Brandenburg wählt
Erstellt von Redaktion am Donnerstag 29. August 2019
Natürlich wird es schlimm
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Viele Brandenburger werden am Sonntag rechts wählen – manche sogar nur, um vermeintlich Linke zu ärgern. Denen wiederum könnte ein Trick helfen.
In Brandenburg und in Sachsen wird in wenigen Tagen gewählt, und natürlich wird es schlimm. Aus Sicht der liberalen Demokratie gesprochen. Den westdeutschen AfD-Spitzenkandidaten in Brandenburg, Andreas Kalbitz, halte ich persönlich zum Beispiel für einen Nazi, wenn man diesen Begriff synonym mit „deutsch-rechtsextreme Gesinnung“ verwendet, wie es heute umgangssprachlich getan wird. Mit dieser Einschätzung bin ich wahrlich nicht allein.
Sie beruht unter anderem darauf, dass Kalbitz das Drehbuch für einen Film geschrieben hat, der als „geschickte Hitler-Verherrlichung“ bezeichnet wird. Dass er zwei Jahrzehnte in rechtsextremen Zirkeln unterwegs war, etwa bei der inzwischen verbotenen HDJ. Dass er – übrigens anders als die meisten anderen AfD-Kandidaten – auf seine rechtsextreme Vergangenheit angesprochen, keine Silbe auf echte Distanzierung verschwendet. Wen kann man Nazi nennen, wenn nicht eine solche Person?
In Brandenburg wird eine große Zahl von Menschen also einen Nazi wählen, und das ist schlimm. Es wird aber in Prozentzahlen weniger schlimm als befürchtet, als man hätte vor einigen Monaten annehmen müssen (außer es geschieht noch etwas Gravierendes). Das glaube ich jedenfalls, und zu dieser zugegeben nicht hundertprozentig wasserdichten Einschätzung komme ich mithilfe sozialer Medien und der Verknüpfung von zwei Thesen.
Die grausige Floskel von einer „Spaltung der Gesellschaft“
Die erste These nenne ich „Kleistsches Prinzip“. Heinrich von Kleist hat um 1805 den Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ geschrieben. Überträgt man das auf die heutige, chathafte Kommunikation in sozialen Medien, ergibt sich: Beim Kommentieren in sozialen Medien kann man Leute dabei beobachten, wie sie allmählich ihre Gedanken verfertigen – und zugleich ihre Gefühle verfestigen. Denn soziale Medien sind Gefühlsmaschinen.
Die grausige Floskel von einer „Spaltung der Gesellschaft“
Die erste These nenne ich „Kleistsches Prinzip“. Heinrich von Kleist hat um 1805 den Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ geschrieben. Überträgt man das auf die heutige, chathafte Kommunikation in sozialen Medien, ergibt sich: Beim Kommentieren in sozialen Medien kann man Leute dabei beobachten, wie sie allmählich ihre Gedanken verfertigen – und zugleich ihre Gefühle verfestigen. Denn soziale Medien sind Gefühlsmaschinen.
Die zweite These beschreibt eine (nicht mehr ganz) neue Dimension der politischen Polarisierung. Die meisten gesellschaftlichen Akteure scheinen zu glauben, dass Polarisierung schlecht ist, gut erkennbar an der so inflationären wie grausigen Floskel „spalten die Gesellschaft“:
- „Verbote spalten die Gesellschaft“
- „Soziale Medien spalten die Gesellschaft“
- „Arbeitgeber spalten die Gesellschaft“
- „CDU, CSU und SPD spalten die Gesellschaft“
- „Talkshows spalten die Gesellschaft“
- „Hartz-IV-Gesetze spalten die Gesellschaft“
- „Ungleichheiten spalten die Gesellschaft“
- „Tracking-Apps spalten die Gesellschaft“
Was soll da noch kommen? Gartenzwerge? Nein, auch die spalten selbstredend längst die Gesellschaft. Dahinter steht eine bizarr unterkomplexe Vorstellung von Gesellschaft, die beruht auf der bizarr unterkomplexen Annahme, das Ziel sei ein ständiger Dauerkonsens in ungefähr allen Fragen. Das ist natürlich Unfug, in einer liberalen Demokratie muss es exakt einen Konsens geben, und der heißt: Liberale Demokratie, mit den Werten, die unveräußerlich dazugehören und im Grundgesetz nachlesbar sind, unter anderem Minderheitenschutz, Presse– und Meinungsfreiheit, Rechtsstaat, die Ungeilheit von Angriffskriegen. Über alles andere kann und muss man streiten.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Andreas Kalbitz (MdL Brandenburg) 2016…