Brüsseler Stadtgespräch
Erstellt von Redaktion am Freitag 10. April 2020
Griechisches Flüchtlingscamp Moria
Das Problem heißt Lager
Von Christian Jakob
Die Zivilgesellschaft macht sich für Menschen in Moria stark. Gut so. Doch die Evakuierung dieses Lagers ist nicht die alleinige Lösung.
Lesbos war vielen Menschen lange höchstens als Ferienziel bekannt. Seit einiger Zeit ist das anders. Die griechische Insel ist heute vor allem ein Synonym für das auf ihr von der EU betriebene Lager. Es ist ein großer Erfolg der Zivilgesellschaft, dass sie Moria als Symbol für die Entrechtung von Flüchtlingen ins öffentliche Bewusstsein gerückt hat. Hunderttausende haben sich in den letzten Wochen der damit verbundenen Forderung angeschlossen, das Lager oder wenigstens die Kinder dort zu evakuieren – mit Transparenten von ihren Balkonen, im Netz, mit Demonstrationen, in Interviews. Und es ist zu hoffen, dass diese Appelle schnell Gehör finden.
In der Diskussion ist aber der Charakter von Moria als Symbol für ein ganzes System von Lagern verloren gegangen. Sie wird in den letzten Tagen teils geführt, als sei Moria der alleinige Schlüssel zur Rettung von Europas Seele – wird es evakuiert, ist alles wieder gut. Moria ist aber nur ein Lager unter vielen. Es ist nicht einzigartig im Ausmaß der Entrechtung der Insassen.
Wenn es um den Grad an Gewalt geht, müssten wohl die Lager in Libyen als Erstes evakuiert werden, denn hier gibt es Folter, Erschießung, Versklavung, systematische Vergewaltigung.
Wenn es um die Vermeidung einer massenhaften Verbreitung des Coronavirus geht, müssten wohl italienische und deutsche Lager ebenso dringend evakuiert werden. Denn in diesen ist die Wahrscheinlichkeit für einen Ausbruch womöglich höher, teils ist dort die Erkrankung auch schon aufgetreten, wie etwa in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Halberstadt.
Wenn es um Grundversorgung geht – Essen, Trinken, Ärzte –, wären sicherlich Lager in Nordsyrien oder Afrika genauso nötig zu evakuieren.
Moria als Schaufenster
Man muss das Elend in Moria nicht selbst gesehen haben, um eine solche Priorisierung des Leids nach quasitechnischen Gesichtspunkten für unvertretbar zu halten. Daraus aber folgt: Das Problem heißt nicht Moria. Das Problem heißt Lager.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Outskirts of Moria camp on january 15th 2017.
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Unten —
Physician and Wikimedian Sam Zidovetzki visits Moria in Greece to offer healthcare and health information with meta:Internet in a Box devices containing meta:Kiwix – Wikipedia Offline. meta:Grants:Project/Rapid/offline Wikipedia in Moria