Alain Juppé eine geplante Rentenreform zurück. Die Öffentlichkeit hatte die existenzielle Verzweiflung hinter den Handlungen verstanden: Worum die Streikenden auf der Straße kämpften, war das Anrecht darauf, nicht in Ausbeutungsverhältnissen zermürbt zu werden; das Anrecht auf vernünftige Arbeitsbedingungen und auf Würde, ja, sogar am Arbeitsplatz.

Schaut man sich allerdings heute in Deutschland beispielsweise die desaströsen Arbeitsverhältnisse in Krankenhäusern an, insbesondere während der Hochphasen der Pandemie, kann von würdevollen Arbeitsbedingungen und einer adäquaten Bezahlung keine Rede sein.

Trotz des Applauses und der Schnittblumen zum Tag der Pflege kam es überraschenderweise zu keiner merklichen Verbesserung der Situation für Menschen in Gesundheitsberufen. Für die patientennahen Arbeitskräfte in den nordrhein-westfälischen Kliniken blieben also nur zwei Möglichkeiten: entweder wie viele Kolleg:innen in einem großen »Pflexit« den Beruf verlassen oder auf der Straße dafür kämpfen, dass andere Bedingungen hergestellt werden.

Nachdem die Chefs der Unikliniken ein 100-Tage-Ultimatum hatten verstreichen lassen, gingen die Beschäftigten im Gesundheitswesen in einen Streik, der sich über elf Wochen hinzog. In diesen fast drei Monaten, in denen Corona noch wütete, versuchten die Arbeitgeber mehrmals, den Streik juristisch zu brechen und kritisierten ihn öffentlich. Aber die Arbeitnehmer:innen hielten durch und erzielten einen präzedenzfallhaften Erfolg. Ihre Zähigkeit zahlte sich aus.

Dieser Streik allein zeigt, wie wirksam ökonomischer Ungehorsam als politisches Instrument sein kann. Als Boykott von Lohndumping funktioniert ein Streik wie ein Shitstorm auf der Straße. Nicht von ungefähr nutzt auch Fridays for Future diese Form, um Protest effizienter zu gestalten. Vielleicht gibt es keinen aufmerksamkeitswirksameren Hebel, um die Ausbeutungslogik von Firmen wie Gorillas oder die katastrophale Entlassungspolitik der Lufthansa sichtbar zu machen.

Das Bodenpersonal der Lufthansa hat ab Mittwoch nach einem Aufruf von Ver.di die Arbeit niedergelegt. 1000 Flüge sind ausgefallen, über hunderttausend Passagiere waren betroffen. Die »Bild« titelte »Der fiese Frank versaut uns die Ferien«, an anderer Stelle »Diese Ver.di-Streikenden lassen unsere Flüge platzen« sowie »Das haben wir nicht VERDIent!«

Bei aller handwerklicher Schönheit dieser Headlines agitiert die Zeitung verstörend gegen Arbeitnehmer:innen, profitiert von der menschlich absolut verständlichen Wut der betroffenen Reisenden und verkennt willentlich, dass die Lufthansa-Gruppe aufgrund von Lohndumping und drastischem Stellenabbau den Beschäftigten keine andere Option ließ, als die Arbeit auszusetzen.

Quelle        :            Spiegel-online            >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —          Streik des Bodenpersonals am Flugplatz Schönefeld SXF

Verfasser       :

© Ralf Roletschek

GNU-Kopf Die Erlaubnis zum Kopieren, Verteilen und/oder Modifizieren dieses Dokuments wird unter den Bedingungen der GNU Free Documentation License, Version 1.2, nur in der von der Free Software Foundation veröffentlichten Fassung erteilt; ohne invariante Abschnitte, ohne Front-Cover-Texte und ohne Back-Cover-Texte. Eine Kopie der Lizenz ist im Abschnitt GNU Free Documentation License enthalten. 1.2 Nur

*******************************

Unten       —     02.05.2018, Berlin: Diskussion: Eröffnungspanel: Die Revolution disst ihre Kinder – alte Linke, neue Rechte und das Internet Speaker: Friedemann Karig, Stefan Niggemeier, Samira El Ouassil, Nils Markwardt. Die re:publica ist eine der weltweit wichtigsten Konferenzen zu den Themen der digitalen Gesellschaft und findet in diesem Jahr vom 02. bis 04. Mai in der STATION-Berlin statt. Foto: Gregor Fischer/re:publica

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, Medien, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Eine befreite Gesellschaft?

Erstellt von Redaktion am 27. Juli 2022

Über unsere  gesellschaftlichen Verhältnisse

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      :        Jonathan Eibisch

Warum Anarchist*innen endlich von der Fiktion einer „befreiten Gesellschaft“ wegkommen müssen. Der Aufruf zu einer anarchistischen Demo schliesst mit der Aufforderung dazu, eine „befreite Gesellschaft“ nicht zu erträumen, sondern zu erkämpfen.

Dazu sollen „radikale Politik in die breite Gesellschaft“ getragen und autonome Strukturen organisiert werden. Leicht lassen sich derartige Aussagen als billige Phrasendrescherei abtun. Besitzbürger*innen dämonisieren den Radikalismus der entsprechenden Gruppierungen, wohl wissend, dass diejenigen, die für derartige Positionen eintreten keineswegs die autonome Macht haben, um ernsthaft an der Verteilung von Eigentum oder politischer Macht zu rütteln. So dient ihre Verurteilung linksradikaler Phrasen letztendlich zur Verschleierung der Gewalt mit dem sie ihre eigenen Privilegien angeeignet haben und aufrecht erhalten.

Aus anarchistischer Perspektive sind Appelle, eine „befreite Gesellschaft“ einzurichten hingegen ernstzunehmen. Immerhin steckt dahinter überhaupt noch die Vorstellung, dass eine „andere Welt möglich“ ist und es in der Macht einer selbstorganisierten, kämpfenden Bewegung ist, diese entgegen der bestehenden Herrschaftsordnung zu verwirklichen. Damit ist die Phrase von der „befreiten Gesellschaft“ als Projektion eigener Sehnsüchte zu verstehen, die als solche aus dem Leiden unter den herrschaftlichen Verhältnissen der Gegenwart hervorgeht. Ohne diesen Motivation wird es kaum möglich, über das Bestehenden hinaus zu denken, also einer sozial-revolutionär, statt einer reformerische Herangehensweise nachzugehen.

Doch der fiktionale Charakter der sogenannten „befreiten Gesellschaft“ ist offensichtlich. Mit ihr wird ein endgültiger Zustand der Erlösung suggeriert, welcher nach einer fulminanten Endschlacht quasi von selbst hereinbrechen würde. Zur Selbstvergewisserung zogen Marxist*innen, welche die theoretische Figur der „befreiten Gesellschaft“ erfanden und bedienten, vermeintliche Gesetzmässigkeiten der historischen sozioökonomischen Entwicklung heran, welche eindimensional nach einem teleologischen Geschichtsverständnis verlaufen würde.

Statt der Behauptung „es rettet uns kein höheres Wesen“, wurde radikal-humanistisch (und eurozentristisch) die Weiterentwicklung der modernen Menschheit als metaphysische Orientierung eingesetzt. Im Übrigen wurde damit auch das moderne Weltverständnis auf die Vergangenheit zurück projiziert, was verlangte zu behaupten, dass vorherige oder aussereuropäische Gesellschaftsformen fundamental anders gewesen wären. (Ja, das waren und sind sie auch – nur eben nicht in der Konstruktion ihrer Andersartigkeit durch die globale hegemoniale Elite.)

Anarchist*innen gehen davon aus, dass die Gesellschaftsform in einem langen und anhaltenden Prozess auf verschiedenen Ebenen sozial revolutioniert werden muss. Ein Paradox besteht dabei darin einerseits „alles verändern“ zu wollen und andererseits zu wissen, dass derartige Veränderung per se nur prozesshaft auf verschiedenen Wegen geschehen und nie abgeschlossen werden kann. Wir wollen keine etwas freiere Gesellschaft, sondern eine, in welcher soziale Freiheit im qualitativen Unterschied zu heute umfassend und für alle Menschen verwirklicht werden kann. Und trotzdem können wir sie nur etappenweise erkämpfen, Schritt für Schritt aufbauend auf den bisherigen Erfolgen, statt auf der Illusion eines grossen Schlages von oben/aussen, der nie kommen wird. Emanzipation bedeutet, dass Menschen aktiv werden, ermächtigen, sich organisieren und sich in ihrem Engagement und ihren Auseinandersetzungen selbst verändern.

Die Fiktion einer „befreiten Gesellschaft“ zu bedienen, nährt die Probleme der abstrakten Utopie. Dagegen treten Anarchist*innen für die Konkretisierung der Utopie mit einem recht unspektakulären Verständnis von ihr ein. Es lohnt sich für die konkrete Utopie einer libertär-sozialistischen Gesellschaftsform zu kämpfen. In ihr sollen Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Selbstbestimmung und Vielfalt für alle Menschen verwirklicht werden. Sie bedeutet eine grundlegende Transformation politischen Form des Staates hin zu einer Föderation dezentraler autonomer Kommunen sowie der ökonomischen Form des Kapitalismus hin zu einer dezentralen und partizipativen sozialistischen Wirtschaftsweise.

Die libertär-sozialistische Gesellschaft hat noch andere Kriterien, um welche es an dieser Stelle nicht geht. Und Anarchie wird sie in Frage stellen und damit auf das Ziel der Überwindung jeglicher Herrschaftsverhältnisse hin ausrichten. Damit hört der Prozess der Einrichtung und Weiterentwicklung von Gesellschaft als auch nicht „nach“ der sozialen Revolution auf, sondern ist fortlaufend voran zu bringen. Damit dies gelingen kann, könne die stahlharten Rahmenbedingungen jedoch aufgebrochen und geändert werden.

Mit der Phrase „der befreiten Gesellschaft“ wird nichts von diesen Aspekten assoziiert. Mit ihr wird keine Verbindung zwischen pragmatischem und konkret-utopischem Denken geschlagen, sondern der Schein-Widerspruch zwischen Reform und Revolution in die Richtung eines Pseudo-Radikalismus aufgehoben.

In umso krasserem Licht erscheint die Parole, weil zwar landläufig angenommen und gefühlt wird, dass die bestehende Herrschaftsordnung von Grund auf marode ist, während das konkret-utopische Sehnen fast vollständig versiegt ist. Und das selbst (und/oder gerade ?) unter Linksradikalen. Mit anderen Worten dient die Phrase „der befreiten Gesellschaft“ im Grunde genommen dazu, sich über die eigene Enttäuschung hinwegzutäuschen und die eigenen Ohnmachtserfahrungen verbalradikal zu kaschieren.

Darüber hinaus wird mit ihr ein falsches Herrschaftsverständnis tradiert. Nämlich jenes, nach welchem Herrschaft von einem Aussen her auf die vermeintlich organische und „gute“ Gesellschaft auferlegt werden würde. Selbstverständlich profitieren privilegierte Gruppen von der bestehenden Herrschaftsordnung und haben deswegen von Zwang, Gewalt und Verblödung gestütztes Interessen, diese aufrecht zu erhalten, worunter die meisten anderen leiden. Wir haben es mit einem Phänomen systemischer Herrschaft zu begreifen – deren Akteur*innen freilich trotzdem angreifbar sind.

Wer Herrschaftsverhältnisse insgesamt überwinden will, muss sie aber als solche – als gesellschaftliche Verhältnisse – begreifen, statt anzunehmen, man könne die „blöden“, „bösen“ oder „fiesen“ Herrschenden irgendwie raus werfen, damit die Leute dann ihre Angelegenheiten selbst regeln könnten. Es ist nun mal leider deutlich komplizierter und verlangt zumindest die eigene Verstrickung in Herrschaft (aus der eine solch ultimative Projektion nach „der befreiten Gesellschaft“ heraus entspringt) einzugestehen und einen adäquaten Umgang damit zu finden.

Meine Position ist in diesem Zusammenhang klar: Meiner Ansichten nach sollten Anarchist*innen für eine libertär-sozialistische Gesellschaftsform kämpfen, diese propagieren, veranschaulichen und sich mit anderen Strömungen unter diesem Label verbünden. Es gilt freiheitliche, gleiche und solidarische Institutionen und Beziehungen in der Hülle der alten Gesellschaftsordnung zu schaffen.

Zugleich sollten Anarchist*innen jeglicher verfestigter Ordnung gegenüber skeptisch bleiben und sie in Frage stellen, statt ein Regime durch ein anderes zu ersetzen – und sei es mit den aufrichtigsten Anliegen. Beides gleichzeitig zu verfolgen, führt zu einem Paradox, welches die potenziell produktive Spannung hervorbringt, welche den Anarchismus meiner Wahrnehmung nach auszeichnet. In dieser Herangehensweise liegt meines Erachtens nach auch der Unterschied zu linksradikaler Politik begründet.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       Unbearbeitetes, dafür zeitnah hochgeladenes Foto vom 1. Mai 2013 in Hannover: Der Deutscher Gewerkschaftsbund hatte zu den Demonstrationen unter dem Motto „Gute Arbeit. Sichere Rente. Soziales Europa“ aufgerufen. Vielleicht letztmals zogen Demonstranten und unterschiedlichste Gruppierungen vom Freizeitheim Linden zum Klagesmarkt, den die Stadt Hannover im Zuge der Umbaumaßnahmen von Hannover City 2020 + demnächst mit Häusern bebauen will. Auch 2013 nahmen insbesondere Familien mit Kindern an den Feierlichkeiten teil und konnten vielleicht letztmals gleichzeitig in der Grünfläche des Gartendenkmals Alter St. Nikolai Friedhof Erholung finden …

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Löhne+Wirtschaftswachstum

Erstellt von Redaktion am 12. Juli 2022

Mythos namens Lohn-Preis-Spirale

Entwicklung der Nominal- und Reallöhne in Deutschland[1]

Von  :  Marcel Fratzscher

Lassen steigende Löhne Unternehmen pleitegehen? Im Gegenteil! Das deutsche Wirtschaftsmodell beruht auf gut bezahlter Arbeit.

Das Schreckgespenst der Lohn-Preis-Spirale ist in aller Munde. Überzogene Lohnforderungen der Beschäftigten, so die Befürchtung, könnten Unternehmen auf Jahre hinaus zu hohen Preissteigerungen zwingen, was zu einer schädlich hohen Inflation und im Extremfall sogar zu einer anhaltenden Stagflation (eine hohe Inflation bei gleichzeitig geringem Wachstum) führe. Was ist dran an diesem Mythos? Ein nüchterner Blick auf die derzeitige Realität zeigt eher das gegenteilige Bild: Die Lohn­ent­wicklung ist schwach, die Inflation wird von den Unternehmen und durch importierte Energie getrieben. Somit würde auch die konzertierte Aktion der Bundesregierung scheitern, wenn es ihr primäres Ziel wäre, Beschäftigte zu Lohnverzicht zu drängen.

Eine Lohn-Preis-Spirale kann unter zwei Voraussetzungen entstehen: Zum einen, wenn Beschäftigte und Gewerkschaften so große Macht in den Verhandlungen mit den Ar­beit­ge­be­r*in­nen haben, dass sie Löhne und Arbeitsbedingungen praktisch diktieren können. Die zweite Bedingung: Beschäftigte und Gewerkschaften orientieren sich bei ihren heutigen Lohnforderungen an der Inflation von gestern und nicht an einer für die Zukunft realistischen Inflationsrate. Wenn beide Bedingungen zutreffen, dann können Lohnerhöhungen die Zahlungsfähigkeit oder -willigkeit der Unternehmen übersteigen, sodass diese die höheren Lohnkosten in Form gestiegener Preise an die Kon­su­men­t*in­nen weitergeben.

Das wiederum könnte die Lohnerhöhungen weiter befeuern und zu einer exzessiven Inflation führen. Ein solches Koordinationsproblem zwischen Ar­beit­ge­be­r*in­nen und Ar­beit­neh­me­r*in­nen kann dann meist nur die Zentralbank brechen, die mit einer massiven Zinserhöhung die Wirtschaft in eine Rezession zwingt, mit enormen wirtschaftlichen und sozialen Folgen wie Unternehmenspleiten und hoher Arbeitslosigkeit.

Vielmehr eine Preis-Preis-Spirale

Nie jedoch waren die Voraussetzungen für eine Lohn-Preis-Spirale in Deutschland in den letzten 70 Jahren weniger gegeben als heute. Die realen Löhne und damit die Kaufkraft der Einkommen dürften mit durchschnittlichen Lohnerhöhungen von 4 bis 5 Prozent und einer Inflation von über 7 Prozent in diesem Jahr deutlich sinken. Vieles spricht dafür, dass die Lohnentwicklung eher zu schwach als zu stark ist. Denn einige große Unternehmen in Deutschland fahren hohe Gewinne ein und schütten Dividenden aus.

Das Wachstum der Produktivität ist weiterhin robust und der Anstieg der Lohnstückkosten eher moderat. Es scheint also, dass zumindest in manchen Branchen die Unternehmen das größte Stück des Kuchens für sich beanspruchen und ihre Beschäftigen zum Verzicht drängen.

Somit ist die Lohn-Preis-Spirale nicht mehr als ein Mythos. Mit einem moralischen Unterton, der implizit Beschäftigten und Gewerkschaften die Verantwortung für die hohe Inflation gibt. Was heute existiert, ist vielmehr eine Preis-Preis-Spirale, bei der sich die über die Energiekosten importierte Inflation und von Unternehmen bestimmte Konsumentenpreise gegenseitig verstärken. Wenn überhaupt, dann könnte in Zukunft eine Preis-Lohn-Spirale entstehen, wenn denn die Löhne so stark steigen sollten, dass sie die Inflation der Konsumentenpreise übertreffen.

Nun befürchten Kritiker*innen, die Gewerkschaften könnten den Bogen in den kommenden Jahren überspannen. Aber dies ist eher unwahrscheinlich, auch weil die Macht der Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen hat. Weniger als die Hälfte aller Beschäftigten sind heute über Tarifverträge abgedeckt. Zudem haben Gewerkschaften in der Wirtschaftskrise der 2000er Jahre und nach der globalen Finanzkrise 2008 durchaus bewiesen, dass sie ihren Beitrag zur Bewältigung von Krisen zu leisten bereit sind.

Lohnerhöhungen können aus einer gesamtwirtschaftlichen Sicht zu stark, aber auch zu schwach sein. Denn je stärker die Kaufkraft schrumpft, desto höher ist auch der Schaden für die Wirtschaft. Umgekehrt können zu starke Lohnerhöhungen zu Beschäftigungsverlusten und Arbeitslosigkeit führen. Dies zeigt, dass langfristig die Interessen der Ar­beit­ge­be­r*in­nen und Ar­beit­neh­me­r*in­nen nicht gegeneinander stehen können.

Quelle        :       TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben       —      Entwicklung der Nominal- und Reallöhne in Deutschland[1]

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Deutschland_DE, Gewerkschaften, Positionen, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Wohnen als Lebensmittel

Erstellt von Redaktion am 26. Juni 2022

Mieter, vor allem in Städten, sind die Verlierer der Wohnungskrise

Datei:Vonovia-8665-HD.jpg

Von Max Rathke

Die Wohnungskrise verschärft den Gegensatz zwischen Mietern und Vermietern. Die Politik bietet keine Lösungen. Mieter müssen deshalb ihre Interessen selbst wahrnehmen.

Es ist eigentlich ein bescheidener Wunsch. Jeder Mensch will eine günstige Wohnung, die Licht, Luft und Raum zur freien Entfaltung bietet. Doch für die Mehrheit der Mieterinnen und Mieter in Deutschland wird dieser Wunsch immer mehr zu einem unerfüllbaren Traum. Sie sind die Verlierer der Wohnungskrise, die sich insbesondere im letzten Jahrzehnt stetig verschärft hat.

Denn der Anteil des Einkommens, der durch die Miete gefressen wird, ist in den letzten 30 Jahren stark angestiegen. Das verdeutlichen Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft. So mussten Anfang der 1990er Jahre Mieterhaushalte im Mittel 15 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Kaltmiete ausgeben. Mittlerweile sind es ungefähr 25 Prozent.

Besonders verschärft hat sich die Lage für Großstadtmieter. Ein Forschungsteam um den Soziologen Andrej Holm ermittelte, dass die Hälfte aller dortigen Mieterhaushalte mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens für die Warmmiete aufwendet. Gut ein Viertel der Haushalte müssen sogar jeden Monat mindestens 40 Prozent ihres Einkommens an den Vermieter überweisen. Die kommende Steigerung der Nebenkosten ist hier noch nicht berücksichtigt.

Die Profiteure dieser Entwicklung sitzen am anderen Ende der Nahrungskette. Die reichsten 10 Prozent haben am stärksten von den steigenden Preisen am Wohnungsmarkt profitiert. Sie herrschen über fast zwei Drittel des gesamten Immobilienvermögens. Im letzten Jahrzehnt konnte diese kleine Elite allein durch die steigenden Immobilienpreise Vermögensgewinne von 1,5 Bil­lio­nen Euro realisieren.

Was wir als „Rückkehr der Wohnungsfrage“ erleben, ist das Aufflackern einer historischen Krise, die schon seit Beginn der kapitalistischen Gesellschaft schwelt. „Was man heute unter Wohnungsnot versteht, ist die eigentümliche Verschärfung, die die schlechten Wohnungsverhältnisse der Arbeiter durch den plötzlichen Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten erlitten haben; eine kolossale Steigerung der Mietpreise; eine noch verstärkte Zusammendrängung der Bewohner in den einzelnen Häusern, für einige die Unmöglichkeit, überhaupt ein Unterkommen zu finden.“ Diese Beschreibung ist 150 Jahre alt und stammt von Friedrich Engels.

Engels analysiert in diesem Aufsatz, warum sich die Wohnungsfrage im Kapitalismus immer wieder neu stellt. Im Kern ist der Mietvertrag „ein ganz gewöhnliches Warengeschäft“ zwischen zwei Bürgern. Das Interesse des Vermieters an einer profitablen Verwertung seines Immobilienkapitals und das Interesse des Mieters an guten Wohnbedingungen stehen dabei im Gegensatz zueinander. Der gesellschaftliche Kontext, in dem sich dieser Gegensatz vollzieht, führt zur Entstehung eines strukturellen Machtgefälles.

Das Machtgefälle zwischen Mieter und Vermieter hat seine Ursache in der kapitalistischen Produktionsweise. Sie erzeugt eine große Masse eigentumsloser Arbeitskräfte, die – weder räumlich noch sozial gebunden – nur mithilfe der Lohnarbeit überleben kann. Die wirtschaftliche Dynamik führt zur räumlichen Zusammenballung von Kapital und Menschen in globalen Metropolregionen. Im Kapitalismus ist Boden eine Ware und die Verteilung urbaner Räume vollzieht sich nach Marktgesetzen. Konkret bedeutet das: Die zahlungskräftigsten Akteure erhalten den ersten Zugriff. Unter diesen Bedingungen lohnt sich die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum für Geringverdiener nicht. Wer nicht genug zahlt, zählt nicht. Und so beschreibt Engels, wie Mieter in regelmäßigen Abständen aus ihren Quartieren an die Ränder der Städte vertrieben werden. Er beschreibt, wie Vermieter ihre Gewinne durch alle möglichen Tricks und „Prellereien“ über die vereinbarte Miete hinaus zu steigern versuchen. Schilderungen, die heute bei von Gentrifizierung und überhöhten Nebenkosten betroffenen Mietern Déjà-vus auslösen.

Die Verschärfung der Wohnungskrise im letzten Jahrzehnt hat die Umverteilung der Macht zwischen Vermietern und Mietern nochmals beschleunigt. Seit 2010 steigen die Preise für Baugrund und Wohnimmobilien unablässig an. Nach der Finanzkrise wurden Investitionen in Immobilien lukrativer. Seitdem strömt immer mehr anlagensuchendes Kapital auf den Wohnungsmarkt. Wachsender Zuzug in die Städte und eine viel zu geringe Bautätigkeit begünstigen diese Dynamik zusätzlich. Weil die Wohnungspreise steigen, werden immer weniger Mieter zu Eigentümern. Diejenigen, die es noch können, treibt die Angst vor hohen Mieten zum Immobilienkauf. Infolgedessen dreht sich die Preisspirale weiter, wodurch sich am Ende abermals die Attraktivität des „Betongolds“ erhöht.

Die Zuspitzung des Gegensatzes zwischen Eigentümern und Nichteigentümern am Wohnungsmarkt erfordert die selbstständige Organisierung der Mieter. Sie können ihre Lage nur verbessern, wenn sie die Vereinzelung überwinden und gemeinsam für ihre Interessen kämpfen. Einen anderen Weg gibt es für sie nicht.

Denn die herrschende Politik reagiert, indem sie Illusionen nährt. Mehr sozialer Wohnungsbau, Mietenbremsen und Erhaltungssatzungen sollen nach Aussage der regierenden Ampelkoalition für Entlastung sorgen. Die Hoffnung ist allerdings trügerisch. Steigende Bodenpreise sowie die Rohstoff- und Klimakrise werden den Neubau unvermeidlich immer teurer machen. Mietpreisbremsen und Erhaltungssatzungen haben sich in der Praxis als stumpfe Waffen gegen steigende Mieten erwiesen.

Viele Mieter versuchen deshalb, ihr Recht vor Gericht durchzusetzen. Aber der rechtliche Weg mündet häufig in einer Sackgasse. Gerichtsverfahren kosten viel Geld und viele Nerven. Die meisten Mieter haben dafür keine Ressourcen übrig. Noch aussichtsloser ist der rechtliche Weg bei mächtigen Gegnern wie der Vonovia, dem größten Wohnungsunternehmen in Deutschlands, dem mehr als 355.000 Wohneinheiten gehören. Selbst wenn das Unternehmen weiß, dass es verlieren wird, geht es häufig den Weg durch alle Instanzen, um den Rechtsstreit in die Länge zu ziehen. Der milliardenschwere, börsennotierte Konzern bezahlt die Rechtskosten aus der Portokasse.

Quelle        :       TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Unternehmenszentrale Vonovia SE

*************************

Unten     —       Frontbanneransicht des Marsches

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, HARTZ IV - (Bürger-Geld), Sozialpolitik | Keine Kommentare »

1. Mai – Feiertag

Erstellt von Redaktion am 1. Mai 2022

Der Tag der Klassenversöhnung

RochesterNewYorkLaborDayParade2018JusticeForFarmWorkers.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Suitbert Cechura

Feiertage gelten für die meisten Menschen als etwas Positives: An diesem Tag muss man nicht arbeiten und kann sich endlich einmal um eigene Interessen oder die Familie kümmern. Deshalb ist der Anlass für die Feier, dem der Tag gelten soll, den meisten Menschen eher gleichgültig. Schließlich muss man nicht gläubig sein, um den Himmelfahrtstag oder Fronleichnam zu feiern. So begegnen die Mehrzahl der Menschen auch dem ersten Mai – dem Tag der Arbeit. Ein seltsamer Feiertag – denn was wird da gefeiert?

Der Tag der Arbeit“

So lautet der Titel für diesen Feiertag, der in diesem Jahr bedauerlicher Weise auf einen Sonntag fällt und somit keine zusätzliche Freizeit verschafft. Der Titel ist eigentlich falsch, denn gefeiert wird ja nicht die Arbeit. Wie soll das auch gehen? Arbeit ist schließlich überwiegend Anstrengung und Belastung. Auch wird nicht jede Arbeit gefeiert. Der Tag der Arbeit gilt nicht der Hausarbeit oder der Gartenarbeit, sondern der Lohnarbeit, von der eigentlich keiner mehr reden will. Denn Lohnarbeit verweist auf die Abhängigkeit derer, die von ihrer Arbeit leben müssen, weil sie im Wesentlichen über nichts anderes verfügen als über sich selbst. Sie sind also arm, weil sie kein Kapital besitzen, auch wenn niemand das so sehen will. Und weil alles in dieser Gesellschaft Eigentum und Geschäftsmittel ist, sind diejenigen, die nur über sich als Eigentum verfügen, gezwungen, sich als Arbeitskraft zu verkaufen, um an Geld für den Lebensunterhalt zu kommen. Dieses Zwangsverhältnis zu feiern ist natürlich absurd und so werden viele Anstrengungen unternommen, dieses Verhältnis schön zu reden. Da ist nicht mehr vom Gegensatz von Kapital und Arbeit die Rede, obgleich für Unternehmen der Lohn eine Kost darstellt, der den Gewinn beschränkt und daher gering zu halten ist. Vielmehr heißt es schon seit langem Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Eine seltsame Ausdrucksweise für ein Tauschverhältnis. So soll der Arbeitgeber etwas geben und dafür auch noch bezahlen und der Arbeitnehmer etwas bekommen und das gleich doppelt – Arbeit und Geld. Da steht die Welt auf dem Kopf. Schließlich gibt der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft zur freien Verfügung an den Arbeitgeber, der sie so in Anspruch nimmt, dass sie ihm mehr bringt als das, was sie kostet. Beschäftigung muss sich schließlich lohnen und findet nur statt, wenn eine Rendite absehbar ist.

Um aus einem Abhängigkeitsverhältnis einen Feiertag zu machen, muss schon einiges passieren: „In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der 1.Mai ab 1933 durch die Nationalsozialisten zum gesetzlichen Feiertag. Das Reichsgesetz vom 10. April 1933 benannte ihn als ´Tag der nationalen Arbeit`.“ (Wikipedia) Gewürdigt wird mit dem Feiertag die Leistung, die Arbeiter und Angestellte für die Nation erbringen. Sie stehen zwar im Dienst eines Unternehmers und arbeiten für dessen Gewinn, aber der Staat profitiert immer auch vom Geschäftemachen seiner Wirtschaft durch Steuern und ist von daher interessiert an dessen Wachstum. Dafür braucht es eine billige und willige Arbeiterklasse. Dieser Dienst wird an diesem Tag gewürdigt. Heute würde eher von Respekt gesprochen, den sie mit ihrer Leistung verdienen und für den sie sich nichts kaufen können.

Internationaler Kampftag der Arbeiterklasse“

Auch dieser Titel wird dem 1.Mai zugeschrieben. Der verweist auf die Geschichte: „Anfang 1886 rief die nordamerikanische Arbeiterbewegung zur Durchsetzung des Achtstundentags zum Generalstreik am 1.Mai auf – in Anlehnung an die Massendemonstration am 1.Mai 1856 in Australien, welche ebenfalls den Achtstundentag forderte.“(Wikipedia)

Kämpfen am ersten Mai will heutzutage niemand. Zudem ist ein Generalstreik zur Erzwingung irgendwelcher Forderungen in Deutschland verboten und würde nicht zu einer Feier, sondern zu einem Einsatz der Polizei führen. Dabei haben sich die Gründe für einen Kampf seit über mehr als 150 Jahren nicht geändert. Vielfach wird die Klage über die Schwierigkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie geführt, womit zum Ausdruck kommt, dass die Zeit für das Verdienen des Lebensunterhalts kaum Zeit für die Familie lässt und auch heute die Frage der Arbeitszeit und ihrer Beschränkung aktuell ist. Auch der Lohn wird immer wieder von der Inflation aufgefressen und erfordert eine ständige Korrektur, die ohne Auseinandersetzung mit den Unternehmen nicht zu haben ist. Als lohnabhängig Beschäftigter wird man diese Probleme offenbar nie los. Somit spricht einiges für dessen Beseitigung.

Die Mehrzahl der Beschäftigten nutzt den freien Tag für sich und ist auf den Kundgebungen nicht zu entdecken. Schließlich schafft die gefeierte Arbeit den Grund für das Erholungsbedürfnis, dem die meisten Bürger an diesem Tag nachgehen. Gründe für einen Kampf gibt es nach wie vor, doch dazu ist ein Feiertag wenig geeignet. Statt für eine Erhöhung des Lohns und eine Verkürzung des Arbeitstags einzutreten, verlängern viele Beschäftigte ihren Arbeitstag durch Überstunden oder Annahme eines Zweitjobs. Mehr Geld und weniger Zeit für das eigene Leben ist die Form, in der viele mit den durch die Lohnarbeit erzwungenen Verhältnissen sich arrangieren.

Gewerkschaften in Deutschland haben alles andere am 1.Mai vor, als Politik oder Unternehmen durch Demonstrationen oder Streik unter Druck zu setzen. An einem Feiertag kann man ja auch schlecht streiken, da fällt die Arbeit sowieso flach. Für sie ist der Feiertag nicht nur die Anerkennung der Leistungen der Arbeiter für die Nation, sondern auch der Beweis für die Anerkennung der Gewerkschaft als ihre politische Vertretung. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass am 1. Mai neben Gewerkschaftsvertretern auch immer Politiker reden und für ihre Parteien werben dürfen. Für die Gewerkschaft ist aus der Notlage von Lohnarbeitern längst eine positive Grundlage geworden. Weil Arbeitnehmer abhängig sind vom Gang des Geschäfts, sie nur zu einem Einkommen kommen, wenn das Geschäft lohnend ist. Und das nicht nur in einem Unternehmen, sondern in der gesamten Wirtschaft. Die Gewerkschaft hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, mit für den Erfolg der Wirtschaft zu sorgen. Ihre Sorge gilt dem Erfolg der Nation, zu dessen Mitgestaltung sie sich herausgefordert fühlt.

Tag der Arbeit ? Was die wohl am Morgen geraucht haben ?

GEMainsam Zukunft gestalten“

…heißt deshalb auch die Parole des Deutschen Gewerkschaftsbundes und seiner Mitgliedsgewerkschaften. Das Motto lässt schon keinen Zweifel darauf aufkommen, hier gäbe es so etwas wie einen Gegensatz zur Wirtschaft oder Politik. Von daher ist nicht von höheren Löhnen als Ausgleich für die gestiegene Inflation oder ähnlichem die Rede, sondern sieht sie sich in der Gemeinschaft mit Unternehmern und Politikern in der Pflicht, für Frieden in der Welt und den Erfolg der deutschen Wirtschaft zu sorgen: „Und selten war ein Motto passender: Denn nicht nur die friedliche Zukunft Europas steht derzeit auf dem Spiel, wir müssen auch für eine gerechtere Zukunft kämpfen. Unsere Arbeitswelt steht aktuell vor tiefgreifenden Veränderungen – egal ob beim Klimaschutz, der Digitalisierung oder Globalisierung. Ein gigantischer Strukturwandel, der nur gemeinsam mit den Millionen Beschäftigten gestaltet werden kann: sozial, ökologisch, nachhaltig und demokratisch.“ (IGBCE 22.4.22) Sorgen bereitet diesen Arbeiterpolitikern die friedliche Zukunft Europas. Stellt sich nur die Frage, wieso in der Zukunft? Beteiligt sich Europa doch schon heute sehr tatkräftig am Krieg in der Ukraine. Doch als Kriegsherrn oder Frauen wollen die Gewerkschafter ihre Politiker nicht sehen. Sie wollen ihnen nichts engegensetzen, damit die Kosten des Krieges nicht auf ihre Mitglieder abgewälzt werden. Schließlich entwertet die Inflation ständig deren Einkommen. Wundern muss man sich auch darüber, wie die Gewerkschafter über das Lohnarbeitsverhältnis reden: „Unsere Arbeitswelt steht aktuell vor tiefgreifenden Veränderungen“. Wem gehört denn diese „Arbeitswelt“? Auch wenn die Gewerkschaft das „unsere“ betont, werden ihre Mitglieder damit noch nicht zu Miteigentümern. Was sie mit den Unternehmen verbindet, ist ihre Abhängigkeit. Sie sind eben darauf angewiesen, Geld zu verdienen. Dass Unternehmen nur dann Arbeitnehmer beschäftigen, wenn das Geschäft erfolgreich ist, also lohnend, bedeutet in keiner Weise, dass damit auch die Existenz der Arbeitnehmer gesichert ist. Zur Sicherung des Geschäfts gehört eben auch immer dessen Rationalisierung, d.h. die Einsparung von Arbeitskräften durch Einsatz von zusätzlichen Technologien. So spart der Einsatz von Wasserstoff in der Stahlherstellung – die sogenannte Direktreduktion – nicht nur Prozesse in der Stahlherstellung, sondern auch Arbeitskräfte ein. Digitalisierung betrifft in großen Teilen die Verwaltung – aber auch die Überwachung und Steuerung von Produktionsprozessen – und macht dort Arbeitskräfte überflüssig. Die Gewerkschaftsvertreter betrachten es als ihre Aufgabe als Betriebsrate, Co-Manager oder Aufsichtsratsmitglieder diese Rationalisierungen mit zu gestalten, also die anfallenden Entlassungen durch Sozialpläne und Umschulungen zu begleiten. Dafür wollen sie die Unterstützung von Arbeitnehmern, die als Beitragszahler für diese Vereine und als Statisten für die Feierstunden der Gewerkschaften gefragt sind.

Der erste Mai bietet also alles andere als Gründe zum Feiern. Die Gründe zum Kämpfen hingegen bleiben, an diesem 1. Mai und an allen anderen Tagen.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben     —   Rochester (New York) Tag der Arbeit umzug 2018

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, International, Positionen | Keine Kommentare »

Das bringt der Mindestlohn

Erstellt von Redaktion am 27. Februar 2022

Gerechtigkeitsmühlen malten immer schon sehr langsam

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Holger Balodis

Endlich hat das Kabinett den neuen Mindestlohn abgesegnet: mindestens 12 Euro brutto soll es ab 1. Oktober für alle Geringverdiener stündlich geben. Minister Heil bezeichnet dies als eine Frage des Respekts und weist auch auf die segensreichen Wirkungen in der Rente hin. Doch was bringt der Mindestlohn für die Rente? Wer ab jetzt 45 Jahre zum erhöhten Mindestlohn tätig ist, bekäme nach aktuellem Rentenwert (West) eine Bruttorente von 928,31 Euro. Netto bleiben davon 826,20 Euro – für 45 Jahre Vollzeit.* Wer wie die meisten Versicherten nicht so viele Jahre zusammenkriegt, der bekommt noch weniger. Damit keine Missverständnisse aufkommen. Der neue Mindestlohn verbessert tatsächlich die Lage für sehr viele Geringverdiener. Doch genau so klar ist: Altersarmut verhindert er nicht.

Helfen würde den Kleinverdienern nur eine Mindestrente, wie sie in vielen europäischen Nachbarländern üblich ist. In den Niederlanden bekommen Alleinstehende im Alter rund 1.300 Euro. In Österreich sind es rund 1.200 Euro. Ganz gleich, wie wenig zuvor verdient wurde.

Ein Problem in Deutschland ist das strenge Äquivalenzprinzip. Wer wenig verdient, der bekommt auch im Alter wenig. Und daran ändert auch ein anderes Lieblingsprojekt von Hubertus Heil, die Grundrente, nichts.

Was aber fast noch ärgerlicher ist: Auch Normalverdiener werden bei uns im Alter keineswegs gut versorgt. Wer 45 Jahre lang den Durchschnittslohn (aktuell 3.242 Euro monatlich) erzielt, kann derzeit mit einer Standardrente in Höhe von 1.538,55 Euro brutto rechnen. Und wer tatsächlich nur 40 Versicherungsjahre einbringt, und das ist der statistische Durchschnitt, bekommt gerade mal 1.367,60 Euro brutto. Deutlich besser dran sind da Beamte. Die bekommen laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 3.160 Euro brutto. Für die rund 1,4 Millionen Pensionäre verwirklicht sich der von Hubertus Heil so oft im Munde geführte Respekt also auch finanziell. Die 21 Millionen Rentner warten darauf bislang vergebens.

* 12 Euro Stundenlohn ergeben bei 163 Stunden monatlicher Arbeitszeit einen Monatslohn von 1.956 Euro. Für 1 Versicherungsjahr mit dieser Entlohnung gibt es aktuell 0.60337 Renten- oder Entgeltpunkte. Multipliziert man das mit 45 Jahren und dem aktuellen Rentenwert West von 34,19 Euro, so erhält man eine Bruttorente von 928,31 Euro oder nach Abzug von Krankenkassen- und Pflegebeitrag 826,20 Euro netto vor Steuern. Dazu kommt für 35 Versicherungsjahre noch eine geringe Aufwertung durch die Grundrente.

Holger Balodis und Dagmar Hühne: Rente rauf! So kann es klappen, DVS Verlag, 204 Seiten, 18 Euro (ISBN 978-3-932246-98-2)

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben       —   DHL-Fahrer Olaf Könemann übergibt Minister Heil Unterschriften zum Mindestlohn (2021)

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Deutschland_DE, Gewerkschaften, Positionen | Keine Kommentare »

Der Reiz von Kleingärten

Erstellt von Redaktion am 10. Februar 2022

„Der Osten ist der Battleground für die Demokratie“

Carsten Schneider im Interview (Friedrich-Naumann-Stiftung, 2017) 03.png

Sein Kleingarten ist der rote Teppich ?

INTERVIEW KATRIN GOTTSCHALK UNDDANIEL SCHULZ

Die Menschen müssen für ihre Interessen kämpfen, sagt Carsten Schneider. Der neue Ostbeauftragte setzt auf Gewerkschaften, will mit Impfgegnern reden und hofft dabei auf den Reiz von Kleingärten.

taz: Herr Schneider, Sie sind jetzt Ostbeauftragter der Bundesregierung. Was ist ein Ostdeutscher?

Carsten Schneider: Das sind ganz grundsätzlich diejenigen, die im Osten geboren sind. Aber meine Kinder sehen sich zum Beispiel nicht so, mein Bruder schon, der ist 1991 geboren. Ich glaube, die Zeit nach 1989 ist für das Herausbilden eines ostdeutschen Bewusstseins entscheidender als die vierzig Jahre DDR. Das gemeinsame Erleben von Unsicherheit, Entwertung, Arbeitslosigkeit, auch Angst, das macht diese Prägung aus.

Kann man Ostdeutscher werden?

Man kann Empathie und einen Blick für Ostdeutschland entwickeln und ein echtes Verständnis. Aber wenn man die neunziger Jahre nicht selbst erlebt hat, ist das – glaube ich – nicht so recht drin.

Sehen Sie es als ein Problem der Repräsentation an, wenn Westdeutsche Mandate in Ostdeutschland bekommen? Der Kanzler ist zum Beispiel auch über ein Direktmandat in Potsdam in den Bundestag eingezogen.

Nein, am Ende entscheiden die Wähler. Wenn wir als Partei nur einen Wahlkreis in Brandenburg gewonnen hätten, wäre das anders gelagert. Aber wir haben dort fast alle Wahlkreise mit neuen Kandidaten besetzt, oft junge Leute, das sind fast alles Brandenburger Gewächse. In Thüringen, wo ich herkomme, sind vier von fünf SPD-Abgeordneten aus dem Osten. Früher war dieses Defizit größer, heute ist es doch eher eine Ausnahme. Es gibt übrigens auch Ossis, die im Westen gewählt werden, das sind aber noch nicht so viele.

Sie sind als Ostbeauftragter jetzt nicht mehr dem Wirtschaftsministerium zugeordnet, sondern dem Kanzleramt, in dem wir hier gerade sitzen. Was verändert das?

Im Kern nutze ich die geliehene Autorität des Bundeskanzlers. Er sitzt eine Etage über mir und er will, dass das hier etwas wird. Deshalb hat er mich zu sich geholt. Entscheidungen werden ja nicht erst im Bundeskabinett getroffen, sondern werden vorbereitet. Und alle, die an für den Osten wichtigen Entscheidungen beteiligt sind, kommen mit ihren Informationen und Ideen zu Forschungsvorhaben oder Infrastrukturprojekten hierher ins Bundeskanzleramt. Und da kann ich Einfluss nehmen, so kann ich vor die Welle kommen. Ich bin viele Jahre im Bundestag und weiß in etwa, wann wo welche Entscheidung getroffen wird.

Wie sieht das praktisch aus?

Im Kanzleramt gibt es Spiegelreferate für die einzelnen Fachressorts. Die wissen, wann welche Entscheidung vorbereitet wird. Und dann kann man moderierend das Gespräch suchen und lenken.

In den Spiegelreferaten finden viele Gespräche gleichzeitig statt. Wie wollen Sie diese als Einzelperson lenken?

Ich baue gerade einen eigenen Arbeitsstab auf.

Wie groß wird der sein?

Wenn wir voll arbeitsfähig sind, werden es wahrscheinlich vierzig Leute sein. Für die Aufteilung sind die Investitionsressorts entscheidend wie Wirtschaft, Verkehr, Bildung und Forschung, aber auch Arbeit und Soziales. Wenn Sie sich auf die wesentlichen Punkte konzentrieren, geht das auch mit wenigen Leuten.

An welchen Punkten werden Sie in vier Jahren festmachen, ob Sie erfolgreich waren? Wenn Sie mehr Geld in Richtung Ostdeutschland geschleust haben?

Wenn wir die Chancen der Transformation nutzen und weitere Unternehmen erfolgreich im Osten ansiedeln können. Wir brauchen neben Tesla noch weitere Kernindustrien. Im Verkehrsbereich brauchen wir vor allem eine schnelle Eisenbahnanbindung nach Osteuropa, nach Polen ist sie furchtbar schlecht, ausgebaut kann man dazu gar nicht sagen. Die 2020er Jahre werden Jahre der Veränderung sein, besonders im Energiebereich wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Das kann man lethargisch hinnehmen oder versuchen, vorn dran zu sein. Ich bin dafür, die Chancen zu ergreifen, vor allem wenn die Claims noch nicht abgesteckt sind, wie Ende der Achtziger in der BRD. Das Gebiet der ehemaligen DDR wurde ökonomisch damals ja eher als erweiterter Absatzmarkt betrachtet und es kam zu einem Nachbau West.

Kennen Sie die Serie „Warten auf ’n Bus“, in der zwei Langzeitarbeitslose in Brandenburg auf den Bus warten?

Nein.

In einer Folge steigt einer der beiden tatsächlich mal in den Bus und fährt zum Job-Interview zu Tesla. Er wird nicht genommen, weil er nicht die passende Qualifikation hat. Macht man Menschen mit solchen Jobs nicht Hoffnungen, die dann gar nicht erfüllt werden können?

Ich kenne viele Langzeitarbeitslose, die einen neuen Job und damit auch ihren Stolz wiedergefunden haben. Beispielsweise bei Zalando in Erfurt. In solchen großen Unternehmen kann man auch als Ungelernter einen Job finden. Das Unternehmen bemüht sich um seine Beschäftigten, mehr als gemeinhin angenommen, auch wenn nicht alles glänzt. Vielleicht wirst du nicht der Mechatroniker bei Tesla, sondern arbeitest erst mal im Lager. Aber du bist wieder drin im Arbeitsleben und damit erfährst du auch wieder gesellschaftliche Wertschätzung. Die DDR war eine Arbeitsgesellschaft. Deswegen waren die 90er und 2000er Jahre mit Massenarbeitslosigkeit auch so demütigend für viele.

Nun hat es in Ostdeutschland viele große Versprechungen mit Großansiedlungen und Zukunftstechnologien gegeben. Chipfabrik und Luftschiffbau in Brandenburg, Solarenergie in Sachsen, Windradbau in Sachsen-Anhalt. Vieles davon ist gescheitert.

Also wenn ich mir den Aktienkurs und die Marktkapitalisierung im Vergleich zu den deutschen Autobauern ansehe, würde ich sagen: Tesla ist die Zukunft. Außerdem haben wir den Vorteil, dass die Globalisierung an ihr Ende gekommen ist. Die Fabriken für Halbleiter, Solar und andere Hochtechnologien werden wieder dezentral gebaut, sicher auch in Deutschland.

Wie zeitgemäß ist das Warten auf den einen großen Investor, der ganze Gegenden retten soll und von dem man sich zugleich sehr abhängig macht? Wäre es nicht besser, auf kleinere Unternehmen zu setzen?

Wenn ein großer Investor kommt, lehne ich doch nicht ab. Der Osten hat etwas, womit er wuchern kann, das andere nicht haben, und das ist Fläche. Natürlich brauchen wir die kleinen und mittleren Unternehmen, nur wegen denen steht Thüringen so gut da. Das Problem ist dort aber, dass sie oft keine Tarifverträge haben und kaum Betriebsräte. Für höhere Löhne brauchen wir eine bessere Tarifbindung, und das geht nur mit starken Gewerkschaften. Ich unterstütze die Beschäftigten bei Forderungen nach fairer Bezahlung. Durch den Eintritt in eine Gewerkschaft können sie dazu auch einen Beitrag leisten.

36738578741.jpg

Tesla baut immer noch ohne umweltrechtliche Genehmigung, und Konzernchef Elon Musk hat nur gelacht, als ihn eine Reporterin auf den Wassermangel ansprach, den seine Fabrik verursachen wird. Das Unternehmen erschwert die Gründung eines Betriebsrats. Müsste die SPD, die in Brandenburg regiert, da nicht mal selbstbewusster auftreten?

Wir haben die strengsten Umweltvorschriften weltweit, und Wasserprobleme gibt es bei allen Fabriken, die neu gebaut werden. Dass die Amerikaner die deutsche Kultur der Mitbestimmung nicht kennen, ist auch hinreichend bekannt. Man muss die Regeln durchsetzen und den Betriebsrat eben auch. Ich werde mich auch grundsätzlich vor die Werkstore stellen, auch bei Amazon, und für die Interessen der Arbeitnehmer kämpfen. Die müssen aber bereit sein, auch selbst in die Gewerkschaft einzutreten und für Tariflöhne zu streiten.

Es gab in Ostdeutschland in den vergangenen Jahren einige erfolgreiche Streiks, bei Teigwaren Riesa, beim Stahlwerk in Unterwellenborn, bei Eberspächer in Hermsdorf und bei Dagro Automotive in Gera. Ändert sich die ablehnende Haltung vieler Ostdeutscher gegenüber Gewerkschaften?

Ich hoffe sehr, dass diese Erfolge die Leute darin bestärken, ihre Arbeitskraft nicht nur auf den Markt zu tragen, sondern dafür auch einen Preis zu verlangen. Die Jahrzehnte des Kleinmachens aus der berechtigten Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, kenne ich aus persönlichen Erfahrungen. Ich wollte als Auszubildender in der Bank eine Auszubildendenvertretung gründen, aber niemand hat sich getraut, mitzumachen. Wir brauchen eine Renaissance des Klassenbewusstseins in Ostdeutschland. Die Menschen müssen wieder lernen, für ihre Interessen zu kämpfen.

Ist Ostdeutschland auch auf Zuwanderung angewiesen?

Quelle       :        TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Carsten Schneider im Interview zu Themen in Deutschland im Jahr 2017.

Abgelegt unter Debatte, Gewerkschaften, P.SPD, Regierung, Thüringen | Keine Kommentare »

Der Tägliche Klassenkampf

Erstellt von Redaktion am 16. Januar 2022

Klassenkampf oder prozessierender Widerspruch?

Politik ist das moderne Mobbing ! Die Großen tanzen ihren Zahlern auf die Köpfe.

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Wo lassen sich die entscheidenden Widersprüche verorten, die den Kapitalismus in immer neue Krisenschübe treiben?

Derzeit scheint es fast so, als ob bei künftigen Tarifverhandlungen – neben Gewerkschaftlern und Kapitalfunktionären – noch eine dritte Partei mit am Verhandlungstisch säße. Die zunehmende Inflation1 werde bei den diesjährigen Tarifgesprächen, bei denen die Gehälter von rund 10 Millionen Lohnabhängigen verhandelt werden, „eine zentrale Rolle“ spielen, hieß es bei ersten Ausblicken auf die Tarifrunden dieses Jahres.2 Angesichts der sich beschleunigenden Teuerungsrate stünden die Gewerkschaften unter Druck, substanzielle Lohnerhöhungen zu verhandeln, da ansonsten Reallohnverluste drohten. Der Vorsitzende der IG-Metall, Jörg Hofmann, sprach in diesem Zusammenhang etwa von einer „ordentlichen Erhöhung“, die im Herbst 2022 anstünde.3

Schon werden die ersten Warnungen vor einer Lohn-Preis-Spirale laut, die den Preisauftrieb beschleunigen würde. Der Focus4 erinnerte etwa an die Stagflationsperiode der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts, als der Ölpreisschock die Teuerung in der BRD 1973 und 1974 auf 7,1 und 6,9 Prozent steigen ließ, was die Gewerkschaften mit verstärktem Klassenkampf, mit hohen Tarifabschlüssen von rund 13 Prozent 1974 beantworteten. Daraufhin habe die Bundesbank die Leitzinsen erhöht, um die sich beschleunigende Inflation in den Griff zu kriegen, was die Bonner Republik in die Rezession rutschen ließ. Ähnlich agierten die Gewerkschaften in vielen weiteren westlichen Staaten in der damaligen Stagflationsperiode: Die zunehmenden Gewerkschaftskämpfe der 70er-Jahre sind gerade Ausdruck des zunehmenden Verteilungskampfes zwischen der organisierten Arbeiterschaft und dem Kapital. Und sie haben tatsächlich zur Ausbildung der Lohn-Preis-Spirale geführt, die in den angelsächsischen Ländern die neoliberale Gegenoffensive samt der Zerschlagung der Gewerkschaften in den 80ern unter Thatcher und Reagan ermöglichte.

Von einer solchen Lohn-Preis-Spirale kann aber derzeit keine Rede sein. Dies ist bislang auch in der Bundesrepublik eindeutig nicht der Fall: Die Reallöhne stagnierten sogar binnen der letzten 12 Monate, meldete das Statistische Bundesamt5 jüngst für das dritte Quartal 2021, sodass dieser Faktor bei der bisherigen Teuerung6 keine Rolle spielte. Selbst in den USA, wo es tatsächlich in den vergangenen Monaten Lohnsteigerungen gab, da die massiven, durch Gelddruckerei finanzierten Konjunkturpakte die aktive Arbeiterschaft im Pandemieverlauf um rund vier Millionen absinken ließ, blieben diese Preissteigerungen der Ware Arbeitskraft im „normalen Rahmen“, wie es selbst der IWF formulierte. Der Druck, die Löhne anzuheben, bleibe auch in den meisten anderen Industrieländern „gedämpft“, konstatierte die Financial Times.7

Die üblichen Warnungen wirtschaftsnaher oder rechter Medien vor zu großen Lohnsteigerungen scheinen somit unbegründet – oder zumindest verfrüht. En passant wird hier aber auch deutlich, dass der Klassenkampf, der Klassenkonflikt zwischen Proletariat und Bourgeoise, den die traditionelle Linke als zentral für das Verständnis des Kapitalismus ansieht, nicht die Ursache der gegenwärtigen Krisenerscheinungen bildet. Es ist ja gerade nicht der „Klassenkampf“, der die Inflation anheizt, die offensichtlich von anderen Faktoren, von anderen Widersprüchen des kapitalistischen Reproduktionsprozesses befeuert wird. Eher könnte gerade das Gegenteil der Fall sein, wie die Tagesschau bei ihrer Warnung vor einer Lohn-Preis-Spirale bemerkte,8 da die gegenwärtige Teuerung dazu führen könne, dass künftige Tarifrunden „umkämpfter“ wären.

Ähnlich verhielt es sich bei der mit hoher Inflation, häufigen Rezessionen und zunehmender Arbeitslosigkeit einhergehenden Stagflationsperiode der 70er, mit der die Phase der fordistischen Nachkriegsprosperität im Westen endete. Die Phase der relativen Tarifpartnerschaft zwischen Kapital und Arbeit in der „Wirtschaftswunderzeit“ der 50er und 60er, als die Erschließung neuer Märkte Raum für Lohnerhöhungen bot, wich dem härteren, durch Inflation zusätzlich befeuerten Verteilungskampf der tendenziell schrumpfenden Profite in der Krisenperiode der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Die sinkende Profitrate am Ende des fordistischen Booms führte in die Stagflationsperiode mit ihren an Intensität gewinnenden Klassenkämpfen9 – und nicht umgekehrt, wie es gerne von neoliberaler Ideologie postuliert wird. Es liegt somit der Gedanke nahe, dass der Klassenkampf in seiner Intensität eine abhängige Größe ist – und von einem weiteren, fundamentalen Selbstwiderspruch des Kapitals abhängig ist.

Krise als historischer Prozess

Karl Marx hat diesen Selbstwiderspruch des Kapitals, der das Weltsystem instabil und selbstzerstörerisch macht, in seinen theoretischen Arbeiten klar benannt, wobei er aber nie das konkrete Verhältnis zwischen dem äußeren, vor allem im 19. Jahrhundert überall augenscheinlichen Klassenkampf, und dem inneren, krisentreibenden Widerspruch des Kapitals erhellte. Was also treibt das Kapital in immer neue Krisen? In dem Maschinenfragment10 der „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“11 wurde das Kapital als der „prozessierende Widerspruch“ bezeichnet, der sich tendenziell seiner Substanz, der wertbildenden Arbeit in der Warenproduktion, entledigt:

KarlMarxEnglisch.png

„Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch [dadurch], daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. Es vermindert die Arbeitszeit daher in der Form der notwendigen, um sie zu vermehren in der Form der überflüssigen; setzt daher die überflüssige in wachsendem Maß als Bedingung – question de vie et de mort – für die notwendige.“

Arbeit, verwertet in der Warenproduktion, bildet die Substanz des Kapitals – doch zugleich ist das Kapital bemüht, Arbeit durch Rationalisierung und Automatisierung in der Warenproduktion zu minimieren. Dieser Prozess läuft marktvermittelt ab: blind, gesamtgesellschaftlich unkontrolliert, angetrieben von der Dynamik höchstmöglicher Profitgenerierung (Siehe hierzu: „Zurück zur Stagflation“)12. Die auf Profitmaximierung abzielenden Handlungen der Marktsubjekte, der sich an betriebswirtschaftlicher Logik orientierenden Kapitalisten, bringen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene eine blind prozessierende Verwertungsdynamik hervor, die ihnen selber als ein anonymer, durch Märkte vermittelter Sachzwang gegenübertritt.

Entscheidend bei der Entfaltung des inneren Widerspruches des Kapitals ist somit seine Innovationsfähigkeit, ergo die Instrumentalisierung technisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Warenproduktion zwecks Profitmaximierung. Durch Produktivitätssteigerungen können einzelne Kapitalisten in einem Industriezweig Konkurrenzvorteile (Extraprofite) erzielen, Konkurrenten vom Markt verdrängen, bis diese neuen Produktionstechniken allgemein übernommen und verallgemeinert werden. Hiernach beginnt das Spielchen von vorne – wieder finden Innovationen bei einzelnen Unternehmen statt, die später nachgeahmt werden und zu allgemeinen Produktivitätssteigerungen führen. Hieraus resultiert eine beständig steigende Produktivität, und die Abnahme der notwendigen Arbeitskräfte in einem gegebenen Industriezweig. Je länger ein solcher Industriezweig (zum Beispiel Textilindustrie oder Schwerindustrie) besteht, desto stärker wandelt sich seine Reproduktionsstruktur von einer arbeitsintensiven zu einer kapitalintensiven Produktion.

Kapital tendiert somit dahin, durch anonyme Marktkonkurrenz sich seiner eigenen Substanz zu entledigen. Das geniale Moment der marxschen Begriffsbildung des prozessierenden Widerspruchs besteht aber darin, dass hier sowohl diese Tendenz zur Entsubstanzialisierung, wie auch der Modus, in dem diese in Raum und Zeit überbrückt werden kann, benannt werden: das „prozessieren“, oder schlicht die Expansion.

Das Kapital muss expandieren, oder es kollabiert an sich selbst. Sein innerer Widerspruch kann nur im „Prozessieren“, in einer permanenten Expansionsbewegung aufrechterhalten werden, die in drei Dimensionen vonstatten geht. Zum einen ist, historisch betrachtet, hierbei die „periphere“ oder „äußere Expansion“ des kapitalistischen Weltsystems zu nennen, die – von Europa ausgehend – seit der frühen Neuzeit in der blutigen, massenmörderischen Eingliederung peripherer Regionen in den Weltmarkt zwecks Kapitalexport und Rohstoffimport durch imperiale Mächte bestand. Daneben bestehen noch Möglichkeiten der „inneren Expansion“, bei der neue Gesellschaftsfelder der Kapitalverwertung erschlossen werden – dieser historische Prozess, in dem alle Gesellschaftsbereiche der Verwertungslogik unterworfen werden, wurde erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weitgehend abgeschlossen.

Entscheiden bei der Perpetuierung des prozessierenden Widerspruchs des Kapitals ist aber qualitative oder „technologische Expansion“, da der technische Fortschritt – der in den bestehenden Industriezweigen zu Rationalisierung führt – auch zur Herausbildung neuer Wirtschaftszweige beiträgt, die wiederum Arbeitskräfte verwerten und Felder zur Kapitalverwertung eröffnen. Über einen bestimmten Zeitraum hinweg besitzen bestimmte Industriesektoren die Rolle eines Leitsektors, bevor diese durch andere, neue Industriezweige abgelöst wurden: So erfährt das kapitalistische Weltsystem seit dem Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert einen industriellen Strukturwandel, bei dem die Textilbranche, die Schwerindustrie, die Chemiebranche, die Elektroindustrie der Fahrzeugbau, usw, als Leitsektoren dienten, die massenhaft Arbeit verwerteten.

Doch genau dies funktioniert nicht mehr, nachdem die Arbeit aufgrund der Rationalisierungsschübe der mikroelektronischen Revolution sich innerhalb der Warenproduktion verflüchtigt. Seit Anbeginn der Industrialisierung hatten wir es also mit Metazyklen zu tun, die eben durch den besagten „prozessierenden Widerspruch“ angetrieben wurden: Sobald durch fortschreitende technische Entwicklung die Massenbeschäftigung in einem älteren Sektor nachließ, entstanden durch denselben wissenschaftlich-technischen Fortschritt neue Industriezweige, die die »überschüssige« Arbeitskraft aufnahmen. Die Periode der Stagflation (Siehe „Back to Stagflation)13, der das neoliberale Zeitalter mit seinem verstärken „Klassenkampf von oben“ und der Finanzialisierung des Kapitalismus folgte, war gerade Ausdruck dieses historischen Krisenprozesses, der das spätkapitalistische Weltsystem immer höhere Schuldenberge anhäufen lässt. Die kapitalistische Systemkrise muss somit als eine – neoliberale, durch Globalisierung und Finanzialisierung geprägte – Geschichtsperiode bestimmt werden, in der die Verschuldung des Weltsystems schneller ansteigt als dessen Wirtschaftsleistung, das System faktisch auf Pump existiert – und die durch Phasen manifester Krisenausbrüche gekennzeichnet ist, in denen an Umfang zunehmende Spekulations- und Schuldenblasen platzen und von der Krisenpolitik unter immer höheren Kosten eingedämmt werden müssen. Das Kapital stellt seine eigene, innere Schranke dar, die sich immer deutlicher ausformt und das System in der Tendenz in den sozialen und ökologischen Kollaps treibt.

Diese Krisenperiode ist erst unter Reflexion des erläuterten marxschen Begriffs des „prozessierenden Widerspruchs“ voll verständlich: Schwere Systemkrisen treten nämlich dann ein, wenn diese mehrdimensionale Expansionsbewegung nicht mehr ohne Weiteres möglich ist, wenn die Masse verwerteter Arbeit in den alten Industriezweigen abnimmt, ohne dass neue Industriezweige diese überflüssige Arbeit aufnehmen können. Sobald der Kapitalverwertung keine neuen Felder der Expansion zur Verfügung stehen, verlagert sie sich in die Sphäre der Finanzsphäre, was zu Blasenbildung und Verschuldungsprozessen führt. Dies war etwa in den „Roaring Twenties“ des 20. Jahrhunderts der Fall, die dem Krach von 1929 und der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre vorangingen.

Der Krisentheoretiker Robert Kurz bezeichnete in diesem Zusammenhang die kapitalistische Entwicklung von 1929 bis 1945 als Durchsetzungskrise, die dem Fordismus samt der Massenmotorisierung, dem Weg ebnete. Das „neue“ fordistische Akkumulationsregime (Massenmotorisierung), das dem Kapitalismus in den 1950ern und 1960ern sein „Goldenes Zeitalter“ (Hobsbawn) verschaffte, erfuhr gerade in der totalen Mobilisierung während des Zweiten Weltkrieges seinen Durchbruch. Die kapitalistische „Nachkriegsprosperität“ fußte auf den Leichenbergen des Zweiten Weltkriegs, nach dessen Ende es de facto keine Demobilisierung gab: Die massenhafte Kriegsproduktion von Panzern, Flugzeugen, etc., ging in die Massenproduktion von Autos über.

Klassenkampf von oben als Krisenreaktion

Mit dem Auslaufen des langen fordistischen Nachkriegsbooms ging auch die Ära der Sozialpartnerschaft zwischen Kapital und Arbeit zu Ende. Der verstärkte Klassenkampf von Oben, der – nach dem blutigen Vorspiel 1973 in Chile – spätestens mit der neoliberalen Wende in den USA und Großbritannien einsetzte, war gerade Folge der Krise, konkret des mit der Stagflation einsetzenden Falls der Profitrate in den meisten kapitalistischen Kernländern. Hier setzten die neoliberalen „Reformen“ der „Reaganomics“ von US-Präsident Ronald Reagan (1981–1988) und des „Thatcherism“ der englischen Regierungschefin Margaret Thatcher (1979–1990) an. Die Profitraten in den USA konnten sich tatsächlich merklich erholen, wobei dies auf Kosten der amerikanischen Arbeiterklasse geschah. So stagnieren seit der Reagan-Ära die realen, inflationsbereinigten Löhne der US-Bevölkerung. Heute verdienen die Lohnabhängigen der USA faktisch weniger als 1973.

Um es in marxschen Begriffen zu formulieren: Durch den verstärkten Klassenkampf von oben, das Absenken der Kosten für die „Ware Arbeitskraft“ konnte der Anteil der notwendigen Arbeitszeit am variablen Kapital verkürzt, derjenige der Mehrarbeit erhöht werden. Die sinkende Profitrate wurde durch die Erhöhung der Mehrwertrate saniert. Das Brechen gewerkschaftlicher Gegenmacht in beiden Ländern bildete die Voraussetzung der partiellen Sanierung der Profitraten in der Warenproduktion, wobei eine Nachfragekrise (stagnierende Massennachfrage bei zunehmender Produktivität der Arbeit) durch die Finanzialisierung des Kapitalismus und letztendlich Schuldenmacherei vertagt wurde.

Bochum - Alleestraße144 14 nies.jpg

Sind nicht Heute die Gewerkschaftsfunktionäre und Politiker-Innen die größten Handlanger der Ausbeuter – da sie dieses nicht nur zulassen sondern auch aktiv unterstützen ? Ganz Gleichgültig ob in der Regierung oder Opposition.

Der verstärke Klassenkampf samt Neoliberalismus seit den 80ern bildete somit eine Reaktion auf die Zuspitzung des inneren, prozessierenden Widerspruchs des Kapitals. Eben diese Krisenfolgen treten allen Akteuren innerhalb der Wirtschaft und Politik als zunehmende, objektivierte Widersprüche oder „Sachzwänge“ gegenüber. Die Subjekte reagieren systemimmanent mit einer Intensivierung der Konkurrenz darauf: Politiker und Staaten, die im Rahmen der Standortkonkurrenz Sozialabbau durchsetzen, Konzerne, die immer brutalere Formen der Ausbeutung finden – aber auch Lohnabhängige, die verstärkt zu Mobbing übergehen. Eine mörderische Konkurrenz findet also auf allen Ebenen statt. Die Folgen reichen vom Burnout bishin zum Amoklauf.

Der marktvermittelte stumme Zwang der immer „härter“ werdenden Verhältnisse nötigt die Charaktermasken ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Funktion dazu, diesen bei Strafe des eigenen Untergangs zu exekutieren. Derjenige Kapitalist, der es im zunehmenden Konkurrenzkampf auf den „enger“ werdenden Märkten nicht vermag, die Ausbeutung seines Menschenmaterials zu steigern, wird in der Krisenkonkurrenz untergehen. Dasselbe gilt für die kapitalistischen Volkswirtschaften als nationale „Standorte“, die sich ebenfalls in einem krisenbedingten Wettlauf nach unten befinden.

Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen scheint nun auch eine klare Einschätzung des Klassenkampfs möglich. Hierbei handelt es sich somit um einen Verteilungskampf innerhalb des Reproduktionsprozesses des Kapitals, dessen Intensität von dessen konkreter, historischer Widerspruchsentfaltung bestimmt wird. In Perioden starker ökonomischer Expansion wie in der Nachkriegskonjunktur bis in die 1970er können Formen der „Sozialpartnerschaft“ zwischen den Funktionseliten des Kapitals und den Gewerkschaften als Vertretern der Lohnabhängigen (des „variablen Kapitals“, wie es bei Marx heißt) aufkommen . Solange die Märkte stark expandieren, können hohe Profite mit Löhnen vereinbart werden, die Lohnabhängige zu Konsumenten machen – immer unter Vorraussetzung einer positiven Anerkennung der sog. Gesetze der Wirtschaft. Dies ändert sich relativ schnell in Krisenperioden, wenn es für jeden Kapitalisten vornehmlich darum geht, den irrationalen Selbstzweck der Kapitalakkumulation notfalls auch auf Kosten der eigenen Lohnabhängigen zu perpetuieren – und diese dann massenhaft „Freisetzen“, da sie ökonomisch nicht mehr verwertbar sind. Dann wird den Menschen eben der Klassenkampf als Kampf um Anerkennung als arbeitendes Menschenmaterial zum Verhängnis. Schlussendlich bedeutet Klassenkampf Unterwerfung unter die Imperative des Kapitals, die keineswegs infrage gestellt werden. Dass die Arbeiter sich auch gern stolz mit „ihrer Industrie“ und mit „ihrem Wirtschaftsstandort“ identifizieren, verwundert nicht.

Das bedeutet aber auch: Dem Klassenkampf als Verteilungskampf wohnt somit keine objektive transformatorische Potenz inne. Es ist ein Kampf um Anteile an einer krisenbedingt abschmelzenden, realen Wertproduktion – ohne aber diese irrationale Form gesellschaftlicher Reproduktion infrage zu stellen. Der Klassenkampf (schlussendlich auch der historische Klassenkampf vergangener Zeiten) bewegt sich also in den Formen kapitalistischer Vergesellschaftung (Wert, Arbeit, Kapital, Staat) und sucht Emanzipation und Anerkennung in diesen Kategorien, statt gegen diese.

Der sich verschärfende Klassenkampf ist somit ein Verteilungskampf. Die Militanz, mit der dieser krisenbedingt eskalierende „Klassenkrieg“ propagiert wird, verdeckt seine mangelnde Radikalität, da hier die Krisenursachen und die fetischistische Form gesellschaftlicher Reproduktion im Kapitalismus nicht reflektiert werden. Um es mal plastisch auszudrücken: Das Fundament, auf dem die Klassenakteure agieren, die Verausgabung von Arbeit in der Warenproduktion, zerfällt zunehmend (Daran ändert auch der derzeitige pandemiebedingte Arbeitskräftemangel nicht viel, der überdies durch die gigantischen Konjunkturmaßnahmen und das Gelddruckprogramm der Fed bedingt ist).

Erst bei Reflexion auf den besagten „prozessierenden Widerspruch“, auf die sich zuspitzende innere Schranke des Kapitals, könnte dazu führen, die „soziale Frage“ jenseits des Klassenkampfes zu stellen. Es gilt, das „gute Leben“ gegen die verrückte kapitalistische Verwertungsbewegung zu erkämpfen, die stets die Basis und den Rahmen des Klassenkampf bildete. Der Klassenkampf kam nie auf die Idee, einen sinnvollen Umgang mit den Ressourcen zu fordern. Gerade bei Lohnkämpfen wird deutlich, dass es nur darum geht, die Arbeit besser zu entlohnen und den kapitalistisch produzieren Dreck besser zu verteilen. Nutznießer solcher Kämpfe können ohnehin nur jene sein, denen noch in den Zentren des Weltsystems das „Glück“ beschieden ist, vom Kapital ausgebeutet zu werden. Jene für das Kapital Überflüssigen, wie etwa Flüchtlinge, Slumbewohner usw. werden vom Klassenkampf überhaupt nicht erfasst. Die Herausbildung eines notwendigen transformatorischen Bewusstseins und einer korrespondierenden emanzipatorischen Bewegung darf sich allerdings nicht nur auf die „soziale Frage“ allein beschränken, sondern alle krisenbedingt zunehmenden Widersprüche und Kampflinien in den Fokus nehmen (zumal sie sich ohnehin überschneiden), wie den Kampf gegen Faschismus, religiösen Fanatismus, Rassismus, Sexismus, die Klimakrise, die zunehmende Kriegsgefahr oder autoritäre und antidemokratische Tendenzen im Staatsapparat – diese Kämpfe müssten als Momente eines überlebensnotwendigen Transformationskampfes begriffen und propagiert werden: eines Kampfes um die Ausformung einer postkapitalistischen Gesellschaft, der den drohenden sozioökologischen Kollaps verhindern würde.

https://www.patreon.com/user?u=57464083

1 http://www.konicz.info/?p=4389

2 https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/tarifverhandlungen-inflation-corona-100.html

3 https://www.wiwo.de/unternehmen/industrie/aus-angst-vor-der-inflation-ig-metall-chef-fordert-eine-ordentliche-erhoehung-statt-reallohnverluste/27638184.html

4 https://www.focus.de/die-welt-2022/die-welt-2022-die-hohe-inflation-ist-kein-argument-fuer-hoehere-loehne_id_24617175.html

5 https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Realloehne-Nettoverdienste/_inhalt.html

6 http://www.konicz.info/?p=4389

7 https://www.ft.com/content/4e9907d0-06ea-469e-8f32-e07dcd69f1a8

8 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/tarifvertrag-gewerkschaften-bezahlung-inflation-101.html

9 https://www.heise.de/tp/features/Der-Zerfall-des-deutschen-Europa-3370918.html

10 https://thenewobjectivity.com/pdf/marx.pdf

11 http://dhcm.inkrit.org/wp-content/data/mew42.pdf

12 https://zcomm.org/znetarticle/back-to-stagflation/

13 https://zcomm.org/znetarticle/back-to-stagflation/

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben       —       Illustration von Industrial Workers of the World (IWW): „Die Pyramide des kapitalistischen Systems“

Abgelegt unter Gewerkschaften, International, Kultur, Positionen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Zukunft der Linkspartei

Erstellt von Redaktion am 20. Dezember 2021

Linkspartei am Kipppunkt

2020-07-02 Klaus Ernst LINKE MdB von OlafKosinsky 1972.jpg

Für so einen unscheinbaren Gewerkschaffts-Fuzzi gleicht der Porsche einer Rakete ?

Von Anna Lehman

Eine Fraktion, die gegen die Partei agiert. Ein Klimapolitiker, der Autos liebt. Eine enttäuschte Basis. Kann die Linke die Spaltung überleben?

Hitzerekord in der Arktis! 38 Grad wurden in diesem Sommer gemessen, meldet die UN-Klimabehörde am 14. Dezember. Am Tag danach ist Maximilian Becker immer noch frustriert und wütend. „Ich weiß momentan nicht, wie ich Leute in meinem Bekanntenkreis davon überzeugen soll, in die Linke einzutreten.“ Becker kommt aus Leipzig, er ist aktiv in der örtlichen Klimabewegung Ende Gelände und seit Februar auch im Bundesvorstand der Linkspartei.

Am Tag, an dem die Dynamik des Klimawandels erneut deutlich wird, wählt die Bundestagsfraktion der Linken den Abgeordneten Klaus Ernst zum Vorsitzenden das Bundestagsausschusses für Klima und Energie. Ausgerechnet „Porsche-Klaus“! Der schnelle Autos liebt, sich für die Gaspipeline Nordstream2 ins Zeug legt und vor einer Anbiederung an die Klimabewegung warnte. Für die Partei ist Klimapolitik mittlerweile ein Kernthema, hereingetragen vor allem durch jüngere Mitglieder wie Becker, der 2016 in die Linke eintrat. „Der Einsatz für Klimagerechtigkeit ist eines unserer zentralen Politikfelder“, heißt es in einem Beschluss des Vorstands vom Oktober. Becker hat auf diese Formulierung gedrängt.

Nicht nur er ist über die Wahl von Ernst an die Spitze dieses wichtigen und einzigen Ausschusses für die Linksfraktion frustriert und wütend. Eine ehemalige Landesvorsitzende tritt nach 27 Jahren aus der Partei aus, der langjährige abrüstungspolitische Sprecher Jan van Aken zieht sich aus Ärger über die Fraktion aus dem Parteivorstand zurück und verwendet in seinem Austrittsschreiben Begriffe, wie sie sonst im Zusammenhang mit korrupten Regimen fallen.

Vor allem aber sind es jüngere Mitglieder und Aktivist:innen, die ihre Wut und Enttäuschung in den sozialen Medien verbreiten. Tausende haben einen einige Tage vor der Wahl initiierten offenen Brief unterschrieben und die Linksfraktion aufgefordert, den Ausschussvorsitz anders zu besetzen. Umsonst.

Die Seenotrettungskapitänin Carola Rackete, für viele Linke eine Gallionsfigur, twittert: „Die Linke ist mit der Wahl von Klaus Ernst als Vorsitzenden des Klimaausschusses scheinbar weiter im Selbstzerstörungsmodus, indem sie genau die sozialen Bewegungen abschreckt deren Inhalte sie eigentlich im Programm vertritt.“ Rackete hat mehr Follower als die Linkspartei Mitglieder.

39 gegen 60.000

Die Linkspartei, die es im September nur ganz knapp ins Parlament geschafft hat, bewegt sich auf einen Kipppunkt zu. Wird sie in Zukunft noch gebraucht, oder erledigt sie sich von selbst? Zumal sich nun der Eindruck verfestigt, dass ein Grüppchen von 39 Abgeordneten über Richtung und Themensetzung einer 60.000-Mitglieder-Partei entscheiden kann. Ein Grüppchen, das Kritik negiert, Beschlüsse ignoriert und Kommunikationskanäle dicht macht.

Die morgendlichen Telefonate zwischen Partei- und Fraktionsführung, wie sie im Wahlkampf üblich waren, sind längst wieder eingestellt. Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow spricht von einer Entfremdung zwischen Partei und Fraktion. Wie konnte es so weit kommen?

Zum einen hat das magere Wahlergebnis dafür gesorgt, dass es vorwiegend verdiente Parteikader, die auf vorderen Listenplätzen abgesichert waren, in den Bundestag schafften, während Nach­wuchs­po­li­ti­ke­r:in­nen das Nachsehen hatte. Die Linke stellt nun die zweitälteste Fraktion, und ihre Abgeordneten ticken oft traditioneller als die Parteibasis. Die hat sich in den letzten Jahren erheblich verjüngt, ein Fünftel der Mitglieder kam neu hinzu, zwei Drittel davon sind jünger als 35.

Die arrivierte Zusammensetzung der Fraktion stärkt aber auch das fraktionsinterne Machtbündnis aus, grob gesagt, ostdeutschen Prag­ma­ti­ke­r:in­nen und westdeutschen Orthodoxen. Die Mehrheiten sind klar verteilt: Zwei Drittel der Abgeordneten gehören zum sogenannten Hufeisen, der Rest muss sich hinten anstellen. Auch die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Hennig-Wellsow, die beide neu im Bundestag sind. Posten werden nach Loyalität und Machtinteressen vergeben, Inhalte spielen kaum eine Rolle.

Im Zentrum dieses Zweckbündnisses: Fraktionschef Dietmar Bartsch, gebürtiger Stralsunder, seit 44 Jahren Parteimitglied. Einer, dessen Karriere in der SED begann, der sich später in PDS und Linkspartei über verschiedene Ämter vom Schatzmeister, Bundesgeschäftsführer bis zum Fraktionschef und Spitzenkandidaten für die Bundestagwahl hochgedient hat. Ein vollendeter Funktionär, dessen Machtinstinkte verlässlich funktionieren. Dessen politische Landkarte sich aber auf Mecklenburg-Vorpommern beschränke, wie Ge­nos­s:in­nen lästern.

Bloß nicht grüner als die Grünen

Bartsch und Ernst seien sich menschlich nie besonders nah gewesen, berichtet ein Genosse, der beide lange kennt. Bartsch zündelte gegen Ernst als dieser Parteichef war, Ernst hielt sich umgekehrt nie mit öffentlicher Kritik zurück, wenn es um den Führungsstil von Bartsch und dessen damaliger Ko-Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht ging.

2018-06-09 Bundesparteitag Die Linke 2018 in Leipzig von Sandro Halank–137.jpg

Sind das nicht die Preise der Politik? Wo bei Bürger-Innen das Rückgrat endet ist bei den Politiker-Innen meistens schon alles im Arsch ?

Dass Bartsch ihn jetzt als Ausschussvorsitzenden durchgedrückt hat, mag zum einen daran liegen, dass er die Renitenz des Bayern fürchtet. Bei der Vergabe der Arbeitskreise war Ernst auf der Fraktionsklausur im Oktober leer ausgegangen. Es liegt aber auch am politischen Kurs, den Ernst verfolgt und den Bartsch teilt.

Die Linkspartei dürfe nicht „grüner werden als die Grünen“, betonen beide immer wieder. Statt immer ehrgeizigere Klimaziele zu formulieren, müsse sich die Linke auf ihren Markenkern konzentrieren, nämlich die soziale Frage. Auch wenn Ernst nach seiner Wahl in einem Video der Fraktion betont, er wolle die Interessen von abhängig Beschäftigten und sehr jungen Leuten in der Klimabewegung zusammenbringen, nutzt er doch auch die Gelegenheit, erneut für die Energiepartnerschaft mit Russland und für Nordstream2 zu werben. Es wäre blanker Unsinn, so eine Rieseninvestition im Meer zu versenken.

Quelle        :          TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —      Klaus Ernst während einer Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 2. Juli 2020 in Berlin.

****************************

Unten      —   Bundesparteitag Die Linke 2018 in Leipzig

Abgelegt unter Bundestag, Gewerkschaften, P. DIE LINKE, Positionen | 3 Kommentare »

Klima contra Arbeit

Erstellt von Redaktion am 6. Dezember 2021

Wenn es um die Existenz von Unternehmen geht, zählen in den Arbeitnehmerverbänden moralische Bedenken wenig

2021.11.24 Bo-105 Hubschrauber 003.jpg

Von Thomas Gesterkamp

Klimapolitik kann Arbeitsplätze kosten. Aufgabe der Gewerkschaften ist, bei ökologischen Lösungskonzepten an die sozialen Folgen zu erinnern.

Die Entscheidung sei „politisch unklug, unüberlegt und populistisch“, wetterte Betriebsratschef Alois Schwarz 1992 in den Produktionshallen von Messerschmidt-Bölkow-Blohm. 8.000 hochqualifizierte Stellen sah der bayerische Metallgewerkschafter in Gefahr, als die Bundesregierung den Auftrag zum Bau des Kampffliegers Jäger 90 bei der Mutterfirma Deutsche Aerospace stornieren wollte. Nach dem Ende des Kalten Krieges schien Rüstungskonversion das Gebot der Stunde, zudem belastete die deutsche Vereinigung die öffentlichen Etats. Der massive Druck von Konzernleitung und Arbeitnehmerorganisationen hatte dennoch Erfolg. Das in Eurofighter umbenannte und gemeinsam mit Partnerländern in Serie gebaute Flugzeug kostete in den folgenden Jahrzehnten rund hundert Milliarden Euro.

Betriebsräte als Militärlobbyisten, weil ihnen die Angst vor Werksschließungen im Nacken sitzt: Dieses Muster wiederholte sich 2014. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen befürwortete nach anfänglichem Zögern die Entwicklung bewaffneter Drohnen. Auf ihre Zusage reagierten neben Rüstungsmanagern auch Gewerkschafter begeistert: Das sichere Tausende von Jobs in der Branche, jubelte Bernhard Stiedl von der IG Metall Ingolstadt. Hauptsache Arbeitsplatz: Ist es den Interessenvertretungen egal, womit Beschäftigte ihr Geld verdienen? Wenn es um die Existenz von Unternehmen geht, zählen in den Arbeitnehmerverbänden moralische Bedenken relativ wenig. Das gilt für den Umgang mit Waffenherstellern und erst recht im Kampf gegen die Erderwärmung.

Die konservative Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie warnt regelmäßig vor einem frühen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung, den Kli­mak­ti­vis­t:in­nen eindringlich anmahnen. Auto-Betriebsräte versuchen das Verbot des Verbrennungsmotors auszubremsen, im ersten Corona-Lockdown verlangten sie wie in der Finanzkrise staatliche Abwrackprämien beim Kauf von Neuwagen. Als die schwarz-rote Koalition dies verweigerte und selbst die gewerkschaftsnahe Sozialdemokratie nicht mitzog, kamen scharfe Reaktionen aus der IG Metall und vom DGB-Bundesvorstand.

Unter den Metallern gibt es aber auch Gegenstimmen. Seit Jahren wird intern über die ökologische „Transformation“ diskutiert. Man will das Thema mit positiven Vorschlägen besetzen. Die Funktionäre hoffen dabei vor allem auf den Bau von Elektrofahrzeugen. Mobilitätskonzepte, bei denen nicht der private Besitz von Autos im Mittelpunkt steht, gehen den meisten allerdings zu weit. Denn eine fundamentale Verkehrswende auf der Basis der Sharing-Ökonomie und öffentlicher Transportmittel könnte zahlreiche Jobs in der deutschen Leitbranche kosten.

Der schwierige Balanceakt zwischen Arbeitsplatzinteressen und ethischen Grundsätzen ist eine historische Endlosschleife. Schon in den 1970er Jahren gingen Werftarbeiter für den Export von Unterseebooten in das von einer Militärdiktatur beherrschte Chile auf die Straße. Beschäftigte der Energiewirtschaft demonstrierten nicht gegen, sondern für den Bau von Atomkraftwerken.

Wzwz 180131 IGM Tarifrunde e.jpg

Doch blinde Flecken gibt es nicht nur auf der Seite der Arbeitnehmer, wie die Klimadebatte zeigt. Die Fridays-for-Future-Aktivist:innen, oft aufgewachsen in saturierten bürgerlichen Familien, sind nicht gerade für ihre sozialpolitische Sensibilität bekannt. Die eigene privilegierte Situation reflektieren sie meist wenig, die Perspektiven der Kumpel im rheinischen Revier oder in der Lausitz sind ihnen weitgehend gleichgültig.

Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre fordert angesichts der ökonomisch-ökologischen „Zangenkrise“ einen Labour turn bei den Klimabewegten und einen Climate turn bei den Gewerkschaften. Ermutigt hat ihn die Stimmung im überfüllten Audimax der Universität Leipzig im Mai 2019, bei der Gründung der Students for Future. Auf die Frage, ob eine Nachhaltigkeitsrevolution innerhalb kapitalistischer Verhältnisse möglich sei, habe er vom Publikum ein vielstimmiges „Nein!“ zu hören bekommen. Und der Vorschlag, große Konzerne bei einer Blockadehaltung gegenüber Klimazielen zu sozialisieren, erhielt tosenden Applaus. Der Wissenschaftler propagiert seither den „Ökosozialismus“.

Quelle       :          TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —   Ein Bo-105 Hubschrauber des Philippine Army (PA) Aviation Hiraya Regiment während des Besuchs von Brigadegeneral Edgar Nigos in der Einheit

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, Sozialpolitik, Umwelt | Keine Kommentare »

Was braucht ein Volk ?

Erstellt von Redaktion am 12. Oktober 2021

Eine antidemokratische LINKE. – braucht kein Mensch.

Klaus Ernst Die Linke Wahlparty 2013 (DerHexer) 06.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Heinz Michael Vilsmeier

Innerhalb der letzten 11 Jahre hat sich DIE LINKE. eines großen Teils ihrer nicht explizit sozialdemokratisch und / oder gewerkschaftlich orientierten Kader, Funktionär*innen und einfacher linker Mitglieder entledigt. Strippenzieher der planmäßigen innerparteilichen Säuberungen waren die sozialdemokratischen Seilschaften um den früheren Bundesvorsitzenden der PDL Klaus Ernst. Genossinnen mit ausreichend viel Phantasie innerhalb der PDL raunen sogar, das destruktive Vorgehen dieser Strömung, im Sinne einer Counter Insurgency Aktion, sei darauf ausgerichtet gewesen, das Projekt Linkspartei, also die Etablierung einer parlamentarischen Kraft links von der SPD, klein zu halten bzw. scheitern zu lassen. – Sollte es so gewesen sein, müsste diese Strategie als durchaus erfolgreich bezeichnet werden. – Ich jedenfalls würde so eine Verschwörungstheorie nicht unhinterfragt stehen lassen. M. M. n. zielten die Säuberungen, für die es durchaus historische Vorbilder gibt, darauf ab, DIE LINKE. für ein Regierungsbündnis mit der SPD, für eine strategische Zusammenarbeit mit den DGB-Gewerkschaften und natürlich mit Bündnis ‘90 / Die Grünen fit zu machen. Dazu war man bis hin zur Selbstverleugnung bereit.

Das Motiv Bündnisfähigkeit wurde durch den beinahe schon verzweifelten Appel des ehem. SPDlers und IG-Metallers Klaus Ernst an die anwesenden Gewerkschaftsführer beim 10-jährigen Jubiläum der PDL in der Berliner Volksbühne eindringlich unterstrichen, als er diesen die Frage zurief, was DIE LINKE. denn noch alles tun müsse, um sie für die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften salonfähig zu machen. – All das war, wie man schon damals hätte wissen können, vergebliche Liebesmüh und, parteipolitisch gesehen, kontraproduktiv. Klaus Ernst‘s Bemühungen und die seiner innerparteilichen Komplizen, die PDL qua Sozialdemokratisierung „regierungsfähig“ zu machen, wirkten sich äußerst (selbst-)zerstörerisch aus. Sie hatten zur Folge, dass sich DIE LINKE. über mehr als ein Jahrzehnt beharrlich ausdünnte und selbst schwächte, während die Parteienlandschaft immer mehr nach rechts rückte. Das Versagen der PDL gegenüber ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung hat schon eine historische Bedeutung.

Dabei war der Erfolg der Strategie gleich null! Keines der erhofften Bündnisse kam je zustande.

Die Methoden, die angewendet wurden, um die innerparteiliche Opposition zu eliminieren, waren durchweg schmutzig, antidemokratisch und abstoßend. Sie erinnern an schlimmste Vorgehensweisen, wie wir sie aus stalinistischen Parteien in der Vergangenheit kennen. Das geht von Mobbing, über Zersetzung durch Psychoterror und Rufmord bis hin zu Gewaltandrohungen. – Beispielsweise wurde in Diskussionen schon auch mal geäußert, „ein Kopfschuss“, wie in der früheren Sowjetunion, „habe doch auch seinen Charme gehabt“…

Die Folge war, dass die PDL sowohl innerparteilich als auch außerparteilich Vertrauen zerstörte, viele Kader und einfache Mitglieder verlor und sich in den Augen der meisten Wähler*innen als unwählbar erwies. – Eine antidemokratische LINKE. braucht eben kein Mensch.

Noch eine Anmerkung zur gewerkschaftsorientierten Strömung in der PDL, die jederzeit bereit ist, Vertreter*innen gewerkschaftskritischer Positionen aus der PDL auszugrenzen: Ihre Parteisoldat*innen haben noch immer nicht den Unterschied zwischen Partei und Gewerkschaft verstanden. Am liebsten würden sie DIE LINKE. zum verlängerten Arm der Gewerkschaften machen, so wie beispielsweise Klaus Ernst es getan hat, in der Hoffnung, dann würden massenhaft Gewerkschafter*innen zu DIE LINKE. strömen. Das ist natürlich nicht nur nicht passiert, sondern war und ist auch vom politischen Ansatz her falsch.

Während Gewerkschaften Partikularinteressen zu vertreten haben, die gesamtgesellschaftlich sogar schädlich sein können, muss eine Partei das gesellschaftliche Ganze im Blick haben und eine positive gesellschaftliche Utopie entwickeln und strategisch verfolgen. Gewerkschafter*innen in der PDL haben dies stets verhindert, wohl in dem Glauben, damit „der Arbeiterklasse“ einen Gefallen zu tun.

Und was trugen die Aufsteher um Sahra Wagenknecht zum Niedergang der PDL bei? – Sie und ihre Ikone waren sich nicht zu schade, einen Weg zu propagieren, der den Sozialstaat vor allem für deutsche [sic!] Leistungsempfänger fit machen soll. Eine nationale sozialistische Ausrichtung ist dabei impliziert. Damit biederten sie DIE LINKE. nicht nur denjenigen an, die sich PEGIDA und der AfD zugewandt hatten. Ihre ständigen Polemiken gegenüber Flüchtenden und Migranten hatten zur Folge, dass sie nicht nur Teile der PDL in durchaus vorhandenen nationalistischen und chauvinistischen Ressentiments stärkten, sondern auch noch der AfD Schützenhilfe lieferten (vielleicht unfreiwillig) und einige Positionen der Rechten in der PDL vertretbar machten. – Bzgl. Wagenknecht gäbe es noch viel mehr Kritisches anzumerken, beispielsweise zu ihrem Feldzug gegen Positionen, die identitätspolitisch argumentieren. Damit hat sie die PDL ohnehin für große Teile der Gesellschaft und Teile der gesellschaftlichen Linken, vor allem in den alten Bundesländern, unwählbar gemacht.

Dann ist da noch die unglückliche Haltung, insbesondere bei der traditionellen Linken in der PDL, die die ökologische Krise noch immer als „Nebenwiderspruch“ verharmlost und weiterhin propagiert, die Kosten des industriellen Umbaus sollten ausschließlich die Reichen tragen und Klimapolitik dürfe Arbeiter und prekär Beschäftigte nicht betreffen. – Diese rein populistisch motivierte Argumentation wird wohl nicht funktionieren. – Wie damit überhaupt eine konsequente Klimapolitik angegangen werden könnte, die das Bewusstsein der Menschen im Umgang mit der Umwelt verändert, wird wohl das große Geheimnis dieses Teils in der PDL bleiben.

Urheberecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/

*********************************************************

Grafikquellen      :

Oben          —     Celebration of the left-wing party in the Berlin Kulturbrauerei. Klaus Ernst.

Abgelegt unter Berlin, Gewerkschaften, P. DIE LINKE, Überregional | 1 Kommentar »

Replik zu Karl Reitter

Erstellt von Redaktion am 1. September 2021

Anmerkungen zu „Gewerkschaftssozialismus“

Parteitages der Partei DIE LINKE 2019, Bonn.2.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Ralf Krämer

Karl Reitter stellt, nachdem er mit mir intensiv kontrovers zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert hat, Überlegungen an, warum linke Gewerkschafter gegen das Grundeinkommen seien. Es ist m.E. schade, dass diese Diskussion nicht aufgezeichnet und öffentlich zugänglich gemacht wurde, damit sich alle selbst ein Bild machen können von der Fundiertheit der jeweiligen Argumentationen. Man kann natürlich solche Mutmaßungen anstellen wie Karl Reitter, sinnvoller wäre aber die Gründe ernst zu nehmen, die formuliert vorliegen und tatsächlich die die Ablehnung dieser Vorstellungen begründen, siehe etwa https://wipo.verdi.de/publikationen/++co++ab29a9ba-db39-11e7-ade4-525400940f89 externer Link. Und man sollte sich an der Realität orientieren.

Es ist dagegen Unfug, wenn Reitter schreibt: „In der rauen Wirklichkeit der kapitalistischen Verhältnisse vertreten Gewerkschaftsfunktionäre angesichts der neoliberalen Umwälzungen der Arbeitswelt immer nur kleine und sehr kleine Teile der Klasse. Die prekär Beschäftigten, die Scheinselbstständigen, die modernen StücklohnarbeiterInnen, die Erwerbsarbeitslosen, die in Ausbildung Befindlichen, die SaisonarbeiterInnen, die LeiharbeiterInnen und nicht zuletzt die halblegal und illegal Beschäftigten, mithin die Mehrheit der Klasse, wird durch diese je spezifischen Verhandlungen nicht oder nur teilweise erfasst.“ Gewerkschaften sind Selbstorganisationen der arbeitende Klasse, sie vertreten in den konkreten Auseinandersetzungen primär die organisierten, damit aber auch die jeweils betroffenen Teile der Klasse und ihre Interessen insgesamt, und politisch gesehen die Interessen der gesamten Klasse. Jedenfalls gibt es keine anderen Organisationen, die dies auch nur annähernd so beanspruchen können und leisten wie die Gewerkschaften. Gewerkschaften organisieren und vertreten sehr wohl auch die Interessen der von Reitter genannten Beschäftigtengruppen und auch die von Erwerbslosen. Wobei klar ist, dass die Artikulation dieser Interessen und ihre Vertretung nicht ohne Widersprüche ist, diese Widersprüche können aber nur innerhalb der Organisationen sinnvoll ausgetragen werden.

Es ist Unfug zu behaupten, Gewerkschaften verträten „nur kleine und sehr kleine Teile der Klasse“. Die von Reitter aufgeführten Gruppen sind zum einen sehr unterschiedlich zu betrachten und stellen dennoch selbst alle zusammen nur eine deutliche Minderheit der Klasse dar. Die überwiegende Mehrheit der Lohnabhängigen in Deutschland und auch in Österreich ist regulär sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Insgesamt scheint es in Teilen der Linken große Unkenntnis und eine verzerrte Sicht auf die quantitativen Proportionen der Beschäftigungsverhältnisse zu geben, ich empfehle als Datenquellen https://www.sozialpolitik-aktuell.de/arbeitsmarkt-datensammlung.html externer Link und https://www.iab.de/de/daten.aspx externer Link

Unfug ist auch die Behauptung Reitters, die Gewerkschaften würden sich nur um Löhne und Arbeitszeiten kümmern und seien deshalb gegen Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Gewerkschaften kümmern sich selbstverständlich auch um die sozialstaatlich vermittelten Einkommen und öffentlichen Leistungen, die für die Lohnabhängigen – nichterwerbstätige Familienangehörige, Rentner:innen, Erwerbsunfähige und Erwerbslose dabei eingeschlossen – von großer Bedeutung sind und stellen dazu vielfältige Forderungen auf und vertreten diese politisch, siehe etwa https://wipo.verdi.de/publikationen/++co++57183c20-b7b2-11eb-aa4e-001a4a160119 externer Link.

Ich könnte jetzt auch aufschreiben, wieso m.E. manche Leute so hartnäckig und geradezu fanatisch und dabei unter Missachtung von sozialen und politökonomischen Fakten und Zusammenhängen ihre BGE-Illusionen propagieren, welche Isolierung von den Lebensbedingungen und Auffassungen der großen Mehrheit der Lohnabhängigen und welche ideologischen Verblendungen dahinter stecken. Ich verzichte darauf und will Reitter in einem Punkt positiv aufgreifen, wenn er abschließend schreibt „Wahrscheinlich wäre es zielführender mit alle jenen, die meinen, im Kapitalismus sei das Grundeinkommen eine Illusion und im Sozialismus überflüssig, nicht über das Grundeinkommen, sondern über ihr Sozialismusverständnis als gute Arbeitsgesellschaft für alle zu diskutieren.“ In der Tat scheint das Sozialismusverständnis eine wichtige Differenz zu sein, denn selbstverständlich wird ein demokratischer Sozialismus eine „gute Arbeitsgesellschaft für alle“ sein. So sah es Marx, vgl. https://diefreiheitsliebe.de/wirtschaft/marx-waere-gegen-die-bge-forderung-gewesen/ externer Link, und so wird es auch im Grundsatzprogramm der Partei DIE LINKE beschrieben https://www.die-linke.de/partei/programm/ externer Link.

Dagegen steht eine idealistische Vorstellung einer kommunistischen Gesellschaft, in der es keiner gesellschaftlich organisierten Arbeit mehr bedürfte, sondern jede/r nur tue, was er/sie individuell will und dabei auf wundersame Weise und vielleicht vollautomatisch dennoch das und da und dann produziert werde, was gerade gebraucht wird an Gütern und Dienstleistungen. Diese Gesellschaft soll gewissermaßen durch ein BGE ein Stück weit vorweggenommen werden. Diese Vorstellungen beruhen auf einer falschen oder fehlenden politökonomischen Analyse und sind für die Gegenwart und die absehbare Zukunft illusorisch und desorientierend.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —    Parteitag der Linkspartei in Bonn. 2. Tagung des 6. Parteitages der Partei DIE LINKE, 22. und 23. Februar 2019, Bonn.

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Nordrhein-Westfalen, P. DIE LINKE | Keine Kommentare »

Die Deutsche-Bahn lahmt

Erstellt von Redaktion am 12. August 2021

Solidarität mit der GDL

Von Jimmy Bulanik

Die Menschen welche in der Bundesrepublik Deutschland Züge fahren haben es in diesen Zeiten schwer. Besonders durch die Corona Pandemie. Jetzt verhandeln die Gewerkschaft, GDL mit der Bahn AG.

Dabei geht es um mehr Gehalt, was ein Teil der Arbeitsbedingungen sind. Die Bahn AG und die GDL kommen derzeit nicht weiter. Ein Streik zeichnet sich ab.

Somit erpresst die Bahn AG im Grunde das Land. Es kann zum Stillstand kommen. Gerade für jene welche zur Schule, Universität oder Arbeitsstelle pendeln müssen.

Das setzt den Bundesvorsitzenden der GDL, Claus Weselsky unter Druck. Dieser muss die Entschlossenheit seiner seiner Kolleginnen und Kollegen unter Beweis stellen. Dies kann für andere Gewerkschaften eine Inspiration darstellen.

Es obliegt an dem Vorstand der Bahn AG zu entscheiden, wann sie gewillt ist ernsthaft auf die Arbeitnehmerschaft einzugehen. Die Bahn AG ist kein Selbstzweck. Sie ist ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Zu 51% gehört die Bahn AG dem Staat unter der Zuständigkeit des Bundesministeriums für Verkehr. Seit 2013 waren die Bundesminister für Verkehr Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt, Christian Schmidt, Andreas Scheuer von der CSU. Die Fahrgäste sollen im Vordergrund stehen.

Die Zeit eines Arbeitskampfes zwischen der Bahn AG und der GDL vor einer Bundestagswahl ist eine spannende Tatsache. Auf politischer Ebene ist es vernünftig mit den MdB‘s kritisch über das Thema der Privatisierung zu sprechen. Die Menschen können sich mit der Frage befassen, wie sie grundsätzlich die Privatisierung bewerten.

Wurde die Bahn AG durch die Privatisierung in ihrer Dienstleistung besser ? Wurden Strecken stillgelegt ? Sind die Preise für Fahrkarten teuer ?

Datei:Eisenbahn als Bauernschreck.jpg

Insgesamt ist es nötig das mehr Steuermittel in die Bahn AG investiert wird. Dazu können die Bürgerinnen und Bürger bei der Bundestagswahl 2021 richtig wählen gehen. Sofern die Bürgerinnen und Bürger für sich aktiv werden, handhaben sie etwas für sich richtig.

Sie können sich in schriftlicher Form an die Bahn AG wenden. Um beispielsweise mit der Zielsetzung einen Streik abzuwenden. Mehr Geld für die Bahn AG muss auch dazu führen das Personal besser und gerecht zu bezahlen. Es handelt sich dabei um die Würdigung der humanen Wertschöpfung.

Die Adresse der Bahn AG lautet:

Deutsche Bahn AG
Vorstand
Potsdamer Platz 2
10785 Berlin

Email: konzernportal@deutschebahn.com 

Die Bewegung Fridays For Future könnte sich das Thema der Förderung des öffentlichen 
Schienenverkehr annehmen. Eine Tatsache ist das die Schiene ein Anreiz in der Wirklichkeit 
sein muss, um vom Auto auf die Schiene umzusteigen. Die Thematisierung der Ökologie muss mit 
der Frage der sozialen Gerechtigkeit einhergehen. 

Dies betrifft auch das Personal der Bahn AG. Dazu gehören mit unter jene die einen Zug 
fahren. Der Gewerkschaft GDL ist ein tatsächlicher Erfolg zu wünschen.

Nützliche Links im Internet:

GDL:
https://www.gdl.de 

Fridays For Future:
https://fridaysforfuture.de 

Bundesministerium für Verkehr:
https://www.bmvi.de/DE/Meta/Buergerservice/buergerservice.html

*********************************************************

Grafikquellen :

Oben      —   Warnstreik der GDL am Leipziger Hauptbahnhof (Juli 2007).

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Deutschland_DE, Gewerkschaften, Medien | 1 Kommentar »

Verdi – war gestern

Erstellt von Redaktion am 8. August 2021

Machen bald Drückerkolonnen die Mitgliederwerbung?

1 - Hamburg 1. Mai 2014 01.JPG

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Gewerkschaftsforum Dortmund

Da würde sich Joe Hill in seinem Grab herumdrehen. Der US-amerikanische Arbeiterführer, Gewerkschaftsaktivist, Sänger und Liedermacher, dessen letzte Worte vor seiner Hinrichtung don’t mourn – organize (trauert nicht-organisiert euch) waren, war quasi der Vater der neuen erfolgversprechenden Methode der gewerkschaftlichen Mitgliederaktivierung und -gewinnung. Viele hauptamtliche Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter waren zur Schulung in dieser Methode extra für einige Wochen in die USA geflogen.

Joe Hill würde ganz sauer aufstoßen, dass ver.di schon seit einigen Jahren „ein junges Unternehmen spezialisiert auf Dialogmarketing“ engagiert, das „realisierenden Face-to-Face-Kampagnen zur Mitgliederwerbung“ entwickelt hat. Einfach ausgedrückt heißt das, dass anstelle der Mitgliederwerbung durch eine gute Gewerkschaftsarbeit im Betrieb und vor Ort, ver.di nun auf öffentlichen Straßen und Plätzen Mitglieder gewinnen will, wie man es z.B. von den Tierschutzvereinen kennt, die vor den Kaufhallen stehen.

Seit Jahren wurde vor allem den ehrenamtlich aktiven Gewerkschaftsmitgliedern immer wieder erklärt, dass die US-amerikanische Organize-Methode die derzeit beste Methode für die Gewerkschaftsarbeit, auch besonders für die Mitgliedergewinnung, ist. Die speziell geschulten hauptamtlichen Gewerkschafter hielten das Fachwissen dieser Methode vor und die Fäden der Aktionen liefen bei ihnen zusammen.

Anstelle des traditionellen Stellvertretermodells wird beim Organizing ein basisnahes Selbstvertretungsmodell entgegengesetzt. Die Aktivisten verfolgen dabei ein konkretes Ziel, z.B. den Abschluss eines Tarifvertrags oder die Einleitung von Betriebsratswahlen. Im Rahmen von Organisierungskampagnen suchen sich die Gewerkschaften strategische Bündnispartner wie Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Verbände oder Stadtteilgruppen aus, um mit diesen sozialen Netzwerken innerbetriebliche oder öffentliche Aktionen, unter Einbeziehung der Medien, durchzuführen. So konnten die US-amerikanischen Gewerkschaften in den vergangenen Jahrzehnten vielfach Betriebe oder sogar ganze Städte erfolgreich organisieren und Tarifverträge abschließen.

Nun hört man bei ver.di ganz andere Töne. Es ist die Rede von Promotiontouren, Dialogmarketing, Verbindung von Fundraising und Elementen aus dem Vertrieb, Face-to-Face-Kampagnen oder die Kraft des persönlichen Gesprächs und Kommunikation für Organisationen, Verbände und Stiftungen.

ver.di hat mit der Firma DFC DIALOG GmbH eine Zusammenarbeit begründet, um neue Methoden zur Mitgliedergewinnung durchzuführen.

In dem Selbstverständnis dieser Firma heißt es:

„DFC DIALOG GmbH ist ein junges Unternehmen spezialisiert auf Dialogmarketing für Gewerkschaften. Wir entwickeln und realisieren Face-to-Face-Kampagnen zur Mitgliederwerbung. Unser Team besteht aus Experten im Dialogmarketing, im Face-to Face-Fundraising und in der Kommunikation für Organisationen, Verbände und Stiftungen. Auch als Arbeitgeber sind wir mit den Werten und Zielen der Gewerkschaften verbunden. Wir glauben an die Kraft des persönlichen Gesprächs und sind überzeugt, dass wir so die Arbeitswelt von morgen mitgestalten können“.

Unter „Unser Angebot“ heißt es dann:

Die Arbeit als Dialoger*in ist anspruchsvoll, intensiv und verlangt großen Einsatz – egal, ob es regnet, stürmt oder schneit oder die Sonne knallt! Dafür bieten wir dir auch was: 1. einen guten Vertrag, 2. ein gutes Grundgehalt, 3. leistungsbezogene Prämien on top und 4. gute Chancen auf einen überdurchschnittlichen Verdienst abhängig von deinem Engagement. Und das egal, ob du einen Studenten-, Reise- oder Nebenjob suchst.

Du bist:

  • reiselustig
  • kommunikativ
  • charmant
  • ein Teamplayer / eine Teamplayerin
  • UND EINFACH EINZIGARTIG!?

Dann passt du perfekt in unser Dialog-Team!

Deine Aufgabe:

Mit deinem Dialog-Team aus 3–5 Kolleg*innen bist du in verschiedenen Städten an belebten Plätzen (oder auch alternativ auf Messen) im Einsatz für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft. Gut gelaunt, mit Humor und Leidenschaft sprichst du Passant*innen aktiv an und informierst über die aktuelle Arbeit von ver.di. Das Ziel: Viele neue Mitglieder für eine noch stärkere Gewerkschaft gewinnen!

Profi:

Du hast Erfahrung als Dialoger*in oder Teamleiter*in im Fundraising und suchst einen verlässlichen Arbeitgeber, der dir einen spannenden Job mit fairen Konditionen bietet? Dir ist es wichtig für eine gute Sache einzustehen und dein Geld mit sinnvoller Arbeit zu verdienen? Dann bist du bei uns richtig.

Nach deinen ersten 3 Einsatzwochen kannst du dir deine weiteren Einsätze wochenweise flexibel einteilen. Wir bieten dir ein gutes Grundgehalt, leistungsabhängige Prämien on top, bezahlte Schulungen und Nachschulungen. Ein Arbeitsvertrag mit gewerkschaftlich erstrittenen Rechten wie Urlaubsanspruch oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist dir sicher. Du arbeitest fünf Tage die Woche, kannst reisen und Karrierechancen als Teamleiter*in und Coach sind möglich. Komm ins Team!“

Die geschäftsführende Gesellschafterin wird so vorgestellt:

„Antje Welp ist Herz und Hirn der DFC DIALOG GmbH und seit fast zwanzig Jahren in führenden Positionen im Profit- und Nonprofit-Bereich unterwegs. Beim Bund für Umwelt und Naturschutz e.V. entwickelte sie ihre Leidenschaft für wirklich gute Dialogwerbung. In sieben Jahren Bereichsleitung Marketing und Kommunikation bei Oxfam Deutschland e.V. hat sie Fundraising-Innovationen wie OxfamUnverpackt und Oxfam Trailwalker nach Deutschland gebracht. Natürlich nicht alleine! So ist auch Antjes Credo für die DFC DIALOG: If you want to go fast, go alone. If you want to go far, go together.“

Nach dem Motto, „wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe“ säuselt die Firma DFC Ihren Beschäftigten vor:

Als Dialoger/-in im Einsatz für ver.di arbeitest du für eine der größten Gewerkschaften in Deutschland. Du sorgst dafür, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – wie du auch – in Zukunft eine starke Stimme haben. So gestaltest du unsere und deine Arbeitswelt von morgen aktiv mit. Bei Tarifverhandlungen, mit politischen Kampagnen und in den Betrieben vor Ort – die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft setzt sich für mehr soziale Gerechtigkeit in unserem Land ein. ver.di vertritt Millionen Beschäftigte, streitet für gerechte Löhne und gute Arbeit. Viele Rechte, die wir heute für selbstverständlich halten, verdanken wir dem Kampf von ver.di und anderen Gewerkschaften“.

Da kam es in der Anfangszeit der Zusammenarbeit noch zu einigen Fauxpas wie diesem:

„ver.di lud Ende September zum 4. ordentlichen Bundeskongress nach Leipzig und wir waren live dabei! Neben vielen interessierten Kollegen/-innen, ver.di-Ehrenamtlichen und -Hauptamtlichen, hat uns auch der Vorstandsvorsitzende Frank Bsirske am Informationsstand besucht… Franz Bsirske in seiner Grundsatzrede: Nach nur wenigen Minuten erwähnte er uns als „Pioniere der Dialogwerbung“. Wow, das geht runter wie Öl! „

Aber so ganz gut kennen sie sich wohl nun doch nicht, die DFC und unser Franz oder ist sein Name nicht doch gleich Frank mit k? Und dass er Vorstandsvorsitzender und nicht Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist, stimmt ja auch nicht – oder ist ver.di nun schon ver.di GmbH & Co. KGaA geworden, mit einem eingesetzten Vorsitzenden des Vorstands?

Solche Fehler passieren heut nicht mehr, da man gelernt hat, sich möglichst allgemein zu äußern, wie aktuelle Gespräche mit den jungen Menschen zeigen. Und den „Vorstandsvorsitzenden“ Bsirske gibt es auch nicht mehr.

Konkrete und aktuelle Bemühungen der Gewerkschaft, die Situation der Beschäftigten in der Pflege oder im Handel zu verbessern, haben sie nicht auf dem Schirm und sie müssen dann kleinlaut zugeben, eigentlich für die Mitgliederwerbung hier auf der Straße arbeiten zu müssen.

Grosses Kino!-1659.jpg

Machen bald Drückerkolonnen die Mitgliederwerbung?

Aufgrund der aktuell gemachten Beobachtungen kann man das Fragezeichen bei der Überschrift des Artikels weglassen und „machen bald“ durch „es machen“ ersetzen.

Ende Juli 2021 im italienischen Straßenkaffe beim besten Capucci der Stadt: Gegenüber dem Karstadthaus kann man beobachten, wie kurz nach 10 Uhr 5 junge Männer, in dem mit dem ver.di-Logo geschmückten Stand ihr gruppendynamisches Arbeitsbeginnritual abhalten. Hand in Hand im Stehkreis am runden Tisch werden gebetsartig Sätze rausgepresst, dann wird das Ganze mit einem lauten Urschrei und auf den Tisch klatschenden Händen beendet, um auszuschwärmen und Mitglieder für die Gewerkschaft zu werben.

Schon nach kurzer Zeit fällt auf, dass fast nur junge Mädchen von der Fußgängerzone zum ver.di-Stand begleitet und dort beraten werden. Dem Augenschein nach handelt es sich bei den Mädchen um Schülerinnen, die altersbedingt noch keine Berufsausbildung durchlaufen oder in einem Arbeitsverhältnis stehen. Ein Werber in der Fußgängerzone in seiner Jacke mit dem ver.di-Logo spricht einen 12- 13jährigen Jungen an, der aber aufgrund von geringen Kenntnissen der deutschen Sprache nicht weiß, was man von ihm will und schulterzuckend weiter geht. Dieser Werber wird zur Rede gestellt, um zu erfahren, warum man junge Menschen für eine Gewerkschaft als Mitglied gewinnen will, die noch gar nicht in einem Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis stehen. Der verdutzte Werber entschuldigt sich und will sich herausreden, indem er auf ein „Versehen“ hinweist. Das kann aber entkräftet werden, als er auf seine Werberkollegen hingewiesen wird, die weiter vorrangig Jugendliche ansprechen und zeigen, was derzeit bei der Mitgliederwerbung bei der Gewerkschaft abgeht.

Fakt ist: Bei ver.di wird Mitgliederwerbung mit Drückerkolonnenmethoden gemacht.

Quelle: DFC DIALOG GmbH

 https://www.gewerkschaftsforum.de/

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

*********************************************************

Grafikquellen :

Oben      —   Tag der Arbeit 1. Mai 2014 – Demonstration in Hamburg – Ver.di – Transparent: Mit Schirm, Charme und Herz: Gute Arbeit gemeinsam gestalten.

***************************

Unten     —       Sonderausstellung „Grosses Kino!“ im Kölnischen Stadtmuseum Foto: Overstolz Bauchladen, Köln, 1950er Jahre, Leihgabe Wandel Antik, Markus Wildhagen

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, Nordrhein-Westfalen, Überregional | 1 Kommentar »

»Gewerkschaftssozialismus«

Erstellt von Redaktion am 4. August 2021

Oder warum manche linke Gewerkschafter gegen das Grundeinkommen sind.

http://www.archiv-grundeinkommen.de/material/pk/PK-6-finanzierbarL-v.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Karl Reitter

Die Auseinandersetzung um politische Themen kann verschiedene Formen annehmen. Es können Argumente und Gegenargumente ausgetauscht werden, wobei jede Seite hofft, die besseren und treffenderen zu haben. Es kann aber auch die Frage gestellt werden, warum bestimmte Gruppen so hartnäckig bestimmte Positionen vertreten. Es kann also auch darum gehen, die Anderen zu verstehen und deren Auffassungen nachzuvollziehen. Dieser kleine Text ist Resultat einer online Diskussion, die ich mit einem Mitglied der deutschen Linkspartei und Gewerkschaftsfunktionär zum Thema Grundeinkommen führen konnte. Warum in aller Welt, fragte ich mich, ist dieser Gewerkschafter so vehement gegen das Grundeinkommen? Was löst diese unduldsame Ablehnung aus? Wer materialistisch denkt weiß, Argumente fallen nicht vom Himmel, sie reflektieren die gesellschaftliche Position der jeweiligen SprecherInnen. Ich habe also versucht, mich in den politischen Alltag einesGewerkschaftsfunktionärs hineinzudenken, um die Antwort auf die gestellten Fragen zu finden.

Gewerkschaftsfunktionäre sind permanent mit direkten VertreterInnen des Kapitals konfrontiert, sei es auf betrieblicher Ebene, sei es auf der Branchenebene. Es geht um Lohnhöhen, Arbeitszeitregelungen, betriebliche Sozialleistungen, es geht darum, Kündigungen zu verhindern oder für die Betroffenen erträglich zu machen. Dann geht es auch um Vergünstigungen für die Belegschaft, um den günstigen Betriebsratskredit und um die verbilligte Kur im Gewerkschaftsheim. Da sie immer wieder Aug‘ in Aug‘ mit VertreterInnen des Kapitals am Verhandlungstisch sitzen, muss es so scheinen, als wären sie an der unmittelbaren Front des Klassenkampfes engagiert. In ihren Händen läge also das materielle Schicksal der Klasse. Sie wissen um das Machbare, um die Möglichkeiten und die Grenzen bei Verhandlungen. Wie soll in diesen Auseinandersetzungen das Grundeinkommen Thema sein? Welche Funktion hat die Forderung nach dem Grundeinkommen, wenn etwa darüber verhandelt wird, ob es nur eine prozentuelle Lohnerhöhungen oder zugleich um eine Mindesterhöhung geht – keine.

Aber füllen Lohnverhandlungen tatsächlich das Zentrum des Klassenkampfes aus? Überlegen wir: In der rauen Wirklichkeit der kapitalistischen Verhältnisse vertreten Gewerkschaftsfunktionäre angesichts der neoliberalen Umwälzungen der Arbeitswelt immer nur kleine und sehr kleine Teile der Klasse. Die prekär Beschäftigten, die Scheinselbstständigen, die modernen StücklohnarbeiterInnen, die Erwerbsarbeitslosen, die in Ausbildung Befindlichen, die SaisonarbeiterInnen, die LeiharbeiterInnen und nicht zuletzt die halblegal und illegal Beschäftigten, mithin die Mehrheit der Klasse, wird durch diese je spezifischen Verhandlungen nicht oder nur teilweise erfasst. Auf betrieblicher Ebene funktioniert gewerkschaftliche Vertretung in Mittel- und Großbetrieben in vielen Branchen noch ganz gut, in Klein- und Kleinstbetrieben sieht die Welt ganz anders aus. Auch in den großen Betrieben bewirken die rechtlich unterschiedlichen Arbeitsverträge (Angestellte vs. ArbeiterInnen, LeiharbeiterInnen vs. Stammbelegschaft usw.), dass Verhandlungen kaum alle Lohnabhängigen gleichermaßen betreffen. Natürlich wissen das die Gewerkschaftsfunktionäre, nur welche Konsequenzen soll man schon daraus ziehen, wenn man etwa Verhandlungen mit VertreterInnen der chemischen Industrie zu führen hat? Unmittelbar erstmals keine.

Schwerwiegender als die Tatsache, dass in gewerkschaftlichen Verhandlungen niemals die gesamte Klasse eingebunden sein kann, wirkt der Umstand, dass sich offenbar in den Augen der Funktionäre der »eigentliche« Klassenkampf auf die von der Gewerkschaft abgedeckten Themen zusammenzieht. Bei aller Kritik an Lenin, die Limitationen des »trade-unionistischen« (gewerkschaftlichen) Bewusstseins hat er korrekt erkannt. Klassenkampf umfasst selbstredend weit mehr als die Auseinandersetzung um Löhne und Arbeitszeiten, genau genommen kann kein Bereich des sozialen Daseins ausgeklammert werden. Vor allem kann der gewerkschaftliche Kampf die »Elementarform Ware« (Marx) nicht thematisieren, sondern setzt diese als gegeben voraus. Was meint diese Aussage? Die kapitalistische Produktionsweise beruht darauf, alles zur Ware zu machen. Zwei Warenmärkte sind aus der Perspektive der ArbeiterInnenklasse besonders prekär und grauslich: Der Wohnungsmarkt und der Arbeitsmarkt. Gegen den entgrenzten Wohnungsmarkt gibt es zahlreiche politische Initiativen, auch die KPÖ hat eine solche gestartet. Gegen das entgrenzte zur Ware-Werden der Arbeitskraft weist das Grundeinkommen die Perspektive. Warum reagieren linke Gewerkschaftsfunktionäre so unterschiedlich auf beide Orientierungen, die sich unmittelbar gegen den Warenstatus richten? Nun, die Kosten für den Wohnraum sind Ausgaben, das fällt sozusagen nicht in die Kompetenz der Gewerkschaften. Ein Grundeinkommen ist hingegen wie der Arbeitslohn eine Einnahme. Für die angemessenen Einkünfte der (arbeitsfähigen) Massen hält sich jedoch die Gewerkschaft für zuständig. Mögen viele linke Gewerkschaftsfunktionäre den Wohnungskämpfen mit Sympathie gegenüberstehen, das Grundeinkommen dringt sozusagen in ihr Revier ein. Für Einkünfte der Massen seien sie und sonst niemand zuständig.

File:Grundeinkommen statt Existenzangst BGE Berlin 2013.jpg

Basierend auf diese Kompetenzzuschreibung und der Vorstellung, im Zentrum der Klassenauseinandersetzung zu stehen – denn was sei schon elementarer als Löhne und Arbeitsbedingungen? – kann eine Perspektive erwachsen, die ich »Gewerkschaftssozialismus« nennen möchte. Versetzen wir uns nochmals in die Situation der Verhandlungen und der Konflikte mit den VertreterInnen des Kapitals. Da werden gute Löhne gefordert, da wird um Arbeitszeitverkürzung gestritten und es werden Sozialleistungen angemahnt; das Kapital verweigert, sabotiert, droht mit Abwanderung und Betriebsschließungen. Da muss doch der Wunsch entstehen, diese andere Kapitalseite gäbe es gar nicht mehr, das Kapital sei endlich entmachtet. Der Klassengegner könnte nicht mehr am Verhandlungstisch sitzen, da er enteignet und somit machtlos wäre. Das Eigentum an Produktionsmittel sei in der Hand des Staates, nun könnten all jene Forderungen, um die man seit Jahren oftmals vergeblich ringt, endlich verwirklicht werden. Endlich gute Löhne wirklich für alle, endliche verkürzte Arbeitszeit, endlich eine breite Palette von Sozialleistungen und statt Mitbestimmung in homöopathischen Dosen wirkliche Betriebsdemokratie. Die gewerkschaftlichen Forderungen werden zu einem umfassenden Gesellschaftsentwurf entgrenzt und mit Sozialismus identifiziert. Welche Funktion soll das Grundeinkommen in diesem »Gewerkschaftssozialismus« erfüllen? Wahrscheinlich wäre es zielführender mit alle jenen, die meinen, im Kapitalismus sei das Grundeinkommen eine Illusion und im Sozialismus überflüssig, nicht über das Grundeinkommen, sondern über ihr Sozialismusverständnis als gute Arbeitsgesellschaft für alle zu diskutieren.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

*********************************************************

Grafikquellen :

Oben      —      Es liegt kein Copyright auf den BGE-Motiven. Motive und Dateien stehen unter der CC-Lizenz. Sie dürfen beliebig kopiert und verbreitet werden.

****************************

Oben       —       Mehr als 2.000 Teilnehmer demonstrieren für ein Bedingungsloses Grundeinkommen auf der BGE-Demonstration am 14. September 2013 in Berlin

Basic Income Demonstration in Berlin

Author stanjourdan from Paris, France
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.
Checked copyright icon.svg This image, originally posted to Flickr, was reviewed on  by the administrator or reviewer File Upload Bot (Magnus Manske), who confirmed that it was available on Flickr under the stated license on that date.

 

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Regierung, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Und es gab ihn doch –

Erstellt von Redaktion am 25. Juli 2021

den politischen Streik in der BRD –
„Zeitungsstreik“ der IG Druck und Papier im Mai 1952

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Gewerkschaftsforum Dortmund

Der DGB hatte schon im Sommer 1951, angesichts der unnachgiebigen Haltung der Adenauerregierung gegenüber den Neuordnungsforderungen der Gewerkschaften die Mitarbeit in den wirtschaftspolitischen Gremien der BRD eingestellt, sich konfliktbereit gezeigt und drohte der Bundesregierung, seine Mitglieder zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen aufzurufen.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand die Ausdehnung der paritätischen Mitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft, was vehement von den Unternehmerverbänden und den Regierungsparteien, der CDU/CSU und der extrem kapitalorientierten FDP verweigert wurde.

Doch nach der Demonstration gewerkschaftlicher Kampfbereitschaft und -fähigkeit in den Auseinandersetzungen um die Montanmitbestimmung war es für die Gewerkschaft klar, dass es nur durch harte und offene Konflikte zwischen der Arbeiterbewegung und der reaktionären teils offen faschistischen Kräften eine Restauration der Machtverhältnisse zu verhindern war.

Gegen den Protest der Gewerkschaften, der SPD und der KPD wurde im Juli 1952 der Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes durch den Bundestag gepeitscht.

Für die Gewerkschaften bedeutete das einen schweren Rückschlag für die gewerkschaftliche Neuordnungspolitik. Für sie war das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) kein Ersatz für ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch und sie sahen mit dem parlamentarischen Vorstoß die Gefahr der Trennung von Gewerkschaften und Betriebsräten, die ja auch bis heute in der Spaltung von innerbetrieblichen Organen und den Gewerkschaften außerhalb der Betriebe sichtbar ist.

Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes

Der Anlass des Streiks von 1952 war der Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes, das das Kontrollratsgesetz Nr. 22 ablösen sollte. Die Gewerkschaften stützten sich in ihren Forderungen vor allem auf das Betriebsrätegesetz von 1920 sowie auf fortschrittliche Regelungen, die in Länderverfassungen bzw. in Landesgesetzen bereits erreicht waren. Im Mittelpunkt stand dabei die Ausdehnung der paritätischen Mitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft.

Neben der Verweigerung der paritätischen Mitbestimmung in den Aufsichtsräten stießen besonders die folgenden Bestimmungen auf die Kritik der Gewerkschaften:

  • Das Gesetz beschränkte sich auf die gewerbliche Wirtschaft und klammerte im Gegensatz zum Kontrollratsgesetz (KRG) Nr. 22 sowie den Betriebsrätegesetzen der Länder den öffentlichen Dienst aus.
  • Das Gesetz trennte Betriebsräte und Gewerkschaften; letztere konnten nicht einmal einen eigenen Wahlvorschlag einreichen, ihr Zutrittsrecht zum Betrieb blieb zweifelhaft.
  • Das Gesetz stellte die gesamte Betriebsratstätigkeit unter das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber. Nach §49 Abs. 1 hatten beide dem „Wohl des Betriebs und seiner Arbeitnehmer zu dienen und das Gemeinwohl zu berücksichtigen“. Über das Betriebsrätegesetz 1920 hinaus war dem Betriebsrat nicht nur jede Förderung von Arbeitskämpfen untersagt; er musste vielmehr alles unterlassen, „was geeignet“ war, „die Arbeit und den Frieden des Betriebes zu gefährden“ und sich jeder politischen Betätigung enthalten.
  • Die Mitbestimmungsrechte gingen zwar über den ursprünglichen Regierungsentwurf hinaus, doch beschränkten sie sich praktisch auf die in §56 aufgeführten sozialen Angelegenheiten.
  • Viele Gewerkschafter sahen auch deshalb kritisch auf die Institution Betriebsräte, weil sie die Versuche der Adenauerregierung zur rechtlichen Instrumentalisierung und damit der Entpolitisierung der Gewerkschaften erkannten. Für sie war das Betriebsverfassungsgesetz kein Ersatz für ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch, das es bis heute noch nicht gibt. Auch sahen sie mit dem parlamentarischen Vorstoß die Gefahr der Trennung von Gewerkschaften und Betriebsräten, die ja auch bis heute in der Spaltung von betrieblichen Organen und den Gewerkschaften außerhalb der Betriebe sichtbar ist.

Streiks 1952

Als sich dann im Frühjahr 1952 eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes abzeichnete, teilte der DGB-Vorsitzende dem Bundeskanzler mit, dass der DGB seine Mitglieder zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen aufrufen wird.

Die Gewerkschaften wollten mit den Streiks demonstrieren, dass sie auch Möglichkeiten haben, um Verhandlungen zu erzwingen.

Der Aktionsaufruf mobilisierte rund 350.000 Beschäftigte in allen Teilen der BRD, es fanden Protestkundgebungen, Demonstrationen und Warnstreiks statt. Ein wichtiger Höhepunkt war die Arbeitsniederlegung in allen Zeitungsbetrieben Ende Mai 1952 der IG Druck und Papier.

Das war nicht nur Wasser auf die antigewerkschaftlichen Mühlen, man drohte gar, die Gewerkschaftsführer strafrechtlich zu verfolgen.

Diese Vorgehensweise gehörte aber auch zum Ziel von Bundeskanzler Adenauer, die Gewerkschaften taktisch auszumanövrieren, indem er versuchte, Zeit zu gewinnen und einen Abbruch der gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen zu erreichen. Die DGB-Führung spielte ihm dabei in die Hände, als sie Anfang Juni – im Hinblick auf die bevorstehenden Verhandlungen – die Einstellung aller außerparlamentarischen Aktionen beschloss.

Nach dem politischen Zeitungsstreik vom Mai 1952 reichten die Arbeitgeber sofort Schadensersatzklagen gegen die Gewerkschaften ein. Dabei ging es ihnen gar nicht so sehr um den Schadensersatz, sondern bei den Urteilen stand die Frage nach den Grenzen des Streikrechts, also auch die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des in Art. 9 (3) des Grundgesetzes garantierten Koalitionsrechts, im Vordergrund.

Zwei Monate später äußerten die Unternehmer für das BetrVG ihre begeisterte Zustimmung. Das war klar, denn für die Beurteilung dieses Gesetztes durch die Arbeitgeber war das Wichtigste die Tatsache, dass ihnen die Grundelemente der unternehmerischen Wirtschaft erhalten geblieben sind: Die Entscheidungsfreiheit des Unternehmers über die wirtschaftliche Führung seines Betriebes und die Freiheit unternehmerischer Initiative wurde ihnen doch nur „amtlich“ zugesprochen.

Arbeitsgerichte machen Politik

Nachdem mehrere Landesarbeitsgerichte den Ausstand der IG Druck und Papier für „ungesetzlich und sittenwidrig“ erklärt hatten, befasste sich schließlich das Bundesarbeitsgericht mit dem Fall.

Die Arbeitsgerichte übernahmen damals die Auffassung der konservativen bzw. der als Nazi-Ideologen geltenden Rechtswissenschaftler, die den politischen Streik generell als „Gefährdung des Staates in der Autonomie seiner Willensbildung“ bezeichneten. Die das Streikrecht nur unter der Voraussetzung zugestehen wollten, dass der Arbeitskampf „sozial-adäquat“ sei. Konkret hieß das, dass der Streik als Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf die Regelung der „Arbeitsbedingungen“ durch „privatrechtlich-arbeitsrechtliche Vereinbarungen“ beschränkt sein musste.

Die Zitate stammen von Carl Nipperdey, dem späteren Vorsitzenden des Bundesarbeitsgerichts und früheren Nazi-Rechtsideologen.

Als Jurist an der „Akademie für Deutsches Recht“ im Nationalsozialismus verdiente er erste wissenschaftliche Sporen im Kampf gegen die Selbstorganisation der Arbeiter. 1937 veröffentlichte die Fachzeitschrift „Deutsches Arbeitsrecht“ einen Aufsatz von ihm unter dem Titel „Die Pflicht des Gefolgsmanns zur Arbeitsleistung“.

Nach dem deutschen Faschismus verfasste Carl Nipperdey ein Gutachten, das Streiks nur im Rahmen von Tarifforderungen für zulässig erklärte und schuf damit jenes deutsche Sonderrecht, das als Verbot von politischen Streiks bekannt ist.

Arbeitskämpfe als ultima ratio

Als Vorsitzender Richter des Bundesarbeitsgerichts schrieb Nipperdey dann 1958 die in dem Gutachten festgelegten Grundsätze gegen den von der IG Metall ausgerufenen Streik zum Kampf für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall fest. Er erklärte den Streik für ungesetzlich und verurteilte die Gewerkschaft, Schadensersatz in Höhe von 38 Millionen Mark an die bestreikten Unternehmer zu zahlen.

Als Paket, zusammengesetzt aus der wirtschaftsfriedlichen Anbindung der Betriebsräte und ihrer Abtrennung von den Gewerkschaften durch das BetrVG, war es das Arbeitsrecht selbst, das den gewerkschaftliche Handlungsspielraum beträchtlich eingeschränkte. In einer der ersten Grundsatzentscheidungen des neuen BAG am 28.1.1955 mit der Vorsitzenden Nipperdey zum Streikrecht hieß es: „Arbeitskämpfe (Streik und Aussperrung) sind in bestimmten Grenzen erlaubt, sie sind in der freiheitlichen sozialen Grundordnung der Deutschen Bundesrepublik zugelassen. Unterbrechungen der betrieblichen Arbeitstätigkeit durch einen solchen Arbeitskampf sind sozialadäquat, da die beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit solchen Kampfweisen Störungen auf Veranlassung und unter Leitung der Sozialpartner von jeher rechnen müssen und die deutsche freiheitliche Rechtsordnung derartige Arbeitskämpfe als ultima ratio anerkennt“.

Im Jahr 1952 hatten die DGB-Gewerkschaften mit dem Zeitungsstreik keineswegs eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft im Sinn. Sie wollten lediglich demonstrieren, dass sie durchaus Druckmittel hatten, um ihren Platz als Sozial- und Mitbestimmungspartner durchzusetzen und damit Verhandlungen erzwingen zu können.

Entscheidend waren vielmehr die Rechtsgutachten im Anschluss an diesen Streik. Ihnen haben wir die Sonderstellung des „politischen Streiks“ in der Bundesrepublik zu verdanken.

Während in anderen europäischen Ländern das Streikrecht ohne Unterschiede besteht, gilt in Deutschland ein Streik, der nicht durch Tarifforderungen begründet wird, als unzulässig. Nicht aufgrund eines im Gesetzeswerk zusammengefassten Rechts, sondern aufgrund der Interpretation des Bundesarbeitsgerichts. Das war in der damaligen Zeit noch überwiegend besetzt mit „Rechtsgelehrten“, die sich ihre „Verdienste“ schon im deutschen Faschismus erworben hatten.

Europäische Sozialcharta (ESC)

Ein Hoffnungsschimmer gab und gibt es immer noch. Das Ministerkomitee des Europarats hatte bereits 1998 die BRD dafür gerügt, dass bei uns nichtgewerkschaftliche und politische Streiks rechtswidrig seien.

Dem folgte das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2002, als es erstmals die generalisierende Grundaussage, dass Streiks nur zu Durchführung tarifvertraglich regelbarer Ziele zulässig seien, relativierte.

Es brachte die Europäische Sozialcharta (ESC) ins Spiel, insbesondere den Artikel 6 Nr. 4 ESC: Das Recht auf Kollektivverhandlungen: „Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien…: 4. das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Fall von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen“.

Das ESC kennt kein gewerkschaftliches Streikmonopol und ebenso keine Beschränkung des Streiks auf tarifliche regelbare Ziele.

Die Einhegung des Streikrechts durch das Bundesarbeitsgericht war und ist interessengerichtet, historisch falsch und rechtlich nicht haltbar.

Quellen: schattenblick.de, W. Däubler, Spiegel, BAG, 
„der Arbeitgeber“7.1952, IG Medien, 
F. Deppe/G. Fülberth/J. Harrer/Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung
https://www.gewerkschaftsforum.de 

Urheberecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/

*********************************************************

Grafikquellen      :

Oben        —   Streik Gemälde von Mihály von Munkácsy, 1895

Abgelegt unter Gewerkschaften, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Die falsche Freiheit

Erstellt von Redaktion am 13. Juli 2021

Ausbeutung bei Lieferdiensten

2019 06 25 Carril bici al Jardí del Túria 05.jpg

Von Yannik Haan

Digitale Lieferdienste stehen für ein Arbeitsprinzip, das sich immer mehr ausbreitet. Die Auftragsvergabe durch Algorithmen macht die Menschen einsam.

Dieser Text muss mit einem Eingeständnis beginnen: Die Missstände, die ich beklage, wurden auch durch mich herbeigeführt. Ich war bislang nicht Teil der Lösung, sondern eher des Problems: Lieferdienste für Essen oder Lebensmittellieferungen innerhalb von zehn Minuten – Apps, die mir diese Dienste ermöglichen, sind auch auf meinem Handy installiert. Wenn ich Sonntagabend auf dem Sofa liege und zu faul zum Kochen bin, bestelle ich schon mal Essen. Statt noch mal zum Supermarkt zu gehen, lasse ich mir die Lebensmittel liefern.

Damit bin ich in meiner Generation nicht allein. Wir sind es gewöhnt, eine Vielzahl an digitalen Dienstleistungen rund um die Uhr zur Verfügung zu haben. Nur die wenigsten fragen sich dabei, was das eigentlich mit unserer Gesellschaft macht.

In letzter Zeit wurde oft über die schlechten Arbeitsbedingungen der Ku­rier­fah­re­r*in­nen diskutiert. Beim Lebensmittellieferdienst Gorillas streiken die Fah­re­r*in­nen mittlerweile fast täglich. Der Versuch der Gründung eines Betriebsrats wurde von der Geschäftsführung torpediert. Ein Schema, das man bereits von anderen digitalen Unternehmen kennt: Ar­beit­neh­me­r*in­nen­rech­te werden dort möglichst schnell und effektiv bekämpft.

Doch hinter diesen Konflikten steckt mehr als nur der klassische Arbeitskampf: Es geht um ein neues Prinzip des Wirtschaftens. Die schlechte Behandlung der Ar­beit­neh­me­r*in­nen ist nicht der singuläre Ausfall einer Geschäftsführung. Es ist ein neues digitales Arbeitssystem, das hier installiert wird und das sich auf immer neue Bereiche der Wirtschaft ausdehnen wird, wenn wir nicht schnell reagieren.

Bewusst herbeigeführte Einsamkeit

Nun ist die Ausbeutung der Ar­beit­neh­me­r*in­nen kein neues Phänomen. Sie ist so alt wie der Kapitalismus selbst. Heute haben sich allerdings einige Grundpfeiler verschoben. Im digitalen Kapitalismus sind der Markt und das Unternehmen oft identisch. Nehmen wir etwa Amazon: Hier werden die Kun­d*in­nen systematisch an proprietäre Märkte gebunden. Während es im Fordismus um die effiziente Nutzung von Arbeitskraft ging, geht es in der digitalen Wirtschaft darum, selbst der Markt zu sein.

Galeria Mokotow ext 2020-06-10.jpg

Das erklärt auch die unfassbaren Summen, die diesen jungen Unternehmen zur Verfügung stehen. Gorillas wurde zuletzt mit über einer Milliarde Euro bewertet. Entsteht ein neuer Markt, wird dort viel Geld hinein gepumpt, damit das Unternehmen sehr schnell selbst zum Markt wird. Aggressivität lässt dabei den Shareholder Value steigen. Frei nach dem früheren Facebook- Motto: „Beweg dich schnell und mach Sachen kaputt“.

Doch im Digitalen haben sich auch die Arbeitsbedingungen verändert. Die Lieferdienste bieten erstmals vollständig per Algorithmus gesteuerte Jobs an. Die Fah­re­r*in­nen melden sich in der App an, der Algorithmus erteilt die Aufträge – die Entmenschlichung der Arbeitswelt. Während auf den Werbeprospekten mit Worten wie „Team“ und „Community“ geworben wird, bieten diese Unternehmen vor allem eins: Einsamkeit.

Eine Einsamkeit, die sehr bewusst herbeigeführt wird. Alles, was Gemeinsamkeit schafft, alles, wo Menschen zusammenkommen, erzeugt Reibung. Und Reibung ist Sand im Getriebe der digitalen Lieferdienste. Konzerne versuchen so, eine in Gänze singularisierte Arbeitsumgebung zu schaffen. Ein Mitspracherecht gibt es in diesem System nicht mehr – mit Algorithmen lässt sich auch schwer diskutieren. Nichts stört die Effektivität und den Gewinn des Unternehmens.

Soziale Marktwirtschaft geht anders

Die Steuerung von Ar­beit­neh­me­r:in­nen per Algorithmus ist ein Prinzip, das sich immer tiefer in unsere Arbeitswelt einschleicht; die Lieferdienste sind nur die Speerspitze dieser neuen Bewegung. Viele Bank­be­ra­te­r*in­nen füttern den Algorithmus nur noch mit Daten. Selbst die Polizei wird in einigen Ländern mittlerweile vom Algorithmus gesteuert, indem dieser sagt, wo in der Stadt es sich lohnt, hinzufahren.

Quelle           :        TAZ -online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —    Carril bici al Jardí del Túria

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, International, Regierung | Keine Kommentare »

LINKE unter Druck :

Erstellt von Redaktion am 30. Juni 2021

Linker Flügel vor Herausforderungen

Afghanistan-Demonstration.jpg

Gegen Krieg und Militär

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Sebastian Rave, Parteitagsdelegierter aus Bremen, www.sozialismus.info

DIE LINKE ist die einzige Partei, die sich mit den Reichen anlegen will. Das hat sie auf dem Programmparteitag bestätigt, wo ein Programm mit sozialistischem Anspruch beschlossen wurde: „System Change“ gegen den Klimawandel, Besteuerung von Reichtum, höhere Löhne und bessere Sozialleistungen. Aber es ist nicht alles Gold was glänzt. Der Streit mit Wagenknecht und Lafontaine stellt DIE LINKE weiterhin vor Probleme. Diese hatten die Partei teils heftig kritisiert – aber leider nicht von links. DieserKonflikt ist nicht vorbei, und könnte nach der Bundestagswahl noch böse enden, wenn die „Linkskonservativen“ beschließen sollten, ihren eigenen Laden aufzumachen. Eine noch bedeutendere Auseinandersetzung darf angesichts dessen aber nicht nicht in den Hintergrund treten: Die um den Charakter der Partei als Oppositionspartei zum System.

Die neue Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow wirkte ein wenig hilflos, als sie den Genoss*innen, die sich angesichts schlechter Umfragewerte und Streitereien in der Partei „Sorgen machen“ zurief, sie sollten „mit dem Herzen sehen“. Ein eingebildetes „progressives Lager“ aus SPD, Grünen und der LINKEN sah sie „unter Beschuss“ und warnte vor Sozialabbau unter der CDU (beinahe so, als hätte es unter Rot-Grün noch nie Angriffe auf den Sozialstaat gegeben). Simon Aulepp, Delegierter aus Kassel und Mitglied der SAV, gab in der Generaldebatte die richtige Antwort: „DIE LINKE braucht keine warme Politik der Herzen, sondern eine Politik der geballten Faust!“. Lukas Eitel aus Erlangen ergänzte, dass das Programm der LINKEN nicht mit SPD und Grünen, und auch nicht mit dem Kapitalismus zu vereinbaren wäre.

Linkes Wahlprogramm teilweise entschärft

Der Programmentwurf wurde mit über 1000 Änderungsanträgen teilweise nach links verschoben, viele gute Anträge, die der Parteivorstand nicht übernommen hatte, kamen aber bei den Delegierten nicht durch. Nicht durchsetzen konnten sich Kritiker*innen des neuen Steuerprogramms von Axel Troost und Fabio De Masi, das eine Rechtsverschiebung bedeutet: Statt einer Vermögenssteuer von 5% auf Vermögen ab einer Million möchte DIE LINKE in Zukunft nur noch 1% Vermögenssteuer bis 50 Millionen Vermögen, erst ab da sollen die Superreichen 5% zahlen. Weniger Aufmerksamkeit verdient, aber mehr bekommen, hatte der Antrag nach der Abschaffung der Schaumweinsteuer, die 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt wurde. Gemeinsam mit dem angenommenen Antrag für einen Urlaubsanspruch von 36 Tagen ein gefundenes Fressen für die Bildzeitung und die Kritiker*innen der „Lifestyle-Linken“, tatsächlich wird aber in der Arbeiter*innenklasse niemand etwas gegen billigeren Sekt und mehr Urlaub einwenden.

Sehr viele der guten Änderungsanträge wurden blockweise behandelt – bzw. meistens nicht behandelt und damit abgelehnt. Leider waren darunter auch Anträge, die deutlich gemacht hätten, dass die Klimakatastrophe nur mit einem „System Change“ in Richtung einer sozialistischen Ökonomie bekämpft werden kann. Ein Grund für die Nichtbehandlung vieler Anträge war (neben einem teilweise unerträglich parteiischen Präsidium) sicherlich Zeitmangel, ein anderer aber auch der Wille von Delegierten, vor der Wahl Geschlossenheit auszustrahlen. Dabei nützt die parteiinterne Ruhe vor allem denen, deren anpasslerischer Kurs zum „Abbau Ost“ geführt hat. Die für DIE LINKE bitter verlaufene Landtagswahl in Sachsen-Anhalt (-5 Prozentpunkte) ist ein schlechtes Omen für das, was da noch kommt. Im Osten gibt sich die Partei mehrheitlich als besonders staatstragend und hat jeden Nimbus der Protestpartei vollständig abgelegt.

Anpassungskurs stoppen

Dietmar Bartsch, der wie kaum jemand anders für diesen Kurs steht, hatte in seiner Abschlussrede dann auch dazu aufgerufen, interne Auseinandersetzungen sein zu lassen: „Wir brauchen jetzt Disziplin und Geschlossenheit!“ Die Mahnung schien an Wagenknecht adressiert zu sein, die mit ihren Angriffen auf die Partei den Unmut vieler Mitglieder auf sich gezogen hatte. Aber sie galt genauso jenen, die seit Jahren davor warnen, dass die Orientierung auf die Regierungsbank in die Bedeutungslosigkeit führt. Die Wagenknechtanhänger*innen auf dem Parteitag größtenteils unsichtbar waren und den Kampf um die Partei scheinbar schon aufgegeben haben, kämpften vor allem Mitglieder der Antikapitalistischen Linken (AKL) um einen anderen Kurs – größtenteils vergeblich. Wagenknecht, Lafontaine und ihrer linkskonservativen Anhängerschaft ist es zuzutrauen, nach der Bundestagswahl aus der Partei auszutreten und mit den mitgenommenen Mandaten ein eigenes politisches Projekt zu gründen, was mangels einer Basis zwar eine Totgeburt wäre, dem Projekt DIE LINKE aber massiv schaden würde. Die Parteilinke darf angesichts dessen aber nicht in Schreckstarre verfallen.

Die Diskussion um den Charakter der Partei wird weitergehen. Vielen Mitgliedern wird es einleuchten, dass die großen klärenden Auseinandersetzungen zu einem anderen Zeitpunkt als im Wahlkampf geführt werden müssen. Die Frage ist aber auch, mit welchen Inhalten der Wahlkampf geführt wird. Es bleibt zu befürchten, dass das Spitzenpersonal mit der ständigen (und nirgends demokratisch beschlossenen) Anbiederei an SPD und Grüne das beschlossene Programm in den Hintergrund und im Endeffekt jedes Alleinstellungsmerkmal der LINKEN infrage stellt. Der Hauptgegner der LINKEN ist eben nicht nur die CDU, wie Bartsch es ständig wiederholt, sobald ein Mikrofon in der Nähe seines Gesichts auftaucht. Der Hauptgegner sind alle Parteien, die in der Regierung Sozialabbau betreiben, Militarismus vorantreiben, und den Kapitalismus verteidigen.

Gegen Schmarotzer der Arbeiter

Parteilinke gefragt

Der linke Flügel in der LINKEN muss einen Klärungsprozess beginnen. Natürlich braucht es klare Kante gegen die linkskonservativen Irrungen von Wagenknecht und ihren Anhänger*innen, aber ebenso braucht es klare Kante gegen die Rechtsreformist*innen, denen die Regierungsbeteiligung alles ist, das Programm aber nichts. Teile der Bewegungslinken (BL), der mittlerweile stärksten Strömung der Partei, wollen einen Kampf darum führen, die Partei mehr in den Bewegungen statt nur auf den Regierungsbänken zu verankern. Andere in der BL leisten der Bewegungsorientierung der Partei aber einen Bärendienst. Ausgerechnet einer der prominentesten Vertreter der BL, Ate? Gürp?nar, stellvertretender Parteivorsitzender, hielt die Gegenrede zu zwei wichtigen Anträgen der AKL: In der Präambel für die Herstellung eines Bezugs zum Volksbegehren zur Enteignung von Mietkonzernen und dessen Verbindung mit der Forderung, die Schlüsselindustrien und Betriebe zur Daseinsvorsorge zu verstaatlichen, und im Schlusskapitel für einen Absatz, der festgestellt hätte, dass Opposition eine wichtige Aufgabe der LINKEN ist und kein „Mist“. Den Delegierten der Bewegungslinken wurde mit den Gegenreden klar signalisiert, dass sie auf Kurs der Parteivorstandsmehrheit bleiben sollen. Ein Kurs, der auf die Regierungsbeteiligung zusteuert – und damit das Ende der wichtigsten Oppositionspartei als solche einläuten würde. Es ist noch nicht zu spät, das Ruder herumzureißen. Die Parteilinke gemeinsam mit vielen neuen, jungen und bewegungsorientierten Mitgliedern hätte dazu die Macht.

https://www.sozialismus.info/2021/06/linke-unter-druck-innerparteiliche-opposition-vor-herausforderungen/?fbclid=IwAR0yt1P7UguxrKBw5YfdgF2SzT8YdOIDXqwtGRs8lZ4Cs-y-S1IZT_-MO_8

Urheberecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/

*********************************************************

Grafikquellen      :

Oben        —     Paul Schäfer</a> (r) mit Willi van Ooyen (l) auf der Demonstration gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan, Berlin, 15. 9. 2007

Abgelegt unter Bremen, Gewerkschaften, P. DIE LINKE, Regierungs - Werte | Keine Kommentare »

Eine Werft nach Corona

Erstellt von Redaktion am 15. Juni 2021

Mehr Arbeit und weniger Jobs bei der Meyer Werft

Luftaufnahmen -Meyer Werft, Papenburg- 2013 by-RaBoe 071.jpg

Von Harff-Peter Schönherr

Deutschlands größter Schiffbauer war einst eine Macht im Emsland. Doch dann kam Corona, Entlassungen drohen. Das spezielle Agieren der Chefs sorgt nun richtig für Ärger.

Auf Nico Bloem lastet viel Druck dieser Tage. „Was hier abgeht, ist verrückt“, sagt der Betriebsratsvorsitzende der Papenburger Meyer Werft. „Die Geschäftsleitung bricht alle Regeln.“ Bloem ist Emsländer, SPD-Mitglied, IG-Metaller, gerade 26 Jahre alt – und schon im Zentrum eines brutalen Arbeitskampfs bei Deutschlands größtem Schiffsbaubetrieb. Am Montag vergangener Woche redete er vor 1.800 empörten Mitarbeitern auf einem Parkplatz, an seiner Seite Thomas Gelder, Geschäftsführer der IG Metall Leer-Papenburg. „Das war überwältigend!“, sagt Bloem. „Die Belegschaft hat sich sehr klar hinter uns gestellt.“

Zuvor hatte die Geschäftsleitung die Stammbelegschaft in einer Online-Umfrage vor die Wahl gestellt, ob in Papenburg mehr als 1.000 Arbeitsplätze wegfallen sollen oder nur 660. 1.446 Mitarbeiter entschieden sich für 660, nahmen aber dafür in Kauf, dass die Verbleibenden pro Jahr 200 unbezahlte Überstunden leisten, weit über fünf Wochen Arbeit.

Das Votum spiegele „mehrheitlich den Willen der Belegschaft“ wider, sagt nun Geschäftsführer Jan Meyer: Mit 1.557 Mitarbeitern hatte allerdings weit weniger als die Hälfte der Stammbeschäftigten an der Befragung teilgenommen. „Außerdem war das Ganze rechtswidrig“, sagt Bloem. „Das Betriebsverfassungsgesetz sieht vor, dass der Betriebsrat bei so was mitbestimmt, aber wir wurden nicht informiert.“

Er sieht bei der Geschäftsleitung „mittelalterliches Denken“. Auf der Versammlung am Montag habe sie die Leute zudem einzuschüchtern versucht: „Aus dem Werk stieg eine Drohne auf, beobachtete das Geschehen. Und die Security hat Kollegen fotografiert, teils einzeln.“

Das Grundproblem sei die hohe Zahl der Werkverträge. „Nur 40 Prozent der Meyer-Belegschaft gehört zur Stammbesatzung, 60 Prozent hat Werkverträge“, sagt Bloem. „Einiges davon ist auch völlig in Ordnung, das sind outgesourcte Spezialaufgaben. Aber der Rest führt dazu, dass nach und nach die Stammbelegschaft ersetzt wird.“ Durch billigere Kräfte aus Kroatien, Polen, Russland oder Rumänien.

Norwegian Getaway 18.JPG

Die Meyer Werft im Emsland setzt derzeit rund 1,6 Milliarden Euro jährlich um. Sie ist Teil der luxemburgischen Meyer-Neptun-Gruppe und bekannt für ihre Kreuzfahrtschiffe. Dutzende hat Meyer seit Mitte der 1980er gebaut. Einige sind 350 Meter lang und 20 Decks hoch, schwimmende Kleinstädte für mehr als 6.500 Passagiere. Baudock II der Werft ist gut einen halben Kilometer lang, 125 Meter breit und 75 Meter hoch.

Lange boomte das Geschäft, Meyer fuhr Gewinne ein. Hunderttausende Schaulustige kamen, wenn die Riesenpötte aus dem Binnenland in die Nordsee überführt wurden – dabei hatten Vertiefung und Aufstauung der Ems, ohne die das nicht geht, fatale ökologische Folgen. Die Politik vor Ort tat wenig dagegen, schließlich ist die Meyer Werft eine echte Macht im Emsland. Doch dann kam die Coronapandemie. Kreuzfahrschiffe ankerten weltweit im Hafen, Meyer geriet ins Wanken. 40 Prozent Arbeitskapazität sollen deshalb abgebaut, 1,2 Milliarden Euro eingespart werden, bis 2025. Jetzt ist von Entlassungen die Rede, die Verhandlungen stocken.

Quelle       :          TAZ        >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —  Luftbilder von der Nordseeküste 2013-05

Abgelegt unter Gewerkschaften, Niedersachsen, Positionen, Überregional, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Legal, Illegal, Scheißegal

Erstellt von Redaktion am 3. Juni 2021

Die Arbeitsweise des BND und ihre Opfer

Kein Staat kann mehr sein, als das – was unfähige Politiker – Innen aus ihn machten!

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Gewerkschaftsforum Deutschland

Der am 01. April 1956 gegründete Bundesnachrichtendienst (BND) ist die einzige dem Bundeskanzleramt unmittelbar nachgeordnete Bundesoberbehörde. Neben dem sogenannten Bundesamt für Verfassungsschutz, der als Nachrichtendienst im Inland fungiert, und dem Militärischen Abschirmdienst, der Teil des Bundesverteidigungsministeriums ist, bildet der BND den dritten Pfeiler der Nachrichtendienste des Bundes. Aufgabe ist die nachrichtendienstliche zivile und militärische Informationsgewinnung (Überwachung durch Agenten, Telekommunikation o.ä.) im Ausland und deren Analyse. Diese offensichtlich schon im Kern unmoralische Arbeit ist zu großen Teilen gegenüber einem demokratischen und rechtsstaatlichen Interesse an Öffentlichkeit immunisiert. Denn laut Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gehört der Einsatz von Nachrichtendiensten zu den legitimen Mitteln einer wehrhaften Demokratie, welche die Bundesrepublik Deutschland zu sein beansprucht.[1] Diese zu gewährleisten hat regelmäßig eine höhere Priorität als Transparenz und demokratische Entscheidungsprozesse, weshalb sich der BND nur selten für sein Handeln und seine zumindest in Teilen rechtswidrigen Methoden und Operationen verantworten muss.

Die fast vollständige Immunisierung des BND

Erst durch den von Edward Snowden angestoßenen NSA-Skandal, der die Massenüberwachung der Geheimdienste offenlegte, war es nicht mehr haltbar, die Arbeitsweise des BND ohne Konsequenzen weiterzuführen. Ergebnis war ein Gesetz, das Andre Meister von netzpolitik.org mit dem Satz kommentierte: „Alles, was durch Snowden und Untersuchungsausschuss als illegal enttarnt wurde, wird jetzt einfach als legal erklärt.[2] So war er auch wenig überrascht, dass ebenjenes Gesetz nach einer Klage von Reporter ohne Grenzen im Mai 2020 für verfassungswidrig erklärt wurde.[3] Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt es zur Entscheidung, „dass die Überwachung der Telekommunikation […] durch den Bundesnachrichtendienst an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden ist und nach der derzeitigen Ausgestaltung der Ermächtigungsgrundlagen gegen das grundrechtliche Telekommunikationsgeheimnis (Art.10 Abs.1 GG) und die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) verstößt.[4] Bis Ende 2021 muss nun eine Gesetzesreform vorliegen. Doch macht das gesamte Unterfangen klar, wie immun der BND für die Verfassung und verabschiedete Gesetze ist.

Bei der Aufklärung des Oktoberfestattentats, dem schwersten Terroranschlag der BRD im Jahr 1980 mit 13 Toten und rund 200 Verletzten, kann sich der BND weiterhin raus halten. Nachdem sich die Einzeltätertheorie nicht halten konnte, nahm die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe nach 34 Jahren die Ermittlungen zu den Hintergründen des Attentats wieder auf und recherchierte auch zu Verbindungen der rechten Wehrsportgruppe Hoffmann, deren Mitglied der Attentäter gewesen war und die nach dem Attentat den Anschlag für sich reklamiert hatte.

Hans-Georg Maaßen 02.jpg

Heinz Lembke, der in Verdacht steht, als V-Mann Sprengstoff an diese rechtsmilitante Gruppe weitergeben zu haben, wurde erhängt in seiner Zelle gefunden, hatte zu Beginn seiner Haft jedoch erklärt, eine Aussage machen zu wollen.[5] Nach einer Klage der Fraktionen “Die Linke” und “Die Grünen” vor dem Bundesverfassungsgericht, müssen nun jedoch auch Akten über ihn herausgegeben werden. Im Zuge dessen muss auch angegeben werden, wie viele Spitzel in der rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann mitgewirkt hatten. Jedoch: Die Anfrage zu Spitzeln in der Dependance im Libanon darf vom BND unbeantwortet bleiben. Denn da es dort nur 15 Mitglieder gegeben hatte, sei die Gefahr einer Enttarnung zu hoch, so das Bundesverfassungsgericht.[6] Einer vollständigen Transparenz der Verstrickungen des Attentats wurde damit eine Absage erteilt.

Operation Rubikon

Die Liste an Vorfällen, bei denen der BND sich über alle Gesetze gestellt hat, ist lang und hat System (es lohnt sich, hier einen Blick auf den Wikipedia-Eintrag der Geheimdienst-Affären in Deutschland zu werfen, der zeigt, dass bei „Skandalen“ die Einzelfalllogik schon längst nicht mehr greift).[7]

Eine vom ZDF Anfang 2020 veröffentliche Dokumentation, die in gemeinsamer Recherche mit der New York Times und dem Schweizer Rundfunk entstand, beschäftigt sich beispielsweise mit der Operation Rubikon. Dabei handelt es sich um eine Operation, die in Kooperation mit der CIA stattfand. Kern der Operation war es, Verschlüsselungssysteme der Schweizer Firma Crypto AG so zu verändern, dass Informationen von BND und CIA entschlüsselt und mitgelesen werden konnten. Kunden der Crypto AG waren in Afrika, Asien, Südamerika, aber auch Europa ansässig (Italien, Irland, Türkei). Dadurch waren CIA und BND in der Lage, zahlreiche politische Umstürze und Machenschaften zu überwachen und für sich zu nutzen.

Bekanntes Beispiel ist beispielsweise die Unterstützung der CIA bei dem Militärputsch in Chile. Hier nutzte die CIA Informationen, um den Diktator Pinochets bei der Machtübernahme gegen den demokratisch gewählten Salvador Allende zu unterstützen. Ebenso bekannt war den Geheimdiensten die Politik in Argentinien: sie hatten genaue Kenntnisse über die dort stattfindenden Folterungen und Todesflüge und betrachteten sie als „ganz normale“ Meldung.[8] Und dem nicht genug reiste der BND im Zuge der Schleyer-Entführung 1977 mit dem französischen und britischen Geheimdienst nach Argentinien. Ziel der Reise war es “Methoden zu diskutieren, wie man eine Organisation zur Bekämpfung des Untergrundes aufbauen könnte, ähnlich der Condor-Organisation” – so der Wortlaut eines Dokuments des CIA-Direktorats für Operationen vom 7. April 1978.[9] Diese Operation Condor war von den Geheimdiensten der Länder Argentinien, Chile, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Brasilien – mit Unterstützung der Vereinigten Staaten ins Leben gerufen wurden und laut einem internen Dokument “ein Schlüsselwort für das Sammeln und Austauschen von Informationen über so genannte Linke, Kommunisten oder Marxisten”. Neben linken Oppositionellen und Priestern zählten dazu für die Militärregierungen auch Menschenrechtsorganisationen. Offiziell sind “nur” einige hundert Personen Opfer dieser Operation gewesen, nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen gab es etwa 50.000 Ermordete, 35.0000 Verschwundene und 400.000 Gefangene.[10]Die Ermordungen, Folterungen und andere Menschenrechtsverletzungen sind für Geheimdienste also legitim und der deutsche Staat bezahlte den BND sogar um sich mit den Akteuren solcher perverser Aktionen über den Umgang mit Oppositionellen auszutauschen.

Weiterhin waren die Abhöranlagen natürlich immer wieder nützlich, um geostrategisch die eigene Macht auszubauen. So nutzte der damalige US-amerikanische Präsident Carter 1978  Informationen für Gespräche zwischen Israel und Ägypten in Camp David, 1979 verhandelte er während der iranischen Revolutionen mit acht verschiedenen Gruppen, ebenfalls mithilfe der Abhöranlagen.

Als Argentinien 1982 die Falklandinseln besetzte, konnte der BND, der an der Nordsee, unter dem Tarnministerium „Bundesamt für Fernmeldetechnik“ Abhörstationen angebracht hatte, die Kommunikation des argentinischen Militärs abfangen, mithilfe der manipulierten Geräte entschlüsseln und an Großbritannien weitergeben.

Auch die deutsche Wirtschaft war tief in diese systematische Täuschungsoffensive verstrickt. So war es die Siemens-AG in München, die für den Bau der Telekommunikationssysteme, die von der Crypto-AG verschlüsselt wurden, verantwortlich war. Siemens war hierbei nicht nur über die Manipulation der Geräte informiert, viel eher kann man das Agieren des Konzerns als eine Art „verlängerter Arm“ des Geheimdiensts beschreiben. So stellte der Konzern beispielsweise Teile des Führungspersonals der Schweizer Firma und half dadurch mit, die Besitzverhältnisse der Crypto AG zu verschleiern.[11]

Der Umzug nach Berlin

Als Auslandsgeheimdienst mit enormen Abhörinstrumenten, denen es inhärent ist, dass ihre Lokalität unbekannt bleiben soll, überrascht es, dass der BND nun ganz offen das zweitgrößte Gebäude in Berlin für seine Arbeit nutzen will. Mit 260.000 m² (ca. viermal so groß wie das Bundeskanzleramt) ist die neue Zentrale des BND nicht zu übersehen, auch aufgrund des neuen Standorts am Rande des Regierungsviertels. Mit dem abschließend genehmigten Gesamtkostenrahmen von 1,086 Milliarden Euro war es das größte Bauprojekt des Bundes im Jahre 2018.[12] Einer fundierten Begründung für den Umzug oder die enormen Baukosten konnte sich der BND selbstverständlich entziehen. Die parlamentarische Arbeit von Oppositionsparteien hinsichtlich des Umzugs des BND von Pullach nach Berlin zeigt, wie intransparent der BND, auch bezüglich der Staatsausgaben, agieren kann. So heißt es in einer Kleinen Anfrage von Abgeordneten der Linksfraktion zu den Kosten des BND-Umzugs nach Berlin in der Vorbemerkung der Bundesregierung: „Die Beantwortung der Fragen 2, 4, 5, 6, 7, 9, 11, 15 und 16 kann aus Gründen des Staatswohls nicht in offener Form erfolgen. Aus ihrem Bekanntwerden könnten sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure Rückschlüsse auf Personalentwicklung, Modus Operandi sowie die Fähigkeiten und Methoden des Bundesnachrichtendienstes ziehen“ [Drucksache 19/5402 S.2], was überdies bei den Fragen 10 und 17 in gleicher Weise wiederholt wird. Im Gegensatz zum eigenen Narrativ, enthebt sich die Arbeit des BND also einer Kontrolle, die als demokratisch bezeichnet werden könnte.

Denn offiziell betont der BND nun, enttarnte Dienststellen wie das Amt für Militärkunde und die Bundesstelle für Fernmeldestatistik auflösen und seine größten Außenstellen nun öffentlich machen zu wollen.[13][14] Der ehemalige BND-Präsident Gerhard Schindler begründete das mit seinem Selbstverständnis des BND als „Dienstleister für die Politik und somit für die Bevölkerung“.[15]  Dass diese Propaganda wenig mit der Realität zu tun hat, zeigt nicht nur die Arbeitsweise und parlamentarische Nicht-Kontrolle des Nachrichtendienstes. Auch das neu gegründete Besucherzentrum ist nur für Besuchergruppen von Bundestagsabgeordneten zugänglich und somit alles andere als ein „BND zum Anfassen“.[16]

Verbindungen zur Bundeswehr

Amt für Militärkunde

Das Amt für Militärkunde (AMK) wurde 2014 als eine von mehreren inoffiziellen Behörden des BND enttarnt und sollte im Zuge dessen aufgelöst werden.[17] Über die Funktion des AMK berichtete der Spiegel 2013 in einer Reportage eines Ex-Agenten, der erzählt, dass er nach seiner Tätigkeit als Zeitsoldat mehrere Jahre für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet hat. Laut dem Bericht ist eine Versetzung vom Bund zum BND nicht unüblich und wurde entsprechend mit einem „Ich wechsle zum Amt für Militärkunde.“ angekündigt.[18] Auch in der Youtube-Werbeserie „Die Rekrutinnen“ äußert einer der Rekruten zu Beginn der Staffel, den Wunsch später für den BND zu arbeiten, nicht ohne den Halbsatz „aber darüber darf man ja nicht öffentlich reden“, hinterher zu schieben.

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Bundeswehr in Schulen Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Trotz der Ankündigung des BND, die Tarnbehörde „Amt für Militärkunde“ aufzulösen, ist sie noch immer in der Standortdatenbank des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Bonn (Dienststelle) und München (Kaserne) verzeichnet[19] und wird auch im Haushaltsgesetz des Deutschen Bundestages 2019 erwähnt. Dort wird das AMK als Teil der Streitkräftebasis ausgewiesen,[20] ist aber weder in der Stationierungsbroschüre der Bundeswehr 2011 noch in der Dienstellenliste auf der Homepage der Streitkräftebasis zu finden. Bisher scheint sie also als Knotenpunkt zwischen Bundeswehr und Nachrichtendienst weiter zu funktionieren. Dass dieser Knotenpunkt auch durchaus in internationalen Konflikten genutzt wird, zeigt sich immer wieder durch investigative Recherchen, die die Kooperation zwischen Geheimdienst und Militär zumindest partiell ans Licht bringen. Bekannt geworden sind hierbei vor allem die Zuarbeit an die US-Behörden im Irakkrieg und die Beteiligung am Luftschlag in Kundus 2009. Diesen Vorfällen folgte nach massivem öffentlichen Druck auch jeweils ein Untersuchungsausschuss.

Zuarbeit an die US-Behörden im Irak-Krieg 2006

Obgleich die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Fischer 2003 die Beteiligung am Irakkrieg abgelehnt hatte, war diese Ablehnung nur partiell, auch wenn sich das Bild der deutschen Enthaltung noch immer hält. So wurden z.B. Überflugrechte gewährt sowie die Aufklärung durch AWACS-Flüge und der Schutz der Nachschubbasen in Deutschland (siehe auch IMI-Analyse 2006/006). Schon 2005 wurde diese von Deutschland geleistete Unterstützung vom Bundesverwaltungsgericht als Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg bewertet.

Auch der Bundesnachrichtendienst war während des Irakkriegs involviert und für die Bombardierung von Häuserblocks und die Tötung von Zivilist*innen mitverantwortlich. So berichtete die FAZ im Januar 2006, dass zwei deutsche Agenten des BND während des Irakkrieges 2003 in Bagdad geblieben waren, um eventuelle Bombardierungsziele zu observieren.[21] Nachdem am 7. April 2003 vor einem Gebäude Luxusfahrzeuge als Beweis für die Anwesenheit von Saddam Hussein gewertet wurden, kam es zur Bombardierung. Zwei Häuserblocks wurden zerstört und mindestens zwölf Zivilist*innen getötet, während Hussein nicht getroffen wurde.[22] Während ein amerikanischer Informant über die Arbeit des BND sagte, diese sei „sehr wichtig für die Bombardierung an diesem Tag.“ gewesen, hieß es in der damaligen Mitteilung des BND, „den kriegsführenden Parteien [seien] keinerlei Zielunterlagen oder Koordinaten für Bombenziele zur Verfügung gestellt worden.“[23] Auch das NDR-Magazin „Panorama“ sowie die Süddeutsche Zeitung berichteten schon im Januar 2006, dass Mitarbeiter des BND im Jahr 2003 US-Streitkräfte mit Informationen für die Benennung von Objekten und das Verifizieren von Zielen für Bombardierungen versorgt hatten.

Nach einer Sondersitzung kam das Parlamentarische Kontrollgremium, welches die demokratische Kontrolle des BND sicherstellen soll, jedoch zu dem Schluss, dass hier keine Beteiligung stattgefunden habe[24] – eine Aussage, die durch den eingesetzten Untersuchungsausschusses schließlich widerlegt wurde und zurückgenommen werden musste.[25] Zumindest vom 14. Februar bis zum 2. Mai 2003 waren in Bagdad zwei Mitarbeiter des Sondereinsatzteams des BND stationiert, um die militärische und operative Aufklärung Bagdads zu verstärken. Obgleich es unwahrscheinlich ist, dass zwei Personen sämtliche Informationen sowie Stimmung und Lage der Bevölkerung Bagdads ohne weitere Mithilfe sammeln konnten, blieb die Bundesregierung im Untersuchungsausschuss bei der Aussage, es seien nach der offiziellen Evakuierung nur zwei Personen in Bagdad verblieben. Laut Hans-Christian Ströbele, damals Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, meldete der BND zwischen 28. März und 7. April 2003 elf potenzielle Ziele an US-Stellen. Diese Weitergabe wurde zwar von der Bundesregierung bestätigt, diese fand aber weiterhin Argumente, um sich vor einer Verantwortungsübernahme für die Bombardierungen in Bagdad, beispielsweise bei einem Restaurant im Stadtteil Mansur zu drücken. Während Regierung und BND zuerst behauptet hatten, die Agenten in Bagdad hätten insbesondere Informationen zum Kriegsverlauf beschafft und den Amerikanern nur so genannte non-targets, z.B. Krankenhäuser, übermittelt, gab der BND schließlich die Weitergabe von „vier Meldungen“ mit „Koordinaten zu sieben militärischen Teileinheiten beziehungsweise Objekten sowie zum Restaurant im Stadtteil Mansur“ zu, allerdings mit dem fragwürdigen Zusatz, dies sei erst nach der Bombardierung ebenjenes Restaurants geschehen. Weiter argumentierten der damalige Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sowie der BND-Sprecher Stefan Borchert, dass die Koordinaten militärisch nicht verwendbar gewesen wären, da der BND ein ziviles Navigationsgerät benutzt hätte, dessen Abweichungen von mindestens 50 Metern für Militärs zu ungenau seien.[26] Letztendlich waren im gesamten Meldeaufkommen jedoch nur 7% Nontargets genannt, ein Krankenhaus, eine Synagoge – deren Koordinaten jedoch erst nach dem Luftangriff ausfindig gemacht werden sollten, sowie fünf Botschaften. Offensichtlich ging es bei den Beobachtungen also vorrangig um die Weitergabe militärischer Bewegungen und Stützpunkte.

Dies ist jedoch wenig verwunderlich, waren die Vorgaben der Bundesregierung doch verhältnismäßig schwammig formuliert, um einen Bewertungsspielraum bezüglich der militärischen Nutzung zuzulassen. So sollte nur bei unmittelbarer Relevanz für taktische Luft- und Landkriegsführung der Koalitionsgruppen keine Weitergabe von Informationen stattfinden und Unterstützung eines offensiven strategischen Luftkriegs war untersagt. Ebenfalls spannend ist, dass diese Vorgaben erst im Nachhinein schriftlich niedergelegt wurden.[27]

Beteiligung des BND am Luftschlag in Kundus 2009

Am 16. Februar 2021 sprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland in einem Prozess um die Aufarbeitung des Nato-Luftangriffes im afghanischen Kundus im Jahr 2009 frei. Ankläger war ein Afghane, der bei dem Angriff zwei Söhne verlor und Deutschland Verstöße gegen die europäische Menschenrechtskonvention vorwarf. Bei dem Bombardement zweier Tanklaster im September 2009 kamen rund 100 afghanische Zivilist*innen, darunter zahlreiche Kinder, ums Leben.[28]

Als Reaktion auf die öffentliche Kritik des Bombardement korrigierte der damalige Verteidigungsminister Guttenberg seine Aussage dieses sei „militärisch angemessen“ zu „militärisch unangemessen“. Um weiteres verantwortliches Handeln vorzuspielen, wurde zudem Staatssekretär Dr. Peter Wichert entlassen und zwischen Guttenberg und dem Bundeswehrgeneralinspekteur Schneiderhan gab es eine gegenseitiges Zuschieben von Verantwortung, das Schneiderhan mit einem Rücktrittgesuch in den Ruhestand beendete.[29] [30] Die Entschädigungszahlungen an die Opfer fielen nichtsdestotrotz bitterlich gering aus. Auch diesbezüglich gab es vor dem Bundesgerichtshof eine Klage, deren Beschwerdeführer als Angehörige von getöteten Opfern Schmerzensgeld und Schadenersatz forderten. Mit dem Argument, das Völkerrecht sehe keine individuellen Entschädigungszahlungen vor, wurde jedoch auch diese Klage abgelehnt[31]

So blieb es für die 86 Familien, die bei dieser Bombardierung Todesfälle zu beklagen hatten, bei 5000 USD pro Familie, während die Bundeswehr in anderen Fällen 20.000 bis 33.000 US-Dollar pro Opfer gezahlt hatte.[32]

Der verantwortliche Oberst Klein schaffte es dagegen, zum General befördert zu werden. Und das trotz zahlreicher Nachweise, dass es sich bei dem Anschlag nicht um einen Unfall, sondern mindestens um nachlässiges Verhalten gehandelt hatte. So vermuteten die amerikanischen Bomberpiloten vor dem Luftangriff sofort, dass am Boden Zivilisten waren, und sprachen sich für Tiefflüge als Warnung aus, da sie keine Notlage sahen. Es war Oberst Klein, der hier ein Veto einlegte, von Feindberührung, („troops in contact“) sowie einer unmittelbaren Bedrohung („imminent threat“) sprach und von einer Rücksprache mit seinem Rechtsberater oder Vorgesetzten absah. Zwar wurden hier vereinzelt dienstrechtliche Konsequenzen gefordert, fanden jedoch keine Mehrheit. Zurück bleibt die Frage, wann dienstrechtliche Konsequenzen oder ähnliches Anwendung finden, wenn es selbst bei einem solchen unverantwortlichen Verhalten nicht zum Tragen kommt.

Ungeklärt bei der Aufarbeitung bleibt, wenig überraschend, leider auch die Beteiligung des BND an dem grausamen Luftschlag.

Denn aus dem Untersuchungsausschuss geht hervor, dass Vorbereitung und Durchführung des Luftschlags in den Räumlichkeiten der Task Force 47 (TF47) stattfanden. Diese war offiziell damit beauftragt, Informationen und Aktivitäten in Kundus zu sammeln und bestand aus rund 120 Bundeswehrsoldaten sowie einer nicht näher definierten Zahl an BND-Mitarbeitern.[33] Trotz der Verbindung wurde im Untersuchungsausschuss nachdrücklich darauf hingewiesen, es habe sich einzig und allein um einen Einsatz der PRT-Kunduz unter Leitung des damaligen Oberst Klein gehandelt. Schon allein aufgrund der räumlichen Überschneidung ist es jedoch nahezu unmöglich, dass die Mitarbeiter des BND nichts von dem geplanten Luftschlag wussten. Dies wird auch durch die Aussage des BND-Mitarbeiters A.R., der sich in der Nacht des Luftschlags in der TF47 aufhielt, deutlich: „Also, ich war da im Bereich, aber quasi im Nebenraum, wenn man das so beschreiben will.“[34]

Trotzdem wurde die Aussage, an der Operation sei nur die PRT-Kunduz beteiligt gewesen, im Untersuchungsausschuss von den Regierungsfraktionen als schlüssig interpretiert, denn letztlich hatten alle vernommenen Zeugen übereinstimmende Aussagen gemacht.

Zwar hatte eine erste Aussage des verantwortlichen Oberst Klein eine Beteiligung der Task Force 47 nahegelegt, diese wurde jedoch später von ihm widerrufen und Oppositionsfraktionen, die sich darauf bezogen, wurde vorgeworfen, die Aussage faktenwidrig zu missbrauchen.[35]

003 Protest gegen Acta in Munich.JPG

Dabei macht es auch die Nachrichtenlage schwer, eine direkte Beteiligung des BND  von der Hand zu weisen. Denn schon wenige Stunden nach dem Anschlag informierten Mitarbeiter des BND das Kanzleramt. Eine Mitplanung und Durchführung ist also überaus wahrscheinlich, insbesondere da der Anschlag nachts stattfand.

Fazit

Mit dem Argument, Gefahren für die innere und äußere Sicherheit abzuwehren, entzieht sich der BND der Möglichkeit einer demokratischen Einhegung weitgehend. Regelmäßig werden geltende Gesetze und Grundrechte der Bundesrepublik wissentlich ignoriert bzw. übertreten. Untersuchungsausschüsse und Klagen funktionieren als Instrument gegen die Rechtsbrüche des BND nur bedingt. Der Nachrichtendienst setzt alle Überwachungsmethoden ein, die ihm zur Verfügung stehen und entzieht sich dabei auch bei der Auswahl, Anwerbung und Führung von V-Leuten dem Parlament.[36] Die Problematiken die sich daraus ergeben liegen auf der Hand, werden aber trotz einer sichtbaren Anzahl grauenhafter Ereignisse innerhalb und außerhalb Deutschlands nicht angegangen.

Anmerkungen:

[1] BverfGE 143, 101ff, juris Rn. 126 ff, 128ff.

[2] netzpolitik.org : Das neue BND-Gesetz: Alles, was der BND macht, wird einfach legalisiert. Und sogar noch ausgeweitet, netzpolitik.org 16.06.2020

[3] Netzpolitik.org:  Das neue BND-Gesetz ist verfassungswidrig, netzpolitik.org 16.06.2020

[4] Bundesverfassungsgericht: Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach dem BND-Gesetz verstößt in derzeitiger Form gegen Grundrechte des Grundgesetzes, bundesverfassungsgericht.de 16.06.2020

[5] Süddeutsche: Verfassungsschutz muss Akten über das Oktoberfest-Attentat öffentlich machen sueddeutsche.de 05.03.2021

[6] Ebd

[7] Wikipedia: wikipedia.org 21.02.2021

[8] ZDF-Doku: Geheimdienstoperation Rubikon, der größte Coup des BND

[9] ZDF: BND wusste von Mordplänen südamerikanischer Regimes zdf.de 01.03.2021

[10] Tagesschau: Terror im Namen des Staates tagesschau.de 01.03.2021

[11] ZDF-Doku: Geheimdienstoperation Rubikon, der größte Coup des BND

[12] Berliner Woche: BND-Zentrale: 3200 Agenten arbeiten in der neuen Geheimdienstburg an der Chausseestraße berliner-woche.de 27.5.2020

[13] FAZ: Kämpfen gegen das Unsichtbare faz.net  27.5.2020

[14] Welt: Phantombehörden des BND werden aufgelöst welt.de 27.5.2020

[15] FAZ: Kämpfen gegen das Unsichtbare faz.net  27.5.2020

[16] Ebd.

[17] Welt: Phantombehörden des BND werden ausgelöst welt.de 09.06.2020

[18] Spiegel: James Bond käme nicht durchs Bewerbergespräch spiegel.de 09.06.2020

[19] Standortdatenbank ZMSBw: zmsbw.de 09.06.2020

[20] siehe bundestag.de, Haushaltsgesetz 2019, S. 2141

[21] 5.2.21  FAZ: BND half Amerikanern im Irak-Krieg: www.faz.net

[22] Ebd.

[23] Ebd.

[24] Bericht über die Kontrolltätigkeit gemäß § 6 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes durch das Parlamentarische Kontrollgremium, Drucksache 16/7540 S.9

[25]  Ebd. S.838

[26] Süddeutsche Zeitung: BND nannte doch mögliche Angriffsziele im Irak sueddeutsche.de 19.06.2020

[27] Bericht über die Kontrolltätigkeit gemäß § 6 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes durch das Parlamentarische Kontrollgremium, Drucksache 16/7540  S. 876

[28] Bundestag: Bundestag debattiert über Kunduz-Abschlussbericht bundestag.de 22.06.2020

[29] Ebd.

[30] Stern: Was Schneiderhan dem Minister vorenthielt stern.de 15.03.2021

[31] Tagesschau: tagesschau.de 19.02.2021

[32] Drucksache 17/7400 S.296

[33] Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 45a Absatz 2 des Grundgesetzes Drucksache 17/7400 S.68

[34] Ebd.

[35] Ebd.  S.177

[36] Jelena von Achenbach: “Effektive Nachrichtendienste als Verfassungsgut” in  Hoff/ Kleffner/ Pichl/ Renner (Hrsg.) “Rückhaltlose Aufklärung?” VSA-Verlag Hamburg, 2019 S.162

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) (imi-online.de)
https://www.gewerkschaftsforum.de/ 

Urheberecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/

*********************************************************

Grafikquellen      :

Oben  —       Uncle Sam wants you DEAD!

***************************

2. ) von Oben      —     Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Unten     —       February 11th, 2012 Protest anti ACTA in Munich, „banana republic“ flag

Abgelegt unter Gewerkschaften, Innere Sicherheit, Nordrhein-Westfalen, Überregional | Keine Kommentare »

Den Tarifskandal beenden

Erstellt von Redaktion am 21. Mai 2021

Sofortige Beendigung eines Tarifpolitischen Skandals ! 

Der StreikGemälde von Robert Koehler, 1886

Der Streik Gemälde von Robert Koehler, 1886

Quelle      :     AKL

Von  Online-Tagung des AKL-Länderrats, 13. Mai 2021

ANGLEICHUNG DER ARBEITSZEITEN IN DER OSTDEUTSCHEN METALLINDUSTRIE AN DAS WESTNIVEAU!

Nach sieben Verhandlungsrunden, fünf ganztägigen Warnstreiks und vielen weiteren Protestaktionen, darunter eine von vielen gewerkschaftlichen und politischen Persönlichkeiten unterzeichnete Petition, haben sich IG Metall und der sächsische Arbeitgeberverband VSME, sowie der Arbeitgeberverband für Berlin-Brandenburg VME, wieder einmal nicht auf eine Übernahme der Arbeitszeitregelungen, die für die westdeutschen Tarifbezirke gelten, einigen können.

Der Metall-Abschluss aus NRW vom März 2021 wird auch in Berlin-Brandenburg-Sachsen übernommen, aber die Arbeitszeitangleichung wird noch einmal ausgeklammert. Die Beschäftigten in der ostdeutschen Metallindustrie – und für Berlin heißt das, entscheidend ist, an welcher Straße der Betrieb ist – arbeiten seit über dreißig Jahren in der Woche drei Stunden länger, für das gleiche Entgelt. Das macht fast 5000 Stunden Mehrarbeit ohne Bezahlung, während Preise und Mieten schon lange Westniveau erreicht oder sogar überschritten haben.

Dieser tarifpolitische Skandal muss sofort beendet werden.

Die IG Metall hat mit den Arbeitgeberverbänden vereinbart, dass bis zum 30. Juni 2021 über einen „tariflichen Rahmen für betriebliche Angleichungsprozesse“ verhandelt werden soll. Das heißt, jetzt soll der Häuserkampf beginnen, um zu einer Angleichung zu kommen. Die Tarifkommissionen müssen dieser Vereinbarung noch zustimmen.

Es wird sich zeigen, wie wirksam diese Vereinbarung tatsächlich ist. Fakt ist, dass ein großer Teil der Umsetzungsverhandlungen jetzt wieder auf die Betriebsräte – sofern es welche gibt – abgewälzt wird. Ohne eine kollektive Unterstützung in der Fläche und auch von den westdeutschen IG Metall-Verbänden, werden die Ergebnisse nicht berauschend sein.

Die Länderrat-Versammlung der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN solidarisiert sich mit den Kolleginnen und Kollegen der ostdeutschen Metallindustrie. Wir wünschen ihnen viel Kraft und Erfolg in den Häuserkampf-Verhandlungen.

Es bleibt die politische Notwendigkeit, dass dieser tarifpolitische Skandal sofort beendet werden muss. Tarifpolitik ist auch Politik: Deshalb muss dieser Skandal Thema in den kommenden Wahlkämpfen werden, vor allem dem der LINKEN. Die gesamte IG Metall sollte sich an die Seite der Bezirke in Ostdeutschland stellen – andernfalls droht ein großer Glaubwürdigkeitsverlust für die Gewerkschaft.

akl - Antikapitalistische Linke

*********************************************************

Grafikquelle :

Artist
Title
The Strike in the region of Charleroi
Object type painting
Date 1886
Medium oil on canvas
Dimensions Height: 181.6 cm (71.4 in); Width: 275.6 cm (108.5 in)
Accession number
1990/2920
Source/Photographer Deutsches Historisches Museum: infopic

 

Public domain The author died in 1917, so this work is in the public domain in its country of origin and other countries and areas where the copyright term is the author’s life plus 100 years or fewer.

Abgelegt unter Berlin, Brandenburg, Gewerkschaften, P. DIE LINKE | Keine Kommentare »

Streit um Worte oder Pflege

Erstellt von Redaktion am 19. April 2021

In Sorge um den sozialen Frieden

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Suitbert Cechura

Streit um Worte oder Pflege der sozialen Kultur? Das Ringen um das „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“

Der Streit innerhalb der Koalition um das Betriebsrätemodernisierungsgesetz (1)  hat die Öffentlichkeit wenig bewegt und wurde lediglich von den Verbandsvertretern (2) und von Seiten der Gewerkschaften (3) ausführlicher kommentiert.

Anlass für die Reform ist der Bedeutungsverlust der Vertretung deutscher Arbeitnehmer durch Betriebsräte – eine fortschreitende „Erosion der betrieblichen Mitbestimmung“, wie sie etwa von der Linken beklagt wird (Junge Welt, 1.4.2021). Die SPD hatte seinerzeit eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes in die Koalitionsvereinbarung eingebracht und Arbeitsminister Hubertus Heil im Dezember 2020 einen Referentenentwurf mit dem Titel „Betriebsrätestärkungsgesetz“ vorgelegt. Der schlummerte einige Monate in der Koalitionsabstimmung und löste Stellungnahmen von Seiten der Unternehmer und Gewerkschaften aus. Von politischer Seite wurde die Dringlichkeit des Vorhabens unterstrichen: NRW-Arbeitsminister und Vorsitzender der CDU-Arbeitnehmerschaft Karl-Josef Laumann sah in der schwindenden Vertretung durch Betriebsräte eine Gefährdung der „deutschen Sozialkultur“ und sogar der deutschen „Staatsräson“ (WAZ, 27.2.2021).

Inzwischen hat der Entwurf das Kabinett passiert und zur Änderung des Titels geführt, aus dem Betriebsratsstärkungsgesetz wurde das Betriebsrätemodernisierungsgesetz. Die Chancen der Verabschiedung sind gestiegen, es ist nur nicht leicht nachzuvollziehen, wieso es überhaupt einen Streit um dieses Gesetz gab und wieso ein Arbeitsminister gleich die höchsten Werte der Nation beschwört.

Ein Verstoß gegen den „Betriebsfamilienfrieden“

Bei den Unternehmerverbänden stieß das Gesetzesvorhaben gleich auf grundsätzliche Ablehnung, es wurde ein Anwachsen der Bürokratie befürchtet. Dabei sind die Änderungen, die das neue Gesetz am zuletzt 1972 modernisierten Betriebsverfassungsgesetz vornimmt, minimal. Sie betreffen zum einen den Kündigungsschutz für Arbeitnehmer, die eine Betriebsratswahl initiieren wollen, und für die Mitglieder der Wahlkommission, zum anderen die Zuständigkeiten des Betriebsrats bei der Qualifikation von Mitarbeitern und bei Fragen der Digitalisierung. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird darauf verwiesen, dass Betriebsleitungen die Wahl von Betriebsräten zu verhindern suchen, was ein Problem sei – es ist ja bekannt, dass Unternehmen die Initiatoren solcher Wahlen schikanieren oder ihnen sogar kündigen. In der Wahl eines Betriebsrats sehen manche Unternehmen den Betriebsfrieden prinzipiell gestört, den das Betriebsverfassungsgesetz mit der Mitbestimmungsregelung gerade sichern soll. Die Koalition trägt diesem Bedenken jetzt schon mit der Namensänderung Rechnung: Klang Betriebsrätestärkungsgesetz noch nach einseitiger Unterstützung der Arbeitnehmerseite, so kommt das Betriebsrätemodernisierungsgesetz gleich viel moderater daher, als Zugeständnis an allgemeine Modernisierungsnotwendigkeiten.

In (deutschen) Betrieben wird gerne das Bild einer Betriebsfamilie gepflegt. Dass dabei die Arbeitnehmer als Kinder vorkommen, scheint sie nicht zu stören. Es passt ja auch zu ihrer Rolle: Sie bewegen sich schließlich in einer ähnlichen Abhängigkeit wie Kinder von ihren Eltern. Der Unternehmer oder die Geschäftsleitung geben in diesem Bild den Familienpatriarchen ab, der einerseits das Sagen hat, andererseits auch der sorgende Vater sein soll, der sich um das Wohl aller kümmert. So wird eine Gemeinschaftlichkeit vorgegaukelt, die sich in modern geführten Betrieben auch als eine Form der Gleichberechtigung darstellen mag, wobei sich jedoch schnell herausstellt, dass einige gleicher sind als andere. Schließlich geht es zwar allen um den Erfolg des Unternehmens, aber der stellt sich für die Beteiligten recht unterschiedlich dar.

Für Inhaber oder Management der Unternehmen geht es um das lohnende Geschäft. Die Produktion von Gütern oder der Handel mit ihnen sollen einen Gewinn erbringen, also aus dem investierten Geld mehr machen, dessen Kapitalqualität erweisen. In dieser Kalkulation kommen die Einkommen der Beschäftigten als Kosten vor, die den Gewinn beschränken, weswegen sie als ständige Herausforderung im Visier sind, die Kosten zu senken: in der Krise, um das Unternehmen wieder profitabel zu machen; im Aufschwung, um einschlägige Erfolge zu sichern; als vorausschauende Zukunftsinvestition, um eine dominierende Marktstellung zu behaupten oder zu erlangen. Deshalb ist der Arbeitsplatz als Einkommensquelle immer unsicher und fällt das Einkommen spärlich aus. Lohn und Gewinn stehen eben im Gegensatz zueinander, ein Sachverhalt, der früher einmal als Klassengegensatz bezeichnet wurde und den jetzt wieder CDU-Arbeitsminister Laumann für endgültig überwunden erklärt hat – dank der betrieblichen Mitbestimmung in Form der Betriebsräte.

Wirtschaftsdemokratie unterbindet Klassenkampf

In der Begründung zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz wird auf die wichtige Funktion der Betriebsräte abgehoben, die die demokratische Teilhabe der Belegschaft im Betrieb sichern sollen. Dabei ist der Ausgangspunkt die Differenz zwischen Arbeitnehmerinteressen und Arbeitgeberinteressen. Diese Differenz wird etwa dann manifest, wenn Mitarbeiter den Antrag auf die Wahl eines Betriebsrates stellen, weswegen sich Unternehmer gleich gegen ein solches Zu-Wort-Melden verwahren. Mit dem Betriebsverfassungsgesetz (https://www.gesetze-im-internet.de/betrvg/BJNR000130972.html) ist das Verhältnis von Unternehmern und Beschäftigen im Grundsätzlichen geregelt. Nicht umsonst wird schon im Gesetzesnamen auf die Verfassung des Ganzen gezielt.

Das Interesse der Arbeitnehmer, sich von ihrem Lohn zu ernähren, wird darin grundsätzlich anerkannt und ist bei allen Handlungen des Unternehmens mit zu berücksichtigen, was deren Chefs und Chefinnen oft als Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit beklagen. Das Gesetz verpflichtet die beiden Parteien aber auch zur vertrauensvollen Zusammenarbeit und verbietet beiden Seiten, im betrieblichen Alltag auf das Mittel des Arbeitskampfes zurückzugreifen. Bei der Zusammenarbeit ist unterstellt, dass es ein gemeinsames Interesse am Erfolg des Unternehmens gibt – bei den einen, weil sie damit einen Gewinn erwirtschaften wollen, bei der anderen Seite, weil ihr Lebensunterhalt am Erfolg des Unternehmens hängt. Diese Abhängigkeit sollen die Betroffenen aber nicht als Manko, sondern als Mitgestaltungsaufgabe begreifen. Während die Unternehmerseite keinen Grund hat, den Betriebsfrieden aufzukündigen und Arbeitskämpfe zu führen, ist freilich die Dienstverweigerung das einzige Mittel für Arbeitnehmer, ihre Interessen geltend zu machen. Insofern trifft das Verbot des Gesetzes nur die eine Seite.

Das hat Auswirkungen auf die betrieblichen Abläufe, und deshalb liegt der NRW-Arbeitsminister richtig, wenn er von einer deutschen Sozialkultur spricht. Löhne und Gehälter werden nicht einfach vom Unternehmen festgelegt, sondern jeder Arbeitsplatz wird nach Tätigkeitsmerkmalen und Qualifikationen bewertet und einer tariflichen Eingruppierung zugewiesen. Damit soll das gezahlte Entgelt nicht einfach betrieblicher Willkür entspringen, sondern sozial gerecht sein – ganz so, als ob es für jede Leistung einen bestimmten, ihr genau entsprechenden Geldbetrag geben würde. Dabei macht noch jede Tarifrunde, in der das Verhältnis von Lohn und Leistung neu bestimmt wird, deutlich, dass die konkrete Entlohnung vom Kräftemessen zwischen Kapital und Arbeit abhängt. Dass dies in Deutschland meist nur symbolisch stattfindet und sich deshalb die Rede von den „Tarifritualen“ eingebürgert hat, liegt eben daran, dass deutsche Gewerkschaften auch im Tarifkampf immer das Wohl der Wirtschaft im Auge haben und die kämpferische Pose bevorzugen, statt in veraltetes „Klassenkampfdenken“ zurückzufallen.

Was einer verdient, ergibt sich also nicht sachlich aus der jeweiligen Arbeitsplatzbeschreibung. Mit den unterschiedlichen Tarifgruppen sichert sich das Unternehmen vielmehr den Zugriff auf die Arbeitskräfte, die es für die unterschiedlichen Aufgaben im Betrieb braucht, und sorgt damit für die Konsequenz, dass sich jeder Arbeitsplatz für das Unternehmen lohnt. Bei der Ausgestaltung der Lohnhierarchie sind die Betriebsräte gefordert, womit förmlich sichergestellt ist, dass jeder das verdient, was er verdient. Wer sich ungerecht eingruppiert fühlt, kann sich beim Betriebsrat beschweren und die Eingruppierung überprüfen lassen. Das Prinzip der Einstufung in verschiedene Lohngruppen ist damit auf jeden Fall der Kritik enthoben.

Entlassungen sind daher auch nicht einfach Entlassungen, also der brutale Sachverhalt, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen um ihre Existenz gebracht werden. Es wird – gesetzlich geregelt – sorgfältig unterschieden zwischen betriebsbedingten Kündigungen und Entlassungen über einen Sozialplan, also unter Mitwirkung der Betriebsräte. Auch in dieser Form wird das grundlegende Interesse von Lohnabhängigen anerkannt, sich durch Arbeit zu erhalten. Sozialpläne gewähren ihnen bei ihrer Entlassung eine Abfindung – wobei dieser Begriff wörtlich zu nehmen ist. Durch die Abmilderung des Schadens sollen sie sich mit ihrer Entlassung abfinden. Darauf zielen alle einschlägigen Maßnahmen, die das Gesetz vorsieht. Weil von einer ständigen Schädigung der Beschäftigten durch Leistungssteigerungen, Lohnsenkungen oder Entlassungen auszugehen ist, soll durch die Beteiligung von Betriebsräten sichergestellt werden, dass diese Härten friedlich über die Bühne gehen. Protest, Beschwerde und Schimpfen auf die Betriebsleitung sind durchaus erlaubt, solange das folgenlos bleibt und die Arbeitnehmer sich in das fügen, was der Betriebsrat für sie ausgehandelt hat. Auch in der Hinsicht hat der NRW-Arbeitsminister Recht, wenn er feststellt, dass auf diese Weise der Klassenkampf überwunden wurde. Zu wessen Vorteil dies geschieht, ist aber eine andere Frage.

Neue Herausforderungen = neue Kampfansagen

Der Gesetzgeber sieht jetzt die Betriebsratsarbeit vor neuen Herausforderungen und spricht den Betriebsräten neue Mitwirkungsmöglichkeiten in Fragen der Qualifizierung und Nutzung der Digitalisierung (Künstliche Intelligenz) zu. Qualifizierung wird dann bedeutsam, wenn durch Einführung neuer Technologien bestehende Qualifikationen und die damit verbundenen Tätigkeiten überflüssig gemacht werden. Im Zuge der Innovationen werden hohe Kosten verausgabt, um die Kosten pro gefertigtem Stück zu senken, was sich auch Rationalisierung nennt. Damit werden Arbeitsplätze abgebaut und die verbleibenden oft umorganisiert.

Irgendeine Sicherheit beruflicher Perspektiven gibt es für die Masse der Lohnabhängigen im „Digitalen Kapitalismus“ (so das neueste soziologische Schlagwort https://www.untergrund-blättle.ch/politik/theorie/digitaler-kapitalismus-6285.html) nämlich nicht. Wer sich um einen Arbeitsplatz kümmern muss, hieß es in einem satirischen Arbeitswelt-TÜV bei Telepolis (https://www.heise.de/tp/features/Arbeitsplatz-der-Test-4879357.html), „sollte sich auf ein bewegtes Leben einstellen. Es gibt keine Garantie auf ihn, seine Leistungsanforderungen wachsen stetig, seine Anzahl sinkt. Gefahren für Leben und Gesundheit sind auszublenden. Orts- und Positionswechsel lassen keine Langeweile aufkommen.“

Deshalb bekommen Qualifizierungsmaßnahmen ein neues Gewicht. Auch die Einführung von Künstlicher Intelligenz in Produktion und Handel lässt viele Tätigkeiten verschwinden, und so haben schon viele Unternehmen den Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen angekündigt – von der Stahl-, Auto- und Elektroindustrie über Handelsunternehmen bis hin zu den Banken. Die Politik sieht einen riesigen Erneuerungsbedarf in der deutschen Wirtschaft, was viele Arbeitnehmer ihr Einkommen kosten dürfte. Das alles muss natürlich sein, damit Deutschlands Stellung als Exportweltmeister und Wirtschaftsmacht gesichert wird – im Kampf mit ökonomischen Konkurrenten und politischen Rivalen. Diesen Umwälzungsprozess im Innern friedlich zu gestalten, da sind die Betriebsräte neu gefordert. So soll die deutsche Sozialkultur gesichert werden auf Kosten vieler Arbeitnehmer.

Eine gewerkschaftliche Erfolgsgeschichte

Die betriebliche Mitbestimmung in Form von Betriebsräten und Aufsichtsratssitzen ist ein zentrales Anliegen des Deutschen Gewerkschaftsbunds und seiner Mitgliedsgewerkschaften. Deshalb hat der DGB zur Ausgestaltung der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes eine umfangreiche Stellungnahme verfasst und zum Betriebsrätestärkungsgesetz seine Änderungswünsche formuliert (Stellungnahme des DGB zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales/BMAS vom 19.1.2021).

Schon der Vorläufer des DGB, der ADGB – der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund – trat vor fast hundert Jahren für die Wirtschaftsdemokratie ein (siehe „Die deutsche Gewerkschaftsbewegung/DGB“, hrsg. vom DGB-Bundesvorstand, Düsseldorf 1973), nachdem interessanter Weise im Ersten Weltkrieg die Grundlagen dafür geschaffen worden waren: „Schon bald nach Kriegsbeginn im August 1914 erhielt die deutsche Sozialpolitik einen mächtigen Schub, der sich nicht zuletzt auf die Notwendigkeit gründete, im Zeichen des sog. Burgfriedens alle Kräfte, auch jene der oppositionellen Arbeiterbewegung, für die ‚Verteidigung des Vaterlandes‘, genauer gesagt: die Kriegsziele der Hohenzollernmonarchie, zu mobilisieren, was nur gelingen konnte, wenn man Sozialdemokratie und Gewerkschaften zumindest neutralisierte. Letzteren wurde im Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 1916 ein Vorschlagsrecht für die Besetzung obligatorischer Arbeiter- und Angestelltenausschüsse zugebilligt…“ (Ch. Butterwegge, Krise und Zukunft des Sozialstaats, 2005, S. 47)

Defensa de la Universidad Pública en Paraná 20.jpg

Hier hat man bis heute das erfolgreiche Betätigungsfeld von Gewerkschaftern, die als Betriebsräte oder im Aufsichtsrat die Rechte von Arbeitnehmern vertreten. Damit werben sie auch auf ihren Websites, wobei für Lohnabhängige eigentlich immer schwerer zu erkennen ist, wieso man diesem Verein beitreten soll, wenn man bereits eine Rechtsschutzversicherung hat. Denn als Rechtssubjekte sind die Menschen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben, im heutigen Sozial- und Rechtsstaat vollumfänglich anerkannt.

Die Gewerkschaft braucht für ihre Politik Mitglieder, die Beitrag zahlen, sich als Wähler funktionalisieren lassen oder als Betriebsräte das Unternehmen mitgestalten wollen; sie braucht Mitglieder, die in Tarifkämpfen als Statisten bereit stehen, mit Gewerkschaftsweste oder -kappe, mit Trillerpfeifen oder Fahnen durch die Straßen ziehen und die besagte kämpferische Pose einnehmen. DGB-Gewerkschaften sind dabei alles andere als Kampforganisationen, die wegen des Gegensatzes von Kapital und Arbeit Arbeitnehmer auffordern, ihre Konkurrenz untereinander aufzuheben und mit ihrer Solidarität ein Druckmittel gegenüber Unternehmern aufzubauen.

DGB-Gewerkschafter wollen wegen der Abhängigkeit der Belegschaften vom Erfolg des Unternehmens diesen mitgestalten und die negativen Folgen für die Arbeitnehmer mitverwalten. So erklärte DGB-Chef Reiner Hoffmann („Für mehr Demokratie im Betrieb“, www.dgb.de, 31.3.21) zur geplanten Modernisierung, dass „Arbeitgeber, die lautstark ein Moratorium fordern, nichts anderes (wollen) als Stillstand. Den können wir angesichts des rasanten Wandels in der Arbeitswelt nicht gebrauchen.“ Dass der Erfolgskurs der deutschen Wirtschaft ins Stocken geraten könnte, ist für den DGB-Chef wohl der größte anzunehmende Unfall…

So werden Gewerkschafter zu Co-Managern – und als solche ja auch in Großbetrieben wie Manager entlohnt. Von daher ist es für den DGB kein Verrat an Arbeitnehmerinteressen, wenn seine Funktionäre gleich als Arbeitsdirektoren oder Personalvorstände in den Vorstand des Unternehmens oder den Aufsichtsrat wechseln. Für diesen Einsatz werden die DGB-Gewerkschaften auch von der Politik geschätzt, mit deren Hilfe sie bei Gelegenheit ihr Monopol gegenüber der aufkommenden Konkurrenz von Spartengewerkschaften schützen lassen, zuletzt durch das Tarifeinheitsgesetz.

DGB-Gewerkschaften machen mit dieser Politik keinen Fehler, sie wollen nicht viel anderes als Stillstand bei den Wachstumsstrategien des deutschen Standorts verhindern. Wer mehr will als diese „Interessenvertretung“ durch deutschnationale Gewerkschaften, muss sich organisatorisch also etwas anderes überlegen.

(1) (https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/Regierungsentwuerfe/reg-betriebsraetemodernisierungsgesetz.pdf?blob=publicationFile&v=1)

(2) (https://www.nrwz.de/wirtschaft/metallarbeitgeber-betriebsraetesterkungsgesetz-nur-ueberfluessige-buerokratie/300529?print=print)

(3) (https://www.dgb.de/betriebsraetestaerkungsgesetz)

Zuerst bei telepolis erschienen

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben         —       Streik im Öffentlichen Dienst in Hamburg am 12. April 2018

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, International, Positionen | 1 Kommentar »

Kritik an Zwangsarbeit

Erstellt von Redaktion am 7. April 2021

Und Hugo Boss laviert herum …

2018 New York ePrix td Saturday 019 - eVillage, Hugo Boss.jpg

Von 

Westliche Firmen, die in China auf die Menschenrechte pochen, werden mit Boykott bedroht.

Wer Chinas Politik kritisiert, wird bestraft. Das bekommen viele westliche Konzerne wie Nike, Adidas und H&M gerade zu spüren. So rief die kommunistische Parteijugend Mitte vergangener Woche zum Boykott von H&M auf, in den sozialen Medien werden einzelne Marken mit nationalistischem Furor beschimpft, und chinesische Prominente verkünden öffentlichkeitswirksam, mit westlichen Firmen nicht mehr zusammenzuarbeiten.

Der Druck soll die Unternehmen dazu bewegen, ihre Kritik an Zwangsarbeit in China zurückzuziehen – und weiterhin Baumwolle und andere Produkte aus der Region Xinjiang zu kaufen. Dort werden Berichten zufolge Hunderttausende Angehörige des muslimischen Volksstamms der Uiguren in Umerziehungs- und Arbeitslagern festgehalten. Die chinesische Regierung streitet das ab.

Der Auslöser für die Boykottaufrufe sind gar keine neuen Äußerungen von den jetzt angefeindeten Firmen. So hatte das H&M-Management bereits im vergangenen Jahr erklärt, es sei besorgt über die Menschenrechtslage in der Provinz Xinjiang und werde von dort keine Baumwolle mehr beziehen. Dieses ältere Statement präsentierten Parteikader jetzt, um die Boykottaufrufe anzuheizen.

Der eigentliche Grund für die neue Aufmerksamkeit dürften Sanktionen der EU sein. Anfang vergangener Woche hat sie diese gegen China verhängt, um gegen die Unterdrückung der Uiguren zu protestieren. Brüssel belegte vier Beamte, die für die Menschenrechtsverstöße verantwortlich sein sollen, unter anderem mit einem Einreiseverbot. Im Gegenzug untersagte Peking zehn Politikern und Wissenschaftlern aus der EU die Einreise.

Zugleich werden in der chinesischen Öffentlichkeit auch Firmen an den Pranger gestellt, die sich in den vergangenen Monaten mit Hinweis auf Menschenrechtsverletzungen aus dem Geschäft mit Xinjiang zurückgezogen haben.

Die Unternehmen stecken in einem Zwiespalt: Im Westen lehnen es viele ihrer Kunden ab, ein T-Shirt zu tragen, das von Zwangsarbeitern produziert wurde. In China, das für sie Produktionsort und wichtiger Absatzmarkt ist, geraten die Unternehmen unter Druck, wenn sie Zwangsarbeit offen kritisieren. Beiden Seiten können sie es kaum recht machen.

Wer es doch versucht, macht sich hier wie dort angreifbar. So wie Hugo Boss. Die für ihre Herrenanzüge bekannte Marke aus dem schwäbischen Metzingen führt gerade vor, wie ein Unternehmen aus einem moralischen wie ökonomischen Dilemma einen Ausweg sucht – und am Ende doppelt verliert.

Plötzlich ist eine härtere Stellungnahme von Hugo Boss zu dem Thema verschwunden

Auf der chinesischen Internetplattform Weibo – einer Art nationalem Twitter – wird seit Neuestem auch zum Boykott von Boss aufgerufen. Zwei prominente Schauspieler kündigten ihre Zusammenarbeit mit der deutschen Firma auf, und Nutzer in Chinas sozialen Medien spotten über das Herumlavieren des Anzugherstellers.

Was ist passiert?

Vor wenigen Tagen erklärte Hugo Boss auf Weibo, man respektiere die nationale Souveränität Chinas, die Baumwolle aus Xinjiang gehöre zur Besten der Welt – und man werde sie weiterhin kaufen. Dieses Statement wäre im Westen wahrscheinlich kaum wahrgenommen worden, hätte nicht das englischsprachige Medienportal Hongkong Free Press darüber berichtet.

Dabei hatten die Deutschen gegenüber einem US-Sender im vergangenen September noch erklärt, alle ihre Lieferanten müssten nachweisen, dass ihre Produkte nicht aus Xinjiang stammten. Auf einmal entstand der Eindruck, Hugo Boss erzähle in China etwas anderes als im Westen.

Nachdem das Hongkonger Medium über die widersprüchliche Kommunikation berichtet hatte, löschte Boss das Statement auf Weibo. Stattdessen verweist das Unternehmen auf seinem Weibo-Account nun auf eine englischsprachige Stellungnahme, in der es mit Bezug auf Xinjiang heißt: Hugo Boss toleriere keine Zwangsarbeit. Würden die von Boss geforderten ethischen Standards jedoch eingehalten, sei das Unternehmen „dafür offen, unsere Produkte von jeglichen Lieferanten weltweit zu beziehen, unabhängig davon, wo diese ansässig sind“. Mit anderen Worten: Baumwolle aus Xinjiang ist grundsätzlich willkommen, nur bei konkreten Verstößen gegen die Menschenrechte nicht.

Staatliche Sanktionen gibt es bisher kaum

Auf Anfrage der ZEIT sagt eine Sprecherin von Hugo Boss, die erste Weibo-Nachricht sei „unautorisiert“ gewesen. „Unsere Position im Hinblick auf die Situation ist gegenüber der von vor einiger Zeit selbstverständlich unverändert.“

Betriebe in der Uiguren-Region Xinjiang lassen sich nicht prüfen, warnen Kritiker

Doch mit wenig Aufwand lässt sich im Internet eine ältere Version der Stellungnahme des Konzerns finden, die vor einigen Tagen von dessen Website gelöscht wurde – und die deutlich härter als die nun verbreitete Botschaft ausfällt. Darin hatte es noch geheißen: Alle direkten Lieferanten müssten Nachweise erbringen, ob die für Hugo Boss verwendeten Materialien „einen Bezug zur Region Xinjiang“ hätten. In diesem Fall müssten die Lieferanten ihre Beschaffung „schnellstmöglich auf andere Ursprungsregionen oder -länder umstellen“. Und Hugo Boss verspricht: „Wir sichern zu, dass unsere neuen Kollektionen ab Oktober 2021 keine Baumwolle oder sonstige Materialien aus der Region Xinjiang enthalten.“

Quelle           :       Die Zeit       >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben         —     Walking through the Allianz eVillage of the Brooklyn Street Circuit prior to first race of the 2018 New York City ePrix on Saturday, July 14, west of Imlay Street and Bowne Street in Red Hook, Brooklyn. The original eVillage was located at Pioneer Street in 2017; for this year, an expanded eVillage was created around the new four-turn complex at the north end of the circuit.

****************************

Unten      —   Teile des eingestürzten Gebäudes während der Rettungsarbeiten, 27. April 2013

Abgelegt unter Asien, Gewerkschaften, Kriminelles, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Ver.di und die Linke ?

Erstellt von Redaktion am 17. Februar 2021

Positionen der ver.di-Linke NRW zur Bundestagswahl.

Parteitages der Partei DIE LINKE 2019, Bonn.2.jpg

Als die linken Luftballons noch im Steigflug waren.

Quelle       :      Scharf  —   Links

Mit diesen Thesen will die ver.di-Linke NRW sich in die Debatten zur Positionierung der Gewerkschaften zur Bundestagswahl einmischen

Thesenpapier erstellt vom Koordinierungskreis der ver.di-Linke NRW nach dem Treffen der ver.di-Linke NRW am 24.1.2021

Das kapitalistische System in der Corona-Krise

Wenn jeder an sich denkt ist an alle gedacht. Dieser neoliberale Leitspruch will davon ablenken, dass Kapitalismus – auch die sogenannte „rheinische“ Ausprägung – nicht auf die Erfüllung der Bedürfnisse der Menschen, sondern auf die Realisierung von maximalen Profiten abzielt. Die Voraussetzung dafür, dass das auch unter veränderten Verwertungsbedingungen funktioniert, haben die politischen Entscheidungsträger sowohl in der BRD wie in der EU, wie auch weltweit, durch Deregulierung, Privatisierungen und Umverteilung über die Steuerpolitik geschaffen. In der BRD wurde dies hauptsächlich durch die SPD/Grüne Bundesregierung durch die Agenda 2010, Hartz-Gesetze und steuerliche Entlastungen für Reiche und Konzerne betrieben und durch die nachfolgenden Regierungen verfestigt. Während man offiziell die heilenden Kräfte des Marktes beschwört, wird gleichzeitig konkrete Politik im Interesse von Konzernen und Reichen umgesetzt.

Selbst in Corona-Zeiten gibt es keine Beschneidung der Profitinteressen, um z. B. die Impfstoffverteilung zu beschleunigen oder der Industrie Auflagen z.B. im Sinne von mehr Nachhaltigkeit zu machen. Unnötige Güter dürfen ohne Pause weiter produziert werden, so z. B. in der Rüstungsindustrie. Egal wie hoch die Infektionen sind, die Wirtschaft muss weiter laufen. Deutlich wird dies auch in der milliardenschweren „Stützung“ von Konzernen wie Lufthansa, Adidas oder den in der Pandemie ermöglichten staatlichen Insolvenzverfahren, die es den Kapitalbesitzern ermöglichen, „ihre“ Firmen auf Staatskosten zu sanieren, auch wenn diese durch eigenes Verschulden lange vor der Pandemie in Schieflage geraten waren wie es z. B. bei Karstadt/Kaufhof der Fall gewesen ist. Nur wenn viel zusammen kommt, wie bei Tönnies und Co wird eingegriffen: brutale Ausbeutung, schlechte Wohnverhältnisse und hohe Infektionszahlen konnten in der Pandemie wohl nicht mehr ignoriert werden und zwangen die Regierenden zum Handeln.

Alternativen zu dieser Politik sind dringend nötig. Dazu bedarf es einer klaren Positionierung gerade von Gewerkschaften. Zusammen mit den sozialen Bewegungen können sie ein Motor für Veränderungen sein.  In unseren Thesen stellen wir unsere Vorstellungen zu den wichtigsten Fragen vor.

Die Corona-Pandemie macht es besonders deutlich: Gesundheit darf keine Ware sein!

Krankenhäuser haben die Aufgabe, Kranke wieder gesund zu machen. Über die Privatisierung und Steuerungsmittel wie die Fallpauschalen hat sich aber auch im Gesundheitswesen die kapitalistische Ökonomie durchgesetzt: alles muss sich rechnen. Deshalb will man selbst mit Kranken vor allem eins: Geld machen. Dieser Logik beugen sich auch die Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher oder kirchlicher Trägerschaft. Das Ergebnis sind Personalabbau, miese Bezahlung der Beschäftigten, medizinische Versorgung nur noch Just-in-Time, Krankenhausschließungen. In Pandemie-Zeiten bricht dieses heruntergefahrene System logischerweise zusammen. Nicht vorhergesehene (Notfall)-Situationen können Krankenhäuser nicht mehr stemmen. Regierungen beschließen die bekannten Lockdown-Maßnahmen, um das schlimmste (Triage) zu vermeiden.

Es müssen aber Schlussfolgerungen gezogen und die Ökonomisierung der Krankenhäuser, im Gesundheitswesen insgesamt rückgängig gemacht werden. Gesundheit gehört in gesellschaftliche Organisation, muss für alle da und kostenlos sein; die Beschäftigten selbst müssen gesunde Arbeitsbedingungen haben und entsprechend ihrer Herausfordernden und verantwortlichen Arbeit gut bezahlt werden.

Arbeitszeitverkürzung – so notwendig wie eh und je

Seit Gründung der organisierten Arbeiter*innenbewegung bestimmten drei Kernfragen den Klassenkampf:

  1. Kürzere Arbeit, um mehr vom Leben zu haben
  2. Höhere Löhne, um in Würde am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen
  3. Humanere Arbeitsbedingungen, um gesund durchs Leben zu kommen.

An diesen 3 Hauptaufgaben der Gewerkschaften hat sich bis heute nichts geändert. Nur die konkreten Forderungen haben sich in Nuancen verschoben.

Drehen wir die Forderungen in Fragen um, wird deutlich, worum es geht:

  • Warum gibt es nach über 150 Jahren noch immer keinen 8-Stunden-Tag für alle?
  • Warum können immer noch nicht alle abhängig Beschäftigten sich und ihre Familien ernähren und ein menschenwürdiges Dasein führen?
  • Warum erkranken immer noch Menschen durch unzureichende Schutz- und Vorbeugemaßnahmen am Arbeitsplatz?

Arbeitszeitverkürzung zu fordern heißt: 30-Stunden-Woche für alle. bei vollem Lohn- und Personalausgleich.

Ähnlich dem § 7 Bundesurlaubsgesetz müssen die abhängig Beschäftigten im Sinne einer Günstigkeitsklausel einen Anspruch auf Realisierung ihrer Arbeitszeitwünsche erhalten. Dabei ist gesetzlich eine Beweislastumkehr zu verankern, d.h. der Arbeitgeber muss beweisen, warum die Beschäftigtenwünsche betrieblich nicht realisierbar sein sollen. Allerdings zeigt die aktuelle Debatte um Homeoffice in der Pandemie auch das gewerkschaftliche Dilemma: Starke Gewerkschaften dürfen nicht betteln, sondern müssen selbstbewusst fordern!

Die Klima-Krise ist nicht mit kapitalistischen Mitteln zu bewältigen

Der Kohle-Ausstieg hat es deutlich gezeigt. Energie-Konzerne steigen aus der Umweltverschmutzung nur aus, wenn es sich für sie „rechnet“ oder sie staatlichen „Profitersatz“ als „Ausstiegsprämie“ bekommen. Gewerkschaften haben durch ihre Unterstützung der Energiekonzerne auch hier eine unrühmliche Rolle gespielt. Die Zustimmung zu dem viel zu späten Kohleausstieg bis 2038 widerspricht den Zielen des Pariser Abkommens von 2016 und bedeutet, dass RWE und Co weiter das Klima aufheizen, obwohl dieser dreckige Strom überhaupt nicht gebraucht wird.

Nicht nur bei der Energiegewinnung brauchen wir eine Wende. Auch in der Verkehrspolitik ist dies dringend erforderlich. Dazu muss die gesamte produzierende Industrie umgebaut werden: weg von der Produktion für den motorisierten Individualverkehr hin zur Produktion kollektiver Fahrzeuge wie Busse, Züge und Bahnen. Dazu braucht es eine Konversion der Automobilindustrie durch den Umbau der Konzerne zu Mobilitätskonzernen. Wir brauchen einen attraktiven Öffentlichen Personen Nah- und Fernverkehr, der allen Menschen kostenlos zur Verfügung steht. Wenn dies die Automobilkonzerne nicht leisten wollen, sind sie unter der Kontrolle der Beschäftigten und der Bevölkerung zu vergesellschaften. Massive Investitionen und Veränderungen insbesondere in den Bereichen Verkehr, Landwirtschaft, Wärmedämmung, regenerative Energiegewinnung sind erforderlich, um wenigstens die Pariser Klimaziele zu erreichen. Wie in der Energiewirtschaft und der Automobilindustrie muss es auch in der Landwirtschaft Veränderungen geben. Der Ökolandbau muss massiv ausgebaut und die Massentierhaltung beendet werden. Bei massiven Investitionen muss geklotzt werden, denn wir reden nicht mehr über ein besseres Leben, sondern über die Frage des Überlebens.

Umverteilung jetzt und radikal!

In den letzten 30 Jahren hat es eine gnadenlose Umverteilung von unten nach oben gegeben. Das ist nicht nur rückgängig zu machen, sondern umzukehren. Reiche und Konzerne sind massiv zu besteuern und staatliche Sozialleistungen sind Existenz sichernd zu erhöhen. Die Inanspruchnahme von z. B. Hartz IV darf nicht sanktioniert werden, d.h. der Wohlfahrtsstaat darf nicht Wohlverhalten voraussetzen und Armut fördern.

Die gesetzliche Rente ist so weit zu erhöhen, dass sie allen Empfänger*innen eine Existenzgrundlage sichert. Was an staatlichen Zuschüssen für die private Altersvorsorge einseitig an Versicherungskonzerne z.B. durch die Riester-Rente verpulvert wird, ist sofort einzustellen und in die gesetzliche Rentenversicherung umzuschichten. Der gesetzliche Mindestlohn ist sofort auf 15 € zu erhöhen. Kein arbeitender Mensch darf von staatlichen Aufstockungen abhängig sein.

Schuldenbremse ist ein Folterwerkzeug für alle Sozialstaatsansprüche

Die gegenwärtigen Schulden der BRD betragen rund 1,5 Billionen €. 2019 wurden 8,7 Mrd. € getilgt. Selbst wenn es gelänge, die Schulden um 10 Mrd. € jährlich abzubauen bräuchte es 150 Jahre bis zur „Verschuldung Null“. Allein dieses Rechenbeispiel zeigt, dass jegliche Diskussion um die Schulden, die „wir unseren Kindern nicht überlassen dürfen“ verlogen ist und allein als Disziplinierungsmittel dienen soll. Wenn die Regierung wegen der Schuldenbremse Kredite innerhalb kurzer Zeit (20 Jahre sind beschlossen) tilgen will, verzichtet sie auf jeden Handlungsspielraum bzw. will schon jetzt mit der Schuldenpeitsche die nächsten Sozialkürzungen begründen und vorbereiten. Die Schuldenbremse gehört abgeschafft; nicht irgendwann, sondern sofort und ohne wenn und aber.

Abrüsten ist das Gebot der Stunde

File:Worms- Bahnhofstraße- Kundgebung eines Streiks der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft („ver.di“) 26.5.2009.jpg

Die Bundesregierung ist dabei die Rüstungsausgaben zu verdoppeln, so als wäre mitten in der Corona-Krise nichts wichtiger. Die in der NATO beschlossenen zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung bedeuten, dass unsinnige Aufrüstungsprojekte voran getrieben werden und die Kriegsgefahr erhöht wird. Im zivilen Bereich gibt es viel zu tun: nämlich in Personal für und Ausbau der Schulen und Kitas, sozialem Wohnungsbau, Krankenhäusern und Pflegeheimen, öffentlichem Nahverkehr, Kommunaler Infrastruktur, Alterssicherung, ökologischem Umbau, Klimagerechtigkeit und internationaler Hilfe zur Selbsthilfe zu investieren. In militärische Aufrüstung Geld zu verpulvern ist unannehmbar. Wer wirklich Frieden will gibt Geld in Konfliktprävention statt in Militär. Die Rüstungsindustrie löst keine Probleme, sondern will nur mehr Macht und maximalen Profit. Wir brauchen aber eine Politik, die Spannungen abbaut und gegenseitiges internationales Vertrauen aufbaut. Mit Russland oder China muss man Handel betreiben und verhandeln. Ohne Frieden ist alles nichts.

Erstes Opfer jeder Aufrüstung und jeden Krieges ist die Wahrheit. Wer glaubt, mit Aufrüstungsförderung könne man einen Friedensbeitrag leisten, muss von uns argumentativ bekämpft werden. Wir müssen aufzeigen, dass ihre irrationalen Feindbilder pure Ideologie sind. Kriege und Kriegsdrohungen verdunkeln unser Leben, bewölken unsere Gedanken und überziehen die Völker mit Hass und Hetze (Erich Fried). Kriegsopfer sind nicht nur die Toten, sondern alle, die vor Kriegen flüchten und denen notwendige staatliche Sozialleistungen vorenthalten werden.

Absage an jedwede/n Rassismus und Diskriminierung

Gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit und für eine solidarische und gerechte Politik zu streiten, ist auch in Zeiten der Pandemie eine gewerkschaftliche Selbstverständlichkeit. Wer finanzielle Einschränkungen erleiden und soziale Beschränkungen im menschlichen Miteinander erleben muss, kann verunsichert und wütend werden. Aber abgedrehten Verschwörungstheoretikern, „Reichsbürgern“, „Querdenkern“, rechten Gruppierungen oder der AfD hinterherzulaufen ist unentschuldbar und bedarf unserer radikalen Distanz und Antwort. Nie wieder einen Fußbreit den Faschisten!

Nicht nur die Politik der extremen Rechten wird von uns bekämpft. Auch die Migrationspolitik der EU und der Bundesregierung offenbaren eine zutiefst rassistische und inhumane Haltung. Das kapitalistisch organisierte Gesellschaftssystem ist auch Basis für Flucht und Migration. Konzerne im „reichen“ Norden beuten die Menschen und ihre Ressourcen in den „ärmeren“ südlichen Ländern der Welt hemmungslos aus. Kriege und Umweltzerstörungen sind Ergebnisse dieser Verhältnisse. Diese Politik löst primär die Fluchtbewegungen aus. Deshalb muss man die kapitalistischen Ursachen bekämpfen und nicht die Menschen, die darunter leiden.

Aus dem „Willkommens-Sommer“ 2015 ist heute eine Haltung des Abschottens und der Abschiebungen geworden. Das Asylrecht ist praktisch außer Kraft gesetzt worden. Das Mittelmeer wurde zur Todeszone, wo selbst das Retten durch ehrenamtliche Initiativen wie z.B. Sea Watch bekämpft und illegalisiert wird. Flüchtlinge werden z.B. in Läger in Libyen zurück gebracht, wo ihnen Folter, Vergewaltigung und schlimmstenfalls der Tod droht. Diese Politik übernimmt Inhalte der extremen Rechten, die ja in manchen Regierungen der EU-Länder maßgebend sind. Die ver.di-Linke NRW setzt sich für offene Grenzen ein und fordert die vollständige Wiederherstellung des Asylrechtes. Stopp der Abschiebungen!

Was lernen wir aus der Corona-Pandemie?

Die Corona-Pandemie verdeutlicht als Ausnahmezustand gesellschaftlicher „Normalität“ auf welche Menschen und Berufsgruppen es in einer solchen Krise wirklich ankommt. ver.di engagiert sich als konsequente Interessenvertretung abhängig Beschäftigter und hat erreicht:

  • eine 1.500-Euro-Prämie für Altenpfleger*innen,
  • einige tarifliche Aufstockungen des Kurzarbeitergeldes
  • eine gesetzliche Erhöhung des Kurzarbeitergeldes.

Damit wird denen gedankt, die durch ihre Arbeit dafür sorgen, dass aus der Krise keine Katastrophe wird. Das ist weit mehr als Beifall spenden aber dennoch: System infrage stellende Kommentare fehlen!

Während Erwerbslose, Geringverdienende, Minijobber*innen, Leiharbeiter*innen, Teilzeitbeschäftigte, Werkvertragsnehmer*innen und Soloselbstständige zu den Opfern der Krise gehören, sind sich umgekehrt Arbeitgeber nicht zu schade, längere Arbeitszeiten, kürzere Ruhezeiten und schlechtere Arbeitsbedingungen (alles in der Covid-19- Arbeitszeitverordnung erlaubt) als Modell für die Nach-Corona-Zeit als Standard zu fordern.

Progressive und klassenkämpferische Gewerkschaftsarbeit ist gefragt

Gewerkschaften versagen, wenn sie an Sozialpartnerschaft und Standortpolitik festhalten. Handlungsfähige Gewerkschaften müssen die Interessen ihrer Mitglieder vertreten anstatt in Kungelrunden ihre Hand für die Verabschiedung von Sozialabbau, Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge zu reichen. Das gilt auch in Corona-Zeiten.

https://www.gewerkschaftsforum.de

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

——————————————————————-

Grafikquellen   :

Oben        —        Parteitag der Linkspartei in Bonn. 2. Tagung des 6. Parteitages der Partei DIE LINKE, 22. und 23. Februar 2019, Bonn.

Abgelegt unter Gewerkschaften, Mensch, Nordrhein-Westfalen, Umwelt | Keine Kommentare »

Ein Linker Wahlvorschlag

Erstellt von Redaktion am 16. Februar 2021

Antikapitalistische Kandidat*innen in den Parteivorstand

Quelle       :        AKL  

Wahlvorschlag aus der AKL

Demnächst wird der neue Parteivorstand der LINKEN gewählt.

Die Antikapitalistische Linke wirbt dafür, Kandidat*innen zu wählen, die sich konsequent für die Umsetzung des Parteiprogramms und einen ökologischen und sozialistischen Umbau der Gesellschaft einsetzen.

Der Kapitalismus befindet sich in einer tiefen Krise und DIE LINKE sollte nicht auf Regierungsbeteiligungen mit Parteien schielen, die Auslandseinsätze, Aufrüstung und Hartz IV verantworten, sondern aus der Opposition heraus Verbesserungen erstreiten und die Systemfrage stellen. Angesichts der Verwerfungen der Krise, die die Monopolisierung des Kapitals und obszönen Reichtum befördert, die Ausbeutung der Arbeiter*innen verschärft und immer mehr Menschen weltweit und auch in den reichen Industrienationen in die Armut treibt, brauchen wir mehr denn je eine Partei, die den Kapitalismus in Frage stellt und für eine sozialistische Gesellschaft im Interesse von Mensch und Natur eintritt.

Wir wünschen uns in dem Parteivorstand Mitglieder, die den Willen der breiten Mitgliedschaft ausdrücken und die Vorherrschaft der Parlamentsfraktionen zurück drängen, die in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen verankert sind und Gegenmacht aufbauen gegen die Herrschaft des Kapitals.

Wir empfehlen Euch die Kandidat*innen der AKL Thies Gleiss und Inge Höger und darüber hinaus alle antikapitalistisch und bewegungsorientierten Genossinnen und Genossen. Kontaktiert uns gern, wenn ihr euch mit uns über unsere weiteren Wahlvorschläge austauschen wollt.

*********************************************************

Artikel und Foto von der AKL-Seite  übernommen!

Abgelegt unter Gewerkschaften, Kultur, Nordrhein-Westfalen, P. DIE LINKE | Keine Kommentare »

Neues von der Saar/Teil 2

Erstellt von Redaktion am 6. Februar 2021

Angriffe auf die Überflieger Heinz Bierbaum und Oskar Lafontaine

File:Die Linke Flagge Fahne (12269637584).jpg

Aber, Sieger singen normal, besonders wenn es um Großmäulige Gegner geht. Also das Saarland möge es versuchen :
“ So sehn Sieger aus tralleralalla, so sehn Sieger aus tralletralalla.“

Von Jörg Fischer und Daniel Kirch

Thomas Lutze findet es gut, dass die „Pensionäre“ im Vorstand zurückgetreten sind. Selbst Oskar Lafontaine wird innerparteilich nicht mehr geschont.

Der Machtkampf bei den saarländischen Linken ist entschieden: Die Gruppe um Partei-Vize Andreas Neumann und den Bundestagsabgeordneten und Saarbrücker Kreischef Thomas Lutze hat sich durchgesetzt, ihre Gegner um die zurückgetretenen Landesvorstandsmitglieder Heinz Bierbaum, Leo Stefan Schmitt und Elmar Seiwert, die der Landtagsfraktion und Oskar Lafontaine nahestehen, haben sich resigniert von der Landesebene zurückgezogen.

Lutze begrüßte, dass Bierbaum, Schmitt und Seiwert ihre Posten aufgegeben haben. „Drei Pensionäre gehen in Rente. Gut so, das haben sie sich verdient“, erklärte Lutze. „Man kann vielleicht nicht jeden integrieren.“ Bierbaum warf er vor, dieser betreibe „Hinterzimmerpolitik“ und wolle „die Partei kaputt machen, weil er mit sich und seiner Rolle unzufrieden ist“. Erst sei er bei der Landtagsfraktion „rausgekegelt“ worden und jetzt nicht mehr im Bundesvorstand. „Da bleibt nur noch Nachtreten, und das noch gegen die Falschen.“

Quelle     :      Saarbrücker-Zeitung        >>>>>         weiterlesen


Neues von der Saar /Teil 1

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben    ––      Demonstration gegen die Sichtheitskonferenz 1.2.2014 – München

Licensing

w:en:Creative Commons
attribution share alike
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0

Abgelegt unter Gewerkschaften, P. DIE LINKE, Positionen, Saarland | 3.001 Kommentare »

Bundestagswahl : 2021

Erstellt von Redaktion am 1. Februar 2021

Angela Bankert fordert Sahra Wagenknecht heraus

Bunte Westen 03.jpg

Gewerkschafterin aus Köln kandidiert für Platz 1 der Landesliste NRW

Quelle       :      Scharf  —   Links

Von Edith Bartelmus-Scholich

Am frühen Samstagabend (24.1.21) meldete die überregionale Presse, dass Sahra Wagenknecht wieder über die Landesliste NRW in den Bundestag einziehen möchte. Wenige Stunden vorher hatte der Landesvorstand des größten Linkspartei-Landesverbands mit 15 von 25 Stimmen (60%) diese Absicht Wagenknechts begrüßt.

Am Montagmorgen (26.1.21) war klar, dass Wagenknecht nicht kampflos die Spitze der Landesliste NRW übernehmen wird. Den Funktionsträger*innen der Partei DIE LINKE. NRW ging die Bewerbung von Angela Bankert für Platz 1 der Landesliste zu.

Die Kölnerin Angela Bankert gehört dem Kreisvorstand des mitgliederstärksten Kreisverbands der LINKEN in NRW an und engagiert sich in der Verkehrspolitik. Sie ist vor kurzer Zeit aus hauptamtlicher Gewerkschaftstätigkeit (GEW, Ver.di) in den Ruhestand gewechselt. Diesen füllt sie mit Bewegungsaktivitäten in ihrer Heimatregion. In der Partei ist die Antikapitalistin tief verankert; sie stieß schon 2004 zur WASG und gehörte dort zeitweise dem Landesvorstand an.

Angela Bankert steht für eine internationalistische Linke, die solidarisch zu Geflüchteten verhält und die rechten Massenbewegungen linke Alternativen entgegensetzt. So heißt es in ihrer Bewerbung: Ich stehe gegen Rassismus, Nationalismus, Militarismus und EU-Imperialismus. Das Europa der Finanzakteure und Konzerne zeigt u.a. an seinen Grenzen, welche Werte es vertritt. Ich stehe ohne Wenn und Aber für die Aufnahme von Geflüchteten, solange die Politik der Umweltzerstörung, des Militarismus und Imperialismus die Lebensgrundlagen von Menschen zerstört und sie zu Migration zwingt. Nicht die Geflüchteten verursachen schlechte Löhne, Niedrigrenten oder zu teure Wohnungen. Vielmehr sind das Folgen politischer Entscheidungen, gegen die wir den gemeinsamen Kampf organisieren müssen.“  Bankert möchte breiten Schichten der lohnabhängigen Menschen eine Stimme verleihen und gleichzeitig deren politische Selbsttätigkeit unterstützen. Die Corona-Krise erfordert nach ihrer Auffassung eine Abkehr von der Profitwirtschaft hin zu einer ökosozialistischen Wirtschaftsform. Zur Durchsetzung von Forderungen setzt sie auf den Aufbau von gesellschaftlicher Gegenmacht.

Der Kontrast zu den Positionen, die Sahra Wagenknecht öffentlich vertritt, ist augenfällig. Wagenknecht wird auch in der LINKEN NRW für ihre Positionen in der Migrationspolitik heftig kritisiert. Generell bemängeln große Teile der Landespartei, dass Wagenknecht öffentlich die Positionen der Partei kritisiert, und  dass sie erwartet, dass die Partei, die von ihr kritisierten Positionen revidiert. Ihre Abkehr von einem linken Internationalismus und ihre Verfolgung eines nationalistisch-populistischen Kurses wird von der  Mehrheit der Mitglieder nicht geteilt. Ferner gilt Wagenknecht als basisfern und scheut Zusammenarbeit und Debatten auf Augenhöhe mit den gewählten Gremien der Partei.

Angela Bankert hingegen unterstützt das Konzept einer aktiven, bewegungsorientierten Mitgliederpartei mit demokratischer Kontrolle der Parlamentsfraktionen durch die Partei.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

——————————————————————-

Grafikquellen      :   „Bunte Westen“ protest in Hanover, 16th february 2019

Abgelegt unter Gewerkschaften, Nordrhein-Westfalen, P. DIE LINKE, Saarland | 9 Kommentare »

Aus dem Paradies vertrieben

Erstellt von Redaktion am 1. Januar 2021

Gewerkschaften und Rechtspopulisten

Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin NRW (10582824444).jpg

von Thomas Gesterkamp

Vor allem männliche Arbeiter sympathisieren mit rechten Parteien. Die Gewerkschaften ignorieren das Thema.

Der kalifornische Stadtsoziologe Mike Davis machte schon 2004 auf eine politische Verschiebung in den Vereinigten Staaten aufmerksam. Als John Kerry gegen George W. Bush verlor, belegte er das am Beispiel von West Virginia. In den Appalachen, die die liberale Ostküste vom konservativen „Bible Belt“ trennen, liegt das Zentrum des einst wichtigen Kohlebergbaus – in Europa vergleichbar mit dem Ruhrgebiet, der belgischen Wallonie, Oberschlesien oder Südwales.

West Virginia, analysierte Mike Davis, war in den Vereinigten Staaten lange eine Domäne der Demokraten, doch plötzlich gewannen die Republikaner mit einem Vorsprung von über 10 Prozent. Der Hype um Barack Obama überdeckte den Trend vorübergehend, bei der Wahl von Trump 2016 aber stimmten die altindustriellen Bundesstaaten wieder rechts. Joe Biden, der Kandidat der Demokraten, hat das jetzt vier Jahre später trotz seines Siegs nur ansatzweise stoppen können.

Auch Ohio, Pennsylvania oder Michigan haben von dem Boom im Silicon Valley und anderswo wenig profitiert. Dort und erst recht im konservativen Süden wohnen die Rednecks, wie sie von den intellektuellen Eliten der Küstenregionen verächtlich bezeichnet werden. „Angry white men“ nennt sie der US-Geschlechterforscher Michael Kimmel.

Durch den Wandel zur Dienstleistungsökonomie ausgestoßen aus „ihrer“ Welt machen sie Feministinnen, Homosexuelle, Politiker oder Richterinnen für den Verlust von Privilegien verantwortlich. Die patriarchalen Dividenden sind aufgebraucht, die Arbeiter vertrieben aus dem Paradies vergangener Jahrzehnte.

Donald Trump, obwohl selbst keineswegs deklassiert, traf den Ton dieses Milieus. Die treuesten Anhänger des abgewählten Präsidenten waren und sind weiße Männer mit herkömmlichen Rollenmustern. Akademische Genderdebatten ignorieren sie, fühlen sich aber dennoch diskriminiert: durch Quoten und „affirmative action“, durch staatliche oder betriebliche Programme, die Frauen und Schwarzen bessere berufliche Chancen verschaffen wollen.

„Not am Mann“

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung spricht von der „Not am Mann“, die internationale Forschung vom „double loser“, vom doppelten Verlierer, der weder eine gesicherte Arbeit noch eine feste Partnerin findet.

Arlie Russell Hochschild, Soziologin aus Berkeley, präsentiert in ihrer Untersuchung „Fremd im eigenen Land“ die Ergebnisse von Feldstudien aus der Kleinstadt Lake Charles in Louisiana. New Orleans wurde nach dem Wirbelsturm „Katrina“ überflutet, die petrochemische Industrie am Golf von Mexiko verschmutzt die Umwelt wie nirgendwo sonst in Nordamerika – dennoch leugnen die meisten der von ihr Befragten den Klimawandel. Ähnliche Mentalitäten lassen sich in abgeschwächter Form in der Bundesrepublik Deutschland beobachten.

In der vom Braunkohletagebau geprägten Lausitz ist die Alternative für Deutschland (AfD) längst Volkspartei. Fast die Hälfte der Arbeiter stimmten bei der Landtagswahl in Brandenburg für sie, in Thüringen waren es knapp 40 Prozent.

Doch auch das westliche und saturierte Baden-Württemberg, in dem im kommenden Jahr gewählt wird, ist eine Hochburg der Rechtspopulisten – nicht zuletzt dank der Facharbeiter mit Gewerkschaftsbindung, die in der Autoindustrie oder ihren Zulieferbetrieben beschäftigt sind.

Bild der Warteschlange

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

_________________________________________

Oben           —      Protestkundgebung beim Arbeitnehmerempfang der Landesregierung in Hamm, Datum/Uhrzeit: 22.04.2013 17:46:55

Abgelegt unter Gewerkschaften, P.AfD, P.CDU / CSU, Positionen | Keine Kommentare »

Erklärung zur Klärung

Erstellt von Redaktion am 15. Dezember 2020

 von  Erklärungen der AKL in NRW

2019-04-11 Plenum des Deutschen Bundestages-9706.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Dieter Braeg

Nach der Bedienungsanleitung, heute meist in Deutschchinesisch gehalten, schuf der Unverantwortlich Verantwortliche für diese Welt das Wort Erklärung.  Erst 1484 Jahre nach der Geburt des unbefleckt Empfangenen entdeckte Mensch in Magdeburg  das Wort „erclerung“, das ab 1542 in der heutigen Schreibweise sein Unwesen treibt und nun sogar die AKL in NRW animiert, etwas zu erklären was man anscheinend weder aussagen, behaupten oder beweisen kann.

Unter der Überschrift „Frischer Wind in den Bundestag“ wird nun, neben der Schneekanone, die in den Höhenlagen Europas für jenen Schnee sorgt, der diesen Winter dank Corona und Söder nur von einigen bekloppten Profiskiläuferinnen und Läufern benutzt werden wird, die Windkanone im Bundestag eingeführt. Soll sie da für Hirndurchlüftung oder gar gesellschaftsverändernde Beschlüsse sorgen, die die Arbeitszeit endlich auf 12 Stunden täglich ausweiten lässt, Betriebsräte und deren Wahl immer unmöglicher macht und notwendige Tarifbindungen außer Kraft setzt. Dazu noch ein Unfallförderungsgesetz, das den Coronavirus in der Produktion ungehindert wüten lässt.

„Die Linke tritt“ heißt es am Anfang dieser Erklärung. Im nächsten Satz ist sie „angetreten“ wo bleibt denn da die Marschmusik? Ja, der Kapitalismus ist in eine tiefe Krise geraten, aber wird nicht, etwa in Berlin mit einer ROTrotGrünen Koalition alles getan, um ihn, zusammen mit den „linken“ Helfershelferinnen und Helfern zu reparieren?  Da hilft doch ein Dialog auf Augenhöhe, ein regelmäßiger demokratischer Austausch mit den sozialen Bewegungen und den Kreis- und den Landesverbänden, für die die zukünftigen Abgeordneten kandidieren nicht, denn er hat für jene Parlamentarierinnen und Parlamentarier gesorgt, die jetzt im Bundestag/Landtag NOCH kritische Reden schwingen, sich aber dort, wo sie mitregieren nicht an die  Grundlagen  des gemeinsam verabschiedeten Parteiprogramm halten, das auf Parteitagen beschlossen wurde,  auf denen die Mehrheit  der bezahlten Parteibürokratie bestimmt. Oder sind im Bundestag Frauen und Männer vertreten, die vor ihrem Mandat prekär beschäftigt waren, oder mit HartzIV leben mussten?

Die Forderung die krisenhafte Entwicklung durch Arbeit in den Parlamenten mit Abgeordneten zu realisieren, die nicht an ihren Sesseln kleben, zu verhindern, bleibt Illusion. Derzeit liegt eine LINKE komplett am Boden und außerparlamentarisch findet derzeit ein unglaublicher Rechtsruck statt – angetrieben durch eine “Querdenker“strategie, die jene Bevölkerungsteile mobilisiert, die schon immer dem nationalistischen und fremdenfeindlichen Lager nahestanden.

Wo bleibt und blieb da eine außerparlamentarische Bewegung an deren Spitze LINKE und Gewerkschaften stehen müssten? Da hilft keine Erklärung. Außerdem werden, so ist zu vermuten, kaum jene Frauen und Männer in NRW zu Bundestagsmandaten kommen, die im Sinne dieser „Erklärung“ agieren. Sahra Wagenknecht bekommt doch einen sicheren Platz, obwohl bei ihr die 8-Jahre Frist schon längst abgelaufen ist. Ein Bundestag in dem in seiner Zusammensetzung nicht die Interessenslagen aller Teile einer Gesellschaft vertreten wird, sondern der in Mehrheit aus Beamtinnen und Beamten und Vertreterinnen und Vertretern des „gehobenen“ Bürgertums besteht, von dem  ist nur eine Veränderung im Sinne des Kapitals zu erwarten.

Die Linke Weltpremiere Der junge Karl Marx Berlinale 2017.jpg

Der frische Wind der LINKEN wird da wohl eher ein zaghaft laues Lüftchen bleiben!

Wenn ich nun schon die Tastatur plage, was bitte hat in dieser feinen linken Onlinezeitung die Familie Porsche verloren, samt „Eisrennen“ in Zell am See? Derartige Buchbesprechungen bedürfen inhaltlich auch einer Klärung, nicht Erklärung. Oder wird die Arbeiterklasse demnächst „Eisrennen“ als Hobby betreiben? Ja, eine Definition des Wortes „Erklärung“ ist schwierig, da mit der Zufriedenheit des Adressaten ein sich der Definition entziehender Faktor im Spiel ist.

Ich hab mich mal umgehört, die notwendige „Frischluftmaschine“ die für frischen Wind vom Kommunalparlament bis zum Bundestag sorgen soll, wird nicht mehr hergestellt.

Frohe Botschaft – irgendwann folgt digitaler Ersatz! Bis dahin eine Feststellung, keine Erklärung:

In krisen wie diesen

will das kapital

mit hilfe konservativer meuten

das volk noch mehr ausbeuten

in krisen wie diesen

sitzen  auch sozialisten

auf ihren ärschen

scheinbar nur

um zu herrschen

in krisen wie diesen

sehnen sich unbelehrbare

nach einem neuen starken mann

der als tyrann

für sklavische ordnung sorgen kann

in krisen wie diesen

ist es um den sozial schwachen

egal was er wählt

schlecht bestellt

in krisen wie diesen

werden vor allem

hilflose proleten

zur kasse gebeten

in krisen wie diesen

ist den sozialdemokraten

dringendst anzuraten

statt vertröstungssätzen

taten zu setzen

denn in krisen wie diesen

ahnt schon jedes kind

daß sie nur das geringste übel sind.

Gebet der Bundestagsabgeordneten

O Weisheit, rüste mich mit Kraft,

dass meine Stimm mir Nutzen schafft

auf meinem Konto, Schul’ und Staate;

und da mein Wissen Stückwerk ist,

so gib, dass ich zu aller Frist

das beste – wenigstens errate….

Dieter Braeg

Frischer Wind in den Bundestag – 09-12-20 20:57

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

Grafikquellen        :

Oben       —       Abstimmung im Plenum des Deutschen Bundesatges am 11. April 2019 in Berlin.

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, Kultur, P. DIE LINKE | Keine Kommentare »

Verlorene Generationen

Erstellt von Redaktion am 18. November 2020

Die verlorenen Generationen der 80-ger Jahre

Ein Beitrag von Jimmy Bulanik

Die Epoche des so bezeichneten Strukturwandels im negativen Sinne muss zeitnah enden. Sie dauert bereits viel zu lange. Sichtbar wurde dies in der Mitte der achtziger Jahre.

Damals wurde am Weststreifen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Belgien, Luxemburg, Frankreich bis hin zur Schweiz betroffen. Dies traf viele Millionen von Menschen. Die Menschen in der Schwerindustrie beispielsweise.

Die Eheleute wurden unmittelbar betroffen. Erschwerend die Kinder. Gerade wenn es deren Lebensqualität tangiert und deren Versuche des sozialen Aufstieg.

Sie waren und sind in der Armut gefangen. Mit der angeblichen falschen Postleitzahl, der angeblich falschen Stadtteil, der angeblich falschen Straße. Bei machen obendrein noch die falschen Nachnamen wenn diese nach einer anderen Abstammung klingen.

Die Armut hat sich durch die Zeit erweitert. Weitere Generationen wurde in die Verelendung geboren. Auch Betriebe welche in der ökonomischen Verkettung gearbeitet haben wurden getroffen.

Ganze Stadtteile und Kommunen wurden schwer getroffen. Die Politik und die Betriebe glänzen durch Untätigkeit. Den Menschen in diesen Lebensräumen wurde keine neue Industrien als Ausgleich gegeben.

Die öffentliche Daseinsvorsorge als ganzes nahm sichtbaren Schaden. Der Wohnungsmarkt und der Arbeitsmarkt ist seitdem nicht mehr funktional. Was ganz unmittelbar die Millionen von Menschen in mehreren Ländern betroffen hat, ist die Entwertung der humanen Wertschöpfung per Räson.

Die Gesellschaft des Mittelstandes wurde immer weiter abgebaut. Dadurch auch die Betriebe für den Mittelstand. In der Bundesrepublik Deutschland können als Beispiel „Karstadt“, „Tengelmann“, „Neckermann“ benannt werden.

In den öffentlichen Stadtbildern entstanden überall Discounter bis hin zu Restposten Geschäfte. Im Laufe der Jahre gingen alle Segmente einer Gesellschaft zu diesen Discounter Betriebe einkaufen. Die Sicherheit in der Öffentlichkeit veränderte sich bemerkbar negativ.

Die Menschen mit ihrer gedemütigten Menschenwürde mussten ohnmächtig Phänomene konstatieren. Diese haben sie nicht verursacht. Darunter kann benannt werden Zusammenbrüche bei Kreditinstitute, die Börsen der Welt, Kapitalverbrechen in Form von Terror. Daraus entstanden heiße Kriege.

SorryCamp3.jpg

Jede wirksame Investition durch die Politik und Wirtschaft ist in den sozialen Frieden ist sinnig

Trotz der Europäischen Union innerhalb des Europäischen Kontinentes als auch außerhalb. Die Schattenseiten der Globalisierung traf die Menschen erschwerend. Die politische Landschaften veränderten sich weltweit negativ.

Neue, rechtsextreme Organisationen nutzen die Gesamtlage als Geschäftskonzept. Die Stimmung in den Ländern wurden vergiftet. Die Gewalt der extremen Rechten betraf auch konservative Politiker.

Ob verbale Angriffe, der Versuche von Kapitalverbrechen wie Mord als auch vollendete Kapitalverbrechen wie Mord an Politiker. Das was eine Gesellschaft noch etwas zusammengehalten hat sind funktionale Organe in der Rechtspflege. Doch Menschen in der Justiz sind nicht für das Schreiben von besseren Gesetzen verantwortlich.

Was die Menschen auf internationaler Ebene brauchen sind Vernunft in der Ökonomie und Politik. Eine Räson welche sich auszeichnet durch Ökologie, sozialer Gerechtigkeit. Die bereits bekannten Ausmaße der Gegenwart haben die Größenordnungen und Auswirkungen von Kriegen.

Deshalb braucht es die Erhebung der Lebensqualität. Die notwendigen Maßnahmen sind auch jene wie nach einem Aufbau wie nach einem Krieg. Investitionen sind notwendig.

Faktisch ist Europa ein Ort für Baustellen. Dabei sollte allen Menschen bekannt sein das die Politik es braucht das die Zivilgesellschaft sich bemerkbar macht. Auch mit der Ökonomie muss dahingehend Kommunikation aufgenommen werden.

Die Botschaft muss darin lauten das die Menschen mit ihrer Würde und Wertschöpfung im Zentrum stehen. Es gibt bereits auf dem Globus zu viele verlorene Generationen. Die Zukunft ist von Herausforderungen geprägt.

Darin gibt es nichts zu verschwenden. Über die Profite hinaus geht es in der Zukunft um die eigene Rolle in der Welt. Damit verbunden ist ob wir in einer tatsächlichen sozialen Marktwirtschaft oder demokratisch verfassten Land leben werden.

Die Zukunft ist offen und wird das werden, was wir in der Gegenwart daraus gestalten. Dies darf die Zivilgesellschaft als auch demokratische politische Parteien in den Verfassungsorganen als Auftrag verstehen. Es gibt viel gutes zu Gewinnen.

Nützlicher Link im Internet:

Ludwig von Beethoven, 9. Sinfonie – Ode an die Freude

——————————————————————-

Grafikquellen  :

Oben        —       Sorry Day poster

———————————–

Unten       —        Camp in front of Old Parliament House for Apology to the Stolen Generations

Abgelegt unter Gewerkschaften, International, Religionen, Schicksale | Keine Kommentare »

Deutschland in der EU

Erstellt von Redaktion am 17. November 2020

 Führender Arbeits-Unrechts-Staat

Schnerkel.jpg

Quelle        :        NachDenkSeiten

Von  Werner Rügemer

In seinem jetzt veröffentlichten Buch „EU-Imperium: ArbeitsUnrecht, Krise, neue Gegenwehr“ schildert Werner Rügemer die Organisation des ArbeitsUnrechts in der EU seit den Vorstufen in den 1950er Jahren (Montanunion, EG, EWG): Akteure wie Jean Monnet (US-Banker, bis heute gefeierter „Gründervater Europas“), Walter Hallstein (NS-Jurist, erster Präsident der Europäischen Kommission), Jean-Claude Juncker (Regierungschef der größten Finanzoase in der EU, Kommissionspräsident), Grundlagentexte, Richtlinien, Subventionspraktiken, Gerichtsurteile, Komplizenschaft und Vollzugsdefizite in Justiz und Kontrollbehörden. Im Vorwort geht Rügemer auf den Klassencharakter der vorherrschenden Ideologie ein. Im 2. Teil des Buches schildert Rügemer weithin unbekannte Formen sowohl des ArbeitsUnrechts wie auch neuer Gegenwehr in einem Dutzend EU-Mitglieds-, Anwärter- und assoziierter Staaten wie Spanien, Kroatien, Ungarn, Polen, Litauen, Österreich, Skandinavien, Schweiz und Nordmazedonien. Die NachDenkSeiten veröffentlichen das Kapitel über Deutschland als führenden ArbeitsUnrechts-Staat in der EU.

Der deutsche Arbeitnehmer: fremdbestimmt, persönlich abhängig

Die Bundesrepublik Deutschland entwickelte sich ab 1990 durch die Übernahme der ehemaligen DDR zum führenden ArbeitsUnrechts-Staat in der EU.

„Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet.“ So heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) § 611a Arbeitsvertrag.

Ist das deutlich genug? Sozialpartnerschaft? Freiheit? Nein. Wenn es rechtlich und täglich im kapitalistischen Unternehmen hart auf hart kommt, entpuppt sich der Kern: Der „Arbeitnehmer“ ist „fremdbestimmt“, „weisungsgebunden“ und „persönlich abhängig“, arbeitet „im Dienste eines anderen“.

Grundgesetz: Tierschutz ja, Arbeitsschutz nein

Das Grundgesetz 1949 der Bundesrepublik Deutschland fiel hinter Arbeits-Standards zurück, die in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg erreicht worden waren. Im Grundgesetz fehlen alle Bestimmungen aus der Weimarer Verfassung zu Gewerkschaftsrechten, Betriebsräten, Meinungsfreiheit im Unternehmen, gleicher Lohn für Frau und Mann. Hinsichtlich des Arbeitsrechts ist also die Behauptung, das Grundgesetz habe sich an der Weimarer Verfassung orientiert, eine Lüge.[1] Später wurden zeitgeistig-populistisch Umwelt- und Tierschutz aufgenommen, aber nicht der Schutz der Arbeitenden am Arbeitsplatz.[2]

Wirtschaftsverfassung: Feige und rechtsbrüchig ausgeklammert

Die nach dem Krieg von Gewerkschaften und auch der britischen Militärregierung geforderten Wirtschaftskammern, in denen Unternehmer und Beschäftigte gleichberechtigt vertreten sein sollten, wurden von den USA abgelehnt. Aus Feigheit wurde das Thema im Grundgesetz ausgeklammert. 1956 beschloss die Adenauer-Regierung das Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern. Alle Unternehmen, auch die allerkleinsten, sind Zwangsmitglieder: Zwangsbürokratie ist also mit „freier Marktwirtschaft“ vereinbar. Gleichzeitig bleibt die große Mehrheit der in Industrie- und Handel Tätigen, die abhängig Beschäftigten, ausgesperrt. Das Gesetz war als vorläufig gedacht. Die endgültige Regelung sollte später kommen – aber feige und rechtsbrüchig haben alle Bundesregierungen dies verhindert. So gilt die Vorläufigkeit auch 64 Jahre später immer noch: Eine ewige Vorläufigkeit. Unrechts-Staat.[3]

Keine Entschädigung für Zwangsarbeiter

Die Bundesrepublik machte sich zum Nachfolgestaat des NS-Staates. Aber zu Entschädigungen für die Millionen Zwangsarbeiter und zur Rückgabe von arisiertem Eigentum – im Grundgesetz kein Wort. Arisiertes Eigentum wurde nur in wenigen und nur in individuellen Einzelfällen zurückgegeben oder teilweise entschädigt, aber vor allem nicht bei großen Unternehmen. Zudem hat nur Druck aus dem Ausland dies bewirkt. Arisierte Kunst steht immer noch in deutschen Museen, meist versteckt im Depot.

Verfassungsbruch mit der Ex-DDR

Laut Einigungsvertrag von 1990 muss die Bundesrepublik ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch beschließen. Ein solches gab es in der DDR, während die BRD die Arbeitsrechte auf drei Dutzend verschiedene, zu verschiednen Zeiten und Bedingungen beschlossene Arbeitsgesetze verstreut hatte (Betriebs-Verfassungs-Gesetz/BetrVG, Mitbestimmung, Kündigung, Arbeitszeit, Behinderung, Hartz I bis IV…) und immer noch hat. 30 Jahren später gibt es das Arbeitsgesetzbuch immer noch nicht. Und die abhängig Beschäftigten im eroberten Gebiet Ostdeutschland werden immer noch schlechter bezahlt als in Westdeutschland: Mit Qualifikation, mit Arbeitsleistung und mit Gleichheit vor dem Gesetz hat das nichts zu tun: Ostdeutschland ist eine modernisierte Kolonie innerhalb Deutschlands. Ebenso sind die über eine Million Beschäftigten kirchlicher Unternehmen sowie Beamte von allgemeinen Arbeitsrechten ausgenommen.

Die Vier Hartz-Gesetze: Verrechtlichtes ArbeitsUnrecht

Deutschland führt in der EU bei der Verrechtlichung des ArbeitsUnrechts. Dies begann systematisch ab 2004 erneut mit den vier Hartz-Gesetzen zu Niedriglohn-, Teilzeit- und befristeten Jobs, zu erweiterter Leiharbeit, dann zum noch niedrigeren Status des Werkvertrags. Dazu gehört die drastische Bestrafung der Arbeitslosen bis hin zum Entzug des Arbeitslosengeldes, verbunden mit dem Zwang, auch schlecht bezahlte und weit entfernte Arbeit anzunehmen, selbst wenn sie nur kurzfristig ist. Unter der Arbeitsministerin von der Leyen wurde den Arbeitslosen noch der Beitrag zur Rente gestrichen. Deutschland schuf so den größten ArbeitsUnrechts-, Niedriglohn- und Niedrig-Rentensektor in der EU.

File:Protest - "Hartz 4 macht nackig".JPG

Namensgeber Peter Hartz war SPD-Mitglied und Funktionär der IG Metall. Er leitete im Auftrag der SPD-geführten Bundesregierung die Kommission, die mit McKinsey die Hartz-Gesetze entwarf. Im Vorstand des VW-Konzerns hatte Hartz mithilfe systemischer Korruption der Betriebsratsspitze die Niedriglöhnerei im Autokonzern eingeführt.[4]

Die Regelungen wurden in andere EU-Staaten wie Frankreich, Belgien, Spanien, Italien, Griechenland und Osteuropa übernommen.[5]

Die Amerikanisierung der Arbeitsverhältnisse

Die Hartz-Gesetze waren am US-Vorbild des job orientiert:[6] Freie Verfügung des Unternehmers über die abhängige Arbeitskraft, „fremdbestimmt, persönlich abhängig, im Dienste eines anderen“ (BGB).

Seit den 1970er Jahren haben extrem gewerkschaftsfeindliche US-Unternehmen wie UPS und McDonald’s die Bundesrepublik als Einstiegs-Standort für ihre Expansion in der EU genutzt. Kein anderer EU-Staat hat in solchem Umfang wie die Bundesrepublik die professionelle Dienstleistung des Union Busting – Verhindern und Behindern von Betriebsräten – aus den USA übernommen. US-Kanzleien wie Allen & Overy, Hogan Lovells, Freshfields und DLA Piper unterhalten dazu in Deutschland eigene Abteilungen, deutsche Kanzleien wie CMS Hasche Sigle und Kliemt&Vollstädt übernahmen die Methoden.

Mindestlohn, Überstunden: Millionenfach nicht bezahlt

Deutschland führte als der letzte wichtige EU-Staat den gesetzlichen Mindestlohn ein, zudem im Verhältnis zur Kaufkraft in niedriger Höhe. Und zudem lassen es Justiz und Regierungen zu, dass der Mindestlohn von Unternehmern millionenfach nicht gezahlt oder unterlaufen wird, straflos. Auch die etwa eine Milliarde unbezahlte Überstunden pro Jahr können sich die Unternehmer straflos als jährliches erpresstes Milliarden-Geschenk aneignen.[7]

Führend bei der Benachteiligung von Frauen

Trotz bzw. wegen des modischen Hypes für „Frauenrechte“ und der Aushängefigur der weiblichen Regierungschefin sind Frauen im deutschen Arbeitsleben besonders benachteiligt. Sie bilden die große Mehrheit der prekär Beschäftigten und der erzwungen Unter-Beschäftigten (unfreiwillige Teilzeit-Arbeit und Arbeit auf Abruf).

Bei der Ungleichheit der Arbeitseinkommen stehen deutsche Frauen mit 20,5 Prozent niedrigerem Einkommen an 26. Stelle der 28 EU-Staaten; nur in Tschechien und Estland sind die Frauen-Einkommen noch niedriger.[8]

Ebenfalls liegen deutsche Frauen beim Anteil in Führungspositionen nur im unteren EU-Drittel.[9]

Deutschland: Der „Schweinestall Europas“

Das verrechtlichte ArbeitsUnrecht ist offen hin zu verschiedenen Formen der Kriminalität, wie sich beim straflosen Nichtbezahlen des niedrigen Mindestlohns zeigt. Deutschland wurde mit EU-Beihilfen zum Führungsstaat bei der Mehrfachausbeutung von Fleischarbeitern: Betrügerische Werkverträge (gefakete Leiharbeit); gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen; unbezahlte Überstunden; Abzüge für Vermittlungskosten, Fehlverhalten, Transporte und überhöhte Mieten (Mietwucher): modernisierte Sklaverei. Die Betroffenen bleiben angstvoll stumm und wagen nicht, vor Gericht zu gehen.

Politische Trüffelschweine

Bis zu 80 Prozent der Beschäftigten sind Werkvertragler. Marktführer Tönnies bezog sie aktuell von mindestens 12 verschiedenen Vermittlern. Die Arbeiter kommen aus den durch die EU verarmten Staaten: Hohe Arbeitslosigkeit, niedrigste Niedrig- und Mindestlöhne, in Moldau 200 Euro im Monat. Sie kommen oft für zwei, drei Jahre, dann werden sie erschöpft ausgetauscht.[10]

So rückte Deutschland zum „Schweinestall Europas“ auf, wie die Unternehmer-Postille Handelsblatt schrieb.[11] Deshalb gründeten die Schlachtkonzerne Vion aus den Niederlanden und Danish Crown aus Dänemark im führenden ArbeitsUnrechts-Paradies große Schlachthäuser – zuhause sind die deutschen Praktiken verboten. Deutschland, von der EU gefördert, zog das ArbeitsUnrecht an und wurde nach den USA der größte Exporteur von Billigfleisch.

Minimaler Gesetzesvollzug: Nur 1,3 Prozent Betriebsräte

Eine andere Form des verrechtlichten Unrechts ist die massenhafte Nicht-Umsetzung von Gesetzen, wie schon beim Mindestlohn. „Mit in der Regel mindestens 5 ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern werden Betriebsräte gewählt“ heißt es in § 1 des BetrVG. In Deutschland gibt es 2,16 Millionen Betriebe mit über 10 Beschäftigten: Wenn wir diese zugrundelegen (und nicht schon die Betriebe ab 5 Beschäftigten), dann stellen die 26.000 bei der letzten BR-Wahl im Jahr 2018 zustande gekommenen Betriebsrats-Gremien[12] lediglich 1,3 Prozent dar.

Vor allem in der Auto- und Pharmaindustrie werden die Betriebsrats-Vorsitzenden durch hohe Managergehälter korrumpiert (Siehe das Hartz-System bei VW). Und eine hochbezahlte Union Busting-Dienstleistungsbranche ist auf die Be- und Verhinderung der anderen, kämpferischen Betriebsräte angesetzt. So bleibt vom guten Gesetz wenig übrig.

Die Be- und Verhinderung von Betriebsräten durch Unternehmer und ihre Beauftragten ist nach § 119 BetrVG eine Straftat: Sie steht einsam an der Spitze der von der Justiz nicht verfolgten Straftaten.[13] Das BetrVG unterliegt einem ähnlichen Vollzugsdefizit wie der sexuelle Missbrauch in der (systemrelevanten) Katholischen Kirche.

Keine Meinungsfreiheit für abhängig Beschäftigte

In den Unternehmen herrscht keine Meinungsfreiheit, sondern erpresstes Schweigen. Auch Whistleblower (Hinweisgeber) haben keinen Schutz, ein Gesetz dazu existiert in Deutschland trotz jahrzehntelanger Forderungen immer noch nicht.

Selbst wer gerichtsfest belegte Betrügereien der Geschäftsführung an die Staatsanwaltschaft meldet, kann rechtskonform wegen Störung des Betriebsfriedens gekündigt werden. Vor den Arbeitsgerichten gilt hier „der Schutz von Geschäftsgeheimnissen“ und die obrigkeitsstaatliche „Treuepflicht des Arbeitnehmers“.[14]

Die Bundesrepublik ist der einzige EU-Staat, der 1972 mit einem formellen „Radikalenerlass“ 3,5 Millionen öffentliche Angestellte – oder solche, die es werden wollten – durch den Inlandsgeheimdienst wegen vermutetem „Linksextremismus“ überprüfen ließ, 1.250 Personen nicht in den öffentlichen Dienst übernahm und 250 entließ. Das gegenteilige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird in Deutschland nicht beachtet.

Aufbrüche gegen Ausbeutung und Entrechtung

Deshalb sind bisher Aufbrüche in größerem Umfang und mit längerfristiger Wirkung kaum möglich. Wichtige Ansätze sind etwa die konzentrierten, von verdi organisierten, auch internationalisierten Kämpfe gegen den Gewerkschaftshasser Amazon[15] und die Streiks von Krankenhausbeschäftigten für mehr Stellen unter dem Motto „Mehr von uns ist besser für alle“.[16]

Die Aktion gegen ArbeitsUnrecht unterstützt und dokumentiert die heute teilweise zu gefährlichen Abenteuern gewordenen Wahlen zu Betriebsräten, vor allem in Bereichen, in denen Gewerkschaften kaum präsent sind, etwa bei Essenslieferdiensten und Supermarktketten. Die Aktion gegen ArbeitsUnrecht hat durch ihren bundesweiten Kampagnentag „Schwarzer Freitag der 13.“, der 2019 gegen den Fleischkonzern Tönnies gerichtet war, zu dessen Entlarvung als besonders krimineller Ausbeuter beigetragen.[17]

Werner Rügemer: EU-Imperium: ArbeitsUnrecht, Krise, neue Gegenwehr. Papyrossa-Verlag Köln 2020, 320 Seiten, 19,90 Euro

[«1] Vgl. Isaf Gün u.a. (Hg.): Gegenmacht statt Ohnmacht. 100 Jahre Betriebsverfassungsgesetz, Hamburg 2020

[«2] Werner Rügemer: Arbeitsrechte? Die Blindstelle im Grundgesetz, arbeitsunrecht.de 23.5.2019

[«3] Werner Rügemer: Kölner IHK lässt Kammer-Kritiker überwachen, arbeitsunrecht.de 6.12.2017

[«4] Werner Rügemer/Elmar Wigand: Die Fertigmacher. ArbeitsUnrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung, 3. aktualisierte Auflage, Köln 2017, S. 177f.

[«5] Werner Rügemer: Travail et Non-Travail dans l’Union Européenne, in: Les Possibles 11/2016 (attac Frankreich)

[«6] Peter Hartz: Job-Revolution. Wie wir neue Arbeitsplätze bekommen können. Frankfurt/Main 2001

[«7] Werner Rügemer: Unternehmer als straflose Rechtsbrecher, in: K.-J. Bruder u.a. (Hg.): Gesellschaftliche Spaltungen, Gießen 2018, S. 207-222

[«8] Eurostat: Pressemitteilung 38/2018 zum Internationalen Frauentag, 7.3.2018

[«9] Frauen in Führungsetagen: Deutschland unter EU-Durchschnitt, destatis.de/Europa, abgerufen 22.6.2020

[«10] Werner Rügemer: Das System Tönnies muss gestoppt werden! arbeitsunrecht.de 12.9.2020

[«11] Fleischbranche vor Zeitenwende, Handelsblatt 24.6.2020

[«12] Betriebsratswahlen erleichtern, aktive Beschäftigte besser schützen, Deutscher Bundestag Drucksache 19/1710, 18.4.2018

[«13] Rügemer/Wigand: Die Fertigmacher, S. 48ff.

[«14] Hinweisgeberschutz: transparency.de/themen/hinweisgeberschutz/, abgerufen 22.6.2020

[«15] Sieben Jahre Streiks: verdi erneuert Kampfansage gegen Amazon, heise.de 14.5.2020

[«16] Mehr von uns ist besser für alle, klinikpersonal-entlasten.verdi.de

[«17] Rügemer: Das System Tönnies a.a.O. sowie weitere Berichte dazu auf diesem blog

Freigabe durch die Nachdenkseiten durch Herrn Jens Berger zur Veröffentlichung liegt mir vor. Freundlichen Gruß   Wolfgang

————————————————————————–

Grafikquellen            :

Oben      — Angela Merkel

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Deutschland_DE, Gewerkschaften, Kultur | Keine Kommentare »

Liebe Campact-Funktionäre,

Erstellt von Redaktion am 6. November 2020

Offener Brief an Campact

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Volker Ritter

Liebe Campact-Funktionäre,

ich finde es durchaus spannend, wie ihr erst ein Reich des Bösen beschwört und dabei über Trump und „Hygienedemos“ bis zur AfD ausholt, nur um am Ende um Spenden für eure Jobs zu betteln.

Um es mal klar zu sagen: Kampangen kann die Zivilgesellschaft auch ohne dass ihr als Profis die Fähnchen und die gesteuerte PR liefert. Sogar viel besser und authentischer als eure Firma.

Gern nehme ich aber inhaltlich zu eurem Text Stellung. Fangen wir mit Trump an. Die Behauptung, ein kritischer, aufgeklärter Geist würde auf Joe Biden hoffen ist nun wirklich blanker Unsinn – obwohl es auf euer gutsituiertes Spendenpublikum durchaus zutreffen könnte. Ich mache mir hier keineswegs Sorgen um Kabarettisten, die nach dem BER nun ein weiteres Thema verlieren könnten. Aber welche Person die Klassenherrschaft in den USA als Präsident verwaltet, macht keinen so fundamentalen Unterschied, wie euer Brief nahe legt. Im Gegenteil würde es ganz hervorragende Kampagnenideen schaffen, wenn sich Trump mit der Justiz erneut eine Präsidentschaft gegen die Mehrheit durch das US-Wahlrecht verschafft. In GPU-Lizenz liefere ich euch mal die Kampagnenzeilen: Gerechtigkeit bei Sanktionen – kein Unterschied zwischen Trump und Lukaschenko! Oder: Endlich raus aus der NATO! Denn ehrlich gesagt sehe ich als Lohnabhängiger keinen Grund, irgendeinen der imperialistischen Konkurrenten zu unterstützen. Weder die USA, noch die EU oder Russland oder die VR China. Wie im ersten Weltkrieg ist das Ergebnis absehbar. Trotzdem verstehe ich natürlich Putins Interesse an Trump.

Ihr seit dann im Text ja über die Brust ins Auge zur Innenpolitik gekommen. Da mache ich zunächst einen kleinen Einschub zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den ihr eher am Ende erwähnt. Okay, wenn Pegida von Lügenpresse kreischt, wertet dies den ÖRR auf. Der ÖRR ist auch wesentlich besser als irgendwelche Privaten. Trotzdem sitzen in den Rundfunkräten Parteien mit Regierungsabsicht oder fundamentalistische Christen, die Abtreibung für eine Erfindung des Teufels halten. Die Interessen unterscheiden sich durchaus von denen der Aktionäre bei RTL, aber so richtig zivil würde ich das nicht nennen. Deshalb gab es in vergangenen Jahrzehnten den Ruf nach Bürgermedien, die inzwischen leider nur noch als Bloggs oder Tweets oder irgendwas auftauchen – jedenfalls individuell und ohne kollektive Kontrolle.

Es gab auch kommerzialisierte Projekte, wie Campakt. Und Kommerz verpasst natürlich eine soziale Bewegung. Das gilt leider für weiter Teile antikapitalistischer Kräfte und zu eurem Statement zu “Hygienedemos“. Hier sei erwähnt, dass auch ich schon mal zusammen mit Nazis demonstriert habe. Vor 40 Jahren waren damals auch Ludendorffer gegen AKWs, weil sie um ein „arisches“ Erbgut fürchteten. Die AKWs wurden dadurch nicht besser und wir waren trotzdem vor Ort, um an den Bauzäunen zu rütteln. Die ÖRRs bekennen heute beschämt, damals hätten sie Anti-AKW-Proteste wohl doch etwas einseitig und propagandistisch dargestellt. Leider wiederhohlt sich dies beim aktuellen Notstandsregime. Nur glaubt heute auch eine Linke, wir müssten alle gemeinsam gegen einen Virus ins Feld ziehen, wie einst des Kaisers Soldaten gegen Franzosen oder einen bösen Zaren. So verpasst auch eine Linke den Einfluss auf eine soziale Bewegung, die den staatlich verordneten Notstand nicht fressen mag. Somit kommen wir zu Covid-19 und der Mär über Nazis oder Impfgegnern (nicht unterschieden von Impfpflichtgegnern) die allein einer vernüftigen, staatstragenden Politik entgegenstehen.

1. Mai 2019 in Hamburg Arbeiter fprdern 12 Euro Mindestlohn.JPG

Gerade erklärt die WHO, die Sterblichkeit bei Covid-19 läge weltweit zwischen 0,2 und 3 Prozent. Also tatsächlich im Bereich einer Grippe. Die selbe WHO übrigens, der Verschwörungstheoretiker völlig zu Recht nachsagen, finanziell von der Gates-Stiftung abhängig zu sein. Ein staatlicher Notstand mit sinnfreien (weil gegen Viren nutzlosen) Lappen im Gesicht ist so nicht erkennbar. Dagegen erkenne ich eine puritanische Moral, nach der Lohnabhängige nur Arbeiten und Konsumieren sollen. Alles, was Spass macht, passt nicht in die Klassenherrschaft. Schon gar nicht Fragen, ob mit dem Klimawandel oder der globalen Arbeitsteilung die nächste Pandemie oder die nächste Katastrophe bereits vor der Tür steht.

Campact hilft da offenbar wenig und ich werde eure Jobs ganz sicher nicht mit Spenden sichern!

Beste Grüße
Volker Ritter, ver.di-Landeserwerbslosenausschuss Nds./HBUrheberrecht

Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/

—————————————————————————————

Grafikquellen   :

Oben        —  

Demonstration am 10. Oktober 2015 in Berlin für einen gerechten Welthandel, gegen TTIP und CETA

Abgelegt unter Campact, Gewerkschaften, Kultur, Medien | Keine Kommentare »

KI-Kapitalismus: Geister

Erstellt von Redaktion am 3. Oktober 2020

Was es bedeutet, Geistesarbeiter-In im agilen Environments zu sein

Les esprits des villes mortes (NYPL b12391416-498527).jpg

Quelle     :        Berliner-Gazette

Von Timo Daum

Die Werte und Prinzipien, die das “Manifest für Agile Softwareentwicklung” propagiert, modellieren Geistesarbeiter*innen, die in allen Lebenslagen intellektuellen Mehrwert generieren sollen. Dabei macht die totale Instrumentalisierung der geistigen Arbeit aus ihren Subjekten exakt in dem Augenblick Gespenster des Kapitals, wenn KI alle Prozesse zum reibungslosen Fließen bringt. Berliner Gazette-Autor Timo Daum unternimmt eine kritische Bestandsaufnahme.

Software wird heutzutage meist mit agilen Methoden entwickelt: Kleine, selbständige Teams produzieren in kurzen Zyklen (Sprints) funktionsfähige Prototypen. Agilität nimmt dabei Anleihen bei Lean Production und verknüpft sie mit best-practice Regeln aus der Software-Entwicklung. Seit vor bald zwanzig Jahren das Agile Manifest das Licht der Welt erblickte und in der Folgezeit zahlreiche Methoden entwickelt wurden, die deren Prinzipien in konkrete Managementpraktiken und Arbeitsorganisationsweisen ausbuchstabierten, haben sich diese weltweit als Standard für Software-Arbeit etabliert. Ihre Strahlkraft reicht aber weit darüber hinaus: In der „Kreativwirtschaft“, bei Banken und Versicherungen, in der Autoindustrie – überall, wo Software für Geschäftsmodelle und Wertschöpfung wichtiger wird, und in Unternehmen, die sich selbst – die Digitalkonzerne zum Vorbild nehmend – umstrukturieren und zu digitalen Service-Anbietern werden, nimmt ihr Einsatz zu.

Das agile Manifest

Im Februar des Jahres 2001 traf eine Gruppe von Leuten aus der Softwarebranche zusammen, dort entstand ihr Manifest für Agile Softwareentwicklung, das Gründungsdokument der agilen Bewegung. Gleich zu Anfang wird geradezu ein Kotau vor König Kunde gemacht: Er soll von Anfang an eingebunden werden, Änderungswünsche während der Laufzeit des Projekts sind nicht nur erlaubt, sondern willkommen. Üblicherweise alle zwei bis drei Wochen gilt es nun, ein lauffähiges Zwischenprodukt mit klar erkennbaren Entwicklungsschritten fertigzustellen und durch den Kunden evaluieren zu lassen.

Das Agile Manifest proklamiert enge Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Disziplinen, besonders Techniker und Businessleute sollen miteinander reden. Dem Team kommt zentrale Bedeutung zu, sein Alltag soll durch persönliche Kommunikation und tägliches physisches Zusammentreffen geprägt sein. Es erhält große Freiheiten, seine Arbeit selbst zu organisieren, aufzuteilen und abzuarbeiten, das Management muss seinerseits dafür Sorge tragen, dass die Arbeitsbedingungen für die optimale Performance des Teams gewährleistet sind. Feedback zur Teamoptimierung ist wichtig, die langfristige Produktivität des Teams muss gewährleistet werden. Dazu gehören neue Rollendefinitionen bis hin zu passender Architektur: eher Werkstattcharakter, offene Räume und flexible Arbeitsplätze als geschlossene Einzelbüros. So etwas gab bis dato nicht.

Das agile Unternehmen

Nach einer Phase der Ausbreitung agiler Methoden “von unten”, die das Agile Manifest von 2001 eingeläutet hatte, versuchten Unternehmen in der Softwarebranche in einer Art zweiten Welle, die wir etwa ab 2010 verorten können, das Konzept der Agilität auf die gesamte Organisation auszuweiten. Dazu gehört zum einen, viele bereits agil arbeitende Teams miteinander zu vertakten bzw. zu synchronisieren, Stichwort: agility at scale. Vorreiter ist dabei neben anderen Microsoft: Seit 2011 implementiert der Softwarekonzern aus Redmond in seinen Entwicklungsabteilungen die Integration und Skalierung mehrerer Teams, die an demselben Projekt arbeiten. Eine neue Rolle kommt ebenfalls ins Spiel, der “agile Manager” ist für die zusätzlich nötigen Abstimmungen zwischen den Teams zuständig. Zu dessen Aufgaben gehört dem Wirtschaftsautor Steve Denning zufolge, das richtige “Gleichgewicht zwischen Ausrichtung und Autonomie” der Teams zu finden und zu “erkennen, dass das Team das Produkt ist”, so Denning in The Age of Agile).

Home Office (2020) (49517006647).jpg

Das Ziel des insgesamt agilen Unternehmens wird ausgerufen, “in dem alles miteinander vernetzt ist, das hochgradig flexibel, aber doch ‘wie aus einem Guss’ funktioniert, in dem Wertschöpfungsketten global und über die Grenzen der Organisation hinweg ‘systemisch integriert’ werden und in dem Beschäftigte ’empowert’ werden und mit hoher Eigenverantwortung handeln”, so der Arbeitswissenschaftler Andreas Boes. In der agilen Organisation manifestiere sich, so drückt es der Kultur- und Managementtheoretiker Dirk Baecker aus, die “Philosophie eines agilen Managements, die zugleich auf einen hohen Grad der Vertaktung von Organisation und der Schaffung von Spiel- und Freiräumen setzt”.

Mit agility at scale realisieren die Unternehmen das Stafford Beersche Ideal des kybernetischen Unternehmens, die zweite Phase der Kybernetisierung, in dem nicht mehr nur die Prozesse und Teams, sondern die Organisation selbst nach den Erfordernissen der Maschinerie geformt sind. In der agilen Organisation kann die Einstellung des Unternehmens (im Deutschen schön doppeldeutig: Zustand, Werte der eingestellten Schalter, Regler und Variablen oder die persönliche Einstellung im Sinne von Haltung) nun selbst kybernetisch werden. Beer: “Wir überlassen nun das autonome Regelsystem seiner Aufgabe der Selbstregulierung”, woraufhin sich das Management seiner eigentlichen Aufgabe widmen kann, der “bewußten Steuerung des Gesamtunternehmens” so Beer im Jahr 1962.

Die agile Workforce

Frederick W. Taylor hatte Anfang des 20. Jahrhunderts die Disziplin des Scientific Managements entwickelt, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sämtliche Arbeitsabläufe feinkörnig zu analysieren, zu rationalisieren und maximal zu beschleunigen. Hierfür ist die Stoppuhr berühmt-berüchtigtes Symbol geworden. Zurichtung, Taktung, Vermessung und Beschleunigung waren immer auch Mittel zur Beherrschung und Kontrolle der Belegschaften, wie der US-amerikanische Marxist Harry Braverman in seinen Untersuchungen der Arbeit im Taylorismus immer wieder betonte.

Denkbar weit entfernt von der heutigen agilen Arbeitswelt, so scheint es. Die Aufteilung in kleine Arbeitshäppchen (stories, tickets oder tasks) hat das Arbeiten zum Beispiel mit Scrum schon mal gemeinsam, unterstützt durch Software für das Tracking des digitalen Workflows. Die Arbeitswissenschaftlerin Ursula Huws bezeichnet diese Aufteilung in kleinste Arbeitsschritte, die digital getrackt werden und durch ständig eingeloggte Beschäftigte abgearbeitet werden als “triple logged labor” (dreifach geloggte Arbeit): Erstens ist die Arbeit in kleine Häppchen, in standardisierte Einheiten zerhackt (logged), zweitens sind die Beschäftigten jederzeit “eingeloggt” in digitale Arbeitsumgebungen und drittens werden alle ihre Aktivitäten protokolliert und für zukünftige Analysen aufgezeichnet: “Logged labor wird zur neuen Norm.”

Die agile workforce sieht sich mit neuen Anforderungen konfrontiert: Den Teammitgliedern wird durch die agilen Arbeitsmethoden zusätzlich affektive Arbeit aufgebürdet, sie müssen mit den technischen Herausforderungen und der sustainable pace des Teams klarkommen, und zusätzlich ein emotionales und affektives Change Management an sich selbst exerzieren. Moore resümiert: Hier finde eine Aneignung unbezahlter “affektiver Arbeit” statt. Von den Einzelnen wird erwartet, selbstständig, proaktiv und eigenverantwortlich mit den “neuen Maschinen” Schritt zu halten. “Agilität”, schreibt Phoebe Moore, “verlangt natürlich nach agilen Arbeiter*innen, agil in dem Sinne, dass sie auf ständige Veränderungen eingestellt und bereit sind, persönliche Veränderungen vorzunehmen; immer in Bewegung und mobil”.

Mit ihren Prinzipien – Selbststeuerung, Teamgeist, schnelle Iterationen, Kundenperspektive – erweisen sie sich als vortrefflich geeignetes work design model einer Industrie, die auf das „Einsaugen lebendiger Arbeit“ (Karl Marx) in seiner kognitiv-kreativen Variante, erlauben sie doch der kopfarbeitenden workforce das rechte Maß an kybernetischer Selbststeuerung.

Das agile Selbst

Dabei wird der Einzelne mit vielfältigen neuen Anforderungen konfrontiert, die ganze Last Bewältigung in der VUCA-Welt (volatiliy, uncertainty, complexity, ambiguity) aufgebürdet. Das agile Subjekt speist sich aus diese vielfältigen Tendenzen und stellt einen weiteren Schritt dar in Richtung einer Ausbeutung 2.0, in der der Einzelne zunehmend unternehmerisch denkt und handelt, Tendenzen in Richtung eines unternehmerisches Selbst (Ulrich Bröckling) oder der Form des Arbeitskraftunternehmer (Voß, Pongratz) finden sich wieder. Die Teams agieren dabei zunehmend im Sinne eines „unternehmerischen Wir“ (Martina Frenzel), das Management selbst wird unsichtbar, Organisationen werden „entbosst“ wird (Jacob Bøtter) bzw. die Funktionen des Managements werden in die Teams selbst hineinverlagert.

Parallel zum Teamempowerment hält das Big-Data-Paradigma in die Arbeitsprozesse Einzug durch ein ganzes Arsenal an Kontroll- und Überwachungstechniken. Auch tayloristische Methoden der Vermessung, Kontrolle und Leistungssteigerung finden sich in neuer Form in der schönen neuen Welt der kleinen Teams, der parzellierten Aufgaben und der regen Projekt-Kommunikation. Software fürs Aufgabentracking stellen Instrumente zur Überwachung der Arbeitsprozesse und der workforce dar, von denen Frederick Taylor nur träumen konnte.

2010 White House Science Fair.jpg

Das Paradox sich selbst managender Arbeiter*innen tritt ein, die sich in zwei Persönlichkeiten aufspalten, in Selbstunternehmer*innen einerseits und Selbst-Proletarier*innen andererseits, in Dompteure/sen und Dressierte Kreatur in einer Person. “Als aufgespaltene Persönlichkeiten”, analysiert Phoebe Moore dieses Phänomen, “mit einem inneren Manager, der einen inneren Arbeiter ausbeutet, werden die Arbeiter angehalten, ihre affektive Arbeit zu regulieren und zu quantifizieren, und damit Subjekte des und Beherrschte durch das Kapital zu bleiben.” Der Philosoph Slavoj Žižek beschreibt diese Spaltung der kreativen Teamarbeiter*innen ebenfalls: “Sie sind für den Erfolg des Unternehmens verantwortlich, während ihre Teamarbeit auch den Wettbewerb untereinander und mit anderen Gruppen mit sich bringt. Als Organisatoren des Arbeitsprozesses werden sie dafür bezahlt, eine Rolle zu spielen, die traditionell den Kapitalisten oblag. Dergestalt bekommen sie mit all den Sorgen und Verantwortlichkeiten des Managements, wobei sie doch immer nur bezahlte Arbeitnehmer mit unsicherer Zukunft bleiben, das Schlechteste aus beiden Welten ab.”

In der Corona-Krise hat sich dies eindrucksvoll bestätigt, innerhalb kürzester Zeit wurden gewaltige Anpassungsprozesse auf den Schultern der agilen workforce abgeladen. Bei aller Projektbegeisterung, bei aller Freude über die Abdankung des alten mikromanagenden Chefs, bei aller Zustimmung zu neuen Rollen und neuer Kultur, wird doch die Belastung am digitalen Fließband , der Tretmühle der Tasks, Tickets, Meetings, immer stärker, begleitet von peer-group pressure und der immer drohenden Kritik: Klappt es nicht im Projekt? Dann wart ihr nicht agil genug! Der Burnout, die Staublunge des agilen Kapitalismus, wird zur ständigen Drohung und Auszeichnung zugleich. Ergebnis ist die “erschöpfte Organisation” (Sabine Pfeiffer).

Anm. d. Red.: Vom Autor ist jüngst das Buch Agiler Kapitalismus. Das Leben als Projekt. Mit einem Nachwort von Phoebe Moore bei der Edition Nautilus erschienen.

Copyright | Creative Commons-Lizenz

Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Unported Lizenzvertrag lizenziert.

——————————————————————————

Grafikquellen          :

Oben          —     Admission is granted through application to the Office of Special Collections. Dates from Gustave Bourcard & James Goodfriend, Felix Buhot catalogue descriptif de son oeuvre grave (1979), p. 71, 113. Some prints dated in plate, or in pencil, by the artist. Forms part of Samuel Putnam Avery Collection. Gift of Samuel Putnam Avery, 1900. Impressions of B154, B167, B172 & B173 were formerly in the collection of Frederick Keppel & are inscribed to him by the artist. Holdings checked in departmental copy of Gustave Bourcard & James Goodfriend, F’elix Buhot catalogue descriptif de son oeuvre grav’e (1979) Includes a reduced lithographic reproduction of the 6th state of B164, inscribed to Frederick Keppel. Prints are in multiple states, sometimes including more than one impression of a given state with variations in ink, paper, etc. Includes counterproofs of B170, B172 and cancellation proof of B147. In some cases the paper was treated by the artist with turpentine, gasoline or kerosene, or one of these substances was mixed with the printing ink. Such printsare designated „epreuves a l’essence“. Preliminary states frequently include elaborate remarques or marginal sketches, which Buhot called „marges symphoniques“. S.P. Avery Collection. Some proofs include extensive notes in pencil by the artist. States specified by the artist do not always correspond to those described by bourcard & Goodfriend. Title devised by cataloger. Views of Paris, Folkestone, Gravesend, Rochester, Saint-Malo, and the Thames and Medway Rivers, including representations of geese, ghosts, owls, sheep , steamboats, swans, trains and umbrellas. In a number of prints, Buhot explores effects of rain, snow or wind. B127 depicts Bastille Day celebrations. B173 depicts a papal tiara executed by Froment-Meurice for Leo XIII. Citation/Reference: B.-G. 160(IV/VI).

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, International, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Abschied vom Dogma

Erstellt von Redaktion am 29. September 2020

Streit über die Viertagewoche

Von Thomas Gesterkamp

Die IG Metall schlägt eine Viertagewoche vor, auch ohne vollen Lohnausgleich. Hilft das gegen eine nicht nur coronabedingte Absatzkrise?

„Schafft Zustände, worin jeder herangereifte Mann ein Weib nehmen, eine durch Arbeit gesicherte Familie gründen kann!“ Mit viel Pathos formulierte 1866 die deutsche Abteilung der Internationalen Arbeiterassoziation ihr zentrales Ziel: Der Verdienst des männlichen Proletariers sollte ausreichen, um Frau und Kinder allein zu ernähren. Dieses längst antiquierte Denken hielt sich in den Köpfen von Gewerkschaftsfunktionären länger als in anderen sozialen Milieus. Die IG Metall, mit zwei Millionen Mitgliedern größter Verband im DGB, verfolgt erst in jüngster Zeit eine Tarifpolitik, in der „Familienväter“ als Versorger nicht mehr das Maß aller Dinge sind. Wo Frauen ihr eigenes Geld verdienen, muss der Lohn des Arbeiters kein halbes Dutzend hungrige Mäuler stopfen.

Das eröffnet Räume für neue Zeitkonzepte. IGM-Chef Jörg Hofmann pries Mitte August verkürzte Arbeitszeiten als besten Weg, um den Strukturwandel vor allem in der Autoindustrie zu bewältigen. Aufsehen erregte er auch, weil er eine Viertagewoche anregte. Damit hat der VW-Konzern schon vor über zwei Jahrzehnten gute Erfahren gemacht – und Massenentlassungen verhindert. „Zwischen Volks- und Kinderwagen“: Unter diesem griffigen Titel erschien 1998 eine Studie, welche die „Auswirkungen der 28,8-Stunden-Woche auf die familiale Lebensführung“ untersuchte. Kerstin Jürgens und Karsten Reinecke befragten die Belegschaften mehrerer VW-Werke.

Entgegen den Klischees, die über einen (empirisch nie belegten) Anstieg der Schwarzarbeit spekulierten, betonten Jürgens und Reinecke die positiven Effekte reduzierter Arbeitszeiten für die Gesundheit der Beschäftigten und die leichtere Vereinbarkeit von Beruf und Privatem. Für die im ländlichen Niedersachsen oft von weither anreisenden Pendler machte es zum Beispiel einen großen Unterschied, dass sie nicht mehr um vier Uhr morgens aufstehen mussten, um zum Beginn der Frühschicht an ihrem Arbeitsplatz zu sein. Auch am Nachmittag ergaben sich zusätzliche Zeitfenster, die manche dazu nutzten, etwas mit ihren Kindern zu unternehmen oder Sport zu treiben.

Grundlage dafür ist allerdings die Zeitverkürzung auf täglicher Basis, in Richtung eines Sechsstundentags. Wegen der langen Anfahrtswege bevorzugten viele bei VW Blocklösungen. Doch auch das Prinzip „Vier Tage Schicht, drei Tage Freizeit“, wie in Emden lange praktiziert, werteten die Befragten als gewonnene Lebensqualität.

UTLA Strike Celebration.jpg

Entwickelt hatte das Modell der damalige VW-Manager Peter Hartz. Der spätere Architekt der Agenda 2010 genoss zu jener Zeit in Gewerkschaftskreisen noch einen guten Ruf. Hartz einigte sich mit den im Konzern mächtigen Betriebsräten auf eine befristete 28,8-Stunden-Woche. Zur Akzeptanz des Kompromisses trug bei, dass die Monatslöhne trotz geringerer Stundenzahl kaum sanken.

Drohender Personalabbau

Als einige Jahre später die Autokonjunktur ansprang und VW zum erfolgreichen Exporteur vor allem nach China avancierte, wurden die Arbeitszeiten schrittweise wieder der üblichen Norm angepasst. Das innovative Zeitkonzept geriet weitgehend in Vergessenheit. Die IG Metall, in den 1980er Jahren noch Pionier in Sachen 35-Stunden-Woche, konzentrierte sich wie zuvor auf ein Plus bei den Löhnen. Das „Pforzheimer Abkommen“ von 2004 ermöglichte es den Betrieben sogar, die Arbeitszeit zu verlängern, wenn die Gewerkschaft zustimmt. Erst nach dem Dieselskandal und angesichts des drohenden Personalabbaus durch die Umstellung auf Elektroautos entdeckte die IG Metall die Arbeitszeitpolitik aufs Neue. 2018 setzte sie durch, dass Beschäftigte auf eigenen Wunsch zwei Jahre lang nur 28 Wochenstunden arbeiten können. Zudem dürfen seither Schichtarbeitende, Eltern und pflegende Angehörige ein sogenanntes zusätzliches Tarifentgelt umwandeln in acht freie Tage. Deutlich mehr Menschen als erwartet haben diese Regelungen in Anspruch genommen.

Quelle         :        TAZ        >>>>>          weiterlesen

———————————————————————

Grafikquellen        :

Oben      —           Wikipedia – Dieses Werk wurde von seinem Urheber the Eadweard Muybridge Online Archive als gemeinfrei veröffentlicht. Dies gilt weltweit.

—————————–

Unten        —    Jan. 22, 2019. UTLA teachers rally downtown to celebrate the end of the strike. Photo credit: Mike Chickey

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, International, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

IM KLARTEXTSUMPF

Erstellt von Redaktion am 29. September 2020

Debatte Bedingungsloses Grundeinkommen

File:Die Linke Grundrecht Grundeinkommen BGE Berlin 2013.jpg

Quelle        :      Scharf   —   Links

Von Dieter Braeg

Mit viel Missvergnügen verfolge ich die „Reaktionen“  der Herren Ernst&Händel&Co, die der zutreffenden Kritik von Charlotte Ullmann jene Worthülsen entgegensetzen, die in den inhaltslosen Begriffen „Markenkern“, „Daseinszweck“ oder „Gebrauchswert“ jenen Höhepunkt an gesellschaftspolitisch erhaltenden Wortsprech enthalten, der seit Beginn der WASG Gründung, ich selbst war Gründungsmitglied des Kreisverbandes der WASG in Mönchengladbach und Delegierter/Besucher vieler Landes&Bundesparteitage), die Diskussions- und Entscheidungskultur beherrscht. Führende Frauen und Männer der, beginnend mit dem 2. WASG Bundesparteitag in Kassel vorangetriebenen „Parteizusammenführung“ der WASG mit der PDS hat mich schon im Jahre 2005 veranlasst in einem Text (wen es interessiert, dem sende ich gerne dazu die Textsammlung „Meine Jahre in der WASG“ als Datei) festzustellen:

Wenn Oskar Lafontaine auf dem Parteitag in Kassel meinte: „Das Volk will sich die Politik wieder aneignen. Das Volk will endlich wieder politische Entscheidungen treffen können!“, dann ist das auch beim Vereinigungsprozess zu berücksichtigen.  Für viele Wahlen gäbe es die bereits beschriebene Lösung – entweder Linkspartei. WASG oder Linkspartei. PDS, aber je näher die nächste Bundestagswahl rückt – es könnte tatsächlich wenn es nicht zu einer großen Koalition kommt ohne weiters schon im Jahr 2006 sein, weil auch Frau Merkel ein tatsächlich großer bayerischer Misstrauensmisthaufen im Weg steht – um so notwendiger ist eine Vereinigte Linke.

André Brie veröffentlichte im Buch der Rosa Luxemburg Stiftung „Die Linkspartei“ den Beitrag „Sechs Thesen zur Perspektive der Linkspartei: offene Fragen, Probleme, Herausforderungen“. Ich möchte hier eine meiner Meinung nach sehr wichtige Passage zitieren:

„Es bedarf etwas noch Wichtigerem: einer Gesellschaft, zumindest wesentlichen Teilen der Gesellschaft, die nicht nur protestieren und resignieren oder allenfalls die Standards der Vergangenheit verteidigen (was natürlich dennoch bedeutsam ist), sondern die neuen Antworten, die beispielsweise Vorstellungen einer bürgergesellschaftlichen Demokratie, einer emanzipatorischen Neugestaltung sozialen Zusammenhalts und sozialer Solidarität, einer europäisierten und internationalisierten Gesellschaft und Wirtschaft selbst diskutiert und deren politische und soziale Bewegungsformen primär außerhalb von Parteien entwickelt. Davon ist die deutsche Gesellschaft zur zeit noch weit entfernt. Ziemlich stabil haben in Meinungsumfragen des vergangenen Jahrzehnts etwa 80 Prozent der Menschen grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen verlangt, während zugleich 75 Prozent sie für unmöglich hielten.“

Da liegen die Ansatzpunkte der zukünftigen politischen Arbeit, dabei reicht es nicht aus nur „Interessensvertretungspolitik“ anzubieten, als sei man Versicherungsvertreter der einen mit einer Versicherungspolice  vor dem  Zugriff des kapitalistischen Raubtiers schützt.

Es besteht  die Gefahr durch einen schnellen Zusammenschluss die Macht der Parteiführungen die gleichzeitig durch die Linksparteifraktion noch verstärkt wird, noch weiter zu festigen und große Teile der Mitgliedschaft würden auf der Strecke bleiben.

Dann ist die „historische Chance“ von der immer wieder geredet aber nicht danach gehandelt wurde, vertan.“

Hat das Volk die Chance ergriffen? Schon, aber die Partei DIE LINKE hat sich jeweils vornehm zurückgehalten, oder einfach nur ein wenig mitgemacht. Zu viel vom Protest, den hätte weder Wagenknecht und Gysi in den zahlreichen Auftritten bei den Lanz&Co Palaverbuden erklären können.

Die damalige Prognose bestätigte sich und es wäre wirklich notwendig sich ein wenig mit der Geschichte des bayerischen Landesverbandes der WASG und später DIE LINKE zu beschäftigen in dem Anikapitalistinnen und Antikapitalisten bis heute kaum eine Chance haben und hatten. Die bayerische AKL hat und hatte keinen Einfluss, bis heute durch Ernst&Hänsel gefördert, ist dieser Landesverband der Partei in Söderbayern wirkungslos!

Die ewig gleiche Leier vom Märchen der außerparlamentarischen und parlamentarischen Arbeit die „sinnvoll“ sein muss und, wie lächerlich, Ernst&Händel fordern da das Ende „elitärer Debatten“  – als gehörten sie  nicht selbst zu jenem Zirkel, der sich im Kreis von Männern und Frauen der Bundestagsfraktion, bei der  Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV keinen Platz haben und eine ParteibeamtinnenParteibeamtenhierarchie dort schon lange bestimmt, was zu geschehen hat ?

Klaus Ernst hat den Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit nicht verstanden, obwohl ihm der wahrscheinlich, völlig folgenlos, als jungem IG Metallfunktionär in Schulungen vermittelt wurde.

Eine notwendige ökologische Umgestaltung kann die Interessen der abhängig Beschäftigten nur dann sinnvoll vertreten, wenn es zu einer anderen Gesellschaftsordnung kommt, die auch nicht mehr jene „Parteikarrieren“ zulässt, die heute, nicht nur bei der Partei DIE LINKE, zu jener Reparaturkolonne des Kapitalismus führt, der verschwinden muss.

http://www.archiv-grundeinkommen.de/material/pk/PK-6-finanzierbarL-v.jpg

Ich hoffe ja sehr, dass die jetzigen Vorsitzenden Kipping/Rixinger nicht nur den Vorsitz niederlegen nach 8 Jahren „Parteiführung“ mit fallenden MitgliedrinnenMitgliederzahlen, sondern auch den Bundestag verlassen, dem sie auch schon so lange, wenn nicht länger, angehören. Das reicht aber sicherlich nicht um elitäre Debatten zu verhindern. Da sollten Händel&Ernst endlich in den sicher gut bezahlten Politruhestand gehen und endlich dafür sorgen, dass ganz viele Arbeiterinnen und Arbeiter, Rentnerinnen und Rentner, arbeitslose Frauen und Männer, Angestellte Frauen und Männer, Mandate im Bundestag bekommen!

Mit SPD und GRÜNEN lässt sich keine die Gesellschaft radikal verändernde Politik realisieren. Dagegen spricht ja schon die Nichteinhaltung der „roten Linien“ – die  kaum noch blassrot sind, verantwortet von der themenbestimmende Parteibürokratie.

Erheben wir uns also von unseren Plätzen, nach der Vereidigung unserer neuen  ROTrotGRÜN BundeskanzlerinKanzler und  singen wir,  nach der Melodie von Joseph Haydn (1732—1809) aus dem Satz ,,Kaiser Quartett“:

Deutsche Wirtschaft gibst uns alles, was wir brauchen in der Welt,

denn du lügst, betrügst, verblendest, dass nichts mehr zusammenhält.

Längst erobert Maas und Memel und vergiftet Etsch und Belt,

ach, du große deutsche Wirtschaft siehst nur auf Gewinn und Geld. 

RoteSchwarzeAfDGrüneLinke – Volksvernebler, Akten,Untergang,

lässt uns doch die Welt erschrecken,mit Mercedeswaffenklang. Musikantenschwindelstadel, ach wir sind  Gewinngeilkrank!

Antifußschweiß, Slipeinlagen, pfeifen auf das Vaterland! 

MaybrittIllnerlalla, Sexfilmnächte, Marktwirtschaftsgeschwafelland,

dabei woll‘n wir ewig bleiben, Gips ersetzt uns den Verstand!

Änderung des Grundgesetztes – unseres Glückes Unterpfand,

Heinrich Hoffmann Fallersleben* wäre abschiebreifer Asylant! 

Erwartet uns neben den Coronakrise eine ROTrotGRÜNregierunggemeinschaft die noch schlimmer in die Rechte der abhängig Beschäftigten eingreift, als dies ROTgrün getan hat?

Dieter Braeg

*Heinrich Hoffmann von Fallersleben = Texter/Dichter (?) des Deutschlandliedes

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

———————————————————————

Grafikquellen       :

Oben      —         This image, originally posted to Flickr, was reviewed on by the administrator or reviewer File Upload Bot (Magnus Manske), who confirmed that it was available on Flickr under the stated license on that date.

Source Die Linke

Author stanjourdan from Paris, France

Licensing

w:en:Creative Commons
attribution share alike
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.

————————-

Unten       —         Es liegt kein Copyright auf den BGE-Motiven. Motive und Dateien stehen unter der CC-Lizenz. Sie dürfen beliebig kopiert und verbreitet werden.

Abgelegt unter Gewerkschaften, P. DIE LINKE, Sozialpolitik, Überregional | 1 Kommentar »

Zur LINKS – PARTEI

Erstellt von Redaktion am 28. September 2020

Antwort von Charlotte Ullmann auf „Wieder Klartext reden“ (Klaus Ernst, Thomas Händel

2020-07-02 Klaus Ernst LINKE MdB by OlafKosinsky 1973.jpg

Jawohl : Herr Oberlehrer !

Quelle     :      Scharf   —  Links

Von Charlotte Ullmann

Jetzt sich darauf zu besinnen, was der „Markenkern“ der WASG (Arbeit und soziale Gerechtigkeit) war, aber sehenden Auges in die Gefahr zu laufen bei der Fusion zwischen der ehemaligen  WASG und PDS?

Es war doch reichlich bekannt, dass die zahlenmäßig viel größere Ost-PDS eigentlich eine SPD war, die sämtliche neoliberalen Schandtaten wie bsw. Privatisierung der Wasserversorgung oder des Blindengeldes im Zuge der Agenda 2010 mitexekutiert hat.

Also da frage ich mich, wo unsere Herren Gewerkschafter geistig waren, das nicht mitbekommen zu haben?

Die Hälfte der WASG-Mitglieder ist angesichts dieses Skandals nicht mit in die Fusion gegangen!

Ich kann mich noch an den Bundesparteitag in Ludwigsburg erinnern, 2006. Da stand die alles entscheidende Frage im Raum: Gehen wir mit der PDS zusammen?

Oskar Lafontaine und die Gewerkschafter Klaus Ernst und Ulrich Maurer beherrschten den Parteitag, schwungen Kampfreden, rissen sich nachgerade gegenseitig das Mikrophon aus der Hand, um die Delegierten auf ein Ja zur Fusion einzuschwören.

DOORSTEP 2016-07-15 (28216513172).jpg

Lobbyisten im Gleichklang !

Ihr Argument: Die Linke in Deutschland hätte sich all die letzten Jahrzehnte immer nur zerlegt, es käme jetzt endlich einmal darauf an, sie zu vereinen, und zwar zu einer gesamtdeutschen Partei. Die Losung dazu war: Lässt uns darauf schauen, was uns eint, und nicht darauf, was uns trennt

Nachdem das „Ja“ äußerst knapp ausgefallen war, packten unzählige WASG-Mitglieder ihre Taschen und stoben von dannen.

Jetzt darüber zu jammern, dass uns der „Markenkern“ abhanden gekommen ist, nämlich für die Armen und Geschundenen dazusein, für die Lohnsklaven und deren Reservearmee, den Arbeitslosen, deren Sprachrohr zu sein in den Parlamenten?

Das war der eigentliche Gründungsmythos der WASG, nämlich der von der SPD und den Grünen zu verantwortenden Agenda 2010 den Kampf anzusagen, deren sozialen Kahlschlag rückabzuwickeln, Anwalt zu sein für die kleinen Leute, ja das, lieber Oskar, Klaus und Ulrich, ist uns gehörig abhanden gekommen im Zuge unserer Etablierung als Linke Partei!

Was tun?

Herausstellen, dass die SPD es war, im Schlepptau die Grünen, die uns in diese soziale Wüste geschickt hat, die im Grunde die konsequente Fortentwicklung kapitalistischer Profitinteressen ist, das Gegengewicht zum „tendenziellen Fall der Profitrate“ (Karl Marx).

Und da sage mir einmal jemand, der Kapitalismus lasse sich zähmen, von seinen exzessiven neoliberalen Auswüchsen befreien, lieber Oskar!

Nein, es geht um Sein oder Nichtsein!

Will der Kapitalismus sich noch retten, braucht er diese Auswüchse, diesen losgelassenen Neoliberalismus, die Natur aussaugend, den Menschen, bis auf den letzten Bluts tropfen. Und anschließend kann auch er nicht mehr überleben.

Das zu verhindern, den Untergang der Welt, ist höchste Eisenbahn! Friday for Future marschiert bereits, die Grünen besinnen sich ebenfalls ihres Markenkerns, jedoch nicht konsequent genug.

File:Die Linke Grundrecht Grundeinkommen BGE Berlin 2013.jpg

Sie haben noch nicht begriffen, dass es der Kapitalismus ist, der aufgrund seines immanenten Gesetzes zur Überproduktion, um auf Teufel komm heraus noch Profit machen zu können, gezwungen ist, die Natur, die Umwelt, den Menschen zu zerstören und dass er deswegen mit Haut und Haaren überwunden gehört.

Und jetzt, zu den Coronazeiten, wo jeder daran erinnert wird, wie kurz das Leben sein kann, wie gerne er im Grunde lebt, ja, jetzt ist die beste Gelegenheit, dem Kapitalismus massenweise den Kampf anzusagen, ihn mit Stumpf und Stil aus dem Boden zu reißen, auch  durch die Partei DIE LINKE !

Charlotte Ullmann

Gründungsmitglied der WASG und der Linkspartei

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

———————————————————————–

Grafikquellen           :

Oben      —          Klaus Ernst während einer Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 2. Juli 2020 in Berlin.

——————————-

2.) von Oben         —      European Parliament, Mr. Thomas Hendel, Chair EMPL Informal Meeting of Ministers for Employment and Social Policy ph halime sarrag

———————————————

 This image, originally posted to Flickr, was reviewed on by the administrator or reviewer File Upload Bot (Magnus Manske), who confirmed that it was available on Flickr under the stated license on that date.

Source Die Linke

Author stanjourdan from Paris, France

Licensing

w:en:Creative Commons
attribution share alike
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.

——————————————————

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1141753.linkspartei-wieder-klartext-reden.html

Abgelegt unter Bayern, Gewerkschaften, P. DIE LINKE, Überregional | Keine Kommentare »

Thyssenkrupp-Steel:

Erstellt von Redaktion am 3. September 2020

Solidarität mit unseren Kollegen in KW1

Witten - IG Metall Warnstreik 2012 07 ies.JPG

Quelle     :         Scharf  —  Links

Von Peter Berens

Grolms und Burkhard raus aus der IG Metall!

Einladung zur Einschüchterung

Anfang September will die Personalabteilung Thyssenkrupp-Steel mit mehr als einem Dutzend Kollegen von Schicht 3 / KW1 Personalgespräche führen, um sie einzuschüchtern (RFN  24.08.2020).  Ihnen drohen Abmahnungen wegen ´wildem Streik`, weil sie sich mit einem Kollegen solidarisiert hatten.

Im KW1 hatte mehr als ein Dutzend Kollegen für die Festeinstellung eines dort befristet arbeitenden Kranfahrers spontan eine Schicht gestreikt. In der Schicht zuvor hatten schon andere Kollegen nicht gearbeitet, um sich beim Bereichsbetriebsrat zu informieren. Der Streik war nicht erfolgreich. Der Kollege wurde leider nicht übernommen.

Personal-Leiter

Leiter der Personalabteilung TK Steel ist seit April 2020 der Arbeitsdirektor und im TKS-Vorstand für Personal zuständige Markus Grolms (IGM-Mitglied). Er war vorher stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender im TK-Konzern und trat dabei besonders unterwürfig und zuvorkommend gegenüber der Kapitalseite auf. Früher war Grolms Gewerkschaftssekretär beim IG Metall-Vorstand in Frankfurt.

Ohne Wissen und Einverständnis von Konzern-Arbeitsdirektor Oliver Burkhard (IGM-Mitglied) können solche Einschüchterungsgespräche nicht laufen. Burkhard war früher IG Metall-Bezirksleiter NRW. Als TK-Vorstand hat er vor allem ein Verdienst. Er ist zum IG Metall-Millionär geworden.

Der Weichgespülte und der Millionär, die sich nicht für die Übernahme eines Kranfahrers in KW1 einsetzen konnten, fühlen sich nun stark genug, zu versuchen, Stahlarbeiter einzuschüchtern.

Wie Streikbrecher

Wer Kollegen wegen eines Streiks abmahnen oder einschüchtern will, ist als Streikbrecher zu behandeln.  Grolms und Burkhard gehören aus der IG Metall ausgeschlossen.

Eines sollten sie auf dem weiteren Weg nach oben mitnehmen: Stahlarbeiter lassen sich nicht einschüchtern. Von niemandem. Erst recht nicht von Karrieristen wie Grolms und Burkhard.

Peter Berens, Oberhausen, 31.08.20

https://riruhr.org/was-tun.html

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

————————————————————————

Grafikquelle     :        Warnstreik der IG Metall in Witten

Abgelegt unter Gewerkschaften, Medien, Nordrhein-Westfalen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Zum B.Grundeinkommen 2

Erstellt von Redaktion am 21. August 2020

Endlich eine neue soziale Idee

File:Die Linke Grundrecht Grundeinkommen BGE Berlin 2013.jpg

Quelle        :      Scharf   —   Links

Von Edith Bartelmus-Scholich*

Oder weshalb DIE LINKE. für ein Bedingungsloses Grundeinkommen kämpfen sollte.

Covid 19 hat es  einmal mehr gezeigt: Die soziale Sicherung in Deutschland ist ungenügend. Praktisch über Nacht brechen Millionen Menschen die Einkommen weg oder verringern sich drastisch. Armut und Obdachlosigkeit, Energiesperren und Hunger bedrohen auch viele Erwerbstätige, selbst wenn nur  vorrübergehend nicht mehr gearbeitet werden kann. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das die Existenz absichert, wünschen sich jetzt noch viel mehr Menschen als vorher.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise entfalten sich in Deutschland erst langsam. Doch schon jetzt ist klar: Die Erwerbslosigkeit wird kräftig steigen, die Lohnquote wird sinken, weitere Millionen Menschen werden unter die Armutsgrenze gedrückt werden. Sie alle werden nicht nur Not leiden, sondern zudem dem repressiven System der Jobcenter ausgeliefert sein. In diesem System gilt: Nicht die Armut, sondern die Armen werden bekämpft.

Weil zusätzlich die Wirtschaft sich im Zuge der Digitalisierung wandelt, mit dem Verlust von Millionen Arbeitsplätzen einhergehend, aber auch unaufschiebbar mit einem sozialökologischen Umbau auf die Klima- und Umweltkrise reagiert werden muss, ist ein Systemwechsel unabdingbar. Es ist an der LINKEN ein humanes, zukunftsfähiges Konzept dafür zu entwickeln.

Festzuhalten ist, dass ein gutes Leben in sozialer Sicherheit und mit größtmöglicher Freiheit  für alle Menschen in Deutschland möglich ist. Drei Voraussetzungen müssen dafür erfüllt werden: 1. Das individuelle Recht auf eine menschenwürdige Existenz muss vom Erwerbseinkommen entkoppelt werden. 2. Der repressive und bevormundende  Charakter des Sozialstaats muss überwunden werden. Und 3. Der immense Reichtum, den eine kleine Schicht angehäuft hat, muss umverteilt werden.

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe löst dabei nicht nur das Problem der Armut in der Gesellschaft, sondern eröffnet neben der sozialen Absicherung ein Reich der Freiheit. Arbeit kann fortentwickelt werden vom Broterwerb zu wahrhaft gesellschaftlich nützlicher und kreativer Tätigkeit. Das Leben kann entschleunigt werden mit weniger Erwerbsarbeit. Auszeiten sind eher möglich. Die Löhne für notwendige, aber mühevolle oder schmutzige Tätigkeiten steigen, weil niemand mehr in diese Arbeit gepresst werden kann. Pflege von Angehörigen, Sorge- und Erziehungsarbeit sind kein Armutsrisiko mehr. Weiterbildung ist unkomplizierter während des ganzen Lebens möglich. Ein menschenwürdiges Leben im Alter ist garantiert. Die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern nehmen ab. Zwangsgemeinschaften von Menschen, die Leid verursachen, können leichter aufgelöst werden.  Und nicht zuletzt: Niemand wird mehr vom Amt schikaniert.

Das Bedingungslose Grundeinkommen gilt als die letzte noch Menschen bewegende Utopie. Strittig ist oft die Finanzierung desselben. Realistisch würde ein existenzsicherndes  BGE ca. 450 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Viele Menschen fürchten allerdings, dass zur Finanzierung des Grundeinkommens letztlich die Umverteilung nur in der Klasse der Lohnabhängigen vorgenommen würde. Als weiteres Problem wird die Fixierung auf den Staat gesehen.

Zur Auflösung dieser Problemlage würde ich persönlich folgendes vorschlagen: Für das BGE wird ein selbstverwalteter Grundeinkommensfonds aufgebaut, der Zug um Zug die Finanzierung (1) aus dem Staatshaushalt ablösen kann. Gespeist wird dieser Fonds aus einer hohen Erbschaftssteuer. Fakt ist, dass in Deutschland derzeit und perspektivisch jährlich 400 Milliarden Euro vererbt werden (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung). Eine Reform der Erbschaftssteuer mit sehr hohen Steuersätzen für große Vermögen und die Überführung dieser Werte in einen Grundeinkommensfonds wäre nicht nur ein Schritt der Umverteilung, sondern würde den Fonds auch in die Lage versetzen, ganze Industriebetriebe zu erwerben und danach die Gewinne teilweise auszuschütten. Schließlich würde ein ständig wachsender Teil der Wirtschaft  gesellschaftlich kontrolliert und ihr Gewinn käme allen Menschen zugute. Gleichzeitig würde ein immer größerer Teil der Grundeinkommensfinanzierung aus dem Fonds erfolgen.

http://www.archiv-grundeinkommen.de/material/pk/PK-6-finanzierbarL-v.jpg

So gelingt es uns  als LINKE die letzte Utopie vieler Menschen mit unserer ersten, sozialistischen zu verbinden und  eine wirkliche Utopie der Moderne zu schaffen – eine neue soziale Idee.

Es ist nicht zu erwarten, dass uns ein solches Grundeinkommen in den Schoß fällt. Wir müssen es erkämpfen. Aber mit der Entscheidung dafür können wir Millionen WählerInnenstimmen und Zehntausende neuer UnterstützerInnen gewinnen. Schon deshalb gilt: Das Bedingungslose Grundeinkommen ist ein linkes Zukunftsprojekt!

*Die Autorin ist Sprecherin der LAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE. NRW

(1) Die BAG Grundeinkommen hat ein Finanzierungskonzept erarbeitet: https://tinyurl.com/y6g7dwhl

Der Artikel wurde erstveröffentlicht am 12.8.2020 unter www.links-bewegt.de

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

———————————————————————

Grafikquellen       :

Oben      —         This image, originally posted to Flickr, was reviewed on by the administrator or reviewer File Upload Bot (Magnus Manske), who confirmed that it was available on Flickr under the stated license on that date.

Source Die Linke

Author stanjourdan from Paris, France

Licensing

w:en:Creative Commons
attribution share alike
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.

————————-

Unten       —         Es liegt kein Copyright auf den BGE-Motiven. Motive und Dateien stehen unter der CC-Lizenz. Sie dürfen beliebig kopiert und verbreitet werden.

Abgelegt unter Berlin, Gewerkschaften, P. DIE LINKE, Sozialpolitik | 1 Kommentar »

Zum B. Grundeinkommen

Erstellt von Redaktion am 23. Juli 2020

Zur Diskussion um die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen in der LINKEN

File:Die Linke Grundrecht Grundeinkommen BGE Berlin 2013.jpg

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Ralf Krämer

Die Wahrheit zur Diskussion um die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen in der LINKEN

Der Partei DIE LINKE steht eine höchst schädliche und Spaltungspotenzial bergende Auseinandersetzung bevor, ob sie die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) in ihre Parteiprogrammatik aufnehmen soll. Dazu werden von den Protagonist*innen dieser Forderung falsche oder verzerrte Behauptungen verbreitet, unter anderem in mehreren Beiträgen auf „scharf links“. Ich möchte einige davon richtigstellen.

Erst mal zum Ausgangspunkt: In ihrem Erfurter Grundsatzprogramm, 2011 beschlossen und durch Mitgliederentscheid mit 96% bestätigt, fordert DIE LINKE: ein Recht auf gute, existenzsichernde Arbeit, kürzere und geschlechter-gerechte Verteilung der Arbeitszeit in einem neuen Normalarbeitsverhältnis; eine armutsfeste Mindestsicherung für alle, ohne Sperrzeiten oder andere Sanktionen; eine armutsfeste solidarische gesetzliche Rente einschließlich einer solidarischen Mindestrente; eine solidarische Gesundheits- und Pflegevollversicherung, in die alle einzahlen und daraus abgesichert sind; einen sozial-ökologischen Umbau, der Einstiege und Übergänge für eine demokratische sozialistische Wirtschaftsordnung schafft. Es ist also nicht so, dass DIE LINKE keine Positionen zum Thema Existenzsicherung hätte, sondern es gibt klare, weitgehende und praktisch einheitlich getragene Forderungen. Zum Thema BGE steht als ein ausdrücklich verhandelter Kompromiss: „Teile der LINKEN vertreten darüber hinaus das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens, um das Recht auf eine gesicherte Existenz und gesellschaftliche Teilhabe jedes Einzelnen von der Erwerbsarbeit zu entkoppeln. Dieses Konzept wird in der Partei kontrovers diskutiert. Diese Diskussion wollen wir weiterführen.“

Der Bundesparteitag 2015 befasste sich als Schwerpunktthema mit dem BGE und fasste als Kompromiss, dem die BAG Grundeinkommen zugestimmt hatte, einen breit getragenen Beschluss „DIE LINKE und das Bedingungslose Grundeinkommen“, in dem diese Position bestätigt und unter anderem ausgeführt wird: „Es wird innerhalb der Partei DIE LINKE und unter ihren WählerInnen auch in absehbarer Zukunft sowohl BefürworterInnen wie GegnerInnen eines Bedingungslosen Grundeinkommens geben. (…) Jede Form  von Entscheidung in dieser Frage (…) in der einen oder anderen Richtung würde jeweils Teile der Partei und ihrer sozialen Basis von der LINKEN abstoßen.“ An dieser Sachlage hat sich seitdem nichts geändert.

Trotzdem beantragte die BAG Grundeinkommen schon 2017 einen Mitgliederentscheid zu dieser Frage. Nachdem ein Antrag dazu auf dem Parteitag und im Bundesausschuss nicht durchkam, begann sie mit einer Unterschriftensammlung für einen Mitgliederentscheid dazu. Dazu bietet eine Satzungsregelung und eine Ordnung für Mitgliederentscheide die Grundlage und muss von allen Seiten beachtet werden. Im Frühjahr 2020 gab es Verhandlungen zwischen Vertreter*innen der BAG und der Parteiführung mit dem Ergebnis, dass der Parteivorstand (PV) einen Antrag auf den kommenden Parteitag einbringen soll, den Mitgliederentscheid spätestens ein Jahr nach der Bundestagswahl 2021 durchzuführen. Die BAG reichte im Gegenzug ihren Antrag nicht ein. Ich habe im PV übrigens dagegen gestimmt, weil die BAG nicht rechtzeitig genügend Unterschriften hatte und den Antrag schon im Herbst 2019 hätte eingereicht haben müssen, um alle Fristen und Diskussionszeiten vor der Entscheidung über das Bundestagwahlprogramm 2021 zu wahren, auf das das Mitgliederbegehren gerichtet war.[1] Ohne die Vereinbarung mit dem PV würde also vorerst überhaupt keine Mitgliederabstimmung zustande kommen, was die beste Lösung wäre.

Statt sich zu freuen, dass sie den PV so über den Tisch gezogen haben, wird der PV nun von der BAG kritisiert und von einigen BGE-Fans geradezu beschimpft, weil er etwas getan hat, wozu er durch die Ordnung für Mitgliederentscheide und die Parteitagsbeschlüsse verpflichtet war. Der PV muss nämlich mit dem Antrag auch sein Votum mit Begründung dafür vorlegen und er hätte auch bei Antragstellung durch die BAG eine Stellungnahme dazu abgeben müssen. Der PV ist laut Satzung an Parteitagsbeschlüsse gebunden und so hat in Verantwortung gegenüber der Partei eine Zwei-Drittel-Mehrheit logischerweise eine ablehnende Empfehlung beschlossen: „Der Parteivorstand plädiert für ein NEIN, gegen das Begehren des Mitgliederentscheides, DIE LINKE auf die Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens festzulegen. (…) Eine Festlegung der LINKEN auf die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen würde unsere Politikfähigkeit in den konkreten Auseinandersetzungen, in Bündnissen und Bewegungen ebenso gefährden wie die notwendige Pluralität und Breite der LINKEN.“ Das tritt keineswegs die innerparteiliche Demokratie mit Füßen, sondern ist ihr Ausdruck, indem es den klaren Regeln dazu folgt.

In der Sache ist festzustellen, dass die sozial ausgerichteten BGE-Modelle und insbesondere das der BAG Grundeinkommen, auf das in dem Mitgliederentscheid Bezug genommen werden soll, völlig illusorisch sind, schon weil sie gigantische Umverteilungsvolumina und dazu Mehreinnahmen erfordern würden. Die BAG erfindet dazu etliche neue Steuern und Abgaben und Umbauten der bisherigen Systeme. Sie ignoriert dabei Überwälzungseffekte und rechtliche wie politökonomische Grenzen und Kräfteverhältnisse, die im Kapitalismus eine Besteuerung der Gewinne mit um die 100% unmöglich machen. Es gelingt nicht einmal, wesentlich geringere Forderungen durchzusetzen, obwohl es dafür breite Umfragemehrheiten gibt, stattdessen drohen weitere Steuersenkungen für Unternehmen.

http://www.archiv-grundeinkommen.de/material/pk/PK-6-finanzierbarL-v.jpg

In der Wirklichkeit würden alle Erwerbseinkommen bzw. ihre Kaufkraft massiv höher belastet, ein BGE müsste überwiegend von den Lohnarbeitenden bezahlt werden. Ein großer Teil der Erwerbsarbeitenden würde per Saldo verlieren, und bei allen blieben von jedem zusätzlich verdienten Euro vielleicht noch 20 Cent übrig. Entsprechend flächendeckend müssten die Kontrollen gegen Schwarzarbeit und die Umgehung von Steuern und Abgaben sein. Dabei wäre ein BGE höchsten für einzelne, aber nicht für die Gesellschaft eine Alternative zur Erwerbsarbeit. Diese müsste unvermindert weitergehen, weil nur sie die Güter und Dienste produziert, die man mit einem BGE kaufen könnte, und die Einkommen, die zur Finanzierung umverteilt werden müssten.

Die BGE-Forderungen beruhen insgesamt auf Behauptungen und Begründungen, die einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Sie machen Menschen falsche Hoffnungen und lenken ab von den Forderungen, für die es reale Durchsetzungsmöglichkeiten gibt und für die wir gemeinsam mit vielen Bündnispartner*innen in Gewerkschaften, Sozialverbänden und Initiativen kämpfen. Die BGE-Forderung missachtet die grundlegende Bedeutung der Arbeit und ein BGE würde neue Ungerechtigkeiten schaffen. Die BGE-Forderung steht in Konkurrenz und Widerspruch zu zentralen Programmpunkten der Linken, auch zu einer sozialistischen Perspektive der Überwindung des Kapitalismus, auch wenn die BGE-Anhänger*innen etwas anderes behaupten.

Ich erspare mir das hier weiter auszuführen und im Einzelnen zu begründen, sondern verweise dazu auf das Info und die Folien des ver.di Bereichs Wirtschaftspolitik, auf die mich bei meiner Präsentation gestützt habe, über die auf „scharf-links“ am 25.6.2020 ohne Hinweis darauf verzerrt berichtet wurde: https://wipo.verdi.de/publikationen/++co++ab29a9ba-db39-11e7-ade4-525400940f89. Wieso die BGE nichts mit Sozialismus zu tun hat und das Mitgliederbegehren schädlich ist, habe ich hier genauer begründet: http://www.scharf-links.de/90.0.html?&tx_ttnews[swords]=kr%C3%A4mer&tx_ttnews[pointer]=2&tx_ttnews[tt_news]=67350&tx_ttnews[backPid]=65&cHash=2ae794575b. Weitere Beiträge zu einer linken Kritik der BGE-Vorstellungen finden sich auf www.grundeinkommen-kritik.de

[1] Der Text des Antrags der BAG Grundeinkommen lautet: „Die Partei DIE LINKE nimmt ein emanzipatorisches bedingungsloses Grundeinkommen, wie es beispielsweise die BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE vorschlägt, in ihre politische Programmatik auf. Sie lehnt neoliberale Grundeinkommensmodelle ab. Dazu wird der Parteivorstand aufgefordert, dem Bundesparteitag bis 2020 eine entsprechende Neufassung des Parteiprogramms zur Einarbeitung eines linken bedingungslosen Grundeinkommenskonzeptes vorzuschlagen.“ Der Mitgliederentscheid müsste spätestens sechs Monate nach Feststellung seiner Zulässigkeit stattfinden (Ordnung für Mitgliederentscheide, § 4 (1)). Es wäre geboten, diesen Zeitraum weitgehend auszuschöpfen, um § 3 (4) ebd. gerecht werden zu können: „Alle Organe der Partei und ihrer Gebietsverbände haben dafür Sorge zu tragen, dass eine breite innerparteiliche Diskussion über das Für und Wider der beim Mitgliederentscheid zu beantwortenden Frage ermöglicht wird.“ Vorher hätte der Parteivorstand noch eine schriftliche Stellungnahme abgeben müssen (ebd., § 3 (3)). Die Feststellung der Zulässigkeit hätte spätestens vier Wochen nach Einreichung des Antrags zu erfolgen (ebd. § 2 (1)). Um sicherzustellen, dass ein Mitgliederentscheid rechtzeitig vor dem 1.5.2020 durchgeführt ist, hätte er also spätestens Anfang Oktober 2019 mit der hinreichenden Zahl an Unterschriften beantragt werden müssen. Dieser Zeitpunkt war zum Zeitpunkt des Parteivorstandsbeschlusses am 14.4.2020 lange vorbei. Es war völlig unmöglich, den beantragten Mitgliederentscheid rechtzeitig vor dem Antragschluss zu diesem Parteitag noch durchzuführen und abzuschließen. Jetzt soll der Parteitag durch die Folgen der Corona-Pandemie bedingt erst 30.10.-1.11.2020 stattfinden. Damit würde sich rechnerisch dieser Zeitpunkt, an dem der Antrag spätestens hätte eingereicht werden müssen, auf in den März 2020 verschieben. Auch dieser Zeitpunkt war bei Beschlussfassung des PV am 14.04.2020 vorbei und zudem ist in Frage zu stellen, ob unter den Corona-bedingten Einschränkungen eine breite innerparteiliche Diskussion entsprechend § 3 (4) der Ordnung für Mitgliederentscheide überhaupt möglich wäre. Die BAG gibt das in ihrer Erklärung vom 23.6.2020 sogar selbst zu: „Bis zum anstehenden Bundesparteitag wäre der Mitgliederentscheid auch aufgrund des späten Zeitpunktes, zu dem wir das Unterschriftenquorum erreicht haben, regulär nicht mehr durchführbar gewesen.“

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

———————————————————————-

Grafikquellen       :

Oben      —         This image, originally posted to Flickr, was reviewed on by the administrator or reviewer File Upload Bot (Magnus Manske), who confirmed that it was available on Flickr under the stated license on that date.

Source Die Linke

Author stanjourdan from Paris, France

Licensing

w:en:Creative Commons
attribution share alike
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.

————————-

Unten       —         Es liegt kein Copyright auf den BGE-Motiven. Motive und Dateien stehen unter der CC-Lizenz. Sie dürfen beliebig kopiert und verbreitet werden.

Abgelegt unter Berlin, Gewerkschaften, P. DIE LINKE, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Nicht auf unserem Rücken!

Erstellt von Redaktion am 8. Juli 2020

Wir zahlen nicht für ihre Krise!“

Kaiserbau, Stuttgart, 01.jpg

Quelle        :     Scharf  —   Links

Von    IL

Das Stuttgarter Krisenbündnis ruft am Samstag, 18. Juli, zu einer Demonstration in der Stuttgarter Innenstadt auf. Beginn ist um 14 Uhr am Marienplatz.

Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, der Klimabewegung, Parteien, Kulturschaffenden und politischen Gruppen hat sich zusammengeschlossen, um für eine solidarische Bewältigung der Krise einzutreten und Entlassungen, Lohnkürzungen und dem Abbau sozialer Rechte eine klare Perspektive entgegenzusetzen.

„Die Corona-Pandemie beschleunigt eine der größten Weltwirtschaftskrisen der Geschichte“, sagt Miriam Möller, Pressesprecherin des Stuttgarter Krisenbündnisses. Die spürbare Folgen seien Entlassungen, Lohnkürzungen und Sozialabbau. Doch der Kern des Problems sei ein anderer: „Der Auslöser ist der Virus, die Ursache der Kapitalismus“, so Möller.

ie bisherige Antwort auf die Bewältigung der Krise sei die Stabilisierung des Wirtschaftssystems mit enormen Summen, wie mit den aktuellen Konjunkturpaketen deutlich werde. Auch wenn diese Maßnahmen als Unterstützung für Familien und „kleine Betriebe“ verkauft würden, so seien sie doch massive Subventionsprogramme für Reiche und würden mittelfristig zu einer Verschärfung sozialer Ungleichheit führen, heißt es von Seiten des Bündnisses.

Miriam Möller macht deutlich: „Hier wird eine massive Umverteilung von unten nach oben organisiert. Es ist klar, wer für diese Maßnahmen zahlen muss und wer nicht. Reiche werden noch reicher, während sich immer mehr Menschen in existenzieller Not befinden und sorgenvoll auf die nächsten Monate blicken. Gleichzeitig kassieren Konzerne Milliarden Steuergelder, schütten Dividenden und Boni aus und betreiben gleichzeitig Personal- und Sozialabbau.“

Es gehe jetzt darum, das nicht hinzunehmen. Das Krisenbündnis fordert: Lasst die Reichen für die Krise bezahlen. Sie hätten in den letzten Jahren von Privatisierungen, Niedriglohn und einer ungerechten Steuerpolitik massiv profitiert. „Wir müssen jetzt nach vorne kommen und eine solidarische Zukunft durchsetzen. Wir wollen einen sozial- und klimagerechten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Dies ist jedoch nur mit einem starken und sichtbaren Widerstand möglich. Deshalb werden wir am 18. Juli auf die Straße gehen“, erklärt Miriam Möller abschließend.

Weitere Informationen zu den Beiträgen auf der Demonstration erhalten Sie zeitnah in einer weiteren Pressemitteilung.

Für Rückfragen steht Ihnen die Pressesprecherin des Bündnisses zur Verfügung. Nach Möglichkeit stellen wir auch gerne den Kontakt zu Menschen her, die im Besonderen von der Krise betroffen sind bzw. mit diesen Menschen arbeiten (z.B. aus den Bereichen Gastronomie oder Pflege).

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

———————————————————————–

Grafikquelle        :    Kaiserbau, Stuttgart, Marienplatz. Entworfen wurde der Kaiserbau von den Architekten Alfred Woltz und Georg Friedrich Bihl (1847–1935). Nach letzterem ist der Bihlplatz benannt. Bauherren waren die Gebrüder Henninger, Dekorationsmaler. Das hat Wolfgang Jaworek, Mitglied der Geschichtswerkstatt Süd, recherchiert. Seinen Namen erhielt der Kaiserbau, weil dort, so steht es laut Jaworek in einem Adressbuch von 1914, die Firma Kaiser eines der ersten Automatenrestaurants Deutschlands betrieben hat, also ein Schnellrestaurant mit Sitzplätzen, in dem in Automaten Essen und Trinken angeboten wurde. Der 1911 erbaute Kaiserbau wurde 2012 an die in Berlin und Stuttgart ansässige Copro-Gruppe von der Landesbank Baden-Württemberg verkauft. Der fünfgeschossige Kaiserbau besteht aus fünf Gebäuden und hat eine Gesamtmietfläche von etwa 6260 Quadratmetern. Diese verteilen sich auf 41  Wohnungen, acht Gewerbe- und Büroeinheiten sowie Archivflächen. Langfristig ist der Ausbau des Dachgeschosses angedacht, die Archivflächen sollen zu Büros oder Wohnungen umgebaut werden.

 

Abgelegt unter APO, Baden-Württemberg, Gewerkschaften, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Die Modefirma Tally Weijl

Erstellt von Redaktion am 5. Juli 2020

Respektiere die Arbeitsrechte in Myanmar!

Myanmar Plaza.jpg

Quelle      :      untergrund-blättle. CH.

Von   Public Eye

Die Modefirmen stehen in der Verantwortung. In Myanmars Textilindustrie wurden in den letzten Monaten zahlreiche Gewerkschaftsmitglieder entlassen – nachdem die Gewerkschaften sich gegen die unsicheren Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit Covid-19 und nicht gezahlte Löhne gewehrt haben. In einer der Fabriken lässt die Schweizer Modefirma Tally Weijl produzieren.

Neben der Massenentlassug hat das Fabrikmanagement nach Angaben der Gewerkschaft im April und Mai die Löhne nur teilweise ausbezahlt. Und als am 19. Juni in der Fabrik ein Feuer ausbrach, wurden die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht vorsorglich evakuiert, sondern zum Weiterarbeiten genötigt, während der Ursache des Feuers auf den Grund gegangen wurde.

In der Fabrik Rui Ning werden Jacken für die Schweizer Firma Tally Weijl, aber auch für Inditex (Zara), Bestseller (ONLY) und Mango genäht.

Die Massenentlassung gewerkschaftlich organisierter Arbeiterinnen und Arbeiter in Rui Ning ist leider kein Einzelfall: wir wissen von zwei weiteren Fabriken in Myanmar wo Gewerkschaften mutmasslich unterdrückt werden. Besonders frappant: Inditex (Zara) und Bestseller (ONLY) produzieren in allen drei Fabriken.
Arbeitsrechte müssen geachtet werden

Die Vorfälle verletzen grundlegende Arbeitnehmerrechte, die sowohl in den Verhaltenskodizes der Modeunternehmen Tally Weijl, Zara oder Bestseller als auch in den internationalen Arbeitsrechtskonventionen festgelegt sind. Die Gewerkschaft von Rui Ning fordert daher:

1.Unverzügliche Wiedereinstellung mit Lohnnachzahlung des Gewerkschaftspräsidenten, und die Zusicherung, dass alle anderen entlassenen Arbeiterinnen und Arbeiter so rasch als möglich wieder eingestellt werden, sobald sich die Geschäfte wieder normalisieren.

2.Die Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen in der Fabrik müssen verbessert werden. Zudem dürfen die führenden Mitglieder der Gewerkschaft nicht mit Lohnabzügen als Vergeltungsmassnahme bestraft werden, weil sie solche Verbesserungsmöglichkeiten suchen.

3.Unbezahlte Löhne, die den Beschäftigten gesetzlich zustehen, aber im April und Mai von der Unternehmensleitung einbehalten wurden, müssen unverzüglich in voller Höhe ausgezahlt werden.

Diese Forderungen müssen durch eine unterzeichnete Vereinbarung garantiert werden, die auch sicherstellt, dass das Fabrikmanagement die Gewerkschaft anerkennt. Seit Anfang April versucht die Gewerkschaft, mit dem Fabrikmanagement in Verhandlungen über ihre Forderungen zu treten, bisher jedoch ohne Erfolg: Das Fabrikmanagement weigert sich, sich auf Gespräche einzulassen.
Tally Weijl & Co. gefordert

Gewerkschaftsdiskriminierende Entlassungen, ein Angriff auf die physische Integrität des Gewerkschaftspräsidenten, mangelnder Brandschutz und das Nichtrespektieren gesetzlich garantierter Lohnzahlungen sind massive Verletzungen der grundlegenden internationalen Arbeitsrechte und der Verhaltenskodizes der Unternehmen.

Die Modefirmen stehen in der Verantwortung, in ihrer Lieferkette solchen Vorwürfen nachzugehen und die Achtung der Arbeitsrechte zu gewährleisten.

Advertisements Tally Weijl Potsdamer Platz Denis Apel.JPG

Weil das Management von Rui Ning nicht bereit ist, mit der Gewerkschaft zu verhandeln, müssen die Auftraggeber unverzüglich intervenieren. Die Clean Clothes Campaign und Public Eye haben Tally Weijl, Inditex, Mango und Bestseller dazu aufgefordert, unmittelbar ihrem Zulieferer gegenüber auf die Umsetzung der Forderungen der Gewerkschaft zu pochen. Bisher scheinen jedoch nur Inditex und Bestseller die Kommunikation mit ihrem Zulieferer gesucht zu haben – nicht aber die Schweizer Marke Tally Weijl.
Was kann ich tun?

Tally Weijl scheint bis anhin für die dringenden Forderungen der Gewerkschaft taub zu sein – doch wir bleiben dran! Unterstützen Sie uns dabei!

Unterzeichnen Sie unseren Appell an internationale Modefirmen: Für die Folgen der Covid19-Krise sollen nicht die Arbeiterinnen und Arbeiter bezahlen müssen.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

—————————————————————————–

Grafikquellen      :

Oben        —       Myanmar Plaza is a large shopping mall in Yangon, Myanmar (Burma).

————————————

Unten         —     Tally Weijl Werbung am Potsdamer Platz

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Europa, Gewerkschaften, Opposition | Keine Kommentare »

Demos für Belegschaften

Erstellt von Redaktion am 29. Juni 2020

Demonstrationen für die Belegschaften

Von Jimmy Bulanik

Es sind viele Arbeitsplätze in ernsthafter Gefahr. Bei jedem dieser Arbeitsplätze, ungeachtet des Betriebes geht es um Schicksale. Die Schicksale von den betroffenen des Personals, deren Familienmitglieder wie Eheleute und deren Kinder.

Diese Kinder können am wenigsten für die gegenwärtige Situation auf dem Arbeitsmarkt. An der Stelle kann die Gesellschaft auf den Plan treten. Die Gewerkschaften, demokratische politische Parteien sind willkommen bei öffentlichkeitswirksamen Mahnwachen, Demonstrationen, Proteste, online Petitionen.

Gleichwohl sollte sich kein Mensch davon abhängig machen. Alle können eigenständig etwas unternehmen, um öffentlich für den Erhalt der Betrieben, Arbeitsplätze einzustehen. Wegen dem Föderalismus kann ein Mensch entweder zur Polizei oder zum Rathaus gehen und eine öffentlich beworbene Veranstaltung anmelden.

Es muss ein Formular ausgefüllt werden, zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort eine Veranstaltung abgehalten werden soll. Welches Thema die Veranstaltung hat. Ein Thema darf lauten: „Bewahrt die Arbeitsplätze“.

Die Anzahl der zu erwartenden Menschen muss angegeben werden. Welche Materialien wie Texte, MP3 Lieder, Fahnen, Transparente, Schilder, Megaphone, gelbe Warnwesten verwendet werden sollen. Pro 50 Personen auf einer Demonstration muss eine Person als Ordnerin, Ordner eine weiße Armbinde tragen dessen Buchstaben schwarz sein müssen.

Diese Veranstaltung darf zwei Tage nach der Anmeldung öffentlich beworben werden. Besonders geeignet ist dazu das Internet. Nutzt dazu alle bekannten digitale Kanäle.

Bitte berücksichtigt das es von Vorteil ist, betroffene Menschen, wie Betriebsrat auf die Veranstaltungen einzuladen, ihnen öffentlich die Würde als Menschen zu geben. Gebt ihnen die Möglichkeit am Megaphone zu sprechen. Schafft euch zu eurer Veranstaltung ungefiltert Öffentlichkeit.

Das Ausüben der verbrieften Grundrechte hat keine quantitativen Grenzen

Das Schreiben von eigenen Texten, Pressemitteilungen welche der Presse, öffentlich rechtlichen Medien wie dem NDR, WDR, übermittelt wird. Nutzt Fotokameras, Videogeräte, die Kameras in den Mobilfunktelefonen und zeichnet diese Veranstaltung auf. Ideal ist es im Vorfeld Gigabyte an Datenvolumen zu kaufen, um diese Veranstaltung live auf eine Plattform wie beispielsweise YouTube zu senden.

Es ist möglich das die Behörde mit der Veranstalterin, dem Veranstalter ein Gespräch im Vorfeld der Veranstaltung kommunizieren möchte. Am besten ist es mit diesen Amtsträgerinnen, Amtsträger konziliant und selbstbewusst zugleich zu kommunizieren. Vernünftig ist es nach § 6 des Versammlungsrechtes von Anfang an Rechtsextremisten von der Veranstaltung auszuschließen, dies in dem Bewerben der Veranstaltung darauf zu verweisen.

Vor Ort sollten die Ordnerin, Ordner darauf achten das keine Rechtsextremisten versuchen, die Veranstaltung für sich und ihre negativen Zwecke zu missbrauchen. Darum ist es günstig auf den Veranstaltungen kundige Menschen dabei zu haben.

Seid menschlich und ladet auch Funktionärinnen und Funktionäre des Betriebes wie Geschäftsleitung auf diese Veranstaltung ein. Ob diese auf den solidarischen Demonstrationen für die Arbeitnehmerschaft teilnehmen werden bleibt abzuwarten. Psychologie und Kommunikation sind dabei entscheidend.

File:Worms- Bahnhofstraße- Kundgebung eines Streiks der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft („ver.di“) 26.5.2009.jpg

Ladet die politisch verantwortlichen Menschen wie Stadtrat, MdL, MdB für den jeweiligen Wahlkreis auf die öffentlich, beworbene Veranstaltung ein. Auch ist es immer die Anwesenheit von Künstlerinnen, Künstler, Sportlerinnen, Sportler auf eurer Veranstaltung sinnig. Je breiter ihr auf der Veranstaltung aufgestellt seid, desto wirkungsvoller ist es für das legitime Anliegen.

Falls ihr noch kein Megaphone habt, könnt ihr gemeinsam mit Menschen in euren Zirkeln darauf sparen. Evtl. die örtliche Gewerkschaft Verdi, DGB fragen ob sie ihr Gerät ausleihen werden. Gerne dürfen sie auf der Veranstaltung am ebensolchen Megaphone sprechen.

Es wird für euch in eurer humanen Weiterentwicklung für eure persönliche Zukunft eine Stärke darstellen, sich mögliche Schwellenängste zu überwinden. Insgesamt streift die Angst wie ein veraltetes Kleidungsstück ab und zieht euch als symbolisches Zeichen die gelbe Warnweste an, um gut sichtbar zu sein. Gebt den betroffenen Menschen Gesichter und Namen auf den Veranstaltungen und in der Außendarstellung.

Sie werden gesehen und gehört werden. Ferne haben alle das Potential Dritte Menschen zu inspirieren. Denn alle Menschen möchten eine Zukunft mit Lebensqualität haben.

Durch das eigene Handeln gibt es viel zu bewahren. Gleichwohl durch die Untätigkeit erheblich mehr zu verlieren. Wir als Zivilgesellschaft haben so viele wertvolle Grundrechte, Ausmaß an Empathie und vor allem Dingen Solidarität um uns die Schicksale der Menschen hier oder an einem anderen Ort gleichgültig zu sein.

Schafft gegenüber der Politik und Industrie mit eurer Öffentlichkeit gleichzeitig eure Räson. In dem Fall handhabt ihr die Sachverhalte für Dritte und euch selbst richtig. Dahinter können die Industrie und Politik nicht untätig bleiben.

Das ist damit begründet das die Industrie weiterhin Geld verdienen möchten, die Politikerinnen und Politiker an ihren Ämtern hängen. Mit all ihren geschätzten Vorzügen.

Die gegenwärtige Bewegung ist das Brodeln unter der Oberfläche der Gesellschaft. Es ist daher eine Frage der Zeit bis dies sichtbar werden wird. Gestaltet es zu einem vorzeigbaren Beispiel.

Nützliche Links im Internet:

Robin Zander – In This Country

https://www.youtube.com/watch?v=L1ssmwyujHM

Formular zur Anmeldung einer öffentlich beworbenen Veranstaltung:

https://koeln.polizei.nrw/sites/default/files/2016-11/anmeldung-versammlung.pdf

§ 6 VersG:

Entsprechend § 6 Abs. 1 VersG sind, Personen, Organisationen mit menschenverachtenden Bezügen, den Zutritt zu dieser Veranstaltung zu verwehren und sind somit ausgeschlossen.

Conrad – Megaphone

https://www.conrad.de/de/p/monacor-tm-45-megaphon-mit-handmikrofon-integrierte-1332815.html

Ordner Armbinde

https://www.sport-thieme.de/Vereinsbedarf/Armbinden/art=1412013

Warnwesten

https://www.arbeitsschutz-arbeitskleidung.de/gelbe-warnweste-l474-mit-led-nach-en-20471.html

Die Grünen

https://www.gruene.de

Die Linke

https://www.die-linke.de/start

SPD

https://www.spd.de

Verdi

https://www.verdi.de

DGB

https://www.dgb.de

—————————————————————————-

Grafikquellen      :

Oben       —      Streik im Öffentlichen Dienst in Hamburg am 12. April 2018

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Medien, Sozialpolitik, Überregional | Keine Kommentare »

BAG – Grundeinkommen

Erstellt von Redaktion am 25. Juni 2020

(K)eine Alternative in der Krise und für die Linke?“

File:DIE LINKE Bundesparteitag 10. Mai 2014-2.jpg

Von Wolfgang Gerecht

Ein Bericht von der Online-Veranstaltung der „Sozialistischen Linken“,  23. Juni 2020, 18 Uhr

Gestern Abend habe ich an dem Livestream von Ralf Krämer teilgenommen. Es nahmen mindestens 8 und höchstens 17 Teilnehmer im Livestream teil.

Nach anfänglichen technischen Schwierigkeiten kam der Gewerkschafts-Funktionär (In der LINKEN werden Gewerkschafts-Funktionäre generell und fälschlicherweise als Gewerkschafter bezeichnet) Ralf Krämer (im folgendem R.K.) zum Thema.

Ralf Krämer stellte anhand eines Skriptes, vermutlich innerhalb und für VerDi erstellt und verwendet, alle Argumente die gegen die ein Bedingungsloses Grundeinkommen sprechen könnten, vor.

Inhaltlich bezog er sich weitestgehend auf die bürgerliche Betriebs- und vor allem Volkswirtschaftslehre, wie sie in allen Bildungseinrichtungen des Staates und der Privaten Hochschulen gelehrt wird.

Das Ergebnis stand damit von vornherein fest:

Welche einzelne Problematik und Perspektive Mensch betrachtet:

Das Bedingungslose Grundeinkommen kann aus ökonomischen und menschlichen Gründen nicht funktionieren.

R.K. wies auch auf die schon bekannte Tatsache hin, dass es mehrere Varianten eines Grundeinkommens in Deutschland gäbe, nämlich neoliberale verschiedenster Typen (Straubhaar, Götz Werner u.a.)

Der Partei-Vorstand sei nicht gegen den Mitglieder-Entscheid, so R.K., sondern für das – auch schon seit langem bekannte – Offenhalten der Entscheidung. Offenhalten bis in die Ewigkeit?

Die Befürchtung der Spaltung der LINKEN in Partei und der Wählerschaft hob R.K. hervor. Deshalb muss ein Mitgliederentscheid in die unbestimmte Zukunft verschoben werden. Am Besten in einer demokratischen Endlos-Diskussion bleiben. Zum Verständnis der jüngsten Entwicklung um die Grundeinkommens-Diskussion in der LINKEN habe ich nachfolgend eine Erläuterung eingefügt.

Erläuterung von WG: Anfang:

Genau das, hat m. E. der Bundes-Partei-Vorstand unter Federführung des BuGf Schindler mit seiner satzungswidrigen Vereinbarung bezweckt. Verschiebung des Mitgliederentscheids bis 12 Monate nach der nächsten Bundestagswahl im Sep. 2021. Manche Akteure sprechen schon von 2022.

Der Bundes Sprecherrat der BAG Grundeinkommen in und bei der LINKEN, mit Stefan Wolf, Michaela Kerstan und Jörg Reiners hat das böse Spiel mitgespielt. Dabei haben die Verantwortlichen der BAG GE ihren eigenen Beschluss der BAG GE vom 22./23. April 2017, einen satzungsmäßigen Mitglieder-Entscheid, nach Erreichen des Unterschriften-Quorums, durchzuführen, missachtet und geltendes Satzungs-Recht gebrochen.

https://www.die-linkegrundeinkommen.de/fileadmin/lcmsbaggrundeinkommen/PDF/Beschluss_u._Wahlprotokoll_Gera.pdf

Solche pflichtvergessenen Personen sind für die über 3.500 Genoss Innen wahrscheinlich eine einzige Enttäuschung.

Erläuterung vom WG: Ende

R.K. gab sich optimistisch, dass die Mehrheit der Partei-Mitglieder sowohl den Mitglieder-Entscheid als auch die Aufnahme des BGE in die Programmatik der LINKS-Partei ablehnen würde.

Weiter bilanzierte er, dass bei einem Mehrheitsbeschluss eines Mitglieder-Entscheides über das BGE, DIE LINKE nicht mehr seine Partei sei und er, sicherlich auch viele andere, wahrscheinlich dann sich eine andere suchen würde.

Flag of Die Linke

Meine Live-Stream Frage, wenn R.K. sich der Ablehnung des Mitglieder-Entscheides so sicher sei, brauche er doch nicht die Abstimmung zu fürchten, führte zu langatmigen Ausführungen mit verschiedensten Aspekten.

Eine weitere Live-Stream-Frage bezog sich auf von Frau Kipping zitierten Umfragen-Ergebnisse, die eine 50% Befürwortung eines Bedingungslosen Grundeinkommens durch die Wahlberechtigten und eine 70%  durch die Wählerschaft der LINKEN ausweisen würde. Die Quelle der Umfragen blieb unerwähnt.

Dies konterte R.K. sinngemäß mit einer Formulierung, dass die Befragten dies nur aufgrund ihres ökonomischen fehlenden Sachverstandes so beurteilen.

Soweit will ich es dabei belassen. Ich habe versucht, die über 2 Stunden dauernde „Sitzung“ möglichst kurz und stichwortartig wiederzugeben.

————————————————————————————–

Grafikquellen     :

Oben      —        Bundesparteitag DIE LINKE Mai 2014 in Berlin, Velodrom

Author  :       Blömke/Kosinsky/Tschöpe

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany license.

——————————–

Unten      —     Flag of Die Linke

Abgelegt unter Berlin, Gewerkschaften, P. DIE LINKE, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Für’n Appel und’n Ei arbeiten

Erstellt von Redaktion am 14. Juni 2020

 Dabei noch unter der Knute der Arbeitsverwaltung stehen

2017-06-25 Hubertus Heil by Olaf Kosinsky-7.jpg

Die Tröge der verantwortlichen Specknacken sind immer reichlich gefüllt !

Quelle            :      Scharf  —   Links

Von Gewerkschaftsforum Dortmund

Über die konkrete Lebenssituation armer Menschen in der Großstadt.

In Deutschland wurde mit der Umsetzung des Hartz-Konzeptes die Entstehung des Niedriglohnsektors gefördert. Auf dem World Economic Forum in Davos am 28. Januar 2005, äußerte der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder: „Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt. Ich rate allen, die sich damit beschäftigen, sich mit den Gegebenheiten auseinander zu setzen, und nicht nur mit den Berichten über die Gegebenheiten. Deutschland neigt dazu, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, obwohl es das Falscheste ist, was man eigentlich tun kann. Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt.“

Als Gerhard Schröder dies sagte, waren die Hartz Gesetze gerade in Kraft getreten und die Fakten und Voraussetzungen für den Niedriglohnsektor geschaffen. Auch in den Großstädten wurde diese Linie von SPD und Gewerkschaften unkritisch übernommen und anschließend die langzeitarbeitslosen Menschen immer weniger gefördert, aber dafür um so mehr gefordert.

Zersplitterung des Arbeitsmarkts

Die Zersplitterung des Arbeitsmarktes ist für die nicht abhängig Beschäftigten kaum sicht- und vorstellbar. Sie nehmen vielleicht ein oder zwei Gruppen wahr und haben keinen Einblick in die unteren Beschäftigtengruppen. Sie scheinen gar nicht mitbekommen zu haben, dass:

  • ein hoher Sockel von langzeitarbeitslosen Menschen und der massive Ausbau des Niedriglohnbereichs sowie die prekäre, ungesicherte Beschäftigung dazu geführt haben, dass ein großer Teil der Marginalisierten sich abgehängt und überflüssig fühlt.
  • mittlerweile rund 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland für einen Niedriglohn von unter zehn Euro in der Stunde arbeiten. In Ostdeutschland liegt ihr Anteil sogar bei 30 Prozent.
  • sich die Minijobs mit derzeit rund 7,5 Millionen geringfügig entlohnten Beschäftigten im Arbeitsmarkt fest verankert haben.
  • es inzwischen rund 50.000 Sklavenhändler gibt, die rund eine Million Arbeitskräfte verleihen, so viele, wie noch nie.
  • für Migranten fast nur der Niedriglohnsektor offen steht und dieser Niedriglohnbereich ein geschlossener Arbeitsmarkt ist, in dem die Beschäftigten kaum eine Chance haben, jemals eine Anstellung mit besseren Bedingungen zu erhalten

und am unteren Ende des Arbeitsmarktes sich die Tage- und Stundenlöhner wiederfinden, deren Lebenssituation einfach nur als elendig zu beschreiben ist.

Den Teil des Arbeitsmarktes, in dem sich die Tage- und Stundenlöhner verdingen müssen, nennt man in den Großstädten den „Arbeiterstrich“ und meint damit diejenigen Menschen, die an der Straße stehen und auf einen „Arbeitgeber“ warten, der sie für`n Appel und`n Ei einige Stunden für sich schuften lässt. Dabei wird leicht übersehen, dass der Personenkreis viel größer ist, als die bis zu hundert Menschen, die dort sichtbar sind.

Kaum jemand weiß, dass es regelrechte Kolonien in den Industriegebieten gibt, in denen vor allem Menschen aus den östlichen Nachbarländern als „illegale“ Menschen unter Plastikplanen hausen und auf dem Stundenlöhnermarkt immer weniger konkurrenzfähig sind, da sie für die harte Arbeit gesundheitlich gar nicht mehr in der Lage sind.

Die zunehmende Anzahl von obdachlosen Menschen ist ebenfalls auf diese Art der Beschäftigung angewiesen, vorausgesetzt, das Pfandflaschensammeln lässt ihnen noch Zeit dafür. Die anderen Flaschensammler müssen stundenweise für ein Trinkgeld arbeiten, weil sie mit dem Geld vom Jobcenter nicht auskommen können oder durch Sanktionen nur noch einen Teil vom Regelsatz erhalten.

Parallel zum Niedriglohnsektor ist im Rahmen der Hartz-Gesetze ein Maßnahmen- und Programmarbeitsmarkt entstanden, in dem vor allem langzeitarbeitslose Menschen festsitzen und im Rahmen des „Forderns und Förderns“ als 1-Euro-Jobber schuften oder ihr Lohn dem Unternehmen bis zu 100 Prozent erstattet wird.

Beispiele für die Auswüchse der Förderungspraxis auf dem Maßnahmenmarkt

  • Es gibt Menschen, die seit Jahren immer noch unter besonderen „Vermittlungshemmnissen“ leiden. Sie haben seit 10 – 12 Jahren immer die gleiche Beschäftigung beim gleichen Maßnahme- bzw. Anstellungsträger. Sie haben auch alle Programme durchlaufen, wie z.B. die AGH/1Euro-Jobs, über AGH-Entgeltvariante, DOGELA und Jobperspektive und sind nun in der Öffentlich Geförderten Beschäftigung z.B. (FAV) oder im Teilhabechancengesetz gelandet. Flankierend dazu wurden sie über den § 16 SGB 2 entschuldet. Vom ersten Arbeitsmarkt werden sie immer noch strikt ferngehalten, auch weil sie für die Maßnahmeträger gut eingearbeitete vollwertige Arbeitnehmer sind.
  • Der Einsatz der „Programmkräfte“ hat dazu geführt, dass der Maßnahme- bzw. Anstellungsträger Dienstleistungen für sich selbst nicht mehr bei Fremdfirmen mit tarifgerechtem Entgelt einkaufen muss, sondern z.B. die Reinigungen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten durch die „Programmkräfte“ erledigen lässt.
  • Diese Menschen werden dann in privaten Haushalten eingesetzt, die für eine Stunde Reinigungsarbeit bis zu 20,00 Euro zuzüglich Fahrtkosten, an den Maßnahme- bzw. Anstellungsträger zahlen müssen.
  • Wenn es der Betriebsablauf notwendig macht, werden bei den Arbeitsgelegenheiten auch mal Überstunden angeordnet, die dann großzügig mit 1,50 Euro in der Stunde vergütet werden.
  • Bei einigen Maßnahmen werden monatlich pro Teilnehmer bis zu 500 Euro „Regiekosten“ an die Maßnahme- bzw. Anstellungsträger gezahlt. Wer diese Summe pro Träger und Teilnehmer zusammenrechnet und dann noch schaut, wie viele „Regisseure“ in Wirklichkeit tätig sind, sieht, wie lukrative diese Förderketten sind.
  • Da wundert es nicht, dass es, wie in anderen Städten schon geschehen, den Beschäftigten der Arbeitsverwaltung in den Fingern juckt, selbst Maßnahmeträger werden und ihre Kontakte und ihr know how nutzen zu können.
  • Wenn die Zusätzlichkeit nach den etwas verschärften Kriterien nicht gegeben ist, müssen „Projektbezüge“ hergestellt werden.
  • Dann kann auch z.B. eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ für alle Gewerbe, die im Aktionsraum liegen, vom Einzelhandelsverband bereitgestellt und der Arbeitsverwaltung vorgelegt werden.
  • In den Läden wie second-hand-shops oder Sozialkaufhäuser, in denen Ware verkauft wird, wird eine Erklärung abgegeben, dass nur an Bedürftige verkauft oder für eine Zeit lang Waren nicht mehr verkauft, sondern gegen eine Spende ausgegeben werden.
  • Wenn einmal einige geförderte Maßnahmen nicht anlaufen, kann man immer noch auf die Förderung von Arbeitsverhältnissen (FAV) oder Teilhabechancenprogramm umschalten, bei einer Förderung von bis zu 100 Prozent.
  • Wenn es eng wird und alles nicht mehr gegenüber der Arbeitsverwaltung beeinflussbar ist, kann die Rettung eine Umwandlung des Ganzen in einen Integrationsbetrieb sein. Die Folge von Missmanagement und vor allem mangelhafter Kontrolle der eigenen Aufsichtsgremien und öffentlicher Mittelgeber führen aber häufig dazu, dass diese Betriebe in die Insolvenz rutschen und die Beschäftigten wieder auf der Straße stehen.
  • Wen wundert es da, dass niemand so recht an der bisherigen Förderpraxis etwas ändern möchte und froh ist, dass diese Beschäftigten nicht auf den 1. Arbeitsmarkt abwandern können, da dort schlicht die Arbeitsplätze fehlen.

Die neuen Beschäftigungsverhältnisse auf dem „Sozialen Arbeitsmarkt“

Das neue Teilhabechancengesetz macht die Träume der Maßnahmen-Branche und der Leiharbeitsfirmen wahr. Sie können ab sofort einen Menschen für 24 Monate anstellen, sich die kompletten Lohnkosten vom Staat bezahlen lassen und das Geld, das sie für die Verleihung der Menschen erhalten, als Gewinn einstreichen. Der Mensch mit der geförderten Beschäftigung darf nicht mal kündigen, da ihm dann Sanktionen vom Jobcenter drohen.

Esquelete de necrópole romana (7326104804).jpg

Ob Rentner oder  „Sozialen Arbeitsmarkt“

Dieses Maßnahmenpaket ist dadurch gekennzeichnet, dass

  • die Maßnahme fünf Jahre dauert oder auch eine kürzere Befristung mit optionaler einmaliger Verlängerung explizit erlaubt ist.
  • nach 5 Jahren keine Verpflichtung für die Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung besteht und ein Großteil der Betroffenen wieder in den Hartz-IV-Bezug gehen wird.
  • der typische Arbeitsvertrag im Rahmen dieser Förderung voraussichtlich zunächst auf zwei Jahre angelegt sein wird und bei guter Führung und Leistung anschließend für drei Jahre verlängert werden kann.
  • es sich nur zum Teil um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt. Da keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhoben werden, ist am Ende nur der Hartz-IV-Bezug möglich und das Hartz IV-System greift wieder. Es braucht kein Arbeitslosengeld 1 nach dem SGB III gezahlt werden und es fallen keine Vermittlungskosten an.
  • die Jobcenter zusammen mit den potentiellen Arbeitgebern entscheiden, welcher Mensch welche Stelle annehmen muss. Der Arbeitszwang seitens der Jobcenter steht dabei der Selbstbestimmung des Einzelnen entgegen.
  • ein Angebot nicht abgelehnt werden kann. Auf jegliche Verweigerung folgt die Sanktionierung durch die Jobcenter.
  • der Mindestlohn, selbst in Vollzeit sind das etwa 1.550 Euro brutto, zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist. Schon gar nicht kann man davon seine Familie ernähren.
  • es sich um eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme handelt und sich damit kein Arbeitsverhältnis begründet. So sind Verstöße gegen Arbeitsrechte und Arbeitsschutz vorprogrammiert.
  • dass im Zuge der Beschäftigung von Zusatzjobbern reguläre Beschäftigung in nicht zu vernachlässigendem Umfang verdrängt und der bestehende Wettbewerb beeinflusst wird.
  • Maßnahmeteilnehmer aus der Maßnahme durch die Arbeitsverwaltung abberufen werden können, z.B. für Bildungsmaßnahmen oder eine andere Arbeitsaufnahme

und dass die Beschäftigten immer noch unter der Knute der Jobcenter stehen. Da es sich um eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme handelt, sind sie während der gesamten Laufzeit nicht nur ihren Unternehmen, sondern auch der „Betreuung“ durch die Jobcenter unterworfen.

Sanktionen können auch hier greifen

Im § 31 des SGB II wird unter dem Begriff „Pflichtverletzungen“ festgelegt, dass langzeitarbeitslose Menschen vom Jobcenter sanktioniert werden können, wenn sie z.B. eine Maßnahme nicht annehmen oder unterbrechen. Auf jegliche Verweigerung folgt die Sanktionierung durch die Jobcenter. Dies kann dazu führen, dass die Menschen gar kein Einkommen mehr erhalten, je nachdem, wie viel Prozent laut Vorgaben vom laufenden Bezug gestrichen wird.

Sanktion ist immer Strafe und Legitimation zugleich. Einmal wird bestraft und zum anderen den Menschen gezeigt, dass der Staat dazu das Recht hat, dass er das tun darf. Ohne Sanktionen würde das Hartz-IV-System seine Effektivität und Abschreckung als Mittel zur Lohnsenkung verlieren.

Grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit wird ausgehebelt

Die grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit wird ebenfalls berührt, wenn Menschen gezwungen werden, jede Arbeit, Beschäftigung oder Maßnahme anzunehmen.

Der Aspekt der grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit hat in den seit Jahren geführten Diskussionen um die Sanktionsmechanismen praktisch so gut wie nie eine Rolle gespielt.

Die Menschen, die im Hartz-IV-Bezug sind, stehen permanent unter Druck möglicher Sanktionen, weil jeder Vermittlungsvorschlag des Jobcenters ein „nicht ablehnbares Angebot“ sein kann. Die Freiheit der Berufswahl gibt es für sie nicht.

Es wird hierbei die SGB II Vorschrift der § 10 Abs. 2 angewandt. Danach ist für einen erwerbslosen Menschen jede Arbeit zumutbar und er kann nur ausnahmsweise Arbeitsangebote ablehnen, z.B. nur, wegen besonderer körperlicher Anforderungen oder wegen der Gefährdung der Erziehung des Kindes. Ausdrücklich kein „wichtiger Grund“ zur Ablehnung eines Vermittlungsangebots soll sein, dass die „Arbeitsbedingungen ungünstiger“ als die Bedingungen des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses sind. Das ist der Hebel, mit dem man die Beschäftigten mit staatlichem Zwang in den Niedriglohnsektor drängt.

Staatlich subventionierte Leiharbeit

Neu beim Teilhabechancengesetz ist auch, dass Zeitarbeitsfirmen nicht als Förderberechtigte ausgeschlossen werden. Die Branche, die schon jetzt größter Abnehmer von langzeitarbeitslosen Menschen und Profiteur der Agenda 2010 ist, trommelt für das Gesetz am lautesten. Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. bietet bereits Seminare an und plant eine Broschüre, um seinen Mitgliedern Anleitungen für das Ausschöpfen des neuen Fördertopfs an die Hand zu geben. Denn das neue Gesetz macht die Träume dieser Branche wahr. Sie können ab sofort einen Menschen für 24 Monate anstellen, sich die kompletten Lohnkosten vom Staat bezahlen lassen und das Geld, das sie für die Verleihung der Angestellten erhalten, als Gewinn einstreichen. Der Leiharbeiter darf nicht mal kündigen, da ihm dann Sanktionen vom Jobcenter drohen.

Weiterer Ausbau des Niedriglohnsektors

Die Schaffung von voraussichtlich bis zu 800.000 zusätzlicher Beschäftigungs-/Maßnahme/- Arbeitsplätzen werden die Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen aller Beschäftigten beeinflussen. Sie wird eine Umschichtung in den Betrieben zur Folge haben und reguläre Stellen abbauen.  Die verbleibenden Beschäftigten entwickeln zunehmend Ängste um ihren Arbeitsplatz und leisten, wenn sie Glück haben, bezahlte Mehrarbeit. Dadurch verhindern sie Neueinstellungen und können ihre familiären und sozialen Beziehungen nicht mehr pflegen. Sie verzichten auf die notwendige Genesungszeit bei Krankheit, schädigen damit ihre Gesundheit und verursachen mehr Kosten für das Gesundheitssystem. Gesamtgesellschaftlich wird eine angstgetriebene Hoffnungslosigkeit erzeugt und der Konkurrenzgedanke bestimmt noch mehr den Alltag.

Sm3rt.jpg

Immer mehr öffentliche und private Unternehmen ziehen sich weiter aus ihrer Verantwortung zur Schaffung von regulären Arbeitsplätzen zurück. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass eine bewusst erzeugte Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte forciert wird: mit Hinweis auf die leeren Kassen wird eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz gefördert, notwendige Arbeiten durch Arbeitskräfte aus dem „Sozialen Arbeitsmarkt“ erledigen zu lassen.

Quellen:
WAZ, BA, SGB III, SGB II, BMAS, Berichte von betroffenen Menschen
https://www.gewerkschaftsforum.de
Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

————————————————————-

Oben       —      Hubertus Heil auf dem SPD Bundesparteitag am 25. Juni 2017 in Dortmund

—————————————-

2. von Oben      —    Esquelete de muller adulta que corresponde a unha sepultura realizada con tegulae (tellas planas) e con cuberta de forma triangular. Presentaba unha orientación leste-oeste, a cabeza ao poñente e carecía de enxoval. A muller, duns 20-25 anos, mediría unhs 160 cm de altura. Era de raza branca, se ben o ángulo do perfil facial corresponde a unha identidade negroide, polo que se podería pensar nunha probábel orixe norteafricana. A sepultura estaba situada na actual Rúa Real nº9 da Coruña.

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Nordrhein-Westfalen, Regierung | Keine Kommentare »

„Mini“ – Jobs abschaffen !

Erstellt von Redaktion am 25. Mai 2020

Minijobs fallen in der Krise als erstes weg –
es ist höchste Zeit, sie abzuschaffen

Mercron.jpg

Quelle      :       Scharf    —   Links

Von Gewerkschaftsforum Deutschland

Über sieben Millionen Menschen in Deutschland waren zu Beginn der aktuellen Wirtschaftskrise geringfügig beschäftigt, sie waren als Minijobber tätig. Bereits im März 2020 wurde 224.000 von ihnen von heute auf morgen gekündigt. Obwohl eine Kündigungsfrist von sechs Wochen bei Minijobs gilt, wurde sie in den meisten Fällen geflissentlich übergangen. Minijobber waren die ersten Beschäftigten, die in der neuen Krise entlassen wurden und Kurzarbeitergeld gibt es für sie auch nicht. Selbst die Minijob-Zentrale spricht von einem „erheblichen Rückgang” und erwartet in den nächsten Wochen eine zweite Kündigungswelle.

Die „Flexibilität durch Minijobs“ nutzen die Unternehmen nun in der Krise, um Personal schnell abbauen zu können.

Im Jahr 2003 wurden die Minijobs von der rot-grünen Regierung grundlegend reformiert, um vor allen Dingen die Schwarzarbeit in privaten Haushalten als Reinigungs- oder Nachhilfekräfte einzudämmen und sie sollten als Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt als Vollzeitkraft dienen. Die Minijobber werden heute aber weniger im Privathaushalt eingesetzt, sondern vor allem in der Gastronomie, in Werkstätten und im Gesundheitswesen. Das Ziel der Verringerung der Schwarzarbeit wurde auch nicht erreicht, trotz Ausweitung der Minijobs. Anfang 2020 waren über sieben Millionen Menschen in Deutschland als Minijobber tätig und das Märchen vom Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt wird immer wieder erzählt, deshalb wird es aber nicht wahr.

Etliche Unternehmen haben das Konstrukt Minijob genutzt, um ihre Vollzeitstellen durch mehrere Minijobber zu ersetzen, um flexibler zu sein und viele Minijobs ersetzen heute die früheren vollzeitbeschäftigten Menschen. Für die fest angestellte Kassiererin arbeiten dann drei Minijobber oder  in der Gastronomie ersetzen drei studierende junge Leute den langjährig vollzeitbeschäftigten Kellner.

Minijobber haben für die Unternehmen auch noch den Vorteil, dass sie sich nicht gewerkschaftlich organisieren und höhere Löhne fordern, sie wagen es nicht zu streiken oder gar einen Betriebsrat zu gründen.

Knapp 4,4 Millionen Beschäftigte sind auf das Einkommen aus dem Minijob angewiesen, weil sie keine andere Arbeit als ihn haben, darunter sind viele studierende, alleinerziehende und alte Menschen mit geringen Renten.

Weil die Minijobber keine Abgaben zahlen, haben sie auch kein Recht auf Leistungen wie Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld. Wenn sie wie jetzt ihre Beschäftigung verlieren, rutschen sofort einige hunderttausend Menschen in HARTZ-4 bzw. Sozialgesetzbuch II / Grundsicherung ab.

Mehr als 80 Prozent der geringfügig entlohnten Minijobber lassen sich von der Rentenversicherungspflicht befreien und verzichten damit auf deren Schutz. Im Alter sind diese Menschen dann auf die Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch XII angewiesen.

In Unternehmen mit Minijobs werden Steuerzahlungen in Milliardenhöhe umgangen. Das ist ungerecht, weil jeder Beschäftigte mit unterem und mittlerem Einkommen, der z.B. Überstunden macht, diese voll versteuern muss, während die Tätigkeit im Minijob mit Ausnahme einer eher symbolischen Pauschalsteuer steuerfrei ist.

In Minijobs sind Verstöße gegen die gesetzlich vorgeschriebenen Ansprüche noch immer an  der Tagesordnung. So enthält etwa ein Drittel der Beschäftigten keinen bezahlten Urlaub und beinahe genauso viele müssen auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verzichten.

Seit Jahren wird bei jeder Lohnerhöhung oder Erhöhung des Mindestlohns von der organisierten Unternehmerschaft die Erhöhung der 450 Euro-Grenze gefordert, denn wenn in einem Minijob mehr als 450 Euro verdienen werden, müssen die Beschäftigten sozialversicherungspflichtig angestellt werden. Das soll ja auf jeden Fall verhindert werden, denn die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht macht diese Beschäftigungsform für die Unternehmer erst so attraktiv. Deshalb wird auch flächendeckend getrickst, z.B. in dem man den Mindestlohn unterläuft, die Arbeitszeit reduziert, Arbeitsmittel in Rechnung stellt und Trinkgelder anrechnet, um nicht die 450 Euro-Grenze zu überschreiten.

Minijobs verhindern Lohnerhöhungen, verdrängen reguläre Arbeitsplätze, befördern die Altersarmut und bilden in der Krise einen Großsteil der Reservearmee an Arbeitskräfte.

Es ist höchste Zeit, dieses Arbeitsmodell endlich aufzugeben.

https://www.gewerkschaftsforum.de

Quellen: Zeit Online, Minijob-Zentrale, 
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 
dgb.de, BA
Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

—————————————————————–

Grafikquelle        :       Das neue „dynamische“ Führungs-Duo der EU erinnert an das Protagonisten-Pärchen eines bekannten Monumental-Films.

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Deutschland_DE, Gewerkschaften, Positionen | Keine Kommentare »

Corona : Atemwegsinfekt

Erstellt von Redaktion am 20. Mai 2020

Ein Atemwegsinfekt legt ganze Gesellschaften lahm – wie das?

HK 中環 Central 金鐘 Admiralty 香港公園 Hong Kong Park 抗非典肺炎紀念公園 Fighting SARS Memorial Architectural Scene April 2020 SS2 16.jpg

Quelle      :           Scharf  —  Links

Von Frank Bernhardt / Rudi Gospodarek, Gewerkschafter

Nach SARS-CoV-1 im Jahr 2002 und MERS-CoV 2012 sorgen zwei von den sechs humanpathogenen CoVs für schwere, lebensbedrohliche Krankheiten (Infektion der Atemwege bis hin zu Lungenentzündungen und sonstigen Organschädigungen etc.). Die WHO hatte damals schon vor einer Pandemie gewarnt und Notfallpläne für weitere Ausbrüche als dringlich angemahnt.

Die Staatenlenker brauchten jedoch ab Ende 2019 Monate, um sich von ihren virologischen Experten überzeugen zu lassen. Dann wurden sukzessive einschneidende Maßnahmen ergriffen. Eine weitgehende Unterbrechung des ökonomischen und sozialen Lebens fand statt. Eine Pause wurde nötig. Gar nicht so übel, könnte man denken. Gesünder wär‘s zweifellos, wenn der normale Ausstoß von giftigen Autoabgasen oder schädlicher Lärm von Flugzeugen den Menschen einmal erspart blieben. Positiv auch, dass der stressige Arbeitsprozess mal für einige Zeit ruht und alle die Früchte ihrer Arbeit genießen!

Das Ge­gen­teil ist aber der Fall, in dieser Gesellschaft hat eine simple Auszeit katastrophale Folgen. Ohne pausenloses Geldverdienen kommen nämlich Marktwirtschaft und damit das gesellschaftliche Leben zum Erliegen – mit der drohenden Perspektive eines wirtschaftlichen Abgrunds.

Ernste Lage – Lockdown – „neue Realität“

Mangels Impfstoff wird das SARS-CoV-2 die Menschen wohl noch länger begleiten. Der Gesundheitsminister fürchtet, „es kann noch Jahre dauern“ (Spiegel.de, 3.5.) bis zur Entwicklung eines Impfstoffes (normaler Weise dauert die Entwicklung fünf bis zehn Jahre). Die Zahl der Opfer soll sich weltweit, besonders in den armen Regionen der Welt, dramatisch erhöhen. Wobei die Sterberaten gegenwärtig nicht leicht zu ermitteln sind, da flächendeckende Tests mangels Material nicht durchgeführt werden. Und die Reaktion der Politik?

Eine äußerst bedenkliche Situation, deren Ausgang „offen“ (zdf.de, 19.3.) hat sie hierzulande konstatiert. So die Kanzlerin in ihrer „Ansprache an die Nation.“ Da drängt sich die Frage nach dem Zustandekommen dieser Lage auf? Was ist Sache? Die Regierenden reden von einem „dynamischen Geschehen“ (bundesregierung.de), die „Lage“ sei „jeden Tag neu“ zu bewerten (RKI). Die Lage ist allerdings nicht ohne das Handeln bzw. Nicht-Handeln der Politik entstanden. Die Akteure auf der politischen Bühne sind für die herrschenden Lebensumstände zuständig, darunter fallen auch Krankheiten und Seuchen (überarbeiteter § 5 des Infektionsschutzgesetzes im März).

Lange wurde das Virus als ein Problem Chinas abgetan, weit weg von uns und dazu in einem „autoritären Regime“ beheimatet. Die politisch gewährten Freiheiten der Bürger und Bürgerinnen wur­den im Zuge der Corona-Krise stark beschnitten. Die konsequenten Reaktionen (Schließung von Betrieben und Schulen, Beschränkung des öffentlichen Lebens, Abschottung von Regio­nen etc., darum geringere Opferzahlen und sukzessive Rückkehr zur marktwirtschaftlichen Logik), die China und andere asiatische Staaten ergriffen, kamen für Deutschland an­fangs nicht in Frage. Prahlerisch – im Vergleich zu unliebsamen und ökonomisch unterlegenen Staaten – wurde auf „unser“ exzellentes Gesundheitssystem verwiesen – „vielleicht eins der besten Gesundheitssysteme der Welt“ (A. Merkel, 18.3.). Obwohl abzusehen war, dass sich das Virus weltweit ausbreiten würde, fanden Produktion und Handel, Massenveran­staltungen und Anderes weiter statt – prächtige Geschäfte durften doch nicht einem winzigen Virus zum Opfer fallen!

Dann die Kehrtwende, der Lockdown war nicht zu vermeiden. Rückblickend werden die Versäumnisse der Entscheidungsträger als persönliches Problem behandelt, also bagatellisiert, und insgesamt ein Lob aufs hiesige Gemeinwesen ausgesprochen: „Bei allen Fehlern im Krisenmanagement sehen die Bürger, dass ihr Staat funktioniert“ (sueddeutsche.de, 24.04.) Einige Wochen später werden „Lockerungen“ Thema, von einer „neuen Realität“ ist gar die Rede. Vorsichtige, „klug bedachte Schritte“ (Scholz, Saarbrücker-Zeitung.de, 18.4.), die die Normalität wiederherstellen sollen, sind die neuen Schwerpunkte.

Schuldzuweisungen – natürlich ans Ausland

Wie sollte es in einer Staatenwelt auch anders sein, die kein Gemeinschaftswerk ist, sondern in der divergierende nationalstaatliche Interessen aufeinanderprallen. In China, einem aufstrebenden weltpolitischen Kon­kur­renten, mehrmals Exportweltmeister, soll in der Provinz Wuhan das Virus zuerst aufgetaucht sein. Schuld­zuweisungen wie „chinesischen Virus“ (tagesschau.de, 24.3), weit ab von jeder Erklärung, werden öffentlich gemacht.

醫管局員工陣線 press conference 20200131.png

Für Trump ist das Ganze ein gefundener Anlass, eine neues ‚Sperrfeuer‘ gegen China zu eröffnen, nachdem der Handelskrieg schon länger stattfindet. Dann legt Außenminister Pompeo nach und spricht von „signifikanten“ Beweisen zur künstlichen Erzeugung des Virus, „Details“ dürfe er jedoch nicht preisgeben (manager-magazin.de, 4.5.); sein deutscher Kollege Maas fordert China zur „vollumfänglichen Aufklärung“ auf. Das zeigt, wie man sich hierzulande an den chinafeindlichen „US-Aggressionen“ beteiligt, die „transatlantisch orientierte Kreise in Deutschland“ offen fordern (german-foreign-policy.com, 5.5.20).

Schulschließungen und Rückkehr zur „Normalität“

Das gesellschaftliche Leben wird jäh unterbrochen. Neben einer größeren Zahl von Berufstätigen, die Ende März in die Heimarbeit geschickt werden, zählt auch der Lehrerstand dazu. Obwohl in den Schulen seit Jahren Informatik mit der entsprechenden Technik unterrichtet wird, ist es für das Lehrpersonal (besonders in Grundschulen mit inklusiver Pädagogik) eine Herausforderung, dem Hausunterricht übers Netz mittels Laptop u.ä. nachzukommen – so es überhaupt möglich ist.

„Schüler aus benachteiligten Familien: offline und abgehängt“! So der „Standard“ in Österreich, was hierzulande nicht anders ist. Besonders betroffen sind diejenigen aus armen, sogenannten bildungsfernen Familien, denen es allein schon an elektronischen Voraussetzungen mangelt. Wie üblich fragt die Kennzeichnung „Benachteiligte“ nicht nach den Gründen der Misere. Wenn die „freie Presse“ nach „Bildungsgerechtigkeit“ für diese Schüler ruft (eine Presse, die übrigens kaum daran dachte, Schröders Beschimpfung des Lehrpersonals als „faule Säcke“ in die Schranken zu weisen), dann ist das geheuchelt und dient dazu, die Wiederöffnung der Schulen zu fordern. Hilfreich wäre es schon, ein­mal über Sinn und Zweck der Institution Schule nachzudenken. Dazu hier einige Anmerkungen.

Warum füllen z.B. sieben bis acht Millionen Schüler und Schülerinnen nach der Schule als funktionelle Analphabeten die Sta­tisti­ken? Warum beherrschen nach neun bis zehn Jahren Schulbesuch etliche die Grundrechenarten nicht und haben große Schwierigkeiten im Bruch- und Prozentrechnen? Usw. Der Grund liegt darin, dass das Ler­nen in den Schulen als Konkurrenzlernen eingerichtet ist. Der Leistungsvergleich dient der Selektion, Gewinner und Verlierer sind die Folge. Bei den Erstgenannten steht im Abschluss­zeugnis der Grundschule eine „Empfehlung fürs Gymnasium“. Die Verlierer werden von weiterführender Schulbildung ausgeschlossen. Damit sind die Berufsperspektiven vorgezeichnet. Ein erfolgreiches Studium kann zu beruflichen Positionen mit lukrativer Bezahlung führen – die Karriere ist natürlich nicht garantiert, aber ohne einen solchen „höheren“ Abschluss geht kaum was. Die große Mehrzahl mit oder ohne weitere Ausbildung ist ein Leben lang auf mehr oder weniger schlecht bezahlte, dazu noch körperlich anstrengende Arbeiten verwiesen. Im ungünstigsten Fall werden die Betreffenden schon früh über Hartz IV alimentiert.

Derzeit wird der normale Schulbetrieb wieder vorbereitet bzw. geht mit Sonderregelungen an den Start. Schulleitungen und Lehrer-Kollegien haben sich eifrig bemüht, Notfallpläne (Abstands- und Pausenregelungen, Bereitstellung von Hygieneartikeln etc.) zu erstellen. Zeitintensive neue Aufgaben stehen an. Dass die Schulbehörden dafür Neueinstellungen vornehmen, davon ist nichts zu hören. Vielmehr konfrontieren sie die Lehrerschaft täglich zusätzlich mit verbindlichen Vorgaben zu verschiedenen Anliegen.

Nach der Wiedereröffnung sollen Klassenlehrer Präsenzunterricht und für eine vermutlich größere Gruppe von Schülern nach wie vor Fernunterricht erteilen. Hier war es W. Schäuble, der den Vorschlag in die Debatte einbrachte, die Sommerferien zu verkürzen, um „Unterrichtsstoff nachzuholen“ (zeit.de, 27.4). Österreich plant z.B. Brückentage, die in die „Lehrerarbeitszeit“ eingearbeitet sind, für „Unterricht“ zu nutzen (standard.at 27.4.), und zwar mit dem Hinweis, den Lehrern seien ja schon „Corona-Ferien geschenkt worden“ (standard.at, 29.4.). Eine Lehrerin redet Tacheles: Zwei Drittel der Arbeitszeit verwende sie für „Live-Unterricht“ am PC und „Echtzeitgespräche“, der Rest seien Korrekturen und Kommunikation. Dabei entstehe Mehrarbeit, da sie „fast immer erreichbar und verfügbar“ sei. Hier wird es interessant, wie sich die Bildungsgewerkschaften dagegen aufstellen werden. Denn auch im kommenden Schuljahr, heißt es, sei ein „normaler Unterricht derzeit nicht denkbar“ (Esken, sueddeutsche.de, 5.5.).

Niemand wird nach jahrzehntelangen Streichungen naive Hoffnungen hegen, dass die Schulpolitik jetzt dringend benötigte Lehrkräfte neu einstellt, um die Mehrarbeit abzumildern. Staatliche Rettungsschirme in Milliardenhöhe sind dafür da, die global boomenden Wachstumsbranchen (die Produktion und den Gebrauch der Verkehrsmittel in der Luft und auf der Straße) wieder auf Touren zu bringen. Schulen sind eben „faux frais“, „unproduktiv“ für die Wirtschaft; für die Reproduktion des Kapitals zwar notwendig, aber unmittelbar keinen „Wert und Mehrwert“ schaffend, worin Marx den Hauptzweck der kapitalistischen Ökonomie sah (vgl. Das Kapital, MEW 23, 326 ff).

Das Gesundheitswesen und die Volksgesundheit

Die Öffentlichkeit wettert über ein „schlechtes Gesundheitssystem“ – natürlich in Italien und Spanien. Dass Deutschland, die Führungsmacht der EU, im Verein mit EZB und IWF den Südländern die einschlägigen Einspa­rungen aufoktroyierte, um die Stabilität des Euros zu gewährleisten, wird dabei nicht thematisiert. „Die da unten“ machen halt immer die Fehler! So geht europäische Solidarität. Als dem hiesigen Gesundheitswesen die Schutzmaterialien fehlten, erließ Deutschland übrigens ein Exportverbot für Lieferungen in die Mitgliedsländer.

Einfach um die Gesundheit des Einzelnen geht es der staatlichen Sorge um die „Volksgesundheit“ übrigens nicht, vielmehr ist die Erhaltung eines nützlichen Volks, speziell der Arbeitsfähigkeit des „Humankapitals“, das Ziel. Die notwendigen Maßnahmen der Gesundheitspolitik, die natürlich einen Riesenaufwand bedeuten und mit ihren Kosten das Dauerprogramm Gesundheitsreform ins Leben rufen, dienen der Aufrechterhaltung der Brauchbarkeit derer, die für die Bedienung fremder Interessen gerade zu stehen haben. Inbegriffen ist darin die Selbstverständlichkeit, dass die Menschheit in der Hauptsache an „Zivilisationskrankheiten“, also an den Folgen des vom Staat gewollten und überwachten industriellen Fortschritts, leidet.

Die angesprochene „Lage“ ist nicht neu. Die Politik hat dafür ein Gesundheitsressort eingerichtet. Der verantwortliche Minister Spahn hat das Virus anfangs im „Krankheitsverlauf milder als bei Grippe“ eingestuft. Das Gesundheitsminis­terium reagiert auf gesundheitliche Schäden, die in einer Gesellschaft, wo jedes Bedürfnis einen Kaufakt durchläuft, der mehr Geld bringen muss als eingesetzt wurde, dauerhaft stattfinden. Die letzte Feinstaubdebatte beim ‚Dieselskandal‘ hat das gezeigt. Lebensmittelskandale stehen weiter auf der Tagesordnung. Grenzwerte sind ein Indiz, dass Schadstoffe in der Produktion und im Alltagsleben ständige Begleiter sind, was einschließt, dass Menschen in erheblicher Zahl dadurch zu Tode kommen. Kaum zu glauben, Entwicklungsminister Müller (CSU) spricht vom „Raubbau an der Natur“ des „Immer-Weiter-Schneller-Mehr-Kapitalismus“ (rp-online, 2.5.). Mediziner warnen schon länger: Umweltverschmutzung „tötet mehr Menschen als Krieg, Hunger, Malaria, AIDS oder Tuberkulose“ (deutsch.medscape.com, 2017).

Schäubles Rat

Der Bundestagspräsident – in der Finanzkrise bekannt geworden durch seinen scharfen Sparkurs gegenüber Griechenland, mit den Folgen eines sozialen Kahlschlags, der dort Menschenleben kostete und ihm den Beinamen „Brandstifter“, der in Europa wütet, einbrachte – will „das Verhältnis zwischen Marktwirtschaft und staatlicher Regulierung neu definieren“ (Schäuble, 19.4.20). Der ältere christdemokratische Herr will die Marktwirtschaft natürlich keiner substanziellen Kritik unterziehen, sondern sieht den Staat vor der Aufgabe, neue Regeln zu setzen. Den „Raubtierkapitalismus bändigen“, eine linke Forderung aus der Finanzkrise, lebt wieder auf. Tja, so gibt es viele fromme Wünsche. Was aus der geplanten Regulierung des Finanzsektors nach dieser Krise von 2008 wurde, ist ja bekannt.

Theater District, New York, NY, USA - panoramio (10).jpg

In den Rangeleien aller Parteien um die Lockerung des Lockdown meldet sich Schäuble wieder zu Wort. „Man könne nicht alles dem Schutz von Leben unterordnen“ (deutschlandfunk.de, 26.4.), so sein Statement. De facto ist diese Maxime längst gängige Praxis, wenn z.B. die Kapazitäten in den marktwirtschaftlich organisierten Krankenhäusern nicht ausreichen und in Italien oder Spanien die Triage angewandt wird, die kranke Ältere von der Behandlung ausschließt. „Kollateralschäden“ nennt man das heute nach militärischem Sprachgebrauch. Kriege kosten eben Menschenleben. Das passt zur jetzigen Lage, wo Menschenleben als Kalkulationsgröße behandelt werden. Zudem fallen nach der Krise immense Kosten des Schuldendienstes an. Da ist es schon einmal gut zu wissen, dass nicht jedem geholfen werden kann!

Krise & Kredit

Experten prognostizieren einen Wachstumsrückgang von ca. 10 %. Vergleiche mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 werden angestellt. Sind Geschäfte und Fabriken geschlossen, stockt das Wachstum, Löhne werden nicht bezahlt. Werden die geschlossenen Betriebe und Geschäfte nicht mit Krediten am Leben gehalten, droht die Pleite. Der Staat ersetzt den oft kargen Lohn durch ein reduziertes Kurzarbeitergeld. Das alles bestimmende Maß der kapitalistischen Reichtumsproduktion kommt ins Stottern. Das könnte einem doch jetzt auffallen: Was für eine Absurdität es ist, dass das gesamte gesellschaftliche Leben vom Geld abhängig ist. Stattdessen heißt: Dann muss der Staat das Geld bzw. die Geldrechnungen retten, er muss einspringen und verschuldet sich in Billionenhöhe.

Stockt der Geldfluss, heißt das Krise. Diese Krise hat sich schon im letzten Jahr ohne Corona angekündigt, als sich die „Industrieproduktion“ um „knapp 5 %“ (nachdenkseiten.de, 20.3.) verringerte. Nun hat sich die Corona-Krise noch oben drauf gepfropft. Die Folgen sind Vernichtung von Produktionsmitteln, Arbeitsplätzen und Waren. Und aus der Krise hilft der Staat mit seinem Kredit der Wirtschaft, damit das Ganze wieder von vorn losgeht – denn zyklisch wiederholt sich dieser Prozess, auch ohne Corona. Es dürfte klar sein, dass die „unmittelbaren Produzenten“ (MEW 23, 200) die Zeche, wie gehabt, zu zahlen haben – und der Kapitalismus wieder einmal als das unbezweifelbare Lebensmittel von uns allen aus der Krise hervorgeht.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

————————————————————————–

Grafikquellen       :

Oben      —        HK 中環 Central 金鐘 Admiralty 香港公園 Hong Kong Park 抗非典肺炎紀念公園 Fighting SARS Memorial Architectural Scene April 2020

2.) von Oben      —             新工會「醫管局員工陣線」公布將參與罷工人數及未來行動

————————————

Unten         —          Theater District, New York, NY, USA

This image, which was originally posted to Panoramio, was automatically reviewed on by Panoramio upload bot, who confirmed that it was available on Panoramio under the above license on that date.

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gesundheitspolitik, Gewerkschaften, Regierung | 4 Kommentare »

„Hygiene“+“Grundgesetz“

Erstellt von Redaktion am 12. Mai 2020

ES GEHT NOCH WEITER ZURÜCK…

File:Landgericht-frankfurt-2010-ffm-081.jpg

Quelle      :         AKL

Von Thies Gleiss,

Erste Anmerkungen zu den „Hygiene“- und Grundgesetz-Demonstrationen von Thies Gleiss, der sich mit der neuen „Parteigründung“ unter dem irreführenden Namen „Widerstand 2020“ beschäftigt.

Die politische Szene in Deutschland konnte an der „Aufstehen“-Initiative von Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und anderen bereits studieren, wie politisch entleibt eine in der digitalen Welt von durch sich selbst ausgesuchten Einzelfiguren gegründete „Partei“ oder „Bewegungs“-Initiative ist. Aber immerhin hatte „Aufstehen“ noch reale gesellschaftliche Bezüge, nahm zur Kenntnis, dass es Arme und Reiche, soziale Interessen usw. gab. Doch ansonsten war der programmatische Kitt eine vormarxistische Gesellschaftsanalyse im Stile Proudhons oder Lassalles, die von Klassen, Klassenkampf und Klasseninteresse – also der Realität der letzten 170 Jahre – nichts wissen wollte. Mit diesem mageren theoretischen Rüstzeug konnte eine Abgrenzung von „Aufstehen“ zu nationalistischen und rechten Positionen schon mal gründlich schief gehen.

„Widerstand 2020“ geht offenkundig noch ein paar Jahre in der Geschichte zurück und predigt den halb-radikalen Liberalismus und Freiheitsbegriff im schwätzenden Umfeld der 48er-Revolution. Die Bürger- und Freiheitsrechte, befreit jeglicher Inhalte, für die sie genutzt werden sollen, sind das wichtigste programmatische Ziel. Statt gegen den sich damals tatsächlich alles anmaßenden Adel geht es heute gegen die „Scheindiktatur“ der herrschenden Politik oder – je nach Geschmack und Temperament – gegen selbst konstruierte Weltherrschaftsmonster, wie Bill Gates oder andere noch geheimere Mächte.

Da fällt die Abgrenzung nach Rechts naturgemäß noch mal schwerer. Die gute alte Zeit ist immer leicht zu beschwören und zu verklären. Ein Tummelplatz für abgedrehte Verschwörungstheorien wird die neue Partei auch mehr als andere Gründungsversuche werden. Die Überwindung der Inhalte gelingt halt nur als Parodie im Stil der „Partei“.

Zettel „Wollt ihr die totale Hygiene?“.jpg

Je mehr sich „Widerstand 2020“ von diesen Anfangs-Dummköpfen – nennen wir als Namen mal Ken Jebsen – trennen will – allein damit die Sache besser riecht – umso hilfloser wird der Rest zurückbleiben.

Meine Prognose: Gründerdoktor Bodo Schiffmann hat mit seiner eigenen Schwindel-Ambulanz so viel zu tun, dass diese neugegründete Schwindel-Variante schon bald als hohle Nuss vergessen sein wird. Schneller noch als „Aufstehen“, und da ging es ja schon ähnlich flott wie der Schnitt in den modernen Netflix-Serien…

akl - Antikapitalistische Linke

———————————————————————–

Grafikquellen       :

Oben       —       Art. 1, Satz 1, des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, am Landgericht in Ffm.

Author Dontworry
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

———————-

Unten     —     Flyer

Abgelegt unter Berlin, Gewerkschaften, P. DIE LINKE, Überregional | Keine Kommentare »

Ideologie der Ungleichheit

Erstellt von Redaktion am 27. April 2020

Elemente eines partizipativen Sozialismus für das 21. Jahrhundert

Hypnotoad (5919725708).jpg

Von Thomas Piketty

ede menschliche Gesellschaft muss ihre Ungleichheiten rechtfertigen. Sie muss gute Gründe für sie finden, da andernfalls das gesamte politische und soziale Gebäude einzustürzen droht. So bringt jedes Zeitalter eine Reihe kontroverser Diskurse und Ideologien hervor, um Ungleichheit in der Gestalt, in der es sie gibt oder geben sollte, zu legitimieren und wirtschaftliche, soziale und politische Regeln aufzustellen, die geeignet sind, das gesellschaftliche Ganze zu organisieren. Dieser zugleich intellektuellen, institutionellen und politischen Auseinandersetzung entspringen im Allgemeinen eine oder mehrere herrschende Erzählungen, auf die sich die bestehenden Ungleichheitsregime stützen.

In den heutigen Gesellschaften übernimmt diese Rolle vor allem die proprietaristische[1] und meritokratische, den Unternehmergeist beschwörende Erzählung: Die moderne Ungleichheit ist gerecht und angemessen, da sie sich aus einem frei gewählten Verfahren ergibt, in dem jeder nicht nur die gleichen Chancen des Marktzugangs und Eigentumserwerbs hat, sondern überdies ohne sein Zutun von dem Wohlstand profitiert, den die Reichsten akkumulieren, die folglich unternehmerischer, verdienstvoller, nützlicher als alle anderen sind. Und dadurch sind wir auch himmelweit entfernt von der Ungleichheit älterer Gesellschaften, die auf starren, willkürlichen und oft repressiven Statusunterschieden beruhte.

Das Problem ist, dass diese große proprietaristische und meritokratische Erzählung, die im 19. Jahrhundert, nach dem Niedergang der Ständegesellschaften des Ancien Régime, ihre erste Sternstunde erlebte und Ende des 20. Jahrhunderts, nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus und dem Triumph des Hyper-Kapitalismus, eine radikale Reformulierung globalen Zuschnitts erfahren hat, immer weniger tragfähig scheint. Sie führt zu Widersprüchen, die in Europa und den Vereinigten Staaten, in Indien und Brasilien, China und Südafrika, Venezuela und dem Nahen Osten gewiss ganz unterschiedliche Formen annehmen. Gleichwohl sind diese verschiedenen, teilweise auch gekoppelten Wegverläufe, die einer je eigenen Geschichte entspringen, zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts immer enger miteinander verbunden. Nur aus einer transnationalen Perspektive werden wir daher die Schwachstellen dieses Narrativs besser verstehen und die Rekonstruktion einer alternativen Erzählung ins Auge fassen können.

Vom Hyperkapitalismus in die nationalistische Abschottung

Tatsächlich sind wachsende sozio-ökonomische Ungleichheiten seit den 1980er und 1990er Jahren in fast allen Teilen der Welt zu verzeichnen. In manchen Fällen haben sie so dramatische Ausmaße angenommen, dass es zusehends schwieriger wird, sie im Namen des Allgemeininteresses zu rechtfertigen. Zudem gähnt allenthalben ein Abgrund zwischen den offiziellen meritokratischen Verlautbarungen und den Realitäten, mit denen sich die beim Bildungs- und Reichtumserwerb benachteiligten Klassen konfrontiert sehen. Allzu oft dient der meritokratische, das Unternehmertum preisende Diskurs den Gewinnern des heutigen Wirtschaftssystems offenbar dazu, auf bequeme Weise jedes erdenkliche Ungleichheitsniveau zu rechtfertigen, ohne es überhaupt in Augenschein nehmen zu müssen, und die Verlierer ob ihres Mangels an Verdienst, Fleiß und sonstigen Tugenden zu brandmarken. Diese Schuldigsprechung der Ärmsten hat es in früheren Ungleichheitsregimen, die eher die funktionale Entsprechung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen im Auge hatten, nicht oder zumindest nicht in diesem Ausmaß gegeben.

Die moderne Ungleichheit zeichnet sich denn auch durch eine Reihe von Diskriminierungspraktiken und ethnisch-religiösen oder den Rechtsstatus betreffenden Ungleichheiten aus, deren gewaltsamer Charakter zu den meritokratischen Ammenmärchen so recht nicht passen will und uns vielmehr in die Nähe der brutalsten Formen vergangener Ungleichheiten rückt, mit denen wir doch nichts gemein haben wollen. Man denke an die Diskriminierung, der Obdachlose oder Menschen einer bestimmten Herkunft und aus bestimmten Vierteln ausgesetzt sind. Oder an die Migranten, die im Mittelmeer ertrinken.

Angesichts dieser Widersprüche und mangels eines neuen glaubhaften universalistischen Gleichheitshorizontes, den wir bräuchten, um uns den wachsenden Herausforderungen zu stellen, mit denen Ungleichheit, Migration und Klimawandel uns konfrontieren, steht zu befürchten, dass mehr und mehr die identitäre und nationalistische Abschottung als große Ersatzerzählung einspringt, wie es schon im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten war und in diesem beginnenden 21. Jahrhundert in den verschiedensten Teilen der Welt abermals zu beobachten ist.

Es war der Erste Weltkrieg, der einen Prozess zunächst des Abbruchs, dann der Neubestimmung jener Globalisierung der Geschäfts- und Finanzwelt in Gang setzte, die zu stark wachsender Ungleichheit in der „Belle Époque“ (1880-1914) geführt hatte – in einer Epoche, die belle allenfalls im Vergleich mit der Entfesselung von Gewalt heißen kann, die auf sie folgen sollte. Schön war sie in Wahrheit bloß für die Besitzenden, und namentlich für den weißen besitzenden Mann. Wenn das heutige Wirtschaftssystem nicht zutiefst verwandelt wird, um es in den einzelnen Ländern, aber auch zwischen ihnen egalitärer, gerechter und nachhaltiger zu machen, dann könnte es sein, dass der fremdenfeindliche „Populismus“ und seine möglichen Wahlerfolge es sind, die sehr bald die hyper-kapitalistische und digitale Globalisierung der Jahre 1990 bis 2020 in einen Zerfallsprozess eintreten lassen.

An der neuen ultra-inegalitären Erzählung, die sich seit den 1980er Jahren durchgesetzt hat, sind die Geschichte und das Desaster des Kommunismus nicht unschuldig. Aber sie ist auch die Frucht der Unkenntnis wie der Zerstückelung des Wissens und hat erheblich dazu beigetragen, den Fatalismus und die identitären Auswüchse zu nähren, mit denen wir es heute zu tun haben. Nimmt man aus einer interdisziplinären Perspektive den Faden der Geschichte wieder auf, so wird es möglich, zu einer ausgewogeneren Erzählung zu kommen, um die Umrisse eines neuen partizipativen Sozialismus für das 21. Jahrhundert zu zeichnen und den universalistischen Horizont einer neuen Ideologie der Gleichheit, des gesellschaftlichen Eigentums, der Bildung, der Wissens- und Machtverteilung zu erschließen. Diese Erzählung ist optimistischer, sie setzt größeres Vertrauen in die menschliche Natur. Aber sie ist auch genauer und plausibler als die überkommenen Erzählungen, weil sie die Lehren beherzigt, die wir aus einer globalen Geschichte ziehen können.

Die Grenze und das Eigentum

Dabei steht insbesondere das politische Regime in Frage, also die Gesamtheit der Regeln, die eine Gemeinschaft definieren und ihr Hoheitsgebiet abstecken, die Mechanismen kollektiver Beschlussfassung und die politischen Rechte ihrer Mitglieder. Darunter fallen die unterschiedlichen Formen politischer Teilhabe und Mitbestimmung ebenso wie die Rolle von Einwohnern und Ausländern, Präsidenten und Versammlungen, Ministern und Königen, Parteien und Wahlen, Kolonialreichen und Kolonien.

Deutsche Wohnen in Berlin-Wilmersdorf

Es geht aber auch um die Frage des Eigentumsregimes, das heißt der Gesamtheit der Regeln, die über mögliche Eigentumsformen entscheiden, sowie der Rechtsmittel und Praktiken, die die Eigentumsverhältnisse zwischen den jeweiligen Gesellschaftsgruppen regeln und über die Einhaltung dieser Regeln wachen. Jedes Ungleichheitsregime, jede Ungleichheitsideologie beruht, vereinfacht gesprochen, auf einer Theorie der Grenze und einer Theorie des Eigentums. Auf der einen Seite muss die Frage der Grenze beantwortet werden. Man muss klären, wer Teil der menschlichen und politischen Gemeinschaft ist, der man angehört oder sich anschließt, und wer nicht, auf welchem Gebiet und nach welchen Regeln sie regiert werden will, und wie sich ihre Beziehungen zu anderen Gemeinschaften innerhalb einer umfassenden menschlichen Gemeinschaft (die je nach Ideologie mehr oder weniger als solche anerkannt wird) organisieren lassen. Es geht dabei um die Frage des politischen Regimes, aber ihre Beantwortung schließt auch eine unmittelbare Antwort auf die Frage der sozialen Ungleichheit ein, zuallererst jener, die Staatsangehörige von Ausländern trennt.

Auf der anderen Seite muss die Frage nach dem Eigentum beantwortet werden. Kann man andere Individuen besitzen? Oder Anbauflächen, Immobilien, Unternehmen, natürliche Ressourcen, Erkenntnisse, finanzielle Vermögenswerte, die Staatsschulden? Nach welchen praktischen Modalitäten und auf der Grundlage welches Rechtssystems, welcher Rechtsprechung kann man die Beziehungen zwischen Eigentümern und Nichteigentümern regeln und dafür sorgen, dass sie aufrechterhalten werden? Diese Frage des Eigentumsregimes hat, wie die des Bildungs- und Steuerregimes, einen gestaltenden Einfluss auf soziale Ungleichheiten und ihre Entwicklung.

Wer hat die Macht – und wer das Eigentum?

Quelle       :        Blätter          >>>>>          weiterlesen

———————————————————————

Grafikquellen        :

Oben       —             hypnotoad

Unten     —           Deutsche Wohnen in Berlin-Wilmersdorf

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, Kultur, Mensch | Keine Kommentare »

Nachruf auf Norbert Blüm

Erstellt von Redaktion am 26. April 2020

Ein Mann, der von Nähe lebte

Bundesarchiv B 145 Bild-F078539-0037, Wiesbaden, CDU-Bundesparteitag, Blüm.jpg

Von Barbara Dribbusch

Norbert Blüm führte die Pflegeversicherung ein und war Verteidiger der gesetzlichen Rente – trotz Kompromissen und Missverständnissen.

Diesem Mann konnte man nicht böse sein, und genau das war sein Geschäftsmodell. Es war sein Modell der politischen Repräsentation, die zu seiner Zeit immer auch ein Versuch der Versöhnung war zwischen links und rechts. Man merkte ihm an, dass diese Versöhnungsversuche Kraft kosteten, und das machte ihn nahbar und beliebt. Was ihm schmeichelte, denn er war durchaus auch ein Angeber, ein eher kleingewachsener Mann mit großer Klappe und einem kabarettkompatiblen hessischen Zungenschlag.

Norbert Blüm, Werkzeugmacher, Doktor der Philosophie, Katholik, Kabarettist und langjähriger CDU-Sozialminister unter der Regierung Helmut Kohl, ist am Donnerstag im Alter von 84 Jahren gestorben.

Schon die letzten Nachrichten von Blüm waren traurige. Nach einer Blutvergiftung war er von der Schulter abwärts gelähmt, saß zu Hause in Bonn im Rollstuhl. Wie eine Marionette ohne Fäden fühle er sich, ließ er mitteilen. Man hätte ihm sehr gewünscht, dass ihm am Ende seines Lebens eine solche Herausforderung für Tapferkeit und Durchhaltevermögen erspart geblieben wäre.

Blüm war sowohl gewerkschaftsaffin als auch kirchennah, seine Biografie wies eine Lehre in der Fabrik, aber auch ein Studium mit Promotion auf. Geboren in Rüsselsheim, ging er nach dem Abschluss der Volksschule als 14-Jähriger 1949 drei Jahre lang zu Opel in eine Lehre als Werkzeugmacher. In diesem Beruf arbeitete er bis 1957.

Der missverstandene Renten-Spruch

Danach holte er auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach und studierte an der Universität Bonn die Fächer Philosophie, Germanistik, Geschichte und Theologie, wobei er auch Veranstaltungen von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst, besuchte. Er promovierte in Philosophie.

Blüm war in seiner Jugend Messdiener und Sankt-Georgs-Pfadfinder gewesen. 1950, also mit 15 Jahren, trat er in die IG Metall ein und im selben Jahr auch in die CDU. Aus heutiger Sicht hätte man ihn politisch mehr der SPD zugeordnet, aber das „sozialdemokratische Fahrwasser“, so erzählte der Katholik später, sei irgendwie nicht sein Fahrwasser gewesen. Also die CDU, wo er dem linken Flügel angehörte und als Bundesarbeitsminister in der christlich-liberalen Koalition unter Helmut Kohl zwischen 1982 und 1998 seine politisch wichtigste Zeit erlebte.

Bekannt wurde Blüm durch den Spruch: „Die Rente ist sicher“, der ihm Spott und Häme einbrachte, weil er später an Rentenreformen beteiligt war, die die Kürzung des Altersruhegelds mit sich brachten. „Die Rente ist sicher“ galt ab sofort für viele Kritiker als ein Beispiel nicht eingehaltener politischer Versprechen. Tatsächlich aber ist die Betrachtung der Genese dieses Spruchs ein Beispiel, wie politische Aussagen verfremdet, neu kontextualisiert und von der Gegenseite instrumentalisiert werden können.

KAS-Münster-Bild-14082-1.jpg

Was Blüm da im Wahlkampf 1986 plakatierte, war nämlich der Spruch: „Denn eins ist sicher: die Rente.“ Das ist nicht ganz das Gleiche. Zur Höhe der gesetzlichen Rente im Auf und Ab der kommenden Reformen ist damit nichts versprochen und nichts garantiert.

Urheber der Pflegeversicherung

Nach den Erfahrungen der Finanzkrise, einbrechenden Aktienmärkten und einer Riester-Rente, die zwar in der Verwaltung teuer ist, aber den Ärmeren nichts bringt, hielt Blüm erst recht an seiner Verteidigung der gesetzlichen Rente als allerwichtigstem Alterssicherungsmodell fest. Bei einem Auftritt vor sechs Jahren in der Satiresendung „Die Anstalt“ im ZDF zum Rententhema heimste er damit Beifall ein.

Blüm erzählte gerne aus seiner Lebensgeschichte und zelebrierte dabei eine Mischung aus Nähe und Bescheidenheit, die gut ankam bei Menschen, die zwar über eine Wählerstimme, aber nicht über Privilegien verfügen. In einem Hintergrundgespräch zum Thema Hospize und Sterbehilfe in den 90er Jahren schilderte Blüm eindringlich eine Sterbebegleitung in seiner Familie, manchen JournalistInnen standen darob Tränen in den Augen. Diesem Mann nahm man alles ab.

Als Minister war er ein harter Arbeiter, ein richtiger Facharbeiter für Sozialpolitik. Er begleitete die deutsche Einheit, als über Nacht Millionen Ostdeutsche in das deutsche Rentensystem und in die Arbeitslosenversicherung eintraten.

Obwohl die Finanzlage der Sozialkassen angespannt war, schaffte es Blüm, ab 1995 die Pflegeversicherung einzuführen. Es war die letzte große Sozialreform, die ein Abgabensystem aus Beitragsmitteln der erwerbstätigen Bevölkerung installierte. Mit der steigenden Massenarbeitslosigkeit entbrannte kurz darauf eine Diskussion über die hohen „Lohnnebenkosten“ – es wäre dann nicht mehr möglich gewesen, eine solche Versicherung aufzubauen, die Hunderttausende Pflegebedürftige vor der Aufzehrung ihres Vermögens und dem Gang zum Sozialamt bewahrt, auch wenn deren Ausgestaltung heute wieder als zu gering anmutet.

Quelle       :      TAZ          >>>>>         weiterlesen

———————————————————————-

Grafikquellen       :

Oben        —       Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. 13.06. – 15.06.1988 36. CDU-Bundesparteitag in der Rhein-Main-Halle in Wiesbaden

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, P.CDU / CSU, Sozialpolitik | 2 Kommentare »

Offener Brief des Netzwerks

Erstellt von Redaktion am 23. April 2020

 – Grundeinkommen an Angela Merkel

Berlin UBI march (48962525928).jpg

Quelle     :       Scharf  —  Links

Bereitgestellt vom Netzwerk-Mitglied Wolfgang Gerecht

Anlässlich der kommenden EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands hat sich der Netzwerkrat am 22. April in einem offenen Brief an Angela Merkel gewandt.

Darin wird auf Aussagen zum Grundeinkommen in

·         Entschließungen,

·         Erklärungen und

·         Papieren des Europäischen Parlaments,

·         der Europäischen Kommission und

·         des Europäischen Rates verwiesen, ebenso auf die große Zustimmung

·         der Bürger*innen zum Grundeinkommen in der EU und in Deutschland.

Die Forderungen an Angela Merkel anlässlich der EU-Ratspräsidentschaft lauten:

„Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

wir fordern Sie auf, dem Willen der Bürger*innen in der EU, in Deutschland, der Abgeordneten im Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission entsprechend, in das Arbeitsprogramm der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands folgende Programmpunkte aufzunehmen:

Austausch und Konsultationen zwischen den Gremien der EU (Europäischer Rat, Europäische Kommission, Europäisches Parlament) und den zivilgesellschaftlichen Organisationen in den EU-Mitgliedstaaten, die sich für ein Grundeinkommen engagieren, mit dem Ziel, EU-weite öffentliche Diskussionen und Forschungsvorhaben über die Möglichkeit der Einführung von bedingungslosen Grundeinkommen, die der Armut vorbeugen und soziale Ungleichheit beseitigen, in den EU-Mitgliedstaaten zu beginnen.

Erarbeitung erster Umsetzungsvorschläge in Abstimmung mit den o. g. Gremien der Mitgliedstaaten und mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen in den EU-Mitgliedsstaaten, die sich für ein Grundeinkommen engagieren, um Armut vorbeugende und soziale Ungleichheit beseitigende Grundeinkommen in den EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen.

Verhandlungen mit Portugal und Slowenien darüber, dass die unter Punkt 1 und 2 aufgeführten Maßnahmen unter deren Ratspräsidentschaft fortgeführt bzw. weiterentwickelt werden.

Wir fordern Sie im Weiteren dazu auf, die Öffentlichkeit in Deutschland und den Deutschen Bundestag über den Fortgang der Maßnahmen unter Punkt 1 bis 3 monatlich zu informieren.

Wir möchten betonen:

Das Netzwerk Grundeinkommen ist gern bereit, Sie und die gesamte Bundesregierung bei der Umsetzung o. g. Maßnahmen zu unterstützen.“

Weiterhin wird im offenen Brief darum gebeten, das Anliegen der Petent*innen zum Krisen-Grundeinkommen in Deutschland schnellstmöglich umzusetzen.

Der offene Brief wurde zur Kenntnisnahme und Unterstützung übermittelt an:

Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

den Präsidenten und die Vizepräsident*innen des Deutschen Bundestags,

den Ausschuss für Arbeit und Soziales im Deutschen Bundestag,

den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Deutschen Bundestag, den Bundesminister für Arbeit und Soziales,

den Bundesminister für Energie und Wirtschaft – Europaministerium,

die Mitglieder des Bundesrates,

den Präsidenten und die Vizepräsidenten des Bundesrates,

den Präsidenten des Europäischen Parlaments,

Fraktionen des Europäischen Parlaments,

deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments,

den Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, die Europäische Kommission,

den Kommissar für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Inklusion der Europäischen Kommission,

den Europäischen Rat und

den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

 Grafikquelle      :        Demonstrators holding signs walk along the trolley tracks at Alexanderplatz in Berlin. Approximately 150 to 200 people marched in the German capital on October 26, 2019, in support of universal basic income, walking from Alexanderplatz to the Brandenburg Gate. Thousands of other people marched in more than 20 cities worldwide.

Abgelegt unter Gewerkschaften, HARTZ IV - (Bürger-Geld), Opposition, Positionen | Keine Kommentare »

Das Ende einer Theorie

Erstellt von Redaktion am 22. März 2020

Corona-Dämmerung für Neoliberalismus

Thatcher Spitting Image puppet.jpg

Kommentar von Ulrike Herrmann

Die Pandemie zeigt: Den Neoliberalismus kann man getrost beerdigen. Nur der Staat kann den Kapitalismus retten.

Die Coronakrise hat auch ihre Vorteile. Sie dürfte die neoliberale Ideologie beerdigen, die die westliche Welt seit 1980 dominiert hat. Zwei Spitzenpolitiker brachten einst plastisch auf den Punkt, wie platt Marktradikale denken. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher ließ wissen: „Es gibt keine Gesellschaft.“ In ihrem Weltbild existierten nur Individuen, die ausschließlich für sich selbst sorgen sollten.

Auch US-Präsident Ronald Reagan hinterließ einen Spruch, der das neoliberale Denken treffend zusammenfasst: „Die Regierung ist nicht die Lösung unseres Problems, die Regierung ist das Problem.“ Der Staat sollte schrumpfen, auf dass der freie Markt übernimmt. Also wurden die Rentenkassen privatisiert, die Finanzmärkte dereguliert, Staatsvermögen verkauft und die Steuern für die Reichen gesenkt. Auch in Deutschland wurden diese Konzepte kopiert.

Die Coronakrise zeigt nun, dass der „freie Markt“ eine Fiktion ist. Märkte können nur existieren, wenn der Staat sie stützt. Die Talfahrt des Aktienindex DAX ist ein Lehrstück: In knapp einem Monat fielen die deutschen Börsenkurse um fast 40 Prozent – noch nie war ein Absturz so dramatisch. Der Wertverlust wäre sogar noch drastischer ausgefallen, wenn der Staat nicht eingegriffen hätte

Der DAX hat sich nur deshalb auf niedrigem Niveau stabilisiert, weil die Europäische Zentralbank (EZB) Banken und Wirtschaft mit Milliarden Euro flutet und die deutsche Regierung flankierende Maßnahmen ergreift. Sie hat das Kurzarbeitergeld aufgestockt, wird die Solo-Selbstständigen unterstützen und sich an schlingernden Großkonzernen wie der Lufthansa beteiligen.

Die „Märkte“ versagen, weil sie nur funktionieren könnten, wenn sich die Zukunft verlässlich berechnen ließe. Aktienkurse preisen die Gewinne von morgen ein. Doch wie spätestens in Krisenzeiten auffällt, ist die Zukunft prinzipiell nicht planbar. Daher gibt es keine Alternative zur Solidarität. Also zum Staat.

Nur ein Beispiel: Private Altersvorsorge ist reiner Mumpitz. Riester- und Rürup-Renten wurden einst eingeführt, auf dass der Einzelne „individuell“ für sein Alter spare. Ganz staatsfern sollten diese Programme sein, was schon deshalb lachhaft war, weil der Staat Milliarden an Subventionen zahlte, damit die Renditen der Riester-Verträge überhaupt attraktiv aussahen. Wie die Coronakrise jetzt zeigt, hätten diese Aktiensparpläne sogar gänzlich an Wert verloren, wenn der Staat nicht „unbegrenzte“ Geldmengen in die Wirtschaft pumpen würde. Aktien haben ja keinen Wert „an sich“ – die Kurse sind nur leidlich stabil, wenn der Staat als Garant dahintersteht.

Quelle          :         TAZ        >>>>>       weiterlesen

———————————————————————–

Grafikquellen     :

Oben        —     The Spitting Image Margaret Thatcher puppet, on display at the Imperial War Museum.

—————————–

Unten        —      Walter Riester (2009)

Abgelegt unter Deutschland_DE, Finanzpolitik, Gewerkschaften, Rentenpolitik | Keine Kommentare »

VW Wolfsburg – Halle 12:

Erstellt von Redaktion am 6. März 2020

Arbeiter stirbt, Produktion geht weiter

File:Heizkraftwerk Wolfsburg Nord und Zirkus bei VW.jpg

 Heizkraftwerk Wolfsburg Nord und Zirkus bei VW

Quelle       :      untergrund-blättle CH.

Von Jessica Reisner arbeitsunrecht.de

Leiche liegt in der Nachtschicht 10 Meter neben VW-Fliessband. Die Betriebszeitung Vor-Wärtsgang** (6.2.2020, Seite 8, pdf) berichtet von einem 59 jährigen Kollegen, der während der Nachtschicht am 10.12.2019 in Halle 12 des VW-Werks Wolfsburg verstarb.

Doch seine Kolleg*innen mussten offenbar weiterarbeiten, während der Leichnam noch in der Halle lag – 10 Meter vom Fliessband entfernt. Führungskräfte sollen sich menschenverachtend und abfällig über den Tod des Mitarbeiters geäussert haben. Aber nicht nur die Vorgesetzten, auch Gewerkschaftsvertreter bei VW erscheinen in einem fragwürdigen Licht.

Offenbar hatte der Verstorbene trotz Krankheit gearbeitet – ein Verhalten, das im Fachjargon „Präsentismus“ heisst und in Deutschland starkt verbreitet ist.* Gemeinsame Anfrage von Stiftung ethecon und aktion./.arbeitsunrecht an VW bis heute unbeantwortet

Aufgrund der schwerwiegenden Vorwürfe, die wir zunächst bei Facebook fanden aber ansonsten nicht bestätigen konnten, haben ethecon – Stiftung ethik & ökonomie und die aktion ./. arbeitsunrecht am 21.02.2020 eine gemeinsame Anfrage an die VW-Werksleitung bzw. den Presse-Ansprechpartner Peik von Bestenbostel gestellt. Wir bitten darin vor allem um Aufklärung zu folgenden Fragen:

  • Bei welchem Unternehmen und mit welcher Vertragsform war der Verstorbene zum Zeitpunkt seines Todes bei VW beschäftigt? (festangestellter Beschäftiger, Personalüberlassung, Werkvertragsarbeit)
  • Wie lange war er zum Zeitpunkt seines Todes bereits im Werk eingesetzt?

In welcher Form geht die Werksleitung den in der Traueranzeige erhobenen Vorwürfen nach? Wir beziehen uns hier insbesondere auf folgende Fragen:

  • Sind die Schichtführer/Meister ihrer Fürsorgepflicht im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Verstorbenen nachgekommen?
  • Hätte der Verstorbene wegen offensichtlichem Unwohlseins zum Arzt geschickt werden müssen?
  • Fühlte sich der Mann unter Druck gesetzt auf eine Krankschreibung zu verzichten?

Mauern und Schweigen auch durch Interessenvertreter

Wir haben verschiedene Versuche unternommen, über den Betriebsrat, den Vertrauensleutekörper oder die IG Metall Wolfsburg Informationen zu erhalten. Vergeblich. Offenbar ist die Interessenvertretung der Beschäftigten hier streng in die PR des Unternehmens eingebunden, die auf Verschweigen und Mauern setzt.

Ein Gespräch mit Sabine Musiol-Wegner, nach eigenen Angaben Mitarbeiterin des VW-Betriebsrats und eher zufällig am Telefon, endete mit der Aussage: „Ich kenne ihren Verein gar nicht, ich muss ihnen gar nichts sagen“ und der patzigen Aufforderung „Recherchieren Sie mal besser!“ Betroffenheit, Fingerspitzengefühl oder Problembewusstsein waren nicht erkennbar.

Eine Anfrage, die wir am 11.02.2020 per email an Dieter Achtermann stellten, – laut Website Ansprechpartner des VW-Vertrauensleutekörpers – blieb bis heute beantwortet.

Die IG Metall Wolfsburg bemühte ihre Presseabteilung, die uns mit einer äusserst knappen Bemerkung abblitzen liess. Eine Gabriele Friedrich schrieb: „Zu dem von ihnen beschreibenen Fall liegen uns keine Informationen vor“ (Mail IGM vom 12.02.2020). Die Behauptung wirkt unglaubwürdig, da Mitarbeiter*innen der IG Metall Wolfsburg bei telefonischer Kontaktaufnahme sehr wohl wussten, worum es ging, jedoch meinten „aus Datenschutzgründen“ nicht über den Vorfall sprechen zu können.

VW bestätigt Todesfall

Dabei ist die Frage, ob es in besagter Nacht überhaupt zu einem Todesfall am Band kam, längst nicht mehr strittig. Die Seite Regional heute schreibt am 26.02.2020:

„Anders als verbreitet, habe man den Leichnam jedoch nicht hinter Materialkisten versteckt, sondern mit Fahrzeugen des Werkschutzes von Beginn der Wiederbelebungsversuche, bis zum Abtransport des Leichnams durch den Bestatter, einen Sichtschutz gebildet. Hiermit habe man auch Schaulustige oder gar Fotoaufnahmen verhindern wollen.

Richtig sei indes, dass die Produktion am Band gut zehn Meter daneben weiterlief. Ein Stopp der Linie hätte „einen Rattenschwanz“ nach sich gezogen, der sich auch auf die Bänder davor und dahinter ausgewirkt hätte.“

Ein pietätvollerer Umgang wäre laut VW gar nicht möglich gewesen. Heisst: zu teuer. Ein Unternehmensprecher sagte gegenüber Regional heute:

Bundesarchiv B 145 Bild-F078945-0034, Wolfsburg, VW Autowerk.jpg

„Ein Flugzeug fliegt auch weiter, wenn darin jemand stirbt und auch die Bahn fährt bis zum bis zum nächsten Bahnhof weiter. Unter den industriellen Umständen wie bei VW geht das das nicht anders.“

War der Tote „nur“ ein Werkvertragler oder Leiharbeiter?

Unsere Fragen nach dem Status des verstorbenen Arbeiters beantworten weder das oben zitierte Nachrichtenportal noch VW. Auch ein Bericht im Focus, der am 28.02. 2020 Regional heute wörtlich zitiert, bringt keine Aufklärung. Handelt es sich bei dem Toten um einen Werkvertragler oder Leiharbeiter? Erklärt sich dadurch das merkwürdige Mauern?

Verlässt VW sich auf das Schweigen einer Stammbelegschaft, der es an Solidarität mit ihren ausgelagerten Kollegen mangelt? Was treiben Gewerkschaft und Betriebsrat bei VW? Ist das noch „Sozialpartnerschaft“?

Wir bitten um nähere Informationen!

VW-Beschäftigte, die mehr zum Vorgang am 10.12.2019 in Halle 12 zu berichten wissen, können diesen Beitrag gerne anonym kommentieren. Wir bitten zwecks Nachfragen jedoch eine funktionierende E-Mail-Adresse zu hinterlassen, die wir selbstverständlich vertraulich behandeln und nicht veröffentlichen.

Anmerkungen

* Präsentismus (Krank zur Arbeit gehen) ist in Deutschland ein echtes Problem. Das Verhalten gefährdet nicht nur die Kranken selbst, sondern – bei ansteckenden Krankheiten oder durch Unfallgefahr – auch ihre Kollegen und evtl. Kundenkontakte. Gründe sind Angst vor Kündigung, Schikanen gegen Krankenrückkehrer oder völlige Überlastung mit Aufgaben.

„Insgesamt gaben 68,6 Prozent der Befragten an, im Jahr 2016 mindestens einmal krank zur Arbeit erschienen zu sein. Pro Befragtem kamen Beschäftigte an durchschnittlich 8,7 Arbeitstagen trotz Krankheit zur Arbeit.“

Quelle: Anne Sophie Dietrich / Karolin Hiesinger: Krank zur Arbeit? Präsentismus ist in Deutschland weit verbreitet, IAB-Forum, https://www.iab-forum.de/krank-zur-arbeit-praesentismus-ist-in-deutschland-weit-verbreitet/

** Die Betriebszeitung Vor-Wärtsgang steht offensichtlich der MLPD nahe. Allerdings findet der skandalöse Vorgang bei VW weder auf der Webseite der MLPD Erwähnung, noch ist der Vor-Wärtsgang im Netz auffindbar. Über die Gründe dieses widersprüchlichen, ja unseriösen Umgangs mit der Öffentlichkeit können wir nur spekulieren. Wir halten den betreffenden Bericht im Vor-Wärtsgang dennoch für glaubwürdig.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Creative Commons Lizenz (CC).

——————————————————————–

Grafikquellen       :

Oben           —       Heizkraftwerk Wolfsburg Nord und Zirkus bei VW

Source Own work
Author JoachimKohlerBremen
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

————————–

Unten       —      For documentary purposes the German Federal Archive often retained the original image captions, which may be erroneous, biased, obsolete or politically extreme. Juni 1988 Wolfsburg, Volkswagenwerk, computergesteuerte Qaulitätskontrolle

Abgelegt unter Gewerkschaften, HARTZ IV - (Bürger-Geld), Niedersachsen, Überregional | Keine Kommentare »

Sein oder Nichtsein ?

Erstellt von Redaktion am 23. Februar 2020

IG Metall macht den Hamlet

Jeering Claudius in Hamlet CWoWS HWTC 2013Jun15 jeh.jpg

Quelle      :         AKL

von Thies Gleiss

Tarifrunde oder Nicht-Tarifrunde, das ist hier die Frage

Die Tarifrunde 2020 im Bereich Metall und Elektro wird keine gewöhnliche Auseinandersetzung zwischen den Unternehmern und der Gewerkschaft – so viel ist klar. Die IG Metall muss mit einer dreifachen Krisenlage zurechtkommen: Insbesondere der Kernsektor Automobil rutscht in eine veritable Konjunkturkrise. Die Zulassungszahlen für Autos gehen zurück, die Märkte sind übersättigt. Alle großen Hersteller habe bereits Personalabbau beschlossen oder sind dabei ihn durchzuführen. Mehrere Firmen – auch aus der Zulieferindustrie – meldeten langfristig Kurzarbeit an.

Gleichzeitig ist das Produkt „Auto“ in einer echten Lebenskrise. Der individuelle Autoverkehr mit Verbrennungsmotoren erstickt das Leben in den Städten und ist nicht nur verantwortlich für ein gutes Viertel der CO2-Emissionen, sondern der Bereich, dessen Klimagas-Ausstoß nicht nur nicht gesenkt werden kann, sondern beharrlich wächst – weltweit. Das Image und der simple Gebrauchswert des Autos sind in einer Dauerkrise. Statt Jubelmessen um PS-Protze und kriegstaugliche SUVs müssen die Auto-Kapitalist*innen Rechtfertigungszeremonien aufführen.

Die einzige Perspektive aus dieser Krise sind Phantasien von neuen, angeblich klima-neutralen Antrieben, allen voran das Elektroauto – aber niemand scheint daran wirklich zu glauben, und alle seriösen Gutachten sagen: Das Elektroauto ist keine Alternative zur Sackgasse des bisherigen Automobils, es ist nicht klima-neutral und wird das Recht auf Mobilität für die Menschen nicht umwelt- und menschengerecht einlösen können.

Und schließlich drittens, ist die Metall- und Elektroindustrie von der großen Welle der Digitalisierung aller Produktions- und Vertriebsverfahren erfasst, die eine erhebliche Zahl von Arbeitsplätzen vernichten und den Rest neu ausrichten wird. 

Tarifpolitik? Tarif und Politik!

In dieser Situation ist klar, dass die Tarifrunde 2020 eine politische Tarifrunde werden muss. Das hat auch die IGM-Führung begriffen. Sie möchte auf jeden Fall vermeiden, dass sich das wiederholt, was bei der letzten großen Wirtschaftskrise 2008 passierte, wo die IG Metall mit einer stolzen Forderung in die Tarifrunde ging, um dann nach wenigen Tagen und angesichts der Krise komplett zurückzurudern.

Aber das konkrete Verhalten des IGM-Vorstandes ist leider weder Tarif noch Politik, sondern Zögern und Betteln. Am 4. Februar wurde offiziell beschlossen, was auf Tarifbezirksebene schon lange verkündet wurde: Die IG Metall möchte zunächst auf konkrete Forderungen verzichten und stattdessen mit den Metall-Unternehmen einen Pakt zur Sicherung der Arbeitsplätze und der Zukunft der Unternehmen abschließen. Das soll noch innerhalb der Friedenspflicht – also bis zum 28. April – geschehen und frei vom Druck durch Forderungen und Streiks darum erfolgen.

Wie schon 2008 soll auch hierbei stillschweigend oder mit offener Teilnahme als dritter Partner die Regierung einbezogen werden. Auf der Wunschliste stehen Standortsicherungsverträge, Investitionshilfen für die Unternehmer, verlängertes Kurzarbeitergeld und spezielle Förderungen für Fortbildung und Umschulung. Als Gegenleistung will die IGM auf Lohnforderungen über einen einfachen Inflationsausgleich hinaus verzichten und – wie stets – auch jede Art von betrieblichen Sonderregelungen ermöglichen.

Die Unternehmerseite hat auf dieses Angebot erst gezögert, um zu schauen, ob es aus den Reihen der IG Metall großen Protest gibt, und ist dann mit frechen Forderungen aufgesprungen: Fünfjährige Tarifverträge wären die Voraussetzung plus jede Menge neuer Möglichkeiten der betrieblichen Willkür- und Sonderregelung. Eine offizielle Reaktion gibt es aber noch nicht, so dass mittlerweile in den meisten Tarifbezirken doch eher von einer „nromalen“ Eröffnung einer Tarifrunde ausgegangen wird. Die Unternehmer lassen die IG Metall gerne ein wenig zappeln – auch da könnte mit öffentlichen Aktionen schon jetzt Gegendruck aufgebaut werden.

Dieses Vorgehen der IG-Spitze ist eine Kapitulation und eine abermalige Verletzung der demokratischen Kultur in der Gewerkschaft. Mitten in die laufenden Vorbereitungstreffen und betrieblichen Diskussionen mit so einer Ankündigung aufzutreten, schon vor Ablauf der Friedenszeit alles „einvernehmlich“ regeln zu wollen, ist ein Schlag ins Gesicht insbesondere der Aktiven aus der Gewerkschaftsbasis.

Vom Ergebnis her wird dadurch mit Sicherheit nicht viel herauskommen, auf jeden Fall weniger, als wenn die Kampfkraft der IGM richtig in Stellung gebracht werden würde.

Die IG Metall träumt offenkundig davon, dass öffentliche Gelder (man könnte auch sagen: Plünderung der Sozialkassen) den Unternehmern aus der Krise helfen sollen. An eine gleichzeitige Stärkung der gewerkschaftlichen und betrieblichen Kontrolle über diese Gelder wird so gut wie nicht gedacht.

Politik in dieser Tarifrunde geht anders

Die Aktiven, vor allem die Linke, in den Gewerkschaften diskutieren die Krisensituation erheblich anders. Im Mittelpunkt stehen Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung ohne Einkommensverluste, um die die vorhandene Arbeit auf alle zu verteilen. Niemand soll die Kosten der Krise allein tragen, schon gar nicht die heute wieder auf der Abschussliste stehenden Leiharbeiter*innen.

Sämtliche Entscheidungen über neue Produkte, Verfahrensänderungen, Umschulungen dürfen nicht mit Einkommensverlusten der Beschäftigten bezahlt werden. Gleichzeitig müssen dabei die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten, einschließlich konkreter Veto-Rechte, ausgebaut werden.

Bezüglich der konkreten Lohnforderungen wird eine Erhöhung um 5-6 Prozent und mindestens 200 Euro diskutiert. In vielen Bereichen stehen auch spezielle Formen der Arbeitszeitverminderung, vor allem Altersteilzeit, auf dem Zettel der Beschäftigten.

Tarifpolitik heißt deshalb gerade in der Krise: Auf zum Kampf. Die meisten der hier kurz skizzierten Ziele werden nicht durch nur betriebliche Kämpfe erreicht werden. Eine breite Mobilisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen, mit Bündnispartner*innen aus den sozialen Bewegungen und Verbänden, der Umweltbewegung und durch Mobilisierung auch in den Stadtteilen werden dazu erforderlich sein

Es ist noch nicht entschieden, wer für die dreifache Krise, der sich die IG Metall stellen muss, die Kosten zu zahlen hat. Die Beschäftigten dürfen und bräuchten es nicht sein.

Thies Gleiss, 10.02.2020

Dieser Artikel ist zuerst in der SoZ (Sozialistische Zeitung) erschienen.

akl - Antikapitalistische Linke

——————————————————————

Grafikquelle      :      King Claudius jeers at the play within the play within en:The Complete Works of William Shakespeare (Abridged).

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Kultur, P. DIE LINKE | Keine Kommentare »

Stadtgespräch vieler Städte

Erstellt von Redaktion am 20. Februar 2020

Subventionen nur für Männer

Olaf Koch, CEO METRO AG.jpg

Von Ulrike Herrmann

Ist das jetzt ein Skandal? Die Supermarktkette Real wird verkauft, was 10.000 Arbeitsplätze gefährden könnte, wie die Gewerkschaften warnen. Doch niemand regt sich auf. Ganz anders ist es bei der Braunkohle: In den Tagebauen und Kraftwerken arbeiten noch 20.000 Menschen – und ein Ausstieg aus dieser dreckigen Energie ließ sich politisch erst durchsetzen, nachdem Subventionen in Höhe von 40 Milliarden Euro versprochen wurden.

In der Braunkohle ist also jeder gestrichene Arbeitsplatz zwei Millionen Euro wert, während bei Real kein Cent fließt. Da liegt der Verdacht nahe, dass das Geschlecht der Angestellten entscheidet. In der Braunkohle arbeiten vor allem Männer, die sich zudem bestens in der Gewerkschaft IG BCE vernetzt haben. In den Supermärkten hingegen schuften fast nur Frauen, die meist nicht organisiert sind.

Trotzdem wäre es falsch, den Arbeitsplätzen bei Real hinterherzutrauern. Niemand profitiert, wenn verlustreiche Firmen künstlich weiter existieren. Einige Real-Filialen werden zwar für immer schließen – aber viele auch fortbestehen. Sie gehören dann zu Edeka, Rewe oder Kaufland. Schon Karl Marx hat erkannt, dass der Kapitalismus zur Konzentration neigt.

Für Angestellte ist es natürlich bitter, wenn sie ihre Stelle verlieren. Der richtige Weg ist jedoch nicht, Pleitefirmen zu erhalten – sondern Arbeitslose gut abzusichern. Strukturwandel muss möglich sein, darf aber nicht mit Hartz IV bestraft werden. Der deutsche Sozialstaat ist eine Katastrophe, aber zum Glück bahnt sich ein neuer Trend an: Arbeitskräfte werden allerorten knapp – der „Vergreisung“ sei Dank. Auch Supermärkte suchen dringend nach Personal, sodass viele Real-Mitarbeiter bald neue Stellen finden dürften.

Kohle für Subventionen

Die Frage ist also nicht, warum Real keine Subventionen erhält. Stattdessen ist der eigentliche Skandal, dass sich der Ausstieg aus der Braunkohle bis 2038 hinzieht, 40 Milliarden Euro verschlingen soll und noch immer Landschaft zerstört. Das weckt ungute Erinnerungen an einen ähnlichen Fehler: die endlose Subventionierung der deutschen Steinkohle.

Real-aussen.jpg

Die deutsche Steinkohle befand sich ab 1958 in einer Dauerkrise, weil die Flöze bis zu 1.700 Meter tief lagen und auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig waren. Australien, die USA, Südafrika oder Kolumbien konnten weitaus billiger liefern. Dennoch wurden die letzten deutschen Zechen erst 2018 geschlossen – nachdem man 200 bis 300 Milliarden Euro Staatsgelder in den Bergbau gepumpt hatte.

Quelle     :             TAZ         >>>>>         weiterlesen

——————————————————————-

Grafikquellen     :

Oben           —       Olaf Koch, CEO Metro AG, at the Metro AG annual press conference in Düsseldorf, December 2019

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gewerkschaften, Kultur, Überregional | Keine Kommentare »

1 Jahr Sozialer Arbeitsmarkt

Erstellt von Redaktion am 6. Januar 2020

Ein „Teilhabechancengesetz“ – zur Stabilisierung und Ausbau des Niedriglohnsektors

Sitz der Lobby – Vertretung der Regierung

Quelle      :        Scharf  —  Links

Von Gewerkschaftsforum Dortmund

Vor einem Jahr trat das Teilhabechancengesetz in Kraft. Die Bundesregierung stellte vier Milliarden Euro bereit, um Unternehmen, die Beschäftigung für langzeitarbeitslose Menschen anbieten, die Lohnkosten zu subventionieren. Ohne jegliche sozialpolitische Diskussion wurde mit dem neuen Gesetz ein gravierender Wechsel in der Arbeitsmarktpolitik vollzogen. Neuerdings stehen allen wirtschaftlichen Organisationsformen, auch den heimischen Privatunternehmen, staatlich geförderte Beschäftigung ohne Einschränkung offen.

Der Staat zahlt den Unternehmen beim Zustandekommen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung mit den neuen Instrumenten „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (TaAM) oder „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ (EVL) bis zu 100 Prozent des Mindest- oder Tariflohns. Die Kriterien wie Zusätzlichkeit, öffentliches Interesse und Wettbewerbsneutralität wurden über Bord geworfen, die bislang eine geförderte Beschäftigung nur bei sozialen Trägern und öffentlichen Einrichtungen erlaubte.

Die Bundesregierung ging ursprünglich von rund 800.000 erwerbslosen Menschen aus, die mithilfe dieses Programms eine Beschäftigung aufnehmen und verschweigt, dass hier der Niedriglohnsektor weiter ausgebaut werden soll, damit die deutschen Unternehmen weiterhin den Weltmarkt dominieren können.

Die anvisierte Zahl von 800.000 Menschen insgesamt und 150.000 in dieser Legislaturperiode die „im Kampf gegen Langzeitarbeitslosigkeit“ mit diesem Programm eine Beschäftigung erhalten sollen, wird wohl schwer zu erreichen sein, wie die Statistiken im ersten Halbjahr 2019 zeigen. Seit Inkrafttreten des Teilhabechancengesetzes konnten bundesweit bis Ende Juli 2019 nur knapp über 21.000 Teilnehmende vermittelt werden.

Auch die bisherigen Ausgaben für die neuen Förderinstrumente zeigen eine eher zurückhaltende Nutzung der neuen Möglichkeiten: Im ersten Halbjahr 2019 wurden für das Förderinstrument „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ (EVL -§ 16e SGB II) rund 7,3 Mio. Euro ausgegeben. Für das Förderinstrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (TaAM -§ 16i SGB II) lagen die Ausgaben bei insgesamt 58,1 Mio. Euro. Davon stammen 42,7 Mio. Euro aus dem Eingliederungstitel und 15,4 Mio. Euro sind eingesparte Geldmittel für Leistungen für den Lebensunterhalt („Passiv-Aktiv-Transfer“). Die genannten 42,7 Mio. Euro entsprechen nur 3,4 Prozent der Mittel des Eingliederungstitels.

Bis Ende Juni 2019 erfolgten von den insgesamt 406 Jobcentern in Deutschland

  • in 58 Jobcenter in mindestens einem der neuen Instrumente „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (TaAM) oder „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ (EVL) keine Zuweisungen,
  • eine Überschneidung gab es bei 14 dieser Jobcenter, die keine der beiden Förderungen anwendeten,
  • 52 von 406 Jobcentern, also etwa ein Achtel, verzeichnete keine Zuweisung in die EVL,
  • bei 20 Jobcentern gab es im ersten Halbjahr keine Zuweisung in die TaAM

und 172 Jobcenter wiesen nur zwischen einem bis unter 10 Teilnehmenden in die EVL zu, womit dieses Instrument nur wenig genutzt wurde.

Die Berufsgruppen, denen die meisten der Arbeitsplätze zuzuordnen sind, bilden die Erziehungsberufe, soziale oder hauswirtschaftliche Berufe (14 Prozent), gefolgt von Gebäude- und versorgungstechnische Berufe (13 Prozent) und Gartenbauberufe/Floristik (11 Prozent).

Unterscheidet man nach Wirtschaftszweigen sind die Gesundheits- und Sozialwesen (24 Prozent der Arbeitsplätze) und Kunst und Unterhaltung / Sonstige Dienstleistungen (15 Prozent) führend.

Im ablaufenden Jahr 2019 gab es für die Anstellungsträger und Privatfirmen u.a. folgende Defizite:

  • Falls ein Tarifvertrag zur Anwendung kommt, dann berechnet das Jobcenter den Lohnkostenzuschuss nach § 16i Abs. 2 SGB II auf Grundlage des im Tarifvertrag vorgesehenen, vom Arbeitgeber laufend zu zahlenden Arbeitsentgeltes. Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden nicht berücksichtigt. Dies benachteiligt tarifgebundene Arbeitgeber gegenüber nicht tarifgebundenen Arbeitgebern, die kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld zahlen.
  • Der Lohnkostenzuschuss umfasst bei dem Teilhabechancengesetz nur die reinen Lohnkosten. Darüber hinaus gehende Kosten für die Einrichtung eines Arbeitsplatzes, Arbeitsmittel, Anleitung und Einarbeitung sowie Regiekosten sind nicht förderfähig. Dies bemängeln insbesondere gemeinwohlorientierte Einsatzstellen, die gesellschaftlich sinnvolle Produkte und Dienstleistungen anbieten, mit denen sich jedoch keine ausreichend hohen Erlöse erzielen lassen.
  • Bei nicht tarifgebundenen Unternehmen, die jedoch faktisch Tariflöhne zahlen, wird der Zuschuss nur auf Basis des Mindestlohns berechnet.
  • Frauen sind mit einem Förderanteil von 37 Prozent bisher deutlich unterrepräsentiert

und

bei privaten, gewinnorientierten Unternehmen zeigt sich heute schon, dass sich „Mitnahmeeffekte nicht ausschließen lassen“ und der Mehrwert aus öffentlich geförderter Arbeit privat angeeignet wird.

Teilhabechancengesetz verletzt die Menschenwürde

Mit der Diskussion um neue Sozialgesetzesvorhaben haben sich CDU und SPD besonders durch eine Wortakrobatik hervorgetan und ganz neue Begriffe erfunden. So redet man von „Starke-Familien-Gesetz, Gute-Kita-Gesetz, Respekt-Rente oder Sozialstaatskonzept 2025“.

Den Vogel schießt aber der Begriff „Gründungsmitglieder“ ab, mit dem man die Menschen bezeichnet, die seit der Einführung der Hartz IV-Gesetzgebung immer noch als „Altfälle“ erwerbslos sind und bei dem Teilhabechancengesetz vorrangig berücksichtigt werden sollen.

Geworben wird für das Teilhabechancengesetz auch mit Versprechungen für die Betroffenen, die sich bei genauerem Hinschauen aber mehr als weitere Drohung entpuppen. Böse Zungen behaupten, dass die Politiker auf Bundes- und Landesebene, aber vor allem in den Kommunen sich als Handelnde mit einer völligen sozio-ökonomischen Ahnungslosigkeit, die Lichtjahre von der konkreten Arbeits- und Lebenssituation der abhängig beschäftigten und erwerbslosen Menschen entfernt ist, outen. Doch kann man auch unterstellen, dass hier knallhart Menschen als billige und unfreiwillige Arbeitskräfte für den Niedriglohnsektor zugerichtet werden sollen.

Coaching

Grundsätzlich wird den erwerbslosen Menschen unterstellt, dass sie an individuellen „Vermittlungshemmnissen – von familiären Problemen über Fettleibigkeit bis hin zur Sucht“ leiden und die Sekundärtugenden wie frühes Aufstehen, Pünktlichkeit und regelmäßige Arbeitsabläufe einhalten, erst wieder trainieren müssen. Dabei sollen sie von Coaches unterstützt werden.

Komischerweise sollen das die gleichen Coaches machen, die genau daran in den letzten eineinhalb Jahrzehnten seit der Hartz-IV Einführung als Bewerbungstrainer und Individualcoaches in den immer gleichen Maßnahmen mit den gleichen Teilnehmern gescheitert sind. Jetzt sollen sie innerhalb von drei Monaten vor Beschäftigungsbeginn diese Menschen arbeitsfähig machen. In dieser Zeit werden dann plötzlich aus dem Menschen mit früheren Vermittlungshemmnissen ein abhängig Beschäftigter als vollwertiges, weil lohnarbeitendes Mitglied der Gesellschaft gemacht, das allerdings auch in der neuen Beschäftigung noch eines Coaches bedarf, wenn es bei der Verwertung seiner Arbeitskraft hakt.

Die neuen Beschäftigungsverhältnisse auf dem „Sozialen Arbeitsmarkt“

Das Teilhabechancengesetz sieht im Einzelnen vor, dass

  • die Maßnahme fünf Jahre dauert oder auch eine kürzere Befristung mit optionaler einmaliger Verlängerung explizit erlaubt ist.
  • nach 5 Jahren keine Verpflichtung für die Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung besteht und ein Großteil der Betroffenen wieder in den Hartz-IV-Bezug gehen wird.
  • der typische Arbeitsvertrag im Rahmen dieser Förderung voraussichtlich zunächst auf zwei Jahre angelegt sein wird und bei guter Führung und Leistung anschließend für drei Jahre verlängert werden kann.
  • es sich nur zum Teil um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt. Da keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhoben werden, ist am Ende nur der Hartz-IV-Bezug möglich und das Hartz IV-System greift wieder. Es braucht nicht Arbeitslosengeld 1 nach dem SGB III gezahlt zu werden und es fallen keine Vermittlungskosten an.
  • die Jobcenter zusammen mit den potentiellen Arbeitgebern entscheiden, welcher Mensch welche Stelle annehmen muss. Der Arbeitszwang seitens der Jobcenter steht dabei der Selbstbestimmung des Einzelnen entgegen.
  • ein Angebot nicht abgelehnt werden kann. Auf jegliche Verweigerung folgt die Sanktionierung durch die Jobcenter.
  • der Mindestlohn, selbst in Vollzeit sind das etwa 1.550 Euro brutto, zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist. Schon gar nicht kann man davon seine Familie ernähren.
  • es sich um eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme handelt und sich damit kein Arbeitsverhältnis begründet. So sind Verstöße gegen Arbeitsrechte und Arbeitsschutz vorprogrammiert.
  • im Zuge der Beschäftigung von Zusatzjobbern reguläre Beschäftigung in nicht zu vernachlässigendem Umfang verdrängt und der bestehende Wettbewerb beeinflusst werden.
  • Maßnahmeteilnehmer aus der Maßnahme durch die Arbeitsverwaltung abberufen werden können, z.B. für Bildungsmaßnahmen oder eine andere Arbeitsaufnahme

und dass die Beschäftigten immer noch unter der Knute der Jobcenter stehen. Da es sich um eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme handelt, sind sie während der gesamten Laufzeit nicht nur ihren Unternehmen, sondern auch der „Betreuung“ durch die Jobcenter unterworfen.

Sanktionen können auch hier greifen

Im § 31 des SGB II wird unter dem Begriff „Pflichtverletzungen“ festgelegt, dass langzeitarbeitslose Menschen vom Jobcenter sanktioniert werden können, wenn sie z.B. eine Maßnahme nicht annehmen oder unterbrechen. Auf jegliche Verweigerung folgt die Sanktionierung durch die Jobcenter. Dies kann dazu führen, dass die Menschen gar kein Einkommen mehr erhalten, je nachdem, wie viel Prozent laut Vorgaben vom laufenden Bezug gestrichen wird.

Das Gothaer Sozialgericht war bundesweit das erste Gericht, das die Frage aufgeworfen hat, ob die Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Es fragt, ob auch neben der Verletzung der Gewährleistungspflicht des Existenzminimums und damit auch des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit durch Sanktionen berührt werden.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte in seiner Entscheidung am 05.11.2019 die Anwendung der Sanktionen einschränkt, allerdings festgestellt, dass die Kürzungen der Leistungen bis zu einer bestimmten Grenze mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Wäre das Gericht weitergegangen, wäre das gesamte HARTZ-IV-Gebilde in Frage gestellt worden. Denn Sanktion ist immer Strafe und Legitimation zugleich. Einmal wird bestraft und zum anderen den Menschen gezeigt, dass der Staat dazu das Recht hat, dass er das tun darf. Ohne Sanktionen würde das Hartz-IV-System seine Effektivität und Abschreckung als Mittel zur Lohnsenkung verlieren.

Grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit wird ausgehebelt

Die grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit wird ebenfalls berührt, wenn die Menschen gezwungen werden, jede Arbeit, Beschäftigung oder Maßnahme anzunehmen. Der Aspekt der grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit hat in den seit Jahren geführten Diskussionen um die Sanktionsmechanismen praktisch so gut wie nie eine Rolle gespielt.

Die Menschen, die im Hartz-IV-Bezug sind, stehen permanent unter Druck möglicher Sanktionen, weil jeder Vermittlungsvorschlag des Jobcenters ein „nicht ablehnbares Angebot“ sein kann. Die Freiheit der Berufswahl gibt es für sie nicht.

Unter dieser Regierung gleichen sich Arbeit und Wohnen immer weiter an – Rückwärts!

Es wird hierbei die SGB II Vorschrift der § 10 Abs. 2 angewandt. Danach ist einem erwerbslosen Menschen jede Arbeit zumutbar und er kann nur ausnahmsweise Arbeitsangebote ablehnen, z.B. nur, wegen besonderer körperlicher Anforderungen oder wegen der Gefährdung der Erziehung des Kindes. Ausdrücklich kein „wichtiger Grund“ zur Ablehnung eines Vermittlungsangebots soll sein, dass die „Arbeitsbedingungen ungünstiger“ als die Bedingungen des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses sind. Das ist der Hebel, mit dem man die Beschäftigten mit staatlichem Zwang in den Niedriglohnsektor drängt.

Staatlich subventionierte Leiharbeit

Neu beim Teilhabechancengesetz ist auch, dass Zeitarbeitsfirmen nicht als Förderberechtigte ausgeschlossen werden. Die Branche, die schon jetzt größter Abnehmer von langzeitarbeitslosen Menschen und Profiteur der Agenda 2010 ist, trommelte für das Gesetz am Lautesten. Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. bot und bietet Seminare an und hat eine Broschüre herausgegeben, um seinen Mitgliedern Anleitungen für das Ausschöpfen des neuen Fördertopfs an die Hand zu geben. Denn das neue Gesetz macht die Träume dieser Branche wahr. Sie können ab sofort einen Menschen für 24 Monate anstellen, sich die kompletten Lohnkosten vom Staat bezahlen lassen und das Geld, das sie für die Verleihung der Beschäftigten erhalten, als Gewinn einstreichen. Der Leiharbeiter darf nicht mal kündigen, da ihm dann Sanktionen vom Jobcenter drohen.

Weiterer Ausbau des Niedriglohnsektors

Die Schaffung von voraussichtlich bis zu 800.000 zusätzlicher Beschäftigungs-/Maßnahme/- Arbeitsplätzen werden die Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen aller Beschäftigten beeinflussen. Sie wird eine Umschichtung in den Betrieben zur Folge haben und reguläre Stellen abbauen.  Die verbleibenden Beschäftigten entwickeln zunehmend Ängste um ihren Arbeitsplatz und leisten, wenn sie Glück haben, bezahlte Mehrarbeit. Dadurch verhindern sie Neueinstellungen und können ihre familiären und sozialen Beziehungen nicht mehr pflegen. Sie verzichten auf die notwendige Genesungszeit bei Krankheit, schädigen damit ihre Gesundheit und verursachen mehr Kosten für das Gesundheitssystem. Gesamtgesellschaftlich wird eine angstgetriebene Hoffnungslosigkeit erzeugt und der Konkurrenzgedanke bestimmt noch mehr den Alltag.

Immer mehr öffentliche und private Unternehmen ziehen sich weiter aus ihrer Verantwortung zur Schaffung von regulären Arbeitsplätzen zurück. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass eine bewusst erzeugte Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte forciert wird: mit Hinweis auf die leeren Kassen wird eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz gefördert, notwendige Arbeiten durch Arbeitskräfte aus dem „Sozialen Arbeitsmarkt“ erledigen zu lassen.

Bisher war es so, dass die langzeitarbeitslosen Menschen systematisch vom ersten Arbeitsmarkt strikt ferngehalten wurden, auch weil sie für den Maßnahmeträger gut eingearbeitete vollwertige Beschäftigte waren und in den sogenannten Zweckbetrieben der Wohlfahrtsverbände und gemeinnützigen Unternehmen für Profit sorgten. Weil sie aber immer noch unter Vermittlungshemmnissen litten, mussten sie wieder in eine Maßnahme mit sozialpädagogischer Begleitung. So gibt es Menschen die in den vergangenen 14 Jahren Hartz IV-System nur in Maßnahmen beschäftigt waren, wegen ihrer Vermittlungshemmnisse.

Mit dem neuen Gesetz werden nun die Vermittlungshemmnisse innerhalb von 3 Monaten durch die Coaches behoben und die Menschen können dann sofort auf den ersten Arbeitsmarkt in den Niedriglohnsektor geworfen werden.

Zynischer, aber auch entlarvender geht es kaum, wenn die SPD dieses Teilhabechancengesetz als Vorbild für das neue Sozialstaatskonzept ihrer Partei verkauft. Dabei ist es doch wohl eher ein Gesetz, das die Chancen und Teilhabe der Privatunternehmen und Konzerne am Weltmarkt fördert, mit staatlicher Lohnsubvention.

Quellen: SGB II, SGB III, konkret 4/19, 
Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V.,
waz, o-ton arbeitsmarkt, DGB-Umfrage 10/19
https://www.gewerkschaftsforum.de
Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

——————————————————————

Grafikquellen        :

Oben     —       Das Verwaltungszentrum der BA in Nürnberg – Sitz der Zentrale, des IT-Systemhauses und des Service-Hauses

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Kultur, Regierung | Keine Kommentare »

Proteste in Frankreich –

Erstellt von Redaktion am 4. Januar 2020

Von Zündungsstufe eins zu Zündungsstufe zwei

ManifGiletsJaunesVesoul 17nov2018 (cropped).jpg

Quelle      :        Scharf  —  Links

Kommentiert und Übersetzung Franz Schneider

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass die Gelben Westen in Frankreich die Verkehrskreisel besetzten und das ganze Land in Bewegung versetzen. In geradezu blinder Verkennung der politischen Tiefe und Tragweite ihres Anliegens verstiegen sich sogar „altgediente“ Linke zu der Aussage „Gefährlich, da stecken die Rechten dahinter“. Ja, auch solche sind dabei. Ebenso kommt es einer Fehleinschätzung gleich, wenn die seit 29 Wochen in Frankreich anhaltenden Proteste nur auf die Rentenreform zurückgeführt wird, die die neoliberale Macron-Regierung durchpeitschen will. In Wirklichkeit stellen die derzeitigen Proteste die logische Vollendung eines schon bei den Gelben Westen angelegten tiefen Misstrauens in Repräsentation schlechthin, Institutionen, Staat und Regierung dar. Immer noch prägen Arroganz und Ignoranz in den Herrschafts-Medien und in weiten Kreisen der in Blindheit gehaltenen Bevölkerung die Urteile. Immer noch ist jene mediale Maschinerie am Werk, die zu immer stärkeren Zuspitzungen in den weltweiten Bevölkerungsprotesten führt.

Worum geht es in Frankreich ? Hierzu Überlegungen des kritischen und landesweit bekannten französischen Ökonomen Daniel Cohen und anderer Autoren (Übersetzung):

„Die Gelben Westen und und ihre Unterstützer sind der Ausdruck eines Frankreichs, in dem das Wohlbefinden / die Lebensbedingungen (le bien-être) schwach ist / schlecht sind. … Es handelt sich vor allem um einen gegen das System gerichteten Protest. Er vereinigt Kräfte der radikalen Linken und der populistischen Rechten. Sie sind geeinigt in ihrem Kampf durch Probleme der Kaufkraft. Die Gelben Westen sind der Aufstand jener, die entdecken, dass ihr individuelles Leiden in Wirklichkeit ein kollektives Leiden ist. Sie haben neue Formen gefunden, um ihren Protest in die Öffentlichkeit zu tragen, außerhalb des klassischen Repertoires kollektiver Aktionen. Die Mobilisierung zeigt deutlich eine Besonderheit von gesellschaftlich und individuell bedingten Lebensverläufen. Sie glaubten an den sozialen Aufstieg durch den Erwerb von Eigentum im weiteren Umland von Städten und im ländlichen Bereich. Diese Ortswahl geschah schon aus finanziellen Gründen (billigere Grundstücke etc. FS). Jedenfalls ist dieser Glaube das Kernelement ihres Handelns und genau dieses wurde zerstört. Es wurde dadurch zerstört, dass es ihnen unmöglich gemacht wurde, an den von ihnen gewählten Wohnorten vorher ausgedachte Alternativen zu ihrem „individuellen Lebensschicksal“ zu verwirklichen.

Kann man in den Gelben Westen die Ankündigung einer gemeinsamen Front gegen das System sehen … ? Ohne dies ausschließen zu wollen, machen die unterschiedlichen Auffassungen über die Mittel, wie man der Krise begegnen sollte, diese Annahme nicht zu der wahrscheinlichsten. …  Die Frage des ökologischen Übergangs (Transition) war der Ausgangspunkt des Protests (es ging um Erhöhung  der Benzinsteuern, FS). Sie zeigt die unterschiedlichen Auffassungen über die anzuwendenden politischen Instrumente: ein Drittel der Unterstützer der Gelben Westen sprachen sich gegen eine Reduzierung des Lebensstandards aus, um die Umweltbedingungen zu verbessern. Ein Drittel war dafür und das letzte Drittel war gleichgültig. Auf dem Gebiet der Steuerpolitik waren die Auffassungen auch nicht eindeutig. … Als 2017 die Wähler von Le Pen befragt wurden, ob man den Reichen wegnehmen solle, um es den Armen zu geben, so lehnten sie es ab, das Weggenommene den Armen zu geben. 2018 wurden dann die Stimmen immer lauter, die forderten, man müsse den Reichen wegnehmen. Was aber die Gelben Westen klar zum Ausdruck brachten, das war (und ist, FS)  ein sehr geringes Vertrauen in Institutionen allgemein und ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Staat und den Interessenverbänden (Arbeitgeber, Gewerkschaften), im Prinzip gegenüber allen Formen von Repräsentation (Stellvertretung, FS). Möglicherweise könnte es dadurch unmöglich werden, dass die Gelben Westen eine politische Plattform herstellen, um ihre inneren Differenzen zu überwinden.“

GJ Paris (31102115797).jpg

Ich vermag mich dieser abschließenden Einschätzung nicht anzuschließen. Die seit 29 Tagen laufenden Proteste sind von dem starken Willen getragen, diese Differenzen zu überwinden. Die Chancen stehen nicht schlecht, weil Zündungsstufe zwei der Protestbewegung, die Rentenreform, stärker ist als die erste, die Benzinsteuer. Und weil das Misstrauenspotenzial gegenüber Staat und Regierung noch stärker geworden ist und weiterhin steigen wird.

(Übersetzung aus: Yann Algan, Elizabeth Beasley, Daniel Cohen, Martial Foucault, Les origines du populisme. Enquête sur un schisme politique et social, 2019)

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

———————————————————————-

Grafikquellen      :

Oben      —         Manifestation des Gilets Jaunes autour du rond-point de la Vaugine à Vesoul (Haute-Saône). La Nationale 19 est bloquée dans les deux sens.

———————————–

Unten       —          Les Champs-Élysées après la manif des Gilets Jaunes, le samedi 25 novembre 2018 entre 19 heures et 20 heures

Abgelegt unter Europa, Gewerkschaften, Schicksale, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Bergarbeiter in Albanien:

Erstellt von Redaktion am 3. Januar 2020

„Wir haben die Angst überwunden“

Mina de cromo abandonada, Perrenjas, Albania, 2014-04-17, DD 02.JPG

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von           :        Von Max Brym

Am 31. Dezember erklärte die Bergarbeitergewerkschaft aus Bulqizës in Albanien (Sindikatën e Minatorëve të Bashkuar të Bulqizës). „Das Jahr 2020 wird der Gewerkschaft gehören, es wird der Zukunft und den Minenarbeitern gehören.

Das Jahr, das wir hinter uns lassen, war kein einfaches Jahr. Vier Bergleute unserer Gewerkschaft wurden wegen ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit entlassen. Wir alle wissen, dass dies eine Ungerechtigkeit ist, weil wir jeden Tag Ungerechtigkeiten ausgesetzt sind. Wir können mit dem Lohn unsere Familien nicht ernähren. Wir arbeiten unter unsäglichen Bedingungen. Täglich ist unser Leben durch die Arbeit gefährdet. Mitglieder unserer Gewerkschaft werden an andere Arbeitsstellen versetzt, um sie von den Kollegen zu trennen. Meist bekommen Sie Arbeitsplätze zugewiesen, die für sie extrem gefährlich sind. All dies sind Ungerechtigkeiten, mit denen wir seit Jahren leben. Aus all diesen Gründen haben wir gestreikt und werden streiken. ———–

Aber 2019 war anders als die anderen Jahre davor, denn in 2019 haben wir die Angst überwunden Wir sind zusammengekommen, weil wir die Ungerechtigkeit nicht länger ertragen können! Weil wir wollen, was uns gehört! Weil wir unsere Kinder nicht verwaist und ohne Gewissheit über ihre Zukunft lassen wollen! Deshalb sind wir zusammengekommen und haben in Bulqizë die Gewerkschaft der „Vereinigten Minenarbeiter (Sindikatën e Minatorëve të Bashkuar të Bulqizës) gegründet.

Die Gründung unserer Gewerkschaft brachte neue Ungerechtigkeiten mit sich, Ungerechtigkeiten, die zu denen hinzukommen, mit denen wir täglich leben und auf die wir reagiert haben. Aber diese neuen Ungerechtigkeiten sind anders. Diese Ungerechtigkeiten sollten uns nicht nur in die Minen drücken. Diese sollen uns demütigen! Sie wollten uns erschrecken. Die Firma wollte unsere Köpfe zerquetschen und senken! Sie wollten uns unseren Stolz nehmen. Und warum? Weil wir es gewagt haben zu fordern, was uns gehört.

Wir sollten stolz auf unsere Freunde sein, die heute verfolgt werden. Für Elton Debreshin, Beqir Duriçin, Behar Gjimin und Ali Gjetën. Dies alles, weil sie die Last von uns allen tragen. Sie werden von der Albchrome Company entlassen, damit wir es nicht wagen, dass sich der Rest von uns erhebt. Aber sie sind nicht allein, denn heute sind wir die Mehrheit der Arbeiter, in Bulqizë. Die Mehrheit der Arbeiter steht hinter unserer Gewerkschaft.

Bulqiza-Abraum Chrombergbau.jpg

Wenn 2019 das Jahr der Verfolgung gegen uns war, dann wird das Jahr 2020 das Jahr, in dem wir unsere Kameraden wieder an die Arbeit bringen. Wir werden alle die Rechte bekommen, die uns gehören. Im Januar 2020 sind wir uns einig, dass wir das Recht erhalten, über die Bedingungen des neuen Tarifvertrags zu verhandeln.

Das Jahr 2020 wird die Entschlossenheit und den Mut der Arbeiter zeigen.

Lassen Sie uns gemeinsam 2020 zum Jahr des Sieges über die Sklaverei machen!“
Übersetzung Max Brym

Erläuterungen und Infos

Rund 1000 Bergarbeiter arbeiten für AlbChrome. Die Minenarbeiter erhalten umgerechnet einen Lohn von 120 bis 200 Euro im Monat. Neben dem niedrigen Lohn ist vor allem die fehlende Arbeitssicherheit ein Problem. Pro Jahr sterben im Schnitt 8 Bergarbeiter, weil nicht in die Arbeitssicherheit investiert wird. AlbChrome gehört zum Firmenkonglomerat von Samir Mane. Mane ist der reichste Mann in Albanien. Neben dem Bergbau hat Mane viele Immobilien und Warenhäuser in der Hand. Alles läuft unter dem Dach der (Balfin Group) CEO von AlbChrome In der Mine in Bulqizë werden etwa 54.000 Tonnen Chrom Mineral pro Jahr gefördert und es wird angestrebt, dass nach der Investition bis zu 100.000 Tonnen gefördert werden. Mit der Eröffnung des Bohrlochs Nr. 9 wird die Mine um 6 neue Ebenen erweitert, die tiefer liegen und mehr als 1’500’000 Tonnen anderer Reserven umfassen, die die Lebensdauer der Mine verlängern. Im Rahmen der Mine von Bulqizë befindet sich der Sektor von Qafe Buall, von dem erwartet wird, dass er betriebsbereit ist und eine Produktion von mehr als 40.000 Tonnen Chrom Mineral pro Jahr aufweist. Der Wert des in Elbasan veredelten verkaufsfertigen Chromerzes wird auf 100 Millionen Dollar geschätzt. Dabei handelt es sich um eine grobe Schätzung den Samir Mane lässt niemanden in seine Geschäftsbücher schauen.

Arbeiter und Studenten

Von Anfang November bis Mitte Dezember streikten die Bergarbeiter in Bulqizë. Die obengenannten Gewerkschaftsführer wurden mit Polizeigewalt daran gehindert die Mine zu betreten. Die angeblich „sozialistische Regierung“ unter Edi Rama steht an der Seite des Multimillionärs Sami Mane. Mit den Arbeitern solidarisierten sich auch Studenten. Es gab im letzten Jahr in Albanien einen großen Studentenstreik gegen die Weitgehende Privatisierung der Bildung. Vor allem die linke Organisation „ Organizata Politike“ führt eine landesweite Solidaritätskampagne mit den Bergarbeitern durch. Auch die albanische Gruppe in Tirana der „Bewegung für Selbstbestimmung“ VV aus Kosova solidarisiert sich mit den Bergarbeitern. OP ruft zum landesweiten Boykott der Verkaufsläden von Samir Mane auf. Kurz vor Weihnachten wurden Aktivisten von „ Organizata Politike“ in Tirana zuerst von Privatpolizisten und dann von regulärer Polizei angegriffen weil sie in einem Warenhaus Flugblätter gegen Samir Mane verteilten. Drei Aktivisten von OP wurden mehrere Tage deshalb inhaftiert. Dennoch die Solidarität wächst. Auch viele internationale Gewerkschaftsverbände haben sich mit den Bergarbeitern solidarisiert. Albchrom versucht hingegen die Sache zu verharmlosen. Sie erklären auf ihrer Website, dass sie mit der Gewerkschaft „Federatën e Sindikatave të Industrisë“ verhandeln. Letztere ist eine gelbe Gewerkschaft. Es gibt Fotos wo diese Herren mit der Geschäftsleitung fürstlich dinieren. In Albanien ist die Zeit für einen Aufstand reif. Das Bündnis aus Arbeitern, Studenten und Bauern kann die Bourgeoisie besiegen. Was noch fehlt, ist eine marxistische Kaderpartei. An ihr kann und muss gearbeitet werden. Organizata Politike ist schon sehr weit fortgeschritten auf diesem Weg.

Dokumentation zu Samir Mane aus Wikipedia

https://en.wikipedia.org/wiki/Samir_Mane

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

———————————————————————-

Grafokquellen      :

Oben         —      Abandoned chrome mine, Perrenjas, Albania

————————————-

Unten        —           Absetzbecken der chromhaltige Schlämme, insbesondere aus der betriebseigenen Abwasserbehandlung im Bergkwerk, ca 2 km südlich von Bulqiza. Oben rechts Zufuhr der Schlämme durch Rohrleitung, unten links LKW für den Bergversatz.

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Europa, Gewerkschaften, Umwelt | Keine Kommentare »

Strategien zur Stabilisierung

Erstellt von Redaktion am 30. Dezember 2019

Internationale Strategien zur Stabilisierung der Machtverhältnisse – die totale Überwachung ist erreicht

Quelle         :        Scharf  —  Links

Von Gewerkschaftsforum Dortmund

Nach dem Ende der bipolaren Welt im Jahr 1989 und dem Abhandenkommen von Gegnern und Grenzen wurden unter der Regie der USA auch alle Einschränkungen im Verkehr von Gütern und Kapital aufgehoben. Dies zu einem Zeitpunkt, an dem sich fast die Hälfte der Staaten der Welt erstmalig dem ausländischen Kapital öffnete, das dann auf ein riesiges Angebot an billigen und qualifizierten Arbeitskräften, einem enormen Vorkommen an Naturschätzen und einem noch nicht da gewesenen großen Absatzmarkt traf. Das kam vor allem dem Kapital der USA, als neue unipolare Macht zugute.

Gleichzeitig bekam die Verbreitung des Neoliberalismus einen Schub, bei dem das Kapital von Einschränkungen befreit und der Arbeitsschutz, die öffentliche Daseinsvorsorge und der Sozialstaat nachhaltig abgebaut wurden.

Vor dem Hintergrund des globalen Kapitalismus mit seinen sozialen Desintegrationsprozessen wurden parallel dazu internationale Strategien entwickelt, um zu gewährleisten, dass die Machtverhältnisse auch stabil bleiben. Dazu wurde vor allem die Polizei militarisiert, das Militär im Inneren einsetzbar gemacht und es gibt mittlerweile kaum ein gesellschaftliches Problem mehr, auf das seitens der Politik mit der Verschärfung des Strafrechts reagiert wird. Gleichzeitig wurde ein Überwachungssystem errichtet, in dem die Bevölkerung total überwacht, von jeder Person massenhaft Informationen gesammelt, sie erpressbar gemacht und ein immenses Meinungs- und Unterhaltungsangebot mit dem Internet aufgebaut wurde, damit die Massen beschwichtigt und ablenkt werden.

Das digitale Zeitalter hat Überwachung so billig und einfach gemacht, wie noch nie, auch deshalb, weil ein Großteil der Daten freiwillig von den E-Phons geliefert werden.

Umfassend bekannt wurde die Möglichkeit der vollständigen Kontrolle aller Menschen weltweit durch die Enthüllungen von Edward Snowden. Das sogenannte PRISM-Programm der National Security Agency (NSA) verschafft dem Geheimdienst einen direkten Zugriff auf die Daten von Google, Facebook, Microsoft, Yahoo, Paltalk, Youtube, Skype, AOL und Apple. Diese Möglichkeit kostet lediglich 20 Millionen Dollar pro Jahr, bei einem Jahresbudget der NSA von weit über 10 Milliarden Dollar.

Massenhaft Informationen über die Bevölkerung sammeln

Obwohl das World Wide Web im Jahr 1989 im Forschungslabor der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) in Genf erfunden wurde, ist es schnell zu einem rein US-amerikanischen Unternehmen geworden. Mehr als 90 Prozent des weltweiten Internetverkehrs wird über Technologien abgewickelt, die sich im Besitz von der US-Regierung selbst oder von US-Firmen befinden, von ihnen entwickelt wurden die heute mehr denn je am Ein- und Ausschalter des Systems sitzen und dies jeder Zeit bedienen können.

Auch die Software ist überwiegend in US-amerikanischen Händen, genauso wie Hardware und anderes Zubehör, wie Chips, Router, Modems und Plattformen. Der Mailverkehr, die sozialen Netzwerke und Speichersysteme in der Cloud sind in der Regierungshand oder werden von Privatfirmen wie Amazon, das der Regierung Cloud-Dienste und das halbe Internet bereitstellt, betrieben.

Selbst wenn diese Unternehmen im Ausland produzieren, unterliegen sie dem US-amerikan- ischen Recht. Damit ist die US-Regierung in der Lage, alle Menschen zu beobachten, die einen Computer oder ein Telefon bedienen.

„Kooperation der Dienste“ mit Telekommunikations- und Softwareunternehmen

Im Januar 2007 wurde durch die Berichte der Washington Post die Zusammenarbeit zwischen Microsoft und der NSA bekannt. Microsoft begründete diese Kooperation damit, dass dies die Sicherheit ihres Betriebssystems erhöht habe und das Unternehmen aufgrund seiner herausragenden Marktstellung die Kompatibilität ihrer Produkte mit den Bedürfnissen der (amerikanischen) Regierung sicherstellen wollte. Andere IT-Unternehmen folgten schnell dem Beispiel von Microsoft.

Auch das deutschte Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hielt die Kooperation der Firmen mit Geheimdiensten für „eher vorbildlich als verwerflich“ und betonte die „Win-Win-Situation“ für den Endnutzer sowie für die Unternehmen.

Berichte über die Zugriffsmöglichkeiten der NSA auf die Betriebssysteme der IT-Untennehmen wurden rasch als Verschwörungstheorien abgetan.

Seit Anfang 2012 ist die NSA Mitentwickler des Betriebssystem „SELinux“ und hat auch das „SEAndroid“ Betriebssystem für Google entworfen. Ein Jahr später wurde bekannt, dass die NSA im Rahmen des Programms „Planing tool for Resource Integration, Synchronization und Management (PRISM)“ in großem Umfang weltweit das Internet ausspähen soll, indem es systematisch die Daten großer Konzerne wie Google, Microsoft, Yahoo, Paltalk, Youtube, Skype, AOL und Apple und deren Nutzer auswertet.

Kabel und Cloud

Große Teile der Daten im Internet laufen über Glasfaserkabel, viele internationale und interkontinentale Verbindungen laufen über Seekabel. Um diese Datenströme zu leiten liegen auf den Meeresböden seit fast 50 Jahren entsprechende Kabel die das weltweite Netz verbinden.

Geheimdienste wie die NSA nutzen viele verschiedene Technologien, um Kommunikationsverkehre abzuhören und zu speichern. Neben dem Hacken von Systemen können sie auch durch die Kooperation mit Betreibern an die gewünschten Daten kommen. Der Telekommunikationskonzern AT&T hat der NSA in San Francisco exklusiv einen eigenen Raum gegeben, in den es die Daten lieferte. Ein Anzapfen der Kabel selbst ist ebenfalls gängige Praxis und wird mit verschiedenen Techniken ausgeführt: Am einfachsten ist die Attacke auf die Lichtsignale, in dem die Glasfaserstrecke aufgetrennt und ein zusätzliches Gerät zwischen Sender und Empfänger eingebaut wird. Mit der Splitter-Coupler-Methode biegen Angreifer die Glasfasern, um mittels spezieller „Biegekoppler“ dann heimlich auf den Informationsfluss zugreifen zu können. Nicht nachweisbar sind Einbrüche, die den direkten Kontakt mit der Datenleitung völlig vermeiden (non-touching methods). Solche Angriffsmethoden beruhen darauf, dass aus jedem Kabel minimale Lichtmengen strahlen, die mit hochempfindlichen Fotodetektoren aufgefangen und verstärkt werden.

In Deutschland gibt es Übergabepunkte auch bei Telekomanbietern , sie heißen hier Sina-Boxen. Der Vorgang läuft so ab: Die Behörde schickt einen Gerichtsbeschluss mit der Datenanforderung, das Unternehmen prüft ihn und gibt anschließend die Daten frei. Die werden dann über die Schnittstelle automatisch an den Dienst übertragen.

Viel effektiver und umfassender als das Anzapfen der Kabel ist das Cloud Computering, bei dem weltweit sich die Menschen sich anmelden, freiwillig ihre Videos, Musikfavoriten, Fotos und private Kommunikation in der „Wolke“ abladen und sich den Anbietern dieses Services bedingungslos unterwerfen. Gelockt werden die Datenlieferanten damit, dass sie mit jedem PC, Smartphones, Laptops und Tabletts ohne irgendwelche teuren Zusatzgeräte, ihre Daten dort in den riesigen Speicherzentren ablegen und verwalten lassen können. Verwalten heißt hier, das dem einzelnen Nutzer seine eigenen Daten nicht mehr gehören und wenn er sie nicht auf seinen eigenen Geräten abgespeichert hat, sind sie weg. Er hat alles abgetreten und die Unternehmen können nach Belieben damit machen, was sie wollen. Mit ihren bis zu 6000 Seiten umfassenden Verträgen haben sich die Firmen diese Rechte gesichert. Gesichert haben sie auch ihr Recht, Daten willkürlich zu löschen, den Nutzen den Zugriff auf seine gespeicherten Daten zu verweigern und eine Kopie in der Firmenablage abzuspeichern oder ohne das Wissen und Einverständnis an die Behörden aushändigen zu können.

Metadaten

Ende des letzten Jahrtausends bereiteten die gigantischen Datenmengen, die beim Abhören anfielen noch große Probleme. Aber die steigende Rechenleistung von Supercomputern und Mega-Rechenzentren ermöglichen es, dass heute ein einzelner Analyst in den Diensten Informationen aus riesigen Mengen von Rohdaten extrahieren kann. Aber nicht nur die Quantität der Daten musste in den Griff bekommen werden, auch die Qualität der Unmengen an Daten warfen Probleme auf.

Heute haben die Informationen Priorität, die ungeschrieben sind, unausgesprochen werden, aber viel über die Verhaltensmuster des einzelnen Menschen aussagen. Hier wurde der Begriff der Metadaten kreiert, gemeint sind Aktivitätsdaten, die Auskunft geben über alles, was mit den elektronischen Geräten gemacht wird und was die Geräten selbständig tun. Bei einem Telefonanruf umfassen solche Metadaten Datum, Urzeit und Dauer des Anrufs, die Nummer, des Anrufers, die Nummer des Angerufenen und seinen Aufenthaltsort. Bei einer E-Mail können die Metadaten Auskunft geben, auf welchen Computertyp geschrieben wurde, wem der Computer gehört, wo, wann und von wem die Mail gesendet wurde, wer sie erhalten hat und auch wer eventuell außer dem Sender und Empfänger wo und wann ebenfalls Zugang zur E-Mail hatte.

Die Metadaten geben auch über sehr private Dinge Auskunft. Dem Überwacher verraten sie, wo die Person übernachtet hat, wann sie aufgestanden ist und verraten, wo sie sich aufgehalten hat und wie viel Zeit sie dort verbracht hat und damit auch mit wem sie Kontakt hatte und wer mit ihr.

Metadaten liefern genau die Informationen, die als Ausgangspunkt für die Überwachung benötigt werden. Dabei helfen vor allem die Metadaten die automatisch entstehen und die der einzelne Mensch nicht beeinflussen kann. Die Maschine sammelt, speichert und analysiert eigenständig, ganz autonom und Diskretion ist dabei ein Fremdwort. Sie kontaktiert den nächsten Mobilfunkmast und sendet Signale aus, die niemals lügen.

Für die Geheimdienste können die Aktivitätsaufzeichnungen nicht nur durch die Analyse flächendeckender Daten ein Bild vom großen Ganzen bieten, auch im kleinen Bereich können sie punktgenaue Zusammenfassungen über das Leben einer Person erstellen und sie meinen sogar, Vorhersagen über ihr zukünftiges Verhalten ableiten zu können.

Die Internetüberwachungsprogramme PRISM und Upstream Collection

Mit der Einführung des Überwachungsprogramms PRISM konnte die NSA Daten in einer unglaublichen Anzahl sammeln. Sie generiert sie aus E-Mails, Fotos, Video- und Audiochats, Webbrowsing-INHALTE, Anfragen an Suchmaschinen und alle Daten, die in den Clouds gespeichert waren. Dazu kommen noch die routinemäßig gelieferten Daten von Google, PalTalk, YouTube, Microsoft, Yahoo, Facebook, Skype, AOL und Apple.

PRISM ist nicht allein eine Software oder ein Datenzentrum, es besteht aus mehreren Komponenten. Die wichtigste ist dabei eine Ausleitungsschnittstelle, über die Daten von den Firmen an die Dienste übergeben werden. Dabei funktioniert sie wie ein elektronischer Briefträger.

Das Programm Upstream Collection ermöglicht die permanente Datensammlung unmittelbar aus der Internetinfrastruktur des privaten Sektors, hervorgeholt aus den Switches und Routern, die den Internetverkehr aus den am Meeresboden verlegten Kabeln oder über die Satelliten abwickeln. Das Programm ist mit seinen Werkzeugen in Lage, ganz nah an der überwachten Person und seiner Privatsphäre zu operieren. Jedes Mal wenn die Person eine Website besucht, einen Webbrowser öffnet, die URL eingibt, geht die Anfrage auf Serversuche. Bevor die Anfrage den entsprechenden Server erreicht, muss sie aber die mächtigste Waffe der NSA die sogenannte TURBULENCE durchlaufen. Bei dem Durchlauf muss die Anfrage einige „schwarze Server“ überwinden, die übereinander gestapelt kaum größer als ein Quadratmeter sind und in allen verbündeten Staaten in besonderen Räumen der Telekommunikationsunternehmen aufstellt sind, ebenso auf US- Militärstützpunkten und in US-Botschaften rund um den Globus.

Die TURBULENCE enthält 2 wichtige Werkzeuge:

  1. TURMOIL betreibt das „passive Datensammlung“ indem es Kopien der durchlaufenden Daten sammelt und bei seiner Wächterfunktion untersucht sie die Metadaten, ob sie etwas enthalt, was „prüfungswert“ erscheint bis hin zu bestimmten Schlüsselwörtern. Werden die Daten als verdächtig eingestuft, gibt TURMOIL den Internetverkehr weiter an die
  2. TURBINE, dieses Werkzeug gibt die Anfrage auf die Server der NSA weiter. Dort wird mit Hilfe von Algorithmen entschieden, welche Schadprogramme der NSA gegen die Person eingesetzt werden. Die Entscheidung wird durch den Typ der Website die angefragt begründet oder durch die Software des Computers und die Art der Internetverbindung. Das ausgewählte Schadprogramm wird dann wieder an die TURBINE gesendet. Diese führt das Schadprogramm zurück in den Kanal des Internetverkehrs und liefert sie dem Anfragenden frei Haus zusammen mit der gewünschten Website. Der gesamte Vorgang dauert weniger als 680 Millisekunden, ohne dass der Nutzer etwas mitbekommen hat. Ab diesem Zeitraum gehört das gesamte digitale Leben des Nutzers dem Geheimdienst.

Beide Programme können durch die obligatorische Datensammlung auf den Servern der Provider (PRISM) und durch die unmittelbare Datensammlung aus der Internetinfrastruktur (Upstream Collection) über den gesamten Globus Informationen überwachen, egal ob sie gespeichert oder übermittelt wurden.

Uneingeschränkte Unternehmensmacht gekoppelt mit unkontrollierbaren staatlichen Diensten

Das Internet ist eine grundlegende Infrastruktur für die Ausübung zahlreicher Menschenrechte. Konzerne wie Facebook und Google sind Torhüter dieser digitalen Welt. Sie haben eine historisch einmalige Macht über den „digitalen öffentlichen Platz“ und bestimmen auch, unter welchen Bedingungen und mit welchen Einschränkungen Meinungs- und Informationsfreiheit online ausgeübt werden können und welchen Preis man dafür zahlen muss.

Die Dominanz von Onlinediensten, wie sie IT-Riesen wie Google und Facebook anbieten, geben diesen Unternehmen eine nie dagewesene Macht über die persönlichsten Daten von Millionen Menschen: 2,8 Milliarden Personen pro Monat nutzen einen Facebook-Dienst, mehr als 90 Prozent aller Internetsuchen finden auf Google statt und mehr als 2,5 Milliarden Handys nutzen das Google-Betriebssystem Android.

Konzerne wie Facebook und Google sammeln Daten in einem unfassbaren, nie dagewesenen Ausmaß – unbeschränkt, dauerhaft. Dies umfasst nicht allein freiwillig zur Verfügung gestellte Informationen, sondern die digitale Erfassung und Überwachung aller Aktivitäten, weit über die Nutzung einzelner Social-Media-Plattformen hinaus. Auch ist es nicht auf die Daten derer beschränkt, die sich bewusst dafür entschieden haben, diese Dienste zu nutzen.

Während internationales Recht und Verfassungen elementare Menschenrechte garantieren, staatliche Behörden reglementieren und diese einer rechtsstaatlichen Gewaltenkontrolle unterwerfen, haben diese Konzerne ein privates Überwachungsregime geschaffen, welches sich der unabhängigen öffentlichen Kontrolle weitgehend entzieht. Parallel zum Ausbau des weltweiten Überwachungssystems, in dem die Bevölkerung total ausgehorcht, von jeder Person massenhaft Informationen gesammelt werden, sie erpressbar macht, wurde parallel dazu ein immenses Meinungs- und Unterhaltungsangebot mit dem Internet aufgebaut, mit dem man die Massen beschwichtigen und ablenken will. Dazu kommt, dass die USA und auch die europäischen Staaten über ein Heer von Einflussjournalisten in Kooperation mit der monopolisierten Medienmacht verfügt, die globale Kommunikation weitgehend steuert.

Mehr noch, in der Zusammenarbeit der staatlichen Behörden und Geheimdienste, IT-Unternehmen und Medienkonzernen ist ein Überwachungssystem entstanden, das sich selbst George Orwell in seinem utopischen Roman „1984“ nicht ausmalen konnte.

Quellen: netzpolitik.org, 
Permanent Record/ Meine Geschichte von Eward Snowden, 
Gegenrevolution von Bernard E. Harcourt,
Amnesty-Bericht: "Surveillance Giants“, 
George Orwell: 1984
https://www.gewerkschaftsforum.de 
--------------------------------
Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

————————————————————

Grafikquellen        :

Oben          —     Mobile Videoüberwachung der Polizei auf einer Demonstration

  • CC BY 2.5Hinweise zur Weiternutzung
  • File:Gräfenberg ist bunt – Mobile Videoüberwachung.jpg
  • Erstellt: ‎18‎. ‎August‎ ‎2007

———————————

2.) von Oben        —        Überwachungskameras

———————————

Unten          —       Kameraüberwachung in einer U-Bahn-Station

Abgelegt unter Gewerkschaften, Innere Sicherheit, Nordrhein-Westfalen, Regierung | Keine Kommentare »

Mietenwahn – Armutsrente

Erstellt von Redaktion am 29. Dezember 2019

Gegen Mietenwahnsinn,
Armutsrente und NATO-Aufrüstung!

Quelle         :      Scharf  —   Links

Aufruf der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) zum LLL-Wochenende 2020

Am 15. Januar 2020 jährt sich die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, den Arbeiterführern und Gründern der Kommunistischen Partei Deutschlands durch reaktionäre Freikorps zum 101. Mal. Es sind dieselben, die Rosa und Karl ermorden ließen und heute als Gegner der Arbeiterklasse und den Völkern gegenüberstehen: die deutschen Banken und Konzerne. Sie sehen ihre Profitsteigerungen und ihre weltweite Vorherrschaft bedroht. Durch die nächste Wirtschaftskrise, die bereits an die Tür klopft. Durch den Aufstieg ehemaliger Schwellenländer mit China und Russland an der Spitze. Durch die Abnutzung ihrer Lügenmärchen von sozialer Marktwirtschaft und bestmöglicher Demokratie.

Die Antwort des Kapitals darauf ist eine Offensive auf allen Ebenen zur Rettung ihres Systems und zur Vermehrung ihres ohnehin schon gigantischen Reichtums: Die Mobilmachung gegen China und Russland: Die imperialistischen Staaten wollen eine neue Weltordnung ohne ihre Hegemonie nicht akzeptieren. USA, NATO, EU und immer mit dabei die Bundesrepublik rüsten auf und proben den Krieg gegen Russland. Beim US-Manöver „Defender Europe 2020“ wird unser Land zur Logistikdrehscheibe des neuen Kalten Krieges. Gleichzeitig wird die „Eindämmung Chinas“ zum offiziellen Ziel der Bundesregierung.

Aufrüstung und Kriegstreiberei: Die BRD beteiligt sich an Kriegen in der ganzen Welt und will die Interessen des deutschen Kapitals zunehmend eigenständig durchsetzen. Mit dieser Kriegspolitik trägt sie massiv zum Steigen der Kriegsgefahr bei. Mit dem Zwei-Prozent-Ziel der NATO legitimiert die Bundesregierung die steigenden Rüstungsausgaben:

Erstmals meldete die Bundesrepublik über 50 Milliarden Euro an die NATO für das kommende Jahr und Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer fordert bereits jetzt weitere Steigerungen. Mit der militärischen Kooperation PESCO wird auch auf EU-Ebene Aufrüstung und militärische Handlungsfähigkeit ausgebaut.

Der Angriff auf Löhne und die Reste von Sozialstaat und Demokratie: Das Sozial- und Gesundheitssystem wird immer weiter dem Zugriff der Konzerne geöffnet und kaputtgespart. Millionen Werktätigen drohen Mini- und Armutsrenten. Niedriglöhne, unsichere Arbeitsverhältnisse, Arbeitsplatzabbau und Krisenangst breiten sich aus. Öffentliches Eigentum wird privatisiert – in Bund, Land und Kommune. Der Osten wird – politisch gewollt – weiter abgehängt. Mögliche Gegenwehr wird mit neuen Polizeigesetzen beantwortet.

Die Ausplünderung der Werktätigen: Der Mietenwahnsinn geht weiter und durch die herrschenden Parteien werden immer neue Erhöhungen der Lebenshaltungskosten beschlossen. Vom Abwälzen „energetischer Sanierungskosten“ auf die Mieter über CO2-Steuer und ständig steigende Strompreise bis hin zur Erhöhung der ÖPNV-Kosten bei gleichzeitiger Einschränkung privater Mobilität.

Mit ihrer Offensive stoßen sie auf immer mehr Wut und Enttäuschung in West und Ost. Sie sind nicht unbesiegbar – das haben sie schon 1918/19 erfahren, als die Massen in Deutschland aufstanden. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 12. Januar in Berlin zu gedenken heißt deshalb …

… Widerstand gegen die Angriffe der Banken und Konzerne auf unsere sozialen und politischen Rechte zu leisten. Widerstand gegen die Flucht auslösende NATO-Kriegspolitik, die Verdoppelung des Militäretats, die Erhöhung des Renteneintrittsalters.

… das Erbe der DDR zu verteidigen – dem Land, in dem Luxemburg und Liebknecht Helden waren. Ein Heimatland, in dem es Sicherheit, aber keine Armut gab.

… den Lügen der Mainstreammedien die Solidarität mit den Völkern Kubas, Chiles, Ecuadors, Venezuelas und Boliviens entgegenzusetzen – Evo no está solo!

… dem Imperialismus die Tour zu versauen: Nein zu PESCO, weg mit dem Truppenstationierungsvertrag, raus aus der NATO!

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

——————————————————————–

Grafikquelle       :          Als Gründerin der Kommunistischen Plattform wurde sie einst bekannt

   Blogsport

Abgelegt unter Berlin, Gewerkschaften, Integration, P. DIE LINKE | Keine Kommentare »

Ziel in Sicht/G.-Einkommen

Erstellt von Redaktion am 28. Dezember 2019

Volle Kraft voraus!

Die Linke Grundrecht Grundeinkommen BGE Berlin 2013.jpg

Quelle      :        Scharf  —  Links

Von Wolfgang Gerecht

Nur noch 101 Unterstützungs-Unterschriften fehlen der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE. zur Erfüllung des Quorums für einen Mitglieder-Entscheid.

Jahrelange undemokratische Behinderung eines demokratischen Mitglieder-Entscheides über die Aufnahme des „Bedingungslosen Grundeinkommens“ in die Programmatik der Partei DIE LINKE durch die Mehrheit im Bundesparteivorstand (BUVO) geht seinem Ende entgegen.

Niederlage für die Gegner eines Grundeinkommens, die  Ex-Gewerkschafts-Funktionäre Bernd Riexinger und Ralf Krämer und deren Anhänger im Partei-Vorstand und  in der BAG „Sozialistische“ (lies „Sozialdemokratische“) LINKE bahnt sich an.

Der Autor bezieht sich auf die Ausführungen / Argumente  der BAG Grundeinkommen (leider ohne Datum, nach der EU-Wahl erstellt. Siehe Link: https://www.die-linke-grundeinkommen.de/nc/grundeinkommen/start/

Der Beitrag wird gezeichnet von Edith E. Preiss und Stefan Wolf.

„Warnzeichen ernst nehmen!          

Erklärung

Das Warnsignal ernst nehmen heißt auch die Zukunftsthemen ernst nehmen!

Mitgliederappell der BAG Grundeinkommen zum Europawahlergebnis der Partei  DIE LINKE. und zur programmatischen Erneuerung“ 

Von den Autoren der BAG Grundeinkommen werden in dem Beitrag zwei Hauptstränge Ihrer zutreffenden Argumentation erkennbar:

„Wir erfahren eine dynamische und rapide Veränderung in vielen Bereichen unseres Lebens, die wie ein Tornado mit rasender Geschwindigkeit über uns hereinbricht.“

„ Viele erwarten klare und konsequente linke Antworten auf diese Zukunftsprobleme.“

„DIE LINKE. liefert diese nur unzureichend: die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen wird gerade von vielen Funktionären unserer Partei massiv bekämpft und behindert.“

Richtig ist wohl, dass die Funktionärs-Gehirne die dynamischen und rapiden Veränderungen in unserem Leben, offenbar weder angemessen aufnehmen noch angemessen verarbeiten können.

Erfahrungsgemäßer „Ablauf“ im Funktionärs-Denken:

Da „hilft“  nur das, was solche Personen schon immer gemacht haben: Neue Problemlagen werden in erster Linie von den führenden Personen in den jeweiligen Gremien besprochen, beurteilt und als verbindliche Behandlungs-Anweisung über die Funktionärs-Kette an die „Basis“-Mitglieder herausgegeben bzw. veröffentlicht.

Sollte es argumentativen Widerstand gegen die Vorgabe des Funktionärs-Modells geben, wird versucht diesen administrativ zu bekämpften bzw. auszuhebeln.

Wir, die Funktionäre haben in unseren jeweiligen Gremien die Macht. Und wir bestimmen, wie in „unserer“ Organisation, welches Problem einen von uns bewerteten Realitätsgehalt (Grad des Problems, klein, mittel, groß) hat und wie ggfs. damit verfahren wird.

Die Autoren von der BAG Grundeinkommen bewerten (auf das EU-Wahlprogramm 2019 bezogen) richtig:  „Viele erwarten klare und konsequente linke Antworten auf diese Zukunftsprobleme.“ Dann stellen sie – viel zu milde fest – „DIE LINKE. liefert diese nur unzureichend:“

Die im EU-Wahlprogramm 2019 gemachten Ausführungen waren ja ein einziges „Wir wünschen uns was“, dementsprechend handelte es sich um  eine massenhafte Aufzählung von sich jeweils widersprechenden Forderungen.

Das Wahlergebnis war dementsprechend.

Die Autoren von der BAG Grundeinkommen stellen weiter fest:

„die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen wird gerade von vielen Funktionären unserer Partei massiv bekämpft und behindert.“ 

Die Feststellung von Partei-Mitgliedern einer BAG der Partei DIE LINKE, dass die Diskussion über eine sozialpolitische Frage – hier das bedingungslose Grundeinkommen – massiv bekämpft und behindert wird,   und zwar von vielen Funktionären der Partei DIE LINKE, lässt doch berechtigte Zweifel an der demokratischen Eignung dieser „Spitzen“-Funktionäre aufkommen.

In der Lebenswelt der Gewerkschafts-Funktionäre scheint es keine Elektro-Motorisierung in der Automobil-Industrie zu geben. Auch in der sogenannten Zulieferer-Industrie geht es um den Abbau von mehreren 100.000 Arbeitsplätzen. Der IG-Metall Vors. Hofmann jammert schon nach staatlichen „Fonds“ als Prophylaxe zur erwarteten beschäftigungspolitische Katastrophe.

Götz Werner 2007.JPG

Es war schon immer wichtiger denen zu zuhören welche es bezahlen müssen, als denen welche für das Reden auch noch kassieren.

So geht’s bei den Gewerkschafts-Funktionären: Schnell mal erweitertes Kurz-Arbeiter-Geld aus der Versicherungskasse „Arbeitslosengeld 1“ für die DAX-Unternehme abgreifen. Schnell mal einen Fonds mit staatlichen Steuergeldern auflegen um der drohenden Automatisierungs-Zukunft entgegen zu wirken.

Da sind die sozialdemokratischen Gewerkschafts-Funktionäre ganz schnell dabei, ihren Damen und Herren in den DAX-UNTERNEHMEN und den Weltmarktführern des deutschen Mittelstandes mit Steuer- und Versicherten-Geldern „unter die Arme zu greifen“.

Eine von der GroKo-Partei CDU-CSU an die SPD geforderte „Unternehmens-Steuer-Reform“ darf natürlich auch gerne mit Frau Eskens, den Herren Walter-Borjan und Scholz besprochen werden.  Geld ist genug da. Und es kostet ja auch nicht´s. Nur den Masse der Arbeitnehmer und Sparer kostet es was. Wie viel, werden wir noch konkret sehen,

Die Zeit, dass ein linkes „Bedingungsloses Grundeinkommen“ endlich bundesweit und im Bundestag diskutiert, noch besser endlich eingeführt wird, ist schon lange da.

Geld ist jedenfalls genug da, das sei auch Herren Riexinger und Krämer gesagt.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

————————————————————-

Grafikquellen      :

Oben          —        Mehr als 2.000 Teilnehmer demonstrieren für ein Bedingungsloses Grundeinkommen auf der BGE-Demonstration am 14. September 2013 in Berlin

Abgelegt unter Gewerkschaften, Kultur, Opposition, P. DIE LINKE | Keine Kommentare »

Nach Jahr und Tag:

Erstellt von Redaktion am 28. November 2019

’Die Gelbwesten’ und der kommende 5. 12. 2019

ManifGiletsJaunesVesoul 17nov2018 (cropped).jpg

Quelle        :         Scharf  —   Links

Von Dr. Nikolaus Götz

Es war im November 2018, dass urplötzlich ’Die Gelbwesten’ auf der politischen Bühne von Frankreich auftauchten und wie eine springflutähnliche Naturgewalt dieses Land in ihren Bann zogen. Die scheinbar aus dem Nichts kommende ’Bürgerwut’ gegen die als ungerecht empfundene Preisverteuerung des Mineralöls durch die französische Regierung unter Präsident Emmanuel Macron beschäftigte sofort die klassischen die Medien, und das Echo dieser neuen ’Französischen Revolution’, erst möglich durch das Kommunikationsmittel Internet, hallte in ganz Europa wider. Auch für Deutschland setzte eine direkte ’live’ Berichterstattung ein (siehe: scharf-links.de vom 19. 11. 2018). Die ’Revolte’ der dezentral auftretenden ’gilets jaunes’ gegen den ’Staat’ mit ihren im Verlauf eigentlich überwiegend friedlich geplanten Protesten wurde jedoch auf der Pariser ’Theaterbühne’ mit den brennenden ’Champs Elysées’ im Fernsehen fast als ’Sturm auf die Bastille’ präsentiert. Besonders die konservativen Manipulatoren vom ZDF lieferten dem deutschen Fernsehpublikum wieder ihr typisches Frankreichbild, wobei die wichtigste Frage der meisten Kommentatoren stets war: „Wie lange hält diese Bewegung ihren Protest durch?“ Spontan gab es Solidaritätsbekundungen für die ’Gilets’ auch aus Deutschland mit zahlreichen Kundgebungen in der selben gelben Autowarnweste, beispielsweise so in Berlin.

Jetzt aber, nach Jahr und Tag, sei deshalb ein kritischer Blick zurück gestattet, um der Frage nachzugehen, was diese französische Bürgerprotestbewegung gebracht hat, die nun ihren einjährigen Geburtstag feiert. Und prompt rufen die französischen Unzufriedenen, „diese Elenden“ des 21. Jahrhunderts (Vergleiche: Victor Hugo: Les Misérables) erneut für den kommenden 5. Dezember 2019 in ganz Frankreich zum Protest gegen die ungerechte Politik ihrer Regierung auf.

Zur ersten Forderung der ’Gelbwesten’ vom November 2018, nämlich einem sofortigen Preisstopp für Mineralölprodukte, kam, so sei im Rückblick erinnert, alsbald ein ganzer politischer Forderungskatalog hinzu (siehe: scharf-links.de vom 7. 12. 2018). Mit diesem Forderungskatalog sollte, jetzt schnell resümierend, generell die individuelle Kaufkraft aller Personen gestärkt, die Umwelt geschützt, die erlebte Polizeigewalt eingeschränkt, deren unrechtmäßigen Übergriffe bestraft und zudem ein direktes Bürgerbegehren eingeführt werden. Startschuss für diese Bürgerbewegung gab eine Petition von Priscillia Ludosky, die in den französischen ’Sozialen Netzen’ innerhalb von nur 12 Tagen 1 200 000 Unterschriften gesammelt hatte. Am 17. November 2018 protestierten sodann erstmalig runde 282 000 Franzosen in ganz Frankreich, womit diese Bürgerprotestbewegung die etablierte klassische Politikerkaste, und zwar alle politischen Partein, außen vor ließ. Auch deshalb sind ’Die Gelbwesten’ und ihr Protest eine Zäsur im politischen System von Frankreich.

Vornehmlich an einem zentral gelegenen Kreisverkehr der Hauptverkehrsachsen der Städte demonstrierten die Gelbwesten, um dort durch die so provozierten Verkehrstaus größtmögliche Medienattraktivität zu erzeugen. Diese Ziel wurde umgehend erreicht, zumal 84% aller Franzosen den politischen Forderungen der Gelbwesten zustimmten. Wendepunkt bei der Mobilisierung des ’Bürgerzornes’ waren jedoch die Großdemos von Paris, benannt als Akt 3 und Akt 4, bei denen es bedauerlicher Weise zu Gewalttätigkeit, mit Übergriffen und Geschäftsplünderungen kam, die den Gelbwesten angelastet wurden. Die mitfühlende ’Grande nation’ war sehr erschreckt besonders durch die „Entweihung“ des Pariser Triumpfbogens mit Sprüh-Graffiti. Die Konsequenz dieser Gewalteskalation durch die ’Casseurs’ (Schläger) wie die ’Agents provocateurs’ des Staates“ in den ’black blocs’ bei der übrigen, überwiegend friedlichen Gelbwesten war das sofortige Absinken der aktiven Teilnehmerzahl wie der gesamtfranzösischen Sympathiewerte auf im Dezember 2018 noch 47% und mit etwa 40 000 aktive Teilnehmer noch für Gesamtfrankreich. Auch jetzt, ein Jahr später, wurde die anfängliche Teilnehmerzahl nicht mehr erreicht und schrumpfte inzwischen auf runde 5000 zusammen, die ihre Protestfahne hochhalten.

Die französische Regierung unter Präsident Macron reagierte zunächst abwartend und zögerlich und dann ähnlich wie die „böse“ chinesischen Staatsmacht. Während die laufenden Proteste der Bürger in Hongkong den Deutschen als ’richtig’ verkauft werden, werden die Bürgerproteste der Franzosen eher als „unberechtigt“ präsentiert. Auch die französische Staatsgewalt unter Präsident Macron aktivierte den Repressionsapparat, natürlich in der üblichen Diktion der Herrschenden, „zum Schutz der Mehrzahl der friedlichen Bürger“. Zeitweise standen dabei den 125 000 Demonstranten 120 000 Polizisten gegenüber. “Gewalt“ ist stets negativ und entsprechend erschreckend sind die Zahlen der Toten (sic!), der Verletzten und der Bestrafungen von französischen Bürgern durch den ’richtenden’ Justizapparat, für sich das Gewaltmonopol beanspruchend. Auch aus Furcht vor Sanktionen sank die Unterstützerzahl bei den Protesten der ’gilets jaunes’ umgehend ab (siehe auch die Tabelle der Teilnehmer bei: www.WIKIPEDIA: Gelbwestenbewegung). Auf der Seite der Demonstranten gilt es heute, im November des Jahres 2019, 11 Tote zu beklagen (sic), darunter eine 63 Jahre alte Rentnerin. Weiter sind nach der offiziellen Statistik rund 2500 Verletzte zu nennen, wobei unter diesen 24 Personen das Augenlicht verloren und 5 Personen eine Hand. Aufgrund der Demonstrationen kam es zu 10 718 Verhaftungen und rund 2000 gerichtlichen Verurteilungen, wobei bei 40% der Abgeurteilten Gefängnisstrafen verhängt wurden (Siehe: www.cnews.france/france/). Ein anderes französisches Presseorgan spricht gar von 3000 Verhaftungen und 1/3 Gefängnisstrafen. (Siehe: www.bastamag.net/gilets-jaunes-champs-elysees-justice-repression-condamnations-violences -police-loi-anti-casseurs-prison) Der Blick auf eine Frankreichkarte mit dem Eintrag der Verurteilungen zeigt: ’Marianne’ hat echt stark die Masern, denn ihr Antlitz ist vollkommen übersät mit vielen eingetragenen knallroten Pusteln (Beleg: ebda.).

Doch auch bei den eingesetzten Kräften des Staates gab es Verletzte, wobei 1944 Polizisten oder Feuerwehrleute genannt werden. Die nachweisliche Eskalation von Gewalt, auch durch den eingesetzten Unterdrückungsapparat, wobei selbst der Einsatz von Militär diskutiert wurde, führte nicht nur zu einer Unzahl von Bürgerklagen gegen den Polizeiapparat, sondern auch zum Protest der französischen Künstlerelite gegen das vielfach unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei (Siehe auch www. http://www.nousnesommespasdupes.fr/). Im Zentrum der Kritik an den Ordnungskräften des Staates durch die Gelbwesten stehen insbesondere die 13 905 LBD-Schüsse (Lanceur de balle de défence; LBD), die von Polizisten auf die Demonstranten abgefeuert wurden und die festgestellten, teilweise sehr schlimme Verletzungen verursachten.

GJ Paris (31102115797).jpg

Der durch die Blockaden und durch die Demonstrationen der Gelbwesten angerichtete wirtschaftliche Schaden für Frankreich addiert sich in Milliarden. So beispielsweise beziffert der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire die Schadenssumme auf 4,5 Mrd. Euro oder 0,2% des Bruttoinlandproduktes (BIP). Ein Bericht für die ’Assemblée nationale’, das französische Parlament, schätzt, dass die Protestwelle der Gelbwesten die französische Nation im letzten Wirtschaftstrimester von 2018 immerhin 0,2 Wachstumspunkte gekostet hätte. Doch eine Analyse der französischen Wirtschaft aus Sicht von (deutschen) Wirtschaftsexperten bewertet, dass gerade die Plünderungen, Zerstörungen und der gezeigte Vandalismus durchaus positiv für das französische Wirtschaftssystem war! Die von den Versicherungsgesellschaften ausgeschütteten Entschädigungsmittel in Höhe von 217 Mill. Euro ebenso wie die erst durch die Krawalle durch die Regierung veranlassten Konjunkturhilfen in Form von Steuernachlässen und staatlichen Lohnzuschüssen an Geringverdiener von rund 10 Mrd. Euro haben nämlich durch „den erhöhten Binnenkonsum in Frankreich“ ein kleines Wirtschaftswunder bewirkt. Deutschland ist jetzt nicht mehr die „Wirtschaftslokomotive der EU“. Dies ist jetzt Frankreich! „Danke Gelbwesten!“, wünscht deshalb der ARD-Wirtschaftsexperte Notker Blechner mit seinen Kollegen von der Börse den demonstrierenden Franzosen und begründet so seinen Leitartikel: „Starke Konjunktur: Warum Frankreich Deutschland überholt hat.“ (Siehe: www.tagesschau.de/wirtschaft/boerse/frankreich-wirtschaft-103.html).

Und was hat der Protest der französischen Gelbwesten politisch bewirkt? Außenpolitisch sind es wieder die Franzosen, deren ewig streitenden Geist mit ihrer revolutionären Handlungskraft bewundernde Anerkennung widerfährt. Doch innenpolitisch wurden ’Die Gelbwesten’ im Protestjahr 2018 von dem jugendlich-dynamischen Ex-Banker und Staatspräsidenten Macron mit den ’Krümeln’ vom Tisch der Reichen wie Adligen abgespeist, so wie es das Französische Volk auch schon vor ihrer Revolution von 1789 erleiden musste. Immer noch ist das Renten- wie das Krankenversicherungsproblem ungelöst und die Unzufriedenheit wächst. Deshalb steht die ’Französische Nation’ jetzt erneut vor einem harten Sozialkonflikt (Siehe: www.france-info.com ) und auch die aktuelle Regierung Marcon weiß nicht, wie dieser angesetzte neue ’Tag der Revolution’ am 5. 12. 2019 enden wird.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

————————————————————————

Grafikquellen        :

Oben      —         Manifestation des Gilets Jaunes autour du rond-point de la Vaugine à Vesoul (Haute-Saône). La Nationale 19 est bloquée dans les deux sens.

———————————–

Unten       —          Les Champs-Élysées après la manif des Gilets Jaunes, le samedi 25 novembre 2018 entre 19 heures et 20 heures

Abgelegt unter Europa, Gewerkschaften, Schicksale, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Zu – „Räte, Netz, Partei“

Erstellt von Redaktion am 28. Oktober 2019

DIE LINKE: „Eine Debatte findet nicht statt“

DIE LINKE Bundesparteitag 10. Mai 2014-2.jpg

Quelle      :        Scharf  —  Links

Von Helge Buttkereit

Zu Peter Nowak „Räte, Netz, Partei“ im Neuen Deutschland vom 19. Oktober 2019, S. 21 (1)

Der Zustand der Linken ist erbärmlich. Die linken Parteien befinden sich seit Jahren freien Fall, nach der SPD ist nun auch die Linkspartei in der Existenzkrise. Die außerparlamentarische Linke ist kaum vernehmbar, wenn überhaupt in Form von Verteidigungs- oder Abwehrkämpfen gegen Repressionen oder gegen Rechts. Eine Besserung ist nicht in Sicht, zumal nicht an die Wurzel der Probleme vorgedrungen, die eigene Geschichte kritisch aufgearbeitet und daraus konkrete Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Linke in der Krise müsste selbstkritische, radikale Organisationsdebatten führen, wo doch ihre Organisationen am Boden liegen. Tut sie aber nicht.

Wenn dann ein Autor nicht nur eine fast vergessene Organisation der westdeutschen Linken wieder ins Bewusstsein rückt, ihre Aktualität herausarbeitet und gleichzeitig auf nicht einmal zwanzig Seite eine fundierte Organisationsgeschichte des Proletariats liefert, dann wäre zumindest eine Beschäftigung mit dem Inhalt des Buches, eine kritische Auseinandersetzung mit den Argumenten angebracht. Peter Nowak hingegen hat eine an einigen Stellen falsche und ansonsten oberflächliche Rezension vorgelegt. Auf das Ziel des rezensierten Autors, einen Beitrag zur Organisationsdebatte zu leisten, geht er nicht einmal ein, geschweige denn, dass er in diese einsteigt.

Das besagte neue Buch von Carsten Prien unter dem Titel „Rätepartei“ ist eine historisch-materialistische Kritik des Sozialistischen Büros (SB) und reicht weit darüber hinaus. Das SB war in den 1970er Jahren die wichtigste Organisation der undogmatischen Linken in der Bundesrepublik, an der sich viele bekannte Köpfe wie beispielsweise Elmar Altvater, Arno Klönne oder Wolfgang Streeck beteiligten. Rudi Dutschke als einer der wichtigsten Vertreter dieser Strömung schon in der Studentenbewegung der 1960er Jahre war ebenfalls Teil des SB. Er wollte ausgehend von dessen Struktur eine „Rätepartei“ aufbauen. Es ging darum, die lockere, tendenziell unverbindliche und letztlich doch wieder von der Zentrale namens Arbeitsausschuss gesteuerte Organisation in eine „Partei neuen Typs“ umzuwandeln. Diese „Rätepartei“ sollte basisdemokratisch strukturiert sein, ausgehend von den „Arbeitsfeldern“, in denen sich bereits das SB organisierte. Mit „Arbeitsfeldern“ werden die Orte beschrieben, an denen die  Parteimitglieder in der Produktions- aber auch in der Reproduktionssphäre tätig sind. Davon ausgehend entwickelt sich im Organisationsmodell eine Parteiorganisation in Form einer Rätestruktur, die einen neuen Typ von Partei darstellte, würde sie Wirklichkeit.

Wer konkrete Stadtteil- oder Betriebsorganisationen kennt, wie Peter Nowak, für den sollte eine solche Organisationsform und auch ihre modellhafte Darstellung nicht abstrakt oder theoretisch, wie er schreibt, sondern im Aufbau zumindest erst einmal logisch erscheinen.

Denn die Arbeitsfelder sind ja praktisch vorhanden und eben an einigen Orten sogar schon organisiert, ohne ihre eigene Organisationsform weiter zu treiben. Dies zeigt sich schon in der ewigen Diskussion um die Priorität von Partei und Bewegung. Eine konkrete Aufhebung der beiden Vereinseitigungen in eine neue Organisation, wie sie Dutschke und viele andere mit ihm in den 1970er Jahren diskutierten, scheint heute undenkbar zu sein. Warum eigentlich?

Anstatt sich diese Fragen zu stellen, wird Nowak unsachlich. Warum er Prien mit ironischem Unterton als „selbsterklärten theoretischen Nachlassverwalter Dutschkes“ tituliert, bleibt in seinem Text ebenso unklar wie so vieles andere. Denn ein solcher sein zu wollen, hat Carsten Prien an keiner Stelle erklärt. Nowak führt diese Beschreibung hier ein, die allerdings sehr wohl eine sachliche Grundlage hat. Carsten Prien hat in seinem Buch „Dutschkismus“ eine kurze wie prägnante Darstellung von Rudi Dutschkes politischer Theorie vorgelegt und stellt in seinem neuen Buch nun ausgehend von Dutschke eine Diskussion dar, die es in der Krise der Linken mehr denn je verdient, rezipiert zu werden.

Richtig ist ferner, dass Prien die Diskussionen im SB parteiisch darstellt, wie Nowak es ihm vorhält. Parteiisch aber ist Carsten Prien wiederum für die Sache selbst, die revolutionäre Partei, deren Geschichte er darstellt und in deren Tradition er sowohl Dutschkes Parteigründungsversuche der 1970er als auch seine eigene Arbeit stellt.

Dabei geht es ihm um die revolutionäre Partei, die zur Selbsterkenntnis kommt, so schreibt er in „Rätepartei“, „dass die proletarische Selbstorganisation nicht Mittel zu irgendeinem ihr äußerlichen Zweck ist, sondern die aus der bürgerlichen Gesellschaft selbst erwachsene historische Prozessgestalt hin zu einer ,freien Assoziation‘ geschichtlich selbstbewusster und selbsttätiger Individuen“.

DIE LINKE Bundesparteitag 10-11 Mai 2014 -116.jpg

Diese historische Erkenntnis, gewonnen aus einer Analyse der Geschichte der Arbeiterbewegung, gilt es heute zu vertiefen und in einer Organisationsdebatte in konkrete praktische Schritte zu überführen.

Dabei ist sachliche Kritik sowohl an historischen Personen wie an Organisationen nötig, wie sie Carsten Prien auch übt. An keiner Stelle „stempelt“ oder „watscht“ er ab. Priens Kritik hat immer eine sachliche Grundlage, die Nowak entweder nicht zur Kenntnis nimmt oder aber bewusst unterschlägt. So ist beispielsweise die von ihm zitierte Kritik Carsten Priens an Peter Brückner im Buch mit einer erläuternden Fußnote untermauert. Brückner an dieser Stelle aufgrund anderer (an dieser Stelle nicht zu diskutierenden) Tätigkeiten in Schutz zu nehmen, ist unsachlich. Schlicht falsch ist die Angabe, im Anhang des Buches sei ein Briefwechsel zwischen Negt und Dutschke abgedruckt. Richtig ist: Hier sind drei wichtige Originaltexte der beiden Protagonisten der Organisationsdebatte der 1970er abgedruckt.

Es ist schade, dass Peter Nowak neben solchen einfachen Fakten auch die theoretische Tiefe des Buches von Carsten Prien nicht erfasst hat.

„Rätepartei“ könnte (eine) Grundlage für die notwendige Organisationsdebatte der Linken heute sein. Leider zeigt auch Nowaks Rezension, dass diese Debatte (noch) nicht stattfindet.

(1) https://peter-nowak-journalist.de/2019/10/18/raete-netz-partei/)

Helge Buttkereit ist wie Carsten Prien Mitarbeiter des Hans-Jürgen-Krahl-Instituts e.V. Der Text liegt auch der Tageszeitung Neues Deutschland vor, die allerdings nur kurze Leserbriefe abdrucken will.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

——————————————————————-

Grafikquellen:

Oben         —         Bundesparteitag DIE LINKE Mai 2014 in Berlin, Velodrom

Autor    —     Blömke/Kosinsky/Tschöpe

  • CC BY-SA 3.0 deview terms
  • File:DIE LINKE Bundesparteitag 10. Mai 2014-2.jpg
  • Created: 2014-05-10 13:18:56

 

———————————-

Unten        —           Bundesparteitag DIE LINKE Mai 2014 in Berlin, Velodrom:

Autor     —        Blömke/Kosinsky/Tschöpe

  • CC BY-SA 3.0 deview terms
  • File:DIE LINKE Bundesparteitag 10-11 Mai 2014 -116.jpg
  • Created: 2014-05-21 17:36:39

Abgelegt unter Gewerkschaften, Opposition, P. DIE LINKE, Überregional | Keine Kommentare »

Nie Täter, immer Opfer:

Erstellt von Redaktion am 18. September 2019

Die Polizei muss endlich lernen, mit Kritik umzugehen

File:Zurich police riot control.jpg

Fühlt sich das Volk angegriffen,muss ihm das Gefühl gegeben sich der Gerechtigkeit entsprechend,  zu Wehr setzen zu können. Die Situation in der von Oben alles beherrscht wurde, ist noch in Vieler Gedächtnis.

Quelle       :         NETZPOLITIK ORG.

Von

Eine selbstbewusste, selbstkritische und demokratische Polizei würde die Kritik der Studie zu rechtswidriger Polizeigewalt annehmen und beweisen, dass sie es besser kann. Statt die Chance von Transparenz und Kontrolle für mehr Vertrauen zu nutzen, werden dringend notwendige bürgerrechtliche Reformen weggemault und ständig neue Befugnisse erquengelt. So kann es nicht weitergehen. Ein Kommentar.

Gerät die Polizei in die Kritik, sind immer die gleichen Reaktionen zu beobachten: Polizeigewerkschaften und politische Hardliner streiten etwaige Vorwürfe ab, nehmen die Polizist:innen in Schutz und greifen die Kritiker und ihre Methoden an. So jetzt wieder schön zu beobachten bei der größten Studie, die je zum Thema rechtswidrige Polizeigewalt in Deutschland durchgeführt wurde.

Und diejenigen, die sonst am Lautesten nach der „vollen Härte des Rechtsstaates“ rufen, ignorieren dröhnschweigend, dass von polizeilichen Übergriffen betroffene Menschen in diesem Land oft keine Anzeige stellen: weil sie keine Chance sehen, dass Täter:innen in Uniform belangt werden. Da müssten eigentlich alle Alarmglocken des Rechtstaats klingeln!

Das in der Studie ausgemachte Dunkelfeld – lediglich eine von fünf mutmaßlichen Misshandlungen wird auch tatsächlich aktenkundig – ist beachtenswert. Nicht, weil es im Vergleich zu anderen Kriminalitätsfeldern besonders hoch wäre. Sondern weil das Missverhältnis so hoch ist, obwohl es sich um potenzielle Straftaten von Staatsbediensteten handelt.

Offenkundig gibt es deutlich mehr rechtswidrige Polizeigewalt als bisher angenommen und die Täter:innen können mit Straflosigkeit rechnen. Das ist nicht gut und schreit eigentlich nach sofortigen Reaktionen aus der Politik.

Es wäre so einfach.

Für das in der Studie untersuchte Problem liegen politische Konzepte fertig in der Schublade. Die Ergebnisse der Studie untermauern uralte Forderungen, welche die allerschlimmsten Misstände in Sachen rechtswidriger Polizeigewalt erfolgreich abstellen könnten:

  1. Es braucht eine eindeutige und klare Kennzeichnungspflicht der Beamt:innen, damit diejenigen, die Straftaten begehen, überhaupt identifizierbar sind.
  2. Es braucht eine unabhängige Anlaufstelle zur Kontrolle der Polizei, die für Bürger:innen und Polizist:innen gleichermaßen ansprechbar ist. Eine solche Institution braucht es, damit nicht die Polizei gegen sich selbst ermittelt, sondern eine unabhängige Stelle. Und sie ist nötig, um den bei der Polizei vorherrschenden Korpsgeist zu brechen und Kritiker:innen aus der Polizei zu schützen.
  3. Es braucht mehr Berichts- und Rechenschaftspflichten, insbesondere über den Einsatz bestimmter Zwangsmittel wie Pfefferspray.

Doch diese politischen Forderungen und Lösungsansätze werden von konservativen Sicherheitshardlinern, von Polizeivertretern und den Polizeigewerkschaften bis aufs Messer bekämpft. Seit Jahren.

Wo bleibt die selbstbewusste und demokratische Polizei?

Eine selbstbewusste, selbstkritische und demokratische Polizei würde die Herausforderung mutig annehmen und sagen: „Wir sind so gut und transparent, dass wir diese Reformen der Polizei als Chance für die Verbesserung unserer Arbeit sehen. Wir haben als diejenigen, die als einzige im Staat Gewalt ausüben dürfen, die Pflicht, transparent und rechenschaftspflichtig zu sein. Und wir haben die Pflicht, all jene aus dem Polizeiapparat zu werfen, die rechtswidrig Gewalt einsetzen.“ Menschen, die eine solche Position in der Polizei vertreten, muss man mit der Lupe suchen. Leider.

Dabei liegt in der Umsetzung dieser drei Lösungsansätze für eine besser kontrollierte Polizei die Möglichkeit, mehr Vertrauen bei den Bürger:innen zu gewinnen. Sogar bei all jenen, die der Polizei traditionell kritisch gegenüber stehen. Doch diese Chance verpasst die Polizei jedes Mal aufs Neue. Sie setzt in Sachen Vertrauen lieber auf Social-Media-Bohei, teure Werbekampagnen und eine Mehrheit der Deutschen, die der Polizei sowieso kritiklos aus der Hand frisst.

Falsche Anreize: Das Quengelkind Polizei wird belohnt

Stattdessen mault die Polizei weiter herum, dass alle immer gegen sie seien. Sie sieht sich permanent als Opfer, ist nicht bereit Fehler auch mal bei sich selbst zu suchen. Die Polizei ist wie ein Quengelkind, das an der Supermarktkasse so lange abnervt, bis es bekommt, was es will. Politisch wird sie für dieses Verhalten allerdings mit immer härteren Gesetzen und weitreichenden Befugnissen belohnt. Das ist eine schwerwiegende Fehlentwicklung, welche die falschen Anreize setzt.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.
———————————————————-
Grafikquelle    :       Polizei im Ordnungsdienst bei 1. Mai-Krawallen in Zürich

 

Abgelegt unter Bildung, Gewerkschaften, Kriegspolitik, Regierung | Keine Kommentare »

Arbeitsplätze oder Umwelt

Erstellt von Redaktion am 13. September 2019

Gewerkschaften gegen den Klimawandel

File:Ende Gelände Demonstration 27-10-2018 03.jpg

Quelle         :     untergrund-blättle ch.

Von Tifa  Di schwarzi Chatz 60

[1] So kam es in England 1984 zu einem Showdown zwischen der Regierung Grossbritanniens und den Minenarbeiter*innen, siehe dazu di Schwarzi Chatz #34.

Die Armen trifft es am härtesten. Unwetter und Klimakatastrophen werden immer massiver. Der Klimawandel ist Tatsache, und dass die Zeit knapp wird auch.

Die Gewerkschaften täten daher gut daran, sich gegen den Klimawandel und somit auch gegen den Kapitalismus zu stellen. Ein Ausstieg aus der Automobil- und Kohleindustrie muss dabei sozialverträglich und unter Einschluss der betroffenen Arbeiter*innen geschehen.

Arbeitsplätze oder Umwelt

Ein Dilemma für die Gewerkschaften besteht darin, dass oftmals ganze Familien und Gemeinschaften auf die „dreckige“ (Energie)Produktion angewiesen sind. Gleichzeitig war historisch gesehen auch immer der Organisationsgrad in diesen Gebieten sehr hoch. Einige der grössten Arbeitskämpfe in der Geschichte der Gewerkschaften gelangen im Minen-Sektor[1]. Eine Kohlemine lässt sich nur schlecht ins Ausland verlagern, wodurch Arbeitskämpfe nicht einfach aufgelöst werden können, indem der im Arbeitskampf befindliche Betrieb ausgelagert wird.

Kurzfristige Lösungen benötigt

Auch wenn es klar ist, dass wir uns sehr schnell von klimazerstörenden Industrien wie der Braunkohle- oder Automobilindustrie verabschieden müssen, stellt sich dort die Frage: Wie gehen wir mit den Arbeiter*innen um, welche dadurch schon sehr bald ihren Job verlieren werden? Wie können wir verhindern, dass die Gemeinschaften in Armut verfallen werden, wie es bei Minenschliessungen immer geschieht? Freiwillig werden sich die Unternehmen oder Staaten kaum um diese Probleme kümmern.

Die Diskussionen in Deutschland um den Braunkohleausstieg zeigen, dass sich der Staat vielmehr mit den Konzernen wie RWE verständigt, als dass er sich um die betroffenen Arbeiter*innen kümmert. Die Verlängerungen des Braunkohleabbaus werden nicht aus Rücksicht auf die Minenarbeiter*innengemeinsc haften gewährt, sondern aus Rücksicht auf die Profite von RWE und Co. Sobald diese Konzerne den Absprung von fossiler Energie geschafft haben, werden die Arbeiter*innen fallen gelassen. Solange sich die Klimabewegung nicht um die Anliegen der betroffenen Arbeiter*innen kümmert, werden diese der Bewegung feindlich gesinnt bleiben – auch wenn dies ihnen langfristig selbst schadet.

Die Armen trifft es am härtesten

Das Problem am Klimawandel ist, dass es Gebiete geben wird, welche heftiger von Unwettern, Dürren und Überflutungen getroffen werden als andere und zum Teil sogar unbewohnbar werden. In einer kapitalistischen Welt ist die Antwort darauf, wer in den sicheren Gebieten leben wird, leider eindeutig: Sicher nicht die Armen. Während sich die Reichen in ihren unwettersicheren Palästen verstecken werden, wird der Rest von uns schauen müssen, wie und ob wir unsere (Blech-)Hütten wieder aufbauen können. Dies wird auch die Gemeinschaften, welche sich um die Minen und Autofabriken entwickelt haben treffen. Es ist an der Zeit, dass die Gewerkschaften ihre Kampfkraft in diesen Bereichen dazu benutzen, um einen sozialverträglichen Ausstieg aus diesen Branchen zu erkämpfen – ein Kampf geführt von denbetroffenen Arbeiter*innen.

Gewerkschafter*innen für die Klimagerechtigkeit

Es gibt bereits erste Gruppierungen von Gewerkschafter*innen, welche sich für einen Wandel weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien einsetzen und dabei auch die Beschäftigten und ihr Umfeld einbinden wollen2. Dabei setzen sie auf einen sozialverträglichen Ausstieg. Das heisst: Umschulung der Minenarbeiter*innen und eine Reduktion der Arbeitszeit bei gleichem Lohn, um Entlassungen auszugleichen. Alles in allem müssen die Unternehmer*innen stärker in die Verantwortung genommen werden, welche jahrelang von der Zerstörung unseres Planeten profitiert haben. Es ist nur gerecht, dass diese nun auch die Zeche zahlen, welche sie uns durch die Zerstörung des Planeten schulden.

Keine Partnerschaft mit dem Kapitalismus

Es ist kein Zufall, dass die Klimaerwärmung kurz nach der industriellen Revolution und dem Siegeszug des Kapitalismus an Fahrt aufnahm. Das Grundprinzip des Kapitalismus ist und bleibt die Ausbeutung: sowohl der Arbeiter*innen wie auch des Planeten. Gleichzeitig basiert diese Wirtschaft auf stetigem Wachstum und somit auch auf stetig steigendem Ressourcenverbrauch. Die „soziale und ökologische Marktwirtschaft“ ist daher ein Widerspruch in sich. Eine ökologische Gewerkschaft und Bewegung wird sich daher auch immer gegen Kapital und gegen dessen Wachhund den Staat stellen müssen. Sowohl der Planet wie auch die Arbeiter*innen haben genug für den Profit der Reichen geblutet. Diese Krise werden wir nicht auch noch bezahlen.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Creative Commons Lizenz (CC).

——————————————————————

Grafikquelle        :         Demonstration von Ende Gelände vom Protestcamp südlich von Düren geplant/angemeldet nach Morschenich.

Source Own work
Author Leonhard Lenz
This file is made available under the Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.
The person who associated a work with this deed has dedicated the work to the public domain by waiving all of their rights to the work worldwide under copyright law, including all related and neighboring rights, to the extent allowed by law. You can copy, modify, distribute and perform the work, even for commercial purposes, all without asking permission.

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Energiepolitik, Gewerkschaften, Regierung | Keine Kommentare »

Tönnies stoppen –

Erstellt von Redaktion am 9. September 2019

Bundesweite Proteste und zentrale Kundgebung in Rheda

Quelle       :    Scharf  —  Links

Von Aktion gegen Arbeitsunrecht und Bündnis gegen die Tönnies-Erweiterung

Einladung zum Aktionstag

Am Freitag, dem 13. September 2019 findet eine Demonstration zur Konzernzentrale der Schlachtfabrik Tönnies in Rheda-Wiedenbrück statt. Treffpunkt ist um 15 Uhr auf dem Bahnhofsplatz in Rheda-Wiedenbrück. Der Protest ist Teil des von der Aktion gegen Arbeitsunrecht und dem Bündnis gegen die Tönnies-Erweiterung organisierten bundesweiten Aktionstages „Freitag, der 13.“. Von Kiel bis Kempten, von Düren bis Berlin, in über 20 Städten sind bereits Aktionen angemeldet, um auf die Machenschaften des Konzerns aufmerksam zu machen. Der Fleischkonzern reagierte mit einer einstweiligen Verfügung und erwirkte mit Hilfe der Kanzlei Schertz Bergmann auf fragwürdige Weise die Schwärzung mehrerer Passagen auf der Homepage der Aktion gegen Arbeitsunrecht.

Mit dem Aktionstag „Freitag, der 13. – Das System Tönnies stoppen“ gewinnt der Widerstand gegen die Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur eine neue Qualität. Die Demonstration in Rheda-Wiedenbrück wird vom Bündnis gegen die Tönnies-Erweiterung und der Aktion gegen Arbeitsunrecht veranstaltet und organisiert. Bündnispartner und Unterstützer sind u.a. Attac Gütersloh, der BUND-OWL, Fairleben e.V., Venga e.V., Safe Movement Bielefeld, die LAG Tierschutz DIE LINKE.NRW, ARIWA OWL, IG WerkFAIRträge, die Linksjugend [’solid] Kreis Gütersloh und DIE LINKE Kreisverband Gütersloh Die Fridays for Future Gruppen in OWL wurden von dem Bündnis zur Teilnahme an der Veranstaltung eingeladen und haben bereits zugesagt. Anderswo organisieren die Greenpeace-Jugend, zahlreiche Tierrechts-Organisatoren und viele andere den Protest.

Die Breite des Widerstandes zeigt sich auch an den Rednerinnen und Rednern, die nach Rheda kommen werden. Der Journalist und Publizist Dr. Werner Rügemer spricht für die Aktion gegen Arbeitsunrecht. Die Tierrechtsaktivistin Dr. Bettina Rehberg vertritt ARIWA OWL. Der Student und Fridays for Future-Aktivist Ercan Korkmaz wird den Klimaschutz zum Thema machen. Ebenfalls als Rednerin wird die Bundestagsabgeordnete Amira Mohamed Ali auftreten. Die Juristin Amira Mohamed Ali aus Oldenburg vertritt die Partei DIE LINKE. im Bundestag in den Ausschüssen Recht und Verbraucherschutz sowie Ernährung und Landwirtschaft.

Der Protest richtet sich gegen ein System, das auf die skrupellose Ausbeutung von Menschen, das grausame Quälen von Tieren und die Zerstörung der Natur setzt. Die industrielle Fleischproduktion gehört zu den Hauptverursachern der Klimakatastrophe. Das verbindet den Aktionstag am 13. September mit der eine Woche später beginnenden globalen Klimastreikwoche. Eine Übersicht der bundesweit stattfindenden Aktionen gegen Tönnies am 13. September findet sich hier:

https://aktion.arbeitsunrecht.de/fr13toennies

Von den juristischen Drohungen durch die von Tönnies beauftragten Anwälte werden sich die Organisatoren nicht einschüchtern lassen. Sollte es zu einem Prozess kommen, könnte dieser zu einem Tribunal gegen Tönnies und die Praktiken der Kanzlei Schertz Bergmann werden.

Weitere Infos:

https://buendnis-gegen-die-toennies-erweiterung.de/

https://fridaysforfuture.de/Save-the-date/

Twitter-Hashtag: #Fr13Toennies

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

————————————————————————

Grafikquelle      :           Bild: Aktion Arbeitsunrecht   –      Schatf – Links

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Nordrhein-Westfalen, Regierung | Keine Kommentare »

Flächentarif muss her

Erstellt von Redaktion am 25. August 2019

Ver.di Tarifkommissionen
Karstadt-Kaufhof entwickeln Strategiepapier

Datei:Erster-mai-20060-sponti.jpg

Quelle       :      Scharf  —  Links

Von Herbert Schedlbauer

Die Fusion von Karstadt und Kaufhof trifft jetzt die Beschäftigten beim Kaufhof besonders hart. Nach dem Personalabbau schwingt der Konzern die Keule der Tarifflucht und droht mit 11prozentiger Lohnkürzung. Um dagegen Widerstand und Positionen zu entwickeln, trafen sich letzte Woche die Tarifkommissionen des neuen Handelsriesen.

Vereinbart wurde, wie dem Kahlschlag bei Karstadt Warenhaus, Galeria Kaufhof sowie von Karstadt Sports und Karstadt Feinkost begegnet werden soll. Gemeinsam mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) wurde ein Konzept erarbeitet, wie mit dem neuen Warenhauskonzern Verhandlungen über einen möglichen Sanierungstarifvertrag aufzunehmen sind.

Wichtigste ver.di Forderung ist dabei, dass der Handelskonzern verbindlich wieder zum Flächentarifvertrag zurückkehren muss. Die Gewerkschaft und die Beschäftigten befürchten sonst eine weitere Tarifflucht. Die betrieblichen Interessenvertreter wollen in einem Sanierungstarifvertrag eine vertragliche Rückkehr auf das Niveau des Flächentarifvertrags und die Übernahme der Tariferhöhungen geregelt haben. Vor Abschluss eines zeitlich begrenzten Sanierungstarifvertrags müsse deshalb festgelegt werden, wie die volle Anpassung an das Niveau des Flächentarifvertrags vor Vertragsende sichergestellt wird.

Als weitere Bedingung will ver.di eine gemeinsame tarifliche Lösung, die für alle Beschäftigten von Kaufhof und Karstadt sowie Karstadt Sports und Feinkost gilt. Ein Eingriff in die aktuellen Vergütungen und Entgelte, allen voran bei Kaufhof, wird abgelehnt. Eine dauerhafte Absenkung nach Ablauf eines Sanierungstarifvertrags oder einen „Warenhaus-Tarifvertrag“ kommt laut Orhan Akman, ver.di Bundesfachgruppenleiter im Einzelhandel, nicht in Frage.

Die ver.di Mitglieder der Tarifkommissionen verlangen „für alle vier Unternehmenssparten ein Konzept unter Beteiligung der Beschäftigten“. Die Gewerkschaftsvertreter wollen eine Mindestbesetzungsquote beim Personal pro Quadratmeter Verkaufsfläche und einen Stopp der Fremdvermietungen in den Warenhauspalästen. Nach Meinung mehrerer Kaufhof Betriebsräte müsse die ganze Auseinandersetzung gemeinsam mit ver.di aus den Betrieben heraus an die Kunden getragen werden. „Schon lange kritisieren diese die knappe Personalbesetzung in den Abteilungen. Wer in einem Warenhaus einkauft, will auch eine entsprechende Beratung haben“ ist von dort zu hören.

René Benko und die Manager des neuen Handelsriesen Karstadt-Kaufhof drohen offen mit der Absenkung der Löhne und Gehälter. Geht es nach ihnen, soll nach Ablauf eines Sanierungstarifvertrages ein Haustarifvertrag folgen. Wenn es zu keiner Einigung mit ver.di über einen „Billigtarifvertrag“ kommt, will der Österreicher einen rechtlichen Zusammenschluss von Karstadt und Kaufhof durchsetzen. Dann wiederum würde der alte Karstadt Sanierungsvertrag gelten. Dies bedeutet automatisch elf Prozent weniger Gehalt für das Personal von Kaufhof.

Schon in den letzten Jahren haben die Beschäftigten auf Tariferhöhungen sowie auf große Teile des Weihnachts- und Urlaubsgeldes verzichtet. In der Hoffnung, damit Arbeitsplätze zu erhalten um Karstadt und Kaufhof zu sanieren. Wie viel von diesem Verzicht in Wirklichkeit die Aktionäre und Eigner kassiert haben, bleibt ein Geheimnis in dieser Gesellschaftsordnung.

Der Griff nach dem Kaufhof durch Benko im Herbst 2018 vernichtete nach dessen Übernahme bereits rund 2600 Vollzeitarbeitsplätze. Anfang August trennte sich Kaufhof auch von zwei Logistikstandorten in Erfurt und Frechen. In Hannover, Stuttgart, Würzburg und Berlin wurden zusätzlich vier Regionallager geschlossen. Laut ver.di sind davon 1100 Stellen betroffen.

Erstveröffentlicht in UZ, 23.8.19

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

————————————————————————–

Grafikquelle        :

Revolutionäre 1. Mai Demonstration 2006, Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg, nicht angemeldete Spontandemonstration
Datum published 2. May 2006
Quelle http://www.montagsdemo.net/wiki/index.php/Bild:Maidemo06_04.jpg
Urheber Admin

 

w:de:Creative Commons
Namensnennung Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland“ lizenziert.

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Deutschland_DE, Gewerkschaften, Überregional | Keine Kommentare »

Von den Facebook-Linken

Erstellt von Redaktion am 23. August 2019

Ein skandalöser Vorgang bei den Facebook-Linken

File:Facebook en aula2.jpg

Quelle      :      Scharf  —  Links

Eine Polemik von Günter Meisinger

ODER – Von projezierenden Trollen, studentischen „Arbeiterführern“, Marxisten gegen Marx, Trotzkisten ohne Trotzki und alle zusammen zu Füßen des Propheten Mohammed.

Ah! I am crushed. Selbsternannte jugendliche Führer des Proletariats warfen mich aus einer angeblich trotzkistischen Facebook Gruppe („Trotzkismus in Deutschland“) hinaus, nachdem sie mich in stalinistischer Manier als Rechten „entlarvten“. Ich brauche eine Selbsthilfegruppe! Oder die?

Schon mein erster harmloser Beitrag in der Gruppe sorgte für böses Blut. Hatte ich doch darin „die enorme Wichtigkeit des persönlichen Verhaltens“ angemahnt. Darin vertrat ich die Ansicht, dass nach der epochalen Niederlage 1989 Linke nur dann wieder Menschen gewinnen können, wenn sie ehrlicher, vertrauenswürdiger, authentischer, hilfsbereiter und freundlicher als andere wahrgenommen werden. Und dass dies wichtiger sei als jahrzehntelange Streitigkeiten um das vermeintlich richtige Programm. Dies erntete viele Lacher und Heiterkeitsstürme, aber keine Likes (bei 716 Mitgliedern). Ich wurde über die unendliche Wichtigkeit des „richtigen“ Programms sowie des richtigen Organisationsaufbaues belehrt, als Lösung aller Probleme. Darunter von Leuten die ihre eigene SAV/CWI-Spaltung nicht verhindern konnten, oder solchen, deren amerikanische. Schwesterorganisation ISO sich gerade aufgelöst hatte. Komisch nur, dass jeder eine andere Meinung darüber hat, was das richtige Programm ist und manche Kleinsekten die es zu haben glauben, nun seit Jahrzehnten auf den Zustrom der Massen warten. Niemand verstand die ganze Dimension dessen was ich meinte (wenn sich nämlich jemand persönlich übel verhält, kann das seine gesamte politische Arbeit zunichte machen einschließlich der seiner ganzen Gruppe) und manche vereinfachten dies zu „naja, wer nur nette Leute sucht kann irgendwohin gehen, aber braucht keine Partei“. Dies gab einen Vorgeschmack darauf mit welchen Geistesgrößen ich es zu tun hatte. Leute die es im Gegensatz zu Linken früherer Zeiten (die Intellektuellen, Schriftsteller und bekannten Künstler der siebziger Jahre sind alle weg) nicht vermögen, Dinge in ihrer Gesamtheit und Entwicklungsrichtung (also sozusagen dialektisch) zu betrachten, sondern nur noch wenige Schlagwörter und einige Schubladen im Kopf hatten, auf die dann abgehoben wurde, auch wenn das nichts mit dem Thema zu tun hatte.. So hatte ich meinen Artikel mit einem Zitat von Che Guevara (dem ich keinesfalls unkritisch gegenüberstehe) über das notwendige „exemplarische Verhalten der Revolutionäre“ und der Frage, was dies für unseren Alltag hier und heute bedeuten könne, eröffnet. Ohne darauf einzugehen, wollten dann einige eine allgemeine Debatte über Che führen, der eine weil er ihn als Stalinist sah, der andere weil er ein „moralisierender Kleinbürger“ sei. Nur die Frage, was er gegen das beispielhafte Verhalten von Revolutionären einzuwenden habe, konnte mir Michael Bonvalot (meines Wissens von der pro-islamischen österreichischen „Linkswende“) nicht beantworten. Aus gutem Grund, wie sich später herausstellte, denn wer sich gerne übel und Verleumderisch verhält, kann eine solche Debatte nicht gebrauchen. Jedenfalls wurde ich fleißig von jugendlichen und studentischen Anführern „proletarischer“von  Kleinsekten belehrt, was mich an das Buch „Rückkehr aus Reims“ erinnerte, dessen französicher Autor Eribon (in jüngeren Jahren selbst trotzkistisch organisiert) an viele solcher Studenten erinnerte, die ihre Verachtung für die Arbeiterklasse während ihrer Studienzeit ultralinks kostümierten („verbürgerlichte Arbeiter“) und nach ihrer Studentenzeit als die offen rechten neue Bosse der Arbeiter zurückkehrten. Als ich dies dann zur Diskussion stellte, gab es neue Empörung, und ein Junge der zwei Rechtschreibfehler in einem Halbsatz machte, nannte mich „den Labersack aus der Arbeiterklasse“, womit er ja offen seine Klassenverachtung zeigte. – Ein Sonderfall war die „4.Internationale“ um Manuel Kellner, der zwar fast als einziger zu argumentieren versuchte, aber immer heftig abstritt, daß die Vereinigung der damaligen Mandelisten mit Stalinisten und Maoisten sowas wie eine internationale Strategie war. In Deutschland habe damals nur die KPD/ML auf Diskussions- &Vereinigungsangebot reagiert. Das kann schon sein, aber daß dies in mehreren Ländern immer nur dieselbe CP/ML gewesen sein soll, die reagierte, kommt mir noch immer komisch vor; zumindest in Italien wären da sicher auch andere zur Diskussion in Frage gekommen. Aber lassen wir das; sein Kollege Christoph Jünke jedenfalls, von dem ich aufgrund seiner Bücher erwartet hätte, auf Kritik eingehen zu können, versteckte sich wie so viele hinter der Verteilung kindischer Lacher („Smileys“) anstatt es mal mit einer Begründung zu versuchen.

Jedenfalls schienen langsam einige, denen nie irgendwelche Argumente gegen mich einfielen, auf Rache zu sinnen. Ein Mo Slak, der bisher gar nicht in der Diskussion vorkam, hatte sich zwischenzeitlich über mein Profil hergemacht und ein Posting gefunden das ich von einer rechten Website übernommen hatte. Darin ging es um mehrere Vorfälle durch sexuell belästigende Migranten im Düsseldorfer Schwimmbad, wo das Magazin von „Marx 21“ (das sind die, die ihre Kongresse mit Moslembrüdern, Salafisten, Mazyek und Linke mordenden grauen Wölfe besetzen) „herausfand“, dass an den Massenauseinandersetzungen „kein einzelner“ Ausländer(!) beteiligt gewesen sei. Klar, wie immer die Müllers und Meiers. Deswegen hielt ja auch ein anderer Jungmann dieser Facebookgruppe die Veranstaltung einer Berliner PDL-Frau über kriminelle arabische Clans für „völlig rassistisch“ und die Moderatorin wird seither von M21-Leuten bedroht; soweit geht das schon. Jedenfalls glaubte jetzt jemand, die Sensation aufgedeckt zu haben, dass sich mit meiner Person ein rechter Rassist in den Club eingeschlichen habe. Klar, und weil ich ja so rechts & rassistisch bin, habe ich mein ganzes Leben (seit 50 Jahren in der Kommunistischen Bewegung) für Nichtdeutsche gekreuzigt, Jahrzehntelang antirassistische Artikel in Tageszeitungen und Kulturmagazinen veröffentlicht, einem Türken das Leben gerettet, einen großen deutsch-türkischen Freundschaftsverein mitgegründet, Flüchtlingsarbeit gemacht u.v.m. Die tausenden von Leuten die mich persönlich kennen, der große Schweizer Unionsverlag, der mir einst für „meine Kompetenz in orientalischer Literatur“ dankte sowie der weltberühmte schwarzamerikanische Schriftsteller James Baldwin, einst neben seinem Freund Martin Luther King der Sprecher der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der mit mir befreundet war- sie alle waren wohl zu dumm zu bemerken, mit was für einem Faschisten sie es zu tun hatten. Aber ein Mo Slak hat mich jetzt enttarnt. Touche! Ich bin zerstört! Ja, die kleinen (oder großen) realitätsfremden Idioten glauben das wohl wirklich. Ein anderer der sicher im Leben nicht einen Bruchteil meiner politischen . &antirassistischen Arbeit leistete, nannte mich „Ekelerregend“ (nun, so sah ER aus); wieder ein anderer warf mir Selbstbeweihräucherung vor, obwohl ich zum erstenmal im Leben öffentlich meine Verdienste aufzählte, da ich mich nicht widerstandslos verleumden lasse. (Damals als Baldwin mich einlud und mir die Tickets schicken wollte, war ich so bescheiden die abzulehnen, und sagte ich käme sobald ich die selbst zahlen könne, doch bald darauf verstarb er. Jeder warf mir damals diese „dumme Bescheidenheit“ vor.) Also warum nehme ich manchmal anti-islamische Postings von rechten Websites? Ganz einfach: weil auf linken Websites hierzulande die Wahrheit über den faschistischen Islam und seine Gesandten nicht zu finden ist (meine Jahrzehntelange tausendfache Erfahrung mit diesem Kulturkreis -die noch immer allen meinen Anschuldigern abging- erlaubt mir, Wahrheit und Fakenews zu unterscheiden.) In Frankreich könnte ich da auch auf linke Websites zurückgreifen. Das ist alles. Zum Rechten werde ich dadurch noch lange nicht. Aber Leute ohne Argumente können halt nur verleumden und die, die was zu sagen haben, aus ihren Gruppen exkommunizieren, wie einst Stalin.

Die Pseudo-Linken als neue Zweiwortstammler

In den 19-siebziger Jahren habe ich mal die damaligen rechten und Neonazis als Zweiwortstammler bezeichnet, weil deren Wortschatz nicht über „scheiß Kommunist“ hinausging. Heututage sind es erschreckend große Teile aller Sorten Linker, die einem bei noch so berechtigter Islamkritik nur noch „antimuslimischer Rassist“ entgegen stottern können ohne zu wirklich inhaltlicher Auseinandersetzung fähig zu sein (siehe „Marx 21“). Kurz, viele Linke sind heutzutage deutlich dümmer wie damals, während die Rechten intelligenter geworden sind. Eine gefährliche Entwicklung, die bereits dazu führte, dass ein Martin Sellner von den rechten „Idenditären“ (der Philosophie studierte) seinem linken Kontrahenten im österreichischen Fernsehen eindeutig überlegen war. Dies wäre früher, wo es immer hieß „der Geist steht links“, undenkbar gewesen. Auch gelang es den Idenditären alle Linken vorzuführen und lächerlich zu machen, indem Mitglieder dieser Gruppe unerkannt auf einer linken Demo mitliefen und dabei das Transparent hochhielten „Asyl für 1,3 Milliarden Afrikaner!“ Das fanden alle gut, auf der Rednertribüne wurde es gelobt. Keinem kam es in den Sinn, dass ein Land von unserer Größe nicht ganz Afrika, fast 1/5 der Erdbevölkerung aufnehmen, versorgen und finanzieren kann.

File:Walenstadt. Paxmal. Linke Wand. Bilder 5 und 6 - 001.JPG

Wandgemälde aus dem Palazzo Protzo in Silwingen/Saarland ?

Als ich übrigens auf die geharnischte Islamkritik von Karl Marx verwies, der schon 1854 „den islamischen Mob“ aus Deutschland hinauswerfen wollte, sagte mir der orthodoxe Marxist Mo Slak zu meiner Überraschung, da habe Marx eben Unsinn geschrieben! Ich bin sicher, dass er das nicht gesagt hätte, wenn ich eine andere Religion angegriffen hätte. Aber ausgerechnet für den faschistischen Islam haben diese „Linken“(?) alle ihr Herz entdeckt.  Jedenfalls würden Marx oder Trotzki diesen Gestörten doch schreiend davonlaufen.

Erschreckende menschliche Degeneration

In diesem angeblich trotzkistischen (also antistalinistischen) Club wimmelte es in Wirklichleit nur so von Stalinisten, Islamisten und sonstigen antidemokratischen Dummköpfen. Böse und haßerfüllt fielen alle Diskursunfähigen über meine schwerkranke Person her. Selbst als ich mitteilte, dass jede Aufregung mich töten könne, fanden mache dies in ihrer Unfähigkeit zur Empathie noch zum lachen komisch. Die Leute die beanspruchen, eine bessere Welt aubauen zu wollen, sind weit zurück hinter „bürgerlichen Humanisten“. Wie Leute mit solchem Verhalten jemals zum Sozialismus gelangen wollen, bleibt deren Geheimnis. Aber nochmal zu den Inhalten: Da zerbrechen und spalten sich bereits die letzten Kleingruppen, wie ich es vor einigen Wochen voraussagte (ohne von deren internen Querelen zu wissen!) und der lernunfähige Rest macht so weiter. Die noch etwas größere Linkspartei fällt bei der letzetn Wahl auf 5% herunter und kommt nicht auf die Idee, dass dies an ihrem Programmpunkt „offene Grenzen für alle die kommen wollen“ liegt. Da müssen halt alle weiter wie die Lemminge in den Untergang rennen. So stehen wir vor dem unmittelbaren HISTORISCHEN Ende aller Linken, aus dem es keine Wiederauferstehung geben wird.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

————————————————————

Grafikquellen         :

Oben      —        Facebook en el aula

Author Veluben

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

———————–

Unten     —      Paxmal in Schrina-Hochrugg (um 1940). Die Mosaiken der linken Wand.

Source Own work
Author Shesmax

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

Abgelegt unter Gewerkschaften, Kultur, P. DIE LINKE, Überregional | Keine Kommentare »

Abschluss Aktion Autofrei

Erstellt von Redaktion am 15. August 2019

Für eine radikale Verkehrswende und ticketfreien ÖPNV

GlobusBesetzung in der VWZentrale von Wolfsburg.

Quelle         :     untergrund-blättle ch.

Von      pm

Die Aktion Autofrei, die am Dienstag alle Gleiszufahrten zum VW-Werk Wolfsburg und eine Skultpur besetzte, um den Autokonzern VW zu blockieren, endet am Mittwoch Mittag.

Es waren Technische Einheiten der Polizei mit einer Lore, SEK, Zwei Boote der Wasserschutzpolizei, Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die Feuerwehr mit Boot, Notarzt und Rettungsdienst, ein Räumfahrzeug, und Polizistis aus Lüneburg, Salzwedel, Braunschweig und Hannover im Einsatz.

Trotzdem hatte die Polizei nach 12 Stunden immer noch nicht alle Lock-Ons der Aktivistis entfernt, mit denen sie sich an den Schienen festgekettet hatten. Der Autozug gab schon früher auf und fuhr gegen kurz vor 21:00 wieder zurück ins Werk. Erst kurz vor Mitternacht waren die Schienen wieder frei.

In der Eingangshalle der Autostadt, eines VW-Vergnügungsparks, hängt eine Metallkonstruktion in Form eines Globus von der Decke; dort übernachten heute sechs Kletteraktivistis. Der Globus wird am Mitwoch nach 24 Stunden Besetzung wieder verlassen. Zu diesem Anlass wird zu einer Pressekonferenz um 12:00 unter dem Globus eingeladen, mit der Möglichkeit mit Kletteraktivistis des Globus und anderen Beteiligten der Aktion zu sprechen. Im Anschluss daran werden sich die Kletteraktivistis aus dem Globus abseilen.

„Die Geschäftsführung der Autostadt machte gute Miene zum bösen Spiel: Sie versorgten uns rührend und waren sehr um unsere Sicherheit bedacht. Wir werten diese „Großzügigkeit“ als strategisches Handeln im Sinne der Imagepflege und als Versuch, das Ganze klein zu halten. Denn ab 23:00 ging plötzlich der Feueralarm an, um uns Mürbe zu machen. Die Putzkräfte mussten währenddessen weiterarbeiten. Wir solidarisieren uns mit den Putzkräften, den bisher festgenommenen Aktivistis aus der Zugblockade und allen anderen Teilen der Aktion!“, so die Aktivistis.

In der Gefangenensammelstelle wird es unterdessen eng; die Polizei sperrt die Aktivistis je zu zweit in Einzelzellen mit schmalen Betten. Die Antwort des Autokonzerns und seiner staatlichen Unterstützung beginnt bei Schlafentzug – wahrscheinlich wird es mit Nötigung, Widerstand oder ähnlichen juristischen Konstruktionen weitergehen.

„Mit unserer Aktion wollen wir das Betteln um mehr Klimaschutz im Verkehrsbereich beenden. Die Seilschaften von Politik und Konzernen sind weder willens noch in der Lage, die nötigen Schritte zu einer Wende einzuleiten. Petitionen, Appelle und rein symbolische Aktionen reichen nicht!“

Die Aktion wendet sich auch gegen Elektroautos. Deren Einführung würde nur der Ausstoß von Luftschadstoffen verändern. Alle anderen Nachteile wie Flächenverbrauch und Unfalltote würden bleiben. Elektro-Autos seien sogar deutlich schwerer und in der Produktion noch rohstoffintensiver als bisherige Autos.

Die Umrüstung oder der Umstieg auf Elektromobilität würde riesige Mengen Rohstoffe, Arbeitskraft und Geld verzehren, die dringend für den Ausbau des ÖPNV gebraucht werden.

„Es ist absurd, den Auf- und Ausbau von Straßen- und Seilbahnen mit dem Argument abzulehnen, das sei zu aufwändig – und gleichzeitig mit viel größerem Aufwand die vielen Millionen PKWs austauschen zu wollen.“ Zudem sei Lithium als heute dominanter Akku-Rohstoff sehr selten. Kriege um das Metall seien zu befürchten.“

Durch diese Aktion konnte gezeigt werden, wie bereits wenige Menschen ein Echo erzeugen können, das die dringend zu führende gesellschaftliche Debatte zum Umgang mit Klimakrise und der notwendigen Verkehrswende ankurbelt. Wir werten die Aktion als vollen Erfolg und freuen uns auf neuen Wind für mehr Aktionen.

Fakten zum Hintergrund

  • Im Jahr 2018 starben in Deutschland 3265 Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr. 85 mehr als im Jahr zuvor.
  • Der Stromverbrauch durch Elektromobilität schluckt ungefähr die Menge, die im Moment durch Windenergie produziert wird.
  • Ca. 30 Prozent einer Innenstadt sind Verkehrsflächen. Eine Berechnung für die (relativ radfreundliche) Stadt Freiburg ergab: Autos beanspruchen 23mal mehr Fläche als Radfahrer*innen.
  • In Berlin ist die durchschnittliche Spielfläche je Einwohner seit dem Jahr 2000 von 0,8 auf 0,6 Quadratmeter gesunken. Im Vergleich dazu braucht ein PKW eine durchschnittliche Parkfläche von 10 Quadratmeter.
  • 2000 betrug der Anteil an pendelnden Arbeitnehmis 53%, im Jahr 2015 schon 60%.
  • Seit 1990 sind in Deutschland 6467 Kilometer Bahnstrecken stillgelegt worden.
  • CO2-Ausstoß durch Verkehr in BRD. 1990: 163 Mio. Tonnen. Ziel 2030: -40%. Ausstoß 2017: 166 Mio. Tonnen.

Presse-Communique zur Globus-Besetzung im VW-Autoland in Wolfsburg

Heute besetzt eine Gruppe von Klimaschutzaktivistis die Eingangshalle des Autoparks des weltweit größten Automobilkonzerns Volkswagen – des Disney Worlds für Autofreaks sozusagen. Dazu bekletterten Menschen eine Stahlkonstruktion in Form eines Globus, der dort von der Decke hängt.

Diese Aktion läuft parallel zu einer ein paar hundert Meter entfernten, Blockade des werkseigenen Zuges voller nagelneuer Autos, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.

So wollen Aktivistis die dringend notwendige Debatte um den immens hohen Anteil der Autoindustrie an der Zerstörung der Umwelt anstoßen.

Denn die inzwischen immerhin in den Kinderschuhen steckende Diskussion um den nötigen Kohleausstieg reicht nicht aus, um der Klimakrise effektiv entgegen zu wirken.

Natürlich ist klar, dass nicht allein Volkswagen für den alarmierenden Zustand unseres Ökosystems verwantwortlich zu machen ist. Es handelt sich um eine globale Problematik.

Dennoch: Der Standort für die heutige Aktion wurde bewusst gewählt, um ein Zeichen zu setzen, da gerade auch die massiven Einflüsse der Autoindustrie aus Deutschland den Zustand unserer Umwelt weiter bedrohen.

Daher fordern die Aktivistis kompromisslos und sofort: Verkehrswende jetzt!

Wolfsburg, Volkswagenwerk -- 2009 -- 0822.jpg

  • Die Produktion eines Autos verursacht Schäden in der Umwelt durch den hohen Verbrauch an Rohstoffen und Energie.
  • Autos brauchen Fahrbahnen und Stehplätze, die in den Innenstädten ein Drittel der Fläche beanspruchen – mehr als alle Spiel- und Grünanlagen und mehr als Wohnraum.
  • Der motorisierte Verkehr verdirbt die Lebensqualität in Dörfern und Städten. Durch Lärm, Luftschadstoffe und die ständige Unfallgefahr werden die Straßen zu No-Go-Areas gemacht.
  • Von Parkhäusern bis zur Ampelanlage: Autoverkehr braucht riesige Ressourcen und führt zu massiven Einschärnkungen und Kosten.
  • Elektroautos sind hier keine Lösung. Auch wenn diese im Betrieb weniger Luftschadstoffe ausstoßen, kommen andere Nachteile hinzu. E-Autos sind schwerer und in der Produktion rohstoffintensiver. Umrüstung oder Umstieg auf Elektromobilität würde riesige Mengen Rohstoffe, Arbeitskraft und Geld verschlingen, welche dringend für den Ausbau des ÖPNV gebraucht werden.
  • Lithium als heute dominanter Akku-Rohstoff ist selten. Es drohen Kriege um das Metall – und das wieder auf dem Rücken derer, die in den Gruben arbeiten. Außerdem steht E-Mobilität für den weiteren Raubbau an der Natur.

Forderungen und dringende Notwendigkeiten:

  • Autoverkehr vermeiden!
  • Autofreie Ortskerne und Zonen um sensible Bereiche!
  • motorisierter Individualverkehr muss zurückgedrängt werden!
  • Schienenverkehr stärken, Busse als Zubringer – und das alles zum NULLTARIF!
  • Ein Netz von echten Fahrradstraßen in allen Orten. 50% und mehr Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs ist möglich. Die Förderung des Radfahrens ist daher eine der wichtigsten Maßnahmen einer Verkehrswende.
  • Mobilität muss für alle gleichermaßen möglich sein. Damit alle gleichberechtigt fahren können, müssen Fahrkarten abgeschafft werden!

Mehr Lebensraum für Mensch und Tier, daher Autos raus aus den Städten und weg vom motorisierten Individualverkehr!

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Creative Commons Lizenz (CC).

———————————————————————-

Grafikquellen      :

Oben          —    Globus-Besetzung in der VW-Zentrale von Wolfsburg. / zVg

————————

Unten    —      This is a photograph of an architectural monument. It is on the list of cultural monuments of Wolfsburg

  • CC BY-SA 4.0view terms
  • File:Wolfsburg, Volkswagenwerk — 2009 — 0822.jpg
  • Created: 2009-04-11 10:45

 

Abgelegt unter Gewerkschaften, Niedersachsen, Umwelt, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Lohn, Zeit und Respekt

Erstellt von Redaktion am 3. August 2019

Gegen die Erhöhung des Rentenalters

Protestaktion des Streikkollektivs während des Auftritts von Bundesrat Alain Berset in YverdonlesBains.

Quelle       :        untergrund:blättle ch.

Von  pm

Am 01. August 2019 nutzten Aktivist*innen verschiedener Frauen*streikkollektive den Auftritt von Bundesrat Alain Berset in Yverdon-les-Bains um ihn an seine Solidarität zu erinnern.

Die Frauen* machten mit einer stillen Botschaft: «Lohn, Zeit und Respekt» auf ihren T-Shirts sowie kleineren Schildern gegen die Erhöhung des Rentenalters auf die Anliegen der Frauen*streikbewegung aufmerksam.

Obwohl Alain Berset am 14. Juni in einer Videobotschaft Solidarität mit den Anliegen des Frauen*streiks bekundete, legte er wenige Tage später eine Altersreform vor, die jegliche Solidarität mit den Anliegen der Frauen* vermissen lässt. Auch am 1. August liess Berset die feministische Kritik an seiner Reform an den Rand drängen – diesmal durch anwesende Polizeikräfte.

Mit der Reformvorlage AHV 21 soll einmal mehr versucht werden, auf dem Rücken der Frauen* die Altersvorsorge zu sanieren. „Die Erhöhung des Frauenrentenalters ohne Aussicht auf Lohngleichheit und Anerkennung der unbezahlten Arbeit, ist respektlos. Bersets Reform ist unter dem Strich eine Rentenkürzung und nimmt uns Lebenszeit,“ erklärt Michèle Meyer vom Komitee Basel.

Am 14.6. sind Frauen zu Hunderttausenden auf die Strasse gegangen, um ihre Wut darüber auszudrücken, dass ihre Arbeit nicht wertgeschätzt wird. Altersarmut war dabei ein wichtiges Thema. Keine drei Wochen später wird alter Wein in neuen Schläuchen serviert: «Die Frauen sollen einmal mehr die Sanierung der AHV schultern. Das machen auch die vorgeschlagenen Kompensationsmassnahmen nicht wett. Die Kompensation beträgt bloss ein Drittel dessen was die Frauen durch die Erhöhung des Frauenrentenalters an die Reform beitragen sollen», ergänzt Simona Isler vom Komitee Bern.

Frauen* haben in der Altersvorsorge wegen den Pensionskassenrenten insgesamt ein deutlich tieferes Rentenniveau als Männer. Die Rentenstatistik von 2017 zeigt: die Männer, erhielten etwa doppelt so hohe Leistungen aus der 2. Säule wie die Frauen im gleichen Jahr.

Frauen haben gesamthaft rund 100 Milliarden Franken weniger Einkommen pro Jahr – obwohl sie gleich viele Stunden arbeiten wie Männer. Die Auswirkung auf ihre Rente: Durchschnittlich fast 20.000 Franken weniger Rente pro Jahr für jede Frau.

«Angesichts der nach wie vor grossen Einkommens- und Rentendifferenzen, die trotz gleicher Anzahl Arbeitsstunden zwischen Frauen* und Männern bestehen, akzeptieren wir keine Erhöhung des Frauenrentenalters. Der bundesrätliche Reformvorschlag weckt den Anschein, Frauen* würden zu wenig arbeiten», fasst Aktivistin Angelina Hofer zusammen. Er geht in eine falsche Richtung. Was wir brauchen ist eine Senkung der Erwerbsarbeitszeit für alle, die finanzielle Anerkennung unbezahlter Sorgearbeit und bessere Löhne und Arbeitsbedingungen im bezahlten Care-Sektor.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Creative Commons Lizenz (CC).

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Europa, Gewerkschaften, Medien | Keine Kommentare »

Teile der SAV – spaltet ab

Erstellt von Redaktion am 28. Juli 2019

Eine unnötige Spaltung im CWI und der SAV

Quelle    :      Scharf  –  Links

Von Mitgliedern der SAV (s. UnterzeichnerInnen)

Kampf für sozialistische Demokratie geht nur mit demokratischen Methoden

Liebe Kolleg*innen, Genoss*innen, Mitstreiter*innen der SAV,

Wir müssen leider mitteilen, dass eine größere Gruppe von Genoss*innen bei einer internationalen Fraktionskonferenz, die zwischen dem 22. und dem 25. Juli in London stattfand, beschlossen hat, sich vom „Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale“ (engl. CWI) abzuspalten.

Auch ein Teil der Mitgliedschaft der Sozialistischen Alternative (SAV) hat sich dieser Abspaltung angeschlossen. Damit ist die Spaltung auch in Deutschland eine politische Realität. Eine Sonderkonferenz der SAV Anfang September kann nun nur noch die mit der Spaltung verbundenen praktischen Fragen klären.

Eine Mehrheit des CWI und seiner Sektionen international und – wie wir glauben – auch eine Mehrheit der SAV in Deutschland, waren und sind gegen diese Spaltung. Wir halten sie für politisch nicht gerechtfertigt und daher für extrem schädlich.

Entzündet hatte sich der Streit Ende letzten Jahres an Fragen der Politik und Praxis der irischen Sektion des CWI. Auf einem Treffen des internationalen Vorstandes des CWI, bestehend aus gewählten Mitgliedern aus allen Sektionen (genannt IEK), war die engere Leitung (genannt IS) zum ersten Mal in der 45jährigen Geschichte des CWI in eine Minderheitsposition geraten.

Eine Reihe der Mitglieder der IS-Mehrheit standen seit Jahrzehnten an der Spitze der Organisation, einige seit dessen Gründung. Aus dem für sie offenbar überraschenden Umstand, bei einer wichtigen Meinungsverschiedenheit international in die Minderheit geraten zu sein, zogen sie den Schluss, dass es über die Fragen in Irland hinausgehende, fundamentale Differenzen geben müsse. Es kam zu einer aus unserer Sicht völlig unnötigen Eskalation der Debatte um politische Fragen.

Diejenigen, die sich jetzt abgespalten haben, folgten damit der Ansicht der IS-Mehrheit, wonach alle, die nicht ihrer Meinung sind, eine „rechts-opportunistische“ Entwicklungsrichtung eingeschlagen hätten, sich dem Druck kleinbürgerlicher Ideen, insbesondere der “Identitätspolitik” , gebeugt hätten und die notwendige Orientierung auf die Arbeiter*innenklasse und die Gewerkschaften aufgegeben hätten.

Aus unserer Sicht sind diese Vorwürfe haltlos. Wir können nur empfehlen, sich selber ein Bild zu machen. Wer mag und der jeweiligen Sprache mächtig ist, schaue sich dazu die politischen Veröffentlichungen von Sektionen des CWI an, die gegen den Spaltungskurs der IS-Mehrheit aufgetreten sind, darunter: USA, Brasilien, Schweden, Irland, Belgien, Österreich, Griechenland, Israel/Palästina, Russland, China, Hongkong, Australien. Auch in Deutschland hat die Bundeskonferenz der SAV noch im Januar einstimmige Beschlüsse zur politischen Lage, Perspektiven und zu unserer Mitarbeit in LINKE und Gewerkschaften gefasst.

Fundamentale Differenzen, die eine Spaltung rechtfertigen würden, wären etwa, wenn sich ein Teil der Organisation materiellen Privilegien verschaffen wollte oder wenn ein Teil sich an einer Regierungskoalition mit pro-kapitalistischen Parteien beteiligen würde und dadurch Mitverantwortung für Kürzungen oder Abschiebungen übernehmen oder diese gutheißen würde. Oder wenn ein Teil die Perspektive einer eigenständigen revolutionären Organisation aufgegeben und eine Auflösung in breite linke Formationen bevorzugen würde. Nichts dergleichen stand auch nur ansatzweise im Raum.

Was es gab, waren wichtige Diskussionen und teilweise auch Meinungsverschiedenheiten um Fragen wie: Wie positionieren wir uns politisch und praktisch in den Frauenbewegungen? Wie teilen wir unsere begrenzten Kräfte auf die verschiedenen Bereiche der Arbeit auf? Wie formulieren wir unsere Forderungen an die Gewerkschaften? Was sind notwendige Kompromisse, wenn wir in breiten Bündnissen mitarbeiten? Welche, politisch eigentlich unzureichenden, Forderungen können wir unterstützen, welche nicht? Wie gehen wir mit dem Druck um, den parlamentarische Massenarbeit für eine vergleichsweise kleine Organisation schafft?

Diese und ähnliche Fragen stellen sich ständig und werden sich auch in Zukunft zusammen mit wiederum neuen Fragen stellen. Wir glauben, dass die Lösung dieser Fragen nur über den Weg einer solidarischen, offenen Diskussion erreicht werden kann. Das war auch die Tradition und Methode des CWI und seiner Führung in der Vergangenheit.

Leider war dies in der aktuellen Debatte vollkommen anders. Seitens der IS-Mehrheit wurde versucht, Fehler in den Sektionen zu finden, die gegen sie gestimmt hatten, statt allgemein dabei zu helfen, Fehler auf allen Seiten zu überwinden. Konkrete Vorschläge zur Lösung konkreter Problemstellungen wurden nicht gemacht.

In der Debatte beschränkte man sich auf die Wiederholung allgemeiner Wahrheiten. Neben der Beantwortung konkreter Fragen wäre es nötig gewesen, rechtzeitig eine internationales Programm und gegebenenfalls internationale Initiativen und Kampagnen zu entwickeln, neben der Frauenfrage nicht zuletzt zur Klima- und Umweltfrage.

In einer Zeit, in der die Welt in jeder Beziehung nochmal deutlich internationaler geworden ist, ist mehr internationale Führung nötig. Das Gegenteil war zuletzt der Fall.

Die Ursache für die Krise im CWI, die leider in die Abspaltung eines Teils mündete, sind objektiver und subjektiver Natur. Für eine revolutionäre Organisation, deren Ziel Sozialismus ist und die die Arbeiter*innenklasse als die entscheidende Kraft betrachtet um dieses Ziel zu erreichen, waren die letzten dreißig Jahre außerordentlich schwierig. Sozialismus wird von vielen mit Stalinismus verwechselt oder erscheint als utopisch. Die Arbeiter*innenklasse ist zwar zahlenmäßig weltweit so stark wie noch nie zuvor, aber ihre Organisationen, die Gewerkschaften und linke Parteien, sind politisch schwach, wenig kämpferisch oder nicht vorhanden.

Das setzt eine kleine revolutionäre Organisation unter enormen Druck, was unvermeidlich auch zu Fehlern führen kann. Wichtig ist dann, wie die Führung mit diesen Fehlern umgeht. Die IS-Mehrheit hat zwar teilweise richtigerweise auf Fehler anderer hingewiesen, wollte aber ihrer eigenen Fehler und ihren Teil der Verantwortung nicht sehen. Sie war auch zu keinem Zeitpunkt bereit, eventuell aus einer Minderheit für ihre Positionen zu kämpfen.

Das führte in der Konsequenz dazu, dass sie sich jeder demokratischen Kontrolle entzog. Sie erkannte die gewählten Gremien des CWI, internationaler Vorstand (IEK) und Weltkongress nicht länger an und weigerte sich, das zuvor einstimmig beschlossene Treffen des IEK im Sommer einzuberufen. Ebenso weigerte sie sich, das einstimmig auf Januar 2020 angesetzte Treffen des Weltkongresses, das höchste Gremium der Internationale, einzuberufen, jeweils aus Angst dort in der Minderheit zu sein.

Dieses undemokratische Verhalten gipfelte darin, dass die IS-Mehrheit ihre Position an der Spitze der Organisation nutzte, um den Namen CWI, die Gelder sowie den Zugang und die Kontrolle über den Inhalt der Website, die Mailing-Listen und der anderen Social Media Accounts an sich zu reißen.

Das führt zu der absurden Situation, dass eine Minderheit (die IS-Mehrheit ist international in der Minderheit) die Mehrheit faktisch ausschließt. Denn auch ohne formellen Ausschluss gibt es für diese Mehrheit keine Möglichkeiten mehr, auf die politische Willensbildung und Zusammensetzung der Gremien Einfluss zu nehmen.

Der richtige Weg wäre gewesen, für die eigenen Positionen in den demokratischen Strukturen des CWI zu kämpfen und sich dem Votum der gewählten Gremien zu stellen.

Wie soll man in der Arbeiter*innenbewegung glaubwürdig für die vom CWI immer vertretene Forderung nach jederzeitiger Wähl- und Abwählbarkeit von Personen in Leitungsfunktionen in der Arbeiter*innenbewegung eintreten, wenn man dieses Prinzip in dem Augenblick nicht mehr akzeptiert, in dem es einen selber betrifft?

Wie soll man glaubwürdig für das große Ziel einer sozialistischen Demokratie eintreten, wenn man das Prinzip demokratischer Kontrolle in der eigenen Organisation ignoriert, die eine entscheidende Rolle im Kampf für eine demokratische, sozialistische Gesellschaft spielen will?

Wir finden es falsch, dass ein Teil der Mitglieder sich jetzt abgespalten hat. Wir halten es für doppelt schädlich, da sie es zudem in dieser undemokratischen Art und Weise tun. Die Abspaltung und ihre sogenannte „Neugründung des CWI“ erfolgen im Stil einer bürokratischen Top-Down-Methode . Mit dem gesamten Vorgehen wird die Idee des Trotzkismus leider ein weiteres Mal diskreditiert. Es wird aber auch keine tragfähige Grundlage für den Aufbau einer lebendigen, demokratischen Organisation sein.

Die verheerende Rolle, welche die IS-Mehrheit und andere führende Genoss*innen, die ihnen folgen, jetzt spielen, die Fehler die sie zuletzt gemacht haben, ändern allerdings nichts an der enorm wichtigen Rolle, die sie in der Vergangenheit beim Aufbau des CWI eingenommen haben. Wir haben keine Veranlassung, das plötzlich anders zu sehen.

Die Mehrheit der Sektionen unserer Internationalen steht weiter zu den politischen und organisatorischen Prinzipien des CWI und wird im Einklang mit ihnen weiter in der Arbeiterbewegung, den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen für eine sozialistische Revolution kämpfen.

Die Debatte hat gezeigt, dass die Mitgliedschaft des CWI in der Lage war, auch gegen ihre eigene Führung aufzustehen, als diese anfing, demokratische Prinzipien über Bord zu werfen. Unsere Organisation baut auf selbstständig, kritisch denkenden Mitgliedern auf, die einen politischen Vorschlag nicht danach beurteilen, wer ihn macht, sondern nach dessen Inhalt. Auf dieser Grundlage wollen wir mit den (in Zukunft leider ehemaligen) Genoss*innen in den Gewerkschaften, in der LINKEN, der linksjugend.solid und Bewegungen weiter zusammenarbeiten.

Wir sind zuversichtlich, bei der Sonderkonferenz Anfang September eine Mehrheit der Mitglieder hinter uns zu versammeln zu können, um in Deutschland unsere Arbeit unter dem Namen der SAV fortzusetzen.

Diese Abspaltung bedeutet zweifellos einen Rückschlag für die Idee, eine internationale revolutionäre Organisation aufzubauen, die das Ziel hat, den Kapitalismus zu überwinden. Aber die Aufgabe stellt sich weiter und sie stellt sich mit jedem Tag dringender.

Wir werden weiter die CWI-Mehrheit aufbauen. Das provisorische Komitee der CWI IEK-Mehrheit schreibt in einer ersten Stellungnahme:

“Die CWI-Mehrheit ist vereint, intakt und verfügt über beträchtliche Kampfkraft in über 30 Ländern rund um den Globus! Wir sind entschlossen, zu diskutieren und zu debattieren, um alle Lehren aus der Krise zu ziehen, die wir durchgemacht haben, um eine junge, demokratische und mächtige Weltpartei aufzubauen, die sich dem Kampf für eine sozialistische Revolution widmet. In diesem Moment greifen wir in die explosiven Ereignisse in Puerto Rico, Hongkong, Sudan und anderswo ein. In Kürze werden wir eine internationale Website und andere Publikationen veröffentlichen. Wir rufen alle CWI-Mitglieder, Arbeiter*innen und Jugendliche aller Länder auf, mit uns zu diskutieren und sich uns anzuschließen!”

Diesen Appell können wir auch bezüglich Deutschland nur unterstreichen. Wir bieten allen Interessierten an, das Gespräch mit uns zu führen.

In der SAV haben sich in den vergangenen Wochen rund 100 Mitglieder gegen eine Spaltung positioniert, die wir hier nicht alle aufführen können.

Hier eine Auflistung namentlicher Unterstützer dieser Stellungnahme in alphabetischer Reihenfolge:

Simon Aulepp, Kassel
Angela Banckert, Köln
Heino Berg, Göttingen
Conny Dahmen, Köln
Anne Engelhardt, Kassel
Linda Fischer, Hamburg
Christoph Glanninger, Berlin
Christian Kubitza, Köln
Georg Kümmel, Köln
Claus Ludwig, Köln
Ianka Pigors, Hamburg
Sebastian Rave, Bremen
Lucy Redler, Berlin
David Schultz aka Holger Burner, Hamburg
Johannes von Simons, Berlin
Jeanine Thümmig, Berlin
Marc Treude, Aachen
Doreen Ullrich, Aachen
Hannah Windisch, Kassel
Jennifer Wörl, Aachen

Damit sich jede/r selber ein Bild machen kann, einige Links:

+ Stellungnahme der IEK-Mehrheit gegen die Abspaltung und zum weiteren Aufbau: https://www.slp.at/…/ein-b%C3%BCrokratischer-putsch-wird-di…

+ Stellungnahme derer, die sich abgespalten haben (bisher nur in Englisch): www.socialistworld.net/�_�/10249-refounding-the-commit�_

Links zu den im Text genannten Sektionen:
USA www.socialistalternative.org
Brasilien
www.lsr-cit.org
Schweden
www.socialisterna.org
Irland-Süd
www.socialistparty.ie Irland-Nord socialistpartyni.org
Belgien
www.socialisme.be
Österreich
https://www.slp.at/
Griechenland
www.xekinima.org
Israel/Palästina
socialism.org.il
Russland
www.socialist.news
China
chinaworker.info/cn/
Hongkong
www.socialism.hk
Australien
https://thesocialist.org.au/

Quelle: https://www.facebook.com/claus.ludwig/posts/10219507956798757?comment_id=10219510588304543&notif_id=1564252958175248&notif_t=feedback_reaction_generic

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

—————————————————————–

Grafikquelle      :      Scharf – Links      – Bildmontage : HF

Abgelegt unter Gewerkschaften, Medien, P. DIE LINKE, Positionen | Keine Kommentare »

Thema: Prekäre Arbeit

Erstellt von Redaktion am 22. Juli 2019

A-typische Beschäftigung verharrt auf hohem Niveau

Quelle      :        Scharf  –  Links

Von Gewerkschaftsforum Dortmund

Quote in westdeutschen Ländern um bis zu 12 Prozentpunkte höher als im Osten.

Die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland verharrt auf hohem Niveau. Besonders stark betroffen sind nach wie vor Frauen in Westdeutschland, die aus familiären Gründen oft in Teilzeit oder Minijobs arbeiten, zudem jüngere Beschäftigte, geringer Qualifizierte und Beschäftigte ohne deutschen Pass. Dementsprechend unterscheiden sich die Quoten in Ost- und Westdeutschland erheblich, und sie haben sich in den vergangenen Jahren noch auseinanderentwickelt: In den ostdeutschen Bundesländern liegt der Anteil atypisch Beschäftigter nach den aktuellen Zahlen überall unter 18 Prozent, in Brandenburg sogar unter 15 Prozent. Im Westen reicht sie von knapp 18 Prozent in Hamburg bis 23 Prozent und mehr in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Bremen. Das zeigt eine neue Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Teilzeit, Befristung und Leiharbeit waren von Anfang der 1990er-Jahre bis zur Finanzkrise auf dem Vormarsch. Seit 2010 ist der Anteil dieser atypischen Arbeitsverhältnisse an der sogenannten Kernerwerbstätigkeit – darin sind etwa Auszubildende, Schüler, Studierende oder jobbende Rentner nicht enthalten – wieder ein wenig gesunken und verharrte zuletzt bei rund 21 Prozent. 1991 waren es erst knapp 13 Prozent, auf dem Höhepunkt 2007 22,6 Prozent, geht aus der neuen WSI-Analyse hervor. Bei ihrer Untersuchung stützen sich Dr. Eric Seils und Dr. Helge Baumann auf Sonderauswertungen des Statistischen Bundesamtes. Auf dieser Basis haben die Forscher detaillierte Werte für 2017 berechnet – dem aktuellsten Jahr, für das derzeit Daten vorliegen.

Die WSI-Studie zeigt: Atypische Beschäftigung verteilt sich keineswegs gleichmäßig auf Bevölkerungsgruppen und Regionen. Zwei Drittel des Zuwachses seit der Wiedervereinigung geht auf die Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung unter Frauen in Westdeutschland zurück. Dementsprechend sind bundesweit 30,5 Prozent aller kernerwerbstätigen Frauen atypisch beschäftigt, wobei Minijobs und Teilzeitarbeit dominieren. Unter den Männern haben 12,2 Prozent einen atypischen Job. Bei ihnen spielen Leiharbeit und befristete Beschäftigung eine vergleichsweise große Rolle. Das ergibt insgesamt eine durchschnittliche Quote von 20,8 Prozent im Jahr 2017 (siehe auch die Grafiken in der Studie; Link unten).

Schaut man auf den Durchschnitt beider Geschlechter, stecken vor allem jüngere Beschäftigte in atypischen Jobs. Unter den 15-24-Jährigen gilt dies für 30,9 Prozent. Wesentlicher Grund: Berufsanfänger erhalten häufig erst einmal nur einen befristeten Vertrag. Die Quote geht dann in der Altersgruppe zwischen 25 und 34 Jahren auf 22 Prozent zurück, sinkt danach weiter leicht, um in der Altersgruppe 55 Plus wieder etwas anzusteigen. Allerdings sind die Trends unter Männern und Frauen zeitweilig unterschiedlich: Bei weiblichen Beschäftigten steigt die Quote in der Phase der Familiengründung zwischen 35 und 44 Jahren zunächst wieder kräftig an.

Überdurchschnittlich häufig atypisch beschäftigt sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne deutschen Pass. Der Anteil reicht von 25,3 Prozent unter Ausländerinnen und Ausländern aus den „alten“ EU-15-Ländern bis zu 35,3 Prozent unter Menschen, die aus Staaten außerhalb der EU stammen. Während die Zahl atypisch Beschäftigter ohne deutsche Staatsangehörigkeit in den vergangenen Jahre um knapp 500.000 zugenommen hat, ging sie unter deutschen Frauen (-447.000) und Männern (-183.000) um insgesamt 630.000 zurück.

Auch der Bildungs- und Berufsabschluss beeinflusst die Wahrscheinlichkeit, atypisch beschäftigt zu sein. Während 36,6 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne anerkannte Berufsausbildung befristet, in Teilzeit oder Leiharbeit tätig sind, liegt die Quote bei Beschäftigten mit abgeschlossener Lehre oder Berufsfachschule bei 20,7 Prozent. Am niedrigsten ist sie unter Menschen mit Hochschulabschluss: 14,3 Prozent.

Regional steht das Bundesland Bremen mit gut 26 Prozent atypischer Beschäftigung an der Spitze. Es folgen das Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit Quoten zwischen knapp 23 und 24 Prozent. Niedersachsen und Hessen verzeichnen Anteile von rund 22 Prozent, Bayern knapp 20 Prozent. Interessant: Sowohl in Bremen als auch in Bayern geben männliche Beschäftigte den Ausschlag: Ihre Quote atypischer Beschäftigung ist in dem norddeutschen Stadtstaat weit überdurchschnittlich (20,4 Prozent), während sie im Freistaat bei lediglich knapp neun Prozent liegt.

Generell deutlich niedriger sind die Quoten in Ostdeutschland, wo Frauen seit langem weitaus häufiger in Vollzeit arbeiten und die öffentliche Kinderbetreuung stärker ausgebaut ist. Den bundesweit niedrigsten Wert weist Brandenburg mit 14 Prozent auf. Zudem ist die atypische Beschäftigung zuletzt im Osten spürbar gesunken, während sich im Westen nur wenig verändert hat. Daher ist die Differenz zwischen ostdeutschen (durchschnittliche Quote 16,3 Prozent 2017) und westdeutschen (21,8 Prozent) Bundesländern mit aktuell 5,5 Prozentpunkten deutlich größer als Mitte der 1990er (gut 1 Prozentpunkt) oder 2000er (rund 3,5 Prozentpunkte) Jahre.

Dass die atypische Beschäftigung im gesamtdeutschen Durchschnitt in den letzten Jahren zumindest leicht zurückgegangen ist, führen die WSI-Wissenschaftler auf die vergleichsweise gute Konjunktur zurück, die wieder vermehrt Normalarbeitsverhältnisse entstehen ließ. Zudem gehen Frauen in jüngster Zeit etwas seltener Teilzeitbeschäftigungen mit sehr geringer Stundenzahl nach. Dennoch betonen Seils und Baumann, dass das aktuelle Niveau der atypischen Beschäftigung weiterhin hoch sei. Daher raten sie, „den Trend zu längeren Arbeitszeiten teilzeitbeschäftigter Frauen durch politische Maßnahmen zu flankieren“ Ein weiterer Ausbau der Kinderbetreuung sei ein Baustein dazu. Wenn mehr Frauen ihre Arbeitszeit ausweiteten, vergrößere das zum einen ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit, auch im Rentenalter. Zum anderen ließe sich damit auch die prognostizierte Verknappung von Arbeitskräften dämpfen.

Quelle: Hans Boeckler Stiftung
https://www.gewerkschaftsforum-do.de 

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

————————————————————————

Grafikquelle       :          Ver.di-Senioren 1. Mai 2015 Hamburg

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Nordrhein-Westfalen, Überregional | Keine Kommentare »

Bürgerliche Abweichungen?

Erstellt von Redaktion am 19. Juli 2019

Kleinbürgerliche Abweichungen?
Das Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI) in der Krise1

File:Bodleian Libraries, La balance politique.jpg

Bodleian Libraries, La balance politique

Quelle      :           Scharf  –  Linke

von Manuel Kellner

Die CWI ist eine internationale Organisation, die in trotzkistischer Tradition steht. Ihre stärkste nationale Organisation ist die «Mutterpartei» Socialist Party. In den 80er Jahren, als ihre Mitglieder noch in der Labour Party arbeiteten, damals als Militant-Strömung, erwarb sie sich großes Ansehen u.a. durch den Kampf gegen Margret Thatchers Poll tax (Kopfsteuer).

Dem Vernehmen nach könnte dieser Organisation eine Spaltung drohen. Dem Vernehmen nach – und damit fängt das Problem schon an. Wir sind auf «geleakte» interne Dokumente im Internet, darauf basierende Presseartikel anderer linker Gruppen im englischsprachigen Raum und eine Art Kremlastrologie angewiesen. Denn das CWI stellt die aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten nicht öffentlich zur Diskussion.

Im Internet verfügbar ist insbesondere ein 12seitiger Text von Peter Taaffe (englisches Leitungsmitglied der CWI seit 50 Jahren) vom 15.Januar dieses Jahres mit der Überschrift «In defence of a working-class orientation for the CWI». Darin wird gleich eingangs schweres Geschütz aufgefahren: «…die CWI ist mit …Tendenzen zum kleinbürgerlichen Mandelismus² konfrontiert.» Vor allem der irischen Organisation der CWI wirft Taaffe vor, zugunsten von «Identitätspolitik … die Notwendigkeit einer auf der Bewegung der Arbeiterklasse gründenden Organisation aufzugeben».

Die Beispiele, die Taaffe anführt, sind nicht sehr sprechend und reichen nicht aus, sich ein Urteil zu bilden. Die irische Socialist Party ist die aktuell wohl profilierteste Organisation des CWI mit einiger Präsenz in den Bewegungen und einigen Parlamentsabgeordneten. Hat sie bei der Teilnahme an der Bewegung gegen die Kriminalisierung der Abtreibung dem «bürgerlichen Feminismus» nachgegeben, weil sie nicht an die Gewerkschaften appellierte, diesen Kampf zu unterstützen? Hat sie analog dem «irischen Nationalismus» nachgegeben? Auffällig ist in Taaffes Text, dass er sich oft auf angebliche Äußerungen «einzelner Genossen» bezieht und keine Texte der irischen SP zitiert. Und was bedeuten solche Vorwürfe überhaupt?

«Dem Vernehmen nach» war Taaffe auf einer Sitzung des breiteren internationalen Leitungsgremiums des CWI gegen Ende 2018 in die Minderheit geraten. Die Leitungen der griechischen und der US-amerikanischen Organisation des CWI etwa unterstützten die Iren. Im engeren Leitungsgremium, dem Internationalen Sekretariat, hat Taaffe aber eine sichere Mehrheit, und mit ihr hat er prompt eine Fraktion gegründet, die auf den folgenden schönen Namen hört: «In defence of a working class Trotskyist CWI», was wohl nicht übersetzt werden muss.

Ich weiß sehr wohl, dass die Organisationen des CWI einiges auf die Reihe gekriegt und sich Verdienste erworben haben. Darum würde ich mich keineswegs freuen, wenn diese Organisation zerbrechen sollte. Doch das organisationspolitische Konzept und das Funktionieren der CWI halte ich nicht für nachahmenswert. Klar, es gibt da viel Effizienz, und lange Zeit funktionieren solche Organisationen wie gut geölte Maschinchen. Die Mitglieder sind aufopfernd aktiv. Sie kennen kein «vielleicht» und kein «weiß nicht genau». Formal ist intern alles demokratisch geregelt. Aber die Führung bleibt immer im Sattel und duldet faktisch keinen ersthaften Widerspruch. Wenn Kontrollverlust droht, wird gespalten.

Ich kenne Peter Taaffe persönlich aus den 2000er Jahren, als das CWI mit den «kleinbürgerlichen Mandelisten» darüber beriet, ob und wie eine breitere antikapitalistische Kraft auf europäischer Ebene geschaffen werden könne. Peter Taaffe spricht frei und souverän und bringt die Leute mit Anekdoten zum Lachen. Im persönlichen Gespräch vermittelt er den Eindruck eines wirklichen Menschen, der auch zuhören und zweifeln kann. Aber – entschuldigt bitte – schon im Gespräch mit seinen unmittelbaren Unterführern bekam ich nur gestanzte Phrasen zu hören. Damit werden keine selbständig urteilenden Revolutionäre erzogen.

Ich fragte 2010 einen pakistanischen Genossen, warum sich seine Organisation vom CWI abgewandt und der IV. Internationale zugewandt hatte, da auch sie ja nicht mehr ist als eine kleine organisierte internationale Strömung. Er meinte lachend, es sei halt schon eine Erleichterung gewesen, nicht mehr mit Europäern – in diesem Fall Engländern – zu tun zu haben, die immer besser wissen, was in Pakistan zu tun sei. Bei allen Schwächen, die die IV. Internationale hat: Ihre Stärke im Vergleich mit dem CWI und vergleichbaren Organisationen besteht darin, Genossinnen und Genossen auf internationaler Ebene zusammenzuführen, die auf Augenhöhe miteinander Positionen entwickeln – ohne eine Handvoll Führungsfiguren, die die marxistische Weisheit für sich gepachtet haben.

¹ In Deutschland gehört die SAV zum CWI.

² Ernest Mandel (1923–1995) war das wohl bekannteste Mitglied der IV. Internationale. Einige seiner Schriften hatten in Deutschland recht hohe Auflagen, so die Marxistische Wirtschaftstheorie, Der Spätkapitalismus und die Einführung in den Marxismus. Es ist eine schlechte Gewohnheit von Sektenrivalität, dem Namen eines solchen Menschen einen «ismus» zu verpassen und den so geschaffenen Begriff als politische Invektive zu benutzen.

http://www.sozonline.de/2019/07/kleinbuergerliche-abweichungen/ 

(wd) Das Committe for a Workers’ International (CWI) oder Komitee für eine Arbeiterinternationale (KAI) ist im April 1974 in London gegründet worden. Seine Website: http://www.socialistworld.net.

Weitere Informationen unter anderem: https://en.wikipedia.org/wiki/Committee_for_a_Workers%27_International; https://de.wikipedia.org/wiki/Committee_for_a_Workers%E2%80%99_International 

Die Mitgliedsorganisationen dieser internationalen Strömung, deren zentrale Organisation viele Jahre lang die britische „Militant Tendency“ war, betrieben bis Ende der 1980er Jahre „entryism“ oder „Dauer-Entrismus“ in sozialdemokratischen Parteien und deren Jugendverbänden. 1990/91 vollzog eine Mehrheit des CWI nach dem Vorbild des „Scottish Turn“ von Scottish Militant Labour (SML) einen „Open Turn“ und bildete selbständige Organisationen bzw. Parteien wie „Militant Labour“ in England und Wales (ab 1997 „Socialist Party“), die LSP/PSL in Belgien oder die Sozialistische Linkspartei (SLP) in Österreich.

Eine Minderheit in Großbritannien und im CWI mit dem langjährigen führenden Kopf von „Militant“ Ted Grant an der Spitze bekämpfte diese Wende, wurde aus dem CWI ausgeschlossen ab und bildete die „International Marxist Tendency“ (IMT). Ihr gehören in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Organisationen an, die sich „Der Funke“ nennen.

Die „Militant Tendency“ entstand 1964 in der Kontinuität der „Revolutionary Socialist League“ (RSL), die 1956 als britische Sektion der IV. Internationale worden war (bzw. der Fraktion mit dem Internationalen Sekretariat mit Michel Pablo, Ernest Mandel, Pierre Frank, Livio Maitan, Georg Jungclas als wichtigen führenden Mitgliedern). „Militant“ wurde auf dem 8. Weltkongress (Dezember 1965) der wiedervereinigten Internationale zusammen mit der „International Marxist Group“ (IMG) als britische Sektion der IV. Internationale anerkannt, löste sich jedoch wegen der Konkurrenz zu der IMG von der Internationale und bewahrte zu der vom 9. Weltkongress (April 1969) als alleinige britische Sektion anerkannten IMG sowie der Leitung und den Organisationen der Internationale große Distanz. Eine Übersicht gibt: https://en.wikipedia.org/wiki/Militant_(Trotskyist_group).

Zu Ted Grant, ursprünglich Isaac Blank (1913?2006), gibt es ausführlicher Einträge in der englisch- und in der deutschsprachigen Version von Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Ted_Grant; https://de.wikipedia.org/wiki/Ted_Grant.

Über Peter Taaffe (Jg. 1942), „general secretary“ der Socialist Party, gibt es ebenfalls einen sehr detaillierten Eintrag in der englischsprachigen Version von Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Peter_Taaffe. Sehr viel kürzer ist die deutschsprachige Version: https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Taaffe.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

————————————————————————

Grafikquellen     :

Oben     —       

Titolo
La balance politique.

Questo file è licenziato in base ai termini della licenza Creative Commons Attribuzione 4.0 Internazionale

Quest’opera è nel pubblico dominio anche in tutti i Paesi e nelle aree in cui la durata del copyright è la vita dell’autore più 100 anni o meno.

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Kultur, Opposition | Keine Kommentare »

AKL: Gemeinsame Erklärung

Erstellt von Redaktion am 18. Juli 2019

Zur gemeinsamen Erklärungvon IG Metall und Umweltverbänden

Fairwandel 02.jpg

Quelle      :        AKL

Von Thies Gleiss. Dieser Text ist zuerst auf SoZ-online erschienen.

In den vergangenen Jahren war es leider üblich, dass die IG Metall – und auch die anderen Mitgliedsgewerkschaften des DGB – gemeinsame Erklärungen mit den Arbeitgeberverbänden veröffentlichte, dass der Klima- und Umweltschutz nicht zu radikal und gründlich passieren darf. Profit, Konzernumsätze und Erhalt von Arbeitsplätzen wurden nicht nur als übergeordnet, sondern vor allem auch als angeblich gemeinsames Interesse von „Arbeitgebern“ und „Arbeitnehmern“ dargestellt. Insbesondere vor Koalitionsverhandlungen von Regierungsparteien, bei Einrichtungen wie der Kohle-Kommission oder gar mit Gegendemonstrationen zu den Mobilisierungen der Umweltbewegung meldeten sich die Gewerkschaftsspitzen als den Klimaschutz bremsende Kraft zu Wort – oft trotz erheblichen Protestes aus den Reihen ihrer Mitgliedschaft.

Da ist es ein wirklicher Lichtblick, dass die IG Metall nach ihrer großen Demonstration für einen sozialverträglichen Energie-, Verkehrs- und Industriewandel vom 29. Juni mit 50.000 Teilnehmenden in Berlin eine gemeinsame Erklärung mit den Umweltverbänden NABU und BUND veröffentlich hat, in der ein schneller, unumkehrbarer und sozial verträglicher Klimaschutz gefordert wird, der sich uneingeschränkt hinter die Forderungen des Pariser Klimaschutzabkommens stellt.

Das Tempo in der Energie- und Mobilitätswende muss „deutlich erhöht werden“. Der „notwendige Wandel“ wird „tief in die bisherigen Arbeits-, Freizeit- und Lebensgewohnheiten der Menschen eingreifen“. Dieses „drastische Umsteuern“ muss jetzt angepackt und beschleunigt werden. So lauten die Kernpunkte der Erklärung.

Gefordert werden ein Kurswechsel im Verkehrssektor zugunsten der Elektromobilität, des Fahrrades und kollektiver Verkehrsmittel mit Bahnen und Bussen. Der CO2-Ausstoß soll bepreist und verteuert werden, bei gleichzeitigem sozialem Ausgleich; der Handel mit Emissionszertifikaten soll aber nicht auf Verkehr und Wohnen ausgedehnt werden. Es müssen zeitgleich verlässliche Alternativen im Konsumverhalten der Menschen bei Verkehr, Wohnen und Energieversorgung angeboten werden.

Insgesamt wird „der Staat“ aufgefordert, ein umfangreiches Investitionsprogramm im Ausbau der Schiene, der Elektromobilität, des energiesparenden Wohnens und weiterer Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen für diesen notwendigen Wandel aufzulegen. Dafür muss gegebenenfalls die „Schwarze-Null-Politik“ der Regierungen beendet werden.

Zeit des Aufwachens

Die IG Metall ist keine gesellschaftlich losgelöste Großorganisation – wie es vielleicht reine Lobbyvereine wie der ADAC sind. Die Mitglieder spüren die veränderte gesellschaftliche Situation im Betrieb und im privaten Leben. Die Klimakrise und die Debatten darüber sind Teil des Alltagslebens geworden. Auch die Kinder der IG Metall-Mitglieder – und wir hoffen, die sogar besonders – nehmen an den Aktionen von „Friday-for-Future“ teil.

Aber das ist nicht alles. Man kann fast sagen, dass der IG Metall, Funktionären wie einfachen Mitgliedern, der Arsch auf Grundeis geht. Der sich abzeichnende radikale Umbau in der Industrie und in den industrienahen Dienstleistungen wird die Welt der Gewerkschaft in einer nie dagewesenen Weise umkrempeln. Alle einigermaßen realistischen Studien sagen einen Sturm der Veränderung insbesondere in der Schlüsselindustrie Automobilbau voraus. Die Angst, dass diese strukturellen Großeingriffe unter den bekannten Verhältnissen der Marktwirtschaft nicht geplant und einigermaßen zeitlich gestreckt erfolgen, sondern in Form von Zusammenbrüchen und Notmaßnahmen erfolgen, ist groß. Und sie ist sehr realistisch.

Das Wort „Transformation“ geistert darum wie ein böses Gespenst durch die betrieblichen und gewerkschaftlichen Debatten. Die Anstrengungen der IG Metall darüber aufzuklären, oder auch nur die elementaren Basisinformationen aus den Betrieben zu erhalten, sind deshalb groß, aber wahrscheinlich immer noch zu klein, um eine tatsächliche Gegenwehr zu organisieren.

Zu dieser tiefen Strukturkrise der Industrie kommt speziell in der Automobilindustrie auch eine heftige konjunkturelle Absatzkrise hinzu. Die Märkte sind gesättigt und die Fertigungskapazitäten werden nicht mehr ausgelastet. Alle Konzerne haben drastischen Arbeitsplatzabbau angekündigt oder schon in Angriff genommen. Eine noch verschärfte Entwicklung ist diesbezüglich in der Zulieferindustrie zu erwarten. Der Konkurrenzkampf auf Weltebene hat enorm zugenommen, die Wachstumsraten in den bisherigen asiatischen und amerikanischen Wundermärkten schrumpfen und die Marktmacht der deutschen Autokonzerne wird angegriffen.

Es gibt keine betriebliche Lösung der Probleme

In dieser Situation ist es erfreulich, dass die IG Metall aufwacht und sich die Erkenntnis durchsetzt, dass nur ein breites gesamtgesellschaftliches Bündnis, über einzelne Betriebe oder – besser noch – einzelner Belegschaften hinaus, dafür sorgen kann, dass nicht Kolleginnen und Kollegen im Betrieb und die einzelnen Menschen mit normalen Einkommen in ihren bisherigen Lebensverhältnissen die Zeche für diese doppelte Krise zahlen müssen. Es gibt keine betriebliche Lösung für die heutigen Probleme, sondern vorrangig eine politische.

Fairwandel 11.jpg

Aber der erste Schritt, den die IG Metall mit der gemeinsamen Erklärung mit NABU und BUND jetzt gemacht hat, reicht bei weitem nicht aus. Und mehr noch: Die dort angerissenen Lösungswege werden nicht ans Ziel, zum Teil sogar davon weiter wegführen.

Die gesamte Erfahrung der letzten Jahre und der Fortgang der Umwelt- und Klimakrise zeigen eindeutig auf: Die privaten Produktionsmittelbesitzer, die Industriekonzerne und die Anteilseigner im Hintergrund sind nicht nur Opfer, sondern vor allem Täter der Klimazerstörung. Sie sind mit ihrem Marktstrategien, der Weltmarktzurichtung und auch mit ihren Werbe- und Verkaufslobbys unermüdlich dabei, die Klimakrise zu verschärfen und deren Eindämmung zu blockieren.

Die marktwirtschaftliche Logik schreit nach mehr Autos, mehr Stromverbrauch, nach Verfeuerung auch noch der letzten Tonne Kohle, nach Wachstum in allen Branchen und nach Konsum auch noch der letzten ungesunden und nutzlosen Angebote der privaten Unternehmen. Die menschliche Logik und Vernunft rufen stattdessen nach weniger Autos, Einschränkung des Energieverbrauchs, nach weniger Ressourcenverbrauch. Sie ruft nach schnellstmöglicher Umstellung schädlicher und unsinniger Produktionen, nach Beendigung der fossilen Energieproduktion, nach Wachstum der Lebensqualität und nicht der Profite.

Die Forderung der IG Metall nach Umstellung der privaten Automobilkonzerne auf Elektroautos ist deshalb mehr verzweifelt als politisch sinnvoll oder auch technisch vernünftig. Der Ressourcenverbrauch und die Individualisierung des Verkehrs werden dadurch nicht gemindert. Die Verlängerung der Verkehrswege und die Zersiedelung der Landschaften geht unvermindert weiter. Die Förderung kollektiver Transporte mit Bahnen und Bussen und vor allem die Eindämmung und Verkürzung des Verkehrsaufkommens, die Reduzierung der Transporte, Einschränkungen oder Verbote der sinnlosesten Produkte wie Flugreisen unter 600 km oder Kreuzfahren – all das wird nur klappen, wenn die Macht der privaten Unternehmen, und auch der faktisch privaten Unternehmen im Staatsbesitz, wie die Bahn, bewusst überwunden wird. Und wenn es – wie immer wieder zu sehen ist – zu direkter Gegenwehr der privaten Konzerne kommt, dann müssen sie auch mal zurückgedrängt und ihre Macht gebrochen werden. Die IG Metall-Satzung ruft heute immer noch nach Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien – also mit Mut voran in diese Richtung!

Dieser Bruch der Macht des privaten Kapitals wird durch politische, also heute zunächst staatliche, Investitionskontrollen eingeleitet. Aber auch die Belegschaften in den Betrieben müssen ein ausdrückliches Vetorecht in Sachen umweltschädlicher Produktionen und Produkte erhalten. Die Tarifpolitik der Gewerkschaften könnte viel mehr als bisher „ökologisiert“ werden. Forderungen nach Konversion der Produktion, nach garantierter Einkommenssicherung für alle Beschäftigten im Falle von notwendiger Transformation, nach allgemeiner Arbeitszeitverkürzung, um die Arbeit auf alle zu verteilen und nach besonderer Arbeitsverkürzung für Qualifikationen und Neuausrichtungen der betroffenen Beschäftigten – all das und noch viel mehr können und müssen auch in Tarifkämpfen erstritten werden.

Auch der Eindämmung des Verkehrsaufkommens und der Zersiedelung der Landschaften könnte mindestens mittelfristig nähergekommen werden, wenn die IG Metall die simple Forderung nach Bezahlung der Fahrtzeit als Arbeitszeit aufstellen würde. Dann würden sich die privaten Arbeitskraft-Nehmer*innen, also die Unternehmen, schon sehr schnell überlegen, wie sie Arbeits- und Wohnorte wieder zusammenbringen können.

Stattdessen appelliert die IG Metall gemeinsam mit den Umweltverbänden, dass der Staat die notwendigen Kosten der Transformation für das private Unternehmertum übernehmen sollen. Da sollen also den Haupttätern in der Umwelt- und Klimakrise gemachte Nester für industrielle Investitionen präsentiert werden und sonst soll sich nichts ändern. Das wird nicht gutgehen. Ein „Transformationskurzarbeitergeld“, wie auf der Demonstration in Berlin als fast einzige konkrete Forderung gefordert wurde, mag gelegentlich sinnvoll sein, aber als Geschenk an die Unternehmen ohne Gegenleistung in Form von mehr Kontrolle und Mitbestimmung der Belegschaften, ohne Transparenz in allen unternehmerischen Entscheidungen und ohne politische Rahmensetzung wirkt es nicht oder falsch. Das gilt natürlich auch für sonstige öffentliche Subventionen beim Umbau der Industrie.

Fairwandel 14.jpg

Aber auch für die Umweltverbände gilt: So wie die Gewerkschaften ihre Kämpfe „ökologisieren“ müssten, so sollte sich die Klima- und Umweltbewegung mehr der sozialen Wirklichkeit einer Klassengesellschaft stellen. Es geht nicht nur um Produkt-, Konsum- und Gebrauchswertkritik, sondern die Interessen der Beschäftigten sollten auch die der Klimabewegung sein. Ein Kohleausstieg ist gut, aber keiner der davon betroffenen Beschäftigten soll dafür die Rechnung bezahlen. Umschulung, neue Arbeitsplätze, aber auch notfalls die Fortzahlung der Gehälter in voller Höhe für den Zeitraum des Übergangs sollten in den Forderungskatalog der Klimabewegung aufgenommen werden.

Letztlich sind auch die gemeinsamen Forderungen von Gewerkschaften und Umweltbewegung noch viel umfassender und auch radikaler zu fassen als es in der aktuellen gemeinsamen Erklärung anklingt. Investitionsprogramme, Umstellung kompletter Produktionszweige und -Anlagen, das alles erfordert auch eine Politik der Umverteilung der Vermögen von Oben nach Unten, um eine ausreichende materielle Basis für Umbau, Umschulungen und Umstrukturieren zu finanzieren.

Diese Maßnahmen – wir verraten da jetzt kein Geheimnis – sind eine Abkehr von der Marktwirtschaft in Richtung geplanter Produktion im Interesse der Mehrheit. Das wird nicht anders gehen, und es wäre im Sinne eines breiten, gesamtgesellschaftlichen Aufbruchs in diese Richtung, auch einen politischen und kulturellen Diskurs zu beginnen und auszubauen, der eine solche „neue soziale Idee“ umfassend mit Leben und auch Utopien versorgt. Wir schlagen als Titel für diesen Diskurs „Wege zum Öko-Sozialismus“ vor. Ein weites Feld, ein langer Weg – aber wir sind sicher, es wird sich lohnen.

akl - Antikapitalistische Linke

————————————————————————-

Grafikquellen      :

Oben       —         IG Metall protest „Fairwandel“ at Brandenburg Gate 2019-06-29

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Berlin, Gewerkschaften, Kultur | Keine Kommentare »

Der Kampf geht weiter…

Erstellt von Redaktion am 12. Juli 2019

Pilotabschluss im Einzelhandel NRW

Datei:Obst-supermarkt.jpg

Quelle      :         Scharf  –  Links

Von Herbert Schedlbauer

Der im Einzelhandel seit zwei Monaten geführte Arbeitskampf in Nordrhein-Westfalen ist beendet. Überraschend schnell einigte man sich in der vierten Tarifrunde. Erneut vereinbarte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit dem Handelsverband NRW eine zweijährige Laufzeit. Die Allgemeinverbindlichkeit der Entgelttarifverträge (AVE) wurde von der Kapitalseite vom Tisch gefegt.

Löhne und Gehälter steigen für die Beschäftigten, die bis zur Gehaltsgruppe der Verkäuferin im letzten Berufsjahr (2579,- Euro in Vollzeit) eingruppiert sind, um 3 Prozent. Für alle Beschäftigten in höheren Entgeltgruppen gibt es einen Festbetrag von 77,50 Euro brutto. Ab 1. Mai 2020 kommen weitere 1,8 Prozent dazu. Ausbildungsvergütungen werden zwischen 45 Euro und 60 Euro und in 2020 von 50 Euro und 80 Euro jeweils zu Beginn der Ausbildungsjahre erhöht. Der jetzige Abschluss muss noch von der großen Tarifkommission bestätigt werden. Gefordert hatte ver.di 6,5 Prozent mehr für alle, mindestens 163,- Euro und 100,- Euro mehr für Azubis! Eine Laufzeit von zwölf Monaten.

Im jetzigen Ausstand zeigte sich, wie geschlossen der Handelsverband gegen ver.di und die dort organisierten Belegschaften vorging. Bereits seit dem Jahr 2000 versuchen die Waren- und SB-Häuser sowie alle Discounter sich von Flächentarifen zu verabschieden. Mal ist es Karstadt, mal Real oder Kaufhof, in diesem Jahr war es Rewe und Edeka. Sie alle werden in den nächsten zwei Jahren bei dem Versuch einer Tarifflucht in Haustarifverträge nicht lockerlassen. Befürchtet werden muss auch, dass bei einer zukünftigen AVE neue Tätigkeitsmerkmale für Verkaufs- und Warenauffüllkräfte vereinbart werden.

Die Warenhauskonzerne führen von oben einen unerbittlichen Klassenkampf. Die vor zwanzig Jahren begonnene Tarifflucht ist mit die Ursache für die existierenden Armutslöhne und eine massive Arbeitsplatzvernichtung. Ver.di führt dagegen einen nicht widerspruchsfreien Kampf. Einerseits ist das Ziel, neben mehr Lohn und Gehalt, zum Flächentarifvertrag zurück zu kommen, richtig und notwendig. Denn würde eine Allgemeinverbindlichkeit wieder erreicht, müssten auch Online Versandhändler höhere Löhne zahlen. Amazon entlohnt bis jetzt nach Logistiktarif. Der liegt noch unter dem Flächentarif des Einzel- und Versandhandels. Von einer AVE würden rund drei Millionen Beschäftigten im Einzelhandel bundesweit profitieren.

Anderseits zeigt sich eine zunehmende Kritik in einigen Tarifkommissionen. Dort und in anderen Gremien wird unter ehrenamtlichen Funktionären diskutiert, ob und wie weit überhaupt eine Steigerung der Reallöhne und eine Laufzeit von 12 Monaten, nur mit Warnstreiks, durchsetzbar ist. Auch die fehlende Einsicht der Gewerkschaft, die Tarifkämpfe fachbereichsübergreifend zu organisieren, spielt dabei eine Rolle. Mehrere Anträge werden sich deshalb auf dem ver.di Bundeskongress im Herbst in Leipzig damit beschäftigen. Inhalt ist dabei die gemeinsame Solidarität und Mobilisierung über die Fachbereiche hinaus bei Streiks.

Das wird auch dringend notwendig. Denn mit dem einheitlichen Auftreten der Unternehmer haben diese beim jetzigen Abschluss in NRW durchgesetzt, dass in Sachen Flächentarif für die nächsten 24 Monate Ruhe herrscht. Der ver.di Illusion, die Tarifflucht über die Politik per Gesetz zu verbieten, können die Einzelhändler in Ruhe entgegensehen. Die Lobbyarbeit der Kapitalisten in diesem Staat hat dank Bundesregierung noch immer bestens funktioniert.

Wollen ver.di und die anderen DGB-Gewerkschaften dem etwas entgegensetzen, werden sie sich wieder in Richtung Klassenorganisationen der Arbeiter und Angestellten bewegen müssen. Bleibt es bei der Sozialpartnerschaft, bedeutet dies eine weitere Lähmung im Kampf um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Tarifkämpfe auf gleicher Augenhöhe, wenn es die in der Geschichte der Bundesrepublik jemals gegeben haben sollte, kann es aufgrund der ökonomischen Abhängigkeit der Beschäftigten nicht geben.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

———————————————————————-

Grafikquelle      :         Bilder im Supermarkt

Urheber Ralf Roletschek (User:Marcela)
Genehmigung
(Weiternutzung dieser Datei)
Own work, attribution required (Multi-license with GFDL and Creative Commons CC-BY 2.5)

Abgelegt unter Gewerkschaften, Nordrhein-Westfalen, Positionen, Überregional | Keine Kommentare »

Der Handel USA – China

Erstellt von Redaktion am 30. Juni 2019

Böses Erwachen

File:2016 China Airlines strike.jpg

Von Werner Rügemer

Handel Die USA wollten China endlos als billige Werkbank nutzen. Jetzt hat China die Verhältnisse umgedreht.

Das Bild von US-Präsident Donald Trump als Totengräber der Globalisierung, als geopolitischer Rüpel und Erfinder des „America First“: Es könnte in Bezug auf China schiefer nicht sein, auch im Lichte seines jüngsten Erlasses zur Wahrung der „nationalen Sicherheit“ – den vollständigen Ausschluss chinesischer Technologie aus den USA und möglichst auch aus der EU, gerichter vor allem gegen den Technologiekonzern Huwaei.

Denn dass eine US-Regierung US-Konzernen den Verkauf von Technologie an China verbietet, ist keineswegs neu, es hat vielmehr eine lange Geschichte. Man findet sie gemeinhin unter „I“ wie „Imperialismus“. Schon 1949 verbot das von den USA geführte Coordinating Committee on Multilateral Export Controls (CoCom) mit Sitz in Paris die Lieferung Hunderter technologischer Güter an alle sozialistischen Staaten, auch an China, „um die nationale Sicherheit und die außenpolitischen Ziele der Vereinigten Staaten zu fördern“. Alle NATO-Staaten, Japan und Australien sowie sonstige Mitglieder unter US-Einfluss machten damals mit. Die schwarzen Listen wurden ständig erneuert, Export-Anträge aufwendig geprüft. Das CoCom hatte wie Trumps Anordnungen keinerlei völker- oder handelsrechtlichen Status, sondern war informelle Machtausübung einer selbsterklärten Supermacht. Trotzdem gab etwa die Adenauer-Regierung der CoCom-Liste im Außenhandelsgesetz gesetzliche Weihen.

Außerdem verweigerten die USA der Volksrepublik die diplomatische Anerkennung und verhinderten bis 1971 ihre Aufnahme in die UNO. Stattdessen finanzierten sie den nach Formosa/Taiwan geflüchteten Diktatoren-Clan des Mao-Gegners General Chiang Kai-shek.

Die CoCom-Praktiken funktionierten. Die sozialistischen Staaten wurden nicht nur militärisch bedroht und wirtschaftlich ausgegrenzt, sondern auch technologisch niedergehalten. Nach einigen Lockerungen unter Präsident Ronald Reagan wurde das CoCom in den 1980er Jahren wieder verschärft und erst 1994 beendet. Doch die Praxis wurde unter Barack Obama („Pivot to Asia“) gegen China wiederbelebt, Trump verschärft sie nun.

Jetzt aber stehen die „America First“-Instrumente gegen China unter veränderten Bedingungen. Das hat damit zu tun, dass die chinesische Führung Ende der 1970er erkannte, dass sie mit eigenen Mitteln nicht aus Unterentwicklung und Armut herauskommen würde. Zugleich nahmen die USA einen Strategiewechsel vor: Sie wollten sich die Feindschaft zwischen China und der Sowjetunion zunutze machen. 1979 erkannten die USA unter Jimmy Carter die Volksrepublik diplomatisch an. Hauptziel war die Schwächung des Hauptfeindes UdSSR. Dafür degradierten die USA sogar ihr geliebtes Taiwan zu einem halbstaatlichen Territorium, bis heute.

Standards schön tief, bitte

Die USA förderten die Ansiedlung von US-Konzernen in China. Von 1983 an kamen General Motors, Studebaker, dann auch VW aus Deutschland, es folgten Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley und Tausende andere aus Westeuropa, dem verfeindeten Japan und Taiwan. Sie alle – auch Apple-Gründer Steve Jobs – nutzten die Niedrigstlöhne in China. Viele Millionen Wanderarbeiter aus bäuerlichen, feudal verarmten Gebieten fanden Arbeit und verbesserten ihre finanzielle Lage. Westliche Autos verpesteten die Umwelt, westliche Konzerne hielten in Sonderwirtschaftszonen menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse aufrecht. Der größte Organisator kasernierter Niedriglöhnerei war Foxconn aus Taiwan.

Werner Rügemer 4802.jpg

2006 legte der Nationale Volkskongress den Entwurf eines neuen Arbeitsvertragsgesetzes vor. Er orientierte sich gemäßigt an Normen der International Labour Organization (ILO) der UNO. Dagegen liefen die US-amerikanische und die Europäische Handelskammer Sturm: Der Wettbewerbsvorteil Chinas gehe verloren, die westlichen Unternehmen würden das Land verlassen. Führende Protestierer waren Microsoft, Google, Dell, AT&T, Nike, Ford, General Electric und Intel. Auf europäischer Seite protestierten Siemens, Bayer, VW, BASF, Nokia und Veolia. Gleichzeitig setzten diese neoliberalen Vorkämpfer sich in Deutschland für die Hartz-Gesetze und gegen einen Mindestlohn ein.

Trotz gemäßigtem Gesetz und Streikverbot wurde China zum streikfreudigsten Staat der Welt. Die Arbeitseinkommen stiegen um ein Mehrfaches, die Zahl der Sozialversicherten nimmt zu. Chinesische Mindestlöhne übersteigen inzwischen die Mindestlöhne einiger EU-Staaten. Westliche Konzerne vergeben deshalb immer mehr Aufträge nicht mehr nach China, sondern in westlich orientierte, arme Entwicklungsstaaten wie Vietnam und Indien.

Quelle       :          Der Freitag           >>>>>           weiterlesen

—————————————————————————

Grafikquellen       :

Oben          —     China Airlines strike.

Author ScoutT7      /       Source  :   Own work
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

————————–

Unten        —      Werner Rügemer (* 4. September 1941 in Amberg) ist ein deutscher Publizist, Referent und Sachbuchautor.

  • CC BY-SA 3.0 deDie Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Person(en) beschränken bestimmte Weiterverwendungen des Bildes ohne dessen/deren vorherige Zustimmung.Hinweise zur Weiternutzung
  • File:Werner Rügemer 4802.jpg
  • Erstellt: ‎25‎. ‎Oktober‎ ‎2010

Abgelegt unter Gewerkschaften, International, Mensch, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Knalltüten der WerrteDU

Erstellt von Redaktion am 22. Juni 2019

Who the fuck is Werte-Union

Aber nie um die BürgerInnen

Von Anna Hunger

Atomkraft ja bitte, Migranten raus, solange sie sich nicht so gut benehmen wie die Deutschen im Urlaub, Europa zur Festung und Merkel muss weg: Das ist die Werte-Union. Am vergangenen Samstag traf sie sich zur Vollversammlung in Filderstadt. Viele waren nicht da.

Meine Güte. Da könnte man meinen, man hätte es mit wichtigen Leuten zu tun. „Werte-Union – Mitsch kann sich Maaßen als Innenminister vorstellen“. „Werte-Union fordert Urwahl, Kampfansage an Kramp-Karrenbauer?“, „CDU-Konservative wollen Friedrich Merz als Merkels Nachfolger“, „Die konservative Werte-Union hat CDU und CSU zu einer klaren Abgrenzung nach links und zur Lösung der drängenden Probleme der Bürger aufgefordert.“ Das vermelden diverse Medien in der vergangenen Zeit, zuletzt auch die dpa am vergangenen Wochenende.

Nicht so wichtig

Die Mini-Splittergruppe Werte-Union (WU) ist aber weder wichtig noch einflussreich. Nur ein kleiner Haufen (rund 2000 Mitglieder) innerhalb der Unions-Parteien, der ganz besonders laut schreit. Gegründet hat sich der „freiheitlich-konservative Aufbruch“ 2017 in Schwetzingen bei Heidelberg, als Absage an Angela Merkels Flüchtlingspolitik. „Kontraste“, das kritische Magazin der ARD, bezeichnete die WU kürzlich als Scharnier nach ganz rechts, als einen „rechtskonservativen Verein, der die CDU inhaltlich zur AfD öffnet“, mit dem Ziel, „die CDU wieder wählbarer für Konservative und Patrioten zu machen“.

Innerhalb der Union ist die Gruppe weder anerkannt noch besonders geschätzt, auf Nachfragen mag man sich nicht zu ihr äußern, auch nicht wer mit ihr sympathisiert und schon mal bei einer Veranstaltung war. Einer, der dort schon als Hauptredner auftrat, ist Manuel Hagel, Generalsekretär der CDU Baden-Württemberg. Er ist zu diesem Thema nicht zu sprechen. Sei’s drum.

Am Samstag traf sich die Werte-Union zur Vollversammlung in der Filharmonie in Filderstadt. Der Saal war bestenfalls luftig gefüllt, die Berliner Mitglieder zum Großteil nicht da, weil in der Hauptstadt Flüge ausgefallen waren. Und so sitzen etwa 100 Leute in den Reihen. Zwei Tage zuvor hatte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl seinen Besuch abgesagt (er sei unter Druck gesetzt worden, behauptet WU-Chef Alexander Mitsch, „meine Damen und Herren, das ist doch kein Demokratieverständnis!“). Also sollte Hans-Georg Maaßen einspringen, der ehemalige Chef des Bundesverfassungsschutzes, den die Werte-Union aus der politischen Versenkung zurück auf die Bühne gehievt hat. Maaßen steckt allerdings auch am Berliner Flughafen fest, hat aber ersatzweise eine „Videobotschaft“ angekündigt. Für die Neugierigen: Sie fällt grau aus (grauer Mann sagt graue Dinge vor grauem Hintergrund).

File:Hans-Georg Maaßen 02.jpg

Um kurz nach elf startet die Veranstaltung, zunächst mit – Testimonials: Sylvia Pantel, Sprecherin des „Berliner Kreises“, meinungsstark, was Geflüchtete, Abtreibung und Klimapolitik betrifft, und eine, die bei Facebook auch schon mal mausrutscht, schickt aus Berlin per Hochkant-Handy-Video ganz viele Grüße und so weiter. Alexander Mitsch hat am Tag zuvor noch mit Friedrich Merz telefoniert, der ebenfalls „herzliche Grüße“ ausrichten lasse. Der telegene Jungstar der Union, Philipp Amthor, war zwar eingeladen, lässt sich aber entschuldigen und grüßt ganz klassisch per Mail: Es sei doch gut, dass man miteinander spreche und nicht übereinander und die CDU brauche ein starkes und konservatives Fundament. Jawoll.

WU rettet die Meinungsfreiheit

Quelle        :      KONTEXT-Wochenzeitung           >>>>>          weiterlesen

—————————————————————-

Grafikquellen       :

Oben      —        Congresso della CDU, Düsseldorf 1965

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany license.

Abgelegt unter Baden-Württemberg, Gewerkschaften, P.CDU / CSU, Regierungs - Werte | Keine Kommentare »

Kasse klingelt–Börse leer

Erstellt von Redaktion am 15. Juni 2019

Tarifrunde Einzelhandel: Löhne verursachen Altersarmut

File:Lebensmitteleinzelhandel in den 1950er.jpg

Quelle     :           Scharf  –  Links

Von Herbert Schedlbauer

Der Einzelhandel gehört noch immer mit zum Schlusslicht bei den Löhnen und Gehältern. Der Kampf um mehr Geld ist mittlerweile eine Frage der Existenzsicherung. Wer vierzig Jahre im Einzelhandel gearbeitet hat, erreicht aufgrund der Rentenkürzungen nach der heutigen Berechnung mal gerade 32 Punkte auf seinem Rentenkonto. Das ist eine durchschnittliche Rentenhöhe von knapp 1000 Euro brutto monatlich. Mit den jetzigen Niedriglöhnen und Arbeitsbedingungen rutscht man unaufhaltsam in die Altersarmut.

Doch nicht nur die niedrigen Löhne sind die Ursache. Schuld ist auch die massenhafte Vernichtung von Vollzeitarbeitsplätzen. In dieser Branche geht die Zwangsteilzeit für die Beschäftigten rasant weiter. Die Bosse der Handelskonzerne zwingen ihr Personal in verkürzte Arbeitszeiten. Natürlich mit entsprechendem Lohneinbußen. Oder verlangen gleich eine geringfügige und damit prekäre Beschäftigung, wenn man den Job behalten oder bekommen will. Nur knapp ein Drittel arbeitet noch Vollzeit in den Geschäften und Warenhauspalästen. Dann hat man 2579 Euro brutto Gehalt im letzten Berufsjahr. Der Durchschnittsverdienst für Frauen liegt jedoch bei kargen 1.991 Euro brutto. Immer mehr Beschäftigte im Handel werden laut Hans-Böckler-Stiftung deshalb zu Aufstockern. Dem Steuerzahler kostete die Niedriglohnpolitik satte 1,4 Milliarden Euro im letzten Jahr.

Neben einer kräftigen Lohnerhöhung ist Schwerpunkt im jetzigen Tarifkampf wieder eine flächendeckende Tarifbindung. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di will zurück zu einer „Allgemeinverbindlichkeit“ der Tarifverträge. Diese Forderung war bereits im Jahr 2017 Gegenstand einer bundesweiten Kampagne im Fachbereich. Doch nicht nur die Beschäftigten merken, wohin die Tarifflucht der Handelskonzerne führt. Auch ver.di hat durch die prekären Arbeitsverhältnisse zunehmend Probleme, die Belegschaften von der Notwendigkeit einer gewerkschaftlichen Mitgliedschaft zu überzeugen.

Die Rückkehr zur Tarifverbindlichkeit wird nach Aussage von betrieblichen Interessenvertretern und ehrenamtlichen ver.di Funktionären aber der Fachbereich Handel nicht alleine stemmen können. In den gewerkschaftlichen Gremien und den Tarifkommissionen muss deshalb die Notwendigkeit einer einheitlichen Kampagne mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und den anderen Einzelgewerkschaften gefordert und entwickelt werden. „Ansonsten hören wir noch jahrelang, dies ließe sich durch die Politik ändern. Es grenzt schon an Orientierungslosigkeit, daran zu glauben, mit einer entsprechenden Gesetzgebung die Tarifflucht und Dumpinglöhne im Kapitalismus beseitigen zu können“, berichtet ein Betriebsrat am Rande der Warnstreiks.

Wie wichtig der Kampf gegen die Tarifflucht im Handel ist, zeigt die Situation bei Kaufhof, Karstadt und Real. Dort kämpfen die Belegschaften für Gehälter, Leistungen und Arbeitsbedingungen auf der Grundlage der Tarifverträge im Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen. Gestreikt wurde bisher auch bei mehreren tariflosen Unternehmen wie Douglas, OBI, in den Logistikzentren Porta Möbel und TEDi.

Geht es nach dem Willen der Handelskonzerne sollen Entgelte rückwirkend am 1. Mai um 1,7 Prozent und ab Mai 2020 um 1,2 Prozent erhöht werden. Die dritte Verhandlungsrunde am 6. Juni wurde daraufhin in NRW von der Gewerkschaft abgebrochen. Das „Angebot“ bedeute nichts anderes als eine Reallohnsenkung und provoziere weitere Arbeitskampfmaßnahmen, so die Verhandlungsführerin Silke Zimmer.

Ver.di fordert 6,5 Prozent mindestens 163 Euro mehr Gehalt und Lohn. 100 Euro für Azubis.12 Monate Laufzeit und eine Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge. Die Tarifverhandlungen werden am 1. Juli in Düsseldorf fortgesetzt.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

——————————————————————–

Grafikquellen   :

Oben      —         Klassischer Einzelhändler Ende der 1950er in Bochum-Werne, Boltestr. 19

Author No machine-readable author provided. Jty assumed (based on copyright claims).
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

———————–

Unten   —           scharf – links     :      Bildmontage: KF

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Mensch, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Chicago und der 1. Mai

Erstellt von Redaktion am 2. Juni 2019

Zur Geschichte eines Feiertages

File:Monument to 1886 Events in Haymarket Square - With Plaque from Iraqi Trade Unionists - Chicago - Illinois - USA.jpg

Quelle        :       Untergrund-blättle CH.

Von Wolfgang Haug / Artikel aus: Graswurzelrevolution

Nr. 439, Mai 2019, www.graswurzel.net

Zumeist wissen die heutigen Menschen nicht, dass der Tag der Arbeit wesentlich auf die Kämpfe von Anarchist*innen in Chicago zurückgeht.

Selbst Sozialdemokrat*innen, Sozialist*innen und Gewerkschaftler*innen, die am 1. Mai auf die Strasse gehen, haben wenig Kenntnis von „ihrer“ Vorgeschichte. Die USA verleugnen die Geschichte und feiern nach wie vor einen anderen Tag als „Tag der Arbeit“ und auch die Stadt Chicago tat sich bis vor wenigen Jahren schwer mit ihrer Geschichte. Das abgebildete Denkmal für die Ereignisse entstand erst 2004 und steht nicht am Haymarket.

1837 wurde der kleine Ort Chicago mit damals 4000 Einwohner*innen zur Stadt. Knapp 50 Jahre später führten die Ereignisse in dieser Stadt um die Auseinandersetzungen für den Achtstunden-Tag zum internationalen Arbeitertag am 1. Mai. 19 Jahre nach der Stadtgründung Chicagos war von der Arbeiterbewegung Australiens erstmals der Achtstundentag gefordert worden. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits viele Jahre lang deutsche Arbeiter*innen und Bauern in die USA eingewandert, anfangs waren es vor allem Südwestdeutsche, die sich im „Schwabenverein“ organisierten, viele davon wandten sich nach Chicago.

In den 1850er Jahren kamen die 48er Revolutionäre als politische Flüchtlinge in die USA. Die Northside von Chicago galt als deutsche Gegend mit zahlreichen Handwerksbetrieben, vom Metzger bis zum Tischler, von der Schneiderin bis zum Zimmermann; dort wurde bis ca.1900 deutsch gesprochen und es erschienen zahlreiche deutsche Zeitungen jeder Richtung; in der Altstadt lebten 80% Deutsche, die alljährlich das „Cannstatter Volksfest“ in Chicago feierten.

Besonderes Merkmal der Deutschen in Chicago waren die Turnerbewegung, die auch in der 1848er Revolution eine grosse organisatorische Rolle gespielt hatte, und die Wirtshäuser für die ganze Familie, dort vor allem das Bier. Obwohl es in diesen Wirtshäusern im Gegensatz zu den irischen Whisky-Kneipen recht gesittet zuging, echauffierte sich die christliche Frauenliga: „Derartiges wird vielleicht im atheistischen Deutschland, im Bier liebenden Chicago und Milwaukee, im zügellosen Paris oder im kosmopolitischen New York geduldet, aber im puritanischen Boston können wir dies nicht tolerieren.“ (1)

Die „turner halls“ dienten neben der körperlichen Fitness auch dem „geistigen Turnen“, also für Vorträge, Theaterveranstaltungen, auch für Feste oder für die Organisation von Krankenkassen und Schiessübungen. Viele zogen für die Nordstaaten in den Krieg gegen die Sklaverei. Die „turner rifles“, eine Einheit von Joseph Weydemeyer, wurden nach dem Sieg speziell geehrt. Auch der 48er Revolutionär Friedrich Hecker wurde für seine Beteiligung im Bürgerkrieg in Chicago begeistert gefeiert. Abraham Lincolns Politik, die mehr demokratische Rechte für alle versprach, führte zu den ersten Streiks der Arbeiter*innen und zum Aufgreifen der Forderung nach dem Achtstundentag. 1868 wurde dieser Forderung im US-Kongress durch ein Gesetz entsprochen und einige Bundesstaaten, darunter Illinois, übernahmen das Gesetz. Aber durchsetzen liess es sich nur in staatlichen Verwaltungen, die Firmen und grossen Gesellschaften scherten sich nicht darum.

1877 kam es zu zahlreichen Streiks gegen die vier Eisenbahngesellschaften, die einen Trust gebildet hatten und gemeinsam den Lohn um 10% kürzten. Ein Arbeiter wurde erschossen und die Hetze gegen den „Mob“ fand sich in allen Gazetten. Die Eisenbahn verlangte und erhielt den Einsatz der National Guard gegen die Streikenden. Zahlreiche Tote waren die Folge, aber nicht immer gehorchten die National Guards dem Schiessbefehl, so dass schliesslich sogar reguläre Truppen eingesetzt wurden. Pittsburgh erlebte am 21. Juli 1877 ein Massaker. In Chicago kam es am 26. Juli 1877 zu einer Schlacht als eine Versammlung des sozialistischen deutschen Schreinervereins gewaltsam aufgelöst wurde und tausende irische Schlachter und tschechische Arbeiter sich ein Gefecht mit der Polizei lieferten. Es brauchte 20.000 Soldaten der US-Infanterie und US-Artillerie, um die Streiks zu unterdrücken.

Nach der Niederlage hatte sich die sozialistische Gewerkschaft CLU 1879 gespalten; die Minderheit, der gemässigte englische Flügel, blieb in der CLU; die radikalere Mehrheit hatte eine neue Organisation geschaffen: die „International Working People`s Association“ (IWPA), ihre Plattform auf Deutsch veröffentlicht und sich der Schwarzen Internationale angeschlossen. In den frühen 1880er Jahren kamen aus wirtschaftlichen Gründen Flüchtlinge aus Mecklenburg, Pommern, Westpreussen und Brandenburg; dazu aus ganz Deutschland Sozialist*innen und Anarchist*innen, die Bismarcks Sozialistenverfolgung ausweichen mussten.

1882 kam z.B. der bekannte Anarchist Johann Most, Herausgeber der von 1879 bis 1910 erschienenen Zeitschrift „Freiheit – Internationales Organ der Anarchisten deutscher Sprache“. Dadurch entstand in der Northwestside ein zweites mehrheitlich deutsches Viertel in der Nähe grosser Fabriken, in dem jedoch viele Nationalitäten ihr zu Hause fanden. In der Folge gründeten sich sozialistische Parteien, Gewerkschaften und anarchistische Assoziationen. 1884 wurde die Bewegung für den Achtstundentag neu ausgerufen, neue Demonstrationen begannen.

Die Chicagoer Tribune schrieb 1885: „Im Dunst von Gin und Bier, mit blutroten Fahnen und noch roteren Nasen, mit revolutionären Parolen auf ihren Bannern haben die Anarchisten gestern ihre grosse Parade und ihr Picknick begonnen.“ (2) Revolution sollte Spass machen, deshalb luden die Veranstalter alle in ihre „fröhliche Runde“ ein. Schon im gleichen Jahr mussten jedoch die ersten Todesopfer beklagt werden. Am 4. Mai 1885 erschoss die Polizei zwei streikende Steinbrucharbeiter in Lemont; im Juli wurden bei Streiks gegen die Street Car Company gleich mehrere Fabrikarbeiter gezielt erschossen. Seit ungefähr 1885 schleuste die Polizei Pinkerton Privatdetektive in die Arbeiterbewegung ein, so dass die Namen und Aktivitäten der wichtigsten Akteure der Arbeiterbewegung der Polizei wohlbekannt waren. Am 2. März 1886 erschoss die Polizei vier Arbeiter bei McCormick.

Die Arbeiterbewegung reagierte mit landesweiten Demonstrationen. In Chicago gingen am 1. Mai 1886 rund 80.000 für den Achtstundentag auf die Strasse. Im ganzen Land streikten 340.000 Arbeiter in 12.000 Fabriken. Johann Most propagierte den Einsatz von Dynamit als proletarische Antwort auf die gatling gun, dem frühen Maschinengewehr der Polizei. Die gewerkschaftlich orientierten Anarchisten wie August Spies und Michael Schwab, Redakteure des „Vorboten“, der einflussreichen deutschen Arbeiter Zeitung, lehnten dies ab.

Am 3. Mai erschoss die Polizei erneut zwei Arbeiter vor McCormick, die Streikbrecher aufhalten wollten. Für den nächsten Tag wurden deshalb Protestversammlungen angekündigt, ein Flugblatt mit 20.000er Auflage forderte die Arbeiter dazu auf. Der später mitangeklagte Georg Engel fügte den Satz „Arbeiter, bewaffnet euch“ auf einer Miniauflage von 200 ein. August Spies verhinderte die Verteilung dieser 200 Blätter.

Nachdem Spies, Parsons und Fielden tags darauf ihre Reden gehalten hatten und sich die Versammlung bis auf 200 Anwesende wegen des Regens schon fast aufgelöst hatte, explodierte auf dem Haymarket in Chicago eine Bombe, tötete einen Polizisten und verletzte 70 weitere. Die Polizei erschoss vier Demonstranten. Nach dem Täter wurde nicht wirklich gesucht. Viel wichtiger war dem Staat, die Aktivisten auszuschalten, die jahrelang als Redner, Organisatoren von Veranstaltungen und Redakteure öffentlich aufgetreten waren: Albert Parsons, Michael Schwab, Samuel Fielden, Oskar Neebe, Georg Engel, Adolph Fischer, Louis Lingg und August Spies wurden angeklagt.

Lingg war eine Ausnahme, er war erst 1885 eingewandert, aber die Spitzel wussten wohl, dass sich bei ihm gemäss Mosts Broschüre „Revolutionäre Kriegswissenschaft“ selbstgebastelte Bomben finden liessen. Albert Parsons war der einzige gebürtige US-Amerikaner, aber auch er hatte eine Flüchtlingserfahrung. Er stammte aus dem Süden der USA und hatte seine Heimat verlassen müssen, weil er sich gegen die Sklaverei eingesetzt und eine indianische Frau geheiratet hatte, „gemischtrassige Ehen“ waren in den Südstaaten aber verboten.

Spies, Schwab und Fielden wurden bereits am 5. Mai 1886 verhaftet, danach folgten hunderte von Verhaftungen und Hausdurchsuchungen durch die Polizeiführer Schaack und Bonfield. Jede gefundene Waffe wurde nun zur anarchistischen Umsturzverschwörung hochstilisiert. Am Ende wurden 31 Personen angeklagt. Staatsanwalt Grinnell ging es weniger um die konkrete Tat als um einen Prozess gegen den Anarchismus. Pinkerton Detektive traten als Zeugen der Anklage auf. Da es keine Beweise gab, mussten Falschaussagen von Zeugen die Verschwörung belegen. Während einer der Belastungszeugen für seine angeblich belauschten Attentatspläne aus einem Gespräch zwischen Schwab und Spies zugeben musste, dass er gar kein Deutsch verstand, wurde ein anderer, der besonders viele Geschichten erfand, später zum Lohn in den Polizeidienst aufgenommen.

Im Gegensatz dazu wurden Entlastungszeugen nicht vor Gericht geladen. Trotzdem konnte keinem der Angeklagten der Bombenwurf nachgewiesen werden, die meisten waren nicht einmal am Tatort gewesen. Alle hatten ein Alibi. Letztlich verdächtigte man andere wie den geflüchteten Rudolf Schnaubelt oder auch George Meng, aber Richter und Staatsanwalt hatten sich längst auf die „Verschwörung“ festgelegt, so dass es für sie keine Rolle mehr spielte, wie der eigentliche Tathergang war. Grinnell verstand sich auf Symbolik: „Es gibt nur eine Fahne der Freiheit in diesem Land, und das ist das Sternenbanner. (…) Diese Fahne wollen diese Männer ausreissen und durch die rote und schwarze Fahne ersetzen.“ (3)

Sieben Angeklagte, Spies, Parsons, Schwab, Lingg, Fielden, Fischer und Engels, wurden als Anstifter des Mordes für schuldig erklärt und zum Tod verurteilt. Von den 70 verletzten Polizisten sprach im Prozess niemand mehr, weil sich vermutlich herausgestellt hatte, dass eine Beweisführung schwierig war, weil viele vom eigenen Gewehrfeuer verletzt worden waren. Neebe erhielt 15 Jahre Gefängnis.

Erst nach dem Urteil durften die Verurteilten selbst zu Wort kommen. Parsons sprach acht Stunden, die Rede von Spies machte selbst auf die Chicagoer „Tribune“ Eindruck, die ihm am 8. Oktober 1886 „kluge und scharfsinnige Argumente“ bescheinigte: „Ich wiederhole, die Vertreter der Anklage haben unsere gesetzliche Schuld nicht nachweisen können, trotz der gekauften und meineidigen Zeugen und trotz der sonderbaren Vorkommnisse im Verlauf dieses Gerichtsverfahrens. (…) dann muss ich Ihnen sagen, dass sie, die angeblichen Vertreter und Hohepriester von ‚Gesetz und Ordnung‘, die wirklichen und einzigen Gesetzesbrecher sind, und sind in diesem Falle sogar Mörder.“ (4)

Spies durchschaute auch Grinnells hetzerische Symbolik: „Der Appell an den Patriotismus ist die letzte Zuflucht eines Halunken.“ (5) Und er erkannte den eigentlichen Sinn und Zweck dieses Prozesses: „Grinnell hat uns zu verstehen gegeben, dass hier dem Anarchismus der Prozess gemacht werde. Die Theorie des Anarchismus gehört in den Bereich philosophischer Überlegungen. Auf der Versammlung auf dem Haymarket wurde der Anarchismus mit keiner Silbe erwähnt. Auf dieser Versammlung wurde das sehr beliebte und leicht verständliche Thema der Verkürzung des Arbeitstages diskutiert. Mr. Grinnell schäumt jedoch: ‚Dem Anarchismus wird der Prozess gemacht!‘ Sehr wohl, Euer Ehren, wenn dem so ist, dann dürfen Sie mich verurteilen, denn ich bin Anarchist.“ (6)

60.000 Chicagoer unterzeichneten vor der drohenden Hinrichtung einen Aufruf zur Amnestie. Der Gouverneur traute sich jedoch nicht für alle einem Gnadengesuch stattzugeben. Er begnadigte Schwab und Fielden zu lebenslangem Zuchthaus. Der Mannheimer Louis Lingg brachte sich selbst durch eine kleine Sprengkapsel im Mund um. Spies, Engel, Parsons und Fischer wurden am 11. November 1887 gehenkt. Zur Beerdigung am 13. November bildete sich ein Trauerzug durch Chicago von über 20.000 Menschen; zum Waldheim-Friedhof mussten Züge eingesetzt werden. Eine der Grabreden hielt der Pfarrer Robert Reitzel auf Deutsch, der 1884 seine Pfarrstelle aufgegeben hatte und Herausgeber der anarchistischen Zeitschrift „Der arme Teufel“ geworden war.

Am 26. Juni 1893 hatte der neue Gouverneur John Peter Altgeld das Urteil verworfen und Schwab, Fielden und Neebe aus dem Zuchthaus entlassen. Heute wird er dafür wieder gewürdigt, damals trieb ihn die konservative Presse nach zwei Jahren aus seinen politischen Ämtern, denunziert als „Anarchist“ oder „Kommunist“ starb er verarmt. Obwohl die internationale Arbeiterbewegung den 1. Mai zum Tag der Arbeit erklärte, wurde dieser Tag in den USA um jeden Zusammenhang zu vertuschen auf den ersten Sonntag im September verlegt.

File:Downtown Chicago Illinois Nov05 stb 2461.jpg

Der Achtstundentag wurde in den USA erst 1938 eingeführt. Die Zusammenarbeit von revolutionären und reformistischen Organisationen für die Gefangenen zerbrach schnell und „Anarchist“ wurde in der sozialistischen Arbeiterbewegung zum Schimpfwort und zur Ausgrenzung benutzt.

Der Waldheim Friedhof wurde zum Ort jährlicher Gedenkfeiern und in manchen Jahren so häufig besucht wie das Denkmal von Abraham Lincoln. Am 25. Juni 1893 wurde im Beisein von 8.000 Menschen ein Denkmal auf dem Friedhof errichtet. Auf dem Haymarket war bereits 1889 ein Polizeidenkmal errichtet worden. 1928 liess ein Strassenbahnfahrer bewusst seinen Zug mit voller Geschwindigkeit darauf fahren. Das Denkmal wurde an anderer Stelle neu aufgestellt.

Im Mai 1968 wurde es mit schwarzer Farbe übergossen und im Oktober 1969 in die Luft gesprengt – die Täter wurden nie ermittelt. Ein neues Denkmal erlitt im Oktober 1970 das gleiche Schicksal. Im März 1992 stellte sich die Stadt ihrer Verantwortung und erklärte den Haymarket als wichtige historische Stätte. Das Denkmal „Haymarket Memorial“ wurde 2004 von Mary Brøgger geschaffen und erfährt seither die Ehrung durch Gewerkschaften weltweit. Der zeitliche Abstand zu den gefährlichen Anarchisten erlaubte es auch dem DGB im Jahr 2015 eine Tafel anzubringen.

Wolfgang Haug / Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 439, Mai 2019, www.graswurzel.net

Fussnoten:

1) Wagner, Ralf: Turnerbewegung. Zwischen Tradition und Fortschritt: zur gesellschaftspolitischen und kulturellen Entwicklung der deutsch-amerikanischen Turnerbewegung am Beispiel Milwaukees und Chicagos, 1850-1920, München 1988, S.234

2) Nelson, B.: Beyond Martyrs, New Brunswick, London 1988, S.140

3) Schaack, Michael J.; Anarchy and Anarchists, New York, Neuauflage 1977, S.196

4) Heinrich Nuhn: August Spies. Ein hessischer Sozialrevolutionär in Amerika. Kassel 1995, S.196

5) Ebd., S.199

6) Ebd., S.200

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Creative Commons Lizenz (CC).

——————————————————————————

Grafikquellebn      :

Oben       —          Monument to 1886 Events in Haymarket Square – With Plaque from Iraqi Trade Unionists – Chicago – Illinois – USA

Source Own work
Author Adam Jones, Ph.D.
w:en:Creative Commons
attribution share alike
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

————————–

Unten      —                Downtown Chicago Illinois Nov05 stb 2461

Abgelegt unter Amerika, Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Mensch | Keine Kommentare »

Nichts mit Spaß

Erstellt von Redaktion am 26. Mai 2019

700 Entlassungen bei Media-Markt

File:Media-markt-automat.jpg

Quelle         :      Scharf   –   Links

Von Herbert Schedlbauer

Bei Media Markt, der mit dem Slogan „Hauptsache Ihr habt Spaß“ wirbt, geht die Angst um. Der Elektronikkonzern, der zur Media-Saturn-Holding (MSH) gehört, plant einen radikalen Personalabbau. Große Teile der Verkaufsflächen sollen ausgegliedert werden. Zusätzlich wird die Produktpalette in den Märkten drastisch eingeschränkt. Auf diese Art will der Ceconomy Konzern jährlich 130 Millionen Euro einsparen.

Als besonderer Verfechter des Kahlschlags bei der MSH erweist sich Ferran Reverter, der neue Boss des Elektronikfilialisten. Der Spanier, der gerade acht Monate den Handelsriesen führt, setzt dabei auf weniger Beratung und Personal im Verkauf. Mit dabei seit 1. März 2019, auch Jörn Werner, der ehemalige Chef der Werkstattkette A.T.U. Das Management kennt dabei nur einen Weg um Profite abzusichern. Damit die eigenen Pfründe und die Aktionäre bedient werden, müssen Personal und die „lieben Mitarbeiter“ abgebaut und vor die Tür gesetzt werden. Bereits im ersten Halbjahr sollen in der Verwaltung in Ingolstadt 700 von 3000 Arbeitsplätzen vernichtet werden. Insider berichten, dass es nicht nur die Zentrale an der Donau trifft. Auch die Filialen werden durch die Fremdvermietung der Flächen erneut kräftig „ausgedünnt“.

Als Grund für den Personalabbau sieht die Holding den zunehmenden Onlinehandel. Doch dies ist nur die offizielle Erklärung. Ähnlich, wie die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, nennen Beschäftigte die wirklichen Ursachen. Ein über Jahre bewusst erzeugter Mangel an Personal treibe die Kunden aus den Märkten. Hauptgrund für diesen Zustand ist, dass immer weniger Personal mehr Verkaufsfläche bedienen muss. Beratung kommt dabei seit langem zu kurz. „Wir arbeiten Warteschlangen von Kunden ab. Da dreht sich so manch einer um und haut ab“ so der Verkäufer Edwin Schulte, der seinen richtigen Namen nicht nennen will.

In einer gemeinsamen Erklärung der Gewerkschaftsvertreter von ver.di und IG Metall im Aufsichtsrat der Ceconomy AG wird dies noch einmal bekräftigt. Nach Auffassung beider Gewerkschaften liegt die Ursache beim Missmanagement der vergangenen Jahre. Dieses sei mit Abfindungen in Millionenhöhe (34 Millionen Euro für 16 Manager, d. R.) in die Wüste geschickt worden. Die Interessenvertreter fordern deshalb eine umfängliche Beteiligung der örtlichen Mitbestimmungsgremien unter Wahrung ihrer gesetzlichen Mitbestimmungsrechte. Eine völlige Transparenz gegenüber den Beschäftigten über die Ziele des Konzerns. In Zeiten des Fachkräftemangels seien dezimierte Belegschaften existenzbedrohend für den erfolgreichen Fortbestand von Unternehmen.

Schon vor fünf Jahren rollte eine Entlassungswelle durch die Filialen. Als Gegenpol versuchten damals Beschäftigte Betriebsräte zu wählen. Doch dies erwies sich als besonders schwierig. Wer sich nicht einschüchtern lies, stand unter „Dauerbeobachtung“. Wurde mit Kündigung bedroht oder abgemahnt. Noch immer berichten Belegschaften, dass über die Abteilungs- und Filialleitungen versucht würde, die Gründung von Betriebsräten zu verhindern. Dabei wird neben den genannten Drohungen auch versucht das Personal zu spalten. Durch die Wahl von Betriebsräten würde das Weihnachtsgeld gefährdet. Schließlich koste dies Geld, was dann anderweitig eingespart werden müsste. „Praktisch von dem Tag an, wo bekannt würde, dass ein Betriebsrat gewählt werden soll, wird dies von oben nach unten in die Belegschaften gestreut“ berichtet Schulte weiter.

Datei:Jakarta slumlife41.JPG

In Deutschland beschäftigt der größte Elektrofilialist Europas Media Markt und Saturn noch 28.000 Mitarbeiter. Der neue Stellenabbau wird Beschäftigte und ver.di herausfordern, neue Strategien des Widerstands zu entwickeln. Dazu gehört auch, gemeinsam zu überlegen, wie dies Branchenübergreifend möglich ist. „Man stelle sich vor, der Laden würde bestreikt und vor der Tür stehen mit uns gemeinsam Streikposten von anderen Einzelgewerkschaften oder die Senioren von ver.di“ so Schulte mit einem strahlenden Gesicht.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

————————————————————————–

Grafikquellen       :

Unten        —      Ein Verkaufsautomat von Media Markt am Hamburger Flughafen. Angeboten werden Kameras, Wecker, Spielkonsolen und Internet-Sticks und andere Produkte.

Source Own work
Author Elbwestfale
This file is licensed under the Creative Commons Attribution 3.0 Unported license.

————————-

Unten      —        Slum life, Jakarta Indonesia.

Quelle Eigenes Werk
Urheber Jonathan McIntosh
w:de:Creative Commons
Namensnennung
Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 2.0 generisch“ (US-amerikanisch) lizenziert.

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, P.CDU / CSU, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Streit um Enteignungen

Erstellt von Redaktion am 10. April 2019

Venceremos, Markus!

7859ri-Markus Soeder.jpg

Von Ulrich Schulte

Markus Söder wettert gegen „sozialistische Ideen“ in der Wohnungspolitik. Braucht es mehr Gründe, um endlich über Enteignungen nachzudenken?

Glaubt man liberalkonservativen Vordenkern, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis ein neuer, vorzugsweiser grüner Erich Honecker die Macht übernimmt. „Enteignungen sind sozialistische Ideen“, echauffiert sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder über Einlassungen von Grünen-Chef Robert Habeck, der sich „notfalls“ Enteignungen großer Wohnungskonzerne vorstellen kann. Wer das Eigentum nicht mehr respektiere, so Söder, „ändert unsere Gesellschaft von Grund auf“. Bei der CSU wähnt man sich in der DDR.

Söder stellt sich dümmer, als er ist. Selbstverständlich kennt er die bayerische Verfassung, welche die von ihm verteufelten Enteignungen ausdrücklich erlaubt. Eigentum verpflichte gegenüber der Gesamtheit, heißt es darin. Und: Offenbarer Missbrauch des Eigentumsrechts genieße keinen Rechtsschutz. Nähme sich Söder selbst beim Wort, müsste er zurücktreten, weil er qua Amt eine Idee vertreten muss, die er mit einer Diktatur verbindet.

Enteignungen, die mit angemessenen Entschädigungen einhergehen, sind in der Bundesrepublik seit Langem gelebte Praxis. Wenn es um Dörfer geht, die für die Braunkohle abgebaggert werden, haben liberalkonservative Spitzenleute damit kein Problem. Nur jetzt, da Instrumente gesucht werden, die den Mietenirrsinn in den Städten stoppen könnten, wird plötzlich gegen „eine Debatte aus der sozialistischen Mottenkiste“ (Christian Lindner) mobilisiert. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak raunt bedeutungsschwanger, er sei „fassungslos darüber“, dass bei den Grünen „jetzt die Maske gefallen ist“.

File:Garzweiler Tagebau-1213.jpg

Das Motiv ist durchschaubar: Söder, Lindner und Ziemiak nutzen die Gelegenheit, die bürgerlichen Grünen zu diffamieren, die zusehends in konservative Wählermilieus einbrechen. Doch das „Hilfe, die DDR kommt zurück“-Narrativ taugt heute nicht mehr zur Mobilisierung von Mehrheiten – und ist kein ernsthaftes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Das Gezeter verhilft den erfolgreichen Grünen nur zu noch mehr Aufmerksamkeit.

Ahistorische Bullshit-Vergleiche

Eine große Mehrheit der Deutschen hält Enteignungen im Immobiliensektor für legitim, zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov. Was Söder und Co diffamieren, ist also die Position des Mainstreams. Rote-Socken-Kampagnen mögen in den 1990er-Jahren einmal funktioniert haben, heute führen sie ins Abseits. Ebenso wie in der Klimaschutz- und Umweltpolitik begeben sich die nörgelnden Liberalkonservativen freiwillig in die Nische. Warum nur?

Quelle       :     TAZ          >>>>>       weiterlesen

————————————————————-

Grafikquellen      :

Oben     —      Markus Söder (CSU)

Abgelegt unter Gewerkschaften, P.CDU / CSU, P.Die Grünen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Deutsche Wirtschaft

Erstellt von Redaktion am 9. April 2019

Menschenrechte jetzt noch billiger!

Eine Kolumne von

Konsumenten wollen sparen und trotzdem das gute Gefühl haben, dass bei der Produktion ihrer Schnäppchen alles mit rechten Dingen zugeht. Geht nicht? Geht doch. Denn es muss ja nur so aussehen.

Ja, was soll er denn machen? Da kann er doch nichts dafür, der Ingo Kramer, wenn da irgendwo hinter sieben Bergen die Arbeitnehmer nicht gut behandelt werden. Das ist nun mal so und weit weg. Er würde ja gewiss gerne helfen! Wenn es seine eigene Fabrik wäre, sagte der Arbeitgeberpräsident der „Rheinischen Post“, dann wäre es etwas anderes, dann würde er dort „nach unseren sozialen und ökologischen Standards arbeiten“ lassen. „Aber doch nicht dort, wo ich das gar nicht beeinflussen kann oder als Mittelständler noch nicht einmal überblicken kann.“

Erstaunlich für einen FDP-Mann: Seit Jahren hören wir ständig und gerade von seinen Partei- und Unternehmerfreunden, dass wir in einer globalen Welt leben. Wegen der Globalisierung der Finanzwirtschaft dürfen wir auf keinen Fall zu hohe Steuern einführen, die Investoren investieren sonst ganz schnell anderswo auf dem Globus.

Wegen der Globalisierung der Warenflüsse dürfen wir bloß keine zu hohen Löhne verlangen, weil wir sonst mit unseren Produkten global nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Sobald es aber um die Einhaltung und Kontrolle von sozialen Standards geht, denkt der Arbeitgeberpräsident plötzlich ganz lokal. Deutsche Unternehmen sollen mitverantwortlich dafür sein, was bei ihren Zulieferern geschieht? „Absurd“ findet das der Arbeitgeberpräsident.

Ein Zustand permanenter Verdrängung

Gar nicht so einfach, nicht zum Schwein zu werden. Auch für uns Kunden. Wissen Sie zum Beispiel genau, woher das T-Shirt kommt, das sie gerade tragen? Steht Ihnen gut, war dabei recht günstig, da ist es nicht ausgeschlossen, dass es weit weg in einem Entwicklungsland zusammengenäht worden ist. Und wissen Sie, wieviel Menschenschinderei in dem Smartphone steckt, auf dem Sie gerade diesen Text lesen? Im Akku wird das seltene Element Kobalt verbaut. Können Sie dem Hersteller glauben, wenn er versichert, das sei nicht von Kindern in einer Mine im Kongo geschürft worden?

Der deutsche Konsument mag es billig, aber er will sich auch als guter Mensch fühlen. Damit beides gleichzeitig möglich ist, lebt unsere Gesellschaft in einem Zustand permanenter Verdrängung. Und die Bundesregierung trägt ihren Teil dazu bei, diesen Zustand aufrecht zu erhalten.

Official medallion of the British Anti-Slavery Society (1795).jpg

Solange wir die PolitikerInnen an den übervollen Trögen der Völker noch Grunzen hören, wird es so weitergehen wie in den tausenden Jahren zuvor.

Im Dezember 2016 hat die Regierung einen „Nationalen Aktionsplan“ beschlossen, der die Unternehmen auf die Einhaltung der Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verpflichten soll. Es klingt wie eine Selbstverständlichkeit, aber tatsächlich sollen die Firmen demzufolge zunächst einmal grundsätzlich erklären, dass sie die Menschenrechte achten. Hätte es diese Regel schon 1976 gegeben, wären vielleicht 15 Gewerkschafter noch am Leben, die für ihren Einsatz für Arbeitnehmerrechte bei Mercedes in Argentinien mit dem Leben bezahlten.

Quelle     :          Spiegel-online          >>>>>          weiterlesen

————————————————————-

Grafikquellen        :

Oben     —           Sommerschlussverkauf eines Textilgeschäfts in Bonn (1991)

Abgelegt unter Gewerkschaften, International, Kultur, P.FDP | Keine Kommentare »

Frauenstreik in Griechenland

Erstellt von Redaktion am 4. April 2019

Notwendiger denn je!

File:8M Paraná 2019 18.jpg

Quelle      :         untergrund-blättle. CH.

Von Eleni Triantafyllopoulou  revoltmag.org

Die Frauen*bewegung in Griechenland wird jedes Jahr radikaler. Eleni Triantafyllopoulou darüber, weshalb es dringend notwendig ist, die politischen Streiks der Arbeiterinnen* am 8. März als antikapitalistische Kämpfe zu begreifen.

Zum dritten Mal in Folge wurde der Internationale Frauenstreik in diesem Jahr am 8. März in verschiedenen Ländern der Welt organisiert. Trotz der unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten in den einzelnen Ländern und der offensichtlich vielfältigen Forderungen haben Frauen auf der ganzen Welt erkannt, dass dieser Tag nicht nur ein „Jubiläum“ ist. Die Frauenbewegung in Griechenland überwand in diesem Jahr zum ersten Mal ihre sonstigen Schwierigkeiten und schaffte es, den „Frauentag“ in einen „Frauen*Streiktag“ mit Klassenbezug zu verwandeln.

In mehreren zentralen Gewerkschaften wurde im Vorfeld heftig diskutiert, bis der Beschluss gefällt wurde, am 8. März zu streiken. Unter dem Druck der antikapitalistischen linken Kräfte entschied sich die – hauptsächlich unter ihrem Akronym ADEDY bekannte – Beamtenvereinigung für eine Arbeitsunterbrechung von 13.00 Uhr bis zum Ende der Arbeitszeit. Der Versuch, am selben Tag einen Streik im Privatsektor zu organisieren, stiess allerdings auf grosse Schwierigkeiten.

Er wurde letztlich von Gewerkschaftsbürokratien blockiert. Daher beschlossen verschiedene feministische Initiativen wie die „Bewegung für einen streikenden 8. März“ und die „Initiative zur kollektiven Organisation von Mobilisierungen am 8. März“, sowohl gemeinsam mit den Hauptgewerkschaften am Mittag zu streiken, aber zusätzlich noch eine weitere Nachmittagsdemonstration zu organisieren. Ähnliche Entscheidungen wurden auch von anderen feministischen Organisationen und Initiativen wie „No Tolerance“ und „Sabbat“ getroffen.

Die Krise ist schuld!

Trotz der (und gegen die) Versuche des bürgerlichen Staates und des Kapitals, diesen Tag mit Konsum und einer gefälschten Aufmerksamkeit für das „schöne (und aus ihrer Perspektive schwache) Geschlecht“ zu verknüpfen, nimmt der 8. März in Griechenland immer radikalere Züge an. Grund dafür ist die andauernde Krise. Für die Frauen* ist dieser Tag erneut zu einem Symbol des Kampfes für feministische Emanzipation und für die soziale Befreiung geworden.

Beide Demonstrationen waren beeindruckend: Tausende Frauen* hatten im Vorfeld dazu mobilisiert und noch mehr nahmen an den verschiedenen Aktionen teil. Neben den grossen Bündnissen wurden die Demonstrationen auch von Verbänden und Initiativen gegen Sexismus und Patriarchat sowie von feministischen Organisationen der radikalen Linken und Selbstorganisierungen unterstützt. Darüber hinaus gab es eine grosse Beteiligung von Studierendengruppen und von Refugees, oftmals mit ihren Kindern. Sie berichteten von ihren Erfahrungen und vielfachen Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht, Ethnizität und Klasse.

Diese massive Reaktion ist von zentraler Bedeutung: In den letzten zehn Jahren der Krise stieg die Rate sexistischer Angriffe, sexualisierter Gewalt und Feminizide in Griechenland explosionsartig an, in allen Bereichen des Lebens ist eine Verschärfung der geschlechtsspezifischen Diskriminierung zu beobachten. Die Allgegenwärtigkeit von Praktiken der geschlechtsspezifischen Unterdrückung und Gewalt, und damit verbunden patriarchaler Beziehungsmuster, führt dazu, dass das weibliche Geschlecht in der Gesellschaft als inferior wahrgenommen wird und auch die Frauen* sich selbst als weniger wert fühlen.

Der Anstieg von Femiziden ist nur die Spitze des Eisbergs

Das vergangene Jahr war vor allem auch ein Jahr grosser Verluste. Ein Jahr, in dem der Hass auf sexuelle Vielfalt und ein unmissverständliches Dominanzdenken zur Ermordung der LGBTIQ-Aktivist*in und Drag Queen Zack Kostopoulos (Zackie Oh) führte. Zack wurde im September in der Nähe des Omonoia-Platzes von zwei Macho-Männern zu Tode geprügelt. Ihnen halfen Polizisten, die Zack in Handschellen legten und schlugen, während Zack bereits bewusstlos war.

Ein Jahr, in dem die 21-jährige Studentin Eleni Topaloudis auch durch Rape-Culture (Kultur der Toleranz gegenüber Vergewaltigungen beziehungsweise sexualisierte Übergriffe, Anm. Red.) ermordet wurde. Ein Jahr, indem die patriarchale und rassistische Ideologie zur Ermordung der 29-jährigen Angelina Petrou am Silvesterabend durch ihren Vater führte, weil dieser die Beziehung seiner Tochter zu einem afghanischen Refugee nicht billigte. Dies ist nur die Spitze des Eisbergs von vielen schrecklichen Morden und Übergriffen auf weibliche* oder feminine* Opfer der letzten Jahre.

Und auch die geschlechtsspezifische Diskriminierung am Arbeitsplatz tritt in der Krise offensichtlicher als je zuvor zutage. Das zeigt, dass es zentral um Klassenpolitiken geht: Lohnunterschiede, Verletzung gesetzlicher Rechte wie Mutterschaftszulage, keine Lohnerhöhungen oder andere Jobangebote. Die Regierungen des Memorandums, einschliesslich der Regierung SYRIZA, haben eine Reihe von Massnahmen ergriffen, die sich insbesondere auch gegen Frauen* richten und diese in einen Dschungel aus Arbeitsplatzunsicherheit, illegalisierter und prekärer Arbeit und Arbeitslosigkeit führen.

Gleichzeitig nehmen die sexistischen Einstellungen am Arbeitsplatz zu: Mutterschaftsurlaub wird bei der Mehrheit der Arbeitgeber nicht mehr anerkannt, und die Fälle, in denen Frauen aufgrund einer Schwangerschaft entlassen werden, nehmen ständig zu. Solche Entlassungen werden mit Zustimmung der Justiz, des Staates, der Regierungen, der EU und anderer Institutionen vorgenommen. So traf der Gerichtshof der Europäischen Union im Februar 2018 eine beispiellose Entscheidung, die den Weg für die Entlassung schwangerer Arbeitnehmerinnen im Rahmen von allgemeinen Kürzungen und Massenentlassungen bereitet.

In Griechenland sieht man nun die Früchte dieser Politik. Mit der diskriminierenden Behauptung, dass schwangere Frauen nicht produktiv genug sein können, werden sie vom Arbeitgeber entlassen. Ihnen wird damit sowohl das Recht auf Arbeit als auch auf eine gesicherte Mutterschaft praktisch verwehrt. Diese Liste kann auch mit den viele stillen Fällen erweitert werden, bei denen junge Frauen* aufgrund ihres Geschlechts gar nicht erst eingestellt wurden, da es für die Arbeitgeber „selbstverständlich“ ist, dass sie bald ein Kind haben möchten.

Darüber hinaus entscheiden sich viele Frauen aus Angst vor Entlassung dafür, früher zur Arbeit zurückzukehren. Infolge des Ausbaus flexibler Arbeitszeiten auch im öffentlichen Sektor gilt dies auch für Ersatzlehrkräfte, die ihre Neugeborenen verlassen und in die Schule zurückkehren müssen, ohne Gedanken an die Auswirkungen auf die (psychische) Gesundheit von Müttern und Säuglingen.

Der stetige Kampf gegen Ungleichheiten und Diskriminierung in Lohnarbeit und Bildung, gegen Geschlechterstereotypen und Unterdrückung (auch in Bezug auf sexuelle Orientierung, Ethnizität oder Hautfarbe) und das Ringen um grundlegende Rechte wie Mutterschutz und Erziehungsurlaub müssen hierbei zusammen gedacht werden. Die Schauplätze sind allesamt zentral: Schliesslich sind die Kämpfe, die versuchen, die Stimmen der Frauen*, der LGBTIQ-Personen und aller Unterdrückten und Proletarisierten als Ganzes zu stärken, ein wesentlicher Bestandteil des Gesamtvorhabens, den Kapitalismus zu stürzen und mit ihm jede Form von Ausbeutung und sozialem Kannibalismus.

Der Kampf geht weiter!

Der nächste Punkt, an dem sich dieser Kampf zuspitzen wird, ist der Versuch der Regierung, das Strafgesetzbuch zu überarbeiten. Zu den unterschiedlichen Änderungen zählt auch die Änderung des Artikels 336 über Vergewaltigung. Der bestehende Artikel der gesetzlichen Definition von Vergewaltigung wurde in der Vergangenheit von der feministischen Bewegung als unzureichend und schwach kritisiert. Er trägt in vielen Fällen dazu bei, die Taten zu rechtfertigen und Vergewaltiger straflos davonkommen zu lassen, da er sich einzig auf Akte von Gewalt konzentriert und „fehlender Zustimmung zu sexuellen Handlungen“ keine Bedeutung zugesteht.

Anstatt diesen Artikel also zu verbessern, gehen die anstehenden Änderungen einen Schritt weiter, um die Rechte von Frauen* und Betroffenen von Übergriffen einzuschränken: Einbezogen werden sollen nicht mehr Fälle der „Bedrohung durch ein unmittelbares Risiko“, sondern nur noch diejenigen, die eine „Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit“ darstellen. Das Konzept der „Bedrohung“ wird dadurch weiter eingegrenzt, indem andere Formen von Gewalt wie psychologische oder arbeitsrechtliche Einschüchterungen und vieles weitere ausgeschlossen werden. Unser Umgang damit wird entscheidend für die Fortsetzung des gesamten weiteren Kampfes sein. Notwendiger denn je!

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.

————————————————————–

Grafikqullen          :

Oben        —       International Women’s Strike – 8M – Paraná – Entre Ríos – Argentina – March, 2019

 Internationaler Frauenstreiktag 2019 in Panama. / Paula Kindsvater (CC BY-SA 4.0

————————————-

Unten      —        Frauenstreik in Montevideo (Uruguay), am 8. März 2018.

Abgelegt unter Gewerkschaften, International, Medien, Positionen | 1 Kommentar »

Ein Deutscher Lügenleser

Erstellt von Redaktion am 2. April 2019

Wo Pünktlichkeit mehr zählt als Solidarität

Von Juri Sternburg

Am Montag streiken die Berliner Verkehrsbetriebe. Doch Verständnis für die Arbeitsniederlegung haben in diesem Land offenbar nicht viele.

Der Mann ist wütend. Er rüttelt an der Tür der Bahnhofs. „Da fährt nüscht heute!“, klärt ihn eine vorbeilaufende Frau auf. Ich warte einfach nur auf eine Freundin und schaue mir das größtmögliche Alman-Desaster an. Die Berliner Verkehrsbetriebe streiken. Damit sie endlich einen angemessenen und fairen Lohn bekommen. Warum man eben so streikt.

Verständnis für die Arbeitsniederlegung haben offenbar nicht viele. Im Gegenteil. Deutschland ist wahrscheinlich das einzige Land der Welt, in dem man sich darüber beschwert, dass man es nicht pünktlich zur Lohnarbeit schafft, wenn die Bahn mal nicht fährt. Man erinnere sich nur an die Medien-Kampagne gegen Eisenbahner und Gewerkschaftsfunktionär Claus Weselsky, als der tatsächlich mal die Machtfrage stellte. Der Focus bezeichnete ihn damals als den „meistgehassten Deutschen“. Ich mein, gut, Hitler war Österreicher und Björn Höcke gab es damals in der Form noch nicht, aber da wird sich ja bestimmt noch jemand anderes finden als ein störrischer Gewerkschafter.

Auch wenn irgendwelche Linksradikalen es mal wieder für eine gute Idee halten, Gleisanlagen zu zerstören, ist die Aufregung groß. Pünktlichkeit ist ein heiliges Gut in Deutschland. Wer sich ihr in die Quere stellt, ist ein Volksfeind.

Brennende Barrikaden aus Solidarität

In Frankreich, wo die andere Hälfte meiner Familie lebt, ist das irgendwie anders. Wenn Milchbauern streiken, zünden Taxifahrer aus Solidarität Barrikaden an und Fischer kippen Abfälle vor das Parlament. Wenn die Franzosen streiken, dann kracht es ein paar Wochen und der Notstand wird aufgerufen. Zumindest gefühlt verhält es sich dort so. Streiken Deutsche, dann sieht man meist irgendwelche Menschen mit orangefarbenen Westen morgens um 5 Uhr mit Trillerpfeifen im Mund Kaffee ausschenken. Und das auch nicht live auf einer blockierten Hauptstraße, sondern im „Morgenmagazin“.

Quelle       :      TAZ        >>>>>        weiterlesen

—————————————————————–

Grafikquellen      :

Oben       —         Streikauswirkungen bei der S-Bahn Hamburg (November 2014)

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Gewerkschaften, Kultur, Sozialpolitik | Keine Kommentare »