Boykott gegen Israel
Erstellt von Redaktion am Dienstag 1. Januar 2019
Vor 13 Jahren wurde die Bewegung für Boykott gegen Israel gegründet.
von Nathan Thrall
Vor 13 Jahren wurde die Bewegung für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) gegründet. Zeit für eine kritische Bilanz.
Seit ihrer Gründung vor 13 Jahren hat die Bewegung für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) für viel Aufregung gesorgt und sich viele Feinde gemacht. Arabische Staaten, die bemüht sind, ihre Beziehungen zu Israel zu normalisieren, und ihren jahrzehntealten Boykott aufgeben wollen, werden unter Druck gesetzt; die Palästinensische Autonomiebehörde wird für ihre Zusammenarbeit mit Israels Armee und Militärverwaltung angefeindet, und die PLO-Führung ist sauer, weil BDS ihre Autorität als international anerkannte Vertretung der Palästinenser untergräbt.
Die politische Führung in Tel Aviv brachte BDS regelrecht zur Weißglut; wegen der heftigen antidemokratischen Gegenkampagnen der Regierung Netanjahu machen sich israelische Linke und Liberale inzwischen große Sorgen um ihr Land. Die Überbleibsel der israelischen Friedensbewegung werden vor den Kopf gestoßen, weil BDS die Palästinenser dazu drängt, ihren Kampf gegen die Besatzung in einen Anti-Apartheid-Kampf umzumünzen. Und den europäischen Geberländern für Palästina bereitet sie heftige Kopfschmerzen, weil wiederum Israel verlangt, die Zusammenarbeit mit palästinensischen Organisationen, die BDS unterstützen, einzustellen – was praktisch gar nicht möglich ist, weil sich fast alle wichtigen NGOs in den besetzten Gebieten für die Kampagne engagieren.
Unternehmen wie Airbnb, RE/MAX und HP beschert BDS schlechte Publicity, indem sie deren geschäftliche Verflechtungen mit der Besatzung anprangert; große Firmen haben das Westjordanland schon verlassen, und weltweit wurden Filmfestivals, Konzerte und Ausstellungen abgebrochen oder gleich ganz abgesagt; auch palästinensische Künstlerinnen und Künstler sind wütend, weil sie der Kollaboration mit Israel beschuldigt werden, und akademische und sportliche Verbände regen sich darüber auf, dass BDS sie zwingt, im palästinensisch-israelischen Konflikt Position zu beziehen.
BDS hat auch die jüdische Diaspora gespalten, weil viele im Mitte-links-Lager sich auf einmal dazu gezwungen sahen, sich zwischen der rechten Pro-Siedler-Regierung Israels und der anti-zionistischen Linken zu entscheiden. Liberale Zionisten stellte BDS vor die unangenehme Frage, warum sie den Boykott von Waren aus den Siedlungen akzeptieren, nicht aber den Boykott des Staates, der diese Siedlungen schafft und am Leben hält.
Am folgenreichsten an der BDS-Kampagne ist womöglich aber, dass sie den internationalen Konsens einer Zweistaatenlösung infrage gestellt hat. Damit hat sie die gesamte Mechanik des Nahost-Friedensprozesses erschüttert: Die zentrale Prämisse einer ganzen Armada von NGOs, diplomatischer Delegationen und Denkfabriken beruhte lange auf der Annahme, dass der Konflikt durch ein Ende der israelischen Gaza-Blockade und der Besatzung des Westjordanlands und Ostjerusalems gelöst werden könne – die Rechte der palästinensischen Bürger Israels und die Frage der Rückkehr der Flüchtlinge blieben dabei außen vor.
BDS hat die älteren Wurzeln des Konflikts wieder freigelegt: die ursprüngliche Vertreibung eines Großteils der Palästinenser und die Errichtung des israelischen Staats auf den Ruinen palästinensischer Dörfer. Sie hat alte Fragen wieder an die Oberfläche gespült – nach der Legitimität des Zionismus, der Bevorzugung jüdischen Rechts vor nichtjüdischem und den Gründen, warum Flüchtlinge, anders als in anderen Konflikten, nicht in ihre Heimat zurückkehren dürfen. Vor allem aber die unangenehme Frage, ob Israel – selbst wenn es die Besatzungpolitik aufgibt – beides sein kann, ein demokratischer und jüdischer Staat.
Als Gründungsdokument gilt ein Grundsatzpapier vom 9. Juli 2005 – bekannt als BDS-Aufruf. Die zweite Intifada war mit einer vernichtenden militärischen Niederlage zu Ende gegangen. Jassir Arafat, das Symbol des palästinensischen Widerstands, war tot; und sein Nachfolger Mahmud Abbas stand wie kein Zweiter für den Oslo-Friedensprozess.
Mit Abbas an der Spitze schien die Gewalt zwar vorerst beigelegt, es bedeutete aber auch die Rückkehr zu einer Strategie, die in der Vergangenheit wenig dazu beigetragen hatte, die Besatzung zu beenden. Sollte weiter Druck auf Israel ausgeübt werden, musste dieser aus einer Graswurzelbewegung und aus dem Ausland kommen.
Mehr als 170 palästinensische Organisationen aus den besetzten Gebieten, Israel und der Diaspora unterstützten damals den BDS-Aufruf. Das gesamte politische Spektrum war vertreten: Linke, Islamisten, Unterstützer der Zwei- und der Einstaatenlösung. Das Neue des Aufrufs bestand nicht in der empfohlenen Taktik – Boykott- und Desinvestitionskampagnen waren schon vor 2005 verbreitet.
Neu an BDS war, dass sie die drei großen Forderungen, mit denen Israel unter Druck gesetzt werden sollte, vereinte: erstens Freiheit für die Bewohner der besetzten Gebiete, zweitens gleiche Rechte für die palästinensischen Bürger Israels und drittens Gerechtigkeit für die Palästinenser der Diaspora – die größte Gruppe – inklusive des Rechts auf Rückkehr.
Der BDS-Aufruf war nicht nur eine Herausforderung für Israel, sondern auch für die palästinensische Führung. Denn er verkörperte eine konzeptionelle Neuausrichtung des nationalen Kampfes, die eher an die ursprünglichen Positionen der PLO erinnerte – bevor die Organisation aufgrund militärischer Niederlagen, internen Drucks und politischen Pragmatismus das Ziel eines einzigen demokratischen Staats aufgegeben und sich dem Zweistaatenkompromiss angeschlossen hatte.
Die internationale Gemeinschaft hatte die Zweistaatenlösung als ein Geschenk an die Palästinenser präsentiert. In den Augen der Palästinenser aber handelte es sich um ein Geschenk an die Israelis. Zu Beginn der zionistischen Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts stellten Araber 90 Prozent der Bevölkerung in Palästina; 1948, vor Beginn des Israelischen Unabhängigkeitskriegs, waren es noch mehr als zwei Drittel, bis im selben Jahr 80 Prozent der palästinensischen Bewohner aus dem zukünftigen Territorium des Staats Israel flohen oder vertrieben wurden. 16 Jahre später gründete sich die PLO – lange vor der Besetzung des Westjordanlands und Gazas durch die israelische Armee. Ihre zentralen Ziele waren die Befreiung des ganzen Lands und die Rückkehr der ursprünglichen Bevölkerung.
Nach der ersten Intifada und dem Oslo-Abkommen von 1993 waren jedoch viele Palästinenser bereit, die Zweistaatenformel zu akzeptieren – nicht weil sie sie als gerecht empfanden, sondern einfach weil auf mehr nicht zu hoffen war. Mit jedem Detail aber, das aus den zahlreichen Friedensangeboten bekannt wurde, erschien der Deal fauler. Die Palästinenser sollten nicht nur auf 78 Prozent ihres Landes verzichten, sondern auch auf die Territorien der großen israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten. Sie sollten die Souveränität über große Gebiete von Ostjerusalem – ihrer zukünftigen Hauptstadt – abtreten, inklusive der Altstadt. Außerdem sollten sie akzeptieren, dass einem Großteil der Vertriebenen und Geflüchteten die Rückkehr weiterhin verwehrt wurde.
Sie sollten die Forderung nach gleichen Rechten für die palästinensischen Staatsbürger Israels, die mehr als ein Fünftel der Bevölkerung ausmachten, aufgeben. Als Gegenleistung würden sie einen Westbank-Gaza-Staat erhalten, den sogar israelische Ministerpräsidenten – von Jitzhak Rabin (1922–1995) bis Benjamin Netanjahu – als einen state-minus („Minusstaat“) oder ein „Gebilde, weniger als ein Staat“ bezeichnet hatten. Als sich selbst diese Zugeständnisse als unzureichend herausstellten, um ein Ende der Besatzung zu erlangen, begannen immer mehr Palästinenser die Zweistaatenlösung zu kritisieren. Zur Zeit des BDS-Aufrufs waren das Westjordanland und Gaza bereits seit fast vier Jahrzehnten von Israel besetzt – und nichts deutete auf ein Ende der Besatzung hin. Die USA und andere Staaten versprachen den Palästinensern, dass sich die Situation mit der Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staats ändern würde, taten aber wenig für die Umsetzung.
Die Zweistaatenlösung wurde zu einem leeren Slogan – mit fatalen Folgen: Solange sie als Option im Raum stand, weigerten sich die großen Weltmächte, von Israel zu verlangen, den Palästinensern die Staatsbürgerschaft und gleiche Rechte zu verleihen. So verwandelte sich das Zweistaatenkonzept vom Versprechen, die israelische Besatzung zu beenden, zum wichtigsten Vorwand, den Palästinensern die Gleichstellung zu verweigern.
Israel reagierte nicht sofort auf BDS, dann aber mit voller Wucht. 2009 wurde Yossi Kuperwasser – genannt Kuper – zum Generaldirektor des Ministeriums für strategische Angelegenheiten ernannt und verwandelte es in eine Kommandozentrale für den „Kampf gegen BDS“, wie er es nannte. Kuperwasser begann seinen Job kurz nach dem Gazakrieg 2008/2009, in dessen Verlauf 13 Israelis und 1400 Palästinenser getötet wurden. Die Veröffentlichung eines UN-Berichts unter der Leitung des südafrikanischen Richters Richard Goldstone im September 2009 versetzte der internationalen Reputation Israels einen weiteren herben Schlag. Der Bericht gelangte zu dem Ergebnis, dass sowohl israelische Streitkräfte als auch bewaffnete palästinensische Gruppen Kriegsverbrechen begangen hatten. Israel habe „gezielt Angriffe auf Zivilisten“ durchgeführt „mit dem Ziel, Terror zu verbreiten“, hieß es darin.
Nach Ansicht Kuperwassers war es der Goldstone-Bericht, der die israelische Regierung zum ersten Mal auf die Gefahr der „Delegitimierung“ aufmerksam machte. Ende 2009 identifizierte Netanjahu die Delegitimierung – neben dem iranischen Atomprogramm und den wachsenden Raketenarsenalen in Gaza und im Libanon – als eine der drei größten Bedrohungen für Israel.1 Israelische Offizielle und Politiker bezeichnen BDS seitdem gern als eine „existenzielle“ oder „strategische“ Bedrohung.
Die BDS-Kampagne setzt auch die PLO unter Druck
Anders sehen es Kommentatoren aus dem israelischen Mitte-links-Lager: Ihrer Meinung nach ist die massive Anti-BDS-Kampagne der Regierung zuerst innenpolitisch motiviert. Sie verweisen darauf, dass Israels Außenhandelsvolumen seit der Gründung von BDS gewachsen ist und dass die diplomatischen Beziehungen mit Indien, China, den afrikanischen Staaten und sogar der arabischen Welt gefestigt wurden.
Den Einfluss von BDS könne man nicht am Außenhandel Israels messen, meint hingegen Kuperwasser: „Die Kernfrage ist nicht, ob sie uns boykottieren oder nicht. Die Kernfrage ist, ob sie es schaffen, im internationalen Diskurs die Position zu etablieren, dass Israel als jüdischer Staat illegitim ist.“ Insofern stelle BDS eine sehr reale Gefahr dar, und es sei nicht damit getan, die Kampagne zu ignorieren oder sie als bloßes Ärgernis abzutun: „Bis 2010 haben wir diese Taktik ausprobiert, mit keinen guten Ergebnissen.“2
Mehr als 20 Prozent der 8,8 Millionen israelischen Staatsbürger sind Palästinenser. Es sind die Überlebenden und Nachfahren einer palästinensischen Minderheit, die während des Kriegs von 1948 in Israel geblieben sind. Haneen Zoabi, eine 49-jährige arabische Israelin aus Nazareth, ist seit 2009 Knessetabgeordnete und eine vehemente BDS-Unterstützerin. Im Parlament kritisiert sie die israelische Politik gegenüber den Palästinensern regelmäßig aufs Schärfste und bezeichnet Israel als Apartheidstaat.
Quelle : Le Monde diplomatique >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — These are photos of the national emergency demonstration in which I participated in London on the 3 January, called by Palestine Solidarity Campaign, Stop the War Coalition, British Muslim Initiative and many more organisations.…
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2. von Oben — Mural que es troba a la UAB, realitzat per BDS UAB.…
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Unten — International Day of Quds march in Malmö, 2008-09-27.…