DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Besuch Meseum Wittstock

Erstellt von Redaktion am Dienstag 22. Mai 2018

Die Erfindung der Vergangenheit

File:Herfried Münkler (2).jpg

Aus Wittstock Stefan Reinecke

Vor 400 Jahren begann der Dreißigjährige Krieg, der in Deutschland ganze Landstriche entvölkerte. Hat das noch etwas mit uns 2018 zu tun? Ein Besuch mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler im Museum des Dreißigjährigen Krieges.

Schwarzer Hut, Ledermaske, ein nach vorne gebogener Schnabel. So sahen wohl Helfer und Ärzte aus, die 1638 in Wittstock an der Dosse Pestkranke versorgten und Tote begruben. Die Gestalt mit der Schutzkleidung ist ein Blickfang im Museum des Dreißigjährigen Kriegs in Wittstock, in Deutschland das einzige seiner Art. Die lebensgroße Maskenfigur „könnte aus dem venezianischen Karneval stammen“, sagt der Politikwissenschaftler und Militärexperte Herfried Münkler.

Es ist ein grauer Dienstag im Februar. Nur eine Handvoll Besucher frequentiert das Museum, obwohl 2018 ein Jubiläumsjahr ist. Am 23. Mai 1618 begann mit dem Prager Fenstersturz ein Konflikt, der sich zum europäischen Großkrieg ausweitete und in den 1630er Jahren ganze Landstriche in Deutschland verwüstete.

Münkler, 66, Professor an der Berliner Humboldt-Universität und umtriebiger Intellektueller, hat ein erfolgreiches Buch verfasst: „Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648“. Das Skript für das 900-Seiten-Werk hat er, ganz deutscher Professor, mit der Hand geschrieben und abtippen lassen. Dass die Auflage 40.000 beträgt, lässt er nebenbei fallen.

Das ist viel für ein Werk über einen Krieg, der im Kollektivgedächtnis der Deutschen weitgehend verblasst ist, überblendet von den Kriegen des 20. Jahrhunderts. Die Zeit hat Münkler mal einen „Ein-Mann-Thinktank“ genannt. Er schreibt flüssig, ohne die Sätze mit akademischen Straßensperren zu verbarrikadieren, und verknüpft wissenschaftliche Reputation mit einem zielsicheren Gespür, was der Sachbuchmarkt verlangt.

Wie bei „Der Große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918“ über den Ersten Weltkrieg war er früher als die Konkurrenz auf dem Markt. Und er verknüpft gekonnt historisch detaillierte Darstellungen mit thesenstarken Bezügen zum Jetzt. Der Dreißigjährigen Krieg erscheint als Blaupause für den Syrienkonflikt, mit Kriegsunternehmern wie Wallenstein oder Erich von Mansfeld und einer unübersichtlichen Melange aus Religionskrieg und Machtinteressen.

Das Museum ist in dem massiven Wittstocker Bischofsturm beheimatet, der seit dem 13. Jahrhundert Wohnsitz der Bischöfe von Havelberg war. Münkler schaut sich ein Faksimile des Totenbuchs der Stadt an. Im Jahr 1638 starben Dreiviertel der Wittstocker an der Pest. Danach war die Stadt fast leer. So war es auch in anderen Städten Nordbrandenburgs, in Schwedt, Prenzlau, Templin.

Das Bürgermeisterhaus und der Turm der Alten Bischofsburg

Die Pest war eine Nebenwirkung des Kriegs, der damals wie Säure die Städte verätzte. „Die Heere waren wie Maschinen, die Epidemien verbreiteten“, sagt Münkler in weichem, rundem, hessischem Idiom. Auch deshalb waren die Opferzahlen so monströs. Der Dreißigjährige Krieg forderte, gemessen an der Bevölkerungszahl, mehr Opfer als der Erste und Zweite Weltkrieg zusammen.

„Die Reduzierung der Bevölkerung ist ein Kollateraleffekt des Kriegs, nicht das Ziel. Aber systemisch betrachtet kann man Kriege als Form der demografischen Anpassung an die Ressourcen beschreiben. Es gab auch eine Überbevölkerung“, sagt Münkler vor dem Totenbuch. Ein kalter, moralferner Satz, dem alles Humanistische fehlt. Linke Studierende bescheinigten ihm 2015 in dem Blog „Münkler-Watch“ umgehend „Militarismus und Rassismus“. Auch wegen solch kühler Sentenzen.

Münklers Denken kreist um Macht. Seine Dissertation schrieb er über Niccolò Machiavelli. Geschichte ist in seinen Werken ein Feld unversöhnlicher Konflikte und Machtkämpfe. Den Dreißigjährigen Krieg zeigt er detailliert als politisches Ränkespiel, mit wechselnden Koalitionen und als Abfolge von Schlachten, aus militärstrategischer Perspektive, weniger aus jener der Opfer. Münkler hat ein Faible für Militärgeschichte, ein Genre, das hierzulande, verglichen mit angelsächsischen Ländern, unterbelichtet ist. Die katastrophalen Erfahrungen haben nach 1945 zu einer gewissen Distanz zur allzu kühlen, emphatielosen Beschäftigung mit Krieg geführt.

Münkler erklimmt die knarrende, steile Treppe des Museumsturms. Im 6. Stock blickt man durch das Fenster des massiven Turms auf Bäume, Plattenbauten, ein Gewerbegebiet und am Horizont auf einen Hügel, den Weinberg. Ein gewöhnlicher Ausblick. Er gibt nicht preis, was dort geschah.

Gräuliches Schießen, das Klappern der Harnische, das Krachen der Piken, die Schreie der Verwundeten und der Vorwärtsstürmenden und dazu die Trompeten, Trommeln und Pfeifen – das alles ergab eine grausige Musik.“

Diese Schlachtbeschreibung stammt aus Jacob Grimmelshausens Roman „Der abenteuerliche Simplicissimus“. Exakt dort, auf der ein paar Kilometer entfernten Anhöhe, fand am Nachmittag des 4. Oktober 1636 die Reiterschlacht zwischen Schweden und den Kaiserlich-Sächsischen statt. Unter der Erde dort liegen ein paar Tausend Gebeine, die Toten der Schlacht von Wittstock.

Die schildert Grimmelshausen als vitales, dampfendes, grausiges Morden. „Manche Pferde sah man tot unter ihren Herren zusammenbrechen, übersät mit Wunden, die sie unverschuldet, zum Lohn für ihre treuen Dienste empfangen hatten. Andere stürzten aus der gleichen Ursache auf ihre Reiter und hatten so im Tod die Ehre, von denen getragen zu werden, die sie in ihrem Leben hatten tragen müssen. Die Erde, die doch sonst die Toten deckt, war an diesem Ort nun selbst mit Toten übersät. Da lagen Köpfe, die ihre natürlichen Herren verloren hatten, und Leiber, denen die Köpfe fehlten. Manchen hingen die Eingeweide aus dem Leib, anderen war der Kopf zerschmettert und das Hirn zerspritzt. Da lagen abgeschossene Arme, an denen sich noch die Finger regten, als wollten sie in den Kampf zurück.“

Allerdings war Grimmelshausen bei der Schlacht nicht dabei. Manches hat er aus Berichten, anderes aus einem englischen Roman aus dem 16. Jahrhundert übernommen. Copy and paste gab es auch in der frühen Neuzeit.

Quelle     :      TAZ         >>>>>         weiterlesen

——————————————————————————————-

Grafikquellen   :

Oben   —–       Podiumsdiskussion: Zehn Jahre danach. Hat der 11. September 2001 die Welt verändert? Foto: <a href=“http://www.stephan-roehl.de/“ rel=“nofollow“>Stephan Röhl</a> Prof. Dr. Herfried Münkler (Lehrstuhl Theorie der Politik, Humboldt-Universität Berlin)

Source Flickr: Herfried Münkler
Author Heinrich-Böll-Stiftung
Permission
(Reusing this file)
Checked copyright icon.svg This image, which was originally posted to Flickr, was uploaded to Commons using Flickr upload bot on by FishInWater. On that date, it was confirmed to be licensed under the terms of the license indicated.
w:en:Creative Commons
attribution share alike
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.

————————————————

Unten    —       Das Bürgermeisterhaus und der Turm der Alten Bischofsburg

 

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>