Brüderles böse Einblicke
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 12. Februar 2020
Verschleierung, Upskirting und Downblousing
„Die Titte ertasten“ (Original: Die Mitte entlasten)
Eine Kolumne von Thomas Fischer
Darf man als Niqab-Trägerin den Hauptschulabschluss erwerben? Und darf man Dirndl von oben fotografieren? Und was sagt es uns, dass wir das fragen?
Mit dem Text dieser Woche treten zwei Änderungen ein: Zum ersten erscheint die Kolumne künftig wöchentlich; zum zweiten wird sie kürzer. Ersteres wird Leser enttäuschen, die schon in der Vergangenheit beklagten, die Kolumne lesen zu müssen. Letzteres diejenigen erfreuen, die dem Kolumnisten gern empfehlen, das Schreiben in kurzen deutschen Hauptsätzen zu erlernen.
Und so bewegt sich auch die dieswöchige Kolumne zuverlässig im Übergangsbereich zwischen Enthüllung und Verhüllung, Komplizierung und Vereinfachung. Das ist heute deshalb leicht, weil uns kürzlich zwei Meldungen erreichten, die in ihrer verwirrenden Komplexität eine Herausforderung darstellen: „Verbot der Vollverschleierung an Schulen gefordert“, meldete die „FAZ“ am 5. Februar auf Seite 1, und der gänzlich unverschleierte Ministerpräsident von Baden-Württemberg erklärte im Untertitel: „In einer offenen Gesellschaft muss man sein Gesicht zeigen“, was zwar wirklich eine starke These ist, aber sicher gut gemeint. Denn man könnte ja unter Umständen auch sagen, dass man umso weniger zeigen müssen muss, je offener eine Gesellschaft ist. Damit sind wir aber in einem Bereich der Dialektik angelangt, welchem sich der Ministerpräsident von Baden-Württemberg fundamental entfremdet hat, seit er nicht mehr beim Kommunistischen Bund Westdeutschland ist.
Die zweite, ergänzende Meldung erreichte uns aus dem Bundesrat. Dort haben die Ausschüsse für Recht und Verbraucherschutz (R) sowie für Frauen und Jugend (FJ) zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit des Upskirtings Stellung genommen, über das an dieser Stelle kürzlich schon einmal berichtet wurde. Unter den kundigen Händen der Rechtspolitiker ist der Entwurf inzwischen vom Upskirting auf das Downblousing ausgedehnt worden, denn völlig zu Recht wurde erkannt, dass es grob ungerecht wäre, das Fotografieren männlicher oder diverser Gesäße in verhüllungsbestimmter Wäsche zu bestrafen, weibliche Brüste aber schutzlos zu lassen. Und da die weibliche Brust aus anatomischen Gründen mittels Upskirting meist schwer zugänglich ist, nimmt der Gesetzgeber in der Bundesrats-Drucksache 8/1/20 auch das Downblousing aufs Korn: Strafbar ist danach, „wer von der weiblichen Brust oder der diese bedeckenden Unterbekleidung einer anderen Person unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt, soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind“ (§ 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB-Entwurf). Wow! Endlich ist das Wording amerikanischer Colleges in der Welt von Walter und Eskia, Annegret und Markus angekommen.
Die Ausschussmitglieder haben sich tief ins skirtende und blousende Geschehen eingefühlt
Wir sind sicher, dass sämtliche Mitglieder der genannten Ausschüsse sich seinerzeit in hinreichender Weise von Rainer Brüderle distanziert haben, einem berühmten Blouse-Imaginateur, der zu seiner weitergehenden Entfaltung allerdings eine zu traumatisierende Dirndl-Blouserin aus dem Hause „Stern“ benötigt hätte, wohingegen die etwa 17 Jahre zurückliegende Demütigung der upgeskirteten Petentin und Gesetzes-Initiatorin sich, wenn ich es recht verstanden habe, eher unbemerkt vollzog und (daher) etwas verzögert unter dem Beistand der zum Glück journalistisch erfahrenen Mitpetentin die politische Form einer Massenbewegung auslöste. Überhaupt soll ja, wie uns sachkundige Kriminologinnen berichten, das Verbrechen des Upskirtings sich „meist unbemerkt“ vollziehen, weshalb die Einführung des geplanten neuen Tatbestands als Antragsdelikt einen etwas speziellen legislatorischen Reiz hat.
Jedenfalls haben die Ausschussmitglieder sich inzwischen tief eingefühlt ins skirtende und blousende Geschehen. Vor ihrem geistigen Auge tauchten Bilder auf, die in einer offenen Gesellschaft, mehr aber noch in einer geschlossenen, schockieren müssen:
„…alltägliche Fotografien, wie beispielsweise Aufnahmen von Personen, die leicht bekleidet auf einer Treppe sitzen… die Unterhose einer mit kurzem Rock bekleideten Frau… Fotos, die von einem erhöhten Standpunkt nach unten in Richtung der dort anwesenden Menschen gemacht werden und bei denen sich Einblicke in weit ausgeschnittene Blusen ermöglichen… ferner Fälle, in denen leicht bekleidete Prominente ungeschickt aus einem Auto aussteigen…“
All dies und mehr wird, so merken die Ausschüsse zutreffend an, zukünftig strafbar. Daher sollen Bundestag und Bundesrat ein „Absichts“-Erfordernis ins Gesetz schreiben. Der objektive Tatbestand lässt sich so zwar nicht begrenzen, aber vielleicht irgendwie faktisch die Verfolgungsdichte mildern. Wem stiege nicht die Schamesröte ins Gesicht angesichts der Fantasie-Offenbarungen aus dem Innersten unseres Bundesrats? Wem stünde nicht der kurze Rock von AKK vor dem inneren Auge, abgelichtet Seite an Seite mit AM und UVDL? Und damit ist ja, wenn wir es recht überlegen, die Sache noch gar nicht ausdiskutiert: Was soll, was muss überhaupt als „weibliche Brust“ gelten? Wo beginnt, wo endet sie? Was sagt Janet Jackson dazu? Was Jean Paul Gaultier? Und was Gina Lisa Lohfink? Lässt sich die Tatbestandsgrenze schönheitschirurgisch verschieben?
Diese Fragen stellen sich definitiv nicht, wenn man das Problem nicht defensiv, sondern mit einer gewissen Entschlossenheit zum aktiven Vollschutz angeht. Schon im Jahr 1979 hörten wir in Kreisen Frankfurter Anhängerinnen des Ruhollah Khomeini, das seinerzeit in Teheran zu neuen Ehren gekommene Blousing-Kleidungsstück „Tschador“ sei ein Sinnbild der Befreiung, da es den Revolutionärinnen den unbemerkten Transport von Waffen und anti-palahvischen Propagandamaterials erlaube. Ich weiß nicht, ob der Ministerpräsident von Baden-Württemberg damals Anhänger dieser Hidschab-Theorie war, wofür seine biografische Affinität zum schwarzen Priestergewand sprechen könnte. Für den zukünftigen schwäbischen Ministerpräsidenten der Herzen, Cem Özdemir aus Urach, kann ich es ausschließen. Daher ist es kein Wunder, dass er den lieben Freundinnen und Freunden aus Kiel zu bedenken gab, dass Niqab plus Abaya (wie die Burka) ungefähr dieselbe menschheitsbeglückende Freiheitsbotschaft versenden wie ein Kartoffelsack, und deshalb jederzeit in Kartoffelkellern, nicht unbedingt aber in Hauptschulen und Universitäten ihr Verbreitungsgebiet finden sollten.
Ein faszinierender Austausch von Argumenten auf niedrigst möglichem Niveau
Das gefällt, wenn auch auf spezielle Weise, natürlich den Freunden von der Front der wunderschönen, sehr hohen und unüberwindlichen Mauern, die die Anhänger offen getragener gelber Haare hier und anderswo nicht nur vor verborgenen Sprengsätzen, sondern vor allem vor schwarzhaarigen Konkurrenten, braunhäutigen Ministerpräsidenten und rotäugigen Aliens beschützen sollen. Auf der anderen Seite desselben Grabens missfällt den gleichermaßen schlichten Vertretern der sogenannten Religionsfreiheit wiederum, dass es den anderen gefällt, und so entspinnt sich ein faszinierender Austausch von Argumenten auf niedrigst möglichem Niveau, dafür aber mit halbjährlicher Wiederholungsgarantie.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Die PARTEI mit Plakaten im FDP-Design wie „Ostrenten senken“ oder „Die Titte ertasten“ (Original: Die Mitte entlasten) während einer Rede von FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle kurz vor der Bundestagswahl 2013 auf dem Anger im Erfurt.
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2.) von Oben — File:Hijab Niqab Veil (detail of hijab).jpg
Author | Hijabis4ever |
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Unten — Thomas Fischer auf der re:publica 2016
Ot – Eigenes Werk
Thomas Fischer (Jurist)
- CC-BY-SA 4.0
- File:Thomas Fischer-Jurist-rebuliva16.JPG
- Erstellt: 4. Mai 2016
Erstellt am Mittwoch 12. Februar 2020 um 11:59 AM und abgelegt unter International, Justiz-Kommentare, Mensch, Regierungs - Werte. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.